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III.
Fünfzehn Jahre später

Wenn man jetzt in einigen Stunden von Christiania nach Dröback fährt und in zwei Tagereisen nach Bergen, in einer halben Woche nach Trondhjem und in kaum 14 Tagen hinauf nach dem Varangerfjord, gar nicht von den Eisenbahnen zu reden, und daß man überallhin telegraphieren kann, – dann vergißt man's leicht, daß es noch nicht so gar lange her ist, daß man nach Dröback hin einen ganzen Tag rechnete und daß eine Reise nach Bergen mehrere Wochen dauern konnte. Man vergißt, daß Norwegen durch Dampf und Telegraphen in ein anderes, d. h. in ein modernes Land umgewandelt ist. Eins oder das andere der großen Räderdampfschiffe fuhr wohl auch schon in jener Zeit mit der Post und mit Passagieren um die norwegische Küste, aber der Güterverkehr ging doch nach der alten, gewohnten Weise. Nicht Christiania, sondern das mächtige Hamburg war noch die Hafenstadt unseres ganzen Landes, die Verbindung mit den kleineren oder größeren Städten Norwegens aber wurde durch die Küstenschiffahrt vermittelt.

In jene Zeit hinein führen wir den Leser und zwar wieder an Bord der Schaluppe Johann Christensen's. Das Schiff hat Frachtgüter und fährt gerade an der Küste zwischen Christiansand und Lindesnäß. Der Wind weht ziemlich hart. Der Schiffer, ein kräftiger, breitschulteriger Mann mit einer Mütze von Seehundsfell, steht am Ruder, eine kurze Pfeife im Munde, und ruft einen kleinen Burschen, der seinen dunklen Krauskopf zur Kajütentreppe hinaussteckt, um besser sehen und hören zu können. Was er sieht und hört, rapportiert er nach der Kajüte, sein Haar flattert im Winde und er hält seine kleine Hand vor den Mund, um nach Seemannsweise seine Stimme zu verstärken.

Es ist Schiffer Christensen's Frau, die unten in der Koje liegt; so oft die Reise übers Listerland hinausgeht, bereitet sie sich durch dieses Mittel vor, den Schrecken der Seekrankheit zu trotzen.

Sie ist eine hübsche, kräftige, von der Ruhe des Seelebens etwas wohlbeleibt gewordene Frau mit dunklem Haar, stahlgrauen Augen und energischen, vom Wetter gebräunten Zügen. Sie hat in den Augen eines Mannes nur einen Fehler, aber der ist auch so groß, daß er auf einem Schiff fast zu einer unerträglichen Last wird; ihre eifrige Seele kann nicht verstehen, daß eine Frau am Bord eines Schiffes nicht dasselbe ist, wie eine Frau an Land, und sie will auch hier kommandieren. Darum hieß es auch an der ganzen Küste: »Mit Madame Christensen fahren.«

Und doch wollte Madame Christensen nichts anderes, als daß ihre Matrosen sich zuerst und vor allem von der verdienten Heuer anständige Kleider anschafften und den Rest nicht am Lande durchbrächten – sie mußten ja oft anlegen und fuhren die ganze Küste hinauf bis nach Vardö – sondern etwas für Weib und Kinder oder ihre Familie in der Heimat zurücklegten. Darum wechselte die Mannschaft aber auch oft, nur Niels Kobbervig und Andres Kok blieben der feste Stamm des Schiffes.

Das war ja nun alles recht gut und sie hatte ihren Mann auch immer wieder überzeugt, daß er es einsehen mußte, so wäre es am besten, – aber wie gut gemeint auch alles war, es war nun einmal nicht »seemannsmäßig«, und nicht am wenigsten fühlte das ihr Mann selbst; es schien ihm das mit der Seemannsehre zu streiten. Als sein kleiner Sohn daher einmal zu ihm heraufkam und ihn in aller Unschuld fragte, warum es am Lande immer heiße, »mit Madame Christensen fahren«, sagte er ihm mit bitteren Gefühlen im Herzen, er möge zu seiner Mutter gehen und um deren Antwort bitten.

