Fanny Lewald
Diogena
Fanny Lewald

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Als es dunkel ward, hörte ich plötzlich einen leisen Ton, als ob ein scheues Reh durch die Zweige schlüpfe. Der Führer gab ein Zeichen durch eigentümliches Pfeifen, ein ähnlicher Laut antwortete ihm, und wie aus der Erde hervorgezaubert, stand die Gestalt eines Kriegers vom Delawarenstamme vor uns.

Ich hob die brennende Laterne in die Höhe und nahm mein Lorgnon, das ich natürlich nicht zurückgelassen hatte, um ihn zu beobachten. Es war eine Gestalt wie ein jugendlicher Antinous aus rotem Granit. Schwarze ruhige Augensterne tauchten aus der weißen Iris mit mirakulöser Intensität hervor, die Nüstern seiner Nase hoben sich aristokratisch stolz, wie bei einem jungen Schlachtrosse; ich sah, ich hatte keinen gemeinen Krieger, ich hatte einen Häuptling vor mir. Da er fühlen mochte, daß ihm von uns keine Gefahr drohe, hielt er sich ruhig und erwartete die Anrede unsers Führers.

»Warum ist Cœur de Lion nicht bei seinem Volke im Wigwam, sondern einsam streifend zu dieser Stunde?« fragte der Führer.

»Weil die Blaßgesichter ihm den Frieden an seinem Feuer genommen haben, weil ihre Habsucht ihm das Land seiner Väter mißgönnt.«

»Aber das Kriegsbeil ist begraben«, sagte der Führer.

»Die Blaßgesichter wissen, wo es liegt, und können es ausgraben zu jeder Stunde. Was wollen der Jäger und die weiße Squaw in dem Schatten dieser Wälder?«

»Sie wollen wandern durch das Land der Delawaren hinab zu den großen Seen, und haben die Kleidung der roten Leute angelegt, zu zeigen, daß sie in friedlicher Absicht kommen.«

Cœur de Lion sah uns prüfend an, die Waffen des Fürsten schienen ihm Zweifel zu erregen; da legte ich mich in das Mittel und sagte delawarisch: »Ist Cœur de Lion kein Sohn seines Volkes, daß er einem müden Weibe das Blätterlager und das Feuer seines Herdes versagt, wenn sie ihn darum bittet?«

»Komm!« rief er, »und folge mir! Du hast die Haut der Blaßgesichter, aber deine Zunge redet unsere Sprache, und deine Augen sind flammend und nächtlich dunkel, wie die großen Sterne am Himmel der Nacht. Laß die Männer zurück, und du sollst mit mir gehen zu dem Wigwam unseres Volkes in das Zelt unserer Weiber.«

Der Fürst hatte ein zauderndes Bedenken, ich war ohne alle Apprehension. Mit voller Zuversicht sagte ich Cœur de Lion, er möge vorgehen und ich wolle ihm folgen. Dieses Vertrauen schien ihn stolz zu machen. Er stieß jenes eigentümliche »Hugh« aus, mit welchem die Indianer alle ihre Emotionen bezeichnen, und ging vor mir dem tiefen Walde zu. Aber kaum waren wir einige Schritte gegangen, als mir glücklicherweise einfiel, daß mein sale volatile und meine Nagelbürste in dem portativen Necessaire des Fürsten geblieben waren. Ich drehte also um, es mir zu holen, und schritt dann mit meinem Begleiter ruhig und anfangs schweigend vorwärts.

Es waren mysteriöse Sensationen, welche durch meinen Geist wogten. Tiefe Nacht und tiefe Stille lagerten sich über die Erde, nicht einmal unsere Fußtritte waren hörbar auf dem weichen Moose. Durch dichtes Gesträuch führte mich Cœur de Lion mit einer Sicherheit, als ob wir im Bois de Bologne spazierten. Vorsichtig bog er jeden Zweig zurück, der mich hindern konnte, und blickte mich an, als wolle er sehen, ob ich nichts entbehre. Ich hatte im Cooper gelesen, daß die Indianer die Schweigsamkeit auf Märschen estimieren, und richtete danach mein ganzes Maintien mit jener vornehmen Entschlossenheit ein, die eigentlich ein angeborenes Zeichen der Aristokratie ist. Dies imponierte dem jungen Häuptlingssohne, denn daß er dies wirklich war, hatte der Führer uns mitgeteilt.

Wir waren wohl schon anderthalb Stunden gegangen, mich fing zu dursten an und ich verzehrte heimlich etwas chocolat praliné, als der Delaware sich umwendete. »Die Füße der weißen Frau sind klein, und der Weg ist lang«, sagte er, »wird ihre Kraft reichen, sie bis zum Wigwam zu bringen?«

»Wenn der Häuptling die Straße sieht in der Dunkelheit der Nacht, daß er die weiße Frau nicht irre führt, so soll ihre Kraft die Squaws seines Volkes beschämen.«

»Der Delaware kennt seine Straße, und die Augen der weißen Frau können sie ihm leuchten, denn sie sind hell!« entgegnete er.

