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Nachdem ich mich von Maxim Maximytsch getrennt hatte, durchjagte ich schnell die Schluchten des Terek und Darjal, frühstückte zu Kasbek, trank den Tee zu Lars und beeilte mich zum Abendbrot nach Wladikawkas. Ich verschone den Leser mit der Beschreibung der Berge, mit Ausrufen, die nichts ausdrücken, mit Bildern, die nichts darstellen, besonders für die, welche dort nicht gewesen sind, und mit statistischen Anmerkungen, die entschieden niemand lesen wird. Ich stieg in einem Gasthof ab, wo alle Reisenden abzusteigen pflegen, wo indessen niemand einen Fasan zu braten oder eine Kohlsuppe zu kochen versteht, denn die drei Invaliden, denen der Gasthof anvertraut ist, sind so dumm oder so betrunken, dass man von ihnen nichts Vernünftiges bekommt.
Man sagte mir, dass ich hier noch drei Tage verbringen müsste, weil die Gelegenheit aus Jekaterinograd nicht eingetroffen sei und folglich noch nicht zurückkehren könne. Welch eine Gelegenheit! . . . Mir kam es in den Sinn, zur Zerstreuung die Erzählung Maxim Maximytsch von Bela niederzuschreiben, ohne zu ahnen, dass sie das erste Glied einer langen Reihe von Erzählungen sein wird. Du siehst, mein Leser, dass ein unbedeutender Zufall bisweilen grausame Folgen haben kann! . . . Vielleicht aber weisst du nicht, was die Leute eine Gelegenheit nennen? Es ist eine militärische Bedeckung, die aus einer halben Kompagnie Infanterie und einer Kanone besteht, unter der die Proviantzüge durch die Kabardie von Wladikawkas nach Jekaterinograd ihren Weg machen.
Den ersten Tag verbrachte ich sehr langweilig; am andern frühmorgens fuhr in den Hof ein Wagen ein . . . Ah! Maxim Maximytsch! Wir begrüssten uns wie alte Freunde. Ich bot ihm mein Zimmer an; er nahm ohne Umstände an, klopfte mich sogar auf die Schulter und verzog den Mund zu einer Art Lächeln. Solch ein komischer Kauz! . . . Maxim Maximytsch besass tiefe Kenntnisse in der kulinarischen Kunst: er hatte einen Fasan wunderbar gebraten, ihn mit einer Gurkensauce trefflich begossen, und ich muss gestehn, dass ich ohne ihn mit kaltem Essen hätte vorlieb nehmen müssen. Eine Flasche Kachetinerwein half uns die bescheidene Zahl der Gerichte, deren nur ein einziges da war, vergessen, wir steckten unsere Pfeifen an und setzten uns hin – ich ans Fenster, er aber an den geheizten Ofen, denn es war ein feuchter und kalter Tag. Wir schwiegen. Worüber sollten wir auch reden? . . . Er hatte mir schon alles Interessante von sich erzählt, ich aber hatte nichts zu erzählen. Ich schaute zum Fenster hinaus. Eine Menge kleiner niedriger Häuser, die am Ufer des hier breiten Terek zerstreut waren, flimmerten durch die Bäume, weiter aber erhoben sich in blauer Ferne, wie eine gezackte Mauer, Berge, und hinter ihnen schaute der Kasbek in seinem weissen Bischofshut hervor. Ich nahm von ihnen in Gedanken Abschied: mir taten sie leid . . .
So sassen wir lange. Die Sonne verbarg sich hinter die kalten Gipfel, und ein weisslicher Nebel verbreitete sich in den Tälern, als auf der Strasse das Geläute eines Glöckchens und das Geschrei von Kutschern ertönte. Ein paar Wagen mit schmutzigen Armeniern fuhren auf den Hof der Herberge, und ihnen folgte eine leere Reisekalesche; ihr leichter Gang, bequeme Konstruktion und elegantes Aussehen hatten ein gewisses ausländisches Gepräge. Hinter der Kalesche schritt ein Mann mit einem grossen Schnurrbart, in einem Schnürrock, für einen Bedienten ziemlich gut gekleidet; über seine Stellung konnte man sich nicht irren beim Anblick der flotten Art und Weise, wie er seine Pfeife ausklopfte und den Kutscher anschrie. Er war offenbar der verzogene Diener eines faulen Herrn – eine Art russischer Figaro.
