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VI.

Der Großvater hatte nun, wie er scherzte, eine ganze Woche als Amphibium gelebt, war teils in der Stadt gebraten worden, teils auf dem Lande erfroren, bis man nun gerade um Johanni ordentlich und ganz nach Sollid hinausgezogen war.

So kam man denn wieder ins alte Geleise; – machte wie im vorigen Jahr am Morgen seinen Spaziergang, den einen Tag die alte Allee entlang nach Ekeland und den anderen Tag hinab zur Dampfschiffsbrücke in Borge und erkundigte sich bei den Lotsen nach Fischen etc., – oder den Weg hinauf zur alten Mühle im Wald; da mit den Leuten schwatzen und den Kindern, die er vom vorigen Jahr kannte, Zuckerwerk geben. Aus dem Weg sein und immer zur rechten Zeit zum Speisen kommen ...

Etwas eng und heiß konnte es ihm allerdings in seiner kleinen Bodenkammer unter dem schrägen Dach wohl werden. Man durfte es aber mit den Bequemlichkeiten nicht so gar genau nehmen, mußte vergessen, daß man alt war, sonst fühlte man sich als Greis, ehe man sich dessen versah ...

Es erleichterte ihn, die Wahrheit zu gestehen, daß sie diesmal aus der Stadt herausgekommen waren. Diese ewigen Kaffeevisiten mit Musik, – nun kam auch das in ein anderes Geleise, – Gunnar kriegte Ruh. – –

Da schritt er wahrhaftig im Panamahut von der Brücke her und – was war das? – vier Mann hinter ihm mit dem Piano – vom Dampfschiff, Es sollte an dem ersten schönen Tage hinaufgebracht werden.

Und nun kamen sie von allen Seiten gelaufen, – Ingwald von seinem Zimmer über die Treppe herabgepoltert, Kirstine von der Hundehütte neben der Scheune her, wo sie sich ein Puppenhaus baute, Terna vom oberen Stock und Sörine mit der Köchin von der Küche durch den Gang hinaus, um das Schauspiel nicht zu versäumen, wie das Instrument im Wohnzimmer untergebracht werden würde.

Stefanie erschien in blauem Morgenkleid, noch nicht fertig mit der Toilette, nach dem Bade, das sie im Vorratshause genommen hatte.

»Lieber, – Du hast doch wohl die Ecken in der Kiste mit Filz ausgelegt!« – klang es bekümmert Gunnar entgegen, während Stefanie, mit aufgespanntem Schirm, wegen des nassen Haars ein paar Schritte weit in die Sonne ging.

Der Kistendeckel wurde in Gegenwart der zahlreichen Interessenten aufgebrochen und, eins, zwei, drei wurde das Klavier in die geräumige Balkonstube getragen, wo es einen öden Winkel sehr glücklich ausfüllte.

»Nun, Frau«, sagte der Doktor, nachdem die Leute bezahlt worden und fortgegangen waren, – »wenn ich morgen dann mit einem grandiosen Blumentisch für die andere Ecke komme, so daß die bemalte Bohlentür Deines Schlafzimmers ein Entree von Blattpflanzen und Blumen aus der Stadt bekommt, so kannst Du nicht leugnen, daß das Aussehen der Stube sich ernstlich verbessert.«

Sie stand und sah sich um: –

»Ja, ordne das, wie Du willst, Gunnar, mit all dem Grünen ... Er ist ein Meister darin, Großvater.«

»Ich will sehen, in diesen Tagen, ehe ich zu den Uebungen einrücke, alles für Dich instand zu setzen, Stefanie, so daß Du ein recht bequemes beschauliches Landleben führen kannst, Sonnenschein und Siesta,« – erklärte der Korpsarzt, während er in den Hemdsärmeln herumarbeitete. – »In der Kiste habe ich die Kissen zum Sofa, so daß es bequem werden kann wie eine Lotterbank, – mit dem Tierfell vorn. Da kannst Du denn liegen und lesen und, wenn es Dir nur beliebt. Dich ein bischen zu erheben, kannst Du mit des Großvaters langem Fernglas durch das offene Fenster über den Fjord hinschauen und all das Leben betrachten, das sich da draußen rührt.«

»Brillantes Glas, – berühmte Londoner Firma,« bedeutete der Großvater. – Man kann damit die Leute bei den Schifferhausern weit draußen auf den Schären unterscheiden und jeden Mann an Bord der Dampfer sehen, die ein- und ausfahren.

