Meinrad Lienert
Der Pfeiferkönig
Meinrad Lienert

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Zweites Kapitel.

Der Spielmannstag.

Die Fähnchen auf dem Einsiedlerhof knarrten im Morgenwind und die drei hohen bunten Fenster auf der Rückseite des Fraumünsters leuchteten in der Sonne.

Die obere Brücke, die Vorhalle vor der Wasserkirche, das Helmhaus genannt, und die Ufer bis unter die Schwibbögen, »die Dielenen« an der Wühre, waren mit Marktleuten und ihren Sachen besetzt. Laut wurden die Waren ausgerufen und Gaukler und andere Marktschreier trieben sich, umkreist von Kindern, in der Menge herum, die nach dem Münsterhof in die mindere Stadt drängte, wo der Spielmannstag abgehalten werden sollte.

Es war ein buntes, lärmendes Treiben. Nicht nur über die obere Brücke, sondern von allen Seiten, durch das Wollishofer Türlein und vom Rennweg her strömte das Volk in den Hof. Bürger und Bürgerinnen, Landleute von den Höfen um den See, mit ihren Vögten und Pfarrherren, aber vor allem allerlei Pfeifervolk, als Sackpfeifer, Lautenschläger, Fidler, kurzum Spielleute jeder Art und Landfahrerinnen aller Gattung drängten dem Münsterhofe zu. Der erste Maitag war allzeit ein freier Tag für alles fahrende Volk; heute aber sollte es ein hochzeitlicher Tag werden.

Schon begannen die Glocken der Abtei zu läuten, und vom Hofe unter den Linden ließen die Bogenschützen die große Büchse über die Stadt donnern.

Aber im Münsterhofe selber ward das Gedränge immer größer, besonder um die Marktgäden im Münster.

Schimpfend und fluchend in allen Tonarten, versuchten die Stadtknechte und die hier pflichtigen Leute von der Gremplerzunft den Raum für die Spiele freizubekommen und einige Ordnung in die Wirrnis zu bringen. Doch wären sie kaum so rasch zum Ziele gelangt, hätte sie nicht ein Teil der Bogenschützengilde, die eben vom höher gelegenen Hofe herab kam, mannlich Püffe austeilend, unterstützt.

Aber auch die Häuser um den Hof waren mit Leuten voll gepfropft. An den Bogenfenstern der Frau von Schännis saßen einige zu Gast gekommene Konventfrauen und aus den Pfrundhäusern guckten die schwarzen Kappen der alten Chorherren und Kapläne. Die Schule der Abtei war bis unter das Dach hinaus besetzt von schreienden, sich balgenden Schülerknaben und andern Jungen, die sich einen bequemen Ausguck mutig errauften. Es gab keine Sitzgelegenheit im Hofe, wo sich die Jugend nicht zu postieren versuchte, mochte sie noch so halsbrecherisch aussehen.

Vor der Leineweber Zunfthaus zur Wage hatten sich auf einer weitumlaufenden Tribüne die Herren der Stadt mit ihren Frauen, die allerhand wunderliche Hauben trugen, niedergelassen. Die Mitte nahmen, einem bisherigen Vorrecht gemäß, die alten adeligen Geschlechter und die Herren des Rats ein, in dem nun freilich seit kurzem die neuern Geschlechter am einflußreichsten geworden waren. Es bestanden schon lange in der Stadt die zwei sich offen und noch mehr im Geheimen befehdenden Parteien der altadeligen und der emporgekommenen neuen Geschlechter, deren Kraft in den regierungsfähig gewordenen Zünften steckte. Diese Parteiung zeigte sich auch jetzt im Münsterhofe wieder. Die Gefolgschaft der neuern hatte sich, ohne es verabredet zu haben, seitwärts auf und um die Tribüne gemacht, die Mitte sorglich meidend.

Dort saß das Haupt der alten Geschlechter, Herr Bürgermeister und Ritter Rudolf Meiß, ein hochgewachsener, gereifter Mann mit offener Stirne. Er galt als der schönste und reichste Bürger der Stadt.

Eben schaute er auf, und ein freudiges Lächeln, das er nur ungern zu verbergen schien, ging über sein Gesicht. Auf der Tribüne aber und im Hof ward das laute Getue mit einemmale zu einem Murmeln und Zischeln. »Sie kommt, sie kommt! Seht ihr, wie hochmütig sie aufzieht! Gewahrt ihr, wie vornehm sie die Nase rümpft!« tönte es im Volke. Aber unter den fahrenden Spielleuten hieß es: »Seht ihr die schöne Frau! Das ist die Beschützerin U. L. Frauen Spielleutenbruderschaft, die Äbtissin am Fraumünster, die Nachfolgerin der vormaligen Fürstinnen von Zürich.«

Es war wirklich die junge Äbtissin Anna von Hewen, die jetzt leichten Fußes, nach rechts und links die Geschlechter grüßend, mit ihren Herren und Frauen die Mitte der Tribüne erstieg.

Jetzt erhob sich Herr Meiß, dessen enge Freundschaft mit der Äbtissin jedes Kind kannte, und begrüßte sie mit leichtem freudigem Zunicken, das Anna von Hewen mit einem ungenierten, liebreizenden Lächeln erwiderte.

Anna von Hewen war ein feiner Blondkopf mit etwas scharf geschnittenem Gesicht und einer hochmütigen Bogennase. Aber ein Paar sinnliche volle Lippen und zwei dunkelblaue Augen wußten ihren Zügen alle Schärfe zu nehmen. Denn wenn diese Augen lächelten, waren sie wie zwei Bergseelein, die in ihren blauen Wassern ein verführerisches Nixenvolk zu bergen schienen. Sie mochte jetzt kaum sechsundzwanzig Jahre zählen; war schon in ihrem zwanzigsten Jahre Äbtissin geworden. Ein gar weit ausgeschnittenes, reich mit Gold und Silberfäden durchwirktes Brokatgewand mit langer Schleppe vollendete das Fürstliche ihrer Erscheinung.

