Jakob Michael Reinhold Lenz
Der Hofmeister
Jakob Michael Reinhold Lenz

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Zweyter Akt.

Erste Scene.

Pastor Läuffer. Der geheime Rath.

Geh. Rath.
Ich bedaure ihn – und Sie noch Vielmehr, Herr Pastor, daß Sie solchen Sohn haben.

Pastor.
Verzeihen Euer Gnaden, ich kann mich über meinen Sohn nicht beschweren; er ist ein sittsamer und geschickter Mensch, die ganze Welt und Dero Herr Bruder und Frau Schwägerin selbst werden ihm das eingestehen müssen.

Geh. Rath.
Ich sprech' ihm das all nicht ab, aber er ist ein Thor, und hat alle sein Mißvergnügen sich selber zu danken. Er sollte den Sternen danken, daß meinem Bruder das Geld, das er für den Hofmeister zahlt, einmal anfängt zu lieb zu werden.

Pastor.
Aber bedenken Sie doch: nichts mehr als hundert Dukaten; hundert arme Dukätchen; und dreihundert hatt' er ihm doch im ersten Jahr versprochen: aber beym Schluß desselben nur hundert und vierzig ausgezahlt, jetzt beym Beschluß des zweyten, da doch die Arbeit meines Sohnes immer zunimmt, zahlt' er ihm hundert, und nun beym Anfang des dritten wird ihm auch das zu viel. – Das ist wider alle Billigkeit! Verzeihn Sie mir.

Geh. Rath.

Laß es doch. – Das hätt' ich Euch Leuten voraussagen wollen, und doch solle Ihr Sohn Gott danken, wenn ihn nur der Major beym Kopf nähm' und aus dem Hause würfe. Was soll er da, sagen Sie mir Herr? Wollen Sie ein Vater für ihr Kind seyn und schliessen so Augen, Mund und Ohren für seine ganze Glückseligkeit zu? Tagdieben, und sich Geld dafür bezahlen lassen? Die edelsten Stunden des Tages bey einem jungen Herrn versitzen, der nichts lernen mag und mit dem er's doch nicht verderben darf, und die übrigen Stunden, die der Erhaltung seines Lebens, den Speisen und dem Schlaf geheiligt sind, an einer Sklavenkette verseufzen; an den Winken der gnädigen Frau hängen, und sich in die Falten des gnädigen Herrn hineinstudiren; essen wenn er satt ist und fasten, wenn er hungrig ist, Punsch trinken, wenn er p–ss–n möchte, und Karten spielen, wenn er das Lauffen hat. Ohne Freyheit geht das Leben bergab rückwärts, Freyheit ist das Element des Menschen wie das Wasser des Fisches, und ein Mensch der sich der Freyheit begiebt, vergiftet die edelsten Geister seines Bluts, erstickt seine süssesten Freuden des Lebens in der Blüthe und ermordet sich selbst.

Pastor.
Aber – Oh! erlauben Sie mir; das muß sich ja jeder Hofmeister gefallen lassen; man kann nicht immer seinen Willen haben, und das läßt sich mein Sohn auch gern gefallen, nur –

Geh. Rath.
Desto schlimmer, wenn er sichs gefallen läßt, desto schlimmer; er hat den Vorrechten eines Menschen entsagt, der nach seinen Grundsätzen muß leben können, sonst bleibt er kein Mensch. Mögen die Elenden, die ihre Ideen nicht zu höherer Glückseligkeit zu erheben wissen, als zu essen und zu trinken, mögen die sich im Keficht zu Tode füttern lassen, aber ein Gelehrter, ein Mensch, der den Adel seiner Seele fühlt, der den Tod nicht so scheuen sollt' als eine Handlung, die wider seine Grundsätze läuft...

Pastor.
Aber was ist zu machen in der Welt? Was wollte mein Sohn anfangen, wenn Dero Herr Bruder ihm die Condition aufsagten?

Geh. Rath.
Laßt den Burschen was lernen, daß er dem Staat nützen kann. Potz hundert Herr Pastor, Sie haben ihn doch nicht zum Bedienten aufgezogen, und was ist er anders als Bedienter, wenn er seine Freyheit einer Privatperson für einige Handvoll Dukaten verkauft? Sklav' ist er, über den die Herrschaft unumschränkte Gewalt hat, nur daß er so viel auf der Akademie gelernt haben muß, ihren unbesonnenen Anmuthungen von weitem zuvorzukommen und so einen Firniß über seine Dienstbarkeit zu streichen: daß heißt denn ein feiner artiger Mensch, ein unvergleichlicher Mensch; ein unvergleichlicher Schurke, der, statt seine Kräfte und seinen Verstand dem allgemeinen Besten aufzuopfern, damit die Rasereyen einer dampfigten Dame und eines abgedämpften Officiers unterstützt, die denn täglich weiter um sich fressen wie ein Krebsschaden und zuletzt unheilbar werden. Und was ist der ganze Gewinnst am Ende? Alle Mittag Braten und alle Abend Punsch, und eine grosse Portion Galle, die ihm Tags über ins Maul gestiegen, Abends, wenn er zu Bett liegt, hinabgeschluckt, wie Pillen; das macht gesundes Blut, auf meine Ehr'! und muß auch ein vortrefliches Herz auf die Länge geben. Ihr beklagt Euch so viel übern Adel und über seinen Stolz, die Leute sähn Hofmeister wie Domestiken an, Narren! was sind sie denn anders? Stehn sie nicht in Lohn und Brod bey ihnen wie jene? Aber wer heißt Euch ihren Stolz nähren? Wer heißt euch Domestiken werden, wenn Ihr was gelernt habt, und einem starrköpfischen Edelmann zinsbar werden, der sein Tage von seinen Hausgenossen nichts anders gewohnt war als sklavische Unterwürfigkeit?

Pastor.
Aber Herr Geheimer Rath – Gütiger Gott! es ist in der Welt nicht anders: man muß eine Warte haben, von der man sich nach einem öffentlichen Amt umsehen kann, wenn man von Universitäten kommt; wir müssen den göttlichen Ruf erst abwarten und ein Patron ist sehr oft das Mittel zu unserer Beförderung: wenigstens ist es mir so gegangen.

