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Briefe des Fräulein Ninon de Lenclos an den Marquis de Sevigné

Erster Brief.

Ich, Marquis, soll Ihre Erziehung übernehmen? Ich soll Sie in die Carrière, in die Sie eintreten wollen, einführen!

Das ist wirklich zu viel von meiner Freundschaft verlangt! Sie wissen ja wohl, daß man, sobald eine Frau, die die erste Jugend hinter sich hat, ein gewisses Interesse an einem jungen Manne zu nehmen scheint, von ihr sagt, sie »will ihn in die Welt einführen«, und Sie kennen die spöttische Bosheit, mit der man sich dieses Ausdruckes bedient. Nun, ich möchte mich nicht gern dem aussetzen, daß man das auch von mir sagt. Das einzige also, was ich für Sie tun kann, ist, daß ich mich erbiete, Ihre Vertraute zu sein. In welcher Lage Sie auch immer sein mögen, teilen Sie vertrauensvoll mir alles mit, und ich werde Ihnen dann ehrlich sagen, wie ich darüber denke; ich werde versuchen, Sie Ihr eigenes Herz und das der Frauen kennen zu lehren.

Obgleich ich mir ein gewisses Vergnügen von diesem Ideenaustausch verspreche, so verhehle ich mir doch auch die Schwierigkeiten dieses Unternehmens nicht. Das Herz, über das ich in meinen Briefen mit Ihnen plaudern soll, vereinigt so viel Gegensätze in sich, daß man sich notwendig in Widersprüche verwickeln muß, wenn man davon spricht. Man glaubt es zu fassen und man umarmt einen Schatten. Es ist ein wahres Chamäleon. Von verschiedener Seite angesehen zeigt es die entgegengesetzten Farben, die alle ihre volle Berechtigung haben. Sie müssen sich darauf gefaßt machen, eigentümliche Dinge zu lesen. Ich werde Ihnen offen und einfach meine Ansichten darlegen, die Ihnen vielleicht manchmal mehr seltsam als wahr erscheinen werden, und es hängt von Ihnen ab, welchen Wert Sie ihnen beilegen. Außerdem habe ich noch etwas auf der Seele. Ich sehe ein, daß es unmöglich ist, ganz aufrichtig zu sein, ohne mein eigenes Geschlecht hier und da herabzusetzen. – Aber Sie wollen wissen, was ich über die Liebe und alles, was damit zusammenhängt, denke, und ich habe Mut genug, mich ganz freimütig darüber auszusprechen.

Ich speise heute Abend mit Frau von Sablières und mit Lafontaine bei M. de la R. F. C. Wenn Sie mit dabei sein wollen, so wird Lafontaine Sie mit einigen neuen Geschichten ergötzen, die ebenso vorzüglich wie seine früheren sein sollen. Kommen Sie, Marquis. Sollte übrigens bei dem Abkommen, das wir getroffen, nicht doch eine heimliche Gefahr für mich lauern? Die Liebe ist so hinterlistig. Aber nein, ich habe mein Herz geprüft, es ist ganz ausgefüllt, und die Gefühle, die es für Sie empfindet, gleichen weniger der Liebe wie der Freundschaft. Sollte aber wirklich das Schlimmste eintreten und Ihnen oder mir der Kopf verdreht werden, so werden wir uns so gut wie möglich aus dieser Lage heraus zu ziehen wissen.

Also wir wollen einen Kursus in der Moral durchnehmen. Jawohl, mein Herr, in der Moral! Aber dies Wort darf Sie nicht erschrecken; es wird nur von der Galanterie die Rede sein, und diese beeinflußt so sehr unsere Sitten, daß sie wirklich eines besonderen Studiums wert ist. Unser Plan macht mir sehr viel Spaß, wenngleich ich allen Ernstes Sie zu langweilen fürchte, wenn ich allzu oft Vernunft predige, denn Sie wissen ja schon, daß ich eine unerbittliche Klugrednerin bin. Wenn nur mein Herz von anderer Beschaffenheit wäre, wie es nun mal leider ist, wäre ich die vollendetste Philosophin geworden, die je gelebt hat. Adieu, wir können anfangen, sobald Sie Lust haben.

 

Zweiter Brief.

Ja, mein Herr Marquis, ich werde Wort halten und Ihnen bei jeder Gelegenheit die Wahrheit sagen, selbst dann, wenn es zu meinem eigenen Schaden geschehen sollte. Ich habe mehr Geistesstärke, wie Sie denken, und ich fürchte fast, daß Sie, wenn wir nun in näheren Verkehr treten, manchmal denken werden, daß ich diese Tugend bis zur Strenge ausübe. Aber vergessen Sie nicht, daß ich nur das Äußere einer Frau habe, daß mein Herz und mein Geist vielmehr die eines Mannes sind.

Ich denke folgende Methode bei Ihnen zu befolgen: Vor allen möchte ich mir selbst recht klar über die darzulegenden Dinge sein; ehe ich Ihnen daher meine Ideen mitteile, beabsichtige ich sie dem ausgezeichneten Manne, bei dem wir gestern Abend speisten, darzulegen. Es ist ja wahr, daß er im ganzen keine sehr gute Idee von der armen Menschheit hat. Er glaubt so wenig an die Tugend wie an Gespenster. Aber meine Nachsicht mit den menschlichen Schwächen wird diese Rauheit mildern, und so wird Ihnen, wie ich hoffe, gerade die Art und die Dosis der Weltweisheit offenbart werden, die Sie zu einem ersprießlichen Verkehr mit den Frauen nötig haben. Kommen wir zuerst auf Ihren Brief zurück.

Sie sagen mir, daß Sie, seitdem Sie in das Leben der großen Welt eingetreten sind, darin nichts, aber auch gar nichts von dem gefunden haben, was Sie darin gesucht und ersehnt haben, daß der Ekel und die Langeweile Sie überall verfolgen; daß Sie dann die Einsamkeit suchen und diese Sie bald ebenso langweilt und ermüdet; mit einem Worte, Sie wissen nicht, welchem Umstande Sie die Unruhe, die Sie quält, zuschreiben sollen. Ich will Sie aus dieser Verlegenheit ziehen, denn es ist meines Amtes, Ihnen meine Gedanken über alles zu sagen, was Sie in Ihrem Laufe aufhalten könnte, obwohl ich weiß, daß Sie mir vielleicht Fragen stellen werden, deren Beantwortung für uns beide unbequem sein könnte.

Das Unbehagen, das Sie quält, hat seinen Grund nur darin, daß Ihr Herz keine Beschäftigung hat. Es ist die natürliche Bestimmung des Herzens, zu lieben, und Sie empfinden vorläufig keine warme Neigung. Und dabei haben Sie doch das Bedürfnis zu lieben. Ja, Marquis, als die Natur uns bildete, stattete sie uns mit starkem Gefühl aus, das sich notwendig betätigen will. Ihr Alter nun ist gerade die richtige Zeit für die Liebe, und bis Sie einen würdigen Gegenstand für Ihre Neigung gefunden haben, wird Ihnen stets etwas fehlen, und die Unruhe wird nicht aufhören, Sie zu quälen. Mit einem Worte, die Liebe ist die Nahrung des Herzens und ihm so notwendig wie Essen und Trinken dem Körper; lieben heißt die Gesetze der Natur erfüllen, heißt ein Bedürfnis befriedigen. Wenn es aber irgend möglich ist, so sorgen Sie dafür, daß die Liebe nicht zur Leidenschaft wird. Um Sie vor solch einem Unglück zu bewahren, fühle ich mich beinahe versucht, Ihnen den Rat zu geben, lieber den Verkehr mit liebenswürdigen Frauen zu suchen, die mehr amüsant wie solide sind, als mit solchen, die Ihnen gleichzeitig Achtung und Liebe einzuflößen verstehen. In Ihrem Alter, wo man noch gar nicht an eine ernste Verbindung denken kann, hat man nicht nötig, in der Frau einen Freund zu finden, man sollte in ihr nur die reizende Geliebte suchen. Der Verkehr mit Frauen, die große Grundsätze haben, die ja freilich meist durch die Verheerungen der Zeit dazu gezwungen sind, sich durch geistige Eigenschaften hervorzutun, ist ganz vorzüglich für Männer, die, wie sie selbst, mit der Jugend abgeschlossen haben. Für Sie jedoch würde diese Art von Frauen, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu gute Gesellschaft sein. Man soll sich nie mehr Reichtümer wünschen, als man zum Leben notwendig hat, und das allergescheiteste, was Sie tun könnten, wäre, ein fröhliches Verhältnis mit einem liebenswürdigen Wesen anzuknüpfen, das heitern Sinnes wäre, Geschmack an den Freuden der Gesellschaft hätte und nicht vor einem Liebeshandel zurückschreckte.

Sie werden mir sagen, daß solche Wesen in den Augen eines vernünftigen Mannes unbedeutend und leichtfertig seien, aber glauben Sie mir, es ist unrecht, sie so streng zu beurteilen. Seien Sie überzeugt, Herr Marquis: wenn unglücklicherweise diese Mädchen ernst und solide würden, sie selbst sowohl wie die Männer würden viel dadurch verlieren. Sie verlangen von einer Frau die solidesten und ernstesten Charaktereigenschaften – – aber ist es nicht besser, diese in einem Freunde zu suchen? ... Und – darf ich mich ganz aussprechen: nicht unsere Tugend ist es, deren Ihr Männer bedürft, es ist unsere Heiterkeit, es sind unsere Schwächen. Die Liebe für eine nach allen Richtungen hochachtbare, sogenannte vollkommene Frau könnte leicht gefährlich für Sie werden. Bis zu der Zeit, wo Sie zum Standesamt zu gehen beabsichtigen, sollten Sie sich harmlos mit einer heiteren Schönen zu amüsieren suchen und sich nur leicht und vorübergehend fesseln lassen; aber hüten Sie sich, sich ernsthaft mit ihr zu beschäftigen, denn das sage ich Ihnen vorher, es würde ein böses Ende nehmen. Wenn Sie überhaupt nicht so viel ernster und solider wie die meisten jungen Leute ihres Alters wären, würde ich in einem ganz anderen Tone zu Ihnen sprechen. Sie sollten nur mit einer Frau verkehren, die Sie wie ein liebenswürdiges Kind durch ihre reizenden Torheiten, ihre fröhliche Laune und all die hübschen kleinen Fehler, die der Hauptreiz eines Liebeshandels sind, zu unterhalten und zu fesseln wüßte.

Wollen Sie, daß ich Ihnen sage, was die Liebe so gefährlich macht? Das ist die überspannte Vorstellung, die man sich von ihr macht. Die Wahrheit ist, daß die Liebe, sobald sie zur Leidenschaft geworden, nur noch ein blinder Instinkt ist, den man richtig verstehen muß. Sie ist wie ein Jähhunger, den man plötzlich für eine bestimmte Speise empfindet, ohne daß man sich klar über die Ursache dieses besonderen Geschmackes wäre. Nimmt jedoch die Liebe eine ruhigere, kühlere Gestalt an, in der man gegenseitig die ernsteren soliden Eigenschaften des Charakters sucht und schätzt, so verwandelt sie sich in Freundschaft, die gewiß ihren Reiz hat, aber doch nicht mehr Liebe ist – jene Liebe, die uns über uns selbst emporhebt, uns alles vergessen macht!

Wenn Sie die Geschichte der alten Römer und Griechen studieren, so werden Sie finden, daß die Heroen die Leidenschaft der Liebe für einen schrecklichen, oft alles verheerenden Wahnsinn hielten. Sie ist ein wahrer Fanatismus, aber wer sich zu ihr bekennt, wird bald all sein Glück nur in ihr suchen. – Das einzige Mittel, diese beiden Arten der Liebe zu vermeiden, ist, den Weg zu gehen, den einzuschlagen ich Ihnen geraten habe. Sie brauchen einstweilen nur an Ihr Vergnügen zu denken, und das werden Sie sicher bei den Frauen finden, von denen ich Ihnen sprach. Ihr Herz sucht Beschäftigung, und diese Damen sind ganz dazu geschaffen, es auszufüllen. Versuchen Sie mein Rezept – Sie werden sich wohl dabei befinden.

Ich habe Ihnen versprochen, vernünftig mit Ihnen zu reden, und ich glaube Wort gehalten zu haben. Adieu! Ich erhalte soeben einen Brief von Herrn de Saint-Evremont, und ich muß gleich darauf antworten. Ich will ihm bei dieser Gelegenheit die Ideen, die ich Ihnen entwickelt habe, vortragen, und ich müßte mich sehr irren, wenn er sie nicht billigte.

Morgen werden der Abbé de Chateauneuf und vielleicht auch Molière zu mir kommen. Wir werden den Tartüffe noch einmal zusammen durchlesen, weil er verschiedenes umarbeiten will. Glauben Sie mir, lieber Marquis, alle, die nicht mit dem einverstanden sind, was ich Ihnen geraten habe – haben mehr oder weniger Ähnlichkeit mit Tartüffe!

 

Unbekannter Meister: Molière.
(Museum Carnevale zu Paris)

Dritter Brief.

Trotz allem, was ich Ihnen sagte, verteidigen Sie immer noch Ihre erste Meinung? Sie möchten nur eine sehr tugendhafte, hochachtbare Dame zur Geliebten haben, die gleichzeitig Ihre Freundin sein könnte?

Gewiß, solche Gesinnung würde ja an sich sehr lobenswert sein, wenn sie nur imstande wäre, Ihnen das Glück zu verschaffen, das Sie davon erwarten. Die Praxis jedoch zeigt uns, daß diese hohen Töne nur eine Vorspiegelung falscher Tatsachen erzeugen. Ich bin beinahe versucht anzunehmen, daß Ihr Geist durch das Lesen zu vieler Romane getrübt sei. Armer Marquis! Sie haben sich durch die landläufigen, schönen Redensarten blenden lassen, die den Grundton der gesellschaftlichen Unterhaltung bilden. Aber, mein liebes Kind, was wollen Sie mit solchen Hirngespinsten im wirklichen Leben anfangen? Ja, das gebe ich gern zu, es ist schöne Münze – aber nur schade, daß sie hierzulande nicht gilt und Sie sie nicht ausgeben können.

Wenn Sie ein Haus gründen, wenn Sie heiraten wollen, nur dann wählen Sie eine solide Frau, die tugendhaft ist und die schönsten Grundsätze hat. Das entspricht der Würde eines so ernsten Bündnisses, und ich bin ganz und in vollem Ernste mit einer solchen Wahl einverstanden. Aber jetzt bei Ihrer Jugend sollten Sie nur einen heiteren Liebeshandel suchen. Glauben Sie, was ich Ihnen sage; es ist sehr töricht, einen solchen zu ernst zu nehmen. Ich weiß besser, was Ihnen gut ist, als Sie selbst es wissen können. Die Männer sagen gewöhnlich gern, daß die Frau, die sie lieben sollen, hervorragende geistige Eigenschaften besitzen müßte. Sie wären aber in den meisten Fällen zu beklagen, wenn sie dieselben wirklich finden würden, denn was hätten sie davon, wenn die Frauen, anstatt die Männer zu unterhalten, erbauliche Gespräche führen wollten? Sie bedürfen des Vergnügens. Eine so vernünftige ernste Geliebte, wie Sie sie schildern, würde eine prächtige Frau abgeben, vor der man unbegrenzte Hochachtung haben müßte – das gebe ich zu – –, aber könnte man sich in sie verlieben? Keineswegs. Und ferner, eine nach allen Richtungen hin so vollkommene Frau würde Ihnen allzu überlegen sein. Sie würde herrschen wollen und Sie demütigen, und sie würde Ihnen sehr bald gleichgültig werden. Sie würden gezwungen sein, ihr so viel Hochachtung und Bewunderung zu weihen, daß Ihre Liebe darüber Schiffbruch leiden müßte. Zu große Tugend wirkt stets wie ein heimlicher Vorwurf, wie eine scharfe Kritik Ihrer eigenen Unvollkommenheit. Mit der Zeit würde aber Ihr Stolz sich dagegen aufbäumen, und Ihre Liebe würde in Trümmer gehen.

Analysieren Sie Ihre Gefühle, prüfen Sie sich selbst genau, Sie werden zugeben müssen, daß ich Recht habe. – Ich habe nur einen Augenblick, um Ihnen Lebewohl zu sagen.

 

Vierter Brief.

Wissen Sie, Marquis, daß Sie anfangen mich wirklich ärgerlich zu machen? Mein Gott, wie dumm Sie doch manchmal sein können! Ich sehe aus Ihrem Briefe, daß Sie mich überhaupt nicht verstanden haben! Merken Sie wohl, ich habe Ihnen absolut nicht gesagt, daß Sie ein käufliches und verächtliches Geschöpf zu Ihrer Geliebten machen sollten. Das ist durchaus nicht meine Meinung. Was ich gesagt habe und vertreten kann, ist, daß Sie vorläufig nur eine kleine Herzensangelegenheit suchen sollten und daß, damit diese sich angenehm und beglückend gestalte, es nicht nötig ist, daß Sie bei der zu erwählenden Schönen ausschließlich auf solide hohe Charaktereigenschaften sehen sollten. Ich wiederhole es noch einmal, wenn man so jung ist, wie Sie, sollte man in der Liebe nicht den Ernst des Lebens, sondern nur die Freude suchen. Und ich denke, daß ich in diesen Dingen kompetent bin und daß Sie sich auf mein Urteil verlassen können. Ein amüsanter Trick, eine zierlich durchgeführte Caprice, ein vom Zaune gebrochener kleiner Streit, der eigentlich keinen Sinn hat, eine harmlose fröhliche Gefallsucht – all dies wirkt mehr auf die Männer als die ausgesuchteste Vernunft, als die größte Tugend und die strengste Solidität des Charakters.

Herr de Bruyère, den Sie selbst wegen der Richtigkeit und Schärfe seines Verstandes so hoch schätzen, sagte neulich einmal zu mir, daß die Launenhaftigkeit schöner Frauen beinahe ein Gegengift ihrer Schönheit sei. Ich bekämpfte diesen Ausspruch mit einer Lebhaftigkeit, aus der er wohl erkannte, daß eine solche Ansicht ganz gegen meine Überzeugung ginge, und in der Tat bin ich fest davon überzeugt, daß die Launenhaftigkeit nur deshalb so oft mit der Schönheit vereint ist, weil sie ihre Reize frisch erhält, weil sie gewissermaßen als Stachel und Würze dienen. Es gibt kaum ein frostigeres Gefühl, als ehrfurchtsvolle Bewunderung. Man gewöhnt sich so sehr schnell an ein schönes Gesicht, so regelmäßig seine Züge auch immer sein mögen; wenn es nicht durch ein wenig mutwillige Bosheit belebt und interessant gemacht wird, so zerstört die stete Gleichmäßigkeit eines schönen Antlitzes das warme Gefühl, das es erst erregt hat. Nur ein interessanter Wechsel, eine amüsante Launenhaftigkeit vermag die Langeweile zu vertreiben, die ein ewig gleicher Ausdruck unfehlbar erzeugen muß. Mit einem Worte: Wehe der Frau, die immer sich selbst gleich ist! Ihre Einförmigkeit schwächt das zuerst erregte Interesse ab und langweilt. Sie gleicht einer Statue, ein Mann hat stets Recht bei ihr. Sie ist so gut, so vollkommen und sanft, daß es ganz unmöglich ist, sich mit ihr herumzustreiten, und gerade das ist doch manchmal so sehr amüsant. Betrachten wir dagegen eine lebendige Frau, die kapriziös und sich ihres Willens bewußt ist, – alles natürlich in bestimmten Grenzen – das Verhältnis mit ihr wird ein ganz anderes sein. Sie wird ihre Verehrer nie ermüden, da sie stets eine andere ist, und der Wechsel reizt. Die Launenhaftigkeit ist das Salz der Galanterie und schützt sie vor dem Untergange. Unruhe und Eifersucht, verliebte Streitereien, zärtliche Versöhnung, all dies ist die Nahrung der Liebe. Bezaubernder Wechsel! Der ein fühlendes Herz mehr ausfüllt und beschäftigt als die Regelmäßigkeit und die langweilige Gleichheit der sogenannten guten Charaktere!

Ich verstehe mich ganz genau darauf, wie Ihr Männer behandelt werden müßt. Ihr gebt Euch ebensoviel Mühe, eine Caprice eurerer Angebeteten, die Euch in Aufregung bringt, zu beseitigen, als eine neue Eroberung zu machen. Man muß Euch durchaus immer im Atem erhalten, Ihr müßt stets kämpfen, aber Ihr hört dann auch nicht auf zu siegen und besiegt zu werden. Vergebens lehnt die Vernunft sich dagegen auf. Sie können es selbst nicht verstehen, wie es möglich ist, sich so tyrannisch von einem Kobold unterjochen zu lassen. Alles beweist Ihnen, daß das Idol Ihres Herzens ein Ausbund von Launenhaftigkeit und Torheit sei, aber es ist wie ein verzogenes Kind, das man trotz alledem lieben muß! Die Anstrengungen Ihres Verstandes, sich frei zu machen, dienen oft nur dazu, Ihre Ketten noch fester zu schmieden, denn die Liebe ist niemals so stark, als dann, wenn man glaubt, sie in der Erregtheit eines Streites abschütteln zu können. Es ist wie ein Sturm, der alles erschüttert und durchschüttelt! Und doch! sollte man ihn entbehren, das alte gewohnheitsmäßige Leben wieder beginnen, man würde verschmachten und daran untergehen!

Verstehen Sie also genau, was ich sagen wollte. Wählen Sie keine vollkommene Frau zu ihrer Geliebten, sondern eine solche, bei der auch die Laune wohl mal ein Wörtchen mitzusprechen hat und die den Verstand zum Schweigen bringt. Und wenn Sie es anders machen, werden Sie eben keinen fröhlichen Herzenshandel eingehen, sondern solide in den Hafen der Ehe einlaufen. Dies ist mein letztes Wort

 

Fünfter Brief.

O, da stimme ich ganz mit Ihnen überein, Marquis, mit einer Frau, die sich ganz ihren Stimmungen und Launen hingäbe, ist der Verkehr schwierig und dornenvoll und stößt zuletzt ab. Ich gebe sogar zu, daß solch eine unglückliche Gemütsrichtung die Liebe zu einem fortdauernden Streit und Sturme gestalten würde. Ich habe Ihnen aber auch nicht geraten, sich an so eine unliebenswürdige Person zu hängen. Sie verstehen mich stets falsch, gehen immer weiter wie ich. – Ich habe Ihnen in meinen letzten Briefen nur das Bild einer liebenswürdigen Frau gemalt, die durch ein gewisses ungleiches Wesen nur an Reiz gewinnt – – und nun sprechen Sie von einer verstimmten, übellaunigen Person, die nur unangenehme Dinge zu sagen hat. Wie wenig haben Sie mich verstanden! Was ich unter Launenhaftigkeit verstehe, ist jene fesselnde Stimmung, die gleichzeitig anregt und beunruhigt, manchmal sogar etwas Eifersucht verursacht, stets aber reizvoll ist und ihren Ursprung in der Liebe selbst hat. Aber ich spreche nicht von jener mißmutigen, unglücklichen Gemütsanlage, die man gewöhnlich Launenhaftigkeit nennt. Wenn es die Liebe selbst ist die eine Frau zuweilen ungerecht macht und sie zu kleinen Unregelmäßigkeiten verleitet, welcher zartfühlende Liebhaber könnte sich darüber beklagen? Gerade ihre kleinen Seitensprünge sind Beweis für die Heftigkeit ihrer Leidenschaft. Mir ist es wenigstens immer so vorgekommen, als ob man nicht sehr verliebt sein könne, solange man in stets korrekter Weise die richtigen Grenzen inne zu halten vermag. Kann man es überhaupt sein, ohne sich zuweilen von der Macht einer gewaltigen Neigung hinreißen zu lassen, ohne notwendigerweise die Aufregungen durchzukosten, die dadurch entstehen? Nein, zweifellos. Und wer könnte ohne heimliche Freude sehen, wie ein geliebtes Wesen sich unsertwegen aufregt? Während man sich über die Ungerechtigkeit und die Heftigkeit beklagt, empfindet man im tiefsten Innern die köstliche Genugtuung, geliebt, mit Leidenschaft geliebt zu werden. Und gerade diese Ungerechtigkeiten sind der Beweis dafür, der um so packender wirkt, da er nicht beabsichtigt wurde. Sehen Sie, Marquis, gerade darin besteht der geheime Reiz der Leiden, die Liebende zuweilen erdulden. Aber wenn Sie glauben, ich hätte Ihnen sagen wollen, eine widerspenstige, launenhafte Frau könnte Sie beglücken, da irren Sie sich. Ich meine, und immer wieder betone ich diesen Gedanken, daß zu einem beglückenden, unterhaltenden Liebesverhältnis ein wenig Ungleichheit der Stimmung, mutwillige Caprice, neckische Quälerei gehöre, um die Langeweile zu verscheuchen und die Liebe zu befestigen. Aber bedenken Sie wohl, daß all diese Reizmittel nur da wirken, wo sie aus der Liebe entspringen. Wenn aber ein unliebenswürdiger, ungerechter oder neidischer Charakter Grund dieser wechselnden Stimmungen ist, dann bin ich die Erste zu sagen, daß eine solche Frau nicht begehrens- und liebenswert ist, daß sie nur abstoßend wirken und nie dauernd fesseln kann. Eine Herzensverbindung mit einer so beanlagten Frau würde eine wahre Qual sein, die man so bald wie möglich wieder loszuwerden sucht.

 

Sechster Brief.

Sie glauben wohl, mein Herr, eine ganz unwiderlegbare These vorzutragen, indem Sie mir sagen, daß das Herz sich nicht gebieten lasse und daß man folglich nicht in der Lage sei, den Gegenstand unserer Neigung frei zu wählen. Komödiantenmoral! Das sind Gemeinplätze von der Art, wie sie bei Frauen so beliebt sind, weil sie dadurch alle ihre Schwächen zu rechtfertigen meinen. Sie müssen ja etwas haben, woran sie sich halten, ungefähr wie jener gute Landedelmann, von dem unser Freund Montagne spricht, der, wenn er von Hüftschmerzen gepeinigt wurde, einen Trost darin fand »verfluchter Schinken« zu rufen. Die Leute sagen: »Das ist Gefühlssache, das ist stärker als wir; wer ist Herr seines Herzens?« Und nachdem sie solchen stichhaltigen Grund angegeben haben, soll man mich für geschlagen erklären und nicht darauf antworten! Dieser Grundsatz ist freilich so beliebt, daß man alle Welt gegen sich aufhetzen würde, wenn man ihn bekämpfen wollte. Aber die These findet eben nur darum so viel Beifall, weil alle Welt ein gewisses Interesse daran hat, daß man sie für unantastbar hält. Ich für mein Teil nehme mir aber die Freiheit, anderer Meinung wie die Menge zu sein. Die Tatsache, daß es durchaus nicht unmöglich ist, seine Neigungen zu beherrschen, genügt mir, um alle zu verdammen, die unvernünftig oder ehrlos handeln. Wie viele tapfere Frauen habe ich nicht gekannt, die es wohl dahin brachten, die Schwäche ihres Herzens zu überwinden, sobald sie sich davon überzeugten, daß der Gegenstand ihrer Zuneigung ihrer unwürdig war. Wie viele andere haben nicht die zärtliche Liebe erstickt und sie einer sogenannten guten Versorgung geopfert. Die Flucht, die Zeit, die Trennung voneinander, das alles sind Einflüsse, denen eine Leidenschaft, so lebhaft diese auch immer gewesen sein mag, doch auf die Dauer nicht widerstehen kann. Unmerklich erst schwächt sie sich ab und erlischt allmählich in sich selbst. Ich weiß, daß, um mit Ehren aus einer solchen Lage hervorzugehen, man nur seinen Verstand zusammenzunehmen braucht. Ich verstehe ja wohl, daß die eingebildeten Schwierigkeiten einen solchen Sieg über sich selbst zu gewinnen, manchen kopfscheu machen, den Kampf zu unternehmen. Ja, obgleich es wirklich theoretisch keine unüberwindliche Neigungen gibt, so werden doch nur wenige in der Tat besiegt, und das kommt daher, weil man nicht einmal den redlichen Versuch macht, ob der Kampf gelingen würde. Wie dem immer sei, da hier nur die Rede von einem galanten Liebeshandel ist, denke ich, daß es ganz töricht wäre, wenn Sie sich quälen wollten, die Neigung zu einer mehr oder weniger liebenswürdigen Frau zu unterdrücken. Aber da Sie einstweilen noch frei sind und keine Wahl getroffen haben, behaupte ich, daß ich recht gehabt, indem ich Ihnen den Charakter gemalt, von dem ich glaube, daß er Sie besonders beglücken würde. Es wäre ja sehr schön, wenn nur zarte Empfindung und wirkliches Verdienst unser Herz für immer fesseln könnte. Aber die Erfahrung lehrt, daß dies absolut nicht der Fall ist. Ich spreche nicht von dem, wie Sie sein könnten, sondern von dem, wie Sie wirklich sind. Ich möchte Sie das Herz erkennen lassen, wie es ist, und nicht, wie ich es gerne haben möchte. So nachsichtig ich Ihnen gegenüber auch bin, so seufze ich doch unter Ihrem Mangel an gutem Geschmack. Da die Fehler des Herzens sich nicht korrigieren lassen, möchte ich Ihnen wenigstens lehren, das Beste daraus zu machen. Da ich Sie nicht weise machen kann, möchte ich wenigstens versuchen, Sie glücklich zu sehen. Man hat schon von alters her gelehrt: Leidenschaft zerstören heißt sich selbst vernichten. Man soll nur immer Herr darüber bleiben. Die Liebe ist in unseren Händen, das was Gift in den Apotheken ist. Vorsichtig und von einem geschickten Chemiker angewendet kann es zum Heilmittel werden.

 

Siebenter Brief.

Ah, Marquis, wer zweifelt daran, daß es geistige Vorzüge sind, durch die man den Frauen gefällt? Es kommt nur darauf an, was Sie unter diesem Ausdruck verstehen? Was nennen Sie Verdienst und geistige Vorzüge? Meinen Sie damit die Schärfe des Unterscheidungsvermögens, eine umfassende Gelehrsamkeit, Klugheit, Bescheidenheit und Gott weiß was sonst noch für Tugenden, die oft mehr Zwang auferlegen, als daß sie uns beglücken? In diesem Falle verstehen wir uns nicht. Entfalten Sie alle diese Vorzüge in Ihrem Verkehre mit Männern, und Sie werden sicher sein, gut aufgenommen zu werden. Aber wenn Sie Frauenherzen gewinnen wollen, so tauschen Sie alle diese Vollkommenheit gegen jene fröhliche und gesellige Kunst ein, die das einzige Verdienst ist, das im Reiche der Liebe gilt. Es ist die einzige Münze, die in Kurs ist, hüten Sie sich daher wohl zu sagen, daß sie falsches Geld sei. Es ist viel vorteilhafter für uns, solche Eigenschaften zu zeigen, die den Menschen, denen wir zu gefallen streben, angenehm erscheinen, als nur solche, die in sich gewiß hochachtbar, aber weniger gefällig sind. Wir müssen uns eben nach den Ansichten der Leute richten, mit denen wir zu leben genötigt sind, wenn wir angenehm leben wollen.