»Sage mal, mein Lieber,« – rief ich ihm aus dem Fenster zu, – »ist etwa die Gelegenheit angekommen?«
Er blickte mich ziemlich frech an, rückte seine Krawatte zurecht und wandte sich ab; ein Armenier, der neben ihm einherschritt, antwortete lächelnd an seiner Stelle, dass die Gelegenheit in der Tat angekommen sei und morgen früh zurückkehren werde.
»Gott sei Dank!« – sagte Maxim Maximytsch, der eben an das Fenster herangetreten war.
»Das ist eine prachtvolle Kalesche!« – fügte er hinzu,– »wahrscheinlich reist irgend ein Beamter nach Tiflis zur Untersuchung. Offenbar kennt er unsere Berge nicht! Nein, mein Bester, das ist ein schlechter Scherz, die Berge werden dieses Ding tüchtig mitnehmen, wenn es auch englische Arbeit ist. Wer kann es aber sein – wir wollen uns mal erkundigen . . .«
Wir gingen in den Korridor hinaus. Am Ende des Korridors stand die Türe zu einem Nebenzimmer offen. Die Diener und der Kutscher trugen die Koffer hinein.
»Hör mal, Bruder,« – fragte der Stabskapitän den Bedienten, – »wem gehört diese herrliche Kalesche? Ah! . . . Eine schöne Kalesche ist es . . .«
Der Diener murmelte, ohne sich umzuwenden, ein paar Worte vor sich hin und schnürte einen Koffer los. Maxim Maximytsch wurde ärgerlich; er fasste den unhöflichen Burschen an der Schulter und sagte:
»Ich spreche mit dir, mein Lieber . . .«
»Wem die Kalesche gehört? . . . Meinem Herrn . . .«
»Und wer ist dein Herr?«
»Petschorin . . .«
»Was sagst du? Was? Petschorin? . . . Ach, mein Gott! . . . hat er nicht im Kaukasus gedient?« – rief Maxim Maximytsch, mich am Ärmel ziehend. In seinen Augen glänzte die Freude.
»Er hat dort gedient, wie es scheint – ich bin erst seit kurzem bei ihm.
»Nun so ist er's! . . . Grigori Alexandrowitsch? . . . So heisst doch dein Herr? Ich kenne deinen Herrn,« fügte er hinzu und klopfte den Diener freundschaftlich auf die Schulter, so dass dieser wankte . . .
»Erlauben Sie, mein Herr; Sie stören mich,« – antwortete der Diener mürrisch.
»Schau, Bruder, wie du bist! . . . ja weisst du auch, dass ich und dein Herr gute Freunde waren, dass wir zusammen gelebt haben? . . . Ja, wo ist er denn selbst? . . .«
Der Diener sagte, dass Petschorin bei dem Oberst N. zum Abendessen und zur Nacht geblieben sei.
