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VI.
In der Heimat. Auf dem Boden bei dem Takelmeister. Krieg unter Kindern. Kleine Wolken

»Rutland« hatte in diesem Jahre erst gegen Weihnachten sein Winterquartier bezogen. Er lag mit einer Menge anderer kleinerer Fahrzeuge in einer der Küstenstädte des Ostlandes eingefroren. Christensen's wohnten auf einem Hügel in der Nähe des Hafens, ihr kleines Haus stand auf einer steilen Steinmauer, hatte vor der Thür eine hohe Treppe und nach hinten zu einen Garten.

Madame Christensen hatte nach ihrer Heimkehr ungeheuer viel zu thun. Es mußten Lichter gegossen werden, es wurde geschlachtet, gebraut, gewaschen und gebacken – alles so zu sagen auf einmal. Aber das machte ihr nichts aus; wenn sie nur erst ihre Aermel aufgekrämpt hatte und aufgeschürzt war, so ging es Tag und Nacht. Schlimmer war es für die Tochter des Schuhmachers, die da diente und schon nach wenigen Tagen vom Schauplatz der Thaten verschwinden mußte. Aber darauf kam für die Sache selbst nichts an. Madame Christensen machte es wie Tordenskjold: wenn eine Mannschaft von Deck gefegt war, holte er die andere herauf, ... und am Weihnachtsabend war alles fertig und drei Mädchen abgelohnt. Am selben Abend war auch Christensen mit dem Abtakeln des »Rutland« fertig. Die Masten, Stangen, Raaen, Ruten, Gaffeln u. s. w. lagen in guter Ordnung auf dem Boden bei dem Takelmeister Kjelsberg.

Bernt hatte überall treu und fleißig geholfen. Beim Schlachten, Brauen und Backen hatte er seiner Mutter zur Seite gestanden und war mit vielen Weihnachtskuchen belohnt worden, und mit dem ganzen Eifer seiner Seele war er auch beim Abtakeln beschäftigt gewesen, hatte getragen und geschleppt, nach dem Prahme gebracht und von da auf den Boden, bis es alles in Ordnung war.

Christensen war auch noch am selben Nachmittag auf der Sparkasse in der oberen Stadt gewesen und hatte vom Kassirer die Bemerkung hören müssen: »Dies Jahr haben Sie wohl nicht viel verdient, Christensen.«

»Ach nein, Herr Kassirer! – ein armer Schiffer kann froh sein, wenn er nur klar wird!«

»Armer Schiffer? – hat seine zweitausend Thaler und dann noch das Fahrzeug.«

»Der Kassirer sollte nur wissen, was es kostet, ... ja, wenn es ein neues wäre, ... und dann die Heuer.«

»Ja gewiß! – Sie werden noch ein armer Mann, Christensen!« – Der Kassirer lachte und gab ihm das Buch quittirt zurück.

Christensen hatte nun auch noch etwas oben in Trondhjem stehen, wovon er indessen nicht sprach.

*

Am Weihnachtsmorgen glänzten die Messinggriffe an der Hausthür bei Christensen's, wie die Sonne, und vor den Fenstern hingen neugeplättete Gardinen. Es lag wie eine gewisse festliche Stille über dem Hause, bis am Vormittag die Thür sich öffnete und das Ehepaar mit seinem Sohn hinabging zur Kirche, Christensen in seinem blauen Seemannsanzug und Madame Christensen in dem neuen Bombasin-Kleid, das sie sich in Christianssand hatte machen lassen. Als sie in dem kalten und klaren Wetter so die Straße hinaufgingen, mußten sie auf viele Grüße antworten, die sie aus Fenstern und Thüren empfingen, und Madame Christensen's neues schwarzes Kleid wurde außerdem noch von vielen Augen gemustert und taxirt. Es wurde gewissermaßen die Neuigkeit des Vormittags in dieser Straße, und davon war jeder überzeugt, daß wenn Madame Christensen sich ein solches Kleid kaufen konnte, ihr Mann ein Kronenjahr gehabt haben mußte.

