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Es war ein wundervoller erster Maitag im Jahre unseres Herrn und Heilandes 1436.
Über dem Zürichsee lag ein hellblauer Duft, wie der Schmelz eines taubestäubten blauen Dornzwetschgleins, wie der entstehende Traum im Blauauge eines erwachenden Mägdleins. Man wußte nicht, wäre es schöner, als ein seliger Engel in den heitern Himmel hineinzutauchen oder in den lautern See als ein unseliger Nix. Das ganze Seetal sah so frisch und fein aus, als hätte sich der Liebgott aus Sehnsucht nach dem zerstörten Paradiese ein kleines Abbild davon gemalt und ließe nun durch die strahlende Morgensonne die taufrischen Farben trocknen.
Heute, am ersten Maitag, als dem Feste der Heiligen Philipp und Jakob des mindern, sollte in der freieidgenössischen Stadt Zürich ein großer Spielmannstag zu Ehren U. L. Frauen abgehalten werden. Zugleich gedachte die große fahrende Bruderschaft der Spielleute, einen neuen Pfeiferkönig zu erwählen, denn der alte war vor kurzem gestorben. Da sollte nun heute der Münsterhof ein großes Stelldichein des fahrenden Pfeifervolkes werden.
Ungewöhnlich viele und mannigfache Schiffe fuhren den See hinab; ungelenke Nauen und Fischerkähne aller Art, aber auch das große Marktschiff von Rapperswil und das Johanniterschiff von Wädiswil, denen ein ganzer Schwarm von kleinen, unansehnlichen Bauernkähnen nachfluderten, wie die jungen den alten Wildenten.
Die meisten Leute wollten zum gewohnten Maienjahrmarkt nach Zürich, um dort ihre Waren unter den Dielenen und anderwärts feilzuhalten oder sich sonstwie am Jahrmarkttreiben und am ausgekündigten Spielmannstag nach bestem Vermögen zu vergnügen.
Fast zuletzt, weit hinter dem Horgener Marktschiff, das den Fischkasten voll Rotforellen, die Zinspflicht vom Ägerisee für die Abtei am Fraumünster, mitführte, schwamm noch der schwere Nauen des klösterlichen, mit Zürich verburgrechteten Hofes Pfeffikon daher.
Er war vollgepfropft, schier überladen mit allerlei Waren und Gerümpel. Die Mitte beherrschten ein paar Fässer, gefüllt mit dem blutroten Leutschenwein des Gotteshauses Einsiedeln ab seinem Weinberge zu Freienbach. Des Klosters Spichwart zu Pfäffikon sandte in Geratjahren gegen gute Bezahlung stets einige Fässer dem Schenkhof der Probstei am großen Münster, wo er immer höchst willkommen war und von wo ihn alle Gotteshäuser und wohlhabenden Leute der Stadt, als besondern Tropfen, als Heiligtagwein, herzubeziehen pflegten. Neben der Tranksame lag in einem Wirrwarr von Sachen, auch ein gewaltiger Tuchballen, den ein prächtiges, braungekräuseltes Bärenfell bedeckte. Und auf dem Fell, in Tücher eingeschlagen, befand sich noch ein duftiges Backwerk, ein Osterfladen. Der Ballen Leinwand war Weberarbeit der Waldschwestern in der Au bei Einsiedeln, wo die Äbtissin von Zürich weben ließ. Das Bärenfell darüber aber ein Geschenk des Fürstabtes Burkhard von Wißenburg an seine Freundin am Münster, die gnädige Frau Anna von Hewen, und der wohlriechende Osterfladen auf dem Bärenfell eine Leckerei für seine, als Tischtöchterlein in der Abtei weilenden Bäschen, die beiden Elsbeth von Wißenburg.
Aus dem Durcheinander der Ladung schnatterte von Zeit zu Zeit eine eingepferchte Entenschar, wie auf Kommando, in den Morgen hinein.
Die Ruderknechte schliefen, denn ein ausgiebiger Südwind trieb das Fahrzeug langsam, aber sicher den See hinunter.
Auf dem Schiffsschnabel saß ein junger, braunhaariger Bursche und ließ seine bloßen Füße vom gischtenden Wasser umspielen. Auf seinem abgelegten Schuhwerk lag eine Fidel.