Geh. Rath.
Schweigen Sie, Herr Pastor, ich bitt Sie, schweigen Sie. Das gereicht Ihnen nicht zur Ehr. Man weiß ja doch, daß Ihre seelige Frau Ihr göttlicher Ruf war, sonst säßen Sie noch itzt beym Herrn von Tiesen und düngten ihm seinen Acker. Jemine! daß Ihr Herrn uns doch immer einen so ehrwürdigen schwarzen Dunst vor Augen machen wollt. Noch nie hat ein Edelmann einen Hofmeister angenommen, wo er ihm nicht hinter eine Allee von acht neun Sklavenjahren ein schön Gemählde von Beförderung gestellt hat und wenn Ihr acht Jahr gegangen waret, so macht' ers wie Laban und rückte das Bild um noch einmal so weit vorwärts. Possen! lernt etwas und seyd brave Leut. Der Staat wird Euch nicht lang am Markt stehen lassen. Brave Leut sind allenthalben zu brauchen, aber Schurken, die den Namen vom Gelehrten nur auf den Zettel tragen und im Kopf ist leer Papier ...

Pastor.
Das ist sehr allgemein gesprochen, Herr Rath! – Es müssen doch, bey Gott! auch Hauslehrer in der Welt seyn; nicht jedermann kann gleich geheimer Rath werden und wenn er gleich ein Hugo Grotius wär. Es gehören heutiges Tags andere Sachen dazu als Gelehrsamkeit. –

Geh. Rath.
Sie werden warm, Herr Pastor! – Lieber, werther Herr Pastor, lassen Sie uns den Faden unsers Streits nicht verlieren. Ich behaupte: es müssen keine Hauslehrer in der Welt seyn! das Geschmeis taucht den Teufel zu nichts.

Pastor.
Ich bin nicht hergekommen mir Grobheiten sagen zu lassen: ich bin auch Hauslehrer gewesen. Ich habe die Ehre – –

Geh. Rath.
Warten Sie; bleiben Sie, lieber Herr Pastor! Behüte mich der Himmel! Ich habe Sie nicht beleidigen wollen und wenn's wider meinen Willen geschehen ist, so bitt' ich Sie tausendmahl um Verzeihung. Es ist einmal meine üble Gewohnheit, daß ich gleich in Feuer gerathe, wenn mir ein Gespräch interessant wird: alles übrige verschwinde mir denn aus dem Gesicht und ich sehe nur den Gegenstand, von dem ich spreche.

Pastor.
Sie schütten, – Verzeihen Sie mir, ich bin auch ein Cholerikus, und rede gern von der Lunge ab. – Sie schütten das Kind mit dem Bade aus. Hauslehrer taugen zu nichts. – Wie können Sie mir das beweisen? Wer soll Euch jungen Herrn denn Verstand und gute Sitten beibringen Was wär aus Ihnen geworden, mein werther Herr geheimer Rath, wenn Sie keinen Hauslehrer gehabt hätten?

Geh. Rath.
Ich bin von meinem Vater zur öffentlichen Schul gehalten worden, und seegne seine Asche dafür, und so hoff' ich, wird mein Sohn Fritz auch dereinst thun.

Pastor.
Ja, – da ist aber noch viel drüber zu sagen Herr! Ich meiner Seits bin Ihrer Meynung nicht; ja wenn die öffentlichen Schulen das wären, was sie seyn sollten. – Aber die nüchternen Subjecta, so oft den Classen vorstehen; die pedantischen Methoden, die sie brauchen, die unter der Jugend eingerissenen verderbten Sitten –

Geh. Rath.
Wes ist die Schuld? Wer ist schuld dran, als ihr Schurken von Hauslehrern? Würde der Edelmann nicht von Euch in der Grille gestärkt, einen kleinen Hof anzulegen, wo er als Monarch oben auf dem Thron sitzt, und ihm Hofmeister und Mamsell und ein ganzer Wisch von Tagdieben huldigen, so würd' er seine Jungen in die öffentliche Schule thun müssen; er würde das Geld, von dem er jetzt seinen Sohn zum hochadlichen Dummkopf aufzieht, zum Fond der Schule schlagen: davon könnten denn gescheidte Leute salarirt werden und alles würde seinen guten Gang gehn; das Studentchen müste was lernen, um bey einer solchen Anstalt brauchbar zu werden, und das junge Herrchen, anstatt seine Faullenzerey vor den Augen des Papas und der Tanten, die alle keine Argusse sind, künstlich und manierlich zu verstecken, würde seinen Kopf anstrengen müssen, um es den bürgerlichen Jungen zuvorzuthun, wenn es sich doch von ihnen unterscheiden will. – Was die Sitten anbetrift, das findt sich wahrhaftig. – Wenn er gleich nicht, wie seine hochadliche Vettern, die Nase von Kindesbeinen an höher tragen lernt als andere, und in einem nachläßigen Ton, von oben herab, Unsinn sagen, und Leuten ins Gesicht sehen, wenn sie den Hut vor ihm abziehen, um ihnen dadurch anzudeuten, daß sie auf kein Gegencompliment warten sollen. Die feinen Sitten hol der Teufel! Man kann dem Jungen Tanzmeister auf der Stube halten, und ihn in artige Gesellschaften führen, aber er muß durchaus nicht aus der Sphäre seiner Schulkamraden herausgehoben, und in der Meinung gestärkt werden, er sey eine bessere Kreatur als andere.

Pastor.
Ich habe nicht Zeit, (zieht die Uhr heraus) mich in den Disput weiter mit Ihnen einzulassen, gnädiger Herr; aber so viel weiß ich, daß der Adel überall nicht ihrer Meinung seyn wird.

Geh. Rath.
So sollten die Bürger meiner Meynung seyn. – Die Noth würde den Adel schon auf andere Gedanken bringen, und wir könnten uns bessere Zeiten versprechen. Sapperment, was kann aus unserm Adel werden, wenn ein einziger Mensch das Faktotum bey dem Kinde seyn soll, ich setz' auch den unmöglichen Fall, daß er ein Polyhistor wäre, wo will der eine Mann Feuer und Muth und Thätigkeit hernehmen, wenn er alle seine Kräfte auf einen Schaafskopf concentriren soll, besonders wenn Vater und Mutter sich kreutz und die quer immer mit in die Erziehung mengen, und dem Faß, in welches er füllt, den Boden immer wieder ausschlagen?

Pastor.
Ich bin um zehn Uhr zu einem Kranken bestellt. Sie werden mir verzeihen. – (Im Abgehen wendt er sich um) Aber wär's nicht möglich, gnädiger Herr, daß Sie Ihren zweyten Sohn nur auf ein halb Jährchen zum Herrn Major in die Kost thäten? Mein Sohn will gern mit achtzig Dukaten zufrieden seyn, aber mit sechzigen, die ihm der Herr Bruder geben wollen, da kann er nicht von subsistiren.