Von der Kirche gingen sie zusammen mit Takelmeister Kjelsberg zurück. In seinem langen, blauen, altertümlichen Rock war er auf dem Lande ebenso links, wie zur See in seinem Element. Er konnte nur langsam auf seinen dicken Beinen einherschreiten und mußte öfters stille stehen. Madame Christensen war nun einmal seine Auserwählte, und darum mußte sie auch genau erfahren, wie es seiner kleinen Enkelin gehe, seitdem sie sich nicht gesehen hatten.

»Wild und toll ... wild und toll, Madame! lernt von allen Knaben unten in der Straße etwas, ... ich denke von Eurem Bernt auch!« Er drohte scherzend mit seinem Stock. »Ja, von Dir, Du bist auch der Beste nicht, ... und hätte ich Dich am Bord, so solltest Du schon Meister Erich kennen lernen, ... ja, Meister Erich! – Aber wie sie rechnen kann! ... denn Kopf hat sie ... Zwölf Jahre alt, und rechnet alles, was ich ihr aufgebe, aus dem Kopf! ... braucht nichts aufzuschreiben, fragt nur Polly selbst ... Aber meint Ihr, daß sie mehr lernt? nein, lesen will sie nicht, ... sie hat schon die dritte Fibel, Madame Christensen! ... Die erste hätte sie in den Brunnen fallen lassen, sagte sie, und die andere wäre auf dem Wege nach der Schule verloren. Nun, ich dachte aller guten Dinge sind drei ... und kaufte noch eine für zwanzig Schilling. Die verwahrst Du nun gut, Polly! sagte ich, oder – ich zeigte ihr drohend ein kleines Tauende – Du schmeckst dieselbe Kost, wie die Schiffsjungen am Bord. Das war voriges Jahr, ... und sie hat sie noch.«

»Ja, das glaub' ich wohl,« murmelte Christensen für sich hin, »seitdem ist auch keine Schule gewesen!«

»Man muß sie mit Ernst erziehen, Madame Christensen! Wer sein Kind lieb hat, züchtigt es zur rechten Zeit, sagt Salomo. Und dafür stehe ich ein, eitel soll sie nicht werden. Sie soll das Geld ihres Mannes nicht in thörichten Fixfaxerien verschwenden ... Ach, wenn ich daran denke, wie es jetzt ist und wie es früher war!«

»Nicht wahr, Takelmeister! Sieh' nur einmal sie an!« – Christensen zeigte scherzend auf seine Frau.

»Nein, mein lieber Christensen, das ist eine Frau, die ihrem Mann treu bei seiner Arbeit hilft. Ja, wenn ich meine Polly so erziehen könnte! ... Ein Baum, der gerade wachsen soll, muß früh fest angebunden werden, nicht wahr, Bernt?«

»Wir wollten ihn Neujahr in die Schule bringen,« sagte Christensen.

»Ja gewiß, gewiß! – natürlich! ... Er wird wohl Seemann werden wie sein Vater, Madame?«

»Wir haben noch nicht viel darüber nachgedacht; aber, wie sein Vater sagt, soll er nun erst etwas auf die Schule.«

»Etwas auf die Schule?« – sagte Christensen, – »nein viel ... er soll tüchtig etwas lernen, das vertreibt am besten die Seemannsgrillen!«

Der Takelmeister sah erst auf den einen und dann auf die andere und schleppte sich dann mühsam weiter.

»Noch – – – nicht einig, scheint es?«

»Noch nicht bestimmt, Takelmeister!« – bemerkte sie. »Ich will ja immer nur, was mein Mann will: aber Bernt muß jedenfalls erst konfirmiert werden, dann hat er auch schon selbst ein richtigeres Urteil ... Der Takelmeister muß die kleine Polly freundlich grüßen und ihr sagen, daß unser Bernt nun auch in die Schule ginge.«

Etwas rot war Madame Christensen geworden und stiller wie gewöhnlich ging sie neben ihrem Mann die Straße hinunter ... Nun, die Weihnachtsfreude wollte sie sich eben nicht verstören lassen ... Christensen war sehr vergnügt und freute sich offenbar an dem neuen Kleid seiner Frau.