»Kommt er heute abend nicht auf einen Augenblick hierher?« – fragte Maxim Maximytsch, – »oder vielleicht gehst du noch einmal zu ihm hin? . . . Wenn du zu ihm hingehst, sage ihm, dass Maxim Maximytsch hier sei – sage es nur . . . er weiss schon . . . Ich gebe dir ein paar Franken als Trinkgeld . . .«
Der Diener schnitt eine verächtliche Miene, als er solch ein bescheidenes Versprechen hörte, sagte aber zu Maxim Maximytsch, dass er den Auftrag erfüllen werde. –
»Er wird sofort herbeieilen! . . .« sagte Maxim Maximytsch triumphierend zu mir; – »ich werde ihn am Tor erwarten . . . Schade, dass ich N. nicht kenne.«
Maxim Maximytsch setzte sich am Tor auf eine Bank, ich aber ging in mein Zimmer. Ich muss eingestehen, dass auch ich mit einer gewissen Ungeduld das Erscheinen dieses Petschorin erwartete; obgleich ich aus der Erzählung des Stabskapitän mir eine nicht sehr vorteilhafte Meinung über ihn gebildet hatte, schienen mir jedoch einige Züge seines Charakters interessant zu sein. Nach einer Stunde brachte ein Invalide den kochenden Samowar und eine Teekanne herein.
»Maxim Maximytsch, wollen Sie nicht Tee trinken?« – rief ich ihm durch das Fenster zu.
»Danke sehr, ich möchte nicht.«
»Kommen Sie doch trinken! Es ist ja schon spät und kalt.«
»Hat nichts zu sagen; nein, ich danke . . .«
»Na, wie Sie wollen!«
Ich begann allein den Tee zu trinken; nach zehn Minuten aber kam mein Alter herein.
»Sie haben doch recht – ein Gläschen Tee wird sogar gut sein. Ich habe fortwährend gewartet. Sein Diener ist schon lange fort, wahrscheinlich aber konnte er nicht abkommen.«
Er trank rasch eine Tasse, lehnte die zweite ab und ging wieder in einer grossen Unruhe zum Tore hin: man sah, dass den Alten die Gleichgültigkeit Petschorins gekränkt habe, und um so mehr, da er mir vor kurzem von seiner Freundschaft mit ihm erzählt hatte und noch vor einer Stunde überzeugt war, dass Petschorin sofort herbeieilen würde, sobald er seinen Namen höre. –
Es war schon spät und dunkel, als ich von neuem das Fenster öffnete, Maxim Maximytsch zu rufen begann und ihm sagte, es sei Zeit zum schlafen; er murmelte etwas zwischen den Zähnen; ich wiederholte meine Aufforderung – er antwortete mir nicht.
Ich legte mich, in meinen Mantel eingehüllt, auf das Sofa und liess das Licht auf der Ofenbank brennen; ich schlief bald ein und würde ruhig geschlafen haben, wenn mich Maxim Maximytsch – es war schon ziemlich spät – beim Eintreten in das Zimmer nicht aufgeweckt hätte. Er warf seine Pfeife auf den Tisch, begann im Zimmer auf und abzugehen und im Ofen das Feuer zu schüren, endlich legte er sich hin, aber hustete lange, spie aus, drehte sich hin und her . . .
»Beissen Sie vielleicht die Wanzen?« – fragte ich.
»Ja, die Wanzen . . .« antwortete er mit einem schweren Seufzer.
Am anderen Tage erwachte ich recht früh, aber Maxim Maximytsch war mir zuvorgekommen. Ich fand ihn am Tor auf einer Bank sitzend.
»Ich muss zu dem Kommandanten hingehen,« – sagte er, – »wenn also Petschorin kommen soll, bitte schicken Sie nach mir . . .«
Ich versprach es. Er lief fort, als hätten seine Glieder die jugendliche Kraft und Gewandtheit wiedererlangt.
Es war ein frischer und schöner Morgen. Goldene Wolken türmten sich auf den Bergen, wie eine neue Kette luftiger Berge; vor dem Tore breitete sich ein weiter Platz aus; hinter ihm wimmelte der Markt von Menschen, denn es war Sonntag. Barfüssige Ossetenknaben mit Körben voll Honigscheiben auf dem Rücken umringten mich; ich verwünschte sie, hatte für sie nichts übrig, da ich die Unruhe des guten Stabskapitäns auch zu teilen begann. Es vergingen keine zehn Minuten, als am anderen Ende des Platzes der erschien, den wir erwarteten. Er kam mit dem Obersten N., der ihn bis zu dem Gasthof begleitete, sich von ihm verabschiedete und in das Fort zurückging. Ich schickte sofort einen Invaliden nach Maxim Maximytsch.