Geh. Rath.
Laß ihn quittiren. – Ich thu es nicht, Herr Pastor! Davon bin ich nicht abzubringen. Ich will Ihrem Herrn Sohn die dreyßig Dukaten lieber schenken; aber meinem Sohn geb ich zu keinem Hofmeister. (Der Pastor hält ihm einen Brief hin) Was soll ich damit? Es ist alles umsonst, sag ich Ihnen.

Pastor.
Lesen Sie – Lesen Sie nur. –

Geh. Rath.
Je nun, ihm ist nicht – (liest) – – wenden Sie doch alles an, den Herrn geheimen Rath dahin zu vermögen, – – Sie können Sich nicht vorstellen, wie elend es mir hier geht; nichts wird mir gehalten, was mir ist versprochen worden. Ich speise nur mit der Herrschaft, wenn keine Fremde da sind, – – das ärgste ist, daß ich gar nicht von hier komme und in einem ganzen Jahr meinen Fuß nicht aus Heidelbrunn habe setzen – man hatte mir ein Pferd versprochen, alle Vierteljahr einmal nach Königsberg zu reisen, als ich es foderte, fragte mich die gnädige Frau, ob ich nicht lieber zum Carneval nach Venedig wollte. – (wirft den Brief an die Erde.) Je nun, laß ihn quittiren; warum ist er ein Narr und bleibt da?

Pastor.
Ja das ist eben die Sache. (hebt den Brief auf) Belieben Sie doch nur auszulesen.

Geh. Rath.
Was ist da zu lesen? – (liest) Dem ohngeachtet kann ich dies Haus nicht verlassen, und sollt' es mich Leben und Gesundheit kosten. So viel darf ich Ihnen sagen, daß die Aussichten in eine selige Zukunft mir alle die Mühseligkeiten meines gegenwärtigen Standes – Ja, das sind vielleicht Aussichten in die selige Ewigkeit, sonst weiß ich keine Aussichten, die mein Bruder ihm eröfnen könnte. Er betrügt sich, glauben Sie mirs; schreiben Sie ihm zurück, daß er ein Thor ist. Dreyßig Dukaten will ich ihm dies Jahr aus meinem Beutel Zulage geben, aber ihn auch zugleich gebeten haben, mich mit allen fernern Anwerbungen um meinen Karl zu verschonen: denn ihm zu Gefallen werd' ich mein Kind nicht verwahrlosen.

Zweyte Scene.

In Heidelbrunn.
Gustchen. Läuffer.

Gustchen.
Was fehlt ihnen dann?

Läuffer.
Wie stehts mit meinem Porträt? Nicht wahr, Sie haben nicht dran gedacht? Wenn ich auch so saumselig gewesen wäre – Häte ich das gewußt: ich hätt Ihren Brief so lang zurückgehalten, aber ich war ein Narr.

Gustchen.
Ha ha ha. Lieber Herr Hofmeister! Ich habe wahrhaftig noch nicht Zeit gehabt.

Läuffer.
Grausame!

Gustchen.
Aber was fehlt Ihnen denn? Sagen Sie mir doch! So tiefsinnig sind Sie ja noch nie gewesen. Die Augen stehn Ihnen ja immer voll Wasser: ich habe gemerkt, Sie essen nichts.

Läuffer.
Haben Sie? In der That? Sie sind ein rechtes Muster des Mitleidens.

Gustchen.
O Herr Hofmeister – –

Läuffer.
Wollen Sie heut Nachmittag Zeichenstunde halten?

Gustchen. (faßt ihn an die Hand)
Liebster Herr Hofmeister! verzeihen Sie, daß ich sie gestern aussetzte. Es war mir wahrhaftig unmöglich zu zeichnen; ich hatte den Schnuppen auf eine erstaunende Art.

Läuffer.
So werden Sie ihn wohl heute noch haben. Ich denke, wir hören ganz auf zu zeichnen. Es macht Ihnen kein Vergnügen länger.

Gustchen (halbweinend)
Wie können Sie das sagen, Herr Läuffer? Es ist das einzige, was ich mit Lust thue.

Läuffer.
Oder Sie versparen es bis auf den Winter in die Stadt und nehmen einen Zeichenmeister. Ueberhaupt werd ich Ihren Herrn Vater bitten, den Gegenstand Ihres Abscheues, Ihres Hasses, Ihrer ganzen Grausamkeit von Ihnen zu entfernen. Ich sehe doch, daß es Ihnen auf die Länge unausstehlich wird, von mir Unterricht anzunehmen.

Gustchen.
Herr Läuffer –

Läuffer.
Lassen Sie mich – Ich muß sehen, wie ich das elende Leben zu Ende bringe, weil mir doch der Tod verboten ist –

Gustchen.
Herr Läuffer –

Läuffer.
Sie foltern mich. – (reißt sich loß und geht ab.)

Gustchen.
Wie dauert er mich!

Dritte Scene.

Zu Halle in Sachsen.
Pätus Zimmer.
Fritz von Berg.
Pätus (im Schlafrock an einem Tisch sitzend.)

Pätus.
Ey was Berg! Du bist ja kein Kind mehr, daß du nach Papa und Mama – Pfuy Teufel! ich hab Dich allezeit für einen braven Kerl gehalten, wenn Du nicht mein Schulkamerad wärst: ich würde mich schämen mit Dir umzugehen.

Fritz.
Pätus, auf meine Ehr, es ist nicht Heimweh, Du machst mich bis über die Ohren roth mit dem dummen Verdacht. Ich möchte gern Nachricht von Hause haben, das gesteh' ich, aber das hat seine Ursachen – –

Pätus.
Gustchen – Nicht wahr? Denk doch, Du arme Seele! Hundertachtzig Stunden von ihr entfernt – Was für Wälder und Ströme liegen nicht zwischen Euch? Aber warte, wir haben hier auch Mädchen; wenn ich nur besser besponnen wäre, ich wollte Dich heut in eine Gesellschaft führen – Ich weiß nicht, wie Du auch bist; ein Jahr in Halle und noch mit keinem Mädchen gesprochen: das muß melancholisch machen; es kann nicht anders seyn. Warte, Du must mir hier einziehen, daß Du lustig wirst. Was machst Du da bey dem Pfarrer? Das ist keine Stube für Dich –

Fritz.
Was zahlst Du hier?