Sie begegneten noch einigen Schiffskapitänen, die auch wie sie von ihrer Reise zurückgekehrt und nun mit ihren Familien zur Kirche hinaufgegangen waren. Christensen rief ihnen im Vorübergehen zu:

»Wir sind nicht so wenige, die dies Jahr miteinander Weihnachten feiern, höre ich! ... da wird der Schifferklub wohl gut besucht werden!«

Das Weihnachtsfest ging vorüber und Bernt kam um Neujahr wieder, wie gewöhnlich im Winter, in die Schule. Er erhielt einige neue Bücher, mit denen er morgens um halb acht Uhr fortging und mittags um zwölf Uhr zurückkam. Die Frucht seines Fleißes zeigte sich bald in zerbrochenen Linealen, zerrissenen Hosen und einem dann und wann verkratzten und zerschlagenen Gesicht, – über den genaueren Zusammenhang dieser Thatsachen bewahrte er ein vollständiges Schweigen. Nur das Zeugnisbuch sprach mit sehr deutlicher Sprache, und wo es schwieg, redete es um so lauter. Das waren nämlich seine Versäumnisse, denn Bernt hatte eine wahre Manie für Kjelsberg's Takelboden. Diese leeren Rubriken erhielten öfters zu Hause von Christensen's schwerer Hand ein ernstes Wort und mancher Knabe würde sich wohl solchen Denkzettel zu Herzen genommen haben, aber Madame Christensen nahm sich mit mütterlicher Schwachheit ihres Sohnes an, und suchte so viel sie konnte, das gefährliche Buch den Blicken ihres Mannes zu entziehen. Ueberhaupt schien das Zeugnisbuch ein Zankapfel im Hause zu werden. Christensen wollte nichts von schlechten Charakteren wissen und Madame Christensen dachte in ihrem Herzen – was sie freilich nicht sagen durfte –, daß Bernt ein Seemann, aber kein Schulmeister werden solle.

Sie besuchte daher öfters den alten Takelmeister Kjelsberg, um sich von diesem in ihren Ansichten bestärken zu lassen, und freute sich, dann und wann von ihm zu hören: »Natürlich ein Seemann, Madame Christensen!«

Der Takelboden hätte Bernt's Paradies sein können, – wenn nicht des Takelmeisters rothaarige kleine Enkelin da gewesen wäre. Schon am ersten Vormittag rief sie ihm zu seinem Aerger so laut zu, daß man es auf dem ganzen Boden hören konnte:

»Da kommt Bernt!« ... und dann lief sie ihm entgegen: »Letzten spielen, Bernt? ... oder Verstecken? ... Ich weiß einen, nein, zwei Plätze, wo Du nie mich findest. Ach nein, da nicht, ... auch da nicht.«

Bernt ging ruhig an ihr vorüber, ohne sie anzusehen, und betrachtete nur nach Seemannsweise die umherliegenden Taue und Seile, die mit Schiffsgarn repariert wurden.

»Klüversegel!« nickte er verständig und kurz Dem zu, der an der Arbeit saß, und schlenderte dann – die Hände in den Hosentaschen – weiter über den Boden.

Polly folgte ihm schüchtern; nach einer Weile fing sie wieder an: »Willst Du nicht? ... oder sollen wir etwas anderes? ... Sieh', hier ist eine Strickleiter, ... und da von den Planken können wir über das Dach hinaussehen.«

Bernt sah wieder nur auf die Takelage und ging weiter.

Polly war enttäuscht! Sie hatte sich schon seit Monaten darauf gefreut, daß Bernt wiederkommen würde, und es sich schon ausgemalt, was für ein Jubel und was für ein Leben auf dem Takelboden werden solle. Sie hatte schon ein gut Teil ihres Selbstvertrauens verloren, als sie aber noch einmal ihn wieder nach diesem oder jenem fragte und keine Antwort erhielt – Bernt spuckte nur aus, wie ein alter Seemann –, da hatte Polly beim Mittagessen rote, verweinte Augen.