Was ist die Bestimmung der Frauen? Was verlangt der Mann von ihnen? Ganz einfach, daß sie ihm gefallen sollen. Nun aber sind der Reiz des Antlitzes, die Grazie der Figur, die liebenswürdigen geselligen Talente die einzigen Mittel, dies Ziel zu erreichen. Die Frauen besitzen diese Mittel in reichstem Maße, aber sie wollen, daß auch der Mann sie nicht verschmähe, sondern ihnen so viel wie möglich ähnlich zu werden suche. Es ist unrecht, die Frauen der Eitelkeit und der Leichtfertigkeit zu beschuldigen, weil sie so viel Wert auf die Schönheit legen, tun sie es doch nur, um dem Manne zu gefallen und ihn glücklich zu machen! Ist es nicht wirklich der Reiz unseres Umganges, die Zartheit unserer Sitten, denen der Mann die schönsten Freuden, sein ganzes Glück verdankt? Seien Sie ehrlich! Würden die Wissenschaften, der Ehrgeiz, würde die Tapferkeit, selbst die Freundschaft, von der Sie so viel Wesens machen, allein genügen, um Sie glücklich zu machen? Ganz gewiß nicht. All dies vermöchte nicht, Sie das langweilige Einerlei des Lebens vergessen zu machen, das so erdrückend ist, und Sie würden tief zu beklagen sein. Es ist das Amt der Frauen, diese tötliche Langeweile durch ihre pikante Heiterkeit, durch die fröhliche Grazie ihres Verkehrs mit Euch, zu zerstreuen. Nur durch den Umgang mit den Frauen werden Sie jene köstliche ausgelassene Freude, das liebenswürdige Delirium und jene geistige Trunkenheit kennen lernen, die Sie das Alltagsleben vergessen macht und die ganz mit dem Gefühle erfüllt, glücklich zu sein. Denn, Marquis, es ist etwas anderes, glücklich zu sein und sich dieses Glückes ganz und voll bewußt zu sein! Der Besitz des Notwendigen allein befriedigt keinen Menschen, es ist der Überfluß, der ihn reich macht und der ihm das Bewußtsein gibt, es zu sein. Es sind nicht unsere besonders hervorragenden geistigen Eigenschaften und Vorzüge, die uns liebenswürdig machen; manchmal kann es sogar ein Fehler sein, der uns den Hauptreiz verleiht. Um gefeiert zu werden, muß man durch seine Unterhaltung zu fesseln verstehen, man muß sich den anderen zu ihrem Vergnügen notwendig machen. Ich sage Ihnen, daß Sie besonders bei Frauen nur dadurch allein sich beliebt machen werden. Was sollen Frauen mit der Richtigkeit und Logik Ihres Denkens, mit der Genauigkeit Ihres Gedächtnisses, mit all Ihrem Wissen machen? – Wenn Sie, mein lieber Marquis, keine anderen wie diese Vorzüge haben, und wenn Sie diese nicht durch einige liebenswürdigen, geselligen Talente vergessen machen, dann können Sie sicher sein, daß Sie, anstatt den Frauen zu gefallen, nur erreichen, daß diese in Ihnen einen strengen Kritiker fürchten werden, vor dem man sich Zwang antun muß und dessen Gegenwart die fröhliche natürliche Heiterkeit, der Sie sich so gern hingeben, unfehlbar zerstören wird. Welche Frau sollte es auch riskieren, natürlich liebenswürdig zu sein, wenn die forschenden Blicke eines Mannes auf ihr ruhen, der sie durch seine Überlegenheit und Kaltblütigkeit beunruhigt, vor dem man sich nicht gehen lassen kann. Man ist nur mit solchen Leuten gemütlich, die sich mit uns auf gleichen Fuß stellen. Zu viel Überlegenheit erkältet die Seele und wirkt ungefähr so, wie wenn ein scharfer, kalter Luftzug uns trifft, wenn wir aus einem behaglich erwärmten Zimmer kommen. – Ich habe sagen wollen, daß zu große Überlegenheit und Zurückhaltung die Türen der Herzen verschließen, daß sie abkühlend wirken und keine Fröhlichkeit im Verkehr aufkommen lassen.

Hüten Sie sich daher, Marquis, wenn Sie galante Abenteuer suchen, zu überlegen und kühl zu erscheinen und nehmen Sie es auch nicht zu genau mit der Gesellschaft, die Sie aufsuchen. Große Tugenden sind kostbar wie Goldstücke – aber im täglichen Leben muß man Scheidemünze haben.

Dieser Gedanke erweckt die Erinnerung an jene Völker in mir, die anstatt des Geldes Muscheln als Tauschmittel verwenden. Nun, glauben Sie nicht, daß diese Völker sich ebenso reich dünken, wie wir mit allen Schätzen der neuen Welt? Und wenn wir etwas nachdenken wollen, müssen wir gestehen, daß die Metalle nur durch die ihnen von uns verliehene Schätzung Wert haben. Unsere Münze würde bei jenen Völkern für falsches Geld gelten. Genau so geht es mit den hervorragenden Eigenschaften des Geistes und des Verstandes. Im galanten Verkehre bedarf man ihrer nicht, man muß Muscheln haben. Und was tut dies, sobald sie als anerkanntes Tauschmittel gelten und der erwünschte Handel sich damit abschließen läßt?

Kommen wir zum Schlusse. Wenn es wahr ist, daß Sie das Glück Ihres Herzens nur den liebenswürdigen Eigenschaften der Frauen verdanken – und daran ist wohl nicht zu zweifeln – so können Sie sicher sein, daß auch Sie den Frauen nur durch ähnliche Vorzüge gefallen werden. Ich komme noch darauf zurück. Ihr Männer rühmt Euch Eurer Solidität, Eurer Kenntnisse usw. Aber sagen Sie, würde das Leben nicht grenzenlos langweilig und öde sein, wenn Sie dazu verdammt wären, nur mit Tugendhelden, Gelehrten und Philosophen umzugehen? Wie bald müßte Sie ein solcher Verkehr ermüden! Sie würden rasch genug anderen Umgang suchen und lieber auf all die hervorragenden Eigenschaften bedeutender Männer, als auf das Vergnügen des anregenden Verkehrs mit Frauen verzichten. Steifen Sie sich also nicht darauf, in dem Sinne, wie Sie es meinen, sich als bedeutenden Mann aufzuspielen. Als Verdienst werden nur die Eigenschaften betrachtet, die die Leute, denen Sie gefallen möchten, zu verstehen und zu schätzen wissen. In der Liebeskunst, mein Herr Marquis, gibt es eigene, ganz besondere Gesetze, und im Reiche der Liebe ist nur der Liebenswürdige ein weiser Mann.

 

Achter Brief.

Fürs erste gehen wir nicht weiter, Marquis! Ihr Stündlein hat geschlagen und das, was Sie mir heute mitteilen, verrät mir nur allzu deutlich, daß Sie verliebt sind! Die junge Witwe, von der Sie mir erzählen, scheint aber auch wirklich wert zu sein, daß man sich für sie interessiert. Der Chevalier de ... hat mir ein ganz verlockendes Bild von ihr entworfen. Aber kaum empfinden Sie ein etwas höheres Interesse, da fangen Sie schon wieder an, mir ein Verbrechen aus den Ratschlägen zu machen, die ich Ihnen gegeben habe. Sie meinen, daß die Unruhe und die Aufregungen, die mit der Liebe verbunden sind, mehr zu fürchten seien, als die Freude und der Genuß, den sie uns verschafft, wert ist? Es ist ja wahr, daß viele sogenannte rechtschaffene Leute der Meinung sind, daß die von der Liebe hervorgerufenen Schmerzen ebensogroß sind wie ihre Freuden. Aber ohne hier eine langweilige Abhandlung, wer da recht und unrecht hat, halten zu wollen, beschränke ich mich darauf, Ihnen zu sagen, was ich selbst darüber denke. Ich meine, daß die Liebe eine Leidenschaft ist, die in sich weder gut noch schlecht ist; es kommt einzig auf denjenigen an, der sie empfindet, ob sie zum Guten oder Bösen auslaufen soll. Alles was ich zu ihren Gunsten sagen kann, ist, daß sie uns Genüsse verschafft, die durch keinen der Nachteile, die man ihr nachsagt, aufgehoben werden können. Sie hebt uns über uns selbst hinweg, sie erregt uns, sie befriedigt das dringendste Bedürfnis unseres Herzens. Ich glaube Ihnen schon gesagt zu haben, daß unser Herz der Bewegung bedarf, es rühren heißt das Gesetz der Natur erfüllen. Was wäre die Jugend ohne die Liebe? Eine lange Krankheit! Ja, man lebte nicht ohne die Liebe, man vegetierte nur! Die Liebe ist dem Herzen das, was der Wind dem Meere ist, gewiß erregt er oft Stürme, das ist wahr, und manchmal führt ein solcher Sturm sogar vollständigen Schiffbruch herbei. Dennoch ist es nur der Wind, der das Meer schiffbar macht, und die fortwährende Bewegung, in der er das Meer erhält, sind sein Heil. Außerdem weiß ein tüchtiger Seemann sich gegen die Gefahren eines Sturmes durch geschicktes Manövrieren zu schützen.

Ich komme zur Sache zurück. Wenn Ihr Zartgefühl sich nicht durch meine Freimütigkeit verletzt fühlt, füge ich hinzu, daß außer dem Bedürfnis, im Herzen bewegt zu werden, wir noch ein direktes körperliches Verlangen nach der Liebe haben und daß dieses der erste notwendige Grund derselben ist. Vielleicht halten Sie es nicht für passend, daß eine Dame eine solche Sprache führt? Verstehen Sie wohl, daß ich mich nicht jedem gegenüber so frei aussprechen würde, aber wir sind übereingekommen, nicht Schöngeisterei zu treiben, sondern ehrlich zu philosophieren. Wenn Ihnen meine Ansicht etwas gewagt für eine Frau erscheint, so erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen kürzlich sagte. Seit ich meinen Verstand gebrauchen lernte, habe ich mich darauf geworfen, genau zu untersuchen, welches der Geschlechter am reichsten von der Natur bedacht worden ist. Ich habe gefunden, daß der Mann bei Verteilung der Gaben durchaus nicht zu kurz gekommen ist, und deshalb habe ich mich zum Manne gemacht.

An Ihrer Stelle würde ich überhaupt nicht erst lange prüfen, ob es gut oder schlecht sei, sich zu verlieben. Da könnte man gerade so gut fragen, ob es gut oder schlecht sei, Durst zu haben. Es wäre, als ob man den Menschen verbieten wollte zu trinken, weil es Leute gibt, die sich berauschen. Glauben Sie mir, es ist ganz überflüssig, sich in Betrachtungen und Parallelen darüber zu ergehen, ob es mehr oder weniger Vorteile bringt, zu lieben. Lieben Sie – so wie ich es Ihnen geraten habe. Lassen Sie die Liebe nicht zur Leidenschaft werden, sondern betrachten Sie sie als ein Vergnügen.

Ich höre förmlich, wie Sie wieder mit Ihren großen Reden kommen und mir sagen, daß man es nicht in der Hand hätte, seine Gefühle stets auf das gehörige Maß zu beschränken. Sehen Sie, ich betrachte diejenigen, die mir so etwas vorerzählen, ungefähr so, wie jemand, der einen Verlust erlitten, der ihm eigentlich gar nicht nahe geht und über den er sich recht wohl zu trösten weiß. Die Welt aber ist anderer Meinung, hält ihn für einen Tieftrauernden und spricht ihm ihr Beileid aus. Um nicht kalt und herzlos zu erscheinen, spielt er den Trauernden, verliebt sich dabei allmählich in seinen Kummer und findet es zuletzt sehr interessant, daß sein Herz so tiefen Leides fähig ist. Er sucht nun Nahrung für seinen Schmerz und macht ihn zu seinem Götzen. Ganz ähnlich machen es die jungen Leute, die so gern ihre edlen Grundsätze betonen. Meistens sind sie durch vieles Romanlesen und den Verkehr mit zimperlichen Frauen verdorben, so daß sie es für eine Ehrensache halten, daß ihre Liebe nur eine geistige sein dürfe. Aus übertriebenem Zartgefühl kommen sie am Ende zu einer ganz irrigen Auffassung der Dinge, in die sie sich um so mehr versteifen, da sie ihre eigene Schöpfung ist. Sie sehen es wie eine Art von Schande an, den gesunden Menschenverstand walten zu lassen und wie andere einfache Menschen zu handeln. Hüten Sie sich, lieber Marquis, solche Lächerlichkeiten zu begehen. Diese Art von Großtuerei paßt nicht mehr in unsere Zeit und für vernünftig denkende Menschen. Ich frage Sie, hat es Sinn, von einem Kinde zu verlangen, daß es geistreich sei? Hieße das nicht, ihm seinen ganzen Liebreiz rauben? Wie sehr bedauere ich unsere guten Voreltern, die die Liebe so toternst genommen haben, während wir nur einen fröhlichen Traum, eine reizende Torheit darin erblicken. Sie waren töricht genug, die Öde der Wüste den Reizen eines mit herrlichen Blumen gezierten Gartens vorzuziehen. Wie viel Vorurteile haben wir schon kraft unsres Verstandes überwunden!

Die Probe dafür, daß diese großen Gefühle nur Trugbilder unsres Stolzes und unsrer Vorurteile sind, ist, daß in unserer aufgeklärteren Zeit der Geschmack an der mystischen, geistigen Liebe und an den sogenannten großen Passionen verloren gegangen ist, daß man sie wie eine Mode früherer Tage einfach beiseite gelegt hat.

Sorgen Sie also vor allem dafür, daß Ihre Neigung zu der liebenswürdigen Gräfin keinen verhimmelnden Charakter annimmt, und Sie werden sich bald davon überzeugen, daß die Liebe, wenn Sie uns recht beglücken soll, durchaus nicht tragisch, sondern heiter aufgefaßt werden will. Und ich glaube, daß gerade die Gräfin eine der Weltdamen ist, die keinen Geschmack an einem langweiligen Schmachten finden würde. Mit Ihrer Schöngeisterei würden Sie sie elend machen, das sage ich Ihnen.

Ich bin immer noch nicht ganz hergestellt. Ich hätte die größte Lust, Ihnen zu sagen, daß ich noch nicht ausgehen kann, aber das wäre beinahe, als wollte ich Ihnen ein Rendezvous geben. Wenn Sie übrigens mal vorsprechen wollten, um mir zu sagen, was Sie von Bajazet Racines halten, so wäre das sehr nett von Ihnen. Man sagt, daß die Chammelay sich darin selbst übertroffen habe.

Ich habe meinen Brief noch mal durchgelesen, und das hat mich ganz böse auf Sie gemacht. Ich sehe, daß der Ernst wirklich eine ansteckende Krankheit ist. Es ist wirklich toll: um Ihnen zu beweisen, daß die Liebe mit Heiterkeit aufgefaßt sein will, habe ich einen so ernsten Ton anschlagen müssen!

 

Neunter Brief.

Sie machen mir also aus dem, was ich Ihnen das letztemal sagte, einen wirklichen Vorwurf? Ich soll die Liebe geschmäht haben, soll sie dadurch herunter gesetzt haben, daß ich sie ein Bedürfnis nannte! Sie jedoch, Marquis, Sie stehen auf einem höheren Standpunkte! Das, was Sie selbst empfinden und innerlich erleben, ist der Beweis hierfür. Sie können sich kein zarteres und reineres Gefühl vorstellen, als das, was Ihr Herz erfüllt. Die Gräfin zu sehen, ihr etwas vorzugirren, ihr alle möglichen kleinen Dienste zu erzeigen, dem süßen Klang ihrer Stimme zu lauschen, das ist Ihnen der Inbegriff alles Glückes, das Ziel Ihrer Wünsche. Für Sie existieren diese groben Regungen nicht, die ich unwürdigerweise an Stelle Ihrer erhabenen Gefühle setzen möchte. Sie glauben, daß die Freuden der Sinne nur für grob organisierte, gewöhnliche Naturen Wert haben können und werfen sie weit weg. Wie konnte ich so irren! Wie konnte ich nur einen Augenblick glauben, daß die Gräfin eine Frau sei, die sich durch so unlautere Gefühle fesseln ließe! Es war wirklich dazu angetan, Sie ihrem Hasse und ihrer Verachtung auszusetzen.

Sind das wirklich Nachteile, die meine angewandte Moral auf sie herabziehen könnte? Mein armer Marquis! Sie haben sich über den wirklichen Grund Ihrer Gefühle vollständig geirrt. Nun passen Sie mal schön auf. Ich will Ihren Irrtum berichtigen und zwar mit dem Ernste, der der Wichtigkeit dieser Angelegenheit entspricht. Also ich besteige den Dreifuß! Ich fühle die Gegenwart Gottes, die mich begeistert; ich reibe die Stirn mit dem Ausdruck eines Menschen, der tief über die Wahrheit nachgedacht hat und große Dinge verkündigen wird, und somit beginne ich meinen Vortrag. Es ist eine ganz wunderliche Erscheinung, daß die Menschen sich jenes Zuges, der die Geschlechter zueinander zieht, zu schämen scheinen. Und doch ist diese Anziehungskraft von der Natur selbst beabsichtigt und gewollt. Und die Menschen fühlen es auch selbst, daß es ganz unmöglich ist, die Stimme der Natur zu ersticken. Was haben sie also getan, um sich diesem Dilemma zu entziehen? Sie haben geglaubt, den einfachen Drang der Menschen, ein tiefes Bedürfnis der Natur zu befriedigen, durch eine rein geistige, übersinnliche Neigung ersetzen zu müssen. Mehr und mehr haben sie sich daran gewöhnt, sich mit kleinen übersinnlichen Nichtigkeiten zu beschäftigen, und sie sind dazu gekommen, sich selbst glauben zu machen, daß in diesem Zubehör, dem Werk ihrer überhitzten Phantasie, der Schwerpunkt ihrer Neigung zu finden sei. Sie haben also aus der Liebe eine Tugend gemacht, oder sie haben sie wenigstens mit dem Nimbus der Tugend umgeben. Aber lassen wir uns nicht davon blenden, sondern untersuchen wir die Sache an einem Beispiele.

Im Anfange ihres Verkehres glauben zwei junge Liebende sich nur von den allerreinsten und zartesten Gefühlen beseelt. Sie erschöpfen sich in Feinheiten, Übertreibungen und in einer ehrlich gemeinten Begeisterung für das Übersinnliche. Verfolgen wir aber mal den Lauf ihres Liebeshandels. Obwohl sie vorgeben, die Freuden einer sinnlichen Liebe zu verachten, so wird doch bald genug die Natur ihre Rechte fordern. Es passiert dann wohl, daß die Leutchen sehr erstaunt sind, sich nach einem langen Kreislauf genau da zu befinden, wo ein einfacher Bauer steht, der guten Glaubens da anfängt, wo sie aufgehört haben.

Eine sogenannte ehrbare Frau, der gegenüber ich diese These verteidigte, wurde sehr zornig. »Was«, sagte sie in höchstem Unwillen, »denken Sie denn von einer wirklich tugendhaften Dame, ich meine einer solchen Frau, die sich nur nach der Heirat einem Manne hingibt! Glauben Sie denn, daß vor einer solchen Frau Ihre seltsamen Ansichten Gnade finden würden? Sie denken vielleicht, daß ich z. B., die ich in allen Ehren dreimal verheiratet gewesen bin und die ich, um mich meinen Männern gefällig zu erweisen, niemals allein geschlafen habe, dies etwa getan hätte, um mir das zu verschaffen, was Sie Vergnügen nennen? Da irren Sie sehr! Allerdings habe ich mich nie geweigert, die Pflichten des ehelichen Standes zu erfüllen, aber das versichere ich Ihnen, daß ich es nur aus Gefälligkeit getan und nie ohne gegen die Zudringlichkeit der Männer zu protestieren! Man liebt und heiratet einen Mann aber nur wegen der Vorzüge seines Geistes und Herzens! Niemals wird eine anständige Frau dabei jener anderen Dinge gedenken!«

Ich unterbrach sie, und mehr boshaft als geschmackvoll setzte ich den Disput fort. Ich bemerkte ihr, daß das, was sie sagte, ja nur ein neuer Beweis für die Richtigkeit meiner Idee sei. Denn was Eheleute miteinander trieben, sei genau dasselbe, wozu sich harmlos Liebende zuweilen hinreißen ließen, mit dem einzigen Unterschiede, daß jene sich durch die vorher stattgefundene Trauung dazu berechtigt hielten. Diese Rede ärgerte meine Widersacherin. »Sie sind ebenso schlecht, wie Sie leichtsinnig sind«, sagte sie und verließ mich.

Ich erkundigte mich genauer nach ihr und – sollten Sie es glauben, Marquis? – diese empfindsame Dame hat in so ausschweifender Weise mit ihren Männern gelebt, die alle drei jung und kräftig waren, daß sie einen nach dem andern begraben hat!

Bekehren Sie sich von Ihrem Irrtum und brechen Sie mit diesen törichten Illusionen. Heben Sie Ihre großen Gefühle für die Freundschaft auf, und nehmen Sie die Liebe, so wie sie ist. Mit je größerem Nimbus Sie die Liebe umkleiden, um so gefährlicher kann sie Ihnen werden. Glauben Sie den Worten eines erfahrenen Mannes, der das Herz kennt. (Herrn D. L. R. F. C.) Er sagt: »Man täuscht sich, wenn man glaubt, daß man seine Maitresse um ihrer selbst willen liebt«

 

Zehnter Brief.

Die schöne Rede, die die Gräfin in Ihrer Gegenwart über ihre Tugend und über die Zartheit, die sie von ihren Verehrern fordern müsse, gehalten hat, hat Sie erschreckt? Sie glauben, sie würde stets so zurückhaltend sein, wie sie Ihnen heute erscheint. Und alles, was ich Ihnen gesagt habe, beruhigt Sie nicht? Sie meinen sehr gnädig gegen mich zu sein, indem Sie meine Anschauungen eben nur bezweifeln und würden sie am liebsten ganz verdammen! Ich weiß, daß Sie in gutem Glauben sind und daß es nicht Ihre Schuld ist, wenn Ihr Blick getrübt ist und Sie nicht klar in Ihrer eigenen Angelegenheit sehen. Aber je weiter Sie kommen, um so mehr werden die Zweifel schwinden und Sie werden bald genug erkennen, daß ich recht habe. So lange man kaltes Blut behält oder wenigstens so lange man sich nicht von der Leidenschaft fortreißen läßt, handelt man immer sehr korrekt. Nur zitternd erlaubt man sich die kleinste Zärtlichkeit. Man wagt nichts zu fordern oder man fordert so wenig, daß die geliebte Frau uns unserer Bescheidenheit wegen verpflichtet zu sein glaubt. Indessen Schritt für Schritt kommt man näher, wird vertrauter. Sie läßt sich mit Ihnen in ein neckisches Wortgeplänkel ein, das so harmlos ist, daß sie es jedem Manne, mit dem sie näher verkehrt, gestatten könnte. Aber das, was sie Ihnen heute oder morgen bewilligt, ist immer viel gegen das, was Ihnen am ersten Tage gewährt wurde. Eine Frau, die so ganz von Ihrer Diskretion überzeugt ist, wird sich unmerklich gehen lassen, ihre Schwächen zeigen. Sie beherrscht sich ja vollkommen, die Kleinigkeiten, die man von ihr erbittet, scheinen ihr so leicht zu verweigern, daß sie davon überzeugt ist, auch die Kraft in sich zu fühlen, ernstere Wünsche kaltblütig abzuschlagen. Was sage ich? Sie schmeichelt sich, daß der geleistete Widerstand den Wert der erbetenen Gunstbezeugungen erhöhen werde. Sie verläßt sich so sehr auf ihre Tugend, daß sie die Gefahr durch neckische Herausforderung herbeiführt. Sie prüft ihre Kräfte. Sie will wissen, wozu einige Ihnen erwiesene Gunstbeweise Sie führen würden. Unklug, wie sie ist, nährt sie ihre Einbildungskraft durch verlockende Bilder, die sie zuletzt verführen werden. Wie weit ist sie schon gekommen, ohne sich dessen selbst bewußt zu sein! Sollte sie aber ernsthaft über sich nachdenken, so würde sie erstaunt darüber sein, wieviel sie ihrem Verehrer schon zugestanden hat. Und dieser selbst würde erstaunt sein über das, was ihm gewährt wurde.

Ich gehe weiter. Ich bin nämlich überzeugt, daß es manchmal noch nicht einmal der Liebe bedarf, um eine Frau zu Falle zu bringen. Ich habe eine Dame gekannt, die, obgleich sehr liebenswürdig, doch durchaus ehrbar war und nie daran dachte, Liebeshändel zu haben. Sie lebte bereits seit fünfzehn Jahren in ungetrübter Eintracht mit ihrem Manne, und ihre Ehe konnte als mustergültig angesehen werden. Sie gab eines Tages ein Fest in ihrem Landhause, und ihre Gäste amüsierten sich so vorzüglich, daß sie die Gelegenheit zur Heimkehr verpaßten und gezwungen waren, die Nacht dort zu bleiben. Am Morgen waren die Mägde mit der Bedienung der Gäste beschäftigt, und die Dame befand sich allein in ihrem Ankleidezimmer, als einer der Herren, mit dem sie sehr bekannt war, jedoch durchaus kein Verhältnis hatte, sie aufsuchte, um ihr seinen Dank für ihre Gastfreundschaft auszusprechen. Er erbot sich, ihr einige kleine Dienste bei Vollendung der Toilette zu leisten. Das reizende Negligé, in dem sie sich befand, gab ihm Veranlassung, ihr einige Artigkeiten über ihre Schönheit zu sagen, die ihre Jugendfrische noch nicht eingebüßt hätte. Sie wehrte sich lachend dagegen, ein Wort gab das andere, man erwärmte sich gegenseitig. Einige kleine Dreistigkeiten, die sie anfangs gar nicht zu bemerken schien, ermutigten ihn zu kühnerem Wagen, sie verwirrte sich – – – und die Frau war schon schuldig, während sie noch zu scherzen glaubte! Wie groß war ihre Scham, ihr Schrecken nach einem solchen Schritt! Hätten sie beide doch niemals daran gedacht, daß es möglich wäre, nachdem nicht das mindeste vorangegangen, plötzlich so tief zu sinken.

Ist dies nicht ein Beispiel, bei dem man berechtigt ist, zu sagen, daß keine Sterbliche zu fest auf ihre Tugend bauen möge? So mutig und fest sie sich auch immer fühlt, es gibt einen unglückseligen Augenblick, wo auch die tugendhafteste Frau schwach ist. Die Ursache dieser wunderlichen Tatsache ist, daß eben die menschliche Natur nicht zu unterdrücken ist. Das Bedürfnis zu lieben ist der Frau angeboren, die Tugend ist ihr anerzogen.

Die Rede Ihrer liebenswürdigen Gräfin kann also durchaus ernsthaft gemeint sein, obgleich in solchem Falle eine Frau leicht etwas übertreibt; aber sie täuscht sich selbst, wenn sie denkt, ihre strengen Grundsätze durchführen zu können. Verstehen Sie wohl, all diese Metaphysikerinnen unterscheiden sich im Grunde nicht von den anderen Frauen. Sie treten selbstbewußter auf und ihre Moral scheint eine sehr strenge zu sein; aber prüfen Sie ihre Handlungen, und Sie werden finden, daß ihre Herzensangelegenheiten genau so enden, wie die weniger zart besaiteter Frauen. Sie gehören zu einer besonderen Art von »Preziösen«, sie sind, wie ich früher einmal zur Königin Christine von Schweden sagte, die »Jansenistinnen der Liebe«.

Mißtrauen Sie daher allem, was diese Frauen über die galanten Künste erzählen. All ihre schönen Systeme sind nur eitle Hirngespinste, womit sie leichtgläubige Leute täuschen möchten. In den Augen eines helldenkenden Mannes sind diese einstudierten Phrasen eitel Blendwerk, über das er spöttelt und das ihn nicht über wirkliche Gefühle täuschen kann. Das Böse, was sie der Liebe nachsagen, der Widerstand, den sie ihr entgegensetzen, die scheinbare Gleichgültigkeit, die sie für ihre Freuden erheucheln und die Furcht, die sie vor ihr haben – all dies ist schon Liebe. Sie huldigen ihr in ihrer Weise, indem sie sich mit ihr beschäftigen. Die Liebe nimmt bei ihnen nur eine andere Gestalt an. Wie der Stolz lebt sie durch ihre eigene Niederlage; sie scheint sich selbst zu zerstören, um unumschränkter herrschen zu können. Welch ein Brief! Aber wenn ich Entschuldigungen für seine Länge aufführen wollte, würde er noch nicht zu Ende sein. Adieu!

 

Elfter Brief.

Ihr Brief, lieber Marquis, hat mich entzückt – – und wissen Sie weshalb? – – Weil er ein Beweis für die Wahrheit meiner Behauptungen ist! O für den Augenblick hatten Sie ihre ganze Metaphysik vergessen! Sie malen die Reize der Gräfin mit einem Eifer, der mir deutlich beweist, daß Ihre Gefühle doch nicht ganz so zart und übergeistig sind, wie Sie es mir gern glauben machen wollen, – wie Sie selbst vielleicht fest glauben! Sagen Sie mir ganz offen, wenn Ihre Liebe nicht das Werk der Sinne wäre, könnte es Ihnen ein solches Vergnügen machen, diese schmiegsame Figur, diese entzückenden Augen, diesen Mund, den Sie so lebendig beschreiben, zu betrachten? Wenn es aber nur Vorzüge des Geistes und des Herzens sind, die Eindruck auf Sie machen können, warum sollte da nicht eine andere, die in dieser Beziehung viel reicher ausgestattet ist, Eindruck auf Sie machen? Ich meine jene fünfzigjährige Dame, die Verwandte der Gräfin, die Sie täglich sehen. Warum in aller Welt verlieben Sie sich denn nicht in die? Warum vernachlässigen Sie so viel andere Damen von gleichem Alter, von gleicher Häßlichkeit und von gleichen Verdiensten, die Ihnen freundlich entgegenkommen? Warum wünschen Sie so leidenschaftlich gerade von der Gräfin ausgezeichnet zu werden, warum werden Sie unruhig, sobald Sie einem anderen Manne die kleinste Höflichkeit erzeigt? Würde ihre Hochachtung für Sie dann eine geringere werden? Gibt es in der Metaphysik Eifersucht und Nebenbuhler? Ich glaube nicht. Sehen Sie, ich selbst habe werte Freunde, aber ich bin nicht eifersüchtig, wenn sie eine andere Frau lieben. Die Freundschaft allein ist ein Gefühl, das gar nichts mit den Sinnen zu tun hat; man empfindet sie nur mit der Seele, und diese verliert nichts an ihrem Werte, wenn sie gleichzeitig mehrere Freunde hat. Vergleichen Sie nun die Freundschaft mit der Liebe, und Sie werden finden, wie durchaus verschieden das Verhältnis zu einem Freunde mit dem zu einem Liebhaber ist. Sie müssen zugeben, daß ich nicht ganz so unvernünftig bin, wie Sie gedacht haben, wenn ich annehme, daß es sehr gut möglich ist, daß Ihre Neigung denselben lebenslustigen Charakter annimmt, wie die vieler rechtschaffener Leute, die Sie jetzt so gering schätzen. Aber ich möchte nicht nur von den Männern sprechen. Ich bin offenherzig, und ich glaube ganz sicher zu gehen, wenn ich behaupte, daß, wenn die Frauen ehrlich sein wollen, sie zugeben müssen, daß sie durchaus nicht geistiger angelegt sind wie die Männer. Wenn sie in der Liebe wirklich nur geistige Freuden suchten, wenn sie wüßten, daß sie nur durch ihren Geist und ihren Charakter gefallen könnten, warum würden sie es sich so viel Mühe kosten lassen, durch die Reize ihrer Gestalt einzunehmen? Was ist dem Geiste eine reizende Gesichtsfarbe, eine elegante Figur, ein schön gebildeter Arm? Welch ein Widerspruch zwischen ihren wirklichen Gefühlen und denen, die sie zur Schau tragen! Beobachten Sie sie vorurteilslos, und Sie werden zu dem Resultate kommen, daß es den Frauen am wichtigsten scheint und sie den größten Wert darauf legen, ihre körperlichen Reize zur vollen Geltung zu bringen und daß sie die anderen Vorzüge gering achten, auf deren Erfolg sie am allerwenigsten rechnen.

Ich bin aber wirklich viel zu gut, bekehren zu wollen, und kann es Ihrer Schönen selbst überlassen, Sie von meinen Ansichten zu überzeugen. Es wird ihr nur zu leicht werden, Ihnen ganz andere Gefühle einzuflößen als die sind, wozu Sie sich jetzt bekennen.

Ich soll heute Abend zu Fräulein von Raymond kommen, um Camus und Itier zu hören, die dort ein Konzert geben. Die Damen de la Sablière, von Salins und von Monsoreau sowie Fräulein von Fienne werden auch hinkommen. Wollen Sie nicht auch dort sein?

 

Zwölfter Brief.