Pätus.
Ich zahle – Wahrhaftig, Bruder, ich weiß es nicht. Es ist ein guter ehrlicher Philister, bey dem ich wohne: seine Frau ist freylich bisweilen ein bischen wunderlich, aber mags. Was gehts mich an? Wir zanken uns einmal herum und denn laß ich sie laufen: und die schreiben mir alles auf. Hausmiethe, Kaffee, Tabak; alles was ich verlange, und denn zahl' ich die Rechnung alle Jahre, wenn mein Wechsel kommt.

Fritz.
Bist du jetzt viel schuldig?

Pätus.
Ich habe die vorige Woche bezahlt. Das ist wahr, diesmal haben Sie mirs arg gemacht: mein ganzer Wechsel hat herhalten müssen bis auf den letzten Pfennig, und mein Rock, den ich Tags vorher versetzt hatte, weil ich in der äussersten Noth war, steht noch zu Gevattern. Weiß der Himmel, wenn ich ihn wieder einlösen kann.

Fritz.
Und wie machst Dus denn itzt?

Pätus.
Ich? – Ich bin krank. Heut morgen hat mich die Frau Räthin Hamster invitiren lassen, gleich kroch ich ins Bett ...

Fritz.
Aber bey dem schönen Wetter immer zu Hause zu sitzen.

Pätus.
Was macht das? des Abends geh ich im Schlafrock spatzieren, es ist ohnedem in den Hundstagen am Tage nicht auszuhalten – Aber Potz Mordio! Wo bleibt denn mein Kaffee? (pocht mit dem Fuß) Frau Blitzer! – Nun sollst Du sehn, wie ich meinen Leuten umspringe – Frau Blitzer! in aller Welt Frau Blitzer. (klingelt und pocht) – Ich habe sie kürzlich bezahlt: nun kann ich schon breiter thun – Frau ...

Frau Blitzer. (tritt herein mit einer Portion Kaffee.)

Pätus.
In aller Welt, Mutter! wo bleibst Du denn? Das Wetter soll Dich regieren. Ich warte hier schon über eine Stunde –

Frau Blitzer.
Was? Du nichtsnutziger Kerl, was lärmst Du? Bist Du schon wieder nichts nutz, abgeschabte Laus? Den Augenblick trag ich meinen Kaffee wieder herunter –

Pätus (gießt sich ein)
Nun, nun, nicht so böse Mutter! aber Zwieback – Wo ist denn Zwieback?

Frau Blitzer.
Ja, kleine Steine Dir! Es ist kein Zwieback im Hause. Denk doch, ob so ein kahler lausichter Kerl nun alle Nachmittag Zwieback frißt oder nicht – –

Pätus.
Was tausend alle Welt! (stampft mit dem Fuß) Sie weiß, daß ich keinen Kaffee ohne Zwieback ins Maul nehme – Wofür gebe ich denn mein Geld aus –

Frau Blitzer. (langt ihm Zwieback aus der Schürze, wobey sie ihn an den Haaren zupft.)
Da siehst Du, da ist Zwieback, Posaunenkerl! Er hat eine Stimme wie ein ganzes Regiment Soldaten. Nu, ist der Kaffee gut? Ist er nicht? Gleich sag mirs, oder ich reiß Ihm das letzte Haar aus Seinem kahlen Kopf heraus.

Pätus (trinkt)
Unvergleichlich – Aye! – Ich hab in meinem Leben keinen bessern getrunken.

Frau Blitzer.
Siehst Du Hundejunge! Wenn Du die Mutter nicht hättest, die sich Deiner annähme und Dir zu essen und zu trinken gäbe, Du müstest an der Strasse verhungern. Sehen Sie ihn einmal an, Herr von Berg, wie er daher geht, keinen Rock auf dem Leibe und sein Schlafrock ist auch, als ob er darin wär aufgehenkt worden und wieder vom Galgen gefallen. Sie sind doch ein hübscher Herr, ich weiß nicht wie Sie mit dem Menschen umgehen können, nun freylich unter Landsleuten da ist immer so eine kleine Blutsverwandschaft, drum sag ich immer, wenn doch der Herr von Berg zu uns einlogiren thäte. Ich weiß, daß Sie viel Gewalt über ihn haben: da könnte doch noch was ordentliches aus ihm werden, aber sonst wahrhaftig – (geht ab)

Pätus.
Siehst Du, ist das nicht ein gut fidel Weib. Ich seh' ihr all etwas durch die Finger, aber potz, wenn ich auch einmal ernsthaft werde, kusch ist sie wie die Wand – Willst Du nicht eine Tasse mit trinken? (gießt ihm ein) Siehst Du, ich bin hier wohl bedient; ich zahle was rechts, das ist wahr, aber dafür hab' auch ich was ...

Fritz. (trinkt.)
Der Kaffee schmeckt nach Gerste.

Pätus.
Was sagst Du? – (schmeckt gleichfalls) Ja wahrhaftig, mit dem Zwieback hab' ichs nicht so – (sieht in die Kanne) Nun so hol Dich! (wirft das Kaffeezeug zum Fenster hinaus) Gerstenkaffee und fünfhundert Gulden jährlich! –

Frau Blitzer. (stürzt herein)
Wie? Was zum Teufel, was ist das? Herr, ist Er rasend oder plagt Ihn gar der Teufel? –

Pätus.
Still Mutter!

Frau Blitzer. (mit gräßlichem Geschrey)
Aber wo ist mein Kaffeezeug? Ey! zum Henker! aus dem Fenster – Ich kratz' Ihm die Augen aus dem Kopf heraus.

Pätus.
Es war eine Spinne darin und ich warf's in der Angst – Was kann ich dafür, daß das Fenster offen stand?

Frau Blitzer.
Daß Du verreckt wärst an der Spinne, wenn ich Dich mit Haut und Haar verkaufe, so kannst Du mir mein Kaffeezeug nicht bezahlen, nichtswürdiger Hund! Nichts als Schaden und Unglück kann Er machen. Ich will Dich verklagen; ich will Dich in Karcer werfen lassen. (läuft heraus)

Pätus (lachend)
Was ist zu machen, Bruder! man muß sie schon ausrasen lassen.

Fritz.
Aber für Dein Geld?

Pätus.
Ey was! – Wenn ich bis Weyhnachten warten muß, wer wird mir sogleich bis dahin kreditiren? Und denn ists ja nur ein Weib und ein närrisch Weib dazu, dem's nicht immer so von Herzen geht- wenn mirs der Mann gesagt hätte, das wär was anders, dem schlüg' ich das Leder voll – Siehst Du wohl!