Aber in der Mitte des Nauens befanden sich noch drei wunderliche alte Gesellen. Einer schnarchte auf dem Schiffsboden. Aus den herumliegenden weißen Rüben guckte der Kelch einer Posaune, die also bresthaft aussah, als wäre der Beulentod darüber gegangen. Der zweite, ein buckliger Zwerg, hockte rittlings auf einem Weinfaß, als wäre er der Patron der Weinleute, und blies seelenvergnügt auf seiner Sackpfeife. Der dritte aber kauerte auf einem mächtigen Käsleib, den auch die verliebtesten Arme nicht zu umschlingen vermocht hätten. Er hielt die Baßgeige im Arm und beäugelte trübselig sein glänzendes Nasentröpflein.
»Ich bitte dich bei den Hühneraugen deiner Urgroßmutter, hör' auf, Glückhütlein!« schimpfte brummend der dicke Baßgeiger, »du machst mich mit deiner Sackpfeife noch also trübsinnig, daß mir alle Blutegel und Schröpfköpfe der Welt die Schwermut nicht mehr aus dem Leibe zu ziehen vermögen. Du bist doch bei Gott kein Regenpfeifer.«
»O Lamphütlein,« antwortete der bucklige Faßreiter, »du bist noch schier ungeduldiger als meine Herren von Zürich und Schwyz, die so sehnlich auf des Toggenburgers Ende warten, obwohl es ihnen mit dem Erbe auch gehen könnte wie Hund und Katze, als sie um die Wurst stritten, daß sie nämlich zuletzt der österreichische Pfau davonträgt. Sowieso, was kümmert's dich, wenn ich mir gerne eins vorpfeife! Letzte Nacht, wie wir im Speicher zu Pfäffikon auf dem Stroh lagen, mußten wir doch auch die ganze Nacht zuhören, wie du durch die Nase pfiffest, so daß wir in der Dunkelheit nichts anderes dachten, als du habest dich in ein wachestehendes Grattier oder in ein wild gewordenes Wiesel verwandelt.«
Damit setzte der Glückhütlein die Sackpfeife wieder an den Mund und blies mit vollen Backen nach herzenslust drauflos.
»Ei, du willst dich wohl auf das Pfeiferkönigtum einüben,« knurrte hönisch der Lamphütlein.
»Wer weiß wie's Gott fügt,« machte, geschwind die Pfeife vom Mund nehmend, der Glückhütlein. »Würde ich gar König des heiligen römischen Reichs, ich tät' auf keinem andern Thron regieren als auf einem Weinfaß, und der Bürgermeister von Zürich müßte mein Mundschenk und der größte Raufbold unter den Zunftmeistern mein Bartscherer werden. Nun, wie Gott will, sagte des Schulmeisters Weib, ich bin die Zeit meines Lebens guter Hoffnung. Also ich sage dir: die Vorsehung, die mich einmal einen Hafen voll Goldgulden ausgraben ließ . . .«
»O du Prahlhans! Es waren ja bloß elende Silberlinge und einiges Pfannenkupfer.«
»Ich sage dir, die nämliche Vorsehung, die mich jenen Schatz graben ließ, weiß schon was sie noch für gute Dinge für mich in ihrem Glückshorn verborgen hat. Mein Stern ist im Aufgang!« lärmte er eifrig. »Frag den Lumpenhütlein, der da in den Rüben liegt und wie ein Bär nach dem Winterschlaf seinen Sommerschlaf zu tun anfängt, frag ihn, ob es nicht urchiges, spiegellauteres Gold war; er half es mir verputzen.«
»Ei freilich,« machte jetzt eine hochgeschraubte Fistelstimme, »es waren, genau gezählt, sechs Stücke weniger als Judas bekam, wie er seinen Herrn und Heiland verriet, macht vierundzwanzig Silberlinge, und einige lützle Kupferhanse waren auch noch dabei.«
Also sprach der lange, glatzköpfige Posaunenbläser, der sich eben halbwegs aufrichtete und mit seiner roten Nase den eingekerkerten Leutschenwein auswitterte.
»Lumpenhütlein,« sagte der gekränkte Glückhütlein, »du bist undankbarer als Judas. Silberlinge oder Goldfische, du hast die meisten durch deine Gurgel schwimmen lassen. Doch davon im zweiten Teil, sagte der Pfarrer und machte sich flink in die Küche, einen halbgebratenen Kalbsfuß aus der Pfanne zu schnappen. Wäre ich nicht in deine schlechte Gesellschaft geraten, so hätte ich das Schaf allein fressen können, sagte der Wolf zum Tiger. Sowieso: Ich pfeif dir! Du bist weder mein Gott noch mein Richter.«
Da giguxte auch schon wieder seine Sackpfeife in den Morgen hinein.