Das heißt die Dinge allzu tragisch nehmen, Marquis! Zwei Nächte haben Sie nicht geschlafen! O, das ist wirkliche Liebe, darüber kann man sich nicht irren. Sie haben Ihre Augen reden lassen, haben sich sogar ziemlich deutlich ausgesprochen, und man hat nicht die kleinste Notiz von Ihrem Zustand genommen! O, ein solches Betragen schreit um Rache! Ist es möglich, daß, während Sie acht Tage geschmachtet und Ihre Angebetete mit Zärtlichkeiten und Aufmerksamkeiten überhäuft haben, sie ein so barbarisches Herz haben kann, daß sie kaum Notiz von Ihnen nimmt und Ihnen nicht die kleinste Hoffnung gibt? Das ist wirklich höchst seltsam! Ein so langer Widerstand erscheint mir durchaus unwahrscheinlich. Die Gräfin ist eine Heldin des vergangenen Jahrhunderts! Aber wenn Sie schon jetzt anfangen die Geduld zu verlieren, so bedenken Sie, was Sie erst zu leiden gehabt hätten, wenn Sie fortgefahren hätten, ihr von Ihren erhabenen Gefühlen vorzuschwärmen. Sie haben ihr sicher in acht Tagen mehr vorgegirrt, als selbst der selige Seladon in acht Monaten getan haben würde! Doch lassen Sie uns ernsthaft reden! Sie sprachen von der Gräfin wie von einer Undankbaren, Herzlosen – – aber mit welchem Rechte tun Sie das? Warum verlangen Sie von Ihrer Geliebten Dankbarkeit für eine Neigung, die Sie ohne ihr eigenes Zugeständnis empfinden? Ihr Männer seid doch gar zu eigentümlich. Ihr seid beleidigt, wenn eine Frau nicht, sobald sie sich von Euch bemerkt sieht, eifrig auf Euere Absichten eingeht. Euer Stolz rebelliert gegen eine solche eingebildete Ungerechtigkeit, als ob es ihr Fehler wäre, daß sie Euch den Kopf verdreht hat. Sagen Sie mir, ist die Gräfin wirklich dafür verantwortlich zu machen, wenn sie nicht von dem holden Wahnsinn ergriffen ist, der Ihnen den Kopf verwirrt? Hören Sie auf, sie zu beschuldigen und sich über sie zu beklagen. Versuchen Sie vielmehr, ihre Neigung zu gewinnen. Ich kenne Sie ja, weiß, wie liebenswürdig und verführerisch Sie sind. Wer weiß daher, wie bald sie ihre Ruhe verlieren und sich Ihren Wünschen geneigt zeigen wird? Jedenfalls glaube ich sicher, daß die Gräfin alle Eigenschaften besitzt, die erforderlich sind, um Sie zu ihrem Sklaven zu machen. Einer sehr ernsten Zuneigung halte ich sie kaum für fähig. Lebhaft, mutwillig, inkonsequent und entschieden auftretend wird sie Ihnen sicher recht viel zu schaffen machen. Ein aufmerksamer, immer schmachtender Verehrer würde sie nur allzubald langweilen. Sie muß kurz gehalten werden, wenn man sich ihre Liebe sichern und sie unterhalten will. Wenn die Geliebte zu zärtlich ist, dann wird sie bald von ihrem Verehrer vernachlässigt, mehr noch, er wird sich als Tyrann aufspielen und endlich den Geschmack an ihr verlieren und treulos werden. Sie haben alles, was Ihnen not tut, in der holden kleinen Gebieterin gefunden, die die Ursache Ihres Martyriums ist. Armer Marquis! Welche Stürme wird es geben! Wie werden Sie sich mit ihr zanken! Wieviel Verdruß wird sie Ihnen verursachen, und wie oft werden Sie schwören, sie nun aber auch ganz gewiß verlassen zu wollen. Aber erinnern Sie sich wohl, daß all diese Aufregungen nur dann zur Qual werden, wenn Sie sich als Romanheld aufspielen, daß aber, wenn Sie sich wie ein vernünftiger Mensch betragen, Sie im Gegenteil viel Abwechselung und Vergnügen davon haben werden.

Aber wozu noch mehr schreiben! Die Zeit, die Sie dazu verwenden, meine Briefe zu lesen, ist ein Raub, den Sie an Ihrer Liebe begehen. Lieber Gott, wie gern möchte ich Zeuge all Ihrer verliebten Abenteuer sein! Es gibt nämlich für eine kaltblütige Person nichts amüsanteres, als das Gebaren eines Verliebten.

 

Nanteuil: Bildnis der Marie de Rabutin-Chantal, Marquise de Sévigné.
(Trocaderopalais zu Paris)

Dreizehnter Brief.

Sie sind nicht mit mir zufrieden, Marquis, weil ich so unumwunden über die Lage spreche, in der Sie sich befinden? Sie wollen mit aller Gewalt, daß ich Ihr Abenteuer als eine sehr ernste Sache ansehe? Aber davor werde ich mich wohl hüten. Bemerken Sie nicht, daß meine Art, Sie zu behandeln, durchaus meinen Grundsätzen entspricht? Ich spreche leichthin über eine Sache, die mir minderwertig oder einfach amüsant erscheint. Wenn es sich jedoch um eine Angelegenheit handelte, von der ein dauerndes Glück abhängen könnte, da würde ich einen ganz anderen Ton anschlagen. Ich beklage Sie nicht, weil ich überzeugt bin, daß es nur von Ihnen abhängt, nicht beklagenswürdig zu sein. Wenn Sie es ein wenig schlau anfangen, wird, was Ihnen jetzt Verdruß verursacht, bald Ihr Vergnügen werden. Um dahin zu gelangen, tun Sie, was ich Ihnen geraten habe, und Sie werden sich wohl dabei befinden. Aber kommen wir zum zweiten Teile Ihres Briefes.

Sie sind um so mehr von der Kälte der Gräfin überrascht, als Sie sie nicht für wahr halten. Wenn ich recht verstanden habe, sind Sie durch eine von ihren Freundinnen begangene Indiskretion zu dieser Annahme berechtigt. Man hat Ihnen verraten, wie lobend die Gräfin von Ihnen gesprochen hat, und dies ist vielleicht die erste Ursache des Interesses, das Sie für sie empfinden. Das entspricht so ganz dem Charakter der Männer. Bei dem kleinsten zu ihren Gunsten gesprochenen Wort, das eine Frau sich entschlüpfen läßt, bilden sie sich ein, daß sie Absichten auf den Mann habe! Ihre Eitelkeit ist davon geschmeichelt und macht es sich zu Nutzen. Wenn man sorgfältig prüft, wird man finden, daß fast alle Männer nur aus Dankbarkeit lieben; und die Frauen sind in dieser Beziehung genau so unvernünftig; dadurch wird die Galanterie ein Handel, in dem wir immer glauben, daß der andere Teil uns entgegengekommen sei, wofür wir dankbar zu sein hätten. Und doch, wie oft irrt man sich darin! Wie oft passiert es nicht, daß gerade derjenige, der nur aus Dankbarkeit zu handeln glaubt, selbst der entgegenkommende Teil ist. Wenn zwei Liebende sich einmal ganz ehrlich und ohne Rückhalt darüber aussprechen wollten, wie der Anfang und der Verlauf ihrer Neigung gewesen sei, was für Geständnisse würden sie sich machen! – Valère hat Elisen irgend eine übliche Schmeichelei gesagt, und vielleicht ohne es zu wollen hat sie diese freundlicher aufgenommen und beantwortet, als man dies gewöhnlich tut. Wenn man nun Elisen sagen wollte, daß sie diejenige ist, die angefangen hat, so würde sie das für höchst ungerecht halten, und doch wäre es die Wahrheit. Ich schließe daraus, daß der Grund der Liebe in den meisten Fäilen vielmehr in unserer geschmeichelten Eitelkeit zu suchen ist, als in der gegenseitigen Sympathie. Beobachten Sie nur mal, wie die meisten Herzensverbindungen entstehen; sie beginnen fast immer damit, daß man einander lobt. Man hat gesagt, daß es Torheiten seien, die die Liebe erwecken; ich möchte vielmehr behaupten, daß es die Schmeichelei ist und daß keine Schöne jemand das Herz schenken wird, ehe er nicht ihrer Eitelkeit den gehörigen Tribut entrichtet hat. Dazu kommt, daß das große Liebebedürfnis, das uns erfüllt, uns sehr geneigt macht, uns zu täuschen. Wir gleichen darin jenen Schwärmern, die vermöge ihrer Einbildungskraft die Dinge, mit denen sie ihren Geist ausschließlich beschäftigen, zuletzt auch in Wirklichkeit zu sehen glauben. Ebenso glauben wir die Gefühle, die wir ersehnen, in Wirklichkeit zu finden.

Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, Marquis, daß Sie sich einem Irrtum hingegeben haben; die Gräfin kann gut von Ihnen gesprochen haben, nur um Ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und ohne irgend etwas anderes dabei zu denken. Außerdem aber, wenn sie Ihnen wirklich gewogen ist und keine Lust hat, es Sie merken zu lassen – – was ließe sich dagegen sagen? Sind nicht die Frauen durchaus berechtigt, ihre Gefühle zu verbergen und rechtfertigt der schlechte Gebrauch, den die Männer von der Gewißheit, geliebt zu werden, machen, nicht ein solches Betragen vollständig?

 

Vierzehnter Brief.

Nein, Marquis, die Neugierde der Frau von Sevigné hat mich keineswegs beleidigt. Im Gegenteil, mir ist es sehr lieb, daß sie die Briefe, die Sie von mir erhalten haben, lesen wollte. Sie hat wahrscheinlich geglaubt, wenn ich mit Ihnen über Liebe spräche, so geschehe dies in meiner eigenen Sache, und da hat sie nun gesehen, daß dies durchaus nicht der Fall ist. Sie wird erkannt haben, daß ich nicht so leichtfertig bin, wie sie es sich gedacht hat, und ich halte sie für edeldenkend genug, daß sie jetzt eine andere Idee von Ninon haben wird, als sie bisher gehabt. Madame de Sevigné spricht in ihren Briefen sich freilich sehr ungünstig über Ninon de Lenclos aus. Dies hat wohl seinen Grund darin, daß sie glaubte, Ninon sei schuld an den Ausschweifungen, denen sich ihr Sohn in den ersten Jugendjahren hingegeben hatte. Ich weiß es sehr gut, daß sie schlecht von mir spricht. Aber ihre Ungerechtigkeit wird niemals Einfluß auf unsere Freundschaft haben. Außerdem aber bin ich Philosophin genug, mir nichts aus dem Urteil einer Dame zu machen, die mich verdammt, ohne mich zu kennen.

Übrigens bin ich sicher, daß Madame de Sevigné trotz ihres großen Zartgefühles im Grunde viel öfter meiner Ansicht ist, als es scheint.

Nun aber zu dem, was Sie angeht.

Also, Marquis, nach so viel Anstrengungen glauben Sie, daß es Ihnen nun endlich doch gelungen ist, dies steinerne Herz zu rühren. Ich bin entzückt davon, aber trotzdem muß ich darüber lachen, wie Sie die Gefühle der Gräfin auslegen. Sie sind wie die meisten Männer in einem schönen Irrtum befangen, den ich Ihnen rauben möchte, so lieb er Ihnen auch ist. Sie alle glauben, daß es ihr persönliches Verdienst sei, daß die Leidenschaft im Herzen der Frauen aufflammt; sie wähnen, nur die Eigenschaften ihres Geistes und Herzens seien die Gründe der ihnen geschenkten Zuneigung. Welch ein Irrtum! Die Männer glauben dies allerdings nur deshalb, weil ihr Stolz dabei seine Rechnung findet. Aber prüfen Sie mal ohne jedes Vorurteil – wenn dies möglich ist –, was hier bestimmend wirkt! Sie werden bald genug erkennen, daß Sie sich irren, daß wir Euch täuschen, daß alles in allem Ihr das Opfer Euerer und unserer Eitelkeit seid. Das Verdienst einer geliebten Person ist nur ein Scheingrund für die Neigung, niemals die wirkliche Ursache der Liebe. Der ganze hochtrabende Apparat von erhabenen Gefühlen, mit dem man sich von beiden Seiten umgibt, entspringt einfach dem Wunsche, jenes Bedürfnis zu befriedigen, das die Triebfeder der Liebe ist. Ich spreche da eine harte und demütigende Wahrheit aus, die jedoch unumstößlich ist. Wir Frauen kommen schon mit dem unbestimmten Bedürfnis zu lieben auf die Welt, und ohne nur daran zu denken, die Männer nach ihrem Wert und Verdienst prüfen zu wollen, folgen wir fast willenlos einem blinden Instinkte. Beweis dafür sind die tollen Neigungen, mit denen wir uns manchmal für uns Unbekannte berauschen oder doch für Männer, die wir nicht näher kennen, so daß unsere Wahl sehr oft eine ganz unkluge ist. Wenn wir es gut treffen, ist es reiner Zufall. Meistens verschenken wir unsere Neigung, ohne hinreichend geprüft zu haben, und ich habe nicht Unrecht, die Liebe einem Jähhunger zu vergleichen, den man plötzlich nach einer gewissen Speise empfindet, ohne den Grund dafür angeben zu können. Ich zerstöre grausam die Luftbilder Ihrer Eigenliebe, aber ich spreche die Wahrheit. Die Liebe einer Frau schmeichelt Ihnen, weil Sie darin eine Huldigung und Anerkennung Ihrer eigenen Verdienste sehen; Sie tun ihr zu viel Ehre an oder besser gesagt, Sie haben eine zu gute Meinung von sich selbst. Glauben Sie, es ist nicht um Eurer selbst willen, daß man Euch liebt; ehrlich gesagt, jeder sucht in der Liebe nur das eigene Glück. Laune, eigenes Interesse, unsere Eitelkeit, vor allem aber das Schwinden jenes langweiligen Unbehagens, das uns quält, sobald das Herz ohne Beschäftigung ist – das ist die Quelle der erhabenen Gefühle, von denen Sie schwärmen. Es sind keineswegs die hervorragenden Eigenschaften Eures Charakters, der uns bestimmt, unsere Gunst zu verschenken, es ist fraglich, ob wir sie überhaupt in Betracht ziehen; es ist auch nicht das Herz, das einen tieferen Eindruck erhält; einzig nur die geschmeichelte Eitelkeit ist Triebfeder unseres Interesses. Das, was uns für Euch einnimmt, sind oft ganz lächerliche Dinge. Aber was wollen Sie? Wir brauchen einen Anbeter, der uns in der Idee von unserer eigenen Vortrefflichkeit erhält, wir bedürfen eines gefälligen Freundes, der unsere Launen erträgt – wir bedürfen des Mannes. Der Zufall führt uns den einen oder den anderen entgegen – man nimmt ihn an – aber man wählt nicht. Sie glauben der Gegenstand uneigennützigster Zuneigung zu sein, Sie bilden sich ein, daß die Frau Sie um Ihrer selbst willen liebt. Arme Betrogene! Ihr seid nur das Mittel zu ihrem Vergnügen, seid der Spielball ihrer Launen. Doch man muß gerecht sein, die Frauen selbst wissen das kaum und werden es nicht zugeben, daß Ihr es seid. Sie sind sich nicht klar über die Ideen, die ich hier entwickelt habe. Sie sind wirklich des guten Glaubens, von der edelsten Gesinnung geleitet zu werden, und es wäre daher eine schreiende Ungerechtigkeit, sie in dieser Beziehung der Falschheit zu beschuldigen, da sie, ohne sich dessen bewußt zu sein, Euch wie sich selbst täuschen.

Sie sehen, daß ich hier einige der Geheimnisse der Liebesgöttin ausplaudere. Erkennen Sie, wie groß meine Freundschaft für Sie ist, da ich Sie auf Kosten meines eigenen Geschlechtes zu belehren suche. Je besser Sie die Frauen kennen lernen, um so weniger Torheiten werden Sie begehen.

 

Fünfzehnter Brief.

Wirklich, Marquis, ich verstehe kaum, wie Sie den ernsthaften Ton, den ich jetzt manchmal anschlage, zu ertragen vermögen. Es scheint, als ob meine Briefe keinen anderen Zweck hätten, als den, Ihnen ihre hübschen Illusionen zu rauben und sie durch beleidigende Wahrheiten zu ersetzen. Ich muß mir wirklich diese dumme Art, stets von ernsten Dingen zu reden, abgewöhnen. Weiß ich doch besser als irgend jemand, daß man mit liebenswürdigen Lügen weiter kommt als mit weisen Ratschlägen. Aber sehen Sie – es ist stärker als ich. Heute z. B. habe ich mal wieder so einen Anfall von Philosophie, und Sie müssen sich entschließen, alle Moral, die ich für Sie bereit halte, über sich ergehen zu lassen.

Aber dann verspreche ich Ihnen auch, in Zukunft nicht mehr so langweilig zu sein. Ich ergreife also die Feder und antworte Ihnen.

Nein, ich kann nichts zurücknehmen. Selbst dann nicht, wenn Sie mir den Krieg erklären wegen der Ihnen ungerecht erscheinenden ungünstigen Beurteilung meines eigenen Geschlechtes. Ist es meine Schuld, wenn meine Kritik über seine Tugenden und Schwächen nicht günstiger ausfällt? Und außerdem: wissen Sie nicht, Marquis, daß es stets die Frau ist, die ihre Mitschwestern am strengsten beurteilt?

Übrigens will ich mich in bezug auf das, was ich gesagt, allen Ernstes rechtfertigen. Ich bin wirklich weder neidisch noch ungerecht. Wenn ich in meinem letzten Briefe mehr von meinem als von Ihrem Geschlechte gesprochen habe, so war es durchaus nicht meine Absicht, die Frauen herunterzusetzen. Ich habe Ihnen nur begreiflich machen wollen, daß die Frauen, ohne deshalb schlechter zu sein, doch viel gefährlicher als die Männer sind, weil sie sich mehr daran gewöhnt haben, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Ein Mann wird viel eher eingestehen, wer der Gegenstand seiner Liebe ist, als eine Frau dies tun wird. Wenn eine Frau Ihnen jedoch versichert, daß ihre Neigung für Sie ihren Grund in der Wertschätzung Ihres Charakters und Ihrer guten Eigenschaften habe, so bin ich, wie ich es Ihnen schon sagte, fest überzeugt, daß sie dies ganz ehrlich meint. Ich zweifle sogar nicht daran, daß, wenn sie weniger zart empfände, sie dies vor sich selbst verbergen würde. Und dennoch und trotz alledem, wenn Sie im Innersten ihres Herzens lesen könnten, würden Sie finden, daß der wirkliche Grund ihrer Neigung zu Ihnen kein rein geistiger ist und daß sich daran nichts ändern läßt. Nur verbirgt die Frau dies vor sich selbst und zwar mit derselben Sorgfalt, mit der eine sonst vollkommene Schönheit etwa ihre etwas unvollkommenen Zähne verbergen würde. Sie wird, selbst wenn sie ganz allein ist, fürchten, den Mund weit zu öffnen, und in der steten Bemühung, den Schönheitsfehler zu verbergen, wird sie dazu kommen, ihn zu vergessen oder doch für ganz unwesentlich zu halten. Außerdem können Sie mir sicher glauben, daß Männer wie Frauen viel verlieren würden, wenn sie sich im gesellschaftlichen Verkehre so zeigen wollten, wie sie wirklich sind. Man ist eben in der Welt übereingekommen, Komödie zu spielen, und seine wirklichen Gefühle zur Schau tragen, das hieße nicht mehr Schauspieler sein, sondern es hieße den wirklichen Charakter an Stelle der Rolle zu schieben, die man spielen soll. Genießen wir den Zauber dieses Spieles und lassen Sie sich nicht hinreißen, den Reiz desselben zu genau zu untersuchen. Wenn man die Liebe zergliedert, so wird man sie zerstören. Psyche hat Amor verloren, weil sie ihn zu genau kennen wollte. Und sicher liegt in dieser Fabel eine tiefe Lehre für alle, die die Freuden der Liebe zu skeptisch zu analysieren trachten.

Ich will mich deutlicher ausdrücken. Wenn ich behauptete, daß es töricht von dem Manne sei, sich etwas darauf einzubilden, wenn eine Frau ihn erwählt und zärtliche Gefühle für ihn empfindet, wenn ich gesagt, daß es durchaus nicht sein geistiger Wert ist, der Neigung erweckt, so meine ich, daß auch die Frauen die schönen Liebeserklärungen, die Ihr ihnen so prächtig vorzutragen versteht, nicht immer dem Reize ihrer Schönheit oder gar ihren persönlichen Verdiensten verdanken. Wie oft geschieht es nicht, daß gerade solche Männer, die sich der Erwählten mit höchster Ehrerbietung nahen und sie mit den gefühlvollsten, ihrer Eitelkeit schmeichelnden Redensarten zu gewinnen suchen, die ganz in der Geliebten und für die Geliebte zu leben und nur von dem Wunsche erfüllt zu sein scheinen, sie zu beglücken, wie oft sage ich, geschieht es nicht, daß gerade diese Männer von selbstsüchtigen Plänen erfüllt sind! Wie oft ist die Triebfeder ihres Handelns eine ganz andere, als sie glauben machen wollen. Wenn Sie diese edlen Seelen durchschauen und in ihren Herzen lesen könnten, so würden Sie in dem einen anstatt selbstloser Liebe nur ein heißes sinnliches Begehren finden. Ein anderer wieder denkt nur daran, durch die Hand der erwählten Dame in den Besitz ihres Vermögens zu kommen, oder er hofft eine Frau aus vornehmer Familie zu erringen. Ein Dritter ist vielleicht von noch anderen Plänen erfüllt; er hofiert eine Dame nur, um die Eifersucht derjenigen zu erregen, die er wirklich liebt, oder um sich vor dieser groß damit zu tun, wenn er die andere dann plötzlich verläßt. – Was soll ich ihr sagen? Das Herz ist ein unlösbares Rätsel. Es ist eine wunderliche Zusammensetzung von Gegensätzen. Wir glauben zu verstehen, was darin vorgeht, wir sehen aber nur die Wirkung, die Ursache kennen wir nicht. Selbst dann, wenn es seine Gefühle aufrichtig auszusprechen glaubt, kann diese Aufrichtigkeit uns nicht beruhigen. Vielleicht haben seine Erregungen ganz andere Ursachen als die, die es selbst zu empfinden glaubt. Die Männer sowohl wie die Frauen wissen selbst fast niemals genau, was sie wollen und fühlen. Aber man hat das Beste daraus zu machen gewußt: man legt sich alles zum eigenen Vorteil aus, entschädigt sich durch die Einbildungskraft für das Elend der Wirklichkeit und gewöhnt sich daran, alle Gefühle zu vergöttern. Und da die Eitelkeit aller dabei geschmeichelt wird, denkt niemand daran, diesen Gebrauch abzuschaffen oder auch nur zu prüfen, ob er irrig ist. Adieu! Wenn Sie mich heute Abend besuchen wollen, werden Sie fröhliche Gesellschaft finden, die Sie für den Ernst dieser Epistel entschädigen wird.

 

Sechzehnter Brief.

Ist das, was Sie mir schreiben, wirklich möglich, Marquis? Was, die Gräfin fährt fort, Sie schlecht zu behandeln? Die Gleichgültigkeit, mit der sie alle Ihre Aufmerksamkeiten empfängt, macht Sie ganz trostlos! Ich glaube die Lösung dieses Rätsels gefunden zu haben. Ich kenne Sie. Sie sind heiter, ausgelassen, Sie wissen sich den Frauen gegenüber liebenswürdig zu benehmen, aber all dies nur so lange sie Ihnen gleichgültig sind. Aber ich habe bemerkt, daß Sie schüchtern werden, sobald Sie sich für eine Frau interessieren: das aber ist eine Eigenschaft, mit der man allenfalls ein Bürgermädchen verführen könnte; das Herz einer Weltdame will mit anderen Waffen erobert werden. Die Komtesse aber ist eine Weltdame! Glauben Sie mir, es ist besser, die schönen Reden von Ihren erhabenen Vorsätzen und Gefühlen ganz aufzustecken. Ich sage es Ihnen im Namen der Frauen; es gibt kaum eine unter uns, die nicht lieber mal ein bißchen zu derb behandelt, als zu sehr geschont sein möchte.

Je schüchterner uns ein Liebhaber entgegentritt, um so mehr interessiert es unsere Eitelkeit, ihm zu imponieren. Je mehr Rücksichten er auf unsere Widerstandskraft nimmt, um so mehr Achtung fordern wir. Man würde ihm ja sehr gerne sagen: »Ach – aus Mitleid für uns selbst halten Sie uns doch nicht für zu tugendhaft! Sie zwingen uns ja dadurch, uns nichts zu vergeben! Setzen Sie keinen zu hohen Preis auf unsere Eroberung, hüten Sie sich, unsere Niederlage als eine zu schwere Sache zu behandeln. Gewöhnen Sie unsere Einbildungskraft langsam daran, zu glauben, daß Sie an unserer Gleichgültigkeit für Sie zweifeln!« Oft ist es das sicherste Mittel, geliebt zu werden, wenn man davon überzeugt scheint, daß man es ist. Ein Liebhaber darf wirklich nicht allzu bescheiden und rücksichtsvoll auftreten. Es ist immer ganz gut, wenn wir fühlen, daß wir uns vor ihm in acht zu nehmen haben; es ist dann nicht mehr unser Herz, das wir verteidigen, sowenig wie unsere Tugend, sondern nur unsern Stolz: dieser Stolz aber ist der stärkste Feind, den Sie bei den Frauen zu bekämpfen haben. Was soll ich sagen? Wir möchten es immer vor uns selbst verbergen, daß wir eingewilligt haben, uns lieben zu lassen. Setzen Sie eine Frau in die Lage, sich zu sagen,« daß sie überrascht worden, daß sie einer Art von Gewalt nachgegeben habe. Überzeugen Sie sie dann davon, daß Sie sie darum nicht weniger achten, und ich stehe Ihnen für ihr Herz! Behandeln Sie die Gräfin so, wie ihr Charakter dies erfordert: sie ist heiter, schäkert gern – man muß sie also spielend zur Liebe führen. Sie muß es selbst nicht merken, daß sie Sie vor anderen Männern auszeichnet; überbieten Sie ihre Heiterkeit und fröhliche Laune. Nisten Sie sich in ihrem Herzen ein, ehe sie nur merkt, daß Sie das beabsichtigen. Sie wird Sie lieben, ohne es selbst zu wissen, und sie wird eines Tages ganz erstaunt sein, Ihnen so weit entgegengekommen zu sein, ohne sich dessen vorher nur bewußt gewesen zu sein.

 

Siebzehnter Brief.

Sie glauben am Ende gar, lieber Marquis, daß ich noch grausamer als Ihre Gräfin bin? Sie ist die Ursache Ihrer Leiden, das ist wahr, aber ich bin wirklich noch viel schlimmer, denn ich habe die größte Lust Sie auszulachen! O, ich verstehe Ihre Leiden vollkommen, und Ihr Kummer erscheint mir sehr groß! Wie sollte man es auch wagen, einer Frau eine Liebeserklärung zu machen, die ein boshaftes Vergnügen darin sucht, bei jeder Gelegenheit auszuweichen. Bald scheint sie gerührt zu sein, dann wieder ist sie ganz Weltdame und bemerkt nichts von allem, was Sie tun, um ihr zu gefallen. Man hört zu, antwortet fröhlich auf die Schmeicheleien eines gewissen anderen Kavaliers, der ein Meister in der Liebeskunst ist, aber zu Ihnen spricht man ernsthaft oder auch mit ganz zerstreuter Miene. Wenn Sie einen zärtlichen Ton anschlagen wollen, so antwortet man Ihnen mit einem Scherz, oder man wechselt schnell das Gesprächsthema. Und all dies schüchtert Sie ein, beunruhigt Sie und macht Sie ganz verzweifelt? Dieser arme Marquis ...! Und ich stehe Ihnen dafür, daß all dies Liebe, nur Liebe ist. Das launenhafte Benehmen Ihnen gegenüber, die Kälte, hinter der sie sich versteckt, müssen es Ihnen doch klar machen, daß sie im Grunde nichts weniger als gleichgültig ist! Aber Ihr Mangel an aller Kühnheit, das Gefühl der Folgen, die eine Leidenschaft wie die Ihrige notwendig nach sich ziehen muß, das Interesse, das man an Ihrer Lage nimmt, all dies schüchtert die Gräfin zuletzt selbst ein; Sie selbst sind es, der ihr Fesseln auferlegt. Etwas mehr Keckheit von Ihrer Seite würde für Euch alle beide eine wahre Wohltat sein. Erinnern Sie sich dessen, was Ihnen letzthin M. de la R. F. C. sagte: ein anständiger Mensch kann verliebt sein wie ein Narr, niemals aber darf er sich wie ein Einfaltspinsel betragen.

Wenn Sie übrigens ihr eigenes, achtungsvolles und ernstes Benehmen mit dem freien, fast indezenten Wesen des Chevaliers vergleichen und daraus den Schluß ziehen, daß man Sie doch unbedingt einem solchen Manne vorziehen müsse, so urteilen Sie falsch. Der Chevalier ist eben ein Hofmacher, alles was er sagt, ist nicht ernst gemeint oder wird doch nicht ernst genommen. Weiß man doch, daß er leichtsinnig ist und die Gewohnheit hat, mit allen hübschen Frauen, denen er begegnet, anzubinden. Die Liebe spricht in diesen flüchtigen Verbindungen kaum mit. Wie ein Schmetterling hält er sich nur einen Augenblick bei jeder Blume auf. Er sucht nur ein vorübergehendes Vergnügen. Solche Leichtfertigkeit wird keine Frau beunruhigen. Sie weiß ganz genau, daß sie keine Gefahr läuft, wenn sie einem solchen Manne ihr Ohr leiht. Die Gräfin weiß auch, was sie von dem Chevalier zu halten hat, sie kennt ihn als einen Mann, dessen Herz längst verbraucht Ist. Die Frauen verstehen den Unterschied zwischen einem derartigen Verehrer und einem Manne, wie Sie es sind, ganz genau. Sie wissen, daß Sie der Gefährlichere von beiden sind, und wenn Sie sich mit Ihren ehrenhaften Absichten rühmen, so sage ich Ihnen, daß gerade Leidenschaften wie die Ihre oft ein wenig ehrenhaftes Ende nehmen und daß die Komtesse dies weiß. Der Chevalier ist ganz harmlos und macht keinerlei Ansprüche, während Sie Anerkennung Ihrer Verdienste, Bevorzugung vor den anderen Verehrern, ja direkte Opfer von der Gräfin erwarten, und das erkennt sie sofort. Sie hat ein Vorgefühl dessen, was es ihr kosten wird, wenn sie Ihnen gestatten würde, ihr eine Leidenschaft zu gestehen, die sie zweifellos teilt. Die Frauen pflegen die Gründe, die sie bestimmen, sich zu ergeben oder zu widerstehen, nicht zu prüfen, sie handeln einfach so, wie das Gefühl es ihnen eingibt, und damit treffen sie fast immer das richtige. Sie lassen sich von einer Art von Instinkt leiten, der sie vielleicht besser führt als der schärfste Verstand. Ihre schöne Adelaide scheint noch eine Weile Versteckens mit Ihnen spielen zu wollen, sie scheint es außerdem nicht zu wissen, daß eine Neigung, die man nach außen hin durchaus zu verbergen bestrebt ist, im Herzen um so rascher und fester Wurzel schlägt.

Geben Sie mir also zu, Marquis, daß Sie sich zweimal getäuscht haben. Sie haben geglaubt, daß Sie die Komtesse mehr achteten, wie dies der Chevalier tut, und Sie sehen, daß im Gegenteil seine Schmeicheleien ganz harmlos und ohne Folgen sind, während Sie das Herz der Schönen in Anspruch nehmen. Andererseits haben Sie geglaubt, daß ihr zerstreutes, gleichgültiges und unaufmerksames Wesen Vorboten Ihres Unglücks seien. Erkennen Sie Ihren Irrtum! Ich habe mehr als eine Probe dafür, daß all dies nur Bemühungen ihrerseits sind, ihr wahres Empfinden zu verstecken. Sobald also die Komtesse Sie wieder sanft behandelt, wenn Sie ihr Beweise Ihrer Neigung geben, dann haben Sie ihr Herz erobert und können ein Geständnis wagen. Auf mein Wort, sie liebt Sie!

