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XI.

Der Korpsarzt war von Kommissionsarbeiten in Anspruch genommen; er rauchte seine Abendpfeife im Kontor und wurde nur während der kurzen Zeit der Mahlzeiten in der Wohnstube sichtbar; er hatte sich da Stefanie gegenüber eine Art von neckischlustigem Ton angenommen, der ihr zu behagen schien. Es war über sein Wesen eine nervöse Zerfahrenheit und Unruhe gekommen; er setzte sich mit Hast, erhob sich mit Hast.

Heute abend, nach Ingwalds Abreise, kam er mit seiner Pfeife zum Großvater hinauf und lag und schmauchte auf dem Sopha ...

... »Es ist eine Frage«, sagte er grübelnd »ob ein Familienvater eigentlich das Recht besitzt, auch auf sich Rücksicht zu nehmen, – ob er nicht durch seine Heirat die Verpflichtung übernahm, für seine Familie als ein Stützbalken da zu stehen, und wenn er daran auch selbst im Innern zu Grunde ginge. Ueberhaupt, der ganze Umfang dessen, was es heißt: sich verheiraten ... Giebt man damit sich selbst auf, um von der Nachkommenschaft verschlungen zu werden? – So machen es die Tiere – die Bienen – die Eintagsfliegen ...

»Man muß sich täuschen und betrügen und mit Lügen füttern lassen wie ein Idiot? – und je mehr Kinder im Nest, desto fester säße man in der Schlinge? ... Eigentlich hochkomisch« ... klang es, während er da lag, in unruhiger Heftigkeit, einer stählernen Feder gleich – stets bereit aufzuspringen.

»Solch eine fromme Seele mit einem Geweih, das wie ein stetig wachsender Baum ihr den Kopf beschattet! – Da war's mit einem gut bestellt in dieser Welt! – – – A–ber, es könnte dem Tier ja doch einfallen, es habe das Geweih von der Weltregierung erhalten, um damit zu stoßen, – um zu strafen und Rache zu üben und das Zeug, innen wenigstens, in Ordnung zu bringen. Es ist nur das Gesetz des Unrechts, daß jenes wächst und wächst, bis es explodiert und sich selber rächt und das Gleichgewicht herstellt – –

»Denke mir so einen gläubigen Gesellen, der plötzlich merkt, daß alles, was er an Gefühlsleben besitzt, mißbraucht und beschmutzt und verhöhnt und angespuckt worden ist, so daß sein Herz nur noch wie ein weggeworfener blutiger. Fleischklumpen auf dem Düngerhaufen liegt« –

»Wenn ich an Deiner Stelle wäre, Gunnar,« – unterbrach ihn der Großvater, – »so paßte ich ein bischen auf meine Nerven auf, – Du hast eine zu anstrengende Thätigkeit.«

– »Meinst Du wirklich, Vater? – Ja, ja, – mag schon sein – – wenn ich zu hart nachdenke, wolltest Du wohl sagen. Werde versuchen, bei Nacht ein wenig Chloral zu nehmen, – man muß klugerweise sorgen. Schlaf zu bekommen.«

– Der Großvater war unruhig diese Nacht, – träumte, er müsse ein paar falsch gehende Uhren richten und richten, und sie kämen doch ewig nicht in Ordnung ...

*

Terna steckte hastig und bestürzt den Kopf in Großvaters Zimmer herein.

»Wingaard ist unten zur Neujahrsgralulation,« meldete sie und verschwand.

Der Großvater stand auf und wechselte den Rock. – Die Kleine meinte wohl, man müsse hinunterkommen, – so ein kleiner versteckter Notruf ... sehr erbaulich –

... Immer bloß kurze Besuche in der letzten Zeit, – eine Frage nach Gunnar, – sozusagen bloß ein Wortaustausch auf der Anlegetreppe – – Höchst klug und vorsichtig. Als alter Hausfreund darf man nicht auf einmal ganz vom Horizont verschwinden. – Jetzt erst der Neujahrsbesuch, – und gerade heute, da Gunnar in den Distrikt hinausgefahren war. Das stimmt genau – –

Der Großvater stieg bedächtig die Stufen hinab.

