Gustav Leutelt
Der Glaswald
Gustav Leutelt

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5.

Draußen glitten müde Strahlen über die Wälder und erhellten die Dunklen nicht mehr. Luftblau schleierte die Rücken ein und der Rauch der Holzerfeuer wollte sich nicht heben, sondern kroch wie graue Riesenspinnen über die Wipfel. Der Herbstruf war ergangen und die Wälder hatten ihn gehört.

Jenseits der Talbreite aber lagen die Häuschen noch in der Sonne. Wenn ein Vogel vorüberflog, so deckte er eins davon mit seiner Schwinge zu und dahinter schwebten die Kronen der Straßenbäume nur so in der Luft, weil die Strichlein ihrer Stämme nicht bis her sichtbar sein konnten.

Die Kinder waren des Bergbildes müde geworden und vergnügten sich damit, auf die angehauchten Scheiben krause Schnörkel zu malen, durch deren fingerbreite Züge die Welt draußen stückweis hereinblinzelte. Dann genügte das Wetterhäuschen im Fenster noch ein Weilchen aber es war doch widerwärtig, daß die Dame mit dem Sonnenschirm nicht herauskommen wollte. Die Knieenden glitten von der Bank nieder und gingen auf Entdeckungen aus. 47

Der rosenpflückende Christus über dem Tischwinkel hielt den Kindern sein Spruchband entgegen: »Wilst du mit Jesu rosen brechen, achte nicht der dörner stechen«; aber dem Mädchen war es mehr um die breite Spitze zu tun, die von dem Rahmen herabhing.

»Die Bildschürze mußt du ansehen,« ereiferte sich die Kleine, als der Knabe nicht von dem wundersam verschlungenen Rosengesträuch mit den großen Purpurblüten loskommen konnte. Sie rief damit aber nur ein herzliches Lachen hervor.

Das war doch zu drollig. Haben die Bilder auch Schürzen? Daheim trägt nur die Köchin eine solche; aber Bilder . . .

Das Mädchen kränkte es fast, daß diese Selbstverständlichkeit dem Knaben nicht eingehen wollte. Der fand hier eben alles anders, als daheim in den vornehmen Zimmern des Herrenhauses, wo die Schränke spiegelnd glänzten und die Bilder in goldenen Rahmen standen; doch bei den buntbemalten Schüsseln des Topfbrettes und dem so hurtig über seinem Zifferblatt hin- und herknickenden Pendelchen der Uhr fanden sich die Beiden wieder zu einander. 48

»Wir haben eine schönere,« entschied das Mädchen.

»Doch bei euch sind die Gewichte nicht aus Glas und es ist kein Sand darin.«

»Das macht nichts. Aber jetzt wird der Sejger gleich schlagen.«

Der Hammer hob aus. Es rasselte im Getriebe und die Schnüre der Gewichte zuckten; aber nur ein kurzes, mißtöniges Schnarren war zu hören. Die Kinder lachten darüber und konnten nicht enden, bis das langgezogene Muhen einer Kuh sie unterbrach.

»Die Muhme hat die Stalltür auf,« erklärte das Mädchen, »da hört man's so herein.« Und dann warteten die Kinder, ob das Brüllen wiederkommen werde; doch blieb alles still und nur das Schweigen spann sich durch die Sekunden, augenblickslang erst und dann Atemzug um Atemzug deckend bis zum feinfeinen Singen im Ohr.

Oder war das Klingen doch in der Stube gewesen? Da, wieder: ein geisterhaft leises Getön zitterte daher.

»Von dort kam es,« flüsterte das Mädchen und beide Kinder schlichen auf den Zehen gegen die große mit Blumengewinden bemalte Kommode 49 hin, als gelte es, irgend ein scheues Vöglein zu beschleichen.

Sie harrten wieder. Und da kam zum drittenmal derselbe halberstickte Klang herangeschwebt.

Beide hatten gleichzeitig die Hand nach dem dunklen Kästlein ausgestreckt, das vor dem hohen Glassturze der Gottesmutter stand. Das Mädchen öffnete.

Da lag ein niedliches, silberglänzendes Glöcklein, in rosenrote Watte fest eingebettet. Die Kinder sahen einander an.

»Aber das kann doch nicht, . . .« wollte die Mutigere eben anheben, als von der Tür her der scharfe Ruf erscholl:

»Was macht ihr? Lasset das; es ist nichts für euch!«

Die Muhme Beate sah diesmal fast böse aus, so daß die Kleine ängstlich wurde und entschuldigend meinte, es habe leise geläutet.