»Das kann hier draußen ganz unterhaltend sein«, – meinte Stefanie mit unerwartetem Interesse; sie drehte und zog am Glas und versuchte durchzuschauen ... »Du mußt mich lehren, es einzustellen, Großvater,« – bat sie, als Gunnar es auf seinem Platz an der Wand anbrachte und der Großvater nachsah, ob es solid auf den Haken ruhte.

»Und nachdem wir Polster auf diese weißbemalten Holzstühle bekommen haben, und Schaukelstühle und Gartenstühle, fängt es hier doch an, nach Komfort auszusehen, Fanie.«

»O ja; jedenfalls wird es viel wohnlicher als im vorigen Jahre. O, und ich bin noch nicht einmal angezogen« – rief sie. – »Sieh mich an, schau mich ordentlich an, Gunnar,« – sie sammelte mit der Hand ihr Haar im Nacken und sah ihm ins Gesicht, – »entdeckst Du nicht, daß Deine Frau Runzeln bekommt – da bei den Augen ... und ein wenig beim Mund ... Sei nun einmal Doktor und nicht allein blinder Ehemann. Hast Du ein anständiges Mittel für die Haut, das ich diesen Sommer zur Kur gebrauchen könnte, etwas anderes als dies gesegnete kalte Wasser, – irgend etwas Ordentliches? Ich bin jetzt bald vierzig Jahre alt, das mußt Du bedenken,« sie lächelte und stand und wiegte sich vor ihm.

»Und ich fünfundvierzig. Wolltest Du ebenso über all die schrecklichen Gruben in meinem Gesicht räsonnieren« –

»Ich habe wirklich nicht geglaubt, daß Dir mein Aussehen so gleichgiltig sei,« – warf sie spöttisch hin. – »Ich bin alt, meinst Du, und da ist es so alles eins!«

»Na, gerade herausgesagt,« – fiel er ein, »ziehe ich eine ehrliche klüftige Falte, wie sie das Leben nun einmal absetzt, tausendmal so einer künstlich gepflegten, matt aufgedunsenen Haut vor, – diesem weichen Sammtflaum, der an Ueberreife erinnert.«

Sie verzog die Mundwinkel:

»Man soll also ein Aushängeschild sein für all das Angenehme, was das Leben einem geboten, willst Du. – Ja, da nähme man sich gut aus, wenn das Gesicht wirklich aufrichtig sein wollte!« – fügte sie leicht ironisch hinzu.

»Standest Du nicht da auf der Treppe draußen frisch wie neu gemähtes Heu, Stefanie? – Runzeln – alt – Du! ... Ja, Coldcream und dergleichen, das weißt Du ja,« – kam darauf versöhnend, – »heißen Wasserdampf gebrauchen, mit einer Maske liegen, und so weiter – Aber ich kann Dir auch etwas Gutes mit Chinin verschreiben, das die Haut stärkt.«

»Es ist immer so eine weitläufige Geschichte, Großvater, bis man Gunnar dazu bewegt, einem einen kleinen Dienst zu leisten; – aber wenn er lang genug hat »nein« sagen können, dann« – eiferte sie, während sie im Schlafzimmer verschwand. – –

Der Großvater setzte sich mit seiner Pfeife auf den Korridor hinaus und genoß die Aussicht und plauderte mit dem Sohn, der aus und ein ging und einen Koffer mit »Diversen« auspackte, der noch ungeöffnet im Gang stand. Er wirtschaftete bei Pulten und Schubladen drinnen in der Stube herum, schaffte hie und da ein Bündel Wäsche zu Stefanie hinein, und sein Schritt knarrte auf der Treppe, wenn er etwas in sein eigenes Zimmer hinauf brachte.