In der Stube saß Wingaard, den Pelzkragen aus Krimmer auf dem Stuhl daneben, bereit, gleich wieder zu verschwinden. – Sein Schlitten wartete vor der Thür.

»Also auch heute kein Doktor zu Hause,« begrüßte er den Großvater und zwinkerte nervös mit den Augen, – »man mußte ja doch seinen Neujahrsbesuch machen. Uebrigens eine wahre Plage; – man opponiert ja auch dagegen, – macht es mit Karten ab« ...

»Nun also,« – nahm er sein unterbrochenes Gespräch mit Stefanie wieder auf ... »Ich habe mir neue Schellen für die Pferde gekauft, – gebrauche sie heute zum erstenmal, – und nun sind sie zu laut und zu hart im Klang, – ungestimmt und disharmonisch, – geeignet, einen toll zu machen, – lärmen einem tief in die Seele hinein, – ohrenzerreißend, als hätte man sie selbst um den Hals, – und überdies noch der Sonnenschein auf dem Schnee« ...

»Ich merke, Sie sind schlecht gelaunt,« sagte Stefanie ärgerlich, – »wir andern müssen wahrhaftig ohne Schlittengeläute zu Hause sitzen und uns damit unterhalten, den Korso durch die Fenster anzusehen.«

Ueber Wingaards Gesicht zuckte es einige Male, als hielte er eine gereizte Antwort zurück, »Ich bekenne,« sagte er, »ich meinte wirklich, mir bei alten Freunden etwas gute Laune zu holen. – Aber – es scheint nicht« ...

Hm – man ist also schon bei den häuslichen Zwistigkeiten angelangt, – dachte der Großvater bei sich. Er setzte sich ans Fenster und guckte hinaus, so oft Geläut ertönte, in Unruhe, ob es nicht Gunnar war, der heimkam.

»Ein kleines Glas Wein gestatten Sie mir doch Ihnen wie dem Großvater anzubieten,« sagte Stefanie; – »das dürfte die Pferdeschellen umstimmen.«

»Nein, danke, – nein, danke – das verschlimmert bloß – geht mir am Vormittag direkt ins Blut ... Die gnädige Frau haben, wie ich sehe, ein prächtiges Luchsfell vor Ihrem Lehnstuhl bekommen – vermutlich ein Weihnachtsgeschenk vom Herrn Gemahl?« – warf er mit einem Anflug von Spott hin.

»Ach, ja,« – sie stieß mit der Fußspitze ein wenig nach dem ausgestopften Luchskopf; – »die Glasaugen machen mich ganz bange, so oft ich mich niedersetze.«

»Katzenschritt und des Weibes Wege!« – raunte Wingaard. – Und der Großvater mußte ihm recht geben. Es war ihre geringste Kunst, auf zwei Saiten zu spielen, eben, so mystisch im Blick und zärtlich im Ton, ob sie den einen oder den anderen gebrauchte ...

»Man ist nun einmal so unglücklich, einen höheren Drang nach Luxus und Komfort zu besitzen,« klagte sie ... »Kein Verständnis für mich, hier« – –

Der Lärm und Verkehr auf der Straße ließ dem Großvater manches vom Gespräch entgehen, dessen Ton oft leise und gedämpft wurde.

– – »Spazierfahrt – – Frau Wiborg« – – fing er von einem eindringlichen Flüstern' Stefanies auf.

»Wir haben nächste Woche Mondschein,« bemerkte Wingaard laut und gelassen. – – – »Aber mein Pferd steht ja draußen und friert.« Er sprang auf und warf den Pelzkragen um ...

*

– Der Korpsarzt kam erst spät heim. Sie waren für den Abend eingeladen, und Stefanie war schon fortgegangen; Gunnar machte aber keine Miene, sich anzukleiden und ihr zu folgen.

Er setzte sich zerstreut mit einer Zeitung nieder, warf das Blatt aber wieder weg, – sah bleich und aufgeregt aus ...

»Die Hexenprozesse, die waren doch gar nicht so dumm!« – rief er plötzlich aus und begann im Zimmer heftig auf und ab zu gehen; er blieb manchmal stehen und redete halb zur Wand, halb zum Großvater.