Ah! Ich vergaß ganz, einen Punkt Ihres Briefes, der mich selbst angeht, zu beantworten. Ja, Marquis, ich bin der Methode treu geblieben, die ich seit dem Anfang unserer Korrespondenz befolgt habe. Es gibt kaum etwas in meinen Briefen an Sie, was ich nicht vorher in meinem Kreise durchgesprochen hätte. Selten habe ich Ihnen wichtigere Dinge vorgetragen, ohne mich über den Wert derselben beraten zu haben. Bald ist es M. de la Bruyere, bald Herr von Saint-Evremont, den ich um Rat frage; ein andermal ist es der Abbé von Chateauneuf. Bewundern Sie meine Ehrlichkeit. Ich könnte ja wirklich vor Ihnen groß damit tun, daß ich Ihnen so gescheit schreibe, aber nein, ich gestehe ganz offen, daß Sie diese Weisheit meist den Leuten verdanken, die ich bei mir empfange.

Dabei fällt mir ein, daß Herr M. D. L. R. F. soeben zu mir geschickt hat und mich bitten ließ, ihn zu besuchen. Ich habe mich für morgen angesagt. Sie sollten auch kommen, Sie wissen nicht, wie sehr er Sie liebt. Adieu.

 

Achtzehnter Brief.

Ich habe viel über Ihre Lage und die Verlegenheit, in der Sie sich befinden nachgedacht, Marquis. Was zwingt Sie übrigens, eine richtige und formelle Liebeserklärung zu machen? Etwa, weil Sie bei unsern alten Romandichtern gelesen haben, daß man in der Liebeskunst genau so pedantisch vorgehen müsse wie vor dem Gerichtshofe? So genau braucht man es nicht zu nehmen. Lassen Sie, wie ich Ihnen dies neulich sagte, das Feuer sich erst entzünden und alle Tage größere Wärme entwickeln, dann werden Sie auch ohne eine ausdrückliche Erklärung sehen, daß Sie beide einander lieben, und Sie werden weiter kommen als wenn Sie scheumachende Liebesschwüre leisteten, mit denen unsere Väter die Frauen ärgerten. Solche Geständnisse sind in sich selbst ganz nutzlos und bringen, nachdem sie ausgesprochen, gewöhnlich ein paar gedrückte Tage für die Liebenden mit sich. Sie stören den ruhigen Fortgang der Neigung. Verstehen Sie wohl, Marquis, eine Frau errät es lieber, daß sie geliebt wird, als daß sie es sich mit glatten Worten sagen läßt. Tun Sie einfach so, als ob das Geständnis Ihrer Liebe, das Ihnen so schwer wird, schon gemacht wäre. Oder machen Sie es wie der Chevalier, nehmen Sie sein harmloses Wesen an. Die Art wie die Komtesse vor Ihren Augen mit ihm verkehrt, scheint Ihnen dies zum Gesetz zu machen. Mit Ihrer vorsichtigen Art, Ihrer stets zur Schau getragenen Hochachtung machen Sie ganz den Eindruck eines Mannes, der einen großen Plan verfolgt, mit einem Wort, einen schlechten Streich ausführen will. Ihre Art und Weise ist beunruhigend für eine Frau, die die Folgen einer Leidenschaft wie die Ihre kennt. Bedenken Sie doch, daß, so lange Sie Ihre Vorbereitungen zum Angriffe merken lassen, sie stets zur Verteidigung bereit sein wird. Haben Sie je einen geschickten Feldherren gesehn, der, wenn er eine Festung einnehmen will, dem Feinde vorher seine Pläne und die Zeit des Sturmes mitteilt? Und in der Liebe geht es genau zu wie im Kriege: man fragt den Sieger nicht, ob er seinen Erfolg der Gewalt oder der Klugheit verdankt. Er hat eben gesiegt, er empfängt den Preis; er ist glücklich. Folgen Sie seinem Beispiel, und Ihr Los wird dasselbe sein. Verbergen Sie Ihren Plan, enthüllen Sie Ihre Pläne nicht eher, als bis es zu spät ist, Ihren Erfolg zu verleugnen; bis die Schlacht geliefert ist Der Sieg muß sicher sein, ehe Sie nur den Krieg erklärt haben; ahmen Sie den kriegerischen Völkern nach, deren Pläne und Absichten erst durch die Verheerungen, die sie anrichten, verständlich werden.

 

Neunzehnter Brief.

Aha, Marquis, man hört Ihnen bereits ohne zornig zu werden zu, wenn Sie Ihre Neigung versichern und bei allem, was Liebenden heilig ist, schwören, daß Sie für ewig treu sein werden. Werden Sie ein andermal meinen Prophezeiungen glauben? Indessen würde man Sie noch besser behandeln, sagt man, wenn Sie hübsch vernünftig sein und Ihre Gefühle zu einfacher Freundschaft herabstimmen wollten. Der Name eines Verliebten, den Sie sich beilegen, gefällt der Komtesse nicht. Wir wollen nicht darüber streiten, da im Grunde die Sache so ziemlich dieselbe ist, befolgen Sie den Rat, den Herr de la Sabliere Ihnen in seinem Madrigal gibt:

Lisa ersehnt sich keinen Liebsten,
Ihr Herz begehrt nur einen Freund,
Der sie umsorgt, bewundert, hütet
Und 's treu und ehrlich mit ihr meint.

Ihr, die ihr schmachtet nach schön Lisa,
Glaubt mir, sie ist so spröde nicht,
's ist nur das Wort – das Wörtlein: »Liebe«,
Dem sie so eifrig widerspricht.

Man quält Sie mit ungerechten Zweifeln an Ihrer Aufrichtigkeit und Beständigkeit. Man will Ihnen nicht glauben, weil alle Männer falsche Lügner sind, und man kann Sie nicht lieben, weil ihr alle unbeständig seid. Wie glücklich Sie sind! Die Komtesse kennt ihr eigenes Herz schlecht, wenn sie glaubt, Sie durch so etwas von ihrer Gleichgültigkeit zu überzeugen. Soll ich Ihnen den wirklichen Wert all dieser Reden, die sie Ihnen hält, verraten? Sie ist gerührt von der Leidenschaft, die Sie ihr zeigen; aber die Klagen und das Unglück ihrer Freundinnen haben sie überzeugt, daß die Liebesversicherungen der Männer fast immer falsch sind. Ich begreife übrigens ihre Ungerechtigkeit in dieser Beziehung nicht so ganz; denn ich, die ich den Männern gewiß nicht schmeichle, bin ganz überzeugt davon, daß bei den meisten Gelegenheiten die Liebesbeteuerungen ganz aufrichtig sind. Sie verlieben sich in eine Frau, d. h. sie empfinden den heißen Wunsch sie zu besitzen. Das entzückende Bild, das sie sich von ihrem Besitze machen, verführt sie: sie bilden sich ein, daß die dadurch errungenen Genüsse kein Ende nehmen werden. Sie denken gar nicht daran, daß das Feuer, das sie verzehrt, eines Tages matter werden, ja ganz verlöschen wird; das ist etwas, was ihnen ganz unmöglich erscheint. Sie sind selbst fest davon überzeugt, die Wahrheit zu behaupten, wenn sie uns schwören, daß sie uns ewig lieben werden, und es wäre wirklich eine große Ungerechtigkeit, daran zweifeln zu wollen. Aber die armen Leute versprechen mehr, als sie halten können. Sie wissen nicht, daß ihr Herz nicht dazu eingerichtet ist, stets nur von einem Gegenstand erfüllt zu sein. Sie hören auf zu lieben und wissen selbst nicht warum. Sie machen sich sogar selbst Vorwürfe wegen dieser Abkühlung ihrer Gefühle. Sie sprechen immer noch von ihrer Liebe, wenn diese selbst längst vorüber ist. Aber wenn sie sich genug gequält haben, dann geben sie dem Widerwillen nach und werden untreu mit derselben Überzeugung, mit der sie einst behauptet, daß dies ganz unmöglich wäre. Nichts ist einfacher. Der Rausch, den eine junge Liebe in ihrem Herzen entstehen ließ, war Ursache des Reizes, der sie verführte, dieser Zauber aber hat sich verflüchtigt, man ist wieder kaltblütig geworden; was hätten wir ihnen vorzuwerfen? Sie waren fest entschlossen, ihr Wort zu halten. Und wie viele Frauen sind nicht glücklich darüber, daß die Männer das nicht tun, da diese dadurch auch ihrem Leichtsinne freien Lauf lassen.

Wie dem immer sei, die Komtesse hält Sie für ebenso unbeständig wie die meisten Männer und fürchtet, daß Sie ihren anderen Verehrern nur allzu ähnlich seien. Bereit sich zu ergeben, wenn Sie sie nur noch ein wenig sicherer machen, sucht sie selbst nach Gründen, um Sie für aufrichtig zu halten. Die Liebe, die Sie ihr antragen, beleidigt sie also nicht mehr. Was sage ich? Sie ist entzückt davon. Sie fühlt sich so sehr davon geschmeichelt, daß es ihre größte Angst ist, sie möchte nicht wahr sein; zerstreuen Sie ihre Besorgnisse, zeigen Sie ihr, daß das Glück, das Sie ihr bieten und dessen Wert sie schon kennt, kein eingebildetes Glück ist; gehen Sie weiter, überzeugen Sie sie davon, daß sie es stets genießen wird – – und ihr Widerstand ist gebrochen, ihre Zweifel werden vergehen, sie selbst wird alles ergreifen, was ihre Unruhe und ihren Verdacht zerstören kann. Sie würde Ihnen schon eher geglaubt haben, würde sich dem Glücke geliebt zu werden mit Freuden hingegeben haben, wenn sie hätte glauben können, daß es für immer sein würde. Wie ungeschickt sind doch die Frauen, die sich einbilden, der Liebe dadurch zu widerstehen, daß sie an der Aufrichtigkeit und Beständigkeit der Männer zweifeln. Wenn sie erst fürchten, daß man sie täuschen oder ihnen nicht treu bleiben könnte, dann sind sie schon unfehlbar dem Zauber der Liebe verfallen!

Hin- und hergezogen von der Angst, ihr Glück bald zu verlieren und dem Verlangen, sich dem Liebesgenusse hinzugeben, zögern sie; – sie zittern davor, das Glück zu ergreifen, weil sie ahnungsvoll fühlen, wie sehr sie unter seinem Verluste leiden würden. Verstehen Sie also wohl, was eine Frau, die sich Ihnen gegenüber verhält wie die Komtesse, damit sagen will. Sie meint: »Ich verstehe sehr wohl, wie köstlich die Freuden der Liebe sein müssen, das Bild, das ich mir davon mache, ist einfach entzückend. Glauben Sie denn nicht, daß ich mich im Grunde ebensosehr danach sehne, dieses Glück zu genießen, wie Sie? Aber je entzückender die Vorstellung ist, die ich mir von einem solchen Glücke mache, je mehr fürchte ich, daß es nur ein Trugbild sei, und ich ängstige mich, mich einem solchen hinzugeben, da es sich nur allzubald verflüchtigen könnte. Ach, wenn ich hoffen könnte, daß mein Glück ein dauerhaftes wäre, da würde ich Ihnen nicht widerstehen ... Aber werden Sie sich nicht meine Leichtgläubigkeit zu nutzen machen? Werden Sie mich nicht einst dafür strafen, daß ich Ihnen zu sehr getraut habe? Ist wenigstens dieser Zeitpunkt noch weit von uns entfernt? Ach, wenn ich wenigstens hoffen könnte, daß unser Glück von langer Dauer wäre, dann, das gestehe ich offen, würden wir uns bald geeinigt haben?«

 

Zwanzigster Brief.

Der Nebenbuhler, den das Schicksal Ihnen gegeben, ist um so gefährlicher, da er sich genau so benimmt, wie ich Ihnen geraten habe, es zu tun. Ich kenne den Chevalier. Niemand versteht die Verführungskünste besser als er. Ich möchte darauf wetten, daß sein Herz nicht im geringsten berührt ist. Er greift die Komtesse kaltblütig an, Sie sind verloren. Ein so verliebter Verehrer, wie Sie es sind, macht hundert Schnitzer. Jeden Augenblick verliert er die Gewalt über sich. Es ist sein Unglück, daß seine Übereilung wie seine Schüchternheit ihm gleicherweise schaden, er verliert die kleinen Gelegenheiten, durch die er festen Fuß fassen könnte. Ein Mann dagegen, der den Hof einfach aus »Liebe zur Sache« macht und ohne mit seinem Herzen beteiligt zu sein, hat die größten Vorteile. Nichts entgeht ihm; er kennt die schwachen Seiten und greift sie an. Alles hilft ihm zum Ziele. Selbst seine scheinbaren Torheiten sind oft nur das Resultat reiferen Nachdenkens; sie gehen dem Erfolge voran, und er ist dessen so sicher, daß er sozusagen den Tag seines Triumphes vorher bestimmen könnte.

Hüten Sie sich, Marquis, einen falschen Weg einzuschlagen. Zeigen Sie Ihre Liebe nicht allzu offen, die Komtesse glaubt sonst, daß sie unter allen Umständen darauf zählen könnte. Beunruhigen Sie sie ein wenig; zwingen Sie sie, sich Mühe zu geben, Sie zu behalten, indem Sie ihr Furcht machen, daß Sie sich von ihr abwenden könnten. Die Frauen behandeln stets die Verehrer am schlechtesten, von deren Ergebenheit sie am meisten überzeugt sind. Sie ähneln darin dem Kaufmanne, der, sobald er merkt, daß sein Stoff gefällt, den Kunden überteuert. Mäßigen Sie also Ihre unkluge Lebhaftigkeit, Sie werden viel mehr dadurch erreichen. Um so weniger Sie Ihre Leidenschaft zeigen, um so mehr Interesse werden Sie erregen. Man muß ein wenig mit der Liebe haushalten, das ist zum Glücke beider Parteien ganz unerläßlich. Ich würde vielleicht sogar so weit gehen, Ihnen zu raten, im Notfalle ein bißchen hinterlistig zu sein. In allen anderen Fällen mag es ja ehrenhafter sein, der Betrogene als der Betrüger zu sein – aber in der Liebe? Nein, die Einfaltspinsel sind immer die Genarrten, und die Schelme haben stets die Lacher auf ihrer Seite. Adieu! –

Und doch: ich mache mir ein Gewissen daraus, Sie zu verlassen, ohne Ihnen nur ein Trosteswort gesagt zu haben. Sie dürfen den Mut nicht verlieren. So gefährlich der Chevalier immer sein mag, Sie können sich beruhigen. Ich vermute fast, daß die schlaue Komtesse ihn einfach in Szene gesetzt hat, um Sie zu beunruhigen. Nicht, weil ich Ihnen schmeicheln möchte, sage ich das, aber es freut mich doch, Ihnen sagen zu können: Sie sind wirklich mehr wert wie er. Sie sind jung, Sie treten erst in das Leben ein. Man weiß, daß Sie noch nicht geliebt haben. Der Chevalier aber hat gelebt Welche Frau sollte sich dieses Unterschiedes nicht bewußt sein?

 

Einundzwanzigster Brief.

Ehrlichkeit in der Liebe, Marquis! Wo denken Sie hin? Ach, Sie sind ein verlorener Mann. Ich werde mich schön hüten, Ihren Brief jemand zu zeigen, Sie wären fertig! Sie können es also nicht über sich bringen, sich so zu benehmen, wie ich Ihnen geraten habe? In früheren Zeiten hätte Ihre Offenheit und Ihre edle Gesinnung Ihnen vielleicht helfen können, Ihr Glück zu machen, aber in unserem verderbten Jahrhundert ist die Liebe nur noch ein Spiel der Laune und der Eitelkeit. Ihre Unerfahrenheit läßt Ihre Tugend dabei so herb erscheinen, daß Sie unfehlbar verloren sind, wenn Sie nicht vernünftig genug sind, sich nach den Sitten der Zeit zu richten. Man darf sich heutzutage nicht so zeigen, wie man wirklich ist. Alles ist Komödienspiel, und die Menschen haben gewichtige Gründe dafür. Sie haben erkannt, daß niemand Vorteil davon haben würde, wenn man sich das, was man im Bösen wie im Guten voneinander denkt, offen sagen wollte. Man ist übereingekommen, die Aufrichtigkeit durch schöne Redensarten zu ersetzen. Und auch die Kunst zu lieben ist von dieser Handlungsweise angesteckt worden. Aber trotz Ihrer großen Grundsätze müssen Sie mir zugeben, daß dieser Gebrauch, den man Höflichkeit nennt, wenn er nicht zu weit getrieben wird, im geselligen Leben große Vorzüge bietet. Gerade in Liebeshändeln ist es überaus wichtig, nicht so zu scheinen, wie man ist. Sie werden genug Gelegenheiten finden, bei denen ein Liebender viel dadurch gewinnt, daß er seine Leidenschaft versteckt und dann auch wieder dadurch, daß er mehr Wärme zeigt, als er wirklich empfindet. Ich errate die Komtesse; sie ist gewandter als Sie. Ich bin ganz sicher, daß sie ihre Neigung für Sie verbirgt und zwar mit derselben Mühe, die Sie anwenden, um ihr Beweise Ihrer Zuneigung zu geben. Ich wiederhole Ihnen: je zurückhaltender Sie jetzt sind, um so besser wird man Sie behandeln. Beunruhigen Sie die Dame; sie muß fürchten, Sie zu verlieren, dann wird sie schon kommen. Das ist das sicherste Mittel, zu erfahren, welchen Rang Sie in ihrem Herzen einnehmen.

 

Zweiundzwanzigster Brief.

Zehn Tage lang habe ich nichts von Ihnen gehört, Marquis! Aber Sie fangen an, mich allen Ernstes zu beunruhigen. Haben Sie meine Ratschläge benutzt, und sind sie Ihnen nützlich gewesen? Ich gratuliere Ihnen dazu. Aber was ich nicht billige, ist, daß die Verweigerung eines Geständnisses Sie verdrießt. Ist denn das Wörtchen: »Ich liebe Sie«, in Ihren Augen ein gar so kostbares Ding? Seit vierzehn Tagen suchen Sie die Gesinnung der Komtesse zu erforschen, und Sie haben Erfolg gehabt. Sie wissen es, daß Sie Ihnen gewogen ist. Was wollen Sie mehr? Würde ein Geständnis Ihnen vielleicht mehr Rechte auf ihr Herz einräumen? Wahrhaftig, ich finde Sie sehr sonderbar; wissen Sie denn nicht, daß nichts geeigneter ist, eine kluge Frau zu empören, als der Eigensinn, mit dem gewöhnliche Männer auf einem Geständnisse bestehen, das man Ihnen verweigert hat. Ich verstehe Sie nicht: in den Augen eines vornehm fühlenden Liebenden muß eine solche Verweigerung köstlicher sein, als eine entschiedene Erklärung. Weit entfernt, ihr wegen solcher Zurückhaltung zu zürnen, sollten Sie, wie ich dies schon andeutete, sie darüber zu täuschen suchen, welche Fortschritte ihre Liebe zu Ihnen macht. Streben Sie danach, daß sie Sie liebt, ohne sich dessen bewußt zu sein und ohne sie nötigen zu wollen, Ihnen dies selbst zu gestehen. Und gibt es etwas Köstlicheres, als zu beobachten, wie ein Herz, ohne sich selbst darüber klar zu sein, sich zuerst für Sie interessiert, dann langsam erwärmt und endlich ganz hingibt? Welch Entzücken, im Geheimen diese seelische Wandlung zu leiten, zu beschleunigen und sich des Sieges zu erfreuen, ehe die Schöne sich nur klar darüber wurde, daß man sie erobern wollte. Das nenne ich Freuden! Glauben Sie mir, Marquis, und tun Sie so, als ob der Komtesse das ersehnte Geständnis entschlüpft wäre. In Wirklichkeit hat sie ja freilich das Wort: »Ich liebe Sie«, nicht ausgesprochen, aber gerade weil sie Sie liebt, hat sie es Ihnen nicht gesagt. Im übrigen hat sie alles getan, um Sie davon zu überzeugen.

Die Frauen sind da wirklich in keiner kleinen Verlegenheit. Sie wünschen vielleicht ebenso sehr wie Sie, ihre Neigung frei eingestehen zu dürfen, aber was wollen Sie, Marquis, die Männer, die so geschickt darin sind, Schlingen zu legen, sind selbst schuld daran, wenn eine gewisse Scham die Frauen zurückhält, ihre Liebe frei zu gestehen. Wie immer man über uns denken mag, dies Geständnis hat etwas Demütigendes, für dessen Folgen wir einzustehen haben. Das Wort: »Ich liebe Sie«, ist an sich gewiß nicht gefährlich; aber das, was daraus entsteht, erschreckt uns.

Und übrigens ist die Hartnäckigkeit, mit der Sie auf diesem Geständnis bestehen, vielmehr das Werk Ihrer Eitelkeit, als Ihrer Liebe. Die Natur hat uns mit einem bewunderungswürdigen Instinkte begabt; er läßt uns mit größter Deutlichkeit erkennen, was wirkliche Neigung und was nur deren Beiwerk ist. Wir sind stets nachsichtig, sobald es sich um Dinge handelt, die Folgen einer Neigung für uns sind. Da vergeben wir Dummheiten, Zornausbrüche, kurz alle Torheiten, deren unsere Verehrer fähig sind. Aber Sie werden uns unlenksam finden, sobald unsere Selbstliebe mit der Ihren zusammenstößt. Und wer sollte es glauben? Es sind meist Dinge, die für Ihr Glück ganz gleichgültig sind, mit denen Sie uns zum Widerstande reizen. Ihre Eitelkeit hängt sich an Lappalien und verhindert Sie, das wirklich Ihnen geschenkte Glück zu genießen. Wollen Sie mir Glauben schenken? Lassen Sie von Ihrem törichten Verlangen ab, und berauschen Sie sich in der Gewißheit, von einer anbetungswürdigen Frau geliebt zu werden; genießen Sie die Freude, dies vor ihr selbst zu verbergen, und wiegen Sie sie in Sicherheit ein. Wenn Sie sie zwingen wollten, ihr das Wort: »Ich liebe Sie«, zu entreißen, was hätten Sie dadurch gewonnen? Würde Ihre Ungewißheit dadurch gehoben sein? Können Sie wissen, ob sie dies Geständnis aus Liebe oder nur aus Gefälligkeit getan? Ich kenne die Frauen. Man kann Euch durch ein berechnetes Geständnis täuschen, das nur mit den Lippen gesprochen wird – niemals aber werdet Ihr durch die unwillkürlichen Kundgebungen einer Liebe, die man Euch verbergen möchte, getäuscht werden. Das heißt, die wirklich wertvollen Geständnisse sind nicht die, die wir Euch fast gezwungen machen, sondern die uns zufällig und willenlos entschlüpfen.

 

Dreiundzwanzigster Brief.

Können Sie mir verzeihen, Marquis? Ich habe herzlich über Ihren Kummer gelacht! Sie nehmen alles sehr tragisch! Sie haben sich durch eine Dummheit die Ungnade der Komtesse zugezogen und sind darüber höchst beunruhigt. Sie haben ihre Hand mit einem Entzücken geküßt, das aller Welt auffallen mußte. Sie hat Ihnen ganz offen Vorwürfe über eine solche Unvorsichtigkeit gemacht. Sie zeichnen die Komtesse in einer auffallenden Weise aus, die auf die anderen Damen, die Sie ganz vernachlässigen, geradezu beleidigend wirkt, und die Schwägerin Ihrer Angebeteten, die Marquise von – hat Sie deshalb mit pikanten Spöttereien überschüttet. Hu, das sind ja ganz schreckliche Begebenheiten! Was, sind Sie wirklich einfältig genug, sich rettungslos verloren zu glauben, wegen einer vorübergehenden gereizten Stimmung? Glauben Sie nicht, daß im Innern die Komtesse Ihre Partei nimmt? Dann muß ich Sie davon überzeugen, und zu diesem Zweck muß ich Ihnen seltsame Geheimnisse über unser Geschlecht enthüllen. Aber ich sehe auch gar nicht ein, warum ich hier ein Loblied meines Geschlechtes singen sollte. Ich habe Ihnen nur versprochen, ganz wahr zu sein, und dies mein Wort werde ich gewissenhaft halten.

Die Frau ist fortwährend von zwei unvereinbaren Leidenschaften bewegt, von dem Wunsch zu gefallen und von der Furcht vor der Schande. Verstehen Sie wohl den Zwiespalt unserer Gefühle. Von der einen Seite brennen wir darauf, Verehrer, Bewunderer unserer Reize zu haben; wir sind stets sorgfältig bemüht, unseren Hof zu vergrößern, eine gewisse Berühmtheit zu erlangen; wir sind entzückt, sobald sich eine Gelegenheit bietet, andere Frauen demütigen zu können, und möchten sie zu steten Zeugen unserer Triumphe und der Huldigungen machen, die die Männer uns darbringen. Und wissen Sie, was das Ziel unserer Befriedigung ist? Die Verzweiflung unserer Nebenbuhlerinnen! Die Indiskretionen, die die Gefühle, die wir erweckten, verraten, entzücken uns und erhöhen ihre Verzweiflung. Und sehen Sie, solche Torheiten überzeugen uns mehr davon, daß man uns liebt, als das vorsichtigste Betragen, das nie dazu beiträgt, unsere Reize berühmt zu machen. Und doch, mit wie viel Bitterkeit sind diese Freuden durchsetzt! Wir haben mit der Bosheit unserer Konkurrentinnen und manchmal mit Euerer Mißachtung zu kämpfen. Es ist ein trauriges Verhängnis! Man macht in der Welt keinen Unterschied zwischen den Frauen, die Euch nur erlauben, sie zu lieben, und denen, die Euch dafür belohnen. Allein und bei ruhiger Überlegung wird jede vernünftige Frau ihren guten Ruf der Berühmtheit vorziehen. Wenn sie aber Rivalinnen gegenübertritt, die ihr den Preis der Schönheit streitig machen wollen, da vergißt sie ihren Ruf, über den sie so eifersüchtig wachte, und wenn sie sich tausendmal bloßstellen sollte, sie erstrebt nur das Vergnügen ohnegleichen von Euch den anderen vorgezogen zu werden. Sie wird Euch dafür zu belohnen wissen, sie glaubt ihre Gunstbeweise seien nur Zeichen ihrer Dankbarkeit, aber es sind Beweise ihrer Zuneigung. Man fürchtet, undankbar zu erscheinen, und man wird zärtlich. Es sind also nicht Euere Unvorsichtigkeiten, die uns ärgerlich machen. Wenn wir tun, als ob wir uns davon verletzt fühlen, so geschieht es nur, um der guten Sitte Rechnung zu tragen. Ihr würdet ja auch die ersten sein, eine zu große Nachsicht zu verdammen. Hüten Sie sich aber wohl, mich falsch zu verstehen. Uns bei gewissen Gelegenheiten nicht zu reizen, hieße uns beleidigen. Natürlich empfehlen wir Ihnen Diskretion und Klugheit, das ist unsere Rolle, nicht wahr? Muß ich erst sagen, welches die Ihre ist? Man hat mir oft gesagt, daß der die Gesetze nicht verstünde, der sie buchstäblich nähme. Seien Sie überzeugt, uns entgegen zu kommen, sobald Sie sie richtig auslegen.

 

Vierundzwanzigster Brief.

Die Komtesse scheint sich also wirklich ergeben zu wollen? Sie glauben, daß Sie Ihnen jetzt nur eine Prüfungszeit auferlegt? Obwohl Sie so unvorsichtig wie möglich vorgehen und Ihre Huldigungen ganz offen darbringen, findet sie nicht mehr die Kraft, Sie zu schelten, und die kleinste Entschuldigung Ihrerseits läßt jeden Vorwurf in ihrem Munde ersterben, ja sie ist in ihrem Zorne so liebenswürdig, daß Sie alles tun, ihn zu verdienen! Ich teile von ganzem Herzen Ihre Freude über diesen Erfolg. Aber so schmeichelhaft er für Sie ist, müssen Sie doch, wenn Sie die Gräfin achten, dafür sorgen, daß dieser Zustand nicht allzu lange dauert. Vernünftige Frauen, die etwas auf ihren Ruf halten, verstehen ihr eigenes Interesse schlecht, wenn sie durch eine affektierte Ungläubigkeit der Welt Gelegenheit geben, schlecht von ihnen zu sprechen. Können sie es denn gar nicht einsehen, daß es nicht immer die Zeit ist, in der sie zärtlich sind, die ihrem Rufe schadet. Sie geben vor, an der Ehrlichkeit der Neigung, die sie erregt, zu zweifeln und diese fingierten Zweifel schaden ihnen in den Augen der Welt mehr als ihre wirkliche Niederlage. So lange sie ungläubig sind, werden sie durch die größten Unklugheiten verdächtigt. Sie verläppern Ihren guten Ruf. So lange ein Verehrer sieht, daß man an der Wahrheit seiner Leidenschaft zweifelt, nimmt er sich nicht in acht und benutzt jede Gelegenheit, Proben seiner Aufrichtigkeit zu geben. Er benutzt alle Mittel, um zum Ziele zu gelangen, und kann er dies, ohne andere Frauen, die sich dadurch zurückgesetzt fühlen, zu kränken und ihren Spott auf sich ziehen? Sobald die Friedenspräliminarien geschlossen sind, d. h. sobald wir zu glauben anfangen, daß wir aufrichtig geliebt werden, kommt nichts mehr davon in die Öffentlichkeit, und wenn man dennoch etwas von unserer Verbindung weiß, so ist dies in Erinnerung einer Zeit, die für die Liebe selbst verloren ist. Zum Besten beider Parteien möchte ich also wünschen, daß eine Frau, die keinen Geschmack an ihrem Verehrer findet, nicht mit seiner Leichtgläubigkeit spiele und ohne falsche Hoffnungen in ihm zu erwecken, ihm ganz einfach den Abschied gäbe. Ebenso möchte ich aber auch, daß, wenn sie selbst warm fühlt und davon überzeugt ist, daß sie wieder geliebt wird, sie dies einfach und guten Glaubens annehmen möge. Wenn sie immer wieder Zweifel an der Ehrlichkeit ihres Anbeters ausspricht, zwingt sie ihn ja, durch übertriebene Huldigungen sie von seiner Liebe zu überzeugen, und das kann er nicht, ohne die Augen der Welt auf sich und seine Angebetete zu ziehen.

Diese Ideen paßten vielleicht schlecht in Zeiten, wo die Ungeschicklichkeit der Männer so viel Frauen unzugänglich gemacht hatte; aber heute, wo die Kühnheit unserer Angreifer uns so wenig Hilfsmittel gelassen hat, heute, wo seit Erfindung des Pulvers es keine uneinnehmbaren Festungen mehr gibt – – warum, frage ich, sollte man sich heute noch einer langweiligen Belagerung aussetzen, wenn es sicher ist, daß man nach viel Strapazen und Entbehrungen doch kapitulieren muß?

Sorgen Sie also dafür, daß die Komtesse Vernunft annimmt. Überzeugen Sie sie von ihrer Liebe, Sie werden sie durch die Rücksicht auf ihren Ruf zwingen, Ihnen zu glauben; vielleicht mehr noch dadurch, daß Sie ihr einen Grund mehr geben, Ihnen ein Vertrauen zu schenken, das sie Ihnen nur ungern verweigert hat.

 

Fünfundzwanzigster Brief.

Mein letzter Brief hat Sie geärgert, Marquis? Sie bestehen darauf, daß es auch in unserm Zeitalter nicht unmöglich sei, tugendhafte Frauen zu finden? Ja, was denn? Habe ich je das Gegenteil behauptet? Wenn ich die Frauen mit belagerten Festungen verglichen habe, so habe ich damit doch nicht bestritten, daß es Städte gibt, die niemals eingenommen wurden? Wie hätte ich so etwas sagen können? Es gibt sogar welche, die nie belagert worden sind!! Sie sehen also, daß ich ganz Ihrer Ansicht bin. Ich will mich aber noch deutlicher ausdrücken, damit Sie nicht mehr meine Worte verdrehen können. Folgendes ist also mein Glaubensbekenntnis über diesen Punkt. Ich glaube also fest daran, daß es tugendhafte Frauen gibt – –, falls sie nicht in Versuchung geführt worden, nicht angegriffen worden sind. Ich glaube sogar, daß es tugendhafte Frauen gibt, obwohl sie in Versuchung geführt wurden, wenn sie nämlich temperamentlos sind, keiner heftigen Neigung fähig, keine Freiheit kennen, nicht an einen ungeliebten Mann gebunden sind. Ich habe Lust, Ihnen bei dieser Gelegenheit eine Unterhaltung mitzuteilen, die ich, als ich noch viel jünger war, mit einer sogenannten Tugendheldin hatte, die dann später durch einen Skandal demaskiert wurde. Damals hatte ich noch gar keine Erfahrung. Ich beurteilte die andern noch mit der ganzen Strenge, die man nur so lange besitzt, bis die eigenen Schwächen uns lehren, gegen unsere Mitschwestern nachsichtig zu sein. Ich verurteilte das Betragen dieser Frau auf das Strengste und sprach mich offen darüber aus. Sie wußte es. Ich traf sie zuweilen bei einer meiner Verwandten. Eines Tages sagte sie, daß sie mich allein sprechen wolle, und hielt mir folgende kleine Rede. Sie machte einen solchen Eindruck auf mich, daß sie sich für immer meinem Gedächtnisse eingeprägt hat.