Der Diener ging Petschorin entgegen und meldete ihm, dass die Pferde sofort angespannt würden; reichte ihm eine Kiste mit Zigarren, erhielt einige Befehle und ging fort, Vorbereitungen zur Abreise zu treffen. Sein Herr steckte sich eine Zigarre an, gähnte ein paarmal und setzte sich auf eine Bank an der anderen Seite des Tores. Jetzt muss ich euch erzählen, wie er aussah.
Er war von mittlerer Grösse, schlank und fein gebaut; seine breiten Schultern zeugten von einer kräftigen Konstitution, die alle Mühen eines Wanderlebens und klimatischen Wechsel zu ertragen fähig und weder von den Ausschweifungen der Hauptstadt, noch von seelischen Stürmen besiegt schien; der staubige Samtrock, dessen zwei untere Knöpfe nur zugeknöpft waren, liess eine blendend weisse Wäsche erblicken, die die Gewohnheit eines anständigen Menschen bewies; seine beschmutzten Handschuhe schienen auf Bestellung für seine kleine aristokratische Hand gemacht zu sein, und als er einen Handschuh auszog, setzte mich die Hagerkeit seiner blassen Finger in Staunen. Sein Gang war nachlässig und faul, aber ich bemerkte, dass er die Hände dabei nicht hin und her schwenkte – ein sicheres Zeichen einer gewissen Verschlossenheit des Charakters. Übrigens sind dies meine eignen Bemerkungen, die sich auf meine Beobachtung stützen, und ich will den Leser durchaus nicht zwingen, mir blind zu glauben. Als er sich auf der Bank niederliess, senkte sich sein Oberkörper nach vorn, als hätte er im Rücken keinen einzigen Knochen; die ganze Haltung seines Körpers stellte eine nervöse Schwäche dar; er sass wie eine dreissigjährige Balzacsche Kokette auf ihrem weichen Sessel nach einem ermüdenden Ball. Beim ersten Blick auf sein Gesicht hätte ich ihm nicht mehr als dreiundzwanzig Jahre gegeben, obgleich ich später bereit war, ihn auf dreissig zu schätzen. In seinem Lächeln lag etwas Kindliches. Seine Haut hatte eine gewisse weibliche Zartheit; blondes, natürlich gelocktes Haar umrahmte malerisch seine bleiche edle Stirn, auf der man nur nach langer Betrachtung Falten bemerken konnte, die einander durchschnitten und die wahrscheinlich in den Augenblicken des Zornes oder seelischer Unruhe viel deutlicher hervortraten. Trotz der hellen Farbe seiner Haare waren Schnurrbart und Augenbrauen schwarz – ein Zeichen von Rasse bei Menschen, ebenso wie eine schwarze Mähne und schwarzer Schweif bei einem weissen Pferde. Um das Porträt zu vollenden, muss ich hinzufügen, dass er eine leicht aufgeworfene Nase, blendend weisse Zähne und braune Augen hatte; über die Augen muss ich noch ein paar Worte sagen.
Erstens lachten sie nicht, wenn er lachte! Hast du einmal Gelegenheit gehabt, solch eine Eigentümlichkeit bei einem Menschen zu beobachten? . . . Es ist das Zeichen eines bösen Charakters oder einer tiefen beständigen Traurigkeit. Unter den halbverschlossenen Lidern leuchteten sie in einem phosphorartigen Glanze, wenn man sich so ausdrücken kann. Es war aber kein Widerschein einer Seelenglut oder einer spielenden Phantasie; es war ein Glanz, ähnlich dem eines glatten Stahles – blendend, aber kalt; sein Blick, kurz, aber durchdringend und scharf, hinterliess den unangenehmen Eindruck einer unbescheidenen Frage und könnte dreist erscheinen, wenn er nicht so gleichgültig-ruhig wäre. Alle diese Bemerkungen kommen mir vielleicht nur darum in den Sinn, weil ich einige Einzelheiten seines Lebens kannte, und es ist möglich, dass auf einen anderen sein Aussehen einen ganz entgegengesetzten Eindruck gemacht hätte; da du aber von niemandem ausser von mir über ihn etwas vernehmen wirst, musst du dich schon mit dieser Schilderung zufrieden geben. Zum Schluss möchte ich noch hinzufügen, dass er im ganzen nicht schlecht aussah, und dass er eine jener originellen Physiognomien besass, die besonders den Frauen gefallen.