»Was ist denn das?« – Der Korpsarzt zog ein schwarzes Seidenmieder aus einer mit Band umwickelten länglichen Pappschachtel, die unten lag entzwei gedrückt. Es war mit Spitzen besetzt und gelb bestickt ... »Hat man schon diese Eitelkeit des Weibes gesehen! ... Aber, aber, – wo hast Du das gekauft, Stefanie?« – Er hielt das Korsett empor und zeigte es ihr durch die Schlafzimmerthür. – »Wann hast Du es bekommen? Ich habe es nie vorher gesehen.«

»Kaufte es drinnen in Christiania, weißt Du, in demselben Geschäft wie den Frühjahrsmantel, – der gleiche Räuberpreis. Hätte ich nur die Mittel gehabt, ich würde« – –

»Und das hast Du mir nie gezeigt?«

»Du hast so wenig Sinn für dergleichen, Gunnar.«

»Hm, hm, – geschmackvoll ist es jedenfalls« ... Er gab es etwas hastig hinein und schloß die Thür. – –

Dem Großvater war, als ob sein Sohn etwas nachdenklich geworden sei, während er weiter hin und her lief und auspackte ...

... »Diese Damen, die in kostbarem Unterzeug Luxus treiben ... ja, ja,« – der Großvater kniff die Lippen zusammen »die waren just nicht die allerkorrektesten ihrer Zeit, nein« ... Gunnar schien aus der Stimmung gekommen zu sein; er hatte als praktizierender Arzt vielleicht auch in dieser Richtung seine Gedanken und Erfahrungen ...

Stefanie kam herein, mit aufgesteckten Haaren, das Mieder und etwas Weißzeug im Arm:

»So hast Du Dich doch dies einemal herabgelassen, Gunnar, bei meiner Kleidung zu verweilen,« – scherzte sie, indem sie die Sachen unterbrachte in der großen altfränkischen Kommode mit den Messingzieraten, die an der Längswand angebracht war, – »und sogar zu bewundern – Du besserst Dich in der That. – Nein, nein – hilf mir bei dieser Schublade, sie will nicht heraus« ...

Sie legte den Arm um seine Schulter, während er daran zog.

... »Und nun suchen wir Terna und Kristine und gehen hinab in den Garten. Dann mißt Du und ziehst die Linien zu den neuen Beeten, von denen Du mir gestern sprachest, mein Freund.« –

Der Großvater blieb sitzen und kaute und biß an dem Mundstück seiner Pfeife und spuckte ganze Splitter davon aus, bis er endlich mit einem Seufzer aufstand, hinter der Gangthür seinen Stock nahm und sich auf seinen Weg in den Wald begab.

Es war ein gelber, besandeter Pfad, teilweise zwischen Buschwerk und Gestrüpp und nacktem Steingrund hin, wo im Herbst wohl auch etwas wie ein Bach floß.

Der Großvater ging und ging, gequält und bedrückt von all dem zu Hause ... schritt auf Gestein und Gestein, sah nur immer vor sich nieder ...

... Es war wenig Hoffnung für den Sohn. Er wurde seinen dunklen Weg getrieben, der arme Mensch! –

Der Großvater blieb endlich stehen und sah sich um.

Wie er hierher gekommen war?

Er erinnerte sich bloß, daß er das Pförtchen an der Umzäunung hinter sich geschlossen hatte.

Es war das ein anderer Waldweg als der gewöhnliche, auf den er geraten war. Aussicht über die Hügel und Wälder bis hinab nach Rörvigen.

Rörvigen, lächelte er ...

Er war in der That müde geworden.

Er setzte sich, nachdem er sein Taschentuch auf einen kleinen Hügel neben den Pfad unter sich ausgebreitet.

So müde, – er saß und pustete ...

Da lag eine zertretene rötliche Weidenflöte auf dem Wege – es hatte sie wohl irgend ein Junge weggeworfen.

Zu spät im Frühling – jetzt – dafür ...

Er saß und betrachtete sie. Diese Flöte interessierte ihn.

Ja ja, ja ja; wir, wir waren schon draußen, wenn das Eis noch schmolz, – klopften auf die Weidenzweige mit dem Messer und zogen die Schale ab, – große prächtige Flöten ...