Sie setzte sich, ihren langen »Pfauenschweif« mit graziöser Fußbewegung seitwärts schiebend, neben Bürgermeister Meiß und sagte halblaut zu ihm: »Ich hätte gern auch meinen Bruder, den Freiherrn Friedrich mitgebracht, aber da uns von der Schattenburg schlechte Nachrichten zukamen, schickte ich ihn vor einigen Tagen nach Feldkirch, denn der alte Freund unserer Familie, Graf Friedrich von Toggenburg soll im Sterben liegen.«

Unterdessen hatte sich auch der Äbtissin Gefolge niedergelassen. Neben ihr saßen die greise Frau Mutter des Klosters Seldenau vor der Stadt und Uli Edlibach, der Schüchzer geheißen, ihres Gotteshauses Ammann, mit dem alten Custoden. Ihre übrigen Chorherren und Kapläne hatten da und dort in ihrer Nähe Platz gefunden.

Ihr zu Füßen aber saßen ihre Tischtöchter, Kinder aus ihr befreundeten adeligen Häusern.

Da waren die beiden Elsbeth von Wißenburg, die flachshaarigen Schwestern; die braune, allzeit auflachende Anna von Thengen und Verena von Monsax, ein weiches, von tiefschwarzen Haaren umrahmtes Gesichtchen, mit heimweherischen, dunklen Augen und einem reizenden Stülpnäschen. Sie war die jüngste der Tischtöchter. Trugen alle zierlich geflochtene Kränze von Schneeglöcklein in den Haaren.

Aller Augen hafteten auf der schönen Äbtissin und ihren Tischtöchtern.

Die Äbtissin schien es aber kaum zu beachten. Sie hatte sich in ein angelegentliches halblautes Gespräch mit Herrn Meiß verloren. Jetzt tat sie einen flüchtigen, fast mißfälligen Blick nach der linken Seite der Tribüne. Dort saßen und standen einige Häupter der Partei des Volkes, Herren des Rates und Zunftmeister; unter ihnen auch eine Anzahl Chorherren der Probstei und Predigerherren in ihren weißen Kutten. Aber weder ihr eigentliches Haupt, Bürgermeister Rudolf Stüssi, noch seine rechte Hand, den Stadtschreiber Stäbler, der Graf genannt, bemerkte sie unter ihnen.

»Fällt es dir nicht auch auf, mein Freund,« raunte sie Meiß zu, »daß weder Stüssi noch der Stadtschreiber dort drüben stehen? Ich sehe nur die beiden Schwenden, den Joggi Schwarzmurer, und dort unter dem Trüpplein der Schildner z. Schneggen, den Götz Escher. Ich denke, Herr Stüssi und sein böser Geist, der Graf, werden unsern Spielmannstag wohl für Kinderspielerei und Süßfeilerei halten. Seit die Herren in Rom von Kaiser Sigismund zu Rittern geschlagen wurden, ist ihnen das Haar gar lang geraten. Und ich veranlaßte doch ihretwegen diesen Festtag für die große Spielleutenbruderschaft. Gedachte ihnen hiebei wieder einmal die alten Geschlechter so recht vor Augen zu führen.«

»Wie boshaft!« machte Bürgermeister Meiß, den Schalk in den Augen. »Und nun sind die, denen es zumeist vermeint war, weggeblieben! Übrigens,« setzte er ernster bei, »haben jetzt Bürgermeister Stüssi und sein Schreiber allweg Wichtigeres zu tuen. Wie du eben selbst sagtest, liegt Graf Friedrich von Toggenburg im Ende. Er besitzt, wie du auch weißt, schon seit sechsunddreißig Jahren in Zürich das Burgrecht. Da er nun keine erbfähigen Kinder hat, richtete unsere Stadt schon lange ihr Augenmerk auf die Herrlichkeiten seines vornehmen Bürgers, und ich darf es wohl sagen, es sehnen sich hier viele gar sehr nach seinem Ende. In letzter Zeit entfremdete sich aber Stüssi, dessen Sohn sich auf der Schattenburg recht unfein und anmaßend benommen haben soll, den Grafen. So näherte er sich dem ebenfalls ländergierigen Schwyz und ließ sich auch von diesem Land ins Landrecht aufnehmen. Nun werden dann die Schwyzer auch erben wollen. So können wir's erleben, daß unsere Stadt und Schwyz um des Grafen Länder willen, arge Spähne und Stöße miteinander bekommen. Ich kenne Stüssi und die Schwyzer. Stüssi und Graf haben dabei aber Neben- oder vielleicht sind es ihre Hauptabsichten, gegen uns, die ihnen verhaßten, zu hochstehenden Stadtjunker. Sie gedenken mit des Toggenburgers Erbschaft den letzten Einfluß der Fürstäbtissin und das Ansehen der Geschlechter zu vernichten und sich allmächtig zu machen.«

»Ich weiß es nur zu wohl, mein Lieber,« machte Anna von Hewen halblaut. »Aber so Gott will, soll mir dieser Bauer aus dem Glarnerlande mit seinem groben Schuh nicht zu rasch auf den Fuß treten.«

»Ich nähme den Fuß jedenfalls in Acht,« meinte er ernst. »Ach sieh da!« setzte er aufschauend hinzu, »welch ein Duft um diese Jahreszeit!«

Die Äbtissin wollte sich ebenfalls umschauen, da kniete vor ihr, im kleidsamen Pagengewand, ein Schüler ihrer Abtei. Der trug auf einem schwarzsamtenen Kissen, in feuchtes Moos gebettet, einen Kranz blutfarbener Rosen.