»Kamen die Leute in Zweifel, ob sie es mit einer Hexe zu thun hätten oder mit einem menschlichen Wesen, so stellten sie eine Probe an, – und sie erkannten, ob es eine Hexe sei oder nicht.

»War sie eine, so machte man sie kalt. – Man nannte das ein Gottesurteil, – und das, das hatten sich die Menschen gar nicht so albern ausgedacht. Es fehlten ihnen bloß die Mittel, und so irrten sie. Doch angenommen, sie hätten ein unfehlbares Mittel besessen, so daß die Sache klar dastünde wie Mathematik, – bist Du ein Zauberweib, das auf einem Besenstiel nach dem Blocksberg reitet, wahrend Dein Mann schläft, – bist Du eine Verräterin am Menschenleben, so bringt dies Mittel Dich sicherlich um – –

»Es ist eine Frage, die ich offen lasse, ob es nicht auch heutzutage solche Unmenschen giebt, – Naturen, die Wahlverwandtschaft nach allen Seiten hin haben, – heimliche Hulden, die ausziehen und Männer fangen, – die verraten und zerstören ...

»Und angenommen, es gäbe solche, und ein Mann ginge in schwerem Zweifel herum, – könnte er etwas Richtigeres thun, – etwas für ihn und seine Familie Vernünftigeres, als zu solch einem unfehlbaren Gottesurteil seine Zuflucht zu nehmen, – die Hexenprozesse anzustellen – wie?«

Er richtete sich blitzschnell auf und fuhr leidenschaftlich fort!

»Nein, nein, – vorausgesetzt, es gäbe wirklich so gräuliche Ungeheuer in Menschengestalt, – ich weiß, ich würde mit voller Seelenruhe Gericht halten. – Es töten; es würde das mich so erleichtern, – es kostete mich nicht mehr, als eine Ratte zu vergiften. Tötete das Mittel nicht, – ich wäre so froh, als hätte ich die Gewißheit von meinem Herrn und Schöpfer selbst!«

»Gunnar, Gunnar,« – warnte der Großvater kopfschüttelnd, – »übertreibst Du nicht arg?!«

»Ach, – ich habe heute eine wunderliche Lustfahrt nach Sollid hinaus gemacht, – frische Luft eingeatmet und die Nerven gestärkt,« – antwortete er mit schneidender Kälte.

*

Der Korpsarzt hatte gleich nach Tisch die Zeitungen und die Post in die Wohnstube gebracht und den Bescheid gegeben, ihn zum Abendessen nicht zu erwarten. Er war überhaupt viel fort in dieser Zeit, sozusagen ganz von seiner Thätigkeit in Anspruch genommen.

»Großvater,« – begann Terna unsicher, als sie wieder allein in der Stube saßen ... »findest Du nicht auch, daß der Vater seit ein paar Tagen etwas so Wunderliches an sich hat? – O Gott, o Gott – ich habe solche Angst! – Wenn er so lustig thut, hat er so 'was Kaltes, – 'was so Hartes im Blick« – –

»Hu – um ... Ich leugne nicht, daß er auch mir in der letzten Zeit ein bischen nervös vorkommt. Aber wir wollen hoffen, Ternachen, daß es sich wieder giebt. Er ist sicherlich überanstrengt.«

»Es ist etwas mit der Mutter los,« – wagte Terna, – »irgend etwas, das nicht in Ordnung ist!« – fügte sie verzweifelt hinzu.

»Hör' einmal, Terna, mein Kind, – Du bist nun erwachsen, – hast selbst schon Kummer gehabt ... Wir müssen vernünftig sein, – was es auch sei, – ich wünsche nicht tiefer einzudringen, – und Du solltest auch nicht mehr darüber grübeln, als Du es gewiß schon gethan. – Das ist eine Sache, die diese beiden untereinander auszumachen haben; keine irdische Macht kann da eingreifen oder helfen. Du verstehst, Terna, – wir sind da ganz ohne Rat und Mittel, – ob es nun biege oder breche.«

»Wie schrecklich, – wie schrecklich!« – ging es wieder über Ternas Lippen ...

