Heinrich Lhotzky
Das Buch der Ehe
Heinrich Lhotzky

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Silber, Gold, Diamanten.

Die Ehe ist das schwerste Stück im Leben, aber auch das köstlichste. Es ist doch nichts zu vergleichen mit dem unbeschreiblichen Bewußtsein: wir zwei haben miteinander ausgehalten, Glück und Unglück, Freude und Leid redlich geteilt und haben auch unsere Fehler, eine schwere Last, einer vom andern getragen. Dadurch wird eine gegenseitige Sicherheit geschaffen, die wirklich den Abendfrieden des Lebens einleitet.

Es ist schon im gewöhnlichen Leben so, daß gemeinsam ertragene Leiden den festesten Kitt zwischen Menschen bilden. Jede Ehe ist eine schwere Last. Hat man sie aber ein Vierteljahrhundert gemeinsam getragen, so ist sie unentbehrlich, und das Schwere verklärt sich in goldenen Abendfrieden.

Der Anfang der Ehe geht durch Leidenschaft und Kampf, aber immer mehr klärt sich das Trübe, und die Liebe tritt immer klarer heraus.

Man hat recht getan, die Feier des halben Jahrhunderts die goldene Hochzeit zu nennen. Sie vergoldet das Leben mit dem ewigen Glanz der echten Liebe.

Das ist ungemein tröstlich, nicht nur für die Ehe, für den Menschen überhaupt. Der Mensch ist ein Wesen voller Schlacken, aber der Schmelzofen des heißen Lebens glüht Edelmetalle heraus in unvergänglicher Reinheit.

Es soll ja niemand glauben, der Mensch sei weiter nichts als ein armer, verlorener und verdammter Sünder. Wäre er nicht von Anfang an eine göttliche Majestät, es gäbe keine silbernen, goldenen und diamantenen Hochzeiten mit ihrer unvergänglichen Herrlichkeit gemeinsam getragener Lasten.

Wüßten junge Leute nur ein wenig von diesem Überreichtum hervorquellenden Glücks, sie würden sich vor Ehescheidungen hüten und die Zähne zusammenbeißen, und sich die Hände reichen, und sich ohne Altar und Standesamt nach jeder schweren Krise immer wieder geloben: wir halten zusammen aus. Das ist nämlich ein Naturgesetz: die Kraft wird immer größer und das Leid immer kleiner, wenn zwei miteinander dagegen anstehen.

Im Leben vergeht vieles: Jugend, Leibesstärke, Schönheit und Freundschaft. Aber alles das, was man hergeben muß, wird reichlich ersetzt durch den Reichtum einer durchgehaltenen Ehe.

Wer gar die Gnade erlebt, die goldene Hochzeit feiern zu dürfen, für den ist jeder weitere Tag ein Geschenk des Friedens und der Freude. Wenn dann der Tod abbricht, ist er so, wie er sein soll und auch will, der freundliche Übergang in noch höhere Verklärung.

Es gibt auf diesem Planeten Werte, die alle metallischen weit überbieten durch den Überreichtum, der im Grunde das wahre Eigentum des Menschen ist. Eine lange Ehe ist ein hervorragender Erweis dieser Herrlichkeit. Sie hängt nicht an Stand und Bildung. Armut oder Reichtum macht keinen Unterschied. Sie ist unabhängig von jeder Religion, und ihre Herrlichkeit steht jenseits von Gut und Böse.

Es kann auch nicht anders sein. Der Zustand des Menschen wie die Natur, wie Gott ihn will, muß vom Glanz der Wahrheit und Herrlichkeit überleuchtet sein. Mag sein, daß das Leid die Erscheinung ist, der Untergrund ist Herrlichkeit. Jede Ehe geht durch viel Leid hindurch. Im Maße, als sie es tut, gewinnt sie Spuren der Herrlichkeit. Könnten wir noch weiter das Dasein des Menschen überblicken, wer weiß, was für leuchtende Höhen unserem staunenden Auge sich offenbarten, Berge, von denen uns Hilfe kommt.

Wollte man die Eheleute an ihren Ehrentagen loben, so würden viele verwundert fragen: weshalb rühmt ihr uns eigentlich so? Wir folgten nur dem, was für uns das Liebste war. Arbeit und Mühe war's nur wenig. Es war eine Last, aber eine solche, die stets leichter wurde.

Eine lange Ehe offenbart die Wahrheit des Menschen. Sie ist eine Kette von Verzeihen. Und das Verzeihen ist gar nicht schwer. Die Mangelhaftigkeit des Menschen, wie er ist, ist gar keine Ursache, ihn nicht zu lieben, im Gegenteil, sie ist der stete Anlaß, ihn um so inniger zu pflegen und lieb zu behalten.

Das ist auch eine Herrlichkeit der langen Ehe, daß in ihr immer mehr die Sinnlichkeit untergeht und das Geisteswesen hervordrängt. Die Ehen werden verklärt und in ihnen die Menschen. Nicht weil das Sinnliche unterdrückt wurde. Das soll es gar nicht, denn es ist auch heilig. Aber es wurde überwachsen von noch höheren Werten.

Offenbar ist's dem Menschen im allgemeinen gut, wenn er alle Stufen des sinnlichen Seins durchläuft. Das ganze jetzige Leben ist eine Kette von Ereignissen, die eingebettet sind in sinnliche Zustände. Aber der Mensch hat die Aufgabe, nirgends hängen zu bleiben und hindurch zu schreiten zu unendlicher Klarheit. Lange Ehen tragen etwas von diesem Glanz der Verklärung. Das ist ihre eigentliche Schönheit. Jede Ehe ist grundanders, als die Verlobten sich vorstellen. Wo sie Herrlichkeit vermuteten, da bleibt sie aus, und wo ihr Glanz zu erbleichen schien, da stellt er sich ein. Schöner als jemand ihn erwarten konnte. Wer das Leben nach seinen Anschauungen modeln will, den wird es zerscheitern, wer aber seine Gedanken nach seinem Erleben umformen kann, den wird es erhöhen.