»Ach!« machte Anna von Hewen. »Welch ein Wohlgeruch!« Sie steckte ihr Adlernäschen in die Blumen und fragte dann: »Woher die Rosen?«

»Welsche Kaufleute, Lamparter, die soeben mit Seidenstoffen im »roten Schwert« abgestiegen sind, haben sie Euer Frauen Gnad als Zeichen ihrer brennenden Verehrung und ihrer Sehnsucht, Euch bedienen zu dürfen, aus Mailand über den stiebenden Steg mitgebracht.«

»Wie prächtig!« sagte erfreut die Äbtissin. Sie legte ihre herzförmige Haube der alten Frau Mutter von der Seldenau in den Schoß und setzte den Rosenkranz ohne weiteres auf ihr goldenes Haar. »Geh' jetzt! Ich lasse mich bei den Kaufleuten bedanken, sie seien mir nachher zu Hause willkommen.«

Sie zupfte den Knaben am Kinn. Hurtig ging er davon.

Die Trommeln rasselten.

Jetzt erhob sich Bürgermeister Meiß, den die Äbtissin als Festveranstalterin, zum Spielregenten ernannt hatte und verkündete unter lautloser Stille, daß die Fürstin am Fraumünster, als Protektrix der Spielleute, den heutigen Spielmannstag angesetzt habe, um den erledigten Thron des Pfeiferkönigtums neu zu besetzen, wie gebräuchlich von altersher. Und da trage sie nun an, daß derjenige Spielmann zum Pfeiferkönig erhoben werden möchte, der den süßesten Sang oder das trefflichste Spiel auf seinem Instrumente zum besten gebe. Den Sieger werde eine ihrer Maienfrauen, die da in so anmutigem Büschel zu der gnädigen Frauen Füßen beisammen seien, mit ihren Maiglöcklein krönen. Zudem werde der Stadtläufer dem erkorenen Pfeiferkönig, alter Übung gemäß, einen versilberten Spielmannsschild mit dem reich vergoldeten Bilde U. L. Frau Maria, als der Patronin der großen Bruderschaft, übergeben. Die Herrin an der Abtei, Bürgermeister und Rat hätten ihn für diesen Anlaß besonders herstellen lassen.

Der ganze Hof, vor allem die fahrenden Spielleute, brachen in lauten Jubel aus.

Herr Meiß lächelte und fügte dann noch bei: »Laut eines besondern Wunsches der gnädigen Frau sollen aber an diesem Spielmannstage einmal alle und ein jeglicher, ob fahrender Spielmann oder nicht, zu den Wettspielen zugelassen werden, wie vordem in der Stadt schon ausgekündigt worden.«

Wie das die fahrenden Pfeifer hörten und als sie sahen, daß auch einige Herren aus der Pfaffheit an den Spielen teilzunehmen gedachten, machten sie zwar recht sauersüße Gesichter. Doch wagten sie keinen lauten Widerspruch. Sie erinnerten sich beizeiten des trefflichen Sprichwortes, daß mit großen Herren nicht gut Kirschen essen sei. Zwar schimpfte Itelschalk, des Pfeiferkönigtums Marschalk, halblaut weidlich unter den Spielleuten herum, ihnen bedeutend, daß sich die hohe Frau und die Stadt, auf Kosten der Fahrenden, doch nur einen guten Tag mit dem Wettspiel um das sonst von ihnen so gering geschätzte Heckenkönigtum zu machen gedächten. Aber auch er wagte nicht laut zu werden. Dafür stachelte er sie allerwärts auf, alles dranzusetzen, daß die Spielleutenbruderschaft nicht zum bloßen Spotte würde. Dann rief er laut: »Ja, bei sankt Felix und Fridolin und allen fahrenden Heiligen, wir lassen es draufankommen. Hie allzeit fahrend' Spielleut'!«

Der Donner der großen Büchse vom Hofe unter den Linden ließ die Häuser um den Münsterhof erzittern.

Herr Meiß winkte. Die Wettspiele begannen.

Einige Pfaffen und Laienbrüder machten Ehren halber den Anfang. Sie versuchten es beharrlich mit Marienlob. Einige sangen zu ihrer Lautenbegleitung einen gar langen Text, der wie der Schnee im Bergland kein Ende nehmen wollte. Der Beifall, den sie einheimsten, klang aber auch recht dünn, denn das bärenmäßige Schnarchen einiger übernächtiger alter Zünfter durfte nicht zum Applaus gerechnet werden. Doch spielte ein alter Chorherr aus den Pfrundhäusern, zu seinem sehr langen seraphischen Lobgesang, die Harfe nicht übel. Doch als er mitten im Liede dreimal gewaltig nießen mußte und es noch gewaltiger aus der Schule der Abtei lärmte: »Helf Euch Gott, Herr Magister, zu einem seligen Ende!« – packte er sein Spielzeug zusammen und rief schelmisch lächelnd, da man ihm reichlichen Beifall spendete, daß er gleichwohl auf die Kränzlein der Maienfrauen nicht zu hoffen wage.

Nun war die Zuhörerschaft heiter gestimmt und wäre gewiß in guter Laune verblieben, hätte sich Exuperantz, der Küchenbruder bei den Barfüßern nicht einfallen lassen, auch öffentliche Lorbeeren ernten zu wollen. Er bearbeitete aber das »hölzerne Gelächter« so betrübend, daß ein Wickelkind in der Dachlucke des Berenbergischen Hauses Himmel und Erde mit seinem mörderischen Wehegeschrei anzufüllen anfing, worauf ein solches Echo aus allen Kinderstuben und von allen Straßenecken kam, daß man den Münsterhof für einen verhagelten Kleinkinderteich nehmen konnte. Da drückte sich der Bruder und ward nicht mehr geseh'n. Als nun gar der glatzköpfige Pförtner von den Augustinern auf dem Zürichberg, auf einem selbstgedrehten Waldhorn das letzte Gericht vom Himmel herabzututen versuchte, rief ihm ein Schwertfeger die ungesalbten Worte zu: »Macht Euch nach Hause, lieber Bruder! Man soll Euch brav Tranksame verabreichen, denn nach dem Blasbalg zu schließen, müßt Ihr ein gehöriges Feuer in der Esse haben.«

Da erhob sich ein dröhnendes Gelächter, und der verschimpfierte Konversus zog verdrossen ab.

