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I.

Hermann Falk kam aus einem Vortrag in der Philologischen Gesellschaft. Bei einer Ausgrabung in Pompeji hatte man wieder eine Leiche gefunden. Sie lag auf der Schwelle eines Hauses, und nachdem man einen Abguß genommen hatte, indem man Gips in die Vertiefung schüttete, die die Leiche in dem Schlamm und der Asche hervorgebracht hatte, sah man, daß es die Leiche eines Mannes war, der im Augenblicke des Todes einen Stab oder etwas Ähnliches an sich gepreßt hatte.

Der Fund war in den großen, ausländischen Zeitschriften diskutiert, verschiedene Meinungen darüber, was der Stab bedeuten solle, waren entstanden. In dem Vortrag, den Falk gehört hatte, war die Ansicht geäußert, daß es eine Bücherrolle sei.

Diese Anschauung beschäftigte Falk lebhaft, als er durch die alten Straßen ging, die von dem Vereinslokal der Philologischen Gesellschaft in den modernen Teil der Stadt führten. Dieser Mann, der im Todesaugenblick eine Bücherrolle an sich preßte, setzte seine Phantasie in Bewegung. War es ein Dichter? Ein Gelehrter? Oder war es nur ein wahnsinniger, todesbanger Mensch, der in unsinniger Verwirrung das erste beste ergriffen hatte, damit zur Tür hinausgestürzt – und dann gleich auf der Schwelle zusammengebrochen war?

Dann gingen die Jahrhunderte ihren Gang über die Leiche des schweigsamen Mannes, bis man sie endlich fand und sie zum Reden zu bringen versuchte. Falk hörte sooft Leute sagen, was sie an Pompeji interessiere, »sei der Einblick in das Leben des Altertums, den die Stadt gibt«. Er kannte auch die hervorragenden wissenschaftlichen Werke darüber, hatte Nissens Studien verfolgt und Bossier auf seinen archäologischen »Promenaden« begleitet. Aber trotzdem war Pompeji für Falk nicht das Bild des Lebens, sondern das des Todes.

Er stellte sich die Stadt immer im Todesaugenblick vor. Pompeji war für ihn das Entsetzen, der Aufschrei, das Schweigen. Er sah sie vor sich, diese Menschen, die mit verzerrten Gesichtern und zerrissenen Kleidungsstücken von dannen stürzten. Sie traten einander nieder, faßten einander, schrien, kämpften, um hinauszugelangen. Und hinter ihnen allen der Tod, frohlockend, grinsend, triumphierend. Er wußte, daß sie alle ihrem Untergang entgegeneilten, wohin sie sich auch wendeten. Er umschlang alles mit seinem glühenden Atem, stürzte in die Häuser, riß den Becher aus bei Hand des Dürstenden, die Spindel aus der der Sklavin, die Tafel aus der des Schreibenden, der Tod stürzte die Altäre um, zertrümmerte die Bildsäulen und legte seine Hand auf die Menschen, drückte sie in verzerrte Stellungen nieder, um sie als Siegesmonumente aufzubewahren – der Tod als Bildhauer.

Woran hatten diese Menschen gedacht, als sie dort lagen und wußten, daß sie sterben mußten? Hatten sie einen oder tausend Gedanken? Hatte der sterbende Mann, der das Buch an sich preßte, an das gedacht, was er soeben gelesen hatte? Oder wollte er diese geschriebenen Worte verbergen, sie gleichsam vor der Zerstörung schirmend, indem er seinen Körper zwischen sie und den Tod warf? Was hatte das alles genützt? – Die Worte waren längst verwischt. Vielleicht enthielten sie seine besten Gedanken und hatten gerade jetzt seinen Namen in die Welt hinaustragen sollen. Nun war er vergessen, ein namenloser Abguß, der in einem Museum ausgestellt wurde. Und die Welt beschäftigte sich mit Werken, die weit geringer sind als die seinen.

Falk sah sich um in den dunklen, trübseligen Gassen, durch die er ging. Hier saßen sie, die fleißigen jungen Leute und suchten das Altertum aus den übriggebliebenen Resten wieder aufzubauen. Kleine Lampen leuchteten schwach hinter den zusammengezogenen Gardinen. Aus einem der Kollegien Freiwohnungen für unbemittelte Studenten. sah er ein kleines Männchen mit einer Pfeife im Munde, einem Schlafrock, der um seine Glieder schlenkerte, und ein Paar ausgetretenen Morgenschuhen an den Füßen über die Straße in eine Fettwarenhandlung schleichen, um mit ein paar geräucherten Heringen in Zeitungspapier zurückzukehren.