Die Pferde waren angespannt; das Glöckchen ertönte ab und zu unter dem Kummet, und der Diener war schon zweimal an Petschorin mit der Meldung herangetreten, dass alles bereit sei. Maxim Maximytsch aber erschien noch immer nicht. Zum Glück war Petschorin, die Augen auf die blauen Zacken des Kaukasus gerichtet, in Gedanken versunken und schien es mit der Abreise gar nicht eilig zu haben. Ich trat auf ihn zu.
»Wenn Sie noch ein wenig warten wollen« – sagte ich– »werden Sie das Vergnügen haben, einen alten Freund wiederzusehen . . .«
»Richtig, ja!« – antwortete er rasch, – »man sagte es mir gestern, aber wo ist er denn?«
Ich wandte mich dem Platze zu und erblickte Maxim Maximytsch, der eilig herbeilief . . . Nach einigen Minuten war er schon bei uns; er konnte kaum atmen; der Schweiss strömte über sein Gesicht; feuchte Büschel grauer Haare waren unter der Mütze hervorgetreten und klebten an seiner Stirn; seine Knie zitterten . . . er wollte sich Petschorin an den Hals stürzen, aber dieser streckte ihm ziemlich kalt, obgleich mit einem freundlichen Lächeln, die Hand entgegen. Der Stabskapitän war einen Augenblick bestürzt, aber dann ergriff er die Hand mit seinen beiden Händen: er konnte noch immer nicht sprechen.
»Wie ich mich freue, teurer Maxim Maximytsch! Nun, wie geht es Ihnen?« – sagte Petschorin.
»Und . . . du? . . . und Sie? . . .« murmelte der Alte mit Tränen in den Augen: – »wieviel Jahre . . . wieviel Tage . . . wohin geht aber die Reise? . . .«
»Ich reise nach Persien – und noch weiter . . .«
»Doch nicht sofort? . . . Bleiben Sie ein wenig hier, mein Lieber! . . . Wir werden doch nicht sofort Abschied nehmen? . . . Wie lange haben wir uns nicht gesehen . . .«
»Ich muss weiter, Maxim Maximytsch,« – war die Antwort.
»Mein Gott, mein Gott! wohin eilen Sie denn so? . . . Ich möchte Ihnen so vieles sagen . . . Sie so vieles fragen . . . Nun, wie? sind Sie ausser Dienst? . . . wie? . . . wie haben Sie gelebt? . . .«
»Ich habe mich gelangweilt!« – antwortete Petschorin lächelnd.
»Und erinnern Sie sich noch, wie wir in dem Fort zusammen gelebt haben? . . . Eine prächtige Gegend für die Jagd! . . . Sie waren doch ein leidenschaftlicher Jäger . . . Und Bela . . .«
Petschorin erbleichte ein wenig und wandte sich ab . . .
»Ja, ich erinnere mich!« – sagte er und gähnte fast in dem Augenblick gezwungen. Maxim Maximytsch begann ihn zu bestürmen, noch einige Stunden mit ihm zu verbringen.