Nun kam allerlei weltliches Pfeifervolk auf den Plan. Es war auch nicht immer ein Labsal, ihm zuzuhören. Sonderlich der Sackpfeifer war alles übersatt. Ein pockennarbiger Tuchscherer rief laut, man könnte meinen, sämtliche Mäuse im Stadtring hätten sich in Sackpfeifen verwandelt.

Kaum aber war es etwas stiller geworden, traten drei wunderliche Gesellen, wovon einer eine mächtige Baßgeige mitschleppte, in den Kreis. Sie wurden mit lautem Auslachen bewillkommt, denn das Kleeblatt der Spielleute und Schatzgräber von Einsiedeln war weitum bekannt.

Die drei alten Knaben ließen sich durch die Spötteleien und das übermütige Gelächter nicht anfechten. Der Lamphütlein richtete sich an seiner Baßgeige bedächtig auf, blinzelte dirigierend über sein melancholisches Nasentröpflein hinweg nach seinen Genossen und begann dann auf einmal mit dem Fidelbogen seine Baßgeige also zu streichen, als wäre sie ein wilder Esel und müßte für die Kultur zurechtgestriegelt werden.

Aber strahlenden Antlitzes blies der Glückhütlein seine Sackpfeife drein und jetzt schmetterte auch der Lumpenhütlein die Töne also aus seiner Posaune, daß sie wie das heilige Donnerwetter mit allen Winden davonstoben.

Gottlob, dachte Kaiser Carolus auf seinem hohen Sitz im Karlsturm des großen Münsters, gottlob bin ich von Sandstein, es möchte einer sonst des Teufels werden und in die Limmat hinunterspringen.

Ein wildes Hohngelächter ging im Hofe um.

Die drei Spielgenossen aber schienen von alledem nichts zu verspüren. Sie bliesen und geigten tapfer und unentwegt drauflos, ganz versunken in ihre Kunst. Der Lamphütlein bog sich so zärtlich und tief über seine Baßgeige, als wäre sie eine Bauchrednerin und täte ihm wahrsagen. Wie die Zuhörer eben verzweifeln und davonlaufen wollten, endigten die Gesellen mit einem Fortissimo, wovon die berühmte Mauer von Jericho zusammengeschmolzen wäre wie Maienbutter.

Als aber die drei fahrenden Altgesellen der Kunst statt des sicher erwarteten Beifallssturmes, nur ein greuliches Schimpfen und Höhnen zu hören bekamen, rüsteten sie sich, gekränkt wie Hühner, denen man die Eier immer wegnimmt, zum Abzug.

»Die Kunst ist bloß die Metze aller Herren und Pfaffen,« brummte, schwermütig den Baß schulternd, der Lamphütlein, »darum muß sie allzeit, wie der Sigrist, im bloßen Hemde herumziehen.«

»So müssen wir's eben wieder mit dem Schatzgraben versuchen,« meinte der Glückhütlein. »He, und ich wüßte wohl, wo noch ein rechtschaffener Schatz zu finden wäre.«

»Eija, bin auch dabei, aber erst morgen,« sagte der Lumpenhütlein, »heute wollen wir noch mit den Herren dieser musenleeren Stadt zu Vesper trinken.«

Sprach's, nahm die Posaune unter den Arm und machte sich, gefolgt von den andern, davon.

Es war unruhig geworden im Hofe und die Frauen auf der Tribüne begannen sich zu langweilen.

Aber auf einmal horchte alles auf. Der Hof widerhallte von dröhnendem, sich rasch näherndem Roßgestampf. Und jetzt ritten, in stolzer Gangart, ein Trupp Reiter, es mochten ihrer ein Dutzend sein, in den Kreis. Es waren prunkvoll und farbenfreudig gekleidete Burschen von der Bogenschützengesellschaft, Söhne wohlbestellter Zünfter. An ihrer Spitze ritt Hans Stüssi, Bürgermeister Rudolf Stüssis Sohn.

Stolz führte er seine Reiterschar in den Spielkreis, sah mit dreisten, begehrlichen Augen zur Äbtissin auf und grüßte mit einer blitzenden Kriegstrompete. Dann setzte er sie an, blies einige schneidige Reiterstücke und zuletzt ein schmetterndes Hallali zum Angriff. Die Pferde bäumten sich und der junge Stüssi führte vor den bewundernden Zuschauern mit seinen Freunden einen waghalsigen und doch zierlichen Reitertanz auf. Plötzlich aber hob er die Trompete hoch. Blitzgeschwind war die Truppe wieder in Reih und Glied, nochmals ein flottes Rückzugssignal, und fort ging's wie ein Hagelwetter zum Hofe hinaus.

Ein toller Jubel brach los im Münsterhofe. Die Zünfter und das einheimische Volk waren entzückt. Ratsherr Schwarzmurer tat einen schadenfreudigen Seitenblick nach der Tribünenmitte und rief: »Wen sollten wir denn zum Spielmannskönig wählen, wenn nicht Bürgermeister Stüssis Sohn, der mit seinem Trompetlein sogar die Rosse zum Tanzen bringt.«

Der Äbtissin war es schwarz geworden vor den Augen. Dies Ende hatte sie nicht geträumt. Bürgermeister Stüssi und seinen Anhang gedachte sie mit dem Aufzug der alten Geschlechter bas zu ärgern und der ihr meist ergebenen Pfaffheit und den vornehmen Söhnen der Stadt einen vergnügten Tag zu machen. Und nun kam unversehens und sicher nur, um sie herauszufordern, der junge Stüssi und holte sich das Kränzlein einer ihrer Tischtöchter. Denn nach dem Jubel, unter dem er abgezogen, zu urteilen, würden ihm Kränzlein und Spielmannsschild sicherlich nicht entgehen. Er hatte die Trompete wirklich meisterlich geblasen zu seinen Reiterkünsten, es war nicht auszureden. So sollte ihr der so vergnüglich begonnene Tag wieder von diesem Glarnerbauern verdorben werden. Sie hätte Schild und alle Kränzlein ihrer Tischtöchter lieber den drei Spielleuten aus dem Finsterwald gönnen mögen, als diesem hochfahrenden Fant, der, wie sie zu sagen pflegte, vom Alten nichts als die freche Gebärde erbte und der ihr so lange mit begehrlichen Augen und verfänglichen Reden nachgelaufen war, bis sie ihn auf einer Fahrt nach Baden, in der Nähe des Pilgerbrunnens im Hard, ans Land hatte setzen lassen. Sie begann leise, aber eifrig mit Bürgermeister Meiß zu reden.