Ärmlich und trübselig überall. Wie unrecht war es doch, daß die Männer, die diese Wohnungen für Studenten testamentierten, Häuser gewählt hatten, die in dunklen, häßlichen Straßen zusammengeklemmt lagen, häßliche Häuser in häßlichen Straßen, graue und trübselige Häuser mit kleinen Zellen, in die die Jugend des Landes eingesperrt werden sollte.

Und hier in diesen Zellen sollte das Altertum neues Leben gewinnen! Es mußte ja alles zu Vokabeln werden, statt zu Schönheit. Ja, zu Schönheit, Schönheit, Schönheit, die der ganzen, von Nützlichkeitsbestrebungen und Geldnot zu Boden gedrückten Menschheit den Lebenswert des Schönen zeigen sollte.

Dunkel und trübselig in den stillen Gassen. Weshalb war hier niemand, der lachte oder sang oder spielte? Dies gelehrte Viertel war ja wie ein Grab, wo der Staub fiel und fiel wie ein Aschenregen, der zum zweitenmal das Leben des Altertums begrub.

Falk mußte an sich selber denken. Jetzt hatten sie ihn dort in der Versammlung wieder einmal gefragt, ob er an einem Buche arbeite. Und er hatte abermals »nein« antworten müssen. Er las nur, las und notierte, machte Entwürfe, schmiedete Pläne. Notizen, Entwürfe und Pläne füllten seine Schubfächer, aber die große Arbeit, die ward nie in Angriff genommen.

Im Grunde lag er ja begraben wie alle die anderen.

Aber sein Grab war schöner als das aller der anderen.

Weiß und vornehm lag das Haus seiner Familie einige Stunden Weges von der Stadt entfernt. Der Park mit großen Alleen und Kastanien und alten, vielästigen Obstbäumen streckte sich bis an den Sund hinab, und hinter dem Hause lagen Felder und Wälder.

Drinnen im Hause waren die hohen, großen Stuben mit alten Möbeln und Gemälden angefüllt. Und da war die große Diele mit den kühlen, getünchten Wänden und der roten Ziegelsteinpflasterung, und an der anderen Seite der Diele lag die Bibliothek, der Schatz – das Grab.

Es war ein mächtiger Saal mit gewölbter Decke. Große, kleinscheibige Fenster lagen nach dem Park hinaus, mitten in dem Raum, wo die weißen und schwarzen Marmorfliesen mit einem dicken Teppich bedeckt waren, stand ein großer Arbeitstisch. Und rings umher, an den Wänden und von den Wänden vorragend, waren weißlackierte Regale mit der Literatur aller Herren Länder angebracht. So hatte die Bibliothek seit mehreren Generationen dagestanden, immer vermehrt, nie aber umgeräumt. Kein Handwerker hatte an der alten Rokokodecke gerührt, die im Laufe der Zeit einige Risse bekommen hatte, und niemand hatte die weißen Regale nachgesehen, in deren mürbes Holz die Würmer ihre Gänge und Höhlen gruben. Es geschah hin und wieder einmal, daß ein Stück Gips herunterfiel und auf den harten Fliesen des Fußbodens zerbröckelte, oder daß eines der Borde unter der Last der Bücher zusammenbrach. Falk ließ es geschehen, ordnete nur ein wenig zwischen den Büchern, ließ aber keine Reparatur vornehmen. Die Bibliothek hielt seine Zeit wohl aus, und nach seiner Zeit kam ja das Déluge und ein neuer Besitzer, der nicht zur Familie gehörte. Der konnte ja das Ganze niederreißen, wenn er Lust dazu hatte, für ihn war es nichts weiter als ein alter Saal mit vielen Büchern.

Ursprünglich war das Haus ein Jagdschloß gewesen, erbaut, um jagdmüde Gäste aufzunehmen und zu bewirten. Der Bibliotheksaal war damals Speisesaal gewesen, oben von der Decke herab hatten die Posaunenengel ihre Fanfaren über Herren und Damen und Lakaien und Speise und Trank geblasen. Und an warmen Sommerabenden hatte man im Park umhergeschwärmt. Dort stand noch eine beschnittene Buchenallee. Sie war ganz schmal und hoch und dunkel. Die Vögel bauten Nester in den grünen Hecken, die verschwiegene Zeugen waren – niemand sah und niemand hörte.