»Wir werden herrlich zu Mittag speisen,« – sagte er – »ich habe zwei Fasanen, und der Kachetinerwein ist hier ausgezeichnet . . . selbstverständlich nicht so, wie in Georgien, jedoch eine bessere Sorte . . . Wir plaudern dann . . . Sie erzählen mir von Ihrem Leben in Petersburg . . . Ja? . . .«
»Ich habe wirklich nichts zu erzählen, lieber Maxim Maximytsch . . . Jedoch, leben Sie wohl, es ist schon Zeit . . . ich habe Eile . . . Danke Ihnen, dass Sie mich nicht vergessen haben . . .« – fügte er hinzu, seine Hand ergreifend.
Der Alte zog die Augenbrauen zusammen . . . er war traurig und ärgerlich, obgleich er es zu verbergen suchte.
»Vergessen!« – brummte er, – »ich wenigstens habe nichts vergessen . . . Nun, Gott mit Ihnen . . . So habe ich mir unser Wiedersehn nicht vorgestellt . . .«
»Nun, nun!« – sagte Petschorin, ihn freundschaftlich umarmend, – »bin ich denn nicht derselbe? Was soll man tun? . . . Jeder hat seinen eigenen Weg . . . Ob wir uns noch einmal wiedersehen – weiss Gott!« . . . Während er dieses sprach, sass er schon in seiner Kalesche, und der Kutscher zog die Zügel strammer an.
»Halt, halt!« – rief plötzlich Maxim Maximytsch aus und fasste an die Wagentür, – »ich hätte ganz vergessen . . . Sie haben bei mir Ihre Papiere hinterlassen, Grigori Alexandrowitsch . . . ich schleppe sie mit mir . . . hoffte Sie in Georgien zu treffen, Gott aber hat es anders eingerichtet . . . Was soll ich mit den Papieren machen?«
»Was Sie wollen!« – antwortete Petschorin. – »Leben Sie wohl . . .«
»Also nach Persien gehen Sie? . . . Und wann kehren Sie zurück? . . .« rief ihm Maxim Maximytsch nach.
Der Wagen war schon weit, und Petschorin machte mit der Hand eine Bewegung, die man in folgender Weise übersetzen konnte:
Sehr fraglich, ob ich zurückkehre und wozu auch!
Schon längst war weder das Läuten des Glöckchens, noch das Rasseln der Räder auf dem steinigen Wege zu hören, und noch immer stand der arme alte Mann an derselben Stelle in seinen Gedanken versunken.
»Ja,« – sagte er endlich und versuchte ein gleichgültiges Aussehen anzunehmen, obgleich ab und zu an seinen Wimpern eine Träne des Ärgers schimmerte, – »gewiss waren wir Freunde – aber was ist Freundschaft in unserer Zeit! . . . Was liegt ihm an mir? Ich bin nicht reich, habe keinen hohen Rang und ausserdem bin ich ihm an Jahren ganz und gar nicht gleich . . . Schau mal einer, was für ein Geck er geworden ist, nachdem er wieder in Petersburg war . . . Was für eine Kalesche! . . . Wieviel Gepäck! . . . Und der Diener ist erst stolz! . . .« Diese Worte sprach er mit einem ironischen Lächeln. –
»Sagen Sie mir,« – fuhr er fort, sich zu mir wendend, – »was denken Sie darüber? . . . Welch ein Teufel jagt ihn jetzt nach Persien? . . . Es ist lächerlich, bei Gott, es ist lächerlich! . . . Ich wusste ja längst, dass er ein leichtsinniger Mensch ist, auf den man sich nicht verlassen kann . . . Wahrhaftig aber, schade ist es doch, dass er schlimm enden wird . . . ja und anders geht es nicht! . . . Ich habe es stets gesagt, dass mit dem nichts los ist, der seine alten Freunde vergisst! . . .«
Hier wandte er sich ab, um seine Aufregung zu verbergen, ging im Hofe um seinen Wagen herum, und gab sich den Anschein, als untersuche er die Räder, wobei aber seine Augen sich immer wieder mit Tränen füllten.