In der Mitte der Tribüne, unter den Geschlechtern, war es allmählich recht ruhig geworden, während es rechts und links und im Hof allüberall von Gelächter und Lärm wiederhallte.

Das fahrende Volk der Spielleute aber war mäusleinstill, es schämte sich.

Da legte die jüngere Elsbeth von Wißenburg, ein Tischtöchterlein der Äbtissin, die Hand auf den Mund und winkte nach allen Seiten: »Pst, pst!«

Noch ging ein Weilchen ein murmelndes Getue und ein lebhaftes Kichern um, als schwärmten im Hof hundert Bienenflüge, aber dann horchten alle Frauen verwundert auf: Ein leises, leichtfertiges Tanzliedchen kam zu ihnen heraufgeglitten, umschmeichelte ihnen die seidenen Strümpfe wie ein Nest voll frisch geschloffener Kätzlein also, daß ihre zierlichen Schnabelschuhe vor Vergnügen zu trippeln anfingen. Und wie sie, freudig erstaunt, Umschau hielten, erblickten sie im Spielring einen unbekannten, barhäuptigen Burschen.

Der aber hielt minniglich seine Fidel an der Brust und stand da wie aus Erz gegossen. Nur der Fidelbogen und die Finger tänzelten und im Sommerwind zitterten leise seine braunen Locken.

Überrascht, erfreut, schaute Anna von Hewen auf den Burschen. »Welch ein feiner Knabe!« machte sie halblaut, Meiß heimlich die Hand drückend, »sieht er nicht aus wie aus einem alten schönen Märlein davongelaufen?«

Auch der Bürgermeister sah wohlgefällig auf den jungen Spielmann.

»Ein Fahrender,« machte die Äbtissin und errötete vor Vergnügen. »Wahrhaftig, er spielt wie ein Hexenmeister.«

»Wäre der ein Junker,« meinte Herr Meiß, »er hexte sich im Hui in aller Frauen Herzen hinein.«

Die Äbtissin antwortete nicht. Ein seltsames, stilles Lächeln spielte immerfort um ihren Mund. Unverwandt schaute sie auf den fidelnden Burschen. Nur einmal ging wie der Blitz ein triumphierender Blick nach der Seite, wo die feindlichen Häupter saßen.

»Der Fahrende spielt wie ein Zauberer,« machte jetzt die greise Frau Mutter der Seldenau zur Äbtissin gewandt.

»Ei freilich,« flüsterte die zurück, »paßt auf, liebe Frau Mutter, er wird den dreistnäsigen Aufkömmling aus dem Sattel zaubern.«

Das Volk im Hofe aber kletterte sich schier auf die Schultern und reckte die Hälse hoch. Selbst die Unfug treibenden Knaben waren still geworden.

»Was ist das für einer?« fragte ein Bauer vom Hofe zu Männidorf einen alten verwahrlosten Lautenschläger.

»Das weiß der Gauch,« brummte der, »wie sollte ich jeden Grünschnabel kennen.«

»Wohl,« machte jetzt halblaut ein langer, sonnengebeizter Ruderknecht, »den kenne ich gut genug, ist ja der Pfeifer von der Insel Lützelau oben im See. Dort sehen wir ihn etwa fischen, aber plötzlich ist er wieder weg wie ein Nebelfetzen. Verkurzweilt uns oft die Zeit, wenn er dem Spichwart im Turm zu Pfäffikon Fische bringt. So jung er ist, im Landfahren ist er so beschlagen wie ein Alter. Er weiß malefizlustige Stücke aufzuspielen. Eigentlich war er erst ein fahrender Schüler und sollte ein Schreiber oder Pfaffe werden. Da ging er seinen Alten davon und fing das Landfahren an. Wer es aber einmal geschmeckt hat, kann es nimmer lassen. Gewiß ist er rechter Leute Kind . . .«

»Ruhig dahinten, ihr Maulesel!«

Da bezapfte sich der Pfäffikoner Schloßknecht den Mund mit einigen gemurmelten, aber darum nicht weniger aufrichtig gemeinten, landesüblichen Flüchen.

Ulmann, der Lützelpfeifer, aber spielte bald überlustig, ein Jauchzen über alle Dächer hinaus, bald also schwermütig, als wäre er ein gefallener Engel und hätte das Heimweh nach der ewigen Seligkeit im Fidelbogen. Und mit einemmale nahm er die Fidel von der Brust und begann mit frischer, heller Stimme zu singen:

O Welt, o Welt im Sommerrust!
Nun ist dein Glanz und buntes Blust
Uns endlich aufgegangen.
Jedwedes Tröpflein Tau im Gras
Die Welt weist wie ein Spiegelglas,
So viel die Weid aus hangen.

Nun zieh'n die Falter über'n Rain,
Und jeder meint, er trag' allein
Ein blumig Lenzgewändchen.
Und flügelt doch um jedes Haus,
Auch über alle Ständlein aus,
Solch' ein lebendig Fähnchen.

O Welt, o Welt im Maienscherz!
Jetzund, o Schatz, fleug' an mein Herz,
Wo weit die Jauchzer langen.
Wo Hoffnung lauter Nestlein macht,
Und Jakobsleitern Tag und Nacht
Aus allen Himmeln hangen.