Flink tauchte der Posaunist seinen roten Kopf über den Rand des Nauens ins Wasser, fuhr dann blitzgeschwind und triefend wie ein Besen, der in den Brunnen gefallen ist, wieder heraus und gurgelte: »Bist du des Teufels, du Geizkragen! Weißt du denn nicht was geschrieben steht: Sammelt euch nicht Schätze, die der Rost und die Motten verzehren! Und da hältst du mir den dürftigen Rausch vor, den ich mir aus deinem Kupfer mit Ach und Krach anschaffen konnte. Schäme dich! Er langte nicht einmal zu einem landesüblichen Katzenjammer. Ich pfeif' und rülps' dir künftig auf das Schatzgraben.«
»So, warum hast du denn letzthin doch wieder mit mir und dem Lamphütlein nach den goldenen Kegeln im Ruchenbergtobel gesucht?«
»Der Gauch soll künftig nach Schätzen graben,« brummte jetzt auch der dicke Baßgeiger und tat einen schwermütigen Schluchzer. »Ich fand wohl einmal einen Schatz und ärgerte mich über ihn zwanzig Jahre lang also, daß ich immer grasgrün auf einer Seite anlief wie deine vertrunkenen Kupferheller. Ich sage euch, dieser Schatz setzte mir Hörner auf wie Jakobsleitern. Ich lief immer im Lande herum, wie ein Sechszehnender, der das Geweih nicht abbringt. Endlich versenkte man mir den teuern Schatz wieder ins Erdreich. Er ruhe sanft! sagte der Kappenhans, ich werde mich wohl hüten, ihn wieder auszugraben.«
»O du Hansnarr!« lachte der Lumpenhütlein auf, »da warst du doch selber schuld an deinem Geweih, denn hättest du den Kopf nicht dazu gehabt, so wären dir auch keine Hörner daraus hervorgewachsen. Juhuu! Ich pfeif' dir drauf, schön ist die Welt!«
»Ein stinkendes Sandloch ist sie,« seufzte der Lamphütlein.
»Eine frischgewichste Tanzdiele ist sie,« lachte der Lumpenhütlein.
»Wer weiß, was noch für Freuden auf uns warten,« sagte der Glückhütlein und krähte überlustig: »Wohlauf, mein glückhaft Schiff, fahr zu, Fortunen woll'n wir jagen!«
Der Nauen bog um das weidenbestandene Zürichhorn. Nun tauchte bald die Stadt mit ihren Türmen, Ringmauern und Grendelpfeilern aus dem See und um die Türme des großen Münsters war ein weißes Blitzen wie von Taubenflügeln.
Da sprang vorne im Nauen der braune Bursche auf, stellte sich bolzgrad auf den Schiffsschnabel, schwang seine Fidel gegen die aufsteigende Stadt und sang hellauf in den schönen Morgen hinein:
Nun hat der lichte Maientag Sein blau Panier gelüftet, Und was da lebt in Haus und Hag Zum Heerbann angestiftet. Welch ein Gejaid und Freudgeding Schafwölklein ziehen sonnenwärts Wär ein Gedanke mir im Kopf Hellauf, mein Geiglein, fahr voran! Und wo ein grauer Nebeldunst Und wo im Herzen eine Klag' |
Bevor der Gesang verhallte, hatte der Bursche die Fidel im Arm und begann ein Tänzlein aufzuspielen. Die erwachten Ruderknechte pfiffen und trampten dazu.
Aufjauchzend ließ er sich nieder.
Die Knechte des Turmspeichers von Pfäffikon brüllten Beifall.
»Spiel' noch einen auf, Lützelpfeifer!« rief einer.
»Jaha, gib noch so einen Gestobenen zum besten!« heischte ein anderer. »Es tut einem wohl bis an den Herzbart herauf.«
Die drei alten Spielleute aber hatten ihm aufmerksam, mit kunstverständigen Mienen zugehört.