Mein Herz klopfte in vorahnender Freude. Oh! Dies war eine Erhörung meines heißen Gebetes. Gleich in dem ersten Wilden, dem wir begegneten, sandte er mir den Ersehnten entgegen. Die Zeichen konnten nicht trügen. Warum war es ein Fürst seines Volkes, der an jenem Abende die Wacht in den Wäldern hielt, wenn ihn nicht ein günstiges Geschick in meinen Weg schicken wollte! Ja, nur die ungebrochene Kraft des Männerherzens konnte die Blüte der Liebe erzeugen, die ich suchte. Wohl war ich Friedrichs erste Liebe gewesen, wohl hatte er mir die frische Glut seines Herzens geweiht, aber nur sein Herz war mein. Sein Geist gehörte nicht mir allein, es lebte noch etwas in ihm außer mir, er hatte Erinnerungen, Intensionen, Pläne, die nicht mit mir zusammenhängen. Das war ein Malheur. Dieses Delawaren Seele war rein, ein leeres Blatt, ein großer Tempel, auf dessen Altar nur die Gottheit fehlte – er war es wert, in seiner frischen Naturwüchsigkeit, das Bild Diogenens allein in sich aufzunehmen.

In tiefer Mitternacht langten wir vor dem Wigwam an. Einzelne Feuer brannten umher, die Wölfe fernzuhalten. Das rote Licht der Flamme beleuchtete magisch die dunkeln, grünen Baumhallen, die Zelte sahen wie davon vergoldet aus. Ein leiser Anruf der Wachen, und wir schritten in das Lager ein.

Cœur de Lion führte mich an eines der größern Zelte, hob das Bärenfell empor, das davor herunterhing, und hieß mich eintreten. Er schritt mit einer brennenden Kienfackel neben mir und schickte die anwesenden Weiber und Kinder hinaus. »Hier ist die weiße Frau sicher wie in dem Hause ihres Vaters«, sagte er, steckte die Fackel zwischen das Laubgeflecht der Innenwand und wollte sich entfernen.

Dies war gegen meine Erwartung. Ich gestand ihm, daß ich lange keine Speise erhalten hätte und daß ich deren bedürfte. Er ging hinaus und kehrte bald mit einem gerösteten Rehrücken, einem Kruge Wasser und einer Flasche Arrak zurück.

In dem Hintergrunde der Höhle befand sich ein duftiges Lager von frischem Sassafras, auf dem ich mich niederließ. Draußen um das Zelt hatten sich indes eine Menge neugieriger Männer und Weiber versammelt, die nur durch die Autorität des Cœur de Lion von dem Eintreten zurückgehalten wurden.

Ich nötigte den jungen Häuptling, sich neben mich niederzusetzen und dies frugalste aller Soupers mit mir zu teilen. Er tat es, und ich versuchte ihm geistig näher zu treten, während wir aßen.

»Warum kehrt keine der Frauen zurück, die weiße Frau zu begrüßen unter dem Wigwam ihres Häuptlings?« fragte ich.

»Cœur de Lion hat keine Frau, und auch die Frauen seines Vaters sind tot. Seine Mutter ist heimgegangen in die Wohnungen des großen Geistes, und die andere ist getötet worden, weil sie ungehorsam war den Befehlen ihres Mannes.«

»Und der junge Häuptling hat keine Totenklage für sie? Er hat keine Liebe für sie?«

»Was ist das, Liebe?« fragte er, während er mit mirakulöser Gourmandiese die Knochen des Rehes benagte.

Diese Frage elektrisierte mich. Sie war das Stichwort, das Zentrum aus Halms »Sohn der Wildnis«, und mit Parthenia antwortete ich sogleich:

»Zwei Seelen und ein Gedanke,
zwei Herzen und ein Schlag!«

Ich hatte von dem Herzensinstinkt des Häuptlings erwartet, daß er nun wie der Tektosage Ingomar weiter mit Fragen über dies interessante Sujet in mich dringen werde, aber so war es nicht. Ach! Das Leben bleibt überall hinter unsern gerechtesten Prätensionen zurück. Der junge Wilde sah mich ganz bewildert an, schlang ein horribles Stück des Rehes hinunter und trank die Hälfte des Arraks dazu.

Aber ich wollte mich nicht decouragieren lassen, obgleich diese Ferocität des Jünglings mir so degoutant erschien, daß ich zu meinem sale volatile meine Zuflucht nehmen mußte; galt es doch die Entwickelung einer primitiven, nobeln Natur zu unserer beider höchstem Glück.