Fritz.
Hast Du Feder und Tinte?

Pätus.
Dort auf dem Fenster –

Fritz.
Ich weiß nicht, das Herz ist mir so schwer – Ich habe nie was auf Ahndungen gehalten.

Pätus.
Ja mir auch – Die Döbblinsche Gesellschaft ist angekommen. Ich möchte gern in die Komödie gehn und habe keinen Rock anzuziehen. Der Schurke mein Wirth leyht mir keinen und ich bin eine so große dicke Bestie, daß mir keiner von all Euren Röcken passen würde.

Fritz.
Ich muß gleich nach Hause schreiben. (setzt sich an ein Fenster nieder und schreibt)

Pätus (setzt sich einem Wolfspelz gegenüber, der an der Wand hängt)
Hm! nichts als den Pelz gerettet, von allen meinen Kleidern, die ich habe, und die ich mir noch wollte machen lassen. Grade den Pelz, den ich im Sommer nicht tragen kann, und den mir nicht einmal der Jude zum Versatz annimmt, weil sich der Wurm leicht hineinsetzt. Hanke, Hanke! das ist doch unverantwortlich, daß Du mir keinen Rock auf Pump machen willst. (steht auf und geht herum) Was hab' ich Dir gethan, Hanke, daß Du just mir keinen Rock machen willst? Just mir, der ich ihn am nöthigsten brauche, weil ich jetzo keinen habe, just mir! – Der Teufel muß Dich besitzen, er macht Hunz und Kunz auf Kredit und just mir nicht! (faßt sich an den Kopf und stampft mit dem Fuß) Just mir nicht, just mir nicht! –

Bollwerk. (der sich mittlerweile hineingeschlichen und ihm zugehört, faßt ihn an: er kehrt sich um und bleibt stumm vor Bollwerk stehen) Ha ha ha ... Nun du armer Pätus – ha ha ha! Nicht wahr, es ist doch ein gottloser Hanke, daß er just Dir nicht – Aber, wo ist das rothe Kleid mit Gold, das Du bey ihm bestellt hast, und das blauseidne mit der silberstücknen Weste, und das rothsammetne mit schwarz Sammet gefüttert, das wär vortreflich bey dieser Jahrszeit. Sage mir! antworte mir! Der verfluchte Hanke! Wollen wir gehn und ihm die Haut vollschlagen? Wo bleibt er so lang mit Deiner Arbeit? Wollen wir?

Pätus (wirft sich auf einen Stuhl)
Laß mich zufrieden.

Bollwerk.
Aber hör Pätus, Pätus, Pä Pä Pä Pätus (setzt sich zu ihm) Döbblin ist angekommen. Hör Pä Pä Pä Pä Pätus, wie wollen wir das machen? Ich denke, Du ziehst Deinen Wolfspelz an und gehst heut Abend in die Komödie. Was schadt's, Du bist doch fremd hier – und die ganze Welt weiß, daß Du vier Paar Kleider bey Hanke bestellt hast. Ob er sie Dir machen wird, ist gleich viel! – Der verfluchte Kerl! Wollen ihm die Fenster einschlagen, wenn er sie Dir nicht macht!

Pätus (heftig)
Laß mich zufrieden, sag ich Dir.

Bollwerk.
Aber hör .. aber .. aber .. hör hör hör' Pätus; nimm Dich in Acht Pätus! daß Du mir des Nachts nicht mehr im Schlafrock auf der Gasse läufst. Ich weiß, daß Du bange bist vor Hunden; es ist eben ausgetrummelt worden, daß zehn wütige Hunde in der Stadt herumlaufen sollen; sie haben schon einige Kinder gebissen: zwey sind noch davon kommen, aber vier sind auf der Stelle gestorben. Das machen die Hundstage? Nicht wahr Pätus? Es ist gut, daß Du jetzt nicht ausgehen kannst. Nicht wahr? Du gehst itzt mit allem Fleiß nicht aus? Nicht wahr Pä Pä Pätus?

Pätus.
Laß mich zufrieden ... oder wir verzürnen uns.

Bollwerk.
Du wirst doch kein Kind seyn – Berg, kommen Sie mit in die Komödie?

Fritz. (zerstreut)
Was? – Was für Komödie?

Bollwerk.
Es ist eine Gesellschaft angekommen – Legen Sie die Schmieralien weg. Sie können ja auf den Abend schreiben. Man giebt heut Minna von Barnhelm.

Fritz.
O die muß ich sehen. – (steckt seine Briefe zu sich) Armer Pätus, daß Du keinen Rock hast. –

Bollwerk.
Ich lieh' ihm gern einen, aber es ist hol mich der Teufel mein einziger, den ich auf dem Leibe habe – (gehn ab)

Pätus (allein)
Geht zum Teufel mit Eurem Mitleiden! Das ärgert mich mehr als wenn man mir ins Gesicht schlüge – – Ey was mach ich mir draus. (zieht seinen Schlafrock aus) Laß die Leute mich für wahnwitzig halten! Minna von Barnhelm muß ich sehen und wenn ich nackend hingehen sollte! (zieht den Wolfspelz an) Hanke, Hanke! es soll Dir zu Hause kommen! (stampft mit dem Fuß) Es soll dir zu Hause kommen! (geht)

Vierte Scene.

Frau Hamster. Jungfer Hamster. Jungfer Knicks.

Jungfer Knicks.
Ich kanns Ihnen vor Lachen nicht erzehlen, Frau Räthin, ich muß krank vor Lachen werden. Stellen Sie Sich vor: wir gehen mit Jungfer Hamster im Gäßchen hier nah bey, so läuft uns ein Mensch im Wolfspelz vorbey, als ob er durch Spießruthen gejagt würde; drey große Hunde hinter ihm drein. Jungfer Hamster bekam einen Schubb, daß sie mit dem Kopf an die Mauer schlug und überlaut schreyen muste.

Frau Hamster.
Wer war es denn?

Jungfer Knicks.
Stellen Sie Sich vor, als wir ihm nachsahen, war's Herr Pätus – Er muß rasend worden seyn.

Frau Hamster.
Mit einem Wolfspelz in dieser Hitze!

Jungfer Hamster. (hält sich den Kopf)
Ich glaube noch immer, er ist aus dem hitzigen Fieber aufgesprungen. Er ließ uns heut Morgen sagen, er sey krank.