»Ich will nicht deshalb mit Ihnen allein sprechen, weil ich erfahren, daß Sie so schlecht über mich gesprochen haben und weil ich Ihnen dies vorwerfen möchte,« sagte sie, »nein, es ist, um Ihnen einen Rat zu geben, dessen Wichtigkeit Sie eines Tages erkennen werden. Sie haben mein Betragen mit einer Strenge verurteilt, Sie behandeln mich mit einer Verachtung, die mir nur zu genau beweist, wie stolz Sie darauf sind, daß Sie noch nicht zu Falle gekommen sind. Sie sind Ihrer Tugend sehr sicher und glauben, daß es unmöglich sei, sie je zu verlieren. Aber das, mein liebes Kind, ist nur eine Einbildung Ihrer Eigenliebe. Ich halte mich dazu verpflichtet, Ihre Unerfahrenheit aufzuklären und es Ihnen klar zu machen, daß Sie durchaus keine Ursache haben, stolz auf eine Tugend zu sein, die noch keine Probe bestanden hat, von der Sie also nicht wissen können, ob Sie sie wirklich besitzen. Hören Sie mir aufmerksam zu, und Sie werden sich von der Wahrheit dessen, was ich sage, überzeugen.

Bis jetzt hat Ihnen überhaupt niemand von Liebe gesprochen. Ihr Spiegel allein sagt Ihnen, daß Sie hübsch sind. Über Ihrem ganzen Wesen liegt eine Gleichgültigkeit, die nur zu deutlich verrät, daß Ihr Herz noch nicht erwacht ist, daß die Stimme der Natur noch nicht gesprochen hat. Solange dies der Fall ist, stehe ich vollständig für Sie ein. Aber wenn erst das Herz gesprochen hat, wenn diese an sich schon so entzückenden Augen erst Leben und Ausdruck gewonnen haben, wenn sie die Sprache der Liebe sprechen werden – wenn Sie eine innere Unruhe bewegt und wenn die Skrupel einer guten Erziehung Sie über halb erstickte Wünsche heimlich erröten machen, dann wird Ihr besseres Gefühl erwachen, werden Ihre innern Kämpfe Sie nachsichtiger gegen andere machen und Sie deren Fehler entschuldigen lehren. Im Gefühl Ihrer eigenen Schwäche werden Sie Ihre Tugend nicht mehr für unfehlbar halten. Der geringe Halt, den sie Ihnen im Kampfe mit einer heftigen Leidenschaft gibt, wird Sie an ihrem Werte zweifeln lassen. Wie kann man von einem Manne sagen, daß er tapfer sei, ehe er sich nur geschlagen hat? Gerade so ist es mit uns. Wie die Gefahr erst der Tapferkeit Wert verleiht, so ist es die Versuchung allein, in der die Tugend sich bewähren kann. Solange man nicht in Berührung mit dem Feinde gekommen, weiß man nicht, ob er gefährlich ist und ob wir seinem Widerstand gewachsen sein werden.

Wenn eine Frau sich wirklich rühmen kann, aus eigener Kraft tugendhaft zu sein, so müßte sie stark genug sein, jeder, auch der verlockendsten Versuchung zu widerstehen und auf keinen Fall zu unterliegen. Die günstigste Gelegenheit, die zärtlichste Liebe, die Achtung und das vollkommenste Vertrauen des Versuchers, die Gewißheit, daß das Geheimnis ihrer Niederlage nie enthüllt würde, kurz, alle nur erdenkbaren Vorteile müßten keinen Eindruck auf sie machen. Um also zu wissen, ob eine Frau in des Wortes wirklichster Bedeutung tugendhaft sei, müßte sie allen diesen Gefahren und Versuchungen widerstanden haben. Ihre Tugend wird immer zweifelhaft sein, solange sie nicht mit allen Waffen angegriffen worden ist, die sie zum Falle hätten bringen können, und selbst dann könnte man immer noch sagen, daß, wenn sie ein anderes Temperament gehabt oder sich ihr eine noch günstigere Gelegenheit geboten hätte, ihre Tugend nicht standgehalten hätte.« –

»Demnach,« antwortete ich ihr, »würde es ja keine einzige tugendhafte Frau geben, denn ich glaube nicht, daß man eine finden kann, die auf einmal mit so viel Feinden zu kämpfen hätte.« – »Das kann sein,« antwortete sie, »aber wissen Sie den Grund davon? Es gehört eben gar nicht so viel dazu, um uns zu besiegen, einer der genannten Feinde genügt, um Erfolg zu haben.«

Ich fuhr fort: »Sie glauben also, daß unsere Tugend nicht von uns abhängt? Sie glauben, daß sie nur vom Zufall und von fremden Ursachen, die nichts mit unserm Willen zu tun haben, abhängig ist?«

»Ohne Zweifel! Ich frage Sie, sind Sie Herrin darüber, sich ein sanguinisches oder phlegmatisches Temperament zu verschaffen? Sind Sie frei, sich gegen eine heftige Leidenschaft zu wehren? Hängt es von Ihnen ab, alle Verhältnisse Ihres Lebens so einzurichten, daß es sich niemals so fügt, daß Sie allein mit einem von Ihnen geliebten Verehrer sind, der seinen Vorteil kennt und zu benutzen weiß? Hängt es von Ihnen ab, daß seine anfangs vielleicht ganz harmlosen Huldigungen, je dringender sie werden, auf Ihre Sinnlichkeit einen ganz natürlichen Einfluß bekommen? Nein, gewiß nicht. Und da wollen Sie noch behaupten, daß die Tugend Ihr Verdienst sei? Sie wollen sich eines Vorzuges rühmen, der Ihnen jeden Augenblick genommen werden kann! Die Tugend der Frauen ist wie so viele andere Güter, deren wir uns erfreuen, ein Geschenk des Himmels; es ist eine Gunst, die er uns auch verweigern könnte. Fühlen Sie nicht, wie unvernünftig es ist, sich dessen rühmen zu wollen? Erkennen Sie Ihre Ungerechtigkeit, wenn Sie so grausam über die Frauen urteilen, die unglücklicherweise von Natur so heißblütig sind, daß sie der Liebe nicht widerstehen konnten und sich von einer heftigen Leidenschaft überraschen ließen? Vielleicht geschah dies unter Verhältnissen, wo Sie selbst Ihre Ehre nicht gerettet haben würden.

Wollen Sie den Beweis der Richtigkeit meiner Worte? Ich finde sie in Ihrem eigenen Betragen. Sind Sie nicht fest davon überzeugt, daß jede Frau, die tugendhaft bleiben will, sich niemals gehen lassen darf; daß sie sich in den geringsten Kleinigkeiten beobachten muß, weil Sie wissen, daß sie wichtigere Dinge nach sich ziehen können? Es ist viel leichter für Sie, den Männern durch Ihr strenges, ernstes Betragen von vornherein den Mut zu nehmen, Sie anzugreifen, als sich gegen ihre Angriffe verteidigen zu müssen. Beweis dafür ist, daß man bei Erziehung der jungen Mädchen sie so viel, wie nur immer möglich, zurückzuhalten sucht.

Man tut mehr: eine kluge Mutter verläßt sich nicht auf die Grundsätze ihrer Tochter, nicht auf die Furcht vor Entehrung, nicht auf die schlechte Meinung, die sie ihr von den Männern gemacht, sie behält sie fortwährend im Auge. Sie macht es ihr einfach unmöglich, der Versuchung zu unterliegen. Und was ist ihr Grund für so viel Vorsicht? Die Mutter fürchtet die Schwäche ihres Kindes, wenn sie es nur einen Augenblick ungeschützt der Gefahr aussetzt. Dennoch, trotz aller Hindernisse und Vorsichtsmaßregeln, mit denen man uns umgibt, wie oft geschieht es nicht, daß die Liebe sich über alle wegzusetzen weiß? Ein wohlerzogenes Mädchen, richtiger sagen wir: ein gut bewachtes Mädchen ist stolz auf ihre Tugend, weil sie sie für eigenes Verdienst hält. Sie gleicht darin beinahe einem in festen Ketten liegenden Sklaven, der meint, man müsse es anerkennen, daß er nicht die Flucht ergreife. In der Tat, in welcher Gesellschaftsklasse finden Sie die meisten gefallenen Mädchen? In denen, wo man nicht reich und glücklich genug situiert ist, um sie fortwährend mit den Vorsichtsmaßregeln zu umgeben, durch die sie geschützt werden. Wo die Männer mehr Gelegenheit haben, sie keck und mit großem Vorteil anzugreifen, und wo die Eindrücke der Erziehung, das Beispiel, der Stolz, der Wunsch nach einer guten Versorgung den Frauen keinen Halt geben. Diese armen Wesen glauben Sie hassen und verachten zu dürfen! Vergessen Sie doch nicht, daß trotz aller fremden Hilfe, durch die Ihre Tugend, auf die Sie so stolz sind, gestützt wird, Sie dennoch in zwei Tagen tiefer fallen könnten, wie eine von ihnen, weil Sie sich so viel leichter vor diesem Unglück schützen konnten. Ich möchte Ihnen aber nicht das Verdienst Ihrer Tugend heruntersetzen, um Sie dadurch vielleicht zu veranlassen, sie eher preiszugeben. Nein, indem ich Sie von ihrer Zerbrechlichkeit überzeuge, geschieht es nur, um ein wenig Nachsicht zu erringen für alle die, die heißes Blut und die Gewalt der Umstände in eine selbst in ihren eigenen Augen demütigende Lage gestürzt hat. Mein einziger Zweck ist, Sie fühlen zu lassen, daß es unrecht ist, sich eines Gutes zu rühmen, das Sie nicht sich selbst verdanken und daß Ihnen morgen entrissen werden kann!« Sie wollte fortfahren, aber wir wurden unterbrochen. Die Erfahrung lehrte mich bald, meine hohe Meinung von der Tugend, die mir früher so imponierte, herabzusetzen.

 

Sechsundzwanzigster Brief.

Darin fühle ich ganz wie Sie, Marquis! Obgleich meine ausgesprochenen Beobachtungen ganz sicher zutreffend sind, wäre es doch etwas gefährlich, wenn alle Frauen sich davon überzeugten. Nicht durch das Bewußtsein ihrer Schwäche bleiben sie tugendhaft, sondern durch die innere Überzeugung, daß sie frei und Herrinnen darüber sind, ob sie nachgeben oder widerstehen wollen. Würde man einen Soldaten dadurch zur Tapferkeit anregen, wenn man ihn davon überzeugt, daß er besiegt wird? Aber haben Sie es nicht bemerkt, daß die Dame, deren Worte ich in meinem letzten Briefe anführte, ein persönliches Interesse daran hatte, ihr System annehmbar zu machen? In der Tat, wenn man ihre Erörterungen mit philosophischem Geiste prüft, erscheinen sie weniger annehmbar. Die Frauen davon überzeugen zu wollen, daß sie die Tugend nicht sich selber verdanken, heißt das nicht ihnen den wichtigsten Grund rauben, der sie bestimmt, sie zu erhalten? Ich meine die Überzeugung, daß es ihr eigenes Werk ist, das sie verteidigen. Die notwendige Folgerung einer solchen Moral würde eine vollständige Entmutigung sein; außerdem könnte sie sogar dazu dienen, den schuldigen Frauen als Entschuldigung ihrer Verirrungen zu gelten. Aber sprechen wir von Dingen, die für Sie von größerem Interesse sind.

Endlich also, nach so viel Zweifeln und Aufregungen, sind Sie überzeugt davon, daß man Sie liebt? Sie haben es verstanden, die Komtesse zu gewinnen, und in einem Augenblick der Rührung ist ihr das Geheimnis entschlüpft. Man hat das von Ihnen so heißersehnte Wort ausgesprochen. Man hat mehr getan, man hat Ihnen viele unwillkürliche Beweise der Liebe gegeben, die Sie ihr einzuflößen verstanden haben. Die Gewißheit, wieder geliebt zu werden, hat Ihre Leidenschaft noch erhöht, und kurz, Sie sind der glücklichste aller Menschen. Es würde Ihr Glück noch erhöhen, wenn Sie wüßten, wie sehr ich mich darüber freue! Das erste Opfer, was man Ihnen brachte, war, daß man den Chevalier nicht mehr empfangen wollte; aber das haben Sie nicht gewollt, und Sie haben sehr wohl daran getan. Sie hätten dadurch die Komtesse wegen eines Nichts verdächtigt; das erinnert mich daran, daß die Frauen im allgemeinen sich mehr durch ihre Unklugheiten, als durch wirkliche Fehler schaden. Natürlich hat Ihr edles Vertrauen die Komtesse tief gerührt. Alles das ist ganz herrlich. Und trotz alledem fängt diese Wendung an, mich etwas zu beunruhigen. Erinnern Sie sich, daß wir überein gekommen waren, die Liebe etwas weltmännischer zu nehmen? Sie wollten sich nur in eine leichte, vorübergehende Verbindung einlassen und nicht in eine regelrechte Liebe. Ich sehe jedoch, daß die Sache alle Tage ernster wird. Sie behandeln die Liebe mit einer Wichtigkeit, die mich zu beunruhigen anfängt.

Sie beschäftigen sich zuviel mit dem guten Charakter und den soliden Eigenschaften, zuwenig mit den persönlichen Reizen der Dame, in die Sie so toll verliebt sind. Mir gefällt es nicht, wenn in einem Liebeshandel zuviel von Achtung geredet wird. Dabei kommt man nicht zum behaglichen Genießen. Ich fürchte beinahe, daß Ihr Verhältnis einen allzu ernsten und pedantischen Charakter annimmt. Aber die Gräfin wird Sie hoffentlich nicht zur Ruhe kommen lassen und durch kleine Zänkereien für die nötige Abwechselung sorgen. Ein fortwährender Frieden würde tödlich langweilig sein. Die Gleichförmigkeit tötet die Liebe: sobald sich die Pedanterie in eine Herzensangelegenheit schleicht, verschwindet die Leidenschaft, die Langeweile zieht ein, und schließlich empfindet man direkten Widerwillen.

 

Siebenundzwanzigster Brief.

Madame de Sevigné ist also nicht meiner Meinung über die Ursachen der Liebe? Sie glaubt, daß eine ganze Reihe von Frauen sie nur von der idealen Seite kennen und daß die Sinnlichkeit mit ihrer Herzensverbindung gar nichts zu tun habe? Sie glaubt daß meine Ansichten, die sie als mein System bezeichnet, durchaus unpassend für eine Frau seien und daß sie in moralischen Beziehungen üble Folgen nach sich ziehen könnten?

Ganz gewiß, Marquis, das sind sehr ernste Vorwürfe; aber sind sie begründet? Ich glaube es nicht. Ich sehe mit Bedauern, daß Frau von Sevigné meine Briefe nicht mit dem Geiste, in dem sie geschrieben sind, zu lesen verstanden hat. Ich und Systeme! Nein, wirklich, sie tut mir zuviel Ehre an, und ich bin niemals fleißig genug gewesen, ein System auszuarbeiten. Ich denke mir überhaupt, daß ein System nichts anderes ist, als ein philosophischer Traum; glaubt sie denn wirklich, daß alles, was ich gesagt, nur Gebilde meiner Einbildungskraft seien? In diesem Falle sind wir weit davon, uns zu verstehen. Ich bilde mir nichts ein, ich male die Dinge so, wie sie sind. Ich will, daß man mit mir über die Wahrheit übereinstimme, und zu diesem Zwecke beabsichtige ich nicht auf den Geist zu wirken, sondern ich frage das Gefühl. Sollte sie vielleicht von der Eigentümlichkeit einiger meiner Ansichten betroffen gewesen sein? Ansichten, die mir so klar scheinen, daß ich es kaum für nötig hielt, sie zu beweisen? – Madame von Sevigné kennt, wie Sie sagen, eine Reihe von Metaphysikerinnen? Nun, ich lasse diese als Ausnahme voll gelten, vorausgesetzt, daß sie zugibt, daß die Regel eine andere ist. Ich gebe gern zu, daß es wirklich kühle Naturen gibt, die Sie bevorzugt nennen, und niemals ist es mir eingefallen zu leugnen, daß ein ruhiges Temperament unter Umständen sehr vorteilhaft sein kann. Ich habe nichts gegen Frauen dieser Art vorzubringen. Ich kritisiere sie nicht, ich habe ihnen nicht das geringste vorzuwerfen, aber ich glaube auch nicht, daß sie besonders lobenswert sind; ich begnüge mich damit, ihnen von Herzen Glück zu wünschen. Prüfen Sie sie aber näher, und Sie werden die Wahrheit dessen, was ich Ihnen gesagt, bestätigt finden; das Herz muß ausgefüllt werden. Wenn die Natur nicht zur Liebe geneigt ist, oder auch, wenn sie genug davon bekommen hat, wirft sie ihre Zärtlichkeit auf einen andern Gegenstand. Manche erscheint uns nur darum heute unempfänglich für die Liebe, weil sie ihrer Zeit sich zu sehr ausgegeben hat. Man sagt, daß der Graf von Lude der Frau von Sevigné nicht immer gleichgültig gewesen sei und daß sie jetzt ihre ganze Zärtlichkeit auf Frau von Grignan geworfen habe.

Behandle ich denn wirklich die Frauen so schlecht? Sie meinen, daß ich die Fehler meines Geschlechtes, Fehler, die mir selbst anhaften, mit dem Mantel der christlichen Liebe bedecken sollte? Aber glauben Sie denn wirklich, Marquis, wenn alles, was ich Ihnen gesagt, offenkundig würde, daß die Frauen auch nur daran denken würden, beleidigt zu sein? Lernen Sie sie besser kennen, alle würden ihre Rechnung dabei finden. Heißt es denn nicht ihr Wohlbehagen erhöhen, wenn man ihnen sagt, daß es ein natürlicher Trieb ist, der sie zur Liebe führt? Ist es nicht eine Rechtfertigung ihrer Verirrungen, wenn man den geheimnisvollen sympathischen Zug des Herzens zum Herzen anerkennt? Sehen Sie nicht ein, wie sehr es ihre Eitelkeit verletzen würde, wenn man behaupten wollte, daß die Liebe ein Werk reiflicher Überlegung sei? Sie würden sie dadurch für ihre mehr oder minder glückliche Wahl verantwortlich machen. Wirklich, Marquis, ich irre mich nicht, wenn ich Ihnen sage, daß alle Frauen mit meinen Briefen zufrieden sein werden. Die Metaphysikerinnen, das heißt diejenigen, die mit einem kühlereren Temperament bevorzugt sind, werden mit Vergnügen glauben, daß sie höher stehen als die andern Frauen; sie werden ihre Denkungsart für edler halten, sich selbst dazu beglückwünschen und sie sich zum Verdienst anrechnen. Die Frauen jedoch, die etwas materieller beanlagt sind, werden mir gewiß dankbar dafür sein, ein Geheimnis enthüllt zu haben, das im stillen auf ihnen lastete. Man hat es ihnen von früh an zur Pflicht gemacht, ihre Neigung zu verstecken; sie möchten dieser Pflicht nachkommen und doch die Freuden der Liebe nicht verlieren. Sie haben also ein Interesse daran, daß man sie errät, ohne daß sie sich etwas vergeben. Wer also ihr Herz zu erschließen vermag, der tut ihnen einen wesentlichen Dienst. Dabei bin ich überzeugt davon, daß diejenigen, die im Grunde ganz meine Gesinnungen teilen, die ersten sein würden, sie zu bekämpfen. Ich habe ihnen also nach zwei Richtungen hin einen Dienst erzeigt, einmal, indem ich Grundsätze aufstellte, die ihrer Neigung schmeicheln, und dann, indem ich ihnen Gelegenheit gab, die Zartsinnigen zu spielen.

Bilden Sie sich wirklich ein, Marquis, daß Sie die Frauen kennen, wenn Sie glauben, daß sie Anstoß an den kleinen Bosheiten nehmen würden, die ich über sie gesagt habe? Man sagt von alters her, daß sie es lieber haben, wenn man ein bißchen schlecht von ihnen spricht, als wenn man überhaupt nicht von ihnen sprechen wollte. Sie sehen also, daß sogar dann, wenn meine Absichten die wären, die sie mir unterschieben, die Frauen mir deshalb nicht den kleinsten Vorwurf machen würden.

Frau von Sevigné glaubt, daß das, was sie mein System nennt, üble Folgen nach sich ziehen könne. Wirklich, Marquis, ich verstehe nicht, wie sie mit ihrem scharfen Verstand einen solchen Gedanken fassen konnte! Ist es denn nicht klar, daß ich die Liebe dadurch weniger gefährlich mache, wenn ich sie des Nimbus entkleide, mit dem die Metaphysik sie umhüllt und sie ganz einfach als Wirkung des Temperamentes, der Laune, der Eitelkeit hinstelle? Wird sie nicht viel gefährlicher dadurch, daß man sie, wie Frau von Sevigné dies möchte, zur Tugend erhebt? Ich möchte mein Gefühl mit dem jenes berühmten Gesetzgebers des Altertums vergleichen, der die Macht der Frauen auf seine Mitbürger nicht dadurch abzuschwächen glaubte, daß er sie nackt zeigte.

Aber ich will zu Ihren Gunsten eine letzte Anstrengung machen. Wenn man also von mir behauptet, daß ich eine Frau bin, die ein System erdacht, so werde ich mich wohl den Forderungen dieses schönen Titels unterwerfen müssen. Sprechen wir also von der galanten Kunst mit der Wichtigkeit, die man sonst nur ernsteren Dingen beilegt.

Ist die Liebe nicht eine Leidenschaft? Behaupten nicht ernsthafte Leute, daß Leidenschaften und Laster ganz dasselbe bedeuten? Ist das Laster nicht dann am verführerischsten, wenn es sich das Ansehen der Tugend zu geben weiß? Man sollte es daher nur unter einer Gestalt darstellen, die die tugendhaften Seelen abschreckt. Haben aber nicht die Schüler des Platons sie vergöttlicht? Hat man nicht zu allen Zeiten, um die Leidenschaften zu rechtfertigen, sie bis in den Himmel erhoben? Und ich, was habe ich getan? Ich habe den eingerissenen Aberglauben angegriffen, habe das Götzenbild zerbrochen. Welche Kühnheit! Muß ich mich nicht darauf gefaßt machen, daß die Frauen mich verfolgen werden, weil ich ihren Lieblingskultus angegriffen habe?

Es tut mir leid um sie. Es war ganz hübsch, nicht erröten zu müssen, wenn man sich von der Liebe erfaßt fühlte, sich sogar Glück dazu zu wünschen, der Macht des allbeherrschenden Liebesgottes verfallen zu sein. Aber was hat ihnen die arme kleine Menschheit getan? Wozu sie verkennen und die Ursache unserer Schwächen in, den Himmeln suchen? Wir wollen auf der Erde bleiben, wir werden sie da finden, wo ihr Platz ist.

Wirklich, ich habe in meinen Briefen durchaus nicht gegen die Liebe geeifert; ich habe Ihnen keineswegs geraten, sich ihr nicht hinzugeben. Bin ich doch nur zu sehr von der Nutzlosigkeit solcher Ratschläge überzeugt. Aber indem ich Ihnen zeigte, was die Liebe wirklich ist, habe ich das Trugbild, das Sie sich von ihr gemacht, zerstört, und die Macht, die sie auf Sie ausüben könnte, abgeschwächt. Die Erfahrung wird mich rechtfertigen.

Ich weiß ganz genau, daß man bei der Erziehung der Frauen ganz anders verfährt. Aber was ist das Resultat dieser Methode? Man fängt damit an, sie zu täuschen. Man will sie vor der Liebe bange machen, wie vor Gespenstern. Man stellt ihnen die Männer wie Ungeheuer an Untreue und Nichtswürdigkeit hin. Nun nähert sich ein junger Mann in respektvoller, bescheidener Weise und von guten Absichten erfüllt dem jungen Mädchen, dem man so dummes Zeug vorgeredet hat. Natürlich erkennt es sofort, daß man mit ihr gespielt hat, und in dem Augenblick, wo sie erkennt, wie sehr man alles übertrieben hat, verlieren ihre bisherigen Ratgeber allen Glauben bei ihr. Fragen Sie sie, und wenn sie aufrichtig ist, wird sie Ihnen gestehen, daß die Gefühle, die das Ungeheuer in ihrem Herzen erweckt hat, keineswegs Gefühle des Schreckens und des Abscheus sind.

Man täuscht sie noch in einer andern Weise. Das Schlimmste dabei ist, daß es sich kaum anders machen läßt. Man vermeidet es mit einer unendlichen Sorgfalt, sie wissen zu lassen, daß die Zeit kommen wird, wo die Sinnlichkeit sich in ihr regen wird und daß der Kampf mit dieser der allergefährlichste für sie ist. Man spricht immer nur in der Voraussetzung, daß sie ganz unberührt, reinen Sinnes sei. Was entsteht daraus? Da die Mädchen auf diese Versuchung nicht vorbereitet waren, wissen sie ihr nicht zu widerstehen. Wie sollten sie auch dazu kommen, zu vermuten, daß ihr gefährlichster Feind einer sei, von dem man ihnen niemals gesprochen: wie sollten sie dagegen gewappnet sein? Nicht vor den Männern sollte man ihnen Angst machen, sondern vor sich selbst. Was könnte ein Liebender ausrichten, wenn seine Schöne nicht durch ihre eigenen Wünsche verführt würde?

Also, Marquis, wenn ich den Frauen sage, daß ihre Natur die erste Ursache ihrer Schwächen ist, so ist das etwas ganz anderes, als wenn ich ihnen raten wollte, ihren Schwächen nachzugeben. Im Gegenteil, ich mache sie darauf aufmerksam, nach welcher Seite sie vorsichtig zu sein haben. Das heißt, ich teile dem Kommandanten der Festung mit, daß der Angriff nicht an den stark befestigten Wällen stattfinden wird und daß es nicht die Belagerer sind, die ihm Gefahr bringen, sondern daß er von seinen eigenen Leuten verraten werden wird.

Sehen Sie nicht, daß ich, indem ich den Frauen die Gefühle, die sie so übertrieben schätzen, in ihrem wahren Werte zeige, indem ich sie über den wirklichen Zweck der ihnen so edel erscheinenden Verehrer aufkläre, sehen Sie nicht, sage ich, daß ich damit ihre Eitelkeit anrege, nicht zu viel Wert darauf zu legen, geliebt zu werden und daß ich gleicherweise ihr Herz auffordere, weniger Glück in der Liebe zu suchen? Das können Sie mir glauben, wenn es erst gelänge, die Eitelkeit in Widerstand mit ihrer Neigung zur Galanterie zu bringen, so würde die Tugend nicht dabei zu kurz kommen.

Ich habe Liebhaber gehabt. Aber ich habe mich niemals törichten Illusionen über sie hingegeben. Ich habe sie genau durchschaut. Ich verstand es vollständig, daß, wenn überhaupt mein Geist und mein Charakter mitsprachen, wenn sie sich mich zu lieben entschlossen, dies doch nur geschah, weil meine guten Eigenschaften ihrer Eitelkeit schmeichelten. Sie verliebten sich in mich, weil ich schön war und weil sie sinnliches Verlangen nach mir hatten. Deshalb haben sie auch immer nur den zweiten Platz in meinem Herzen eingenommen. Meine Freunde haben stets den ersten Platz darin behauptet. Ich habe für die Freundschaft stets die Hochachtung, die Beständigkeit gehabt, die ein so edles Gefühl verdient, das edler Leben so würdig ist. Nie habe ich ganz das Mißtrauen gegen Herzen verloren, in denen stets nur die Liebe die Hauptrolle spielte. Diese Schwäche hat sie in meinen Augen heruntergesetzt. Ich habe sie für unfähig gehalten, ihre Gefühle zu einer wirklichen Hochachtung für die ersehnte Frau aufzuschwingen.

Sie sehen also, Marquis, daß die Konsequenzen, die man aus meinen Grundsätzen ziehen kann, durchaus nicht gefährlich sind. Das einzige, was aufgeklärte Leute mir vielleicht vorwerfen könnten, wäre, daß ich mir die Mühe gebe, Ihnen eine Wahrheit zu beweisen, die Ihnen überhaupt nicht problematisch erscheint; aber rechtfertigen nicht Ihre Unerfahrenheit und Ihre Wißbegierde alles, was ich geschrieben und alles, was ich vielleicht über diese Angelegenheit noch schreiben werde?

 

Ph. de Campaigne: Marschall Turenne
(K. Pinakothek zu München)

Achtundzwanzigster Brief.

Sie täuschen sich nicht, Marquis, das ausgesprochene Talent, das die Gräfin zum Klavierspielen besitzt, sowie ihr feiner musikalischer Geschmack werden Ihre Liebe und Ihr Glück erhöhen. Wie lange sage ich schon den Frauen, daß sie sich der Vorteile, die sie aus ihren Talenten ziehen können, nicht genügend bewußt sind, und doch gibt es kaum eine Zeit, in der diese ihnen nicht wirklich von großem Nutzen sein könnten. Die meisten Frauen bilden sich ein, daß für ihre Tugend nur die Gegenwart ihres Geliebten gefährlich sei, und es ist ja wahr, daß sie dann mit zwei Feinden, mit ihrer eigenen Liebe und ihrem Verehrer zu kämpfen haben. Aber wenn ihr Geliebter sie dann verlassen hat, so bleiben die Liebe und die Fortschritte, die diese in der Einsamkeit macht, nicht weniger gefährlich. Dann nimmt eine gescheite Frau Zuflucht zu ihren Talenten; das Studium einer Sonate, die Zeichnung einer Blume, das Lesen eines guten Buches ziehen die Aufmerksamkeit von den verführerischen Erinnerungen ab und beschäftigen den Geist mit nützlicheren Dingen. Jede Beschäftigung also, die den Geist ausfüllt, ist gleichzeitig ein Gegenmittel für müßige Gedanken und verliebte Träumereien.

Was kann ein noch so zärtlicher Liebhaber mit einer Frau anfangen, die nichts anderes als zärtlich und hübsch ist? Er muß sich ja auf die Dauer mit einer Person langweilen, die kein interessantes Gespräch zu führen vermag und ihm keine Abwechslung bietet. Und die Liebe ist ein so verzehrendes Gefühl! Sie gleicht einem Feuer, das immerwährend geschürt und mit neuer Nahrung versorgt werden muß. Wenn der Geist nun keine Beschäftigung findet, so ist es natürlich, daß die Sinne um so erregter werden, während jede wirkliche geistige Beschäftigung die sinnlicheren Gefühle unterdrückt. Ich möchte behaupten, daß man sehr leicht dazu kommt, zu einer Person, die die zartere Sprache nicht versteht, demonstrativer zu sprechen. Nicht dadurch, daß sie Angriffe abwehrt oder sich gegen eine zu lebhafte Liebkosung verteidigt, bewahrt eine Frau ihre Tugend. Wenn man es überhaupt zu einem Angriffe kommen läßt und gezwungen ist, sich zu verteidigen, werden grade durch diese Verteidigung die Sinne erregt, und diese Erregung beschleunigt unsere Niederlage; man unterliegt kämpfend. Aber wenn man es versteht, die Aufmerksamkeit der Verehrer auf andere Dinge abzulenken, dann braucht man sich nicht vor Angriffen und Keckheiten zu verteidigen, die man im Grunde selbst verschuldet hat, denn das ist ganz gewiß, daß die Frauen immer selbst schuld daran sind, wenn die Männer die ihnen schuldige Achtung verletzen. Sie werden kaum einen Mann finden oder wenigstens nur einen, der absolut keine Erziehung genossen hat, der nicht genau zu unterscheiden wüßte, bis zu welchem Grade der Vertraulichkeit er gehen dürfte. Deshalb rühren mich auch die Klagen der Frauen nicht, denen gegenüber die Männer es an dem nötigen Respekt haben fehlen lassen. Wenn sie die Sache näher untersuchen, ist ihr eigner Leichtsinn, ihre Unvorsichtigkeit schuld daran. Sie wollten, daß es so kam: Der Mangel an Bildung kann uns ähnlichen Unannehmlichkeiten aussetzen, aber was soll schließlich ein Mann auch mit einer geist- und talentlosen Frau anders anfangen? Das einzige Mittel, die Zeit totzuschlagen, wenn er in ihrer Gesellschaft ist, das ist, sie zu reizen und zu ärgern. Man kann mit ihr nur über ihre Schönheit sprechen, über den Eindruck, den sie auf die Sinne macht, und man kann nur in der Sprache der Sinne zu ihr reden, um ihr dies klar zu machen. Sie selbst ist von Ihrer Liebe überzeugt, erwidert sie auch und möchte sich Ihnen dafür erkenntlich beweisen, doch ist dies nur durch Vermittlung der Sinne möglich, indem die Schöne Sie merken läßt, daß ihre Erregung der Ihrigen gleichkommt. Wenn sie gar keinen Ausweg und Rat mehr weiß, wird sie in üble Laune geraten, das ist das letzte Hilfsmittel einer Frau ohne Geist. Über wie andre Kampfmittel verfügt eine geistreiche Frau! Eine schlagfertige Antwort, ein pikanter Spott, ein durch etwas Bosheit gewürzter Streit, ein treffendes Zitat, eine graziös vorgetragene Anekdote, sind das nicht alles Ablenkungen, und ist die dafür aufgewendete Zeit nicht ein Gewinn für ihre Tugend?