»Der Lützelpfeifer, der hätte das Holz zum Pfeiferkönig,« meinte der Glückhütlein. »Ein Spielmann ist er, das ist gewiß und zum König hat er das Zeug. Schaut nur wie er den Scheitel trägt, als hätte er eine unsichtbare Krone darauf. Denn ich sage euch: Wie der Kopf, so die Kappe und umgekehrt.«
»Er ist ein Künstler, so wahr mich die Vorsehung zum Posaunenbläser berufen hat,« machte der Lumpenhütlein. »Aber er wird wissen, warum er die Fidel spielt. Für die Posaune hätte er den Ansatz ewig nicht aufgebracht. Gott kennt seine Leute.«
»Ja, ja, das Fideln versteht er,« meinte der Lamphütlein, »aber zu einem rechten Aufstrich, den alle Leute zu hören vermögen, auch die alten Gehörübel auf der Bauerntanzdiele und nicht nur die Geheimniskrämer, Horchbasen und Ohreulen, bringt er's nie und nimmermehr. Im Handgelenk muß es der Spielmann haben. Und zudem,« brummte er verdrossen, »trinken kann er auch nicht.«
»Laßt ihn gehen,« sagte der Lumpenhütlein. »Er spielt seine Fidel wie ein gemaltes, splitternaktes Engelein an der Kirchendecke in der heiligen Nacht. Und was das Trinken anbelangt, so hat er gewiß Talent. Wer weiß, ob er uns nicht eines Tages unter den Tisch säuft.«
Der Lamphütlein tat wieder einen trockenen Schluchzer und ließ seine Weinäuglein betrübt nach den Leutschenfässern wandern.
»Ich wollt', wir könnten das Wettsaufen gleich jetzt abhalten,« knurrte er seufzend. »Mir hockt der Durst im Magen, wie eine Kröte in einer ausgetrockneten Brunnenstube. Ich glaube alleweil, mein Urahne hat mit den Juden den vierzigjährigen Durchzug durch die Wüste mitgemacht und dabei solch einen Durst bekommen, daß er ihn durch alle Generationen hindurch bis auf mich herab noch nicht zu löschen vermochte, denn mit meinem Brand im Leib könnte ich mich an allen Jahrmärkten als wandelndes Fegfeuer sehen lassen.«
Der Lumpenhütlein brach in ein schadenfreudiges Gewieher aus.
»Lach' nicht so dumm,« machte verdrossen der Lamphütlein. »Es kommt ja ein Gelächter aus deinem Weintrichter, als ob man einen Barren voll Esel mit Disteln kitzelte.«
Der Glückhütlein aber jauchzte eins in den Morgen hinein.
Nun fingen auf einmal alle Glocken der nahenden Stadt zu läuten an und bald trieben die Schloßknechte von Pfäffikon ihren Nauen durch die Grendel in den Stadtring.
Viel Volk, besonders fahrende Spielleute, Buben und Mägdlein, standen am Ufer, die ankommenden Fahrzeuge zu beaugenscheinigen.
»Allheil zum Spielmannstag!« lärmte der Glückhütlein auf seinem Faß, wie sie gegen den Finkenstad fuhren.
Jetzt legte das Schiff an.
Flink sprang der junge Spielmann ans Land und verlor sich im Volke.
Nun bemühten sich auch die drei alten Gesellen, über Säcke, Körbe und allerhand andern Gerümpel kletternd, aus dem Schiff zu kommen.
»Ei, seht da!« rief am Port ein junger fahrender Lautenschläger. »Da kommen die drei Spielleute und Schatzgräber von Einsiedeln, der Glückhütlein, der Lamphütlein und der Lumpenhütlein. Sag' an, Glückhütlein, was für eine Ritterschaft hast du dir damals gekauft aus deinem vollen Schatzhafen?«
»Die Ritterschaft zum grünen Affen,« antwortete der Glückhütlein prompt.
Ein tolles Gelächter ringsum.
Verwundert streckten einige fremde Herren die Köpfe aus den Fenstern der Herberge zum Raben.
Jetzt waren die drei alten Knaben am Gestade. Sie verschüttelten sich wie Hühner, die ab den Eiern kommen und der Lamphütlein tat noch einen mißfälligen Blick auf das viele Wasser der Limmat. Dann machten sie sich hurtig, unbekümmert um das gaffende, spottlustige Volk, in ein Stadtgäßlein davon zu einer kühlen Herberge.