Jungfer Knicks.
Und die drey Hunde hinter ihm drein, das war das lustigste. Ich hatte mir vorgenommen heut in die Komödie zu gehen, aber nun mag ich nicht, ich würde doch da nicht soviel zu lachen kriegen. Das vergeß ich mein Lebtage nicht. Seine Haare flogen ihm nach wie der Schweif an einem Kometen, und je eyfriger er lief, desto eyfriger schlugen die Hunde an und er hatte das Herz nicht, sich einmal umzusehen .. Das war unvergleichlich!

Frau Hamster.
Schrie er nicht? Er wird gemeynt haben, die Hunde seyn wütig.

Jungfer Knicks.
Ich glaub, er hatte keine Zeit zum Schreyen, aber roth war er wie ein Krebs und hielt das Maul offen, wie die Hunde hinter ihm drein – O das war nicht mit Geld zu bezahlen! ich gäbe nicht meine Schnur ächter Perlen darum, daß ich das nicht gesehen.

Fünfte Scene.

In Heidelbrunn.
Augustchens Zimmer.
Gustchen. (liegt auf dem Bette)
Läuffer. (sitzt am Bette)

Läuffer.
Stell Dir vor Gustchen, der geheime Rath will nicht. Du siehst, daß Dein Vater mir das Leben immer saurer macht: nun will er mir gar aufs folgende Jahr nur vierzig Dukaten geben. Wie kann ich das aushalten? Ich muß quittiren.

Gustchen.
Grausamer, und was werd ich denn anfangen? (nachdem beyde eine zeitlang sich schweigend angesehen) Du siehst: ich bin schwach, und krank; hier in der Einsamkeit unter einer barbarischen Mutter – Niemand fragt nach mir, niemand bekümmert sich um mich: meine ganze Familie kann mich nicht mehr leiden; mein Vater selber nicht mehr: ich weiß nicht warum.

Läuffer.
Mach, daß Du zu meinem Vater in die Lehre kommst; nach Insterburg.

Gustchen.
Da kriegen wir uns nie zu sehen. Mein Onkel leidt es nimmer, daß mein Vater mich zu Deinem Vater ins Haus giebt.

Läuffer.
Mit dem verfluchten Adelstolz!

Gustchen. (nimmt seine Hand)
Wenn Du auch böse wirst, Herrmannchen! (küßt sie) O Tod! Tod! warum erbarmst Du Dich nicht!

Läuffer.
Rathe mir selber – Dein Bruder ist der ungezogenste Junge den ich kenne: neulich hat er mir eine Ohrfeige gegeben und ich durft ihm nichts dafür thun, durft nicht einmal drüber klagen. Dein Vater hätt ihm gleich Arm und Bein gebrochen und die gnädige Mama alle Schuld zuletzt auf mich geschoben.

Gustchen.
Aber um meinetwillen – Ich dachte, Du liebtest mich.

Läuffer. (stützt sich mit der andern Hand auf ihrem Bett, indem sie fortfährt seine eine Hand von Zeit zu Zeit an die Lippen zu bringen.)
Laß mich denken. (bleibt nachsinnend sitzen)

Gustchen. (in der beschriebenen Pantomime)
O Romeo! Wenn dies Deine Hand wäre. – Aber so verlässest Du mich, unedler Romeo! Siehst nicht, daß Deine Julie für Dich stirbt – von der ganzen Welt, von ihrer ganzen Familie gehaßt, verachtet, ausgespyen. (drückt seine Hand an ihre Augen) O unmenschlicher Romeo!

Läuffer. (sieht auf)
Was schwärmst Du wieder?

Gustchen.
Es ist ein Monolog aus einem Trauerspiel, den ich gern recitire, wenn ich Sorgen habe. (Läuffer fällt wieder in Gedanken, nach einer Pause fängt sie wieder an) Vielleicht bist Du nicht ganz strafbar. Deines Vaters Verbot, Briefe mit mir zu wechseln, aber die Liebe setzt über Meere und Ströme, über Verbot und Todesgefahr selbst – Du hast mich vergessen .. Vielleicht besorgtest Du für mich – ja, – ja, Dein zärtliches Herz sah, was mir drohte, für schröcklicher an, als das was ich leide. (küßt Läuffers Hand inbrünstig) O göttlicher Romeo!

Läuffer. (küßt ihre Hand lange wieder und sieht sie eine Weile stumm an)
Es könnte mir gehen wie Abälard –

Gustchen. (richtet sich auf)
Du irrst Dich – Meine Krankheit liegt im Gemüth – Niemand wird Dich muthmaßen – (fällt wieder hin) Hast Du die neue Heloise gelesen?

Läuffer.
Ich höre was auf dem Gang nach der Schulstube. –

Gustchen.
Meines Vaters – Um Gotteswillen! – Du bist drey Viertelstund zu lang hiergeblieben.

(Läuffer läuft fort)

Sechste Scene.

Die Majorin. Graf Wermuth.

Graf.
Aber gnädige Frau! kriegt man denn Fräulein Gustchen gar nicht mehr zu sehen? Wie befindt sie sich auf die vorgestrige Jagd?

Majorin.
Zu Ihrem Befehl; sie hat die Nacht Zahnschmerzen gehabt, darum darf sie sich heut nicht sehen lassen. Was macht Ihr Magen, Graf! auf die Austern?

Graf.
O das bin ich gewohnt. Ich habe neulich mit meinem Bruder ganz allein auf unsre Hand sechshundert Stück aufgegessen und zwanzig Bouteillen Champagner dabey ausgetrunken.

Majorin.
Rheinwein wollten Sie sagen.

Graf.
Champagner – Es war eine Idee, und ist uns beyden recht gut bekommen. Denselben Abend war Ball in Königsberg, mein Bruder hat bis an den andern Mittag getanzt und ich Geld verloren.

Majorin.
Wollen wir ein Piquet machen?

Graf.
Wenn Fräulein Gustchen käme, macht' ich ein Paar Touren im Garten mit ihr. Ihnen, gnädige Frau, darf ichs nicht zumuthen; mit Ihrer Fontenelle am Fuß.

Majorin.
Ich weiß auch nicht, wo der Major immer steckt. Er ist in seinem Leben so rasend nicht auf die Oekonomie gewesen; den ganzen ausgeschlagenen Tag auf dem Felde und wenn er nach Hause kommt, sitzt er stumm wie ein Stock. Glauben Sie, daß ich anfange mir Gedanken drüber zu machen.