Am folgenden Tage sah er sie in der Thür stehen. Er schlenderte leise flötend über den Boden, bald diesen, bald jenen Gegenstand mit prüfendem Blick untersuchend.

Polly hielt sich für sich und schien nun auch sehr beschäftigt zu sein. Sie stand mit den Händen auf dem Rücken da und sah sehr nachdenklich aus. Er zog unwillkürlich seine Hände vom Rücken zurück und ging weiter, mußte sich aber doch noch einmal nach ihr umsehen. Wenn er ging, ging sie auch, und gerade so, wie er, stellte sie sich vor die Arbeiter hin, machte ihre Bemerkungen, nickte und schlenderte flötend weiter. Wenn er still stand, stand sie still und ließ ihre Arme nach Matrosenart herabhängen. Ungeachtet all' seiner Ueberlegenheit konnte er's doch nicht lassen, sie immer wieder anzusehen. Schließlich spreizte sie die Beine auseinander, sah nachdenklich gerade vor sich hin und – spuckte aus.

Das leise Kichern der Arbeiter und das laute, lustige Lachen, mit welchem sie plötzlich aufsprang und über die Planken an ihm vorbeilief, ärgerte und kränkte ihn in tiefster Seele.

Hätte Kjelsberg statt seiner rothaarigen Enkelin nur einen Enkel gehabt, – er würde es ihm bezahlt haben!

In den nächsten Wochen benahm sich Polly gegen Bernt anders. Sie fragte ihn unverschämt, ob er vom Lehrer Erlaubnis habe, umherzulaufen, und ob er nicht zur Schule zu gehen brauche. – Wenn nur noch ein anderer Takelboden dagewesen wäre, wohin Bernt sich hätte flüchten können; Polly trat wie ein dunkler Schatten in seine Freude!

Bernt's Leben am Bord des Schiffes unter lauter Matrosen trug natürlich einen großen Teil der Schuld, daß er wie ein Erwachsener aufzutreten versuchte. Aber während der Wintermonate war es nicht Polly allein, der er Anlaß zu Kritik gab; in der Schule gab es auch Hunderte von kleinen Fäusten, die ihm gern sein hoffärtiges Wesen austreiben wollten, und manche Erfahrung hatte ihm schon die Lehre eingegeben, daß er nicht zu leicht den Kampf aufnehmen dürfe, sondern besser thäte, vorsichtig zu manöverieren.

Es war an einem Sonnabendnachmittag gegen Ende Februar. Es war keine Schule und draußen auf dem Eise rings um die Schiffe herum spielte eine Menge von Knaben und Mädchen aus der Vorstadt. Es war ein Jubeln und Schreien, daß man seine eigene Stimme nicht hören konnte. Als Bernt kam, hörte er nichts desto weniger, wie einer von einem Fahrzeug herab, welches gerade geentert und vertheidigt werden sollte, den andern zurief: »Sieh! da kommt die Rutlandratte!«

Aber warum sich ärgern? Er war es ja auch schon gewohnt; auch Namen wie »Apfelsack!« – »Pavian!« – »Packträger!« – störten ihn nicht sehr im Spiel; – erst als man zum »Rutland« kam und einer rief: »He, Burschen, an Bord von Madame Christensen!« – wurde es ihm etwas heiß um die Ohren, und in der Aufregung des Augenblicks langte er nach dem Nächsten aus, der »Hurrah!« gerufen hatte. Er gewann indessen bald seine Ruhe wieder, denn der Feinde, die er vor sich hatte, waren zu viele, als daß er den ungleichen Kampf hätte aufnehmen können. Man schrie und heulte um ihn her, aber Bernt ließ es sich nicht anfechten, er wußte, was er that, und ging langsam seine Wege. Als er an Polly Kjelsberg und einigen andern Mädchen vorbeikam, sagte die erstere:

»Geh' nun nach Hause, Bernt! und erzähl', was Dir passirt ist, dann giebt's Kuchen von Mutter und – Prügel vom Vater!«

Das war zu viel für Bernt. So besonnen, wie er vom »Rutland« weggegangen war, kehrte er nun wieder zurück und ging an Bord des Schiffes.