Das größte Unglück der Frauen ist, daß sie sich nicht genug mit ernsten Dingen zu beschäftigen wissen; daher kommt es auch, daß die Liebe bei ihnen meist zu einer viel gewaltigeren Leidenschaft wird wie bei den Männern. Sie besitzen dabei aber ein überaus feines Empfinden, das, gut geleitet, das Gegengewicht halten kann. Freilich sind die meisten Frauen ebenso eitel wie sensibel. Man müßte die Eitelkeit zu Hilfe nehmen, um die Sensibilität in richtige Bahnen zu leiten. Wenn eine Frau mit dem Gedanken umgeht, durch etwas anderes als durch ihre Schönheit zu gefallen, so wird das Gefühl, das eigentlich die Triebfeder ihrer Handlungsweise ist, doch darüber in den Hintergrund gedrängt. Natürlich wird dabei dieses Gefühl nicht aufhören, das Hauptmotiv zu bleiben. (Verzeihen Sie, Marquis, wenn ich einige Kunstausdrücke gebrauche!) Aber dieses Gefühl wird nicht mehr das aktuelle Objekt ihrer Aufmerksamkeit sein, und damit ist schon sehr viel gewonnen. Wenn sie sich ausschließlich damit beschäftigt, ihren Geist in ernster Weise zu kultivieren, so wird das Verlangen, eine gewisse Vervollkommnung zu erreichen, ein Verlangen, dessen Quelle die Liebe ist, sich dennoch gegen die Liebe wenden, nämlich dadurch, daß sich die Aufmerksamkeit zwischen dem Geiste und dem Herzen teilt und dadurch das Gefühl abgelenkt wird. Sie werden mir vielleicht darauf antworten, daß dann ja geistreiche und talentvolle Frauen vor allen Anfechtungen geschützt wären. Sie werden vielleicht ferner den Schluß daraus ziehen, daß die Männer, denen ein leichter Sieg stets willkommen, solche Frauen fliehen müßten, während doch in Wirklichkeit gescheite wie dumme Männer solche Frauen suchen. Das kommt daher, weil die Dummen die Schwierigkeiten, eine solche Frau zu erobern, nicht kennen, und weil es den gescheiten Männern Vergnügen macht, sie zu überwinden.

Sollten Sie, der Sie Offizier sind, nicht selbst zugeben müssen, daß das, was ich über die Talente sagte, durchaus richtig ist? Ich nehme an, daß Sie während eines Feldzuges, an dem Sie teilnehmen, dazu kommandiert würden, die Leitung der Belagerung einer Stadt zu übernehmen. Würde es Ihnen gefallen, wenn der Kommandant dieser Festung in der Überzeugung, daß sie nicht uneinnehmbar sei, Ihnen ohne weiteres die Stadttore öffnen wollte, ohne Ihnen Gelegenheit zu geben, sich auszuzeichnen? Nein, zweifellos nicht. Sie brauchen seinen Widerstand. Je tapferer er sich verteidigt, um so lieber ist es Ihnen, denn nur dadurch finden Sie Gelegenheit, Ihre Tapferkeit, Ihr Feldherrentalent zu entwickeln, und je standhafter er sich verteidigt, um so größer ist Ihr Ruhm, wenn endlich die Festung eingenommen wird. Nun denn, Marquis, in der Liebe geht es wie im Kriege, die Freude am Siege wird an den Hindernissen gemessen. Was soll ich Ihnen sagen? Ich wäre beinahe versucht, das Gleichnis noch weiter zu führen; der wahre Ruhm einer Frau besteht vielleicht weniger darin, sich nicht zu ergeben, als darin, sich so glänzend zu verteidigen, daß sie die höchsten kriegerischen Ehren verdient.

Ich möchte noch weiter gehen: nehmen wir an, eine Frau sei schwach genug gewesen, sich besiegen zu lassen, was für Mittel bleiben ihr dann, um ihren glücklichen Liebhaber dauernd an sich zu fesseln, wenn ihr keine geistigen Vorzüge, keine Talente zu Hilfe kommen? Ich weiß es nur zu gut, daß es unmöglich ist, sich diese Vorteile zu verschaffen, wenn die Natur sie versagt hat. Aber wenn man die Sache näher prüft, so gibt es kaum Frauen, die nicht nach der einen oder der andern Richtung mit einem Talente ausgerüstet wären, es kommt nur darauf an, es zu kultivieren. Der Unterschied würde dann nur in etwas mehr oder weniger bestehen. Leider aber sind die meisten Frauen viel zu faul, um sich ernsthaft Mühe zu geben, mit dem ihnen verliehenen Pfund zu wuchern. Sie finden, daß es viel bequemer sei, einfach hübsch auszusehen. Zu dieser Art, den Männern zu gefallen, braucht man den Geist nicht besonders anzustrengen; diese Frauen möchten am liebsten, daß es keine andre Art, zu gewinnen, gäbe. Verblendet, wie sie sind, können sie es nicht begreifen, daß beides, die Schönheit wie die Talente, die Augen der Männer auf sich ziehen. Die Schönheit freilich ist es, die zuerst die Aufmerksamkeit erregt, die Talente aber geben der Frau die Waffen, um die errungenen Eroberungen zu verteidigen. Dennoch, wie oft ist die Schönheit Ursache späteren tiefen Kummers; sie hinterläßt ein namenlos trauriges Gefühl, wenn sie durch die Zeit oder andre Umstände dahinschwindet. Und wissen Sie, woher das kommt? Weil solche Frauen sich aller geistigen Hilfsmittel entäußert haben. In ihrer Blütezeit wird eine Frau gefeiert, gesucht, und ist der Mittelpunkt eines sie umgebenden Hofes von Verehrern. Sie schmeichelt sich, daß es immer so bleiben würde! Welch furchtbare Enttäuschung ist es dann, wenn sie plötzlich vereinsamt, wenn das Alter ihr die Schönheit raubt, das einzige Verdienst, dessen sie sich rühmen konnte. Ich möchte daher, daß die Schönheit einer Frau ihr nur als Aushängeschild ihrer andern Vorzüge diente. Dieser Ausdruck ist nicht grade hübsch, aber bezeichnet genau, was ich meine.

Denn sehen Sie, Marquis, grade, wenn man liebt, braucht man den Geist am notwendigsten. Ein Herzensbündnis gleicht einem Theaterstück, in dem die Akte kurz, die Zwischenpausen desto länger sind. Womit in aller Welt sollte man wohl die Pausen ausfüllen, wenn es nicht mit den Talenten wäre? Die Besitzergreifung stellt alle Frauen auf dasselbe Niveau und setzt sie alle in gleicher Weise der Gefahr aus, betrogen zu werden. Die schöne Frau hat in diesem Punkte nicht den kleinsten Vorteil vor einer häßlichen Frau, wenn eben die Schönheit ihr einziger Vorzug ist. Der Geist allein macht den Unterschied zwischen ihnen aus. Er allein vermag es, ein und dieselbe Person mit der Vielseitigkeit zu schmücken, die so notwendig ist, um ihrer nicht überdrüssig zu werden. Wenn die Leidenschaft befriedigt ist, tritt unfehlbar eine gewisse Leere ein, die sich nur durch den Geist und die Talente ausfüllen läßt. Sie sind uns fast in jeder Lage nützlich, oft sogar unentbehrlich, sei es, um unsere Niederlage weiter hinauszuschieben, oder um sie dem Sieger noch schmeichelhafter erscheinen zu lassen, oder auch, um uns seinen Besitz zu sichern. Unsere Liebhaber selbst haben den größten Vorteil davon. Die Gräfin handelt nur in ihrem eigenen und in Ihrem Interesse, wenn sie ihr Talent zum Klavierspiele auf das sorgfältigste pflegt.

Ich lese meinen Brief noch einmal durch, Marquis, und fürchte, daß Sie ihn wirklich zu ernst finden werden. Das kommt davon, wenn man sich in schlechte Gesellschaft begibt. Ich habe gestern mit M. L. L. R. F. C. zusammen zu Nacht gespeist, und den kann ich nicht sehen, ohne daß er mir wenigstens auf drei bis vier Tage die Stimmung verdirbt.

 

Neunundzwanzigster Brief.

Ich denke wie Sie, Marquis, die Gräfin bestraft Sie wirklich zu streng für das Geständnis, das Sie ihr entlockt haben. Ist es Ihre Schuld, wenn ihr das Geheimnis ihrer Liebe entschlüpft ist? Sie ist zu weit gegangen, um zurück zu können. Man kann ja immer mal glauben, daß man sich als die Vernünftige aufspielen müsse. Aber daß die Gräfin so weit geht, Sie drei Tage nicht sehen zu wollen, daß sie Ihnen sagen läßt, sie ginge vier Wochen auf das Land und daß sie Ihnen Ihre Liebesbriefe uneröffnet zurückschickt, das scheint mir ein ganz überflüssiger plötzlicher Tugendraptus zu sein. Aber Sie haben trotzdem nicht den kleinsten Grund zu verzweifeln. Wenn Sie ihr wirklich gleichgültig wären, würde sie sich nicht so streng erweisen.

Sie müssen das nicht falsch verstehen: Es gibt Gelegenheit, wo die Frau weniger gegen ihren Verehrer als gegen sich selbst verstimmt ist. Es erfüllt sie mit einem gewissen Unbehagen, daß ihre Schwäche sie jeden Augenblick verraten könne. Sie straft Sie dafür; aber, indem sie Sie schlecht behandelt, straft sie sich selbst noch viel mehr; jedoch glauben Sie es mir, ein in so mißmutiger Stimmung verbrachter Tag fördert manchmal die Angelegenheit eines Liebhabers mehr als ein ganzes Jahr ihr dargebrachter treuester Huldigung. Eine Frau bereut es leicht, wenn sie ungerecht gewesen und ihren Verehrer schlecht behandelt hat, sie sucht ihren Fehler gut zu machen und endet damit, daß sie ihn durch doppelte Güte entschädigt.

Was mich am meisten wundert, ist die Stelle Ihres Briefes, in der Sie mir erzählen, daß, seit die Gräfin Sie zu lieben scheint, sie ihren Charakter vollständig geändert hat. Ich habe sie früher nicht näher gekannt. Alles, was ich von ihr weiß, ist, daß sie, als sie zuerst in unserer Welt als junge Witwe debütierte, ziemlich viel Aufsehen machte und daß ihr Benehmen um so auffallender erschien, da sie zu Lebzeiten ihres Mannes eine ganz andre gewesen sein soll. Sie werden sich gewiß erinnern, daß zu der Zeit, als Sie sie kennen lernten, sie für lebhaft bis zur Leichtfertigkeit, für unachtsam, herausfordernd, ja sogar für kokett galt; sie schien einer ernsten Neigung unfähig zu sein. Heute nun, so erzählen sie mir, macht sie einen ernsten, fast melancholischen Eindruck. Sie scheint zerstreut, schüchtern und weich zu sein. Das wahre Gefühl hat die Pose verdrängt, eine schöne Natürlichkeit ist an Stelle ihrer früheren Geziertheit getreten. Die neue Art, in der sie sich gibt, steht ihr so gut, scheint ihr so natürlich zu sein, daß Sie sie für ihren wahren Charakter halten und nicht daran zweifeln, daß sie sich früher nicht so gezeigt hat, wie sie wirklich ist. All das würde meine Philosophie über den Haufen werfen, wenn ich nicht grade in dieser Umwandlung die Wirkung der Liebe erkennte. Ich müßte mich sehr irren, wenn das Gewitter, das sich heute über Sie entladen hat, nicht Vorbote eines vollständigen Sieges sein sollte, eines Sieges, dessen Sie um so sicherer sein können, da so viel geschehen ist, um ihn Ihnen zu entreißen. Aber wenn Sie ruhig Ihrem Plan treu bleiben, sie überall hin verfolgen, selbst wenn ihr das lästig werden sollte, wenn Sie jede Gelegenheit, sie zu sehen, benutzen – wenn Sie es dann noch über sich gewinnen können, nicht von Ihrer Leidenschaft zu sprechen, sondern sich ihr immer nur als aufmerksamer, achtungsvoller und ihr ganz ergebener Kavalier erweisen – was wird der Erfolg sein? Sie wird Ihnen nicht die Höflichkeiten versagen, die man selbst Gleichgültigen schuldig ist. Seien Sie daher unbesorgt! Außerdem verfügen die Frauen über einen unerschöpflichen Born von Güte für diejenigen, die sie lieben. Ihr Männer seid Euer nur allzu bewußt und wißt Euch daher zu trösten, wenn man Euch schlecht behandelt. Ihr wißt es, daß Eure Gegenwart, Eure Huldigungen, der Kummer, den Ihr zu empfinden scheint, ihre Wirkung tun und schließlich unsern Stolz entwaffnen. Ihr wißt es nur zu genau, daß die, denen gegenüber wir uns am sprödesten und stolzesten aufspielen, doch die sind, die wir am meisten fürchten. Unglücklicherweise beurteilt Ihr die Frau nur zu richtig, sie hält Euch nur darum fern, weil sie Euch nicht widerstehen zu können fürchtet. Aber ihre Sprödigkeit dauert selten lange. Grade ihre Schroffheit ist Schuld ihrer kurzen Dauer. Die Seele hat nur einen gewissen Grad von Widerstandsfähigkeit, durch den Zwang, den sie den Gefühlen angetan, erschöpft sich ihre Kraft, sie läßt sich bald gehen, Das Bewußtsein ihrer Schwäche entmutigt sie. Eine Frau, die zuerst auf das tapferste gegen eine Leidenschaft gekämpft hat, die Herr über sie zu werden drohte, kommt doch bald genug zu der Überzeugung, daß ihr Widerstand nutzlos ist und daß sie der Macht der Liebe nicht widerstehen kann. Wie wenig verständig eine Frau auch sonst sein mag, sie wird beim Anfang eines Liebeshandels immer als Verteidigerin auftreten. Dazu bedarf es keiner Klugheit, sondern nur des Stolzes. Unglücklicherweise erratet Ihr Männer nur allzu rasch, mit welchen Mitteln der Sieg zu erringen ist und ... Ihr gebt Euern Angriff nicht so leicht auf. Das Weib ermüdet endlich, und Ihr seid so wenig zartfühlend, daß Euch wenig darauf ankommt, ob Ihr es Eurer hartnäckigen Verfolgungen oder wirklicher Neigung verdankt, falls Ihr nur ihr Herz erobert.

Sehen Sie, Marquis, grade die vielen Vorsichtsmaßregeln, die man gegen Sie ergreift, sind ein Beweis dafür, wie sehr man Sie fürchtet. Wenn Sie ihr gleichgültig wären, würde sie sich nicht die Mühe machen, vor Ihnen zu fliehen. Ich stehe Ihnen dafür, daß man Ihnen dann nicht so viel Ehre antun würde. Aber ich weiß es ja, wie unvernünftig alle Verliebten sind. Sie haben ein wahres Talent dazu, sich selbst zu quälen, und die Gewohnheit, sich immer nur mit dem geliebten Gegenstande zu beschäftigen, ist in ihnen so mächtig, daß sie nicht davon lassen können, selbst wenn ihre Liebe ihnen Leiden verursacht. Ich bedaure Sie wirklich! Verliebt, wie Sie einmal sind, ist Ihre augenblickliche Lage quälend genug. Mein armer Marquis! Wie schlecht man Sie behandelt!

 

Dreißigster Brief.

Ich freue mich sehr, daß ich, noch ehe ich auf das Land gereist bin, von Ihnen die Nachricht erhalten habe, daß Sie etwas ruhiger sind. Ich gestehe Ihnen ganz offen: wenn die Gräfin fortgefahren hätte, Sie so schnöde zu behandeln, hätte ich geglaubt, daß Sie einen glücklicheren Rivalen hätten. Denn Sie müssen wissen, Marquis, daß eine Frau niemals unzugänglicher für alle andern Männer ist, als wenn sie einen ihrer Verehrer besonders begünstigt.

Alles, was Sie mir heute sagen, ist mir ein Beweis dafür, daß Sie geliebt werden, und zwar nur Sie allein. Sie sollen bald darüber Gewißheit haben, die ich selbst Ihnen verschaffen werde, denn ich habe mir vorgenommen, die Gefühle der Gräfin zu untersuchen. Dieser Entschluß überrascht Sie zweifellos. Sie werden mich besser verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß das Landhaus der Frau von Sablière, wo ich acht Tage verbringen werde, gerade neben dem Gute Ihrer liebenswürdigen Witwe liegt. Sie selbst haben mir mitgeteilt, daß sie von Paris abgereist ist, um sich dahin zu begeben. Die unmittelbare Nachbarschaft wird meine große Lust, ihre Bekanntschaft zu machen, unterstützen, und Sie werden nun mein Ihnen gegebenes Versprechen verstehen ... Man läßt mir keine Zeit, meinen Brief zu vollenden oder auch nur abzuschicken. Wir müssen auf der Stelle abreisen! Meine Reisegefährtin neckt mich, weil sie glaubt, daß ich einen Liebesbrief schriebe. Ich lasse sie in dem Glauben und stecke diesen Brief ein, um ihn, wenn wir auf dem Lande sind, zu vollenden. Adieu. Sollte die Krankheit der Frau von Grignan Ihnen wirklich nicht gestatten, uns in unserer Einsamkeit aufzusuchen? – –

Auf dem Schlosse ...

Ich schreibe Ihnen, mein lieber Marquis, von dem Schlosse der Gräfin, wo ich nun schon seit drei Tagen bin; es geht mir hier ganz ausgezeichnet, denn die Dame des Hauses ist eine bewunderungswürdig aufmerksame Wirtin und dabei von so entzückender Liebenswürdigkeit, daß ich ganz begeistert von ihr bin. Ich zweifle manchmal daran, ob Sie es verdienen, ein Herz wie das ihrige zu besitzen! Sie hat mir offen gesagt, was sie von Ihnen denkt, und ich zweifle nicht daran, daß ich vor unserer Rückkehr nach der Stadt die Gründe ihres veränderten Betragens Ihnen gegenüber entdecken werde. Ich wage es nicht, Ihnen mehr zu sagen, denn ich will nicht, daß jemand erfährt, daß ich Ihnen von hier aus geschrieben habe, Adieu.

 

Einunddreißigster Brief.

Was habe ich Ihnen nicht zu erzählen, Marquis! Da ich mein Ihnen gegebenes Versprechen einlösen wollte, plante ich, der Gräfin durch List ihr Geheimnis zu entlocken, als mir ein Zufall zu Hilfe kam. Es ist Ihnen ja bekannt, welches Vertrauen sie in Herrn von Sablières setzt. Sie befand sich also mit ihm in einem Boskett des Gartens, während ich durch den dichten Hagebuchengang kam, um sie aufzusuchen. Ich hatte sie schon beinahe erreicht und war im Begriffe, sie anzusprechen, als plötzlich Ihr Name an mein Ohr schlug. Ich blieb stehen, man hatte mich noch nicht bemerkt, ich habe also alles mit angehört und beeile mich, Ihnen das erlauschte Gespräch Wort für Wort mitzuteilen.

»Ich habe Ihnen also doch meine Neigung für Herrn von Sevigné nicht verbergen können, und es scheint Ihnen unverständlich, daß eine Frau, deren Charakter in der Gesellschaft für beinahe leichtfertig gilt, von einer so ernsten Leidenschaft ergriffen sein sollte. Sie werden sich noch viel mehr wundern, wenn ich Ihnen heute gestehe, daß ich nicht die bin, für die man mich hält. Der Ernst, der Ihnen heute so auffallend erscheint, ist nur die Rückkehr zu meiner eigentlichen Natur, mit einem Worte, ich bin aus Überlegung eine Modedame geworden! Sie haben wahrscheinlich bisher geglaubt, daß die Frauen nur ihre Fehler meisterhaft zu verbergen wüßten, manchmal aber findet das Gegenteil statt, ich liefere den Beweis dafür, sie verstecken sogar ihre Tugenden. Da ich nun schon so viel verraten, möchte ich auf die Gefahr hin, Sie zu langweilen, Ihnen erzählen, wie es geschah, daß ich allmählich dazu gekommen bin, eine Weltdame zu werden. Während meiner Ehe habe ich sehr zurückgezogen gelebt. Sie haben ja den Grafen und seine Vorliebe für die Einsamkeit selbst gekannt. Nachdem ich nun Witwe geworden, riet mir jeder, mich dem Leben zuzuwenden und in der Gesellschaft zu verkehren, ich hatte auch wohl Lust dazu, war aber sehr verlegen, in welcher Weise ich mich dort benehmen sollte. Ich ging mit mir selbst zu Rate und konnte es mir nicht verhehlen, daß ich an allen geselligen Freuden Gefallen fand, aber ich war gleichzeitig fest entschlossen, die Reinheit meiner Sitten zu bewahren. Wie ließ sich das vereinbaren? Es schien mir sehr schwierig, mich stets so zu betragen, daß ich ungehindert alle Freuden des Lebens genießen und dabei doch meinen Ruf rein erhalten könne.

Ich sagte mir: Da wir einmal dazu bestimmt sind, unter Männern zu leben, ihnen zu gefallen und ihr Glück zu teilen, müssen wir auch durch ihre Schwächen leiden und ihre Bosheit fürchten. Es scheint beinahe, als ob der einzige Zweck der Erziehung, die die Frauen erhalten, der sei, sie für die Liebe geeignet zu machen. Es ist die einzige Leidenschaft, die die Männer uns gestatten, aber durch einen seltsamen und bizarren Widerspruch können wir uns nur dadurch einen gewissen Ruhm erwerben, wenn wir dieser Neigung widerstehen. Ich überlegte also, wie es möglich sei, diese Gegensätze zu vereinigen, aber ich stieß überall auf Widersprüche. Wir sind, sagte ich mir, wenn wir in die Gesellschaft eingeführt werden, noch so harmlos, daß wir glauben, das einzige Glück der Frauen bestände darin, zu lieben und geliebt zu werden. Wir halten die Liebe für ein ganz reines Gefühl, das auf gegenseitige Achtung gestützt und durch die Offenheit und das Vertrauen der Herzen genährt wird. Aber leider verhält es sich in Wirklichkeit ganz anders, und nur allzubald erfährt man, wie sehr man sich getäuscht hat.

Als ich anfing, etwas vertrauter mit der Gesellschaft zu werden, in die ich eingetreten, war es die Unbeständigkeit und die Falschheit der Männer, die mich am meisten empörte. Erst nachdem ich etwas ruhiger beobachten gelernt hatte, entdeckte ich, daß der erste dieser Fehler sie mehr unglücklich als schuldig macht. Ihr Herz ist nun einmal so gebildet, daß es nicht immer von ein und derselben Liebe befriedigt wird. Man sollte daher die Falschheit des Mannes mit einer gewissen Nachsicht beurteilen. Die meisten Männer greifen kaltblütig das Herz der Frauen an, mit der Absicht, sich mit ihnen zu amüsieren oder sie ihrer Eitelkeit zu opfern; vielleicht auch um die Leere eines müßigen Lebens auszufüllen oder um sich ein gewisses Ansehen zu schaffen, das wir Frauen mit dem Verluste unseres guten Rufes zu bezahlen haben. Es gibt leider nur zu viele solcher Kavaliere. Wie soll man sie nun von uns wirklich treu liebenden Verehrern unterscheiden? Alle haben dieselbe Art des Auftretens, ja der Mann, der sich nur so stellt, als ob er uns liebe, ist oft genug verführerischer, wie der, der es wirklich tut.

Außerdem sind wir Frauen immer noch einfältig genug, aus der Liebe eine Haupt- und Staatsaktion zu machen. Euch Männern aber dient sie nur zum Spiele. Es kommt sehr selten vor, daß eine Frau sich einem Manne hingibt, ohne eine Neigung für ihn zu empfinden. Ihr hingegen seid unzart genug, sogar ohne jedes persönliche Gefallen Euerer Lust zu fröhnen. Wir halten es für unsre Pflicht, beständig zu sein, während die Männer ohne Zögern bei dem Kleinsten, was ihnen gegen den Strich geht, den Rückzug antreten. Kaum daß Ihr den Anstand wahrt, wenn Ihr eine Geliebte verlaßt, deren Besitz noch vor einem halben Jahre Euer ganzes Glück ausgemacht hat. Sie kann sich manchmal noch freuen, wenn ihre Güte nicht durch schimpfliche Indiskretionen gelohnt wird.

Ich nahm die Sache tragisch und sagte mir: wenn die Liebe die Frauen so in das Unglück stürzt, dann sollte eine Frau, der ihre Ruhe und ihr Ruf lieb sind, überhaupt nicht lieben. Dann wieder mußte ich mir selbst eingestehen, daß wir ein Herz haben, daß dieses Herz zu lieben geschaffen ist und daß die Liebe davon Besitz ergreift, ohne sich um unsern Willen zu kümmern. Warum also eine Neigung zerstören, die ein Teil unseres Selbst ist? Sollte es nicht weiser sein, zu versuchen, ob dieses Gefühl sich nicht veredeln lasse? Überlegen wir, ob und in welcher Weise dies möglich wäre.

Welche ist die gefährliche Liebe? Ich glaube nur die, welche die ganze Seele erfüllt, alle andren Leidenschaften daraus verdrängt, kein andres Gefühl in unserm Herzen aufkommen läßt und dem geliebten Gegenstand alles opfern würde.

Welche Charaktere nun sind für derartige Gefühle besonders empfänglich? Es sind meist die solidesten, die weniger als andre aus sich zu machen wissen, die Verstand und eine edelmütige Denkungsart in sich vereinen.

Welche Männer jedoch sind den Frauen am gefährlichsten? Meistens nur diejenigen, die gerade so viel glänzende Eigenschaften besitzen, um etwas aus sich zu machen, und alles, was sie tun, in das rechte Licht zu setzen wissen. Man muß es zugeben, daß diese Art von Männern eine sehr schlechte Gesellschaft für eine denkende Frau sind. Allerdings sind sie jetzt selten, und es hat auch wohl kaum ein Zeitalter gegeben, das uns so wie das unsre vor großen Leidenschaften schützte. Aber es kann doch immer mal ein Unglück passieren.

Die Moralisten behaupten, daß jede Frau über einen gewissen Fonds zärtlicher Gefühle verfüge, die sich an irgend einem Objekt betätigen müssen. Eine vernünftige und höher veranlagte Frau läßt sich von den kleinlichen Vorzügen, die gewöhnlicheren Frauen bei den Männern gefallen, nicht beeinflussen. Wenn sie aber dann endlich einem ihrer Aufmerksamkeit würdigen Manne begegnet, ist es nur ganz natürlich, daß sie sich seines Wertes bewußt ist und daß ihr Interesse für ihn kein oberflächliches bleibt. Aber das eben ist gefährlich, und die Frau, der ihre Herzensruhe lieb ist, sollte den Verkehr mit Männern, wie die eben geschilderten, fliehen. Zweierlei gibt es, wovor wir uns zu hüten haben: wir müssen uns vor starken Eindrücken zu bewahren suchen, und wir müssen solche Männer, die sie auf uns auszuüben wissen, zu vermeiden suchen. Danach wäre es richtig, in der Gesellschaft ein Benehmen anzunehmen, das sie daran verhindert, sich von ihrer vorteilhaftesten Seite zu zeigen. Wir müssen sie glauben machen, daß sie uns nur durch Leichtfertigkeiten und Lächerlichkeiten gefallen würden. Dadurch zeigen sie uns all ihre Fehler und geben uns die Waffen gegen sie in die Hand. Wie erreicht man das am besten? Nun, ganz einfach dadurch, daß man sich selbst als leichtfertige, kleine Modedame aufspielt.

Sie sind erstaunt über die eigentümlichen Konsequenzen, zu denen ich durch ernstes Nachdenken gekommen bin? Sie werden es noch mehr sein, wenn ich Ihnen durch unwiderlegliche Argumente bewiesen haben werde, daß ich wirklich recht habe; ich bitte Sie daher, mich bis zum Schlusse anzuhören. Ich kenne die Richtigkeit Ihrer Urteilsfähigkeit, aber so leichtfertig ich auch erschienen sein mag, schmeichle ich mir doch, logisch denken zu können. Sie werden, wenn Sie alles gehört, meine Meinung teilen.

Glauben Sie, daß eine äußerliche Tugend und Sittsamkeit das Herz vor den Gefahren der Liebe schützen kann? Das wäre eine feine Sache!

Um so mehr Achtung eine Frau vorher beanspruchen konnte, um so tiefer wird sie in den Augen der Welt sinken, sobald sie sich durch die Schwäche ihres Herzens hinreißen ließ. Je mehr man früher ihre Tugend gepriesen, um so grausamer werden nun die bösen Zungen über sie herfallen.

Was für einen Begriff macht sich überhaupt wohl die Gesellschaft von einer tugendhaften Frau? Sind die Männer nicht ungerecht genug, zu glauben, daß diejenige den Preis verdient, die am besten ihre Schwächen zu verstecken weiß, oder halten sie nicht die Frau für vollkommen, die durch absoluten Mangel an Gelegenheit nicht in die Gefahr kommt, schwach zu sein? Haben sie nicht eine solche Angst davor, unserm Geschlechte irgend eine Vollkommenheit zuzugestehen, daß sie ihre Ungezogenheit so weit treiben, zu behaupten, wir seien immer heftig erregt, auch wenn wir ihnen Widerstand leisten? Es gibt keine anständige Frau, sagt einer meiner Freunde, die nicht mit der Zeit der Sache überdrüssig würde. Und was ist die Belohnung der Qualen, zu denen sie uns verdammt glauben? Errichten sie unsern heroischen Anstrengungen etwa Altäre? Nein. Nach ihrer Auffassung ist die Frau die vollkommenste, von der nicht gesprochen wird. Das heißt eine absolute Gleichgültigkeit von ihrer Seite, vollständiges Vergessen ist der Preis unserer Tugend. Muß man nicht wirklich unendlich viel Tugend besitzen, wenn man ihr um einen solchen Preis treu bleibt? Wer sollte sich nicht versucht fühlen, sie aufzugeben? Aber man darf sich nicht verhehlen, daß die Sache sehr ernste Seiten hat.

Der Schwäche einer Frau folgt die Schande. Das Alter, das ohnehin an sich etwas Schreckliches ist, muß kaum zu ertragen sein, wenn man es unter Gewissensbissen verbringen muß. Ich wollte mich vor einem solchen Unglück schützen. Anfangs glaubte ich, das einzige Mittel dazu sei, mich zu einem rigoros keuschen Lebenswandel zu verdammen, aber das gefiel mir auf die Dauer nicht, und ich fühlte, daß ich nicht den Mut hatte, ihn durchzuführen. Damals kam mir der Gedanke, daß ich nur als Welt- und Modedame die Möglichkeit finden würde, Tugend und Vergnügen vereinigen zu können. Sie lächeln? Ich erkenne daraus, daß diese Idee Ihnen immer noch paradox erscheint. Sie ist aber viel vernünftiger, als Sie denken.