Schnurrig, daß man einmal im Rörvigswald drunten herumlaufen und so furchtbar eifrig dahinter her war und pfiff und tutete und modulierte – so hübsch für die eigenen Ohren, während des Eistauens dort im Fluß herumwatete und keine Angst hatte, sich die Füße zu erkälten –

Die Erinnerung zog ihn in ihre Welt, die so klar und lebendig war wie die Bilder des Stereoskops ...

Da drinnen im Wald hatten er und seine Kameraden sich getummelt und gelebt und gespielt und gestürmt. Zwischen den kleinen Scharen und dem Seegras unten in der Bucht hatte er, zwölf Jahre alt, seinen kleinen Schiffshafen, gehabt, mit einem Leuchtfeuer, das er erfunden hatte. Er sah die Brigg, die er ausgerüstet hatte, wieder bis auf die geringsten Kleinigkeiten und Einzelheiten vor sich, – wie das Deck gekittet war und das Tauwerk geteert – –

Es war so merkwürdig lächerlich ... All das, was er gespielt und sich vorgelogen und zusammengedichtet und sich eingebildet, – das hatte später sich zu Lebensinteressen und Mannesberuf entwickelt, bis auf die Opposition, die er der Marine gemacht, und seine Arbeit und seinen Streit um die Leuchtfeuer. Seine Natur war ziemlich gewaltsam gewesen, – ein unbezähmbares Drauflosgehen, – und später – hm, ja, – mehr defensiv ...

Wunderlich, wie herrlich glänzend sich damals alles in einem mußte gespiegelt haben!

Und nun waren es Terna und Ingwald und Kirstine, die sich im Walde herumtrieben und spielten und sich vordichteten und einbildeten, ganz auf dieselbe Art, und meinten, die Welt hänge voll ölglatter neuer Weidenzweige, auf denen sie blasen könnten. Terna ging und wartete auf den Prinzen, der angesegelt kommen würde ...

Und nun saß er da, als ein grauer, alter Mann und schaute zu, – schaute nur zu – – Er hatte keinen Zusammenhang mehr mit der Flöte da – –

Es tönte in ihm wie aus irgend einem alten Lied heraus:

»Eh Du des Frühlings Namen nennst,
Wie Du es einst gekonnt, ...«

– Nein, so konnte er ihn nicht mehr nennen, – nicht wie Terna oder Ingwald oder Kirstine – –

Hm ... es begann in der einen Bucht dort drüben bei der Stadt und wird wohl hier in der anderen enden, – man sollte es nicht glauben, daß zwischen den beiden der Weg so lang und mannigfaltig war.

– Ja, nun lag das Geschlecht, das damals handelte und dessen Herz damals klopfte und schmerzte, unter den Grabsteinen draußen – mit all seinen Lebensgeschichten – –

Sobald die Sonne untergeht, da ...

Er fuhr auf und schaute auf die Uhr – er mußte da gesessen und in der Waldesstille geschlummert haben ... es war gleich drei ... das Mittagessen vorüber.

Tja, tja, – man kommt unvermeidlich zu spät, muß seine schönsten Entschuldigungen vorbringen ...

Auf dem Heimweg war es Gunnars Lebenslos, das seine Gedanken in Anspruch nahm ...

Der arme Kerl, seine Weidenpfeife war zersprungen ...

– Der Großvater hatte den stillen Wunsch gehabt, zuerst auf der Küchenseite zur Köchin hineinzusehen, um in aller Ruhe und ohne Schererei und Aufruhr zu veranlassen, etwas, das als Mittagmahl gelten konnte, in der Speisekammer draußen zu erhalten.

Jedoch als er durch das Pförtchen kam, sah er sie alle draußen im Vorhof, und Terna rief: »Da ist der Großvater!« und lief auf ihn zu!

Der Doktor war damit beschäftigt, einigen Arbeitern Instruktionen zu geben, die an der alten roten Scheune und am Vorratshaus Reparaturen ausführen sollten, – an diesen Ueberresten des kleinen Bauernhofs, den Gunnar sich als Sommerwohnung erworben hatte.