Ein Märchenland ist die Erde und die Menschenwelt. Immer das Unerwartete wird Ereignis. Wer nicht mit dem Märchensinn ausziehen kann, der verliert die Wirklichkeit. Der Sinn für die Wirklichkeit ist der Sinn für das Unerwartete.

Darum werden so viele vor der Zeit zerdrückt. Das Leben soll so sein, wie sie denken. Das Grundandere konnten sie nicht ertragen und streckten ihre Waffen vor der rauhen Wirklichkeit. Man sagt, Krankheiten zerstörten die Ehen. Das ist geradeso, wie die Bauern sagen, viele Menschen sterben an der Wassersucht. Die Wassersucht ist die letzte Folge vieler Störungen im Körper. So ist die Krankheit vielfach die Wirkung innerer Unbeweglichkeit.

Es war eine Frau, die starb buchstäblich an Eifersucht. Da sagte eine andere, die das sah: Und ich werde leben bleiben aus Eifersucht.

Die Lebensdauer wird in der Regel nicht nach irgendwelchen himmlischen Büchern bestimmt, sondern in den meisten Fällen auf der Erde entschieden. Menschen, die eine lange Ehe durchzuhalten vermögen, haben mehr Lebenswerte geschaffen als viele ahnen. Darum umgibt sie mit Recht der Glanz von Silber, Gold und Diamanten. Aber Silber, Gold und Diamanten sind nur die vergänglichen Sinnbilder, deren Wirklichkeit oft genug fehlt, und wenn sie da ist, vergänglich ist. Dieser Glanz ist unvergänglich.

Es ist von vornherein klar, daß zu Silber, Gold und Diamanten nur solche gelangen können, die die beiden Grundfragen der Ehe richtig gestellt hatten, gleichviel ob sie's bewußt oder unbewußt taten. Die andern werden's schwerlich so hoch hinauf bringen, denn die Ehe bedarf fester Grundpfeiler, wenn sie halten soll.

*

Das Allerschönste ist natürlich, wenn erwachsene Kinder das Silberpaar schmücken dürfen. Nicht allen ist's vergönnt, nicht allen ist's erfreulich. Besser ist's schon, du hast's gar nicht als unerfreulich.

Waren die Kinder im ersten Vierteljahrhundert die Hauptarbeit des Lebens, der die größte Sorge galt, so werden sie in der Regel später die Hauptfreude. Wer sich vorher immer um sie gemüht, dabei aber stets auf sie als Eigentum verzichtet hat, der wird sie dann in der Regel gewinnen, je freier er sie ins Leben gehen ließ. Wer sie zu ketten suchte, wird sie in der Regel verlieren, am sichersten, wenn die Alten auf Reichtum hocken, den sie geizig den Kindern vorenthalten.

Es ist ganz gewiß schwer, von Kindern abhängig zu werden. Niemand sollte sich freiwillig in diese Abhängigkeit begeben. Aber noch viel schwerer ist's, wenn man Kinder so stellt, daß sie auf das Ableben der Eltern als auf eine Erlösung warten müssen. Wer das fertig bekommt, dem helfen auch Silber, Gold und Diamanten nicht viel. Dann ist's ungleich besser, keine Kinder zu haben, die eine Silberhochzeit ausrichten.

Die Kinder der Silberpaare sind in der Regel selbst Eltern oder werden's, je mehr es der goldenen Hochzeit zugeht. Dann lernen sie erst den Elternwert richtig einschätzen.

Alte Eltern sind eine Macht um werdende Familien, die unschätzbar ist, deren Verlust schier unerträglich scheint. Das Alter macht milde, zur selbständigen Kindererziehung immer untauglicher. Aber dem zweiten Geschlecht die Strenge des ersten ein wenig mildern zu helfen, sind alte Eltern unschätzbar. Kinder bedürfen Strenge und Milde zugleich. Die Alten sollten sich ja nicht in die Erziehung der Enkel einmischen, sollen womöglich gar nicht im Hause mitleben. Aber wenn sie der erreichbare Zufluchtsort sind, an dem Enkel sich ausweinen und wieder sich selbst finden können, sind sie unersetzlich.

Und merkwürdig: es ist ein eigenes Naturspiel, daß die Enkel getreuer das Bild der Vorfahren wiedergeben als die Kinder. Jedes zweite Geschlecht kommt erst zur rechten Würdigung der Vorfahren. So ist's in den Familien, so in der Menschheit.

Die Kinder gehen andere Wege, denn sie sind der Fortschritt der Menschen. Die Enkel mildern den jähen Fortschritt, indem sie sich der Weisheit der Alten anschließen und Altes und Neues verbinden lernen.

Wer Kindeskinder sehen darf, ist gesegnet. Es wenden sich die Herzen der Väter zu den Kindern und der Kinder zu den Vätern.

So ist's echt menschlich.

Folglich ist's ein Kennzeichen des Reiches Gottes.

*

Mit einem Wunsche soll das Büchlein von der Ehe schließen: Möchten viele seiner Leser Silber, Gold und Diamanten in ihrer Ehe erleben. Das ist das Glück des Lebens und der Ehe. Aber die Welt kennt kein Glück, wenn es nicht hart erarbeitet ist. Ehe ist eine schwere Arbeit, vielleicht die schwerste. Darum ist sie so köstlich.


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