Ist denn eine Weltdame verpflichtet, eine Neigung zu haben? Dispensiert man sie nicht davon, zärtlich zu sein? Es genügt, daß sie liebenswürdig ist und den größten Wert auf ihre äußere Erscheinung legt. Sobald sie die übernommene Rolle gut spielt, denkt niemand daran, zu fragen, ob sie ein Herz habe. Ein hübsches Gesicht, gute Manieren, Kapricen, ein Modejargon, drollige Einfälle und ein aparter Geschmack, das ist alles, was man von ihr verlangt. Im Grunde kann sie ungestraft tugendhaft sein. Sollte es irgend jemand einfallen, sie anzugreifen, so wird er, sobald er Widerstand findet, aufhören, sie zu beunruhigen. Er nimmt an, daß ein Anderer schon Beschlag auf sie gelegt habe, und wartet geduldig, daß die Reihe auch an ihn kommen wird. Es würde ja seinem eigenen Ansehen schaden, wenn er sich hartnäckig erweisen wollte, man würde annehmen, daß er ein Mann von schlechten Manieren sei, der nicht weiß, daß man ein bereits bestehendes Verhältnis achten und davor zurücktreten muß. So kommt es, daß die Schöne, gerade durch die schlechte Meinung, die man von ihr hat, besonders geschützt ist.

Ich lese in Ihren Augen, was Sie sagen wollen: Sie meinen, daß die Stellung einer Modedame doch meinem Rufe schaden und dazu beitragen könnte, mich gerade den Unannehmlichkeiten auszusetzen, denen ich so gern ausweichen möchte. Nicht wahr, das denken Sie? Aber ist es Ihnen nicht bekannt, mein Herr, daß selbst das zurückhaltendste und keuscheste Betragen uns nicht vor den Verfolgungen böser Zungen retten kann? Die Meinung, die die Männer von uns haben, macht unsern Ruf, und die gute wie die böse Meinung, die sie von uns haben, sind fast regelmäßig gleich falsch. Eine Voreingenommenheit, eine Art von Verhängnis leitet ihr Urteil, und daher hängt unser Ruf viel weniger von unserer Tugend, als von glücklichen Umständen ab. Die Hoffnung also, einen ehrenvollen Platz in ihrer Phantasie einzunehmen, sollte es daher nicht sein, was uns zur Führung eines tugendhaften Lebens anspornt; es muß vor allem der Wunsch sein, sich selbst achten und sich sagen zu können: was immer die Menschen von mir denken mögen, ich habe mir nichts vorzuwerfen! Was macht es schließlich aus, welchen Umständen man seine Tugend verdankt, vorausgesetzt, daß man sie wirklich zu bewahren weiß?

Ich war also davon überzeugt, daß ich bei meinem Debüt im Leben der großen Welt nichts besseres tun könne, als die Maske zu wählen, die mir zur Bewahrung meiner Ruhe und meines guten Rufes am günstigsten schien. Ich schloß mich daher noch enger an die Freundin an, die mir bisher mit gutem Rate beigestanden hatte. Es war die Marquise von ..., meine Verwandte. Wir stimmten mit unserer Weltanschauung ganz überein. Wir verkehrten in denselben Gesellschaftskreisen. Die Nächstenliebe war freilich nicht die von uns bevorzugte Tugend. Wir traten in eine Gesellschaft ein, wie in einen Ballsaal, in dem wir beiden die einzigen Masken waren. Wir waren so ausgelassen wie möglich, gestatteten uns allerlei Torheiten und forderten die Gesellschaft direkt heraus, sich uns von ihrer lächerlichen Seite zu zeigen. So sehr uns diese Komödie amüsierte, so war es doch ein noch viel größeres Vergnügen, wenn wir in trautem Beieinandersein ungestört über alle Erlebnisse plaudern konnten. Wie albern erschienen uns die meisten Frauen und wie leer die Unterhaltung der Männer. Welche Geckenhaftigkeit in ihrem Auftreten und welche Frechheit! Wenn wir in den Kreisen, in denen wir verkehrten, einem Manne begegneten, der uns hätte gefährlich werden können, ich meine einem Mann mit wirklich achtungswerten Eigenschaften, dann brachten wir ihn in Verzweiflung dadurch, daß wir ihn überhaupt nicht zu beachten schienen und daß wir gerade die mit unsern Spötteleien verfolgten, die es am wenigsten verdienten. Wir waren schließlich dahin gekommen anzunehmen, um unempfänglich gegen die Liebe zu bleiben, sei es notwendig, immer nur in seichter oberflächlicher Gesellschaft zu verkehren.

Dieses Betragen hat uns wirklich lange davor geschützt, uns ernstlich zu verlieben, vor allem aber hat es uns vor der traurigen Langeweile errettet, mit der ein tugendhafter und strenger Lebenswandel uns erfüllt haben würde. In den Augen der Männer erschienen wir leichtfertig, herrisch, herausfordernd, ja vielleicht sogar kokett, aber wir wußten dabei, daß wir im Grunde solide, vernünftig und tugendhaft blieben und nur ein loses Spiel trieben. Wir waren aber sehr zufrieden mit der Rolle, die wir in der Gesellschaft spielten. Wir begegneten kaum einem Manne, der uns hätte gefährlich werden können. Die wenigen ernsteren Naturen, die etwa Eindruck auf uns hätten machen können, waren gezwungen, sich selbst zu verleugnen, sozusagen mit den Wölfen zu heulen, wenn sie in unsern Kreisen geduldet und beliebt sein wollten.

Aber es kam der Tag, an dem ich an der Wahrheit meiner Prinzipien zu zweifeln anfing, und dies geschah, weil sie mich doch nicht immer vor den Gefahren schützten, denen ich zu entgehen suchte. Ich habe leider die Erfahrung machen müssen, daß die Liebe eine verräterische Macht ist, die nicht mit sich scherzen läßt. Trotz all meiner Vorsicht hat sie dennoch den Weg in mein Herz zu finden gewußt. Trotz allem Widerstand, den ich geleistet, liebe ich, und meine Vernunft nützt höchstens noch zu dem Versuche, meine Schwäche für ihn in meinen eigenen Augen rechtfertigen zu wollen. O, ich würde glückselig sein, wenn der, den ich liebe, mir nie Gelegenheit geben wollte, die gute Meinung, die ich von ihm habe, einzubüßen! Ich habe es nicht verhindern können, ihm endlich doch mein wahres Gesicht zu zeigen, denn ich fürchtete, er möchte mich sonst am Ende wirklich für so leichtfertig halten, wie ich in den Augen der Gesellschaft erscheine. Die Leichtfertigkeit und ein kokettes Wesen fesseln ja die Männer mehr als wirkliches Verdienst, aber selbst auf die Gefahr hin, ihm weniger zu gefallen, bin ich fest entschlossen, mich ihm so zu zeigen, wie ich wirklich bin. Ich müßte ja vor mir selbst erröten, wenn ich sein Herz einer Lüge verdanken sollte.«

»Ich bin noch weniger über die Originalität Ihrer Handlungsweise überrascht,« antwortete ihr Herr von Sablière, »als über die Geschicklichkeit, womit Sie Ihre eigenartige Idee mir plausibel gemacht haben. Gestatten Sie mir, gnädige Frau, Ihnen das Zeugnis zu geben, daß es unmöglich ist, geistvoller zu irren, als Sie es getan. Sie haben eben das Schicksal aller streng nach einem System handelnden Leute erfahren. Sie machen lange Umwege, um sich von der ausgetretenen Landstraße zu entfernen, und scheitern endlich doch an der Klippe, die Sie vermeiden wollten. Darf ich nun von dem mir von Ihnen gegönnten Vorrechte Gebrauch machen, offen meine Meinung auszusprechen, Frau Gräfin? Dann erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß das einzige Mittel, Ihre Ruhe wieder zu erlangen, das ist, sich offen als vernünftige und solide Frau zu bekennen. Es hat einer Dame noch nie Vorteil gebracht, wenn sie die Tugend verleugnete.«

Als ich merkte, welche Wendung das Gespräch nahm, fühlte ich, daß es bald zu Ende sein würde, ich machte mich davon und beeilte mich, Ihre Neugierde zu befriedigen. Ich habe Ihnen wirklich eine überlange Epistel geschrieben. In zwei Tagen kehren wir nach Paris zurück.

 

Zweiunddreißigster Brief.

Nun, mein Herr Marquis, jetzt sind wir zurückgekommen; aber die Neuigkeiten, die ich Ihnen mitzuteilen habe, sind vielleicht nicht ganz nach Ihrem Geschmacke. Nie werden Sie eine schönere Gelegenheit finden, die Frauen der Launenhaftigkeit anzuklagen. Ich schrieb Ihnen doch das letzte Mal, um Ihnen zu erzählen, daß man Sie liebe, und heute muß ich Ihnen grade das Gegenteil mitteilen. Man hat einen seltsamen Entschluß gefaßt: zittern Sie, denn es ist wirklich eine abgemachte Sache. Die Gräfin will Sie nur nach ihrer Weise lieben, und zwar ohne ihre Tugend zu gefährden oder sich aus ihrer Ruhe bringen zu lassen. Sie hat erkannt, welche Folgen eine Leidenschaft wie die Ihrige für sie haben könnte, und das hat sie bange gemacht. Sie hat sich also vorgenommen, daß es nicht so weiter gehen dürfe. Lassen Sie sich nicht durch die Beweise ihrer Neigung, die sie Ihnen bereits gegeben, täuschen. Wie die meisten Männer denken auch Sie, daß, wenn eine Frau einmal ihre Neigung bekannt habe, sie gebunden sei und ihre Ketten nicht brechen könne. Aber Sie täuschen sich! Die Gräfin ist in Beziehung auf das Verhältnis zu Ihnen viel vernünftiger als Sie denken, und ich will ehrlich sein und Ihnen eingestehen, daß sie einen Teil ihrer Festigkeit meinen Ratschlägen verdankt. Rechnen Sie nicht mehr auf meine Briefe, Sie bedürfen meiner Ratschläge, um die Frauen kennen zu lernen, jetzt nicht mehr. Ich bedauere es beinahe, Ihnen die Waffen gegen sie in die Hand gegeben zu haben. Wäre das nicht geschehen, so würden Sie vielleicht niemals das Herz der Gräfin gerührt haben. Ich gestehe übrigens, daß ich mein Geschlecht viel zu strenge beurteilt habe und bin bereit, ihm volle Genugtuung widerfahren zu lassen. Jetzt weiß ich, daß es viel mehr solide und tugendhafte Frauen gibt, als ich gewußt und geglaubt habe. Welch gesunder Verstand und wie viele andern schönen Eigenschaften vereinigen sich in unserer Freundin! Nein, Marquis, ich konnte ihr meine Freundschaft und meine Hochachtung nicht vorenthalten, und deshalb habe ich mich, ohne Ihre Interessen ferner zu berücksichtigen, mit ihr gegen Sie verbunden. Sie werden unzufrieden darüber sein, aber das schöne Vertrauen, das sie mir schenkte, verdiente eine solche Gegenleistung. Ich will meine Bosheit nicht vor Ihnen verbergen, ich bin so weit gegangen, ihr zu verraten, welche Vorteile Sie aus den von mir erhaltenen Ratschlägen gezogen haben.

»Ich fühle es,« sagte die Gräfin zu mir, »wie gefährlich ein Liebhaber ist, der das menschliche Herz so genau kennt und der dabei das Talent hat, sich in einer so vornehmen und zarten Weise auszudrücken. Welche Vorteile hat er nicht einer Frau gegenüber, die zu denken und zu philosophieren gewohnt ist. Ihm wird die Philosophie zu einem Mittel der Verführung. Er ist Meister der Kunst, ihren eigenen Verstand dazu zu benutzen, um vor sich selbst die Schwächen zu rechtfertigen, zu denen er sie verführt. Je mehr gute Eigenschaften sie in dem geliebten Manne entdeckt, um so mehr Opfer glaubt sie ihm bringen zu müssen. Einem Alltagsmanne gegenüber ist eine Schwäche eben nur eine Schwäche, über die man errötet, einem geistvollen Manne gegenüber ist sie ein Tribut, den man seinen Verdiensten schuldig zu sein glaubt, sie macht unserm guten Geschmack alle Ehre und man macht sich keinerlei Skrupel darüber. Er schmeichelt unserer Eitelkeit, indem er unsere Tugend angreift, und täuscht uns dabei über unsere Schwäche.«

Sehen Sie, Marquis, das sind die Ansichten der Gräfin, und ich weiß wirklich nicht, ob Ihnen noch etwas zu hoffen bleibt

Ich weiß sehr wohl, daß es richtiger gewesen wäre, Ihnen von all diesem nichts zu sagen, und das hatten wir auch zuerst beschlossen. Aber konnte ich mein Gewissen dadurch belasten, daß ich heimlich gegen Sie intrigierte? Wäre das nicht ein Verrat gewesen? Außerdem hätte es so aussehen können, als ob wir Sie fürchteten, wenn wir so gehandelt hätten, und wir sind mutig genug, Sie alles wissen zu lassen, was wir tun wollen, um Ihnen zu widerstehen. Kommen Sie deshalb recht bald zu uns, Marquis, wir erwarten Sie mit Ungeduld. Und wissen Sie, weshalb? Weil wir Sie erwarten, ohne Sie zu fürchten. Sie haben jetzt nicht mehr nur mit der von Ihnen geliebten Frau zu kämpfen, diese Gegnerin wäre zu schwach, und ihr Mut könnte sinken. Sie nehmen jetzt den Kampf mit mir auf, das heißt mit einer kaltblütigen Frau, die es sich zur Ehrensache gemacht, den Verstand ihrer Freundin vor dem Schiffbruche zu retten. Ja, ich werde bis in den Grund Ihrer Seele dringen, ich werde Ihre schlechten Absichten entdecken und zu vereiteln suchen, ich werde Ihre Ränke zu enthüllen wissen. Mögen Sie mich des Verrates anklagen, soviel Sie wollen; kommen Sie heute Abend zu mir, und dann werde ich Ihnen beweisen, daß mein Betragen ein durchaus korrektes ist. Solange Ihre Unerfahrenheit unterstützt und ermutigt werden mußte, habe ich Ihnen treu beigestanden und Ihre Interessen gefördert. Damals war auch die Gräfin sehr gegen Sie im Vorteile. Jetzt hat sich das aber geändert. Heute genügt selbst der Stolz Ihrer Dame kaum noch, um Ihnen zu widerstehen. Früher kam ihre Gleichgültigkeit für Sie der der Gräfin zu Hilfe, dazu kam, daß Sie sich sehr ungeschickt benahmen: heute haben Sie Erfahrungen gesammelt, und sie hat einen Teil ihres Verstandes verloren. Es wäre daher eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn ich heute ihr Vertrauen täuschen, ihr die Hilfe, die sie von mir erhofft, verweigern und mich mit Ihnen gegen sie verbünden wollte. Wenn Sie aufrichtig sind, werden Sie mir das selbst zugeben müssen. Ich will also den Schaden, den ich möglicherweise verursacht habe, wieder gut machen, indem ich Sie offen in unser Geheimnis einweihe. Ich weiß nicht, woher es kommt, aber es macht mir ein solches Vergnügen, Ihnen jetzt Schwierigkeiten zu machen, als wenn dieser Liebeshandel meine eigene Angelegenheit wäre! Sie wissen ja, wie weit meine Rechte an Sie gehen. Mein Herz bleibt immer dasselbe, und ich weiß, daß Sie viel zu rechtlich denkend sind, um mir darum zu zürnen, was ich heute zu Gunsten einer Freundin tue.

Auf baldiges Widersehen bei der Gräfin.

 

Dreiunddreißigster Brief.

Was, Marquis, Sie haben Angst vor zwei Frauen? Sie verzweifeln an Ihrer Sache, weil wir uns gegen Sie verbündet haben und sind bereit, die Partie aufzugeben? O, ich hatte geglaubt, daß Sie mehr Mut besäßen. Es ist wahr, daß die Festigkeit der Gräfin mich selbst in Erstaunen gesetzt hat, ich verstehe kaum, wie sie einen ganzen Abend lang Ihrem Drängen gegenüber standgehalten hat. Ich habe Sie nie so verführerisch gesehen, und sie hat mir soeben erst gestanden, daß Sie ihr nie so gefährlich erschienen wären. Aber ich stehe für sie, nachdem ihr Mut in einer so gefährlichen Situation standgehalten hat. Ich sehe weiter: der spöttische Ton, den sie angeschlagen, ist etwas verdächtig und möchte mich beinahe glauben lassen, daß ihre Neigung zu Ihnen doch nur eine oberflächliche sei. Eine wirklich verliebte Frau redet nicht in einem solchen Tone. Mir kommt da wirklich eine eigentümliche Idee. Es wäre amüsant, wenn wir dahinter kämen, daß Ihre zärtliche Adelaide Sie nur bis zu einem gewissen Punkte liebte. Welch ein Schlag würde das für Ihre Eitelkeit sein. Aber wie bald würden Sie sich dafür zu rächen suchen! Wie bald würden sich andere Schönen finden, die bereit wären, Sie für Ihren Verlust zu trösten. Wie oft würden Sie in Ihrem Ärger sagen: »Was ist das Herz einer Frau, wer vermag es zu kennen«.

Und wissen Sie, Marquis, daß ich trotz alledem beinahe Mitleid mit Ihnen habe und daß ich, wenn Sie sich all dies zu sehr zu Herzen ziehen sollten, nicht weiß, was ich tun würde, um Ihre Lage zu verbessern? Aber ich kenne Ihre Festigkeit, und wenn der erste Verdruß vorüber ist, werden Sie selbst einsehen, daß es das beste für Sie ist, auf die Liebe zu verzichten und die Ihnen großmütig angebotene Stellung eines Freundes anzunehmen. Sie haben sogar Grund, sehr damit zufrieden zu sein, denn man hätte Sie auch ganz verabschieden können. Bilden Sie sich aber nur nicht zu viel darauf ein, daß dies nicht geschehen, wenn Sie gefährlicher wären, würde man Sie schlechter behandeln. Adieu, Marquis! Die Gräfin sitzt bei mir am Bette und läßt Ihnen viel Liebes sagen. Sie ist ganz entzückt von der Diskretion, mit der Sie sich uns gegenüber benehmen: man darf nicht drängen, wenn zwei Damen sich gegen Sie verbunden haben, das wäre nicht galant. Aber Ihre Bescheidenheit wird uns entwaffnen, und es kann wohl sein, daß wir eines Tages Mitleid mit Ihnen haben werden. Hoffen Sie! Wir gestatten es Ihnen.

Nachschrift: Die Gräfin an den Marquis.

Selbst auf die Gefahr hin, in Ihnen die schmeichelhaftesten Hoffnungen zu erregen, möchte ich noch ein paar Worte unter diese Zeilen setzen. Ich habe sie nicht gelesen, aber ich bin sicher, daß darin von mir die Rede ist. Aber ich möchte Ihnen gern selbst mitteilen, daß wir heute zu Hause und allein sind. Ich möchte es Sie sogar wissen lassen, daß ich Ihnen jetzt wirklich ein wenig gut bin und daß ich dabei die größte Lust habe, Sie gar nicht mehr zu lieben. Das aber kann ich Ihnen versichern, wenn Sie es sich sollten einfallen lassen, unser Tête-à-tête zu stören, so wird Ihr Herz in ernste Gefahr kommen, ich habe mich niemals so dazu aufgelegt gefühlt, Sie zu quälen, als gerade heute!

 

Vierunddreißigster Brief.

Das, Marquis, geht aber doch über allen Spaß! Bitte erklären Sie sich etwas näher. Meinen Sie es wirklich ernsthaft, wenn Sie mir in Ihrem Briefe schreiben, daß Sie glauben, ich sei eifersüchtig, und daß nur meine Eifersucht auf die Gräfin mich veranlasse, Sie mit ihr zu entzweien, um Vorteil daraus zu ziehen? Sie sind entweder der schlechteste oder der listigste aller Menschen; der schlechteste, wenn Sie mich wirklich einer so niedrigen Handlungsweise fähig halten; der listigste, wenn Sie diesen Verdacht nur dazu benutzen wollen, um mich bei meiner Freundin anzuschwärzen. Ich sehe nicht ganz klar in dieser Sache, aber diese beiden Alternativen sind für mich gleich kränkend, besonders da die Gräfin die Sache furchtbar tragisch genommen hat. Ich weiß wirklich nicht, was ich mit ihr anfangen soll. Treuloser, wie wenig kennen Sie die Macht, die Sie über ihr Herz haben! Sie können ihr nicht weher tun, als indem Sie die Rolle des Gleichgültigen spielen. Sie haben meinen letzten Brief keiner Antwort gewürdigt, sind nicht zu dem Stelldichein gekommen, das man Ihnen angeboten; wir haben zwei volle Tage nichts von Ihnen gesehen, und dann schreiben Sie endlich diesen denkbar kältesten Brief. O, ich gestehe Ihnen offen, daß Sie sich wie ein ganz durchtriebener Lebemann benehmen. Ich nenne das ein Meisterstück. Der Erfolg entspricht auch ganz Ihren Hoffnungen. Die Gräfin kann Ihrer Kälte gegenüber nicht standhalten. Die Furcht, daß diese Gleichgültigkeit ernsthaft gemeint sei, hat sie in tötliche Unruhe versetzt. Kommen Sie, Grausamer, und sehen Sie, was Sie angerichtet haben; trocknen Sie die Tränen, die Sie ihr entlockt, kommen Sie schnell, um sich Ihres Sieges und unserer Niederlage zu erfreuen. Großer Gott! Daß selbst die gescheiteste Frau sich durch die Liebe den Kopf verdrehen lassen muß. Wenn Sie doch nur Zeuge der Vorwürfe hätten sein können, die ich hinnehmen mußte. Was denn? Wenn man die Gräfin sprechen hört, so habe ich ihrer Tugend in beleidigender Weise mißtraut, ich habe auch von Ihnen eine falsche Idee gehabt und habe Ihnen die abscheulichsten Absichten unterschoben, um das Vergnügen zu haben, Sie dafür zu strafen! Ich bin hart, ungerecht, grausam; ich weiß gar nicht mehr all die schönen Prädikate, die man mir an den Kopf geworfen hat. Wie heftig sie war! O, ich versichere Sie, dieser Auftritt hat es mir ein für allemal verleidet, mich mit der Gräfin und ihrer Herzensangelegenheit zu befassen; ich verzichte freudig auf das Vertrauen, mit dem Sie beide mich bisher beehrt haben. Es scheint mir, daß die Ratgeber in Liebeshändeln stets eine sehr undankbare Rolle spielen. Alles Verdrießliche eines solchen Streites wird ihnen allein aufgeladen, nur die Liebenden erfreuen sich dann nachher der Versöhnung.

Indessen, wenn ich es mir genau überlege, denke ich, daß es überflüssig ist, mich über all dies zu ärgern. Ihr seid zwei Kinder, über deren Torheit ich mich einfach amüsieren sollte; ich werde mich daher bemühen, die ganze Sache vom philosophischen Standpunkte aus anzusehen, und das Ende vom Liede ist dann, daß ich mit Euch beiden gut Freund bleibe. Kommen Sie also sofort zu mir, um mir zu sagen, daß Sie mit diesem Entschluß einverstanden sind. Schnell, hören Sie auf, den Grausamen zu spielen! Lassen Sie uns Frieden schließen. Die armen Kinder! Der Eine hat so unschuldige Lebensansichten, die andere ist dabei ihrer Tugend so sicher, daß, wenn man sie nicht ruhig gehen läßt, man sie ganz ohne Grund betrübt.

 

Fünfunddreißigster Brief.

Ich sehe es jetzt ein, Marquis, daß es nur ein Mittel gibt, selbst mit der vernünftigsten Frau in Frieden zu leben, das ist, daß man sich absolut nicht um ihre Herzensangelegenheiten kümmert. Ich habe daher meinen Entschluß gefaßt. Von jetzt an werde ich nur dann von der Gräfin mit ihnen sprechen, wenn sie selbst mich dazu zwingen sollte. Ich kann Zänkereien nicht ausstehen. Indessen wird dieser Entschluß keinen Einfluß auf die freundschaftlichen Beziehungen zu Ihnen haben, ebensowenig wie auf meine Freundschaft zu der Gräfin, die ich ihr bewahren werde. Aber obgleich ich ihre Freundin bleibe, mache ich mir keine Skrupel daraus, mit Ihnen genau so zu verkehren, wie wir es bisher getan. Ich werde also, da Sie selbst dies von mir wünschen, fortfahren, Ihnen meine Ansicht über Ihre Lage mitzuteilen, unter der Bedingung, daß Sie mir gestatten, daß ich manchmal herzlich über Sie lache – eine Freiheit, die ich mir heute jedoch nicht nehme–, denn wenn die Gräfin dem Plane treu bleibt, den Sie sich ausgedacht hat, wenn sie wirklich darauf bestellt, Ihnen keine Zusammenkunft unter vier Augen zu gewähren, dann sehe ich nicht, wie Ihre Sache sich zum Guten wenden könnte. Sie erinnert sich an das, was ich ihr gesagt habe; sie kennt ihr Herz und weiß, daß sie Grund hat, sich davor zu fürchten. Nur eine ganz unkluge Frau wird sich ohne Unruhe dem Drängen eines Mannes aussetzen, den sie liebt. Nichts ist so gefährlich für sie, als die Gegenwart, die Annäherung des geliebten Gegenstandes. Die Bewegung, die den geliebten Mann erfüllt, das Feuer, das sein ganzes Wesen durchdringt, wirkt auch auf unsere Sinne, erweckt unsere Einbildungskraft und erregt sinnliche Wünsche. Ich habe einmal der Gräfin gesagt, daß wir Frauen darin einige Ähnlichkeit mit ihrem Klaviere hätten – obgleich die Tasten willig der sie berührenden Hand gehorchen, geben sie doch nur dann einen Ton von sich, wenn sie den Druck ihrer Finger empfinden. Vollenden Sie dies Gleichnis, und ziehen Sie die Konsequenzen daraus.

Übrigens, mein Herr Metaphysiker, worüber beklagen Sie sich? Bedeutet es für Sie nicht schon das höchste Glück, wenn Sie die Gräfin sehen, dem süßen Klang ihrer Stimme lauschen, ihr kleine Dienste leisten, sich an ihren Tugendreden erbauen und selbst von edlen Empfindungen schwärmen können? Überlassen Sie doch gewöhnlicheren Naturen und irdischer angelegten Männern die gröberen Gefühle, die sich jetzt bei Ihnen entwickeln. Wenn ich Ihren gegenwärtigen Zustand prüfe, scheint mir's, als ob ich wirklich nicht unrecht gehabt, wenn ich behauptete, die Liebe sei in erster Linie das Werk der Sinne. Nachdem Sie jetzt selbst einige Erfahrungen gemacht, müssen Sie mir doch zugeben, daß ich recht habe? Ich bin nicht böse darüber. Adieu.

Ihr früherer Rivale hat sich also über die Sprödigkeit der Gräfin getröstet und sich ihrer Verwandten, der Marquise, zugewendet? Nun, diese Wahl macht seinem Geschmacke wirklich alle Ehre; sie sind wirklich für einander geschaffen. Ich werde mit Vergnügen verfolgen, wohin diese schöne Neigung führen wird.

 

Sechsunddreißigster Brief.

Glauben Sie wirklich, Marquis, ich hätte die Ironie der Komplimente, die Sie mir über meine angebliche Versöhnung mit der Gräfin machen, nicht sehr gut verstanden? So wissen Sie denn, mein Herr, daß wir uns überhaupt nie überworfen haben. Es ist wahr, daß sie mich gebeten hat, ihre Heftigkeit zu vergeben, die sie mit ihrer Liebe entschuldigt, und ich habe ihr versprechen müssen, ihr meinen guten Rat auch fernerhin nicht vorzuenthalten. Aber, lieber Gott, wozu nützt mein Rat anders, als Ihnen noch einen Triumph zu bereiten. Der beste Rat, den ich ihr geben könnte, wäre der, überhaupt ganz mit Ihnen zu brechen. So sehr sie auch ihrem Stolze vertraut, so ist es doch das beste für sie, Sie ganz zu meiden. Sie glaubt etwas sehr Gescheites vollbracht zu haben, indem sie Ihnen die Rede hielt, die Sie mir mitgeteilt haben. Aber alle vernünftigen Frauen führen eine ähnliche Sprache, wenn ihre Verehrer anfangen, sie merken zu lassen, daß sie gewisse Ansprüche an sie machen. »Ich will nur Ihr Herz,« sagen sie, »Ihre Liebe und Achtung ist alles, was ich begehre. Sie werden genug Frauen finden, die weniger schwierig sind, und die Ihnen mit Vergnügen das gewähren, was ich Ihnen versagen muß. Aber ich werde sie niemals um ein Glück dieser Art beneiden.« Hüten Sie sich, Marquis, offen solch schöne Gefühle zu bekämpfen und die Aufrichtigkeit der Frauen bei solchen Gelegenheiten zu bezweifeln, das würde mehr als beleidigend, es würde ungeschickt sein. Wenn Sie aus ihrem Irrtum Nutzen ziehen wollen, so müssen Sie ihn gut heißen. Es ist ihre Absicht, Sie glauben zu machen, daß die sinnliche Lust nicht für sie existiere und daß es nur höhere und geistige Freuden sind, die sie erstreben. Wenn manche von ihnen auch wirklich dieses guten Glaubens sind, viele reden nur so, um Ihnen damit zu imponieren.

Was aber auch immer die Ursache des wechselvollen Betragens der Frauen sein möge, sind Sie nicht zu beneiden, daß sie sich die Mühe geben, Sie zu täuschen? Wie dankbar müssen Sie ihnen dafür sein. Die großen Schwierigkeiten, die sie darum machen, geben Dingen Reiz, die ohne die ihnen beigelegte Wichtigkeit kaum so sehr begehrenswert erscheinen würden. Bewundern Sie also unsere Geschicklichkeit. Wir heucheln eine vollständige Gleichgültigkeit gegen das, was Sie die Freuden der Liebe nennen, und indem wir ganz unempfänglich für solche Genüsse zu sein vorgeben, erhöhen wir die Größe des Opfers, das wir Euch bringen, wenn wir endlich Euere Wünsche erfüllen; wir verstehen es, Euch glauben zu machen, daß Ihr allein die Empfangenden seid, und Ihr seid uns dankbar für Genüsse, die Ihr uns bereitet habt. Aber die Männer wollen eben getäuscht sein, sie zwingen uns dazu, und sie gewinnen auch nur durch unsere kleinen Listen. Denn wir können die Schwierigkeiten, die wir unserer Niederlage entgegensetzen, nicht erhöhen, ohne den Ruhm Eueres Sieges zu vermehren. Sind Mühen und Sorgen nicht das Geld, mit dem Liebende ihre Freuden bezahlen? Welche Befriedigung für Euere Eitelkeit, Euch selbst sagen zu können: diese feinfühlige, zartbesaitete Frau, die so ganz unempfänglich für sinnliche Freuden ist, hat dennoch mir zuliebe ihren Widerwillen, ihre Furcht und ihren Stolz überwunden! Mein Verdienst, meine persönlichen Reize, meine Geschicklichkeit haben Hindernisse überwunden, die für jeden andern Mann unüberwindlich gewesen wären. Ich bin stolz darauf. – Nun, wenn die Frauen anders handelten, wie sie es tun, wenn sie ihre sinnlichen Gelüste so ungestüm verraten wollten, wie die Männer es tun, dann könnten sie sich nicht so des Sieges freuen. Wie vieler Freuden würden Sie da verlustig gehen! Machen Sie ihnen daher keinen Vorwurf über eine Kriegslist, aus der Sie selbst die größten Vorteile ziehen, man täuscht Sie, aber nur um Ihre Freuden zu erhöhen.

Wenn die Gräfin wüßte, was ich Ihnen da geschrieben habe, würde sie mir sicher Vorwürfe machen.

 

Siebenunddreißigster Brief.