Die feindliche Menge fing von neuem an, zu schreien und zu heulen ... der Pavian sollte geprügelt werden ... wie ein Schwein wollten sie ihn binden und mit Tauenden tractiren ... sie wollten ihn zertreten und dann mit ihm in dem alten Wrack von »Rutland« ein Loch zustopfen. Andere pfiffen, sangen und heulten durcheinander. Dann fingen sie an, an dem »Rutland« hinaufzuklettern, – da fiel der erste Schlag, – Bernt hatte seine vorteilhafte Stellung benutzt, – noch einer, – der Feind zog sich zurück, ... aber dann kamen andere, sie waren schon auf dem Verdeck –, und Bernt's Gesicht wies schon Spuren des Kampfes auf: da kam noch ein gefürchteter älterer Bursche an Bord. »Stille nun!« donnerte dieser dazwischen, »ich will die Rutlandsratte schon vornehmen, daß sie sich nicht mehr rühren soll!«

Es war Bernt schon lange klar geworden, daß der Kampf zu ungleich wäre, und als nun gar der bekannte große und starke Adolf Adolfsen sich eingemischt hatte, sah er die Unmöglichkeit ein, den Sieg davon zu tragen. In seiner Verzweiflung ergriff er eine auf dem Verdeck liegende Schaufel und warf sie gegen den langen Adolfsen, so daß dieser vom Schiffsrand zurücktaumelte. Das war indessen nur eine Galgenfrist und das Signal zu einem gemeinsamen Rachegeheul rings umher. Bernt hatte unerlaubte Waffen gebraucht! – Plötzlich aber ward es wieder still, denn von neuem kletterte Adolf Adolfsen am Schiff hinauf; – man wartete auf die Execution. Bernt erhielt einen Schlag über das Auge, daß er seiner Eltern Schiff in hundert Farben sah, und gleich darauf begann die Verfolgung auf dem Deck, Bernt voran und der andere hinter ihm her.

Unten auf dem Eis stand Polly und sah, wie Bernt zuletzt auf dem Schiffsrand entlang lief, sein Gesicht blutete und der lange, rasende Segelmacherssohn hinter ihm herlief und ihm dann und wann einen Schlag auf den Kopf oder auf den Rücken versetzte. Dann plötzlich wandte Bernt sich um und rannte mit seinem Kopf gerade auf seinen Gegner zu, so daß beide mit einander über Bord fielen. Der lange Adolfsen blieb unten und schrie und schlug gegen Bernt, während dieser, ohne einen Ton von sich zu geben, auf seinem Feinde lag.

»Laß los oder ich schlage Dich tot!«

Keine Antwort.

»Laß los, hörst Du nicht!« – Adolfsen schlug und schlug.

Polly Kjelsberg hatte nun aber genug gesehen; sie hatte Bernt's bleiches Gesicht gesehen, und lief, so rasch sie konnte, die Straße hinauf nach Christensen's, aus allen Kräften um Hülfe rufend und schreiend: »Helft! helft! Adolfsen schlägt Bernt unten auf dem Eise tot!«

Madame Christensen stand gerade in der Küche und brannte Kaffee. Sie schob den Brenner vom Feuer zurück, und ohne sich Zeit zu lassen, die große, weiße Schürze abzunehmen, lief sie die Treppe hinunter und fragte Polly: »Auf welchem Eise, ... wo, mein Kind?«

»Unten – beim ›Rutland‹«, ... antwortete Polly atemlos und wollte an ihr vorbei. »Aber lauft doch, lauft, Madame Christensen!«

Kaum hatte sie das gesagt, als sie auch schon sah, daß Madame Christensen ihre Beine zu brauchen wußte; – im Augenblick war sie unten in der Straße.