Als der Fahrende sein Lied zu Ende gesungen, war einen Augenblick alles mäusleinstill im Hof. Dann erscholl ein vereinzeltes kräftiges Auflachen, das allsogleich im tollen Jubel der fahrenden Spielleute unterging. Und plötzlich stieg der Ruf aus dem Jauchzen: »Ulmann, der Lützelpfeifer soll unser König sein!«

»Der Lützelpfeifer, der Lützelpfeifer!«

Anna von Hewen atmete tief auf und ihr Gesicht war ein sonniges Lächeln. »Nun mag Herr Hans Stüssi verreiten,« machte sie leise.

Aber die Zünfter und Zünftersöhne und das Volk der Stadt ließen es nicht gelten. Es erhob sich ein großes Geschrei im Hofe und lärmende, trotzige Stimmen riefen: »Es lebe Hans Stüssi, unser Spielmannskönig!«

Doch Itelschalk, des Pfeiferkönigtums Marschalk, ging unter den Fahrenden um und beschwor sie, vom Lützelpfeifer nicht abzulassen, da er den Anspruch der Spielleutenbruderschaft auf das Pfeiferkönigtum glänzend dargewiesen habe. Doch als er in die Nähe der Stüssischen Parteihäupter kam, fuhr Hans Keller, Mitglied des Rates, ihn und seine Leute an: »Gebt Ruhe, ihr landfahrenden Brettspieler und Zinkenzeller! Seid zufrieden, daß sich die zünftigen Leute der Stadt auf euere unnützen Schnurrpfeifereien einlassen, oder wir jagen euch zu allen Toren hinaus.«

Da wurden die fahrenden Pfeifer wieder gar kleinlaut, und als der junge Stüssi mit einem Schweif von Freunden zu Fuß in den Hof zurückkehrte, gingen alle ihre Einsprachen unter in dem wilden Jauchzen und Gebrüll, mit dem des Bürgermeisters Sohn empfangen wurde. »Heil, Heil Hans Stüssi, unserm Spielmannskönig!« schrieen, kreischten und heulten die Buben aus allen Fenstern und Winkeln.

Die blauen Augen der Äbtissin funkelten wie der östliche Himmel vor dem Zunachten. Sie drückte verstohlen, heftig Herrn Meißens Hand.

Aber Bürgermeister Rudolf Meiß erhob sich ruhig und winkte gebieterisch nach allen Seiten. Es ward allmählich still im Hof. Dann fragte er mit freundlichem Lächeln, ob man denn den König sich selbst wählen lassen wolle oder ob man es vorziehe, altem gutem Brauch gemäß, die schönen Maifrauen der Äbtissin entscheiden und den auserwählten glücklichen Spielmann mit ihrem Kränzlein krönen zu lassen.

Ein Aufjubeln im Hofe.

»So mögen denn,« rief laut der Spielregent, »die zwei einzig der Krone würdigen Spielleute, Herr Hans Stüssi, Sohn des Bürgermeisters von Zürich und Ulmann, der Lützelpfeifer genannt, in den Kreis treten. Die Maifrauen werden ihres Amtes walten.«

Der junge Stüssi aber machte sich im Kreise seiner Freunde erst weidlich über den Spielmannstag lustig; nannte den Pfeiferkönig einen Komödiantenkönig und sagte halblaut zu den Nächststehenden: »Paßt auf, liebe Gesellen, ich bringe euch ein schlohweißes Jungfernkränzlein zurück. Zwar wäre mir der brennende Rosenkranz unserer lieben Frauen Gnad weit willkommener, allein Herr Meiß wird ihn nicht hergeben wollen.«

Ein schlechtverhaltenes Auflachen ging durch den Hof. Anna von Hewen hatte es wohl bemerkt. Ebenso glaubte sie zu spüren, wie die Frauen und Töchter der Zünfter ihr die Verlegenheit vom Gesichte abweideten. Lachend trat nun Hans Stüssi in den Ring und schritt, keck das Schnäuzchen aufwirbelnd, gegen die Mitte der Tribüne.

Jetzt rief Herr Meiß den zu seinen Füßen sitzenden Maifrauen halblaut zu: »Meine lieben Fräulein, nun ist's wohl an der Zeit, daß eine ihre Schneeglöcklein wagt und den Pfeiferkönig damit krönt.«

Die Äbtissin war blutrot geworden. Ihr Herz klopfte vor Aufregung. Gleich wird die Hand einer ihrer Tischtöchter den Sohn des mächtigen Bürgermeisters bekränzen. Sie merkte mit stillem Ingrimm das höhnische Lächeln von Stüssis Anhang.

Aber unter den Maifrauen, den Tischtöchtern der Äbtissin, war eine kichernde Verwirrung und ein verlegenes holdseliges Erröten. Keine machte Miene, sich zu erheben. Keine griff ins Haar, die Maiglöcklein herabzunehmen. »Geh' du, Elsbeth!« – »Nein, Schwester, du bist die ältere, geh' du! Ich stürbe vor Scham, sieh nur die vielen Augen!« – »Aber du, Anna, du bist doch sonst so keck.« – »Nein, Elsbeth, um alle Schätze der Welt nicht, bei Männern bin ich nicht so, die kleine Monsax mag's tuen.« – »Ich darf nicht,« flüsterte Verena v. Monsax kichernd zurück, »es friert mich, wenn ich nur dran denke.« – »Ich tu's auch nicht,« machte nun die ältere Elsbeth entschlossen, »nein, so vor allen, lieber lauf' ich davon.«

Aller Augen richteten sich allmählich auf die Maifrauen. So konnte es nicht weitergehen.

»Wer ist die Älteste von euch?« fragte jetzt halblaut die Äbtissin.

Es wollte keine Antwort kommen.

»Aber welche ist denn die Jüngste?«

Ein zischelndes Räuspern und Getue begann wieder unter den Tischtöchtern.

Und nun erhob sich aus ihnen langsam, zögernd, das dunkellockige Köpfchen der kleinen Monsax. Blutrot über und über, mit gesenkten Augen, stand sie da; ein verlegenes Lächeln geisterte noch einen Augenblick um ihren halb geöffneten Mund und über die weißen Zähne, dann verging es.