Dann starben die Jagdherren und ihre Damen, und die Engel wurden alt und grau, während sie der Familie Bratt, die das Haus in Besitz nahm, ihre Melodien vorbliesen. Einer der Männer der Familie gründete die Bibliothek, ließ die großen Regale hineinsetzen und an der Decke befestigen. Und seit jener Zeit sammelten die Bratts Bücher. Nur einer von ihnen wurde ein gelehrter Mann, das war Hermanns Großvater mütterlicherseits. Er kannte viele Sprachen und hielt gelehrte Vortrage darüber. Er war sehr angesehen, und man wollte ihn an die Universität fesseln. Er aber wollte nicht. Er war reich, wollte unabhängig sein und »verspürte keine Lust«, wie er sich ausdrückte, »jahraus, jahrein dazustehen und den dummen jungen Leuten, die obendrein unangenehm rochen, immerwährend dasselbe von einem Papier vorzulesen«. Hermann entsann sich des Großvaters als eines kleinen, weißhaarigen Mannes, der von dem Tode an dem großen Arbeitstisch in der Bibliothek überrascht wurde. Dort fand man ihn an einem Frühlingstage tot; die Sonne spielte fröhlich auf seinen Papieren und aufgeschlagenen Büchern.

Und es wurde Winter und Sommer, und die Sonne fiel unzählige Male durch die Fenster des Bibliotheksaales herein, während Hermann allein da drinnen umherging.

Er benutzte die Bibliothek als Spielplatz. Wenn er zwischen den Bücherregalen auf und nieder ging, dachte er sich, daß er sich in den Straßen einer Stadt befände. Die Regale waren die Häuser. Er kletterte die langen Leitern hinauf und stattete Besuche im ersten, zweiten, dritten, ja im achten Stockwerk ab, und er machte Spaziergänge aus der einen Straße in die andere und gab ihnen feine und sonderbare Namen, die sonst niemand kannte. Der Platz um den großen Tisch war der Markt, und in dem Hause, wo die Folianten aufgestellt waren, dort wohnten der König und Hermann selber.

Die Bibliothek war Hermanns Stadt, und da war selten jemand, der seinen Frieden störte. Der Vater war kein Bratt, er war da hineingekommen aus der großen Stadt. Er fand sich nie in dem Hause zurecht. Er war beständig auf der Fahrt zur Stadt und betrieb sein Geschäft weiter, obwohl er es nicht nötig hatte. Und in jedem Frühling wurde er reisekrank. Dann mußte er von dannen, in die Welt hinaus und Bekanntschaften machen, in den feinen Restaurants sitzen und sich einen leichten Rausch antrinken, ehe er zum Leben in die fremden Straßen hinausging.

Hermann entsann sich undeutlich – der Vater war gestorben, als Hermann noch ganz klein war – wie der Großvater und die Mutter und der alte Diener Ferdinandsen förmlich Mitleid mit dem alten Manne gehabt hatten, der auf die Reise mußte. Das Reisebedürfnis des Vaters war Hermann von Kindheit an wie eine Art Krankheit erschienen, wie etwas, worüber man den Kopf schüttelte.

Hermanns Mutter saß zu Hause. Wenn Hermann an seine Kindheit dachte, sah er sie als grauhaarige, feine Dame, die las und viel Klavier spielte. Der stärkste Eindruck war die Musik. Er sah sie mit dem weichen, grauen Haar am Klavier sitzen und spielen, am liebsten Beethoven. Hermann erinnerte sich jeder Note in dem Andante der zehnten Sonate.

Aber aus den späteren Jahren waren Hermanns Eindrücke so reich und stark, daß sich kein einzelner von den anderen ausschied. Der Mutter entwickelte er auf langen Spaziergängen seine vielen Pläne, sie schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: mache eine Arbeit fertig. Er versuchte, konnte es aber nicht. Es kam immer etwas Neues. Ihm fehlte eine persönliche, starke Tendenz, um die er seine Eindrücke sammeln konnte, ihm fehlte das Erlebnis, das ihm die Fähigkeit verleihen würde, völlig zu verstehen, was die anderen erlebten. Deshalb streifte er ohne festen Plan umher, wie ein Reisender in einer Stadt. Aus der einen Bibliothekstraße kam er in eine andere, und dann waren da neue Bücher, die angeschafft werden mußten, neue Straßen, die Hermann gründete, Vorstädte, die unter den Augen der Mutter aus der alten Stadt aufsproßten.