»Hör mich, Kind! – Ich betrachte es als ein Glück, daß Ingwald nicht mehr zu Hause ist. Der Junge ging hier herum mit verbittertem, zerrissenem Gemüte. – Und für Deinen Vater ist's vielleicht auch nicht besonders gut, wenn er merkt, daß man leidet ... Je weniger liebevoll besorgte Augen rings herum, desto besser möglicherweise ... Unser alter Gedanke, daß wir das Haus am Strande kaufen, und Du draußen wirtschaftest ... Hätte schon längst geschehen sollen. – Aber, Du, wenn man alt ist, so wird der Weg zwischen Denken und Handeln immer weiter und weiter; man kann so furchtbar schwer sich zu etwas entschließen ... Dein Vater wird vielleicht uns überreden wollen und »nein« und »nein« sagen; aber ich werde halsstarrig bleiben. Keinen Grund, – keinen Grund, wie Du Dir denken kannst, als daß der Großvater eigensinnig ist, – dieser vermaledeite Großvater« ...

»Mache mich nur hart, Terna. Alte Leute, siehst Du, die flammen auf und fallen wieder zusammen, – bekommen Zweifel und hören Gründe an, wo sie es nicht sollten, und sind stocktaub, wo sie es sollten«. – – –

– Das Kind geht da herum und verzweifelt – sagte er sich bekümmert, – erträgt es noch weniger als Ingwald. Sie muß Luft haben und einen Ausweg – – – –

Der Korpsarzt kam früher heim, als erwartet wurde, schon am Nachmittag, in der Dämmerung.

Er nahm den Krimmerkragen ab und wärmte sich am Ofen.

... »Merkwürdig, Vater, wie die Schlittenbahn sich brillant hält ... Prächtige Tour ... Herrliche Tour, – eisglatte Bahn,« – es klang sehr aufgeräumt. »Man geht hier in der Tretmühle herum und bekommt erregte Nerven. Ja, wenn die Urtheilskraft nur nicht in ihnen säße – –

»Wunderschön heute draußen in Sollid, es lag alles da so unberührt und eingeschneit. –

»Ja, ja, Vater, es ist schon möglich, daß wir da draußen wieder einen guten Sommer kriegen!« – plauderte er, während er sich am Kachelofen wärmte..

»Sieh, ist man schon da!« – empfing er Stefanie, als sie eintrat. »Mir kommt förmlich vor, als habe ich Dich vor lauter Hetzerei schon lang nicht mehr gesehen!« – Er faßte sie an beiden Händen. »Da sind keine Nerven, da.«

»Aber man könnte welche bekommen, Gunnar,« lispelte sie, »wenn man so einen Mann hat wie ich. Heute hat man ihn nicht mal zum Abendessen erwartet, Großvater! – und da steht er nun,« – sagte sie zärtlich und legte den Arm um seine Schulter. »Sonst läßt er mich hier allein herumgehen, – Krankenbesuche und Krankenbesuche, Kommissionen, – für die Familie sorgen ... Wenn Du nicht gar so vorsorglich und auf uns bedacht wärest, Gunnar, so glaub' ich, wäre ich viel vergnügter –

»Und nun,« – unterbrach sie sich, – »wollen wir den frischen Stockfisch heute abend machen. Er war für morgen mittag bestimmt. Aber wenn Du nach Hause kommst und mich überraschst, so –«

Sie verschwand, um in der Küche Ordre zu geben.

Der Korpsarzt ging zum Fenster hin und schaute nachdenklich hinaus in die Winterluft ...

»Ist alles in Ordnung bis zum Frühling, kann ich noch ein glücklicher Mann werden« ... entschlüpfte es ihm, wie aus seinen geheimsten Gedanken. –

Der Doktor schraubte und richtete an der Lampe, die Sörine hereingebracht. Er hatte ein paarmal in die Wohnstube hineingeschaut, ob Stefanie nicht vielleicht schon von der Witwe Wiborg draußen am Strand heimgekommen sei.

»Der Mond soll heute dritthalb Stunden am Himmel sein, – und die Flut ist um elf Uhr« ... bemerkte der Großvater. Er stand am Fenster des Kontors und schaute zu den treibenden Wolken hinauf, ehe er die Rouleaux herabließ. Er machte seine interessanten Berechnungen nach dem Kalender.