Er hatte sich oft gegen diese Herrschaft auflehnen wollen, aber er war immer geschlagen, denn er konnte nie die rechten Worte finden und war auch kein besonderer Dialektiker. Mit glühendem Gesicht und funkelnden Augen fragte sie ihn dann – und diese Frage griff noch mehr an seine Ehre – ob sie sich denn mit einem Mann verheiratet habe, der keinen Mut und kein Herz habe, sein armes Weib in dem zu unterstützen, was doch recht sei? Diese Frage fürchtete er, denn er hatte eines Mannes Herz und obendrein ein Herz, das verliebt war und sehr eifersüchtig werden konnte. So repräsentierte sie auch überall am Lande die Ehre »Rutlands« und leitete die Geschäfte, während er unten an der Brücke das Löschen und Laden der Güter beaufsichtigte.

Madame Christensen und ihr Mann waren überall an der Küste bekannt, und wenn sie in jeder Stadt, wo sie anlegten, mit ihrem kleinen Sohn an der Hand ihre Geschäftsbesuche machte, mußte sie auch bei einer Tasse Kaffee vor allem erzählen, was sie wußte, wie es in dieser oder jener Stadt stehe und was diese oder jene Familie mache. Das hätte nun ja freilich sehr leicht Anlaß zu Klatschereien geben können, aber Madame Christensen »war nun einmal nicht von der Sorte«, sie verwahrte sich vielmehr immer höchst ausdrücklich gegen die Annahme, »daß sie solche schlechte Ware am Bord habe.«

Nichts desto weniger war sie doch eine Art mündliche Post, die zwischen Verwandten, Freunden und Bekannten herzliche Grüße vermittelte, und Gerüchte über Verlobungen, Heiraten und Concurse mußten immer erst von Madame Christensen bestätigt werden, ehe man ihnen vollen Glauben schenkte. Hatte sie aber etwas bekräftigt und für wahr ausgegeben, dann war es auch sicher, und wegen dieser ihrer Zuverlässigkeit wurde ihr auch manche geheime Mission übertragen, die sie immer mit großem Takt auszuführen wußte. Sie brachte Grüße und Briefe zwischen Liebenden und heimlich Verlobten hin und her, und nach ihrer eifrigen und fürsorglichen Natur unternahm sie es auch wohl auf eigene Hand, eine vernachlässigte oder vergessene Geliebte in unliebsame, aber notwendige Erinnerung zu bringen. Sie war eben eine Kraftnatur, die nie genug unter Händen haben konnte, und Energie und fester Wille leuchteten sowohl aus der raschen Art und Weise, mit welcher sie ihre nun etwas massiv gewordene Figur vorwärts bewegte und in der sie ihre Worte mit lebhaften Gesticulationen begleitete, wie auch aus dem ganzen Ausdruck ihres Gesichts hervor. Ihre beständige Tracht war ein grünes Kleid mit einem großen rot- und schwarzcarrierten Shawl und ein altertümlicher großer Hut, den sie unter dem Kinn zugebunden hatte.

Und um noch eins zu erwähnen, sie war nicht müde geworden, es ihrem Manne immer wieder vorzuhalten, daß er viel zu gern auf offener See fahre, und hatte es denn auch mehr und mehr erreicht, daß sie sich an der Küste und zwischen den Scheeren hielten und immer seltener größere Reisen nach Holland, Dänemark oder Deutschland machten.

Worin nun aber das Ehepaar einig oder uneinig war und was Madame Christensen an den Küsten erlebte und erfuhr, sowie alles, was an Sagen und Geschichten mit dem alten Nordseefahrer »Rutland« zusammenhängt, das ist es, was wir nun im Folgenden hören wollen.


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