Und hier riß Paul Hoeg seinen kleinen weichen Hut von dem üppigen dunklen Haar und grüßte absonderlich bescheiden. Er war mit Ingwald zugleich herausgekommen, um den Alten noch weiter auszupumpen, hatte er gesagt.

»Der Großvater muß doch erst Ruhe haben, um zu essen,« – bemerkte Frau Grunth etwas zurückweisend, da Paul sofort losgehen zu wollen schien. – »Ich denke, Du deckst ihm ein bischen hier im Lusthaus, Terna.«

»Du sollst gleich ein Glas Cognak zur Stärkung haben, Vater,« – verordnete der Korpsarzt: – »schaffe es her, Ingwald!«

»Der Großvater ist heute auf einer Kreuzfahrt gewesen,« – spaßte Ingwald, als er mit der Karaffe kam.

»Ja, bin ein paar Stunden gegangen,« – bekräftigte der Großvater, – »elender steiniger Waldweg. Nei – ein, ganz mürbe in den Knien ist man doch nicht, mein lieber Ingwald! – – Wir gehen und wir gehen, Höeg,« – er klopfte ihn auf die Schulter, – »und es kommt im Grunde so wenig drauf an, was für einen Weg wir stampfen, – viel weniger drauf an, als wir uns einbilden, glauben, mein lieber Freund ... Nüchtern betrachtet, aus dem Sand heraus und in den Sand hinein, wie der Wurm, der über die Erde kriecht ... Doch die Natur ist schlau, sehen Sie. Die weiß wohl,« sagte er, indem er ins Glas hinein sah, – »daß niemand in der Welt sich einen Lebensberuf wählen würde, wenn er ganz nüchtern bliebe und nur in die Thatsache Einsicht hätte, daß wir gar – gar nichts Wirkliches über irgend etwas wissen. Drum gießt sie das für jeden passende Quantum Lebensrausch oder Illusion in die Flasche, damit man mit vergnügter. Sinn sich auf den Weg machen kann ... Die Jugend bläst, wie Sie wissen, auf der Weidenflöte. – Aber wenn man alt wird, muß man sich immerfort hüten, jenes Fluidum zu verlieren.«

Der Großvater legte seine alte blaue Mütze ab und trocknete und kühlte die feuchte Stirn, während Terna das Holztischchen im Lusthaus deckte.

»Je länger man die »guten alten Zeiten« solch einer abseits gelegenen Stadt durchstöbert, desto mehr Wunderliches findet man, Herr Zollinspektor. So viel Schreckliches, wie hier vorgegangen ist und sich hinter den hübschen Familienschildern verkrochen hat! – dreifach tief versteckt aus Furcht vor dem Skandal. Der Mann hat sein Parapluie oder die Frau den Unterrock vorgehalten –«. –

»Ja, wenn man immer erwartet, daß etwas Arges dahinter steckt ...« wendete Frau Stefanie mit Milde ein.

– »Es war wie ein Kessel, gnädige Frau, mit fest darauf geschraubtem Deckel,« – eiferte Paul. – »Es wird z. B. eine Frau mit den höchsten bürgerlichen Ehren, mit Pomp und Leichenreden hinausgetragen. Und da hat der Mann, ein brutaler Trunkenbold und Blaubart, sie zusammen mit einer anderen Madam buchstäblich zu Tode gemartert und gequält. Sie hatte aushalten müssen um der Kinder willen ... Und nun, können Sie es glauben, Herr Zollinspektor? bin ich einem Frauenzimmer auf der Spur, – einem raffiniert intriganten Teufelsweib, – die sich ihren stillen Weg zu ihrem reichen Galan hinrodete, indem sie ihren Mann für gemütskrank erklären und auf Lebenszeit einsperren ließ.«

»Das war doch nicht in der Familie des Generalkonsul Evers?« – rief Frau Stefanie neugierig, – »ich habe etwas davon gehört. – Aber das war zum Glück ja doch in alten Zeiten,« – fügte sie mit einem kleinen Seufzer bei.

»O gewiß; – aber wir wissen ja, daß hier auch jetzt noch so manches vorgeht.«

Frau Stefanie warf ihm einen schnellen Blick zu.