– »Sie bleibt immer so lang bei dieser Frau Wiborg,« sprach der Doktor etwas ungeduldig. »Na, es ist allerdings ein weiter Weg.«

Er spazierte ein bischen herum und setzte sich dann in den Schaukelstuhl ... »Sie muß nun kommen. – Sie müßte ja nun schon hier sein,« – wiederholte er und sah in die Lampe. – – – »Da ist es wieder! ... Hörst Du denn nicht den unheimlichen Ton, Vater, – als ob jemand lange heulte, bis er ganz erdrosselt worden. Das quält mich, seitdem es dunkel geworden ist.«

»Ein Krahn oder eine Speicherthür an der Brücke unten, die in den Angeln kreischt,« – meinte der Großvater.

»Wenn man einmal so empfindlich geworden, ist man fiktiven Wahrnehmungen so leicht zugänglich,« meinte der Doktor. »Höre, – nun quietscht und würgt es wieder, – rein wie jemand in den letzten Nöten ... Puh, – so ein Umschlag im Seewetter macht einen nervös.«

Der Großvater trat in die Gangthür hinaus.

»Es ist der Hund drüben in Schuhmachers Hof; er sitzt und heult den Mond an« – erklärte er, als er wieder hereinkam ... »Reine, milde Luft draußen, heute abend« – –

Sie saßen stumm und warteten und lauschten –

Plötzlich tönte Geläut von der Straße her, wie von einem Schlitten, der sich mit ungeheuerer Schnelligkeit näherte ...

Er hielt auf einmal vor der Treppe –

Der Doktor hatte schon die Lampe ergriffen und aufgesperrt, ehe noch Zeit war, die Klingel zu ziehen.

Es war Wingaard, der leichenblaß ihm ins Kontor nachfolgte.

»Zieh Dich an, Grunth! – Es handelt sich um Deine Frau. Sie ist krank. Zieh Dich an –

»Ich traf sie früh am Nachmittag,« sagte er bebend, mit zwinkernden, eigentümlich wachsamen Augen, – »sie wollte zur Wiborg; ich lud sie ein, mit mir im Schlitten eine Spazierfahrt zu machen – »Nach Sollid hinaus, in diesem milden Wetter«' – schlug sie vor, ging hinein und holte den Schlüssel –

»So mach Dich doch fertig – mache Dich fertig, Grunth –

»Kaum waren wir dort angekommen, da überfielen sie plötzlich sonderbare Schmerzen – furchtbare Schmerzen« – Es überlief ihn ein Schauder, und er schnappte nach Luft – –

»Mach Dich fertig, – schnell fertig, – wir müssen draußen sein schnell wie der Blitz« – –

Er zitterte und bebte –

»Ah, wenn die Geschichte so heftig war, so ist's wohl bald vorbei,« – versetzte in eisiger Ruhe der Korpsarzt ...

»Sag mir, Vater,« sprach er mit Nachdruck und sah ihn an, »was meinst Du, vertrügest Du es, diese Fahrt mit mir zu machen? – Ich möchte es gern, – weißt Du« –

»Ja, – ja, mein Junge.« – Der Großvater fuhr auf.

»Du nimmst meinen Pelz und meine Reisestiefel« ... Der Doktor holte sie vom Gang herein und zog sie dem Großvater an.

Er selbst warf den Militärmantel um.

Man hörte ihn draußen bei der Küchenthür laut und klar anordnen:

»Sage Terna, daß wir alle im Mondenschein mit Wingaard eine Partie hinaus nach Sollid gemacht haben. Sie soll sich nur niederlegen – wir kommen erst spät.«

»Sei so gut und führe uns,« – wendete er sich an Wingaard, ohne ihn anzusehen, während er, das Medizinkästchen in der Hand, die Treppe hinabstieg.

Wingaard setzte sich rückwärts auf den Kutschersitz, die Peitsche sauste auf das prächtige Pferd hernieder, und unter seiner fahrkundigen Hand flog der Schlitten um die Straßenecke und dann um noch eine Ecke, den Hafen entlang und über den Strand.

Masten und Raaen zeichneten sich an den treibenden Wollen wie dunkle Schatten im Mondenschein, während die schwarzen Schiffsrümpfe bald hinter ihnen verschwanden. Kleine scharfe Hiebe mit der Peitsche ließen den Schlitten nicht aus äußerster Fahrgeschwindigkeit herauskommen.