»Hat Cœur de Lion nie daran gedacht, ein Weib zu suchen, die ihm sein Haupthaar flechte und seinen Kopf ruhen lasse auf ihren Knien, wenn er heimkehrt, beladen mit der Beute der Jagd und dem Wampum, geziert mit den Skalpen seiner besiegten Feinde?«

»Es ist noch nicht Gras gewachsen auf dem Grabe seines Vaters«, antwortete er, »aber ehe es hoch genug ist, die Sohle seines Mokassin zu bedecken, wird Cœur de Lion sich Weiber gefunden haben; denn der Weiber sind viele, und der Häuptling besitzt Felle und Reichtum genug, sich die schönsten zu kaufen.«

»Und wenn aus den Wolken hernieder, aus den Wohnungen des großen Geistes ein Weib herniederstiege in den Wigwam des Häuptlings, ihm gesandt vom großen Geiste, eine schöne weiße Frau, um in freier Liebe, ohne Kaufpreis sein eigen zu sein, was würde der junge Häuptling ihr bieten?«

Mein Herz zitterte vor seiner Entscheidung, diese Antwort mußte mir ausdrücken, auf welcher Stufe geistigen Developpements er stände. Er sah mich an mit einem Ausdruck gänzlicher Bewilderung, er hatte mich gar nicht verstanden. Oh, in solchen Positionen hat die Zivilisation doch ihr Gutes. Es ist so süß, verstanden zu werden. Meinem jungen bewilderten Wilden mußte ich es deutlicher machen.

»Cœur de Lion«, sagte ich, »ein umbarmherziger Häuptling, dem mich mein Vater verkaufte, hat mich verjagt aus seinem Wigwam, und mein Volk hat mich verstoßen.«

»Ein Weib, das ihr Herr verjagt, verdient nicht mehr zu leben bei ihrem Volke, dein Volk hat recht getan«, entgegnete Cœur de Lion.

»Aber die weiße Frau irrt heimatlos durch die Wälder und sucht ein neues Leinwandhaus und einen neuen Herrn. Will Cœur de Lion sie behalten und sie seine Magd sein lassen an seinem Feuer?«

Der Häuptling fuhr auf von dem Lager, eine plötzliche Glut loderte in ihm empor. »Die weiße Frau gefällt dem Auge des Häuptlings, sie soll bei ihm bleiben«, sagte er. »Sie soll sein Wasser schöpfen, sein Kornfeld hacken und sein Wildbret kochen, sie soll ihn pflegen, wenn er von seinen Kämpfen heimkehrt, sie soll sein Weib werden und seine Kinder tragen auf ihrem Rücken, und er wird schlafen in ihren Armen.«

Cœur de Lion schwieg, und ich wartete doch auf die Fortsetzung seiner Rede, auf die Aufzählung der Kompensationen, die er mir dafür zudenke, aber er war zu Ende, wie es schien. So mußte ich mich entschließen zu sprechen.

»Und was wird Cœur de Lion der weißen Frau dafür gewähren, wenn sie sein Wasser schöpft, sein Kornfeld hackt und sein Wildbret kocht?« fragte ich.

»Sie soll sich wärmen an seinem Feuer, sie soll sich sättigen von den Überbleibseln seines Mahles, und sie soll sein Weib sein.«

»Und wird er sie lieben, wie er den großen Geist liebt, wird er sie ehren und anbeten wie ihn?«

»Der Delaware ehrt den großen Geist, denn der große Geist ist furchtbar und kann ihn strafen und ihn vernichten; aber der Delaware ehrt nicht ein Weib, denn es ist ein schwaches Weib, und er verachtet die Schwäche.«

»Und wird der Delaware kein Weib kaufen, wenn die weiße Frau sein Eigentum wird?«

»Die weiße Frau ist schön und gefällt dem jungen Häuptling«, antwortete er, »aber es sind schon viele Lenze und viele Winter über ihrem gelben Haupthaare hingezogen. Er wird sie behalten, solange ihr Haar gelb ist und sie seinem Auge gefällt, und wenn ihr Haar grau wird, will er sie nicht töten, sondern sie leben lassen und jüngere Frauen kaufen.«

Mir schauderte vor dieser unbezwingbaren Rohheit. Oh, wo blieben meine Hoffnungen! Was fand ich in dieser horriblen Realität von den Idealen Coopers? Wo fand ich die Perfektibilität des jungen Tektonenhäuptlings? Ich begriff die geschmacklose Unwahrheit jenes Gedichtes, ich fluchte ihr, denn sie hatte zu meiner Exkursion beigetragen. Ich verzweifelte daran, diesen Barbaren in so viel Monaten zu zivilisieren, als Parthenia Sekunden gebraucht hatte. Ich sollte Waffen und Kinder tragen, Sklavin sein! Und der Tektosage trug für Parthenia ein Körbchen Erdbeeren und zerbrach seine Waffen, ihr ein Feuer daraus zu machen!


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