Und das Bild der Mutter verknüpfte sich für Hermann unauflöslich mit der Bibliothek. Er konnte oben auf einer der Leitern in Gedanken versinken, ein Buch in der Hand – das las Mutter, hier liegt eins ihrer Lesezeichen, das sagte sie an jenem Abend. –

Und neben dem Bilde der Mutter erblickte Hermann das Judiths. Ihr junges, frisches Kolorit sah er und die lächelnden Augen und die aufrechte Gestalt, und die großen, starken Hände. Er sah Judith tanzend in das stille Haus hereinkommen, und sie sang, so daß die Töne gegen die Wölbungen schlugen wie Vögel, die auf starken Schwingen fliegen. Judith kam als zufälliger Gast, die Tochter des neuen Nachbars, aber sie wurde unentbehrlich, für die Mutter und für Hermann –

Der Nachbar starb und Judith reiste fort, um in Paris zu studieren. Zuerst schrieb sie häufig, dann wurden die Briefe seltener und seltener, wo war sie jetzt? Still war's im Hause, und ganz still wurde es, als Hermann seiner Mutter das Geleite hinaus gab.

Er saß die Nacht nach dem Begräbnis in der Bibliothek und wünschte, daß die Bücher um ihn zusammenstürzen möchten.

Er legte den Kopf auf seine Arme und schloß die Augen. Er wollte nichts sehen, nichts hören.

Aber aus den alten Straßen und aus den neuen, aus den Stockwerken und aus dem Hause des Königs schrie ihm der Verlust entgegen.

Und Hermann konnte nicht reisen und konnte nicht bleiben. Er arbeitete rastlos und ohne Ziel. Und fragten sie ihn, ob er eine Arbeit vorhabe, so schüttelte er den Kopf.

Da war er dreißig Jahre alt. Den reichen Kandidaten Falk nannten sie ihn. Sie respektierten seine Kenntnisse, bedauerten aber, daß er sie so wenig benutzte. Er könnte es sich ja leisten, meinten sie. Er brauche sich nicht um eine Stellung, um ein Legat, um Stunden in einer Schule zu bemühen. Und während die anderen vom Ehrgeiz oder von der Notwendigkeit angespornt wurden, stand Hermann still; und andere stürmten an ihm vorüber – und neideten ihm sein glückliches Los.

Er kam selten in die Stadt, man sah ihn nie in den Theatern. Er war beliebt bei seinen Kameraden, wie es jemand leicht werden kann, der sich nicht an der Konkurrenz beteiligt. Aber er hatte keine wirklichen Freunde und empfing fast niemand in seinem Heim. War er ausnahmsweise einmal mit anderen zusammen, so war er ein schlechter Gesellschafter. Entweder sprach er zu viel oder zu wenig. Er sei etwas zu gründlich, meinten die anderen. Wenn man eine Frage mit ihm diskutierte, wurde er niemals fertig. Da waren Reservationen zu beobachten, Nebenfragen, die notwendig beachtet werden mußten, weil sie die Hauptsache beleuchteten, man mußte sich erinnern – durfte nicht vergessen, daß –

Und während derjenige, der die Diskussion angeregt hatte, der Sache längst überdrüssig war, fuhr Hermann fort, sich der Unterhaltung ganz gegen seinen Willen zu bemächtigen. Oder auch, er konnte völlig stumm dasitzen, weil ihn eine plötzliche Sehnsucht nach seinem Heim befiel. Die stilisierten Tapeten, die gezierten Puppenmöbel, alle diese Kruken und Teller, die sich mit ihren schmachtenden Farben so prätentiös breit machten, – all das Aufgestellte in den Wohnungen der anderen, erweckte in ihm die Sehnsucht nach seinem eigenen Heim, wo alles an dem Platz stand, für den es geboren war. Da war auch so viel in den Unterhaltungen seiner Kameraden, was er nicht verstand, wofür er kein Interesse hatte. Eine Stadt hat ihre eigenen Unterhaltungsstoffe – ihre kleinen Intrigen, kleinen Neuigkeiten, kleinen Lächerlichkeiten –, die nicht für mehr genommen werden dürfen, als sie sind. Aber Hermann verstand nicht, was dahinter lag, er faßte alles buchstäblich auf, und dann war er gar nicht amüsant.

So saß er denn teilnahmslos und in sich versunken da und war den anderen lästig und langweilig.

Nein, ihm war am wohlsten daheim in der Bibliothek.

Und doch liebte er es, durch die Stadt zu gehen.

Er schlenderte langsam durch die kleinen Gassen in die lebhafte, immer von Verkehr wimmelnde Stadt, um den Bahnhof zu erreichen und nach Hause zu fahren.