Das Leuchtfeuer in den Schären draußen tauchte auf wie ein lebendiges glühendes Auge und verschwand wieder.

Es wurde unterwegs kein Wort gewechselt. Sie bogen nach Sollid ein und fuhren durch das Hofthor in denselben Spuren, die Pferd und Schlitten schon früher hinterlassen hatten.

Als der Wagen vor der Treppe hielt, warf Wingaard die Zügel hin und folgte dem Doktor und dem Großvater ins Haus.

Es war dunkel in der Stube; eine einzelne Kerze brannte auf dem Tisch, und noch glimmten verlöschende Glutstücke im Kamin. – –

Auf dem Tierfell vor dem Sopha bemerkte man etwas unbestimmt Dunkles.

Der Großvater verfolgte den Sohn ängstlich mit den Blicken, als dieser den Leuchter ergriff und auf das Dunkle zuging: er sah zu gleicher Zeit, daß Wingaard mit dem Fuß hastig und vorsichtig etwas wegstieß, das unter den Blumentisch rollte.

Der Korpsarzt stand einen Moment vor dem Kanapee, ehe er sich niederbeugte und leuchtete –

Da lag Stefanie, den Körper krampfhaft zurückgebogen, mit kalten, starren, verzerrten Zügen, das Kleid aufgeknöpft und das schwarze Seidenkorsett mit den gelben Spitzen aufgemacht und zerzaust.

Er blieb auf den Knien liegen und schaute und starrte sie an. Es zitterte und bebte in seinem Gesicht, – – ein Ausdruck von Hohn überlief es. Die Miene wurde härter und härter und verschloß sich förmlich.

Er untersuchte kaltblütig Puls und Herzschlag und erhob sich rasch –

»Sie ist tot, – vermutlich ein Herzschlag,« – sprach er mit eisiger Ruhe.

»Einen allerletzten Dienst, Herr Wingaard,« – sagte er bestimmt und trocken. »Wollen Sie mir so schnell wie möglich ein paar Krankenwärterinnen aus der Stadt senden.

» ... Und ich denke, wir sind einig über die kleine Aenderung im Bulletin«, – fügte er formell hinzu und blickte ihm fest in die Augen, – » wir Anwesenden waren hier draußen und sie wurde plötzlich von einem Herzschlag betroffen und starb.«

Wingaard grüßte willenlos mit der gewohnten Handbewegung nach dem Haar, das in feuchtkalte schweißige Zotteln geballt auf das gelbe fahle Gesicht herabhing. Und gleich darauf hörte man Schellengeläute, das sich die Straße entlang entfernte.

Der Korpsarzt stand starr und unbeweglich, bis der letzte Laut erstorben war – –

»Es ist ein toter Gegenstand, – das, was da liegt, Vater, – ich habe nicht das Mindeste verloren«, – sagte er, als beschwöre er es vor der Leiche. – »Ein Vampyr, der durch ein Gottesurteil gefallen ist,« – klang es kalt ekstatisch. – –

»Einiges ist notwendig zu arrangieren, ehe man kommt,« sagte er dann geschäftsmäßig ... »Wir müssen Licht haben, – etwas zum Sehen.«

Während er in die Küche ging und eine Lampe holte, glitt des Großvaters Schatten über den Boden hin. Er legte eine Decke über die Leiche.

Die kleine Lampe, die der Korpsarzt angezündet hatte, stand auf dem Tisch, und der Großvater saß in Pelz und Ueberschuhen da und folgte mit den Augen stumm dem Sohn, der mit der Kerze in der Hand suchte und schaute und rings in der dunklen Stube umherforschte.

Plötzlich leuchtete es im Kamin auf. Es war ein kleiner Deckelkorb, der in der Hast hinter das Holz gerollt war und den der Doktor nun auf die Gluten geworfen hatte.

Die Reste von Delikatessen, die auf einen herabgeworfenen Teller gefallen waren, lagen auf einem Stuhl. Er las alles sorgfältig auf und schleuderte es in das Feuer, das frisch anzufachen dem Großvater endlich gelungen war, so daß die Flammen schon zu lecken und zu lodern anfingen und einen seltsamen Schein durch das Gemach verbreiteten.