»Maxim Maximytsch,« – sagte ich, indem ich zu ihm trat, – »was sind das für Papiere, die Petschorin Ihnen hinterlassen hat?«
»Weiss Gott! eine Art Aufzeichnungen . . .«
»Was wollen Sie damit machen?«
»Ich werde Patronen daraus machen lassen.«
»Geben Sie sie lieber mir.«
Er sah mich verwundert an, murmelte etwas zwischen den Zähnen und begann in seinem Koffer zu suchen; da zog er endlich ein Heft hervor und warf es verächtlich auf den Boden; ein zweites, ein drittes und andere folgten nach und hatten dasselbe Schicksal: in seinem Ärger war etwas Kindisches; mir wurde lächerlich und traurig zu Mute . . .
»Da sind sie alle,« – sagte er, – »gratuliere Ihnen zu dem Schatze . . .«
»Und ich kann mit ihnen tun, was ich will?«
»Veröffentlichen Sie sie sogar in den Zeitungen. Was geht es mich an? . . . Bin ich denn ein Freund oder ein Verwandter von ihm? . . . Allerdings haben wir lange unter einem Dache gelebt . . . Aber mit wem habe ich nicht alles zusammen gelebt! . . .«
Ich ergriff die Papiere und brachte sie schnell fort, in der Befürchtung, dass der Stabskapitän es bereuen könnte. Bald kam man, uns zu melden, dass die Gelegenheit in einer Stunde abfahren würde; ich befahl anzuspannen. Der Stabskapitän kam gerade ins Zimmer, als ich schon die Mütze aufsetzte; er schien sich zur Abreise nicht vorzubereiten, und hatte ein gezwungenes kaltes Aussehen.
»Reisen Sie denn nicht mit, Maxim Maximytsch?«
»Nein.«
»Warum denn nicht?«
»Ich habe ja den Kommandanten noch nicht gesprochen und muss ihm einige Dienstsachen abgeben.«
»Sie waren doch bei ihm?«
»Gewiss war ich da,« – sagte er zögernd, – »aber er war nicht zu Hause . . . und ich wartete nicht auf ihn . . .«
Ich begriff ihn: der arme Alte hatte vielleicht zum erstenmal in seinem Leben Dienstsachen eigener Angelegenheit wegen, wie es in der Kanzleisprache heisst, vernachlässigt – und wie war es ihm vergolten.
»Das tut mir sehr leid,« – sagte ich, – »sehr leid, dass wir uns trennen müssen, Maxim Maximytsch.«
»Wie kann sich unser einer, wie ich – ein alter ungebildeter Mann, mit Ihnen gleichstellen! . . . Ihr Jungen verkehrt in der grossen Welt und seid stolz; ja solange ihr unter den Tscherkessenkugeln steht, da geht es noch an . . . später aber, wenn man euch begegnet, schämt ihr euch sogar, unsereinem die Hand zu reichen.«
»Ich habe diese Vorwürfe nicht verdient, Maxim Maximytsch.«
»Ja, wissen Sie, ich sage es ja nur so; übrigens wünsche ich Ihnen viel Glück und eine fröhliche Reise.«
Wir verabschiedeten uns ziemlich trocken. Der gute Maxim Maximytsch war ein halsstarriger und brummbärtiger Stabskapitän geworden. Und aus welchem Grunde? Weil Petschorin aus Zerstreutheit oder aus einem anderen Grunde ihm die Hand geboten hat, als er ihm um den Hals fallen wollte. Es ist traurig anzusehn, wie ein Jüngling seine besten Hoffnungen und Träume verliert, wenn der rosige Schleier vor ihm schwindet, durch den er die Taten und die Gefühle der Menschen betrachtet hat, obwohl die Hoffnung vorhanden ist, dass er die alten Verirrungen durch neue, nicht weniger flüchtige, aber dafür nicht weniger süsse ersetzen werde . . . Wodurch aber kann man sie in den Jahren eines Maxim Maximytsch ersetzen? Unwillkürlich verhärtet sich das Herz und verschliesst sich die Seele . . .