»Da ist Frau Danielsen, die so munter und überall an der Spitze ist und die – Sie kennen sie ja, – ihr Mann, ehe man sich dessen versieht, wird abschneiden müssen, denn sie wartet nur auf die Gelegenheit, um sich aufzuhängen. – Und da liegt das alte Fräulein Lind seit ihrem zwanzigsten Jahr infolge von Liebeskummer im Bett. Ihre Schwester hat ihr den Schatz weggefangen.«

»Nein, daß Sie sich für solchen Klatsch und Tratsch interessieren, Höeg,« – warf Frau Stefanie hin, – »und alles glauben, was Sie so hören« –

»Hm ... es gehen so viele Dinge vor, die man niemals glauben würde, – gerade darauf hin, daß die Leute das unmöglich glauben können ... Sehen Sie, Herr Zollinspektor,« – wandte er sich an den Großvater – »in meinem Suchen nach Originalen bin ich darauf gekommen, daß es hauptsächlich die Frauen sind, unter denen man heutzutage das finden kann, was man »Figuren« nennt. Die Mannsleute sind zu verwickelt worden; aber die Frauenzimmer, die sind noch aus einem Guß. Unter zehn ist jedenfalls eine, die mit einem Bibelschwur für sich vom Wirbel bis zur Zehe einstehen kann. Sie glaubt oder sie glaubt nicht, sie ist für oder gegen, darf sich durch und durch sehen lassen. – Und ebenso existieren andere, die in ihrer Art auch ganz sind, – fülle Teufel ohne Rücksicht, die kein Mittel verschmähen, um ihr Ziel zu erreichen, Ehre, Gewissen oder solche Kleinigkeiten, – giebt's nicht für sie! – Da existiert doch wenigstens noch das, was man schwarz und weiß nennt.«

»Sie entfalten ja förmlich Welterfahrung, Herr Höeg,« – kam es spitzig und mit einem kleinen Gähnen, während Frau Stefanie aufstand und das Lusthaus verließ.

»Du kannst Dir die wunderlichsten Dinge ausdenken, Paul; aber Verständnis für wirkliche Menschen hast Du nicht,« – sagte Terna.

»Und wie gut ich mich an Deine Figur erinnere, Terna,« – neckte er. – »So« ... er zeichnete mit dem Stock ein paar Striche in den Sand – »in kurzen Röcken mit zwei Puppenbeinen und die langen Arme wie die langen Zöpfe auf dem Rücken. Du standest so treuherzig da und schautest zu, wie ich Zinkweiß und Fett rührte und Euch kleinen Mädchen einredete, das sei eine Pomade, um lockiges Haar zu kriegen, wenn Ihr es nur damit tüchtig einschmieren wolltet. Und da ging jedes nach Hause und schmierte ein,« – plauderte er vergnügt.

»Ja; jetzt ist es aber schon lange her, seit ich ein Wort von dem glaubte, was Du sprachst, Paul!« – lautete Ternas Antwort. – »Doch möchtest Du nicht lieber die Zeit ausnutzen, um dem Großvater einige von diesen Deinen Fragen vorzulegen?« – fuhr sie fort, während sie den Tisch abräumte, um hinauszutragen.

»Nein, geh doch nicht, geh doch nicht« ... rief er.

»Ich muß Dir das Gartenthor öffnen, – bei all dem, was Du mit Dir schleppst,« – und er schoß ihr nach.

»Auf dem Land helfen alle zusammen,« – behauptete er und nahm ihr ein paar Teller weg. –

»Muß hier Wasser zum Abwaschen geholt werden?« fragte er mit eifriger Dienstfertigkeit in der Küche.

»O nein, danke! – Du darfst doch nicht den Großvater und all Deine Fragen versäumen, wenn bis zur Abfahrt des Dampfschiffs noch etwas dabei herauskommen soll!«

Er sah zur Thür hinaus und schien alles eher denn einverstanden. –

»Meinertreu, man kann was Besseres thun, wenn man auf dem Lande ist ... Könnte man Deinen Großvater nicht für einen gemeinsamen Spaziergang zur Aussicht hin bekommen? ...


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