Der Doktor leuchtete wieder herum und suchte, – fand ein Champagnerglas und noch ein zweites, zerbrochenes, zwischen ein paar verwelkten Pflanzen auf dem Blumentisch. Mit diesen Gläsern und einer leeren Champagnerflasche, die der Großvater aus einem tiefen Winkel hervorgeholt, begab er sich hinaus, zertrümmerte das Glaszeug und zerstreute die Stücke über den Misthaufen.

Der Großvater beobachtete Gunnar und bemerkte, wie kalt und klar und sorgfältig der Sohn jede Spur des Vorganges verwischte und vernichtete.

Er sah ihn, als er hereinkam, in der Speisekammer stehen und in den halboffenen Fliegenschrank leuchten. Es lag in diesem Moment etwas Gespanntes, Unruhiges auf seinen Zügen, und er suchte überall in der Küche.

Dann machte er mit einer sonderbaren langsamen Gründlichkeit rings in der Stube die Runde, schaute und besah jeden Gegenstand.

Er blieb stehen, als zögerte er einen Moment, sich dem Dunklen dort vor dem Sopha zu nähern.

Vorsichtig und aufmerksam führte er dann das Licht über die Bank und die Kiffen, als der Schein auf etwas Blankes zwischen den Polstern fiel. Es war ein Löffel. Hastig nahm er ihn und begann in der Ecke hinter dem Sopha herumzuleuchten. –

Plötzlich streckte er sich aus und griff nach einem Topf, der da hinunter geschoben worden war.

Es kam ein Zug um seine Lippen, – fast wie der Ansatz zu einem Hohngelächter, während er mit dem Topf in der Hand da stand und gleichsam die Umgebung überschaute ...

Bedächtig ging er dann hin und leerte den Inhalt des Topfes in kleinen Portionen auf's Feuer. Da lag und zischte und kochte es, bis die Gluten trocken waren, – und dann goß er eine neue Portion hierauf.

Als er sich vergewissert hatte, daß alles verbrannt sei, stellte er den Topf umgekehrt zwischen die Kohlen und zerbrach und zertrümmerte ihn.

Der Großvater saß und starrte, als sei ihm das Blut in einem bösen Traum gestockt; – es war ihm klar geworden, daß sein Sohn hier selbst Gericht gehalten, – die Probe gewagt, – den Tod in seiner Gattin Lieblingsnascherei gelegt hatte. –

Er fühlte, – wenn sein Haar noch weißer werden konnte, so geschah es in dieser Nacht ...

Der Doktor ging in dem halbdunklen Zimmer herum, brachte dieses und jenes in Ordnung, öffnete den Leinenschrank und nahm Sachen heraus, die man unter diesen Umständen brauchte ...

Endlich hörte man den Schlitten anfahren. –

Er empfing die Wärterinnen draußen im Gang und gab ihnen mit leiser Stimme eine kurze Erklärung des unerwarteten Ereignisses, ehe sie in die Stube traten. Die Tote sollte im Schlafzimmer auf das Bett gelegt werden, bis sie von hier in die Grabkapelle gebracht würde. Am nächsten Morgen, ganz früh, solle alles Notwendige besorgt werden ...

– Sie kannten ja den Doktor, beide, Gurine wie Ölen Nerwig, aus ihrer langjährigen Krankenpflege; – aber nie hatten sie ihn so gesehen. Er hielt sich gleichsam fern, rührte nicht an die Tote, sah nicht einmal hin, als sie sie auf das Bett getragen hatten. Er mußte vom Kummer ganz zerschmettert sein ...

– In tiefer Nacht fuhren der Großvater und der Korpsarzt durch Dunkel und weichen Schnee in dem Schlitten zurück, der die Wärterinnen gebracht hatte.

Als der Kutscher bezahlt war, und sie daheim die Treppe hinaufgingen, brach der Doktor das Schweigen.

»Ich möchte Dich bitten, Vater, stehe Deinem Sohn noch in einem bei, – unterrichte Terna und Kristine von dem Vorgefallenen, – und melde es in einem Briefe Ingwald.«


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