»Frau Mutter,« machte sie kaum hörbar und hob die schwarzen, zitternden Augenwimpern zur Äbtissin, »ich weiß ja nicht, welchen ich kränzen soll.«

Rasch neigte Anna von Hewen ihr Haupt gegen sie und raunte ihr mit der gleichgültigsten Miene von der Welt zu: »Kränze den hübschern!« Und laut setzte sie bei: »Was willst du denn noch? So spute dich doch, die Leute werden ungeduldig.«

Jetzt griff Verena v. Monsax mit bebender Hand und unsichern Fingern in ihr rabenschwarzes Haar, die Schneeglöcklein zu lösen. Aber wie sie die weißen Kettlein heraushob, blieb eine Blume drin hängen und das zierliche Kränzlein ging auseinander.

Erschrocken, in tötlicher Verlegenheit, stand die kleine Graubündnerin da. Es zuckte in ihren Mundwinkeln, sie war dem Weinen nahe.

»Da kann ich aushelfen,« sagte schnell die Äbtissin. Und lächelnd hob sie das purpurfarbene Rosenkränzlein aus ihrem Goldhaar, gab es ihrer aufatmenden Tischtochter in die Hand und sagte: »Nun geh' aber, mein Kind!«

Und Verena v. Monsax stieg zierlichen Schrittes, ein verschämtes Lächeln auf der Wange, im schwarzen Haargelock das vergessene Schneeglöcklein, die Tribüne hinab, vor welcher zuvorderst, dem nahenden Fräulein kecken, lachenden Angesichtes entgegenschauend, Hans Stüssi eben abkniete. Etwas hinter ihm kniete mit leicht geneigtem Haupt Ulmann, der Lützelpfeifer.

Ohne sich auch nur einen Augenblick zu besinnen, umging Verena v. Monsax ruhig und flink den jungen Stüssi und legte das Rosenkränzlein dem braunen Spielmann in die demütigen Locken.

Dann kehrte sie, etwas hastig, zu ihren Freundinnen zurück.

Der Stadtläufer aber, dessen Gedanken schon bei der abendlichen hochzeitlichen Ürte sein mochten, war dem Vorgang nicht mit der ihm gebührenden Aufmerksamkeit gefolgt und streckte nun den glitzernden Spielmannsschild Hans Stüssi mit beiden Händen entgegen.

Der war, stumm und bleich vor Wut, aufgeschossen. Er erfaßte den prächtigen Schild und warf ihn Ulmann, der immer noch in zitterndem Glück, wie ein Erstkommunikantenmägdlein dakniete, vor die Füße. Es klirrte, als sprängen hundert Fensterscheiben.

»Ich danke dem Herrn Spielregenten und ganz besonders meiner Frauen Gnad für ihr Wohlwollen!« rief, sich überschreiend, Hans Stüssi zur Tribüne empor.

Und kreideweiß, mit Augen als hätte er einem ganzen Kornhaus voll Mäuse Gift gelegt, kehrte er sporenklirrend zu seinen Freunden zurück.

Jetzt löste sich das ungeheure Staunen, das die Menge wie mit einem Zauberstabe gebannt hielt. Aus den Reihen der Fahrenden stieg ein brausender Jubel, ein hundertfältiges Siegesgeschrei.

»Lang lebe unser König, Ulmann der Lützelpfeifer! Heil, Heil!«

Aber in den Jubel stachen jetzt wilde, lärmende Ausrufe.

Auch Ulmann war aufgesprungen. Ein zweiter Jubelsturm fuhr über ihn hinweg. Da packte es ihn gewaltig. Sein Herz jauchzte vor Hochmut. Flink griff er nach der zu seinen Füßen liegenden Fidel, hob das rosenbekränzte Haupt gar hoch und schritt mit glänzenden Augen an die Tribüne. Dreimal verneigte er sich tief vor der Äbtissin, dem Spielregenten und den Maifrauen. Dann ließ er sich auf die Kniee nieder, denn er gedachte, der Äbtissin und ihren Tischtöchtern ein Dankständchen zu bringen.

Anna von Hewen vermochte das Entzücken über ihren Triumph nicht zu verbergen, so viel sie sich auch mühte. Ihre Stirn glühte, die Augen leuchteten wie Freudenfeuerlein und umsonst suchte sich ein beständiges Lächeln in den seinen Rümpfen des trutzigen Bogennäschens zu verstecken. Sie konnte es sich nicht versagen, alle Augenblicke verstohlen nach Stüssis Miträten und Freunden hinzusehen.

Aber die kleine Monsax verwandte keinen Blick von dem fidelnden Spielmann. Wie gebannt hingen ihre dunklen Augen an seiner wundertätigen Hand.

»Meine Liebe,« flüsterte Herr Meiß der Äbtissin zu, »du hättest den fahrenden Gesellen vielleicht lieber nicht kränzen lassen sollen. Es war unüberlegt und dürfte dir und mir wenig Spaß, wohl aber vielen Kummer machen. Schau nur Stüssis Leute an, wie sie grimmig nach uns blicken und nur ungern die Fäuste verbergen.«

Mit besorgtem Lächeln sah er sie an.

»Ich hab's getan,« gab Anna von Hewen ruhig, aber mit blitzenden Augen zurück. »Es mag ein teurer Spaß werden, doch ich konnte diese absichtliche, boshafte Herausforderung nicht kaltblütig hinnehmen. Und zudem mußte ich allen zeigen, daß mir eine solche Zauberfidel und ein so herziges Lied mehr gelten als die Kriegstrompete dieses allzusichern Hoffartgockels, selbst wenn sie alle Pfahlbürger, ja selbst der ganze Olymp vorzöge. Und wenn . . . .«

Plötzlich verstummte die Äbtissin und fuhr auf, stand bolzgrad, mit herausfordernden, zürnenden Augen da, laut rufend: »Könnt Ihr das dulden, Herr Spielregent?!«

Eine Schar Zünfterssöhne und die Reiter des jungen Stüssi hatten sich unversehens in die Fahrenden geworfen, auf sie losgeschlagen, daß sie ängstlich aufschreiend nach allen Seiten auseinanderdrängten und nun riß ein Freund Stüssis den Pfeiferkönig empor und machte Miene, ihn fortzuschleppen.