Als Madame Christensen's leuchtende Gestalt oben auf dem Hügel erschien, war das Eis wie rein gefegt von der tobenden, aufgeregten Schar, auch der lange Adolfsen hatte sich zurückgezogen, während einer von den Arbeitern auf Kjelsberg's Takelboden herzugeeilt war und Bernt, der ganz blutig und bewußtlos war, in seinen Armen hielt. Er hatte während des Kampfes seinem Feinde in die Schulter gebissen, so daß dieser sich hatte für besiegt erklären müssen.

»Komm hierher mit etwas Eis!« sagte Madame Christensen, während sie vor Bernt lag und ihn festhielt, »sonst wird er ohnmächtig.

Sie trugen ihn nach Hause, während Polly mit Eis in ihrer Schürze folgte.

Als Bernt dann in der Stube einen Augenblick seine Augen aufschlug und Polly sah, glaubte er sich noch mitten im Kampf, und mit den zusammengebissenen Zähnen murmelte er immer wieder: »Nicht eher, bis Du nachgiebst!«

Polly wußte wohl, daß ihr Wort das Ganze veranlaßt hatte. Als er nun so vor ihr da lag, schnitt das weiße Gesicht ihr in die Seele. Sie barg weinend ihren Kopf in Madame Christensen's Schürze, und schluchzte: »Das ist meine Schuld, ... alles meine Schuld!«

Unten in der Küche erfuhr Madame Christensen, welche da die kalten Umschläge für Bernt wechselte, bald, was eigentlich passiert war; ihr Gesicht hatte einen ruhigen, harten Ausdruck, während sie gegen Polly fast zärtlich wurde.

»Und dann nannten sie ihn« ... schluchzte Polly.

»Nun, wie denn? Sag's nur!«

»Kartoffelschäler und ...«

»Nun?«

»Und Frachtmadame!«

»So!«

»Und dann riefen sie: He, Burschen! an Bord von Madame Christensen! Sie hat ...«

»Nun sag's nur, mein Kind! Du mußt nicht denken, daß ich mich darum kümmere, was solche Knaben sagen.«

»Sie hat ihren Namen im Hinterspiegel! ... Und dann riefen sie, daß ... daß ... die Frau der Kapitän am Bord wäre.«

»So–o, sagten sie das?«

»Ja, das war der lange Adolf Adolfsen. Bernt muß ihn ordentlich gebissen haben. Du, wenn ein so großer Bursche sich so jämmerlich ergab.« – rief sie erregt, während ihre Brust sich hob und senkte, wie das Meer.

Sie gab Polly Kuchen, als sie gehen wollte, streichelte ihre Haare und sagte: »Höre Polly! Nach allem, was ich heute von Dir gesehen habe, sollst Du einen Schilling für Kuchen haben, so oft Du willst, ... ich will jede Woche einen für Dich zurücklegen.«

Madame Christensen sah still und bleich aus, während sie die feuchten Umschläge für ihren Sohn bereitete. Das biedere Gesicht hatte etwas Bestimmtes, fast Drohendes und ihre Augen funkelten. Dann strich sie über ihre dunklen Haare, und es war, als ob ein neuer Gedanke vor ihrer Seele auftauchte ... »Armer Junge!« – murmelte sie – »Armer Junge!«

Es war schon Licht angezündet, als Christensen zurückkam. Nachdem er gesehen hatte, wie sie seinen Sohn zugerichtet hatten, brummte er: »Lauter Dummheiten, sage ich Dir, Mutter! Der Junge geht und hängt herum und weiß nicht, was er die langen Nachmittage treiben soll, ... und dann prügeln sie sich natürlich!«

Als seine Frau ihm aber dann allmählich erzählte, was passirt war, trommelte er mit den Fingern auf dem Tisch.

»Sieh' her, Christensen, ein Loch neben dem andern! Der Junge mußte hergetragen werden. Es war Adolfsen's langer Sohn, der das that,« – fuhr sie fort.