Graf.
Er scheint melancholisch.

Majorin.
Weiß es der Himmel – Neulich hatt' er wieder einmal den Einfall bey mir zu schlafen, und da ist er mitten in der Nacht aus dem Bett' aufgesprungen und hat sich – He he, ich soll es Ihnen nicht erzehlen, aber Sie kennen ja die lächerliche Seite von meinem Mann schon.

Graf.
Und hat sich ...

Majorin.
Auf die Knie niedergeworfen und an die Brust geschlagen und geschluchzt und geheult, daß mir zu grauen anfieng. Ich hab ihn aber nicht fragen mögen, was gehen mich seine Narrheiten an? Mag er Pietist oder Quacker werden. Meinethalben! Er wird dadurch weder häßlicher noch liebenswürdiger in meinen Augen werden, als er ist. (sieht den Grafen schalkhaft an)

Graf. (faßt sie ans Kinn)
Boßhafte Frau! – Aber wo ist Gustchen? Ich möchte gar zu gern mit ihr spatzieren gehn.

Majorin.
Still da kommt ja der Major ... Sie können mit ihm gehen, Graf.

Graf.
Denk doch – Ich will nun aber mit Ihrer Tochter gehn.

Majorin.
Sie wird noch nicht angezogen seyn: es ist was unausstehliches, wie faul das Mädchen ist –

(Major von Berg kommt im Nachtwämmschen, einen Strohhut auf.)

Majorin.
Nun wie stehts, Mann? Wo treiben Sie Sich denn wieder herum? Man kriegt Sie ja den ganzen Tag nicht zu sehen. Sehn Sie ihn nur an Herr Graf; sieht er doch wie der Heavtontimorumenos in meiner großen Madame Dacier abgemahlt – Ich glaube, Du hast gepflügt, Herr Major? Wir sind itzt in den Hundstagen.

Graf.
In der That, Herr Major, Sie haben noch nie so übel ausgesehen, blaß, hager, Sie müssen etwas haben, das Ihnen auf dem Gemüth liegt, was bedeuten die Thränen in Ihren Augen, sobald man Sie aufmerksam ansieht? Ich kenne Sie doch zehn Jahr schon und habe Sie nie so gesehen, selbst da nicht, als Ihr Bruder starb.

Majorin.
Geitz, nichts als der leidige Geitz, er meynt, wir werden verhungern, wenn er nicht täglich wie ein Maulwurf auf dem Felde wühlt. Bald gräbt er, bald pflügt er, bald eggt er. Du willst doch nicht Bauer werden? Du mußt mir vorher einen andern Mann geben, der die Aufsicht über Dich führt.

Major.
Ich muß wohl schaffen und scharren, meiner Tochter einen Platz im Hospital auszumachen.

Majorin.
Was sind das nun wieder für Phantasien! – Ich muß wahrhaftig den Doktor Würz noch aus Königsberg holen lassen.

Major.
Du siehst nimmer nichts, vornehme Frau! daß Dein Kind von Tag zu Tag abfällt, daß sie Schönheit, Gesundheit und den ganzen Plunder verliert und dahergeht, als ob sie, hol mich der Teufel – Gott verzeyh mir meine schwere Sünde, – als ob der arme Lazarus sie gemacht hätte – Es frißt mir die Leber ab –

Majorin.
Hören Sie ihn nur! Wie er mich anfährt! Bin ich schuld daran? Bist du denn wahnwitzig?

Major.
Ja freylich bist Du schuld daran, oder was ist sonst schuld daran? Ich kann's, zerschlag mich der Donner! nicht begreifen. Ich dacht immer, ihr eine der ersten Parthien im Reich auszumachen; denn sie hat auf der ganzen Welt an Schönheit nicht ihres gleichen gehabt und nun sieht sie aus wie eine Kühmagd – Ja freilich bist Du schuld daran mit Deiner Strenge und Deinen Grausamkeiten und Deinem Neid, das hat sie sich zu Gemüth gezogen und das ist ihr nun zum Gesicht herausgeschlagen, aber das ist Deine Freude, gnädige Frau, denn Du bist lang schalu über sie gewesen. Das kannst Du doch nicht leugnen? Solltst Dich in Dein Herz schämen, wahrhaftig! (geht ab)

Majorin.
Aber ... aber was sagen Sie dazu, Herr Graf! Haben Sie in Ihrem Leben eine ärgere Kollektion von Sottisen gesehen?

Graf.
Kommen Sie; wir wollen Piquet spielen, bis Fräulein Gustchen angezogen ist..

Siebente Scene.

In Halle.
Fritz von Berg. (im Gefängniß) Bollwerk.
von Seiffenblase und sein Hofmeister (stehn um ihn)

Bollwerk.
Wenn ich doch den Jungen hier hätte, daß Fell zög' ich ihm über die Ohren. Es ist mit alledem doch infam gehandelt, einen ehrlichen Jungen, wie Berg, ins Karcer zu bringen; da sich keiner sein hat annehmen wollen. Denn das ist ja wahr, kein einziger Landsmann hat den Fuß vor die Thür seinethalben gesetzt. Wenn Berg nicht gut für ihn gesagt hätte, wär' er im Gefängniß verfault. Und in vierzehn Tagen soll das Geld hier seyn und wo er den Berg in Verlegenheit läßt, soll man ihn für einen ausgemachten Schurken halten. O du verdammter Pä Pä Pä Pä Pätus! Wart Du verhenkerter Pätus, wart einmal! –

Hofmeister.
Ich kann Ihnen nicht genug beschreiben, lieber Herr von Berg, wie leyd es mir besonders um Ihres Herrn Vaters und der Familie willen thut, Sie in einem solchen Zustande zu sehen und noch dazu ohne Ihre Schuld, aus blosser jugendlicher Unbesonnenheit. Es hat schon einer von den sieben Weisen Griechenlandes gesagt, für Bürgschaften sollst du dich in Acht nehmen und in der That es ist nichts unverschämter, als daß ein junger Durchbringer, der sich durch seine lüderliche Wirthschaft ins Elend gestürzt hat, auch andere mit hineinziehen will, denn vermuthlich hat er das gleich anfangs im Sinne gehabt, als er auf der Akademie Ihre Freundschaft suchte.