Unter den Tischtöchtern der Äbtissin war ein lauter Aufschrei. Er kam von der kleinen Monsax, die zitternd aufsprang und die Hand ausstreckte, als wollte sie dem bedrängten Pfeifer helfen.

Wohl eilten ihm Itelschalk und einige beherzte Spielleute zu Hilfe, aber sie und er wären wohl von den wilden Jungburschen blutig geschlagen worden, hätte sich nicht Bürgermeister Meiß erhoben und mit weithinschallender Stimme gerufen: »Gebt Frieden den Fahrenden, es ist heute ihr Tag!«

Nur höchst ungern ließen die aufgebrachten Burschen den Lützelpfeifer fahren, und rief ihm einer zu: »Warte nur, Kerl, wir werden dich noch erwischen!« Worauf Ulmann, die zerzausten Haare aus dem bleichen Gesicht zurückwischend, ruhig antwortete: »Und ich werde meiner Frauen Gnad doch noch danken.«

Da machten sie Miene, nochmals über ihn herzufallen, allein hinter ihnen lärmte es: »Gebt Raum, gebt Raum!« Und die Zunftknechte der Grempler drängten, mit ihren Picken eine Gasse erzwingend, gegen die Tribüne.

Ihnen nach schritt, das Pferd an einer Hand und in der andern den abgelösten Helm, ein geharnischter, schon etwas angegrauter Mann. Jetzt machte er Halt, wischte sich den Schweiß von der Stirne und rief dann zur Äbtissin empor: »Gott gebe euch, Bürgermeister und Rat und Euch, gnädige Frau, ein langes Leben! Graf Friedrich der Hinterste von Toggenburg ist nicht mehr. Er verschied vorgestern auf seiner Feste Schattenburg. Gott begnade ihn und uns alle!«

Der Bote aber war Freiherr Friedrich v. Hewen, der Äbtissin Bruder.

Ein großes Gerede begann ringsum im Hof.

Sofort blickte Bürgermeister Meiß zur Stüssischen Partei hinüber, wo die Kunde unter den Zünftern eine große Bewegung verursachte. Eben brachen dort die Räte Schwarzmurer und der lange Heini Schwend auf und mit ihnen, inmitten einer Schar von der Gesellschaft der Schildner zum Schneggen, machte sich auch Hans Stüssi aus dem Hof, nicht ohne einen haßerfüllten Blick nach der Mitte der Tribüne.

»Eine hochwichtige Botschaft,« sagte Herr Meiß zur Äbtissin.

»Ja, es mögen seltsame Zeiten kommen,« gab sie zurück, »der Toggenburger hat viele und ehrgeizige Erben.«

Sie schien äußerlich ruhig, aber ihre Augen funkelten nach den abziehenden Räten und Zünftern.

»Gnad ihm Gott!« machte Herr Meiß. »Der Graf war ein kluger Mann und verstand es trefflich, sich eine warme behagliche Stube zu machen und die erbgierigen zwei Nachbaren Zürich und Schwyz, die ihm gelüstig durch's Fenster schauten, mit gleich schönen Versprechungen davon abzuhalten. Nun werden sie wohl kaum friedlich teilen.«

Anna von Hewen hatte sich erhoben. Sie verabschiedete sich mit einem heimlichen, warmen Händedruck und leichten Kopfnicken von Bürgermeister Meiß. Dann ging sie, gefolgt von ihren Herren und Frauen, in den Hof hinab, wo ihr Bruder sie erwartete und gleich nach einer kurzen, herzlichen Begrüßung leise zu ihr sagte: »Meine liebe Schwester, ich kann kaum für ein paar Stunden dein Gast sein. Bevor es einnachtet, muß ich wieder nach der Schattenburg aufbrechen, da mich Elisabeth von Mätsch, des verstorbenen letzten Toggenburgers Wittib und unsere Base, zu ihrem Vormund zu machen gedenkt.«

Die Äbtissin antwortete nichts. Sie winkte einem ihrer Dienstleute, der dem Freiherrn das Pferd abnahm, und ging dann mit ihm, den nebenanstehenden Pfeiferkönig mit einem flüchtigen Blick streifend, langsam durch die Menge nach der Abtei.

Ulmann, der Lützelpfeifer aber, staunte ihr nach, die lenzfrischen Maifrauen der Äbtissin, die ihn im Vorbeigehen neugierig und freundlich ansahen, kaum beachtend. Da griff die kleine Monsax an ihre Stirne, als wollte sie eine Fliege davon wegscheuchen. Es kam aber das Schneeglöcklein in ihre Finger, das ihr von ihrem Kränzlein noch im Haar hängen geblieben. Sie ließ es zu Boden fallen und zertrat es.

Jetzt wachte Ulmann auf. Herr Meiß, der Spielregent, rief seinen Namen, ernannte ihn feierlich zum König aller fahrenden Spielleute und ließ ihm durch den Stadtläufer den Spielmannsschild und den Lehenbrief, der ihn unter Zürichs Schutz und Schirm stellte und ihn und seinen Marschalk und seine Leute, allen Fürsten, Grafen, Edlen und Herren anempfahl, unter dem Jauchzen der großen Spielleutenbruderschaft, überreichen.

Dann schloß er ruhig den Spielmannstag und lud, freundlich lächelnd, die fahrenden Musikanten ein, sich auf des Rats und der gnädigen Frauen Äbtissin Wohl, in den erlaubten Trinkstuben und Herbergen Zürichs nach Lust bis zur Nachglocke gütlich zu tuen.

Er wollte noch etwas sagen, da fingen auf einmal alle Glocken der Stadt zu läuten an und von der obern Brücke her durch den Hof gegen das Innere der kleinen Stadt, rannten einige Knaben und lärmten so laut sie vermochten: »Graf Friedrich der Hinterste ist tot! Juhuu!«

Da winkte Herr Meiß zum Abzug.


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