»So, hat es?« sagte die Frau und bekreuzte sich erschrocken. Dann schob sie das Kästchen tief in die Kommode hinein und meinte wieder im alten gütigen Ton:

»Geht noch hinauf zur Krippe, die paßt besser für euch.« Und nach einer Weile, als die Kinder 50 schon in der Tür standen, frug sie, wie beiläufig, das Mädchen:

»Ist der Vetter Franz noch krank?«

Die Kleine bejahte und dann sahen die Kinder noch, wie die Zurückbleibende wieder ein hastiges Kreuz über Stirn und Brust schlug, ehe sie nach dem Giebelzimmer hinaufstiegen.

Die Predigerleute hatten das Krippenwerk geerbt. Die Arbeit irgend eines begabten Vorfahren, waren die aufs einfachste zurechtgeschnitzten Figuren bereits mit Staubkrusten bedeckt. Aber das Mädchen holte feuchte Lappen und die Kinder begannen das Reinigungswerk. Wieder und wieder rieten sie, ob der Mantel jenes Hirten blau, oder das Gewand des Engels weiß zum Vorschein kommen werde und staunten baß, als so bei den Königen aus dem Morgenlande auch ein Mohr auftauchte. Aber der Stern über allem, aus gelben und roten Glassteinen gefaßt, war doch das Schönste und ihm gegenüber mußte selbst Bethlehems Stall mit seinen Insassen zurücktreten.

Die Kinder waren eifrig, malten sich die Pracht aus, wenn erst das Lämpchen hinter dem großen Stern angezündet wäre und nur, wenn eine aufgescheuchte Spinne über die Hand des 51 Mädchens lief, gab es einen Zwischenfall. Aber der Knabe half sogleich und die Arbeit ging weiter.

* * *

Unten in der Stube war der Siebeneichlerbauer eingekehrt. Sein Hut schaukelte noch an der Ofenstange, als er schon seine Botschaft ausrichtete:

Der Vetter Franz sei vorhin gestorben und Hanne lasse fragen, ob die Muhme zur Leichenwache komme.

Der Bauer trocknete die Stirn, denn er war gelaufen. Aber er warf doch einen prüfenden Blick unter dem Tuche hervor, als das Weib sich nur kopfnickend die Schürze fester band und ohne Spur von Überraschung sagte:

»Gott tröste seine Seele! Er hat's eben nicht ermachen können.«

»Ja, habt ihr's schon gewußt, Beate?«

»Das Totenglöckl hat geläutet.«

»Ach geht doch mit dem alten Aberglauben!«

»Glauben hin, Glauben her. Seid froh, daß es nicht wegen euch läutete.« 52

»Sollte es euch nicht wieder was vorgemacht haben?«

»Euer eignes Kind hörte es.«

Der Bauer räusperte sich und zog die Halsbinde lockerer. Dann meinte er unter dem Bemühen, seine Stimme zu dämpfen:

»Beate, mein Kind laßt mit der Sache in Ruh. Verstanden?!«

»Seid ohne Sorge,« kam es zurück. »Ich trag selber schwer genug an dem alten Erbstück, als daß ich die Sorge auch noch wem anderen aufladen möchte. Ja, wenn ich Kinder hätte, dürften sie nichts davon wissen. Mit mir soll es auch ins Grab gehen, damit die Quälerei einmal ein Ende nimmt.«

»Aber bedenkt doch, es kann ja gar nicht sein.«

»Kann oder nicht; es ist. Wenn's anklingt, weiß ich auch, daß jemand im Orte stirbt. Und läutet's dreimal, gilt's wen von der Verwandtschaft. Das hat sich bei den Eltern gezeigt, bei meinem Seligen und sogar wie der Vetter Jakob in Iser gestorben ist, hat es sein Anzeichen gegeben.«

Der Bauer rückte unbehaglich auf seinem Stuhle. Mehr um etwas zu sagen, als eine Antwort zu fordern, fragte er: 53

»Wie ist das Ding denn in die Familie gekommen?«

»Die Großmutter Babett hielt dafür, daß es von Iser hergebracht worden ist. Ein alter Italiener, der Steine suchte, hat es vor seinem Tode einem von unsren Leuten angebunden und für die Familie kräftig gemacht. Der hätte das freilich nicht übernehmen sollen; denn es bleibt immer ein schlimmes Ding um das Wissen, das an ihm hängt und . . .«

Die Frau brach ab, da sie merkte, ihr Zuhörer sei nicht bei der Sache. Seine Augen redeten von einem Plan, den er bereits zerlegt haben mochte und wahrscheinlich jetzt zu beginnen gedachte. Und da sie ein kluges Weib war, strich sie bloß ihre Schürze glatt, schlug die Arme ineinander und setzte sich dem Manne gegenüber.