Christensen stand auf. »Und der Pavian sollte geprügelt werden, das hat er gesagt?«

»Was willst Du denn, Christensen?«

»Nur ein Wort mit Adolfsen sprechen, ... mit dem Vater und auch mit dem Sohn!« – Christensen's blatternarbiges Gesicht war glühend rot, und er wollte sich schon auf den Weg machen, als seine Frau ihm entgegentrat und ihn daran hinderte.

»Wo willst Du hin? Bist Du verrückt, Christensen?«

Christensen wandte sich nur um und ging zur Küchentür hinaus; aber Madame Christensen trat ihm auch draußen im Dunkeln in den Weg.

»Bist Du von Sinnen? Oder meinst Du, dadurch irgend etwas erreichen zu können? Es fehlt nur noch, daß der lange Bursche Recht gegen uns erhält und es heißt, Christensen habe den Hausfrieden gebrochen! ... Ich werde schon gelegentlich ein Wort mit dem Adolfsen sprechen! ... es soll nicht vergessen werden, das verspreche ich Dir ... Aber sieh,« – fuhr sie flüsternd fort und ihre Stimme zitterte, »das kommt nur daher, weil Bernt nicht ist, wie die andern. Laß uns sehen, daß wir ihm einige Freunde unter seinen Kameraden verschaffen. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, wie es möglich wäre ... Geh' nur hinein, ich will Dir die Pfeife stopfen, und Du rauchst gemütlich, während ich den Jungen zu Bett bringe.«

Christensen ging schweigend hinein und nahm still die Pfeife aus der Hand seiner Frau, die ihm außerdem noch einen brennenden Fidibus reichte. Aber während sie bei Bernt war, ging er im Zimmer hastig auf und nieder, wie er es auf dem Deck gewohnt war, und dampfte mächtig.

»Nützt nichts! ... nützt nichts! Das muß ein Ende haben, ... muß ein Ende haben!« murmelte er vor sich hin.

Und als seine Frau wieder hineinkam, fuhr er in seinen Betrachtungen fort und gab den Worten dadurch Nachdruck, daß er auf den Silberbeschlag seiner Pfeife schlug: »Nützt nichts, sage ich Dir! Der Junge muß den ganzen Tag in die Schule, oder in die Lehre auf Holst's Werft!«

»Mein lieber Mann, es ist doch so gut, wie wir es jetzt haben!«

»Du meinst wohl, er sollte sich so durchschleichen, bis er Matrose würde. Nein, nun kannst Du wählen: die Schule oder das Werft! ... und dann soll er nach England und Schiffsbaumeister werden. Ich habe mit Berg im Schifferklub gesprochen, der seinen Sohn auch auf das Werft geschickt hat. Das kostet etwas Geld, ... laß es springen, ... aber Seemann wird er nicht, Mutter!«

»Ich denke, wir haben da beide ein Wort zu sprechen, Christensen!« ... Sie sagte nichts mehr, sondern gab sich unter einem unheimlichen Schweigen daran, den Tisch zu decken.

»Du hast Dich in die See verliebt, Mutter! Du hast nur die guten Seiten des Seelebens gesehen, ... aber ich habe noch mehr gesehen, als Du, und ich weiß, wie die armen Schiffsjungen mißhandelt werden an Leib und Seele!«

»Wir werden uns wohl vorsehen, welchem Schiffer wir unsern Sohn anvertrauen. Wir sind hier bekannt, Christensen! – Da wird keine Gefahr sein!«

»Die Schule oder das Werft, Gertrud!« – sagte ihr Mann mit gehobener Stimme und ließ seine schwere Hand ziemlich nachdrücklich auf ihren Nähtisch fallen.

Madame Christensen merkte bald, daß dieser Abend nicht geeignet war, die Angelegenheit zum Austrag zu bringen. Würde Bernt auf das Werft müssen, dann würde er nicht bei ihnen sein können, wenn der »Rutland« im Frühling wieder in See ging, während er aus der Schule leicht entlassen werden könnte. Deshalb antwortete sie zurückhaltend, wenn auch nicht gerade freundlich: »Ja, ja, Christensen! – dann laß es die Schule sein ... Aber Du mußt die Verantwortung übernehmen!«


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