Es war ein Abend zwischen Frühling und Sommer, und es wollte Hermann scheinen, als seien alle Menschen auf den Beinen. Die jungen Damen lachten und ihre neuen Kleider lachten, und befand sich auf einem Marktplatz eine Rasenfläche oder lehnte ein Baum an einer Mauer, so lachte auch das Grün mit den Fröhlichen.

Hermann ließ sich mit dem Strom treiben, und wenn eins der jungen Mädchen sich umwandte und ihm ein Lächeln zusandte – eine prüfende Aufforderung oder nur ein Ausdruck fröhlicher Stimmung – so haschte er im Fluge nach dem Lächeln wie nach einem munteren und bunten Schmetterling, der ihn in eine lustige Laune versetzte. Die Wagen eilten auf dem Fahrwege dahin. Einige waren ganz mit Passagieren besetzt. Zuweilen klang ein schallendes Lachen, von Peitschengeknall begleitet, durch die Luft. In anderen Wagen saßen nur zwei oder einer, alle aber hatten sie Eile, sie fuhren alle zu irgendeiner Verabredung.

Hermann genoß dies Lärmen und Drängen. Die Luft, die von Veilchen gesättigt war, die den Vorübergehenden in großen Körben feilgeboten wurden, und von starkem Parfüm, das den feingekleideten Damen folgte, die Hermanns Arm streiften und ihn mit blanken, ausdruckslosen Augen ansahen, das Lachen, die Lebensfreude, das Peitschenknallen und das Lächeln machten sein Blut heiß und seine Augen lustig.

Er hatte es immer geliebt, durch den Lärm zu seiner Stille zurückzukehren.

Auch die Eisenbahnfahrt war ihm angenehm. Der Abendzug beförderte die Passagiere aus dem Ausland weiter nach Schweden. Hermann mischte sich unter die internationale Menge, die Nervosität der Damen belustigte ihn, und er bewunderte die Eingebildetheit der Herren, wenn sie mit ihren kleinen Reisemützen und langen Ulsters auf dem Bahnsteig auf und nieder stolzierten. Und schon allein, daß so viele Zigaretten geraucht wurden, verlieh dem Bilde ein amüsantes Kolorit.

Wenn dann Hermann im Abteil saß, das mit Leuten angefüllt war, die in ihren Taschen und Plaidrollen herumwühlten, den Fahrplan studierten, sich bemühten, die dänische Sprache zu verstehen, ihre Berechnungen machten, Geld zählten und überlaut ausrechneten, wie sie es machen sollten, damit alles stimmte, – so konnte ihn plötzlich ein Gefühl der Glückseligkeit überkommen, daß er zu Hause war, seine Sachen befanden sich in bester Ordnung, in einer halben Stunde würde er in Ruhe und Gemütlichkeit in seiner Stube sitzen, während die Eisenbahn die Ärmsten weiter rummelte, fremden Städten und schmutzigen Gasthöfen entgegen.

Als Hermann auf der Station anlangte, war da großes Gedränge. Seiner Gewohnheit gemäß schlenderte er langsam am Zuge entlang, um gute Reisegesellschaft zu finden. Vor einem Abteil erster Klasse stand eine große Dame, in einen eleganten, grauen, seidenen Mantel gehüllt. Sie trug einen weißen Reiseschleier vor dem Gesicht, so daß ihre Züge verhüllt waren, aber es lag etwas in der Haltung, der Art und Weise zu stehen, der kühnen Frisur, was Hermann reizte und ihn bestimmte, ihr Abteil zu wählen.

Sie wartete offenbar auf jemand. Hermann sah einen kleinen, grobknochigen Herrn sich den Weg zu ihr bahnen. Er war mit ausländischer und übertriebener Eleganz gekleidet. Ein langschößiger, strammsitzender grauer Überzieher, grauer Zylinder und graue Gamaschen über Lackstiefeln. Als er näher kam, sah Hermann sein Gesicht: Die Augen waren groß und unruhig, über dem schmalen Mund saß ein großer, grauer Schnurrbart, der auf deutsche Kaisermanier wie ein Fächer in die Höhe gestrichen war. Es lag ein eigenartiger Duft von Ausland über der großen Dame mit dem Schleier und dem kleinen, grauen Herrn.

Aber als sich Hermann näherte, sagte die Dame ziemlich laut auf dänisch:

»Nun, haben Sie alles geordnet, Finsen?«

Hermann stutzte. Er kannte die Stimme. Unwillkürlich trat er dicht an die fremde Dame heran. Plötzlich sah er ihre Züge hinter dem Schleier. Und sie schlug ihn mit einem Ausruf zurück. Wie aus einem Munde riefen beide:

»Judith!«

»Hermann!«


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