Die zuwartende Haltung schien auch nach seinem Sinne; denn er zog den Stuhl näher an den Tisch und begann:

»Könnt ihr mir Geld borgen?«

Die Befragte machte nun doch ein erstauntes Gesicht.

»Aber sagt mir doch . . .« 54

Ihr Gegenüber strich mit beiden Händen ein unsichtbares Etwas von der Tischplatte und sagte fest:

»Ich will den Wald abschlagen.«

»Nun ja,« kam es zurück, »überständig ist er schon; aber warum gerade jetzt? Als euch vor zwei Jahren der Förster den Rat gab, wolltet ihr doch nichts davon hören.«

»Jetzt ist das anders. Die Gutsdirektion kann all das Holz nicht liefern, das der neue Bauunternehmer braucht und die Preise schnellen nur so in die Höhe.«

»Aber da werdet ihr ja Geld bekommen und braucht nicht zu borgen.«

»Das ist wieder etwas anderes. Man gibt sich dort nicht mit kurzen Zielen ab und wer berücksichtigt werden will, der muß die Lohnzahlungen bis zum Schluß aushalten können. So viel Bares aber hab' ich nicht.«

»Ist das Geschäft auch sicher?«

»Sicher, wie etwas. Der Herr Egon meint auch, daß damit einiges zu verdienen ist.«

»So, der?«

Die Frau dehnte ihre Worte so auffällig, daß der Mann stutzte.

»Was habt ihr gegen ihn?« 55

»Hm, viel und nichts, wie man's nimmt. Aber wollte er nicht schon im Frühjahr eure ganze Sache kaufen?«

»Ja, und ich hab' es ihm rundweg abgeschlagen, ohne daß er böse geworden ist. Sein Junge darf noch zu uns herauskommen.«

Es war ein eigentümlicher Blick, mit dem die Alte nach dem Manne hinübersah. Dann frug sie wie ganz beiläufig:

»Hat der Herr Egon euch das Waldabschlagen eingegeben?«

Der Bauer bekam plötzlich einen roten Kopf. Er murmelte etwas vom Selberwissen, was zu tun sei, dann sagte er laut:

»Wollt ihr mir also aushelfen?«

»Ihr werdet zu viel brauchen.«

»Ach was, ihr müßt ja Geld genug haben.«

Das Weib lächelte bitter.

»Nun freilich, der Drache hat's uns ja zugetragen.«

»Schnickschnack!« polterte der Mann los, »aber Paschen bringt Geld zu nachtschlafender Zeit ins Haus, das ist auch wahr.«

Die Alte richtete sich mit einemmal steif auf.

»Meinen Seligen laßt in Frieden ruhn, Siebeneichler. Ich habe mit diesen Heimlichkeiten 56 genug ausgestanden bei seinen Lebzeiten und will jetzt nichts mehr davon hören.«

Der Bauer stand auf.

»Na, ereifert euch nur nicht. Ich sehe schon, ihr seid knauserig und ich muß mich anderswo umsehen. Gott befohlen!«

Damit riß er seinen Hut von der Ofenstange und ging. Die Klemmtür fiel mit dumpfem Laut in den Falz und dann klappte nur noch die Holzklinke der Außentür.

In der Stube war es still geworden. Wohl arbeitete der kleine Knickependel hastig und der Zeisig im Bauer hüpfte fast ebenso taktmäßig seine Sprossen auf und nieder; aber an das Ohr der Frau drangen die winzigen Geräusche nicht. Sie stand noch immer neben ihrem Stuhle und sann. Zuletzt schüttelte sie, wie im Zweifel, mehrmals mit dem Kopfe und murmelte:

»Gib's Gott, daß es nicht schlecht ausgeht. In unrechte Hände kann er da wohl geraten sein.«

Dann ging sie die Abendsuppe kochen. Als die Kinder vom Spiel herabkamen und heimgehen wollten, war sie ruhig und gab denen fürsorglich ein Butterbrot mit auf den Weg.

Und dann war die Frau wieder allein mit ihren Gedanken. 57

 


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