Herr von Seiffenblase.
Jaja, lieber Bruder Berg! nimm mir nicht übel, da hast Du einen großen Bock gemacht. Du bist selbst schuld daran; dem Kerl hättst Du's doch gleich ansehen können, daß er Dich betrügen würde. Er ist bey mir auch gewesen und hat mich angesprochen: er wär' aufs äusserste getrieben, seine Kreditores wollten ihn wegstecken lassen, wo ihn nicht Sonn noch Mond beschiene. Laß sie dich, dachte ich, es schadt dir nichts. Das ist dafür, daß Du uns sonst kaum über die Achsel ansahst, aber wenn ihr in Noth seyd, da sind die Adelichen zu Kaventen gut genug. Er erzehlte mir Langes und Breites; er hätte seine Pistolen schon geladen, im Fall die Kreditores ihn angriffen – Und nun läßt der lüderliche Hund Dich an seiner Stelle prostituiren. Das ist wahr, wenn mir das geschehen wäre: ich könnte so ruhig nicht dabey seyn: zwischen vier Mauren der Herr von Berg und das um eines lüderlichen Studenten willen.

Fritz.
Er war mein Schulkamerad – – Laßt ihn zufrieden. Wenn ich mich nicht über ihn beklage, was geht's Euch an? Ich kenn' ihn länger als Ihr; ich weiß, daß er mich nicht mit seinem guten Willen hier sitzen läßt.

Hofmeister.
Aber, Herr von Berg, wir müssen in der Welt mit Vernunft handeln. Sein Schade ist es gewiß nicht, daß Sie hier für ihn sitzen und seinethalben können Sie noch ein Sekulum so sitzen bleiben –

Fritz.
Ich hab' ihn von Jugend auf gekannt: wir haben uns noch niemals was abgeschlagen. Er hat mich wie seinen Bruder geliebt, ich ihn wie meinen. Als er nach Halle reißte, weint' er zum erstenmal in seinem Leben, weil er nicht mit mir reisen konnte. Ein ganzes Jahr früher hätt' er schon auf die Akademie gehn können, aber um mit mir zusammen zu reisen, stellt' er sich gegen die Präceptores dummer als er war, und doch wollt es das Schicksal und unsre Väter so, daß wir nicht zusammen reißten und das war sein Unglück. Er hat nie gewußt mit Geld umzugehen und gab jedem was er verlangte. Hätt' ihm ein Bettler das letzte Hemd vom Leibe gezogen und dabey gesagt: mit Ihrer Erlaubnis, lieber Herr Pätus, er hätt's ihm gelassen. Seine Kreditores giengen mit ihm um wie Strasenräuber und sein Vater verdiente nie, einen verlornen Sohn zu haben, der bey all seinem Elend ein so gutes Herz nach Hause brachte.

Hofmeister.
O verzeyhn Sie mir, Sie sind jung und sehen alles noch aus dem vortheilhaftesten Gesichtspunkt an: man muß erst eine Weile unter den Menschen gelebt haben um Charaktere beurtheilen zu können. Der Herr Pätus, oder wie er da heißt, hat sich Ihnen bisher immer nur unter der Maske gezeigt; jetzt kommt sein wahres Gesicht erst ans Tageslicht: er muß einer der feinsten und abgefeimtesten Betrüger gewesen seyn, denn die treuherzigen Spitzbuben...

Pätus. (in Reisekleidern fällt Berg um den Hals) Bruder Berg – –

Fritz v. Berg.
Bruder Pätus – –

Pätus.
Nein – laß – zu Deinen Füßen muß ich liegen – Dich hier – um meinetwillen. (rauft sich das Haar mit beyden Händen und stampft mit den Füßen) O Schicksal! Schicksal! Schicksal!

Fritz.
Nun wie ists? Hast Du Geld mitgebracht? Ist Dein Vater versöhnt? Was bedeutet Dein Zurückkommen?

Pätus.
Nichts, nichts – Er hat mich nicht vor sich gelassen – Hundert Meilen umsonst gereißt! – Ihr Diener, Ihr Herren. Bollwerk wein' nicht, Du erniedrigst mich zu tief, wenn Du gut für mich denkst – O Himmel, Himmel!

Fritz.
So bist Du der ärgste Narr, der auf dem Erdboden wandelt. Warum kommst Du zurück? Bist Du wahnwitzig? Haben alle Deine Sinne Dich verlassen? Willst Du, daß die Kreditores Dich gewahr werden – Fort! Bollwerk, führ ihn fort; sieh daß Du ihn sicher aus der Stadt bringst – Ich höre den Pedell – Pätus, ewig mein Feind, wo Du nicht im Augenblick –

Pätus (wirft sich ihm zu Füßen)

Fritz.
Ich möchte rasend werden. –

Bollwerk.
So sey doch nun kein Narr, da Berg so großmüthig ist und für Dich sitzen bleiben will; sein Vater wird ihn schon auslösen: aber wenn Du einmal sitzest, so ist keine Hofnung mehr für Dich; Du must im Gefängniß verfaulen.

Pätus.
Gebt mir einen Degen her ...

Fritz.
Fort! –

Bollwerk.
Fort! –

Pätus.
Ihr thut mir eine Barmherzigkeit, wenn ihr mir einen Degen –

Seiffenblase.
Da haben Sie meinen ..

Bollwerk. (greift ihn in den Arm)
Herr – Schurke! Lassen Sie – Stecken Sie nicht ein! Sie sollen nicht umsonst gezogen haben. Erst will ich meinen Freund in Sicherheit und dann erwarten Sie mich hier – Draußen, wohl zu verstehen; also vor der Hand zur Thür hinaus! (wirft ihn zur Thür hinaus)

Hofmeister.
Mein Herr Bollwerk –

Bollwerk.
Kein Wort, Sie – gehen Sie Ihrem Jungen nach und lehren Sie ihn, kein schlechter Kerl seyn – Sie können mich haben wo und wie Sie wollen. (der Hofmeister geht ab)

Pätus.
Bollwerk! ich will Dein Sekundant seyn.

Bollwerk.
Narr auch! Du thust als – Willst Du mir den Handschuh vielleicht halten, wenn ich vorher eins übern Daumen pisse? – Was brauchts da Sekundanten. Komm nur fort und sekundire Dich zur Stadt hinaus, Hasenfuß.

Pätus.
Aber ihrer sind zwey.

Bollwerk.
Ich wünschte, daß ihrer zehn wären und keine Seiffenblasen drunter – So komm doch, und mach Dich nicht selbst unglücklich, närrischer Kerl.

Pätus.
Berg! – (Bollwerk reißt ihn mit sich fort)


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