Ich verstehe es vollständig, daß ein Mann in Ihrer Lebensstellung, ein Offizier, es wirklich zuweilen nicht vermeiden kann, schlechte Gesellschaft aufzusuchen, er wird sicher manchmal von anderen mit in die Kreise der Göttinnen gezogen, von denen Sie mir erzählen. Trotzdem haben Sie sich nicht geirrt, ich würde Sie zweifellos gescholten haben, wenn ich nicht ganz sicher wäre, daß bei dem gegenwärtigen Zustande Ihres Herzens die Theaterheldinnen kaum gefährlich für Sie werden können. Sie meinen jedoch, daß die Gräfin weniger nachsichtig wäre; ihre Eifersucht verwundert mich nicht, sie beweist mir einfach, wie richtig ich diese Metaphysikerinnen beurteile. Ich sehe, wie wenig man sich auf ihre Aufrichtigkeit verlassen kann. Ihre Klagen sind sehr eigentümlicher Art. Denn sagen Sie selbst, was raubt man ihnen denn? Die Schönen, um die es sich handelt, sind nichts weniger als platonisch liebende Frauen, die Gräfin aber will nur etwas von der geistigen Liebe wissen.

Wie uneins doch die meisten Frauen mit sich selbst sind. Sie scheinen die Theaterdamen zu verachten, aber sie fürchten sie viel zu sehr, um nur Verachtung für sie zu empfinden. Und haben sie nicht wirklich Grund, sie zu fürchten? Könnt Ihr Männer Euch im Verkehr mit jenen nicht völlig frei gehen lassen, während eine Dame der Gesellschaft ganz andere Ansprüche an Euch stellt und Euch überdies nicht so viel Abwechselung und amüsante Unterhaltung bietet? Bei den kleinen Schauspielerinnen und Sängerinnen fühlen die Männer sich sehr behaglich, sie geben sich ungeniert so, wie sie sind, und ich begreife es daher ganz gut, daß es vorkommen kann, daß ein sonst ganz solider Charakter sich einer kleinen Untreue gegen seine wirkliche Geliebte zuschulden kommen läßt. Aber wenn das auch hier und da mal vorkommt, so wird bei einem vernünftigen Manne eine derartige Tändelei nicht von Dauer sein. Diese Dämchen können dem Geschmacke zusagen und vorübergehend interessieren, aber keine dauernde Leidenschaft einflößen.

Die Theaterdamen würden wirklich zu gefährlich sein, wenn sie die Kunst besäßen, dauernd so zu gefallen, wie sie es auf den ersten Blick tun. Die meisten von ihnen haben eine so gefällige, liebenswürdige Art, sich zu benehmen, daß, wenn man sie zuerst kennen lernt, man von ihnen meistens sehr eingenommen ist Ihr selbst seid so wenig feinfühlend! Die Freiheit ihrer Unterhaltung, ihre Schlag- und Leichtfertigkeit, all das regt Euch an und gefällt Euch: Ihr geratet in eine vergnügte, ausgelassene Stimmung, und die mit ihnen verlebten Stunden kommen Euch wie Augenblicke vor. Da sie aber fast alle eine mangelhafte Erziehung genossen und wenig Bildung haben, sind sie bald genug fertig mit dem wenigen, was sie zu geben haben. Sie wiederholen dieselben Scherze, Schnurren und kleinen Affereien, und da man bekanntlich über dieselben Dinge kaum mehr als zweimal lacht, wird man dieser Gesellschaft gewöhnlich recht bald überdrüssig.

Möge die Gräfin sich also beruhigen. Ich kenne Sie genug, um dafür stehen zu können, daß sie diese Art von Frauen nicht zu fürchten braucht, es gibt in der Gesellschaft selbst solche, die viel gefährlicher sind, es sind die galanten Frauen! Zweideutige Wesen, die dennoch der Gesellschaft angehören. Sie stehen zwischen den soliden Frauen und denjenigen, von denen ich vorhin sprach. Sie leben mit den ersteren und unterscheiden sich von den letzteren nur durch ihr Äußeres. Mehr wollüstig als wirklich zärtlich, suchen sie die Männer dadurch zu verführen, daß sie ihren sinnlichen Gelüsten das Ansehen einer Leidenschaft zu geben wissen, die jene für Liebe halten. Sie machen jeden glauben, daß er der Einzige sei, dem sie sich ergeben, und daß er um seines persönlichen Wertes willen von ihnen ausgezeichnet würde. Man hält für Leidenschaft, was in Wahrheit nur Trunkenheit der Sinne ist. Man glaubt geliebt zu werden, weil man selbst liebenswürdig ist, aber was diese Frauen in jedem suchen, ist nur der Mann. Das sind die Art Frauen, die die Gräfin wirklich zu fürchten hat. Die reiche Dame, Frau von ..., die sich in der Gesellschaft Eingang zu verschaffen wußte, gehört zu dieser Sorte, ich habe die Gräfin schon vor ihr gewarnt. Dabei fällt mir ein, daß Sie in Ihrem letzten Briefe von herausfordernden Neckereien sprachen, die diese Dame Ihnen gemacht habe. Die Gräfin hatte ganz recht, deshalb mit Ihnen zu schmollen; wenn eine Leidenschaft so aktuell geworden, wie die Ihrige, sollte man ihr solche Scherze willig opfern. Aber ich fürchte fast, daß Sie nicht immer so ganz kapitelfest sind. Frau von ... ist wirklich eine frische und reizvolle Erscheinung. Sie ist in dem Alter, in dem es den Frauen Vergnügen macht, junge Leute, die eben erst in die Gesellschaft eingeführt werden, zu protegieren und ihnen den ersten Unterricht in den galanten Künsten zu geben. Die interessante und liebenswürdige Art, mit der sie Ihnen begegnet, ist berechnet. Nehmen Sie sich vor ihr in acht! Ich warne Sie vor ihr. Denn obwohl man diese Art von Frauen nicht achtet, passiert es allzu leicht, daß die Männer an ihnen hängen bleiben, und dann wissen sie deren Schwäche zu benutzen. Es werden mehr Torheiten für sie begangen, als für alle andern Frauen.

 

Achtunddreißigster Brief.

Ich beeile mich, Ihnen mitzuteilen, daß ich soeben eine Meinungsverschiedenheit mit Herrn von Bruyère gehabt habe. Sie bewundern zweifellos meine Kühnheit? Aber es ist wirklich wahr. Er behauptete, daß Corneille die Menschen so schilderte, wie sie sein sollten, und Racine so, wie sie wären. Ich aber behauptete das Gegenteil. Es befanden sich einige sehr berühmte Leute in unserer Gesellschaft, als dieser Streit aufgeworfen wurde, und ich wurde von mehreren unterstützt, was mich ganz stolz machte. Es würde aber doch zu mühsam sein, Ihnen all dies schriftlich mitzuteilen, es ist besser, Sie kommen bald zu uns, dann sollen Sie alles erfahren. Jeder hat seine Art, etwas darzustellen, ich habe die meine. Ich schildere die Frauen so, wie sie sind, aber es tut mir sehr leid, sie nicht so darstellen zu können, wie sie sein sollten. Nun aber zur Beantwortung Ihres Briefes.

Es überrascht mich kaum, daß Sie sich gelangweilt fühlen. Die Krankheit der Marquise hat Sie des Vergnügens beraubt, ihre Verwandte zu sehen. Sie haben drei volle Tage nichts von der Gräfin gehört und gesehen, da ist es nur zu natürlich, daß Sie von der Langeweile geplagt werden. Es wundert mich auch ebensowenig, daß Ihre Gefühle für die Gräfin etwas abgekühlt sind. Bei den größten Leidenschaften tritt ab und zu eine gewisse Lauheit ein, über die sich diejenigen, die davon ergriffen werden, selbst wundern. Sei es nun, daß nach einer zu großen Erregung stets eine gewisse Reaktion eintritt, oder daß es überhaupt nicht möglich ist, sich stets nur von einem Gefühle beherrschen zu lassen, jedenfalls treten von Zeit zu Zeit Momente der Gleichgültigkeit und der Ermüdung ein, über deren Ursache nachzugrübeln vergebene Mühe ist Die Gräfin hält ja außerdem die Pflichten der Freundschaft für bedeutender, als die der Liebe, und das ist wieder ein Grund dafür, Sie etwas abzukühlen. Die Liebe ist ein eifersüchtiges und tyrannisches Gefühl, das nur dann befriedigt ist, wenn der geliebte Gegenstand alle anderen Wünsche opfert. Sie opfern der Liebe nichts, wenn Sie ihr nicht alles opfern. Beweise dafür sind die Auszeichnungen, die Sie der Frau von ... erzeigt haben. Ich wollte nur, daß Sie nicht so weit gegangen wären, sie zu besuchen. Die lange Zeit, die Sie bei ihr verbracht, das Vergnügen, das Sie an der Unterhaltung dieser Dame fanden, die Fragen, die diese über den Zustand Ihres Herzens an Sie gestellt, alles dies beweist die Wahrheit dessen, was ich in meinem letzten Brief behauptete. Sie erklären nun zwar, daß Sie um so verliebter zu der Gräfin zurückgekehrt seien, aber Ihre Verlegenheit, als diese sie frug, ob Sie lange bei Frau von ... gewesen, Ihr Bemühen, ihr durch eine zweideutige Antwort auszuweichen, die große Mühe, die Sie aufwendeten, um jeden Verdacht zu beseitigen, all dies beweist nur, daß Sie viel schuldiger sind, als Sie sagen und vielleicht selbst glauben! Die Gräfin weiß ganz genau, woran sie ist; bemerken Sie nur die Mühe, die sie sich gibt, um Sie auf Ihren alten Nebenbuhler, den Chevalier, eifersüchtig zu machen. Fürs erste stehe ich Ihnen dafür, daß Sie so bald nicht in jenen gelangweilten Zustand verfallen werden, von dem Sie vorhin sprachen. Die Eifersucht wird Sie schon auf Ihrem Posten halten. Halten Sie übrigens das Unglück, das die Marquise betroffen hat, wirklich für so unbedeutend? Nun, Sie werden sie ja bald genug wiedersehen, und dann werden Sie schon merken, wie sehr diese Windpocken ihr Gesicht entstellt haben, und wenn sie selbst sich erst klar darüber ist, wird ihre Stimmung sehr darunter leiden. Ich beklage sie aufrichtig! Aber ich beklage auch die andern Frauen. Mit welcher Unbitterlichkeit wird sie jetzt ihren guten Ruf zerpflücken. Die Gräfin ist ihre beste Freundin – aber – ob sie es noch länger bleiben wird?? Sie ist so hübsch, ihre Haut ist so fleckenlos und weiß, daß sie die Marquise dadurch jetzt ganz in Schatten stellen muß. Welche Stürme sehe ich voraus.

Ich vergaß, Sie ernstlich auszuschelten. Sie haben die Indiskretion begangen, meine letzten Briefe M. D. L. R. F. C. zu zeigen. Ich werde Ihnen nicht mehr schreiben, wenn Sie noch einmal etwas ähnliches wagen. Meine Ansichten mag er gern erfahren, aber ich bilde mir nicht ein, so gut zu schreiben, um nicht die Kritik eines solchen Mannes, wie er, fürchten zu müssen.

 

Ph. de Campaigne: Minister Colbert
(Großh. Galerie zu Karlsruhe)

Neununddreißigster Brief.

Die Röte, die die Windblattern auf dem Gesichte der armen Marquise zurückgelassen, hat sie also ganz scheu gemacht? Mich wundert es übrigens kaum, daß sie den Entschluß gefaßt hat, sich in ihrem gegenwärtigen Zustande nicht in der Welt zu zeigen. Wie könnte ihr das auch Freude machen. Wenn dieses Unglück, das sie so demütigend findet, sie nicht getroffen hätte, würde sie den armen Chevalier sicher noch lange haben schmachten lassen. Ist das nicht ein Beweis mehr dafür, daß die Tugend der Frauen von den Umständen abhängig ist und daß sie mit dem Stolze abnimmt? Ich fürchte, daß die Gräfin es nicht anders machen würde. Nichts ist gefährlicher für eine Frau, als die Schwäche ihrer Freundin, sie steckt an; und die Liebe schöpft nicht nur Kraft aus unseren Herzen, sondern sie schmiedet aus allem, was sie umgibt, neue Waffen gegen die Vernunft.

Wenn eine Frau eine Schuld begeht, so glaubt sie sich vor sich selbst am besten dadurch rechtfertigen zu können, daß sie auch ihre Freundin mit in den Abgrund zieht. Ich bin übrigens kaum erstaunt darüber, daß die Marquise Ihnen jetzt gewogen scheint und Ihre Sache bei der Gräfin fördert. Bisher haben die beiden immer dieselben Grundsätze verfolgt. Welche Beschämung muß es daher für die Marquise sein, daß diese nur die Gräfin vor dem Falle schützen konnten. Die Marquise hat außerdem jetzt noch einen triftigen Grund, die Niederlage ihrer Freundin zu beschleunigen. Sie ist häßlich geworden und folglich, wenn sie überhaupt noch auf Verehrer hoffen darf, gezwungen, schon mehr Zugeständnisse zu machen. Kann sie es leiden, daß eine andere Frau ihre Liebhaber um geringeren Preis zu fesseln weiß, so würde sie dadurch der Freundin eine für sie demütigende Überlegenheit einräumen, und ich bin überzeugt, daß sie die eigentümlichsten Mittel versuchen würde, um Ihre liebenswürdige Witwe dahin zu bringen, wohin sie selbst gekommen ist. Dann aber wird diese Freundschaft rasch in die Brüche gehen. Wenn man ebenso hübsch gewesen ist wie eine andere Frau, wenn man dann plötzlich seine Schönheit einbüßt und zusehen soll, wie die andere täglich reizender erscheint – nein, ich schwöre Ihnen, das ist mehr als die vernünftigste Frau, die gleichmütigste Philosophin zu ertragen vermöchte. Bei uns Frauen hört die Freundschaft da auf, wo die Eifersucht anfängt, – ich meine jetzt nur die Eifersucht auf körperliche Reize, um von der Eifersucht in Herzensangelegenheit nicht zu reden.

Ich sehe mit Bedauern, wie sich die Dinge entwickeln werden. Was auch immer die Gräfin tun wird, um die Eigenliebe der Marquise möglichst zu schonen, es wird vergebene Liebesmühe sein! Wenn eine hübsche Frau es unternimmt, eine häßliche Frau oder eine, die durch irgend einen Zufall die Schönheit einbüßte, über diesen Verlust zu trösten, so ist es unausbleiblich, daß ihre Worte ein gewisses Mitleid ausdrücken, und gerade dieses Mitleid demütigt viel mehr, als es tröstet. Je mehr sie ihre eigene Überlegenheit vergessen machen möchte, um so mehr wird die andere sie empfinden. Außerdem, Marquis, dürfen Sie es nicht vergessen, daß die Frauen nur zu genau wissen, was sie von dem Lobe zu halten haben, das sie sich untereinander spenden, und weil sie sich bewußt sind, daß es meistens nicht aufrichtig gemeint ist, sind sie ziemlich unempfänglich dafür. Selbst wenn die Lobrednerin wirklich die Schönheit einer anderen mit voller Überzeugung preisen sollte, wird diese mißtrauisch sein und, um genau zu wissen, woran sie ist, weniger auf die Worte achten als auf die Miene der Sprechenden. Einer Häßlichen schenkt man allenfalls Glauben und erkennt ihre Güte an. Einer, die so hübsch ist, wie wir selbst, dankt man sehr kühl und mißtraut ihren Worten, aber eine viel Hübschere haßt man noch viel mehr, als man es vorher getan, ehe sie geredet hatte. Man kann fest davon überzeugt sein, daß zwischen zwei Frauen, deren Schönheit einander ebenbürtig ist, sich kaum je auf die Dauer eine solide Freundschaft entwickeln kann. Könnten zwei Kaufleute, die dasselbe Geschäft haben und gleiche Ware ausbieten, gute Nachbarn sein? Nur daß die Frauen sich meistens bestreben, den wahren Grund dieses Mangels an Einverständnis zu verbergen. Die scheinbar intimsten Freundschaften gehen oft um ein Nichts auseinander; glauben Sie wirklich, daß die angeblichen kleinlichen Gründe Ursache eines vollständigen Zerwürfnisses sein könnten? Sie werden nur als Vorwand benutzt. Man verbirgt das wirkliche Motiv des Handelns, sobald es nicht zu unserer Ehre gereicht. Man möchte um alles nicht, daß jemand denken könnte, daß es die Schönheit unserer Freundin sei, die uns beunruhigt und die sie uns entfremdet, man würde dann ja für eifersüchtig und neidisch gelten! Das ist ein Vergnügen, das keine Frau ihrer Rivalin gönnen möchte, lieber noch wird sie ungerecht erscheinen. Wenn es einmal vorkommt, daß zwei gleich hübsche Frauen einen wirklich triftigen Grund finden, wieder voneinander los zu kommen, so werden sie diesen gewöhnlich mit Lebhaftigkeit aufnehmen und gerade die, die sich vorher am zärtlichsten geliebt, werden einander nun um so heftiger verfolgen.

Nun, Marquis? Habe ich mich offenherzig genug ausgedrückt? Sie sehen, bis wohin meine Aufrichtigkeit mich geführt hat. Ich bemühe mich, Ihnen eine richtige Vorstellung von diesen Dingen zu geben, obwohl es manchmal auf meine Kosten geschieht. Denn ganz gewiß will ich nicht behaupten, daß ich selbst frei von den Fehlern wäre, die ich an den anderen Frauen bekrittele. Aber da ich fest überzeugt bin, daß alles, was ich Ihnen mitteile, streng zwischen uns bleibt, so brauche ich nicht zu fürchten, mich mit meinem ganzen Geschlechte zu überwerfen, das vielleicht wirklich Ursache hat, mich meiner Naivität wegen zu tadeln. Die Gräfin allerdings ist über eine so kleinliche Denkungsweise erhaben, sie gibt die Wahrheit meiner Aussprüche ohne weiteres zu. Aber ach, es gibt nur wenig Frauen, die ihr gleichen.

 

Vierzigster Brief.

Das Beispiel der Marquise hat also noch immer keinen Eindruck auf das Herz der Gräfin gemacht? Es scheint sogar, daß sie sehr vor Ihnen auf der Hut ist und daß eine leichte Gunstbezeugung, die Sie von ihr erschmeichelt haben, Ihnen hinterher zum Vorwurfe gemacht wird? Ich habe mir gleich gedacht, daß sie diese Gelegenheit benutzen würde, um Sie an die Versicherungen Ihrer Hochachtung und Ihrer Uneigennützigkeit zu erinnern, die Sie gemacht, als Sie Ihre Liebe eingestanden. So geht es in solchen Fällen immer. Das Eigentümliche dabei ist nur, daß gerade Euer Übereifer, den die Frauen so leicht für ein Zeichen der Nichtachtung halten, wenn man nicht ganz mit ihnen einig ist, sich, sobald alles in Ordnung ist, in ihrer Phantasie in Beweise der Liebe und Achtung verwandelt. Hören Sie doch nur die verheirateten Frauen an, sowie die, die ohne verheiratet zu sein, sich doch dieselben Vorrechte nehmen; könnten Sie nur ihre heimlichen Klagen über ihre ungetreuen Gatten und die kalt gewordenen Liebhaber hören. Sie glauben, daß man sie mit Geringschätzung behandle und daß diese Geringschätzung Ursache der Erkältung ihrer zärtlichen Gefühle sei. Indessen sollte, unter uns gesagt, gerade das, was sie für Zeichen der Achtung und Liebe halten, im Grunde nicht doch etwas ganz anderes sein? Ich sagte Ihnen doch schon vor einiger Zeit, daß die Frauen, wenn sie ganz gerecht und aufrichtig sein wollten, zugeben müßten, daß die Liebe hauptsächlich in einer Erregung der Sinne besteht. Prüfen Sie einmal eine Liebende näher. Bei Beginn ihrer Leidenschaft ist die Liebe wirklich rein geistiger Art, sie hat mit den Sinnen absolut nichts zu tun. Jenen Philosophen ähnlich, die selbst, wenn man sie der Tortur unterwarf, nicht eingestehen wollten, daß sie Schmerzen empfänden, wird sie vielleicht noch lange Märtyrerin ihres Systemes sein. Doch sind erst die Sinne eines solchen armen Weibes erweckt, dann wird ihr Liebhaber ihr so viel er mag vorerzählen, daß die Liebe nur geistiger Natur sei, daß sie durch geistreiche Phrasen und Gespräche genährt werde und daß es eine Herabwürdigung der heiligsten Gefühle sei, wenn man sie mit sinnlichen Handlungen in Beziehung bringen wolle, ich stehe Ihnen im Namen aller Frauen und zwar ohne Ausnahme dafür, daß ein solcher Liebhaber wenig Glück mit seiner Rede haben wird. Man wird die Versicherung seiner Hochachtung für eine Beleidigung, seine Zartheit für Spott, seine Zurückhaltung für lächerliche Vorwände halten. Er wird keine Gnade finden, man wird ihm geradeheraus sagen, daß er anderen gegenüber zweifellos anders gedacht habe und daher nun in die traurige Lage gekommen sei, vor der offiziellen Geliebten den Platoniker zu spielen und große Gefühle auszukramen; merkwürdig ist, daß die Entschuldigung, die man ihm in den Mund legt, immer dieselbe ist.

P. S. So also halten Sie das, was Sie mir versprochen haben? Nicht genug damit, daß Sie meine Briefe M. D. L. R. F. C. zeigen, Sie lesen sie sogar in Gesellschaft vor. Es ist wahr, daß die Nachsicht, mit der meine Freunde meine Episteln beurteilen, mich etwas über Ihre Indiskretion tröstet, und ich glaube daher, daß es das richtigste ist, meine Korrespondenz ruhig fortzusetzen. Aber seien Sie wenigstens diskret, wenn ich Ihnen von Dingen rede, die, wenn andere sie erfahren, vielleicht den Ruf der Gräfin schädigen könnten. Verstehen Sie wohl: in diesem Falle würden Sie nie mehr einen Brief von mir erhalten.

 

Einundvierzigster Brief.

Nein, Marquis, was Sie auch dagegen einwenden, ich kann Ihnen dieses Drängen, mit dem sie stürmisch fordern, was Sie Ihr höchstes Glück zu nennen belieben, nicht ohne weiteres hingehen lassen. Sind Sie denn so mit Blindheit geschlagen, nicht selbst einzusehen, daß, sobald Sie des Herzens einer Frau sicher sind, es in Ihrem eigenen Interesse liegt, sich eine Weile der Vorfreude Ihres Sieges zu erfreuen, ehe sie sich Ihnen ergibt? Werden Sie sich niemals davon überzeugen lassen, daß von allen Reichtümern es gerade die Gaben der Liebe sind, mit denen man am sparsamsten umgehen muß? Wenn ich ein Mann wäre und das Glück hätte, daß eine Frau wie die Gräfin mir ihr Herz geschenkt hätte, dann würde ich ganz gewiß nur mit größter Diskretion von den mir gebotenen Vorteilen Gebrauch machen. Ich würde es mir selbst zum Gesetze machen, nur langsam und stufenweise mein Glück zu erringen. Wie viele Freuden, die Ihnen unbekannt sind, würde ich mir nicht zu verschaffen wissen. Wie ein Geizhals würde ich unaufhörlich meinen Schatz betrachten, mir klar machen, daß er unendlich kostbar ist und daß er allein mein Glück ausmacht; ich würde mich des Besitzes freuen und den Entschluß fassen, ihn festzuhalten und mich seiner nie zu entäußern. Welches Entzücken, in den Augen einer liebenswürdigen Frau zu lesen, daß man Macht über sie hat, zu empfinden, wie sich in jeder, auch der kleinsten Handlung, wenn sie uns betrifft, eine gewisse Zärtlichkeit ausdrückt, zu hören, wie ihre Stimme einen weicheren Klang annimmt, wenn sie mit oder von uns spricht und sich daran zu erfreuen, wie jede unserer kleinen Liebkosungen, jedes harmlose Schmeichelwort ihr das Blut in die Wangen jagt! Wie reizend ist es, mit Ungeduld erwartet und mit einer Freude empfangen zu werden, die, weil die Geliebte sie halb verbergen möchte, noch schmeichelhafter für uns wird. Die Gelebte hat die Toilette gewählt, die er zu bevorzugen scheint, sie nimmt die Haltung, den Ton, das Benehmen an, das sie in das schmeichelhafteste Licht setzt. Während sie früher allen zu gefallen wünschte, kreidet sie sich jetzt nur noch, um ihm zu gefallen. Für ihn hat sie den Schmuck, die Schleife, den Armreif angelegt. Ihm gilt alles, was sie tut, sie liebt ihn in sich selbst. Gibt es denn etwas Entzückenderes in der Liebe, als der Widerstand einer Frau, die Sie zu bitten scheint, ihrer Schwäche zu schonen, die Ihnen alles, ja sogar ihre Tugend verdanken möchte? Gibt es etwas Verführerisches, als den Klang einer von Erregung halb erstickten Stimme, wenn die Geliebte sich verweigert und sich dabei selbst einen Vorwurf aus ihrer Weigerung macht, während sie ihre Sprödigkeit durch die zärtlichsten Blicke zu entschuldigen scheint? Wie ist es nur möglich, einem solchen zauberhaften Zustande ein vorzeitiges Ende machen zu wollen? Ich kann das wirklich nicht begreifen. Indessen ist es ganz gewiß, daß, sobald die Schöne Ihrem Drängen nachgibt, diese Freuden nur allzubald verblassen. Es hätte jedoch nur an Ihnen gelegen, sie zu verlängern und zu erhöhen, wenn Sie sich Zeit ließen, sie gehörig auszukosten und zu genießen. Aber Ihr Männer seid nicht eher zufrieden, bis der Besitz ein vollständiger und unbestrittener ist. Nachher seid Ihr dann sehr überrascht über die Kälte, die Gleichgültigkeit und Unbeständigkeit Eures eigenen Herzens. Aber seid Ihr nicht selbst schuld, wenn ihr des geliebten Wesens überdrüssig werdet? Ich habe es immer gesagt, die Liebe stirbt nicht am Hunger, sondern an der Übersättigung. Ich werde Ihnen nächstens einmal im Vertrauen mitteilen, was ich selbst für den Grafen von ... empfunden habe. Sie werden daraus erkennen, wie man die Liebe aufzufassen hat, wenn man sich eines dauernden Glückes erfreuen will. Sie werden erkennen, wie genau ich das menschliche Herz und das wahre Glück kenne. Sie werden es an meinem Beispiele lernen, daß es unter allen Umständen das beste ist, Ökonomie in den Gefühlen und Freuden der Liebe walten zu lassen, Sie werden es mir dann auch zugeben müssen, daß Sie Ihrem eigenen Interesse schaden, wenn Sie sich so gegen die Gräfin betragen, wie Sie dies jetzt tun. Ich werde die Gräfin so oft wie möglich besuchen. Wenden Sie mir nicht ein, daß ich Ihnen schaden könnte, ich weiß, daß ich genau so handle, wie es das Interesse aller an diesem Handel beteiligten Parteien erfordert.

 

Zweiundvierzigster Brief.

Ich soll Sie beklagen, Marquis? Ich werde mich fein davor hüten, das schwöre ich Ihnen. Sie haben ja meinen guten Rat nicht annehmen wollen, und deshalb ärgert es mich durchaus nicht, Sie jetzt schlecht behandelt zu sehen. Sie haben geglaubt, daß Sie die Gräfin ungestraft brüskieren könnten. Die freie Art in der sie die Liebe auffaßt, ihr offenes Benehmen, die Nachsicht, die sie Ihren vielen Torheiten gegenüber übte, die Freimütigkeit, mit der sie über die Vertreterinnen der platonischen Liebe spottet, all dies hat Sie glauben gemacht, daß Sie leichtes Spiel mit ihr haben würden. Aber Sie haben jetzt die Erfahrung gemacht, daß Sie sich gründlich getäuscht haben. Sie hat allerdings ein falsches Spiel mit Ihnen getrieben, und daß sie dies getan, schreit nach Rache, denn sie hat Ihr Vertrauen getäuscht! Die Gräfin hat also Ihren Zorn reichlich verdient.

Aber wollen Sie, Marquis, daß ich mit meiner gewohnten Aufrichtigkeit zu Ihnen spreche? Der Irrtum, in den Sie verfallen, wird von den meisten Männern geteilt. Sie urteilen fast alle nur nach dem äußeren Schein. Sie bilden sich ein, eine Frau, die ihre Tugend nicht immer prahlerisch zur Schau trägt, sei viel leichter zu überrumpeln, als eine sogenannte Prüde, und selbst durch die Erfahrung lassen Sie sich noch nicht eines besseren belehren. So kann es geschehen, daß Sie gerade da den härtesten Widerstand finden, wo Sie ihn am wenigsten erwartet hätten. Dann klagen Sie die Frauen der Launenhaftigkeit und Seltsamkeit an. Alle Männer führen dieselbe Sprache, sie sagen, warum ein so zweideutiges Spiel? Wenn eine Schöne wirklich fest entschlossen ist, kalt zu bleiben, warum mißbraucht sie dann die Leichtgläubigkeit ihres Liebhabers und macht ihn glauben, daß sie seine Gefühle erwidere, während ihr Herz ganz ungerührt geblieben ist? Mit einem Worte, warum erweckt und ermutigt man die Liebe, wenn man sie nicht erwidern will? Heißt das nicht bizarr und falsch sein? Heißt es nicht die Gefühle seines Verehrers verspotten?

Aber Sie irren sich, meine Herren; es heißt nur, sich über Ihre Eitelkeit lustig machen. Vergebens bemühen Sie sich, uns hier einer Schuld zu zeihen. Wenn Sie von Ihren tiefgekränkten Gefühlen sprechen, um die Sache zu beschönigen, so bleiben Sie nicht bei der Wahrheit. Zwingen Sie uns denn nicht selbst dazu, Sie in dieser Weise zu behandeln? Eine Frau, die auch nur etwas intelligent ist, weiß ganz genau, daß, wenn man die Männer fesseln will, man ihnen Hoffnung machen muß, man muß sie also ermutigen. Wenn Sie sich von vorneherein mit einer Strenge wappnete, die sie unüberwindlich erscheinen ließe, würde sie überhaupt keinen Liebhaber mehr bekommen. Wie vereinsamt würde sie sich dann fühlen, ja, sie würde es wie eine Schmach empfinden. Denn auch die tugendhafteste Frau empfindet im Grunde den glühenden Wunsch zu gefallen, sie will, daß man ihrer Schönheit huldige und ihr den Hof mache. Sie weiß ganz genau, daß einige ihrer Verehrer sich mit unehrenhaften und ihren Stolz verletzenden Absichten tragen; da sie dies jedoch nicht ändern kann, bleibt ihr nichts anderes übrig, als Vorteil daraus zu ziehen und sie trotzdem an der Leine zu behalten. Das geschieht einfach dadurch, daß sie die Hoffnungen dieser Verehrer, die sie niemals erfüllen wird, doch ermutigt. Mit einer gewissen Geschicklichkeit gelingt ihr dies auch. Wenn also eine Frau ihre eigenen Interessen wahrt, dann wird sie einverstanden sein mit dem, was die Gräfin mir bei unserer letzten Unterhaltung sagte: »Ich weiß genau zu würdigen, was es bedeutet, wenn die Männer uns sagen: ›Ich liebe Sie.‹ Eine Frau hätte oft genug Grund, über diese voreilige Erklärung beleidigt zu sein, aber wenn man den Charakter der Männer etwas näher studiert hat, dann braucht man nur ein wenig Eitelkeit, um ihre Pläne zu durchkreuzen. Wenn sie uns beleidigen, so ist nicht unser Zorn die Waffe, die sie am meisten zu fürchten haben. Wenn man erst außer sich geraten und heftig werden soll, um einem Mann zu widerstehen, so enthüllt man dadurch nur die eigene Schwäche. Mit feiner Ironie, prickelndem Spotte, einer sie demütigenden Kälte entmutigt man sie viel mehr. Nur sich nicht mit ihnen in einen richtigen Streit einlassen, denn auf einen solchen folgt nur allzu oft die Versöhnung. Sehen Sie, so muß man vorgehen, um den Männern ihre Chancen zu rauben.

Freilich die sogenannte Prüde schlägt einen ganz anderen Weg ein. Sieht sie sich der kleinsten Gefahr ausgesetzt, so glaubt sie nur dann vernünftig zu handeln, wenn sie möglichst viel Lärm macht und ihren Verehrer mit bitterem Groll erfüllt. Wem aber könnte ein solches Benehmen imponieren. Die Männer sagen sich einfach: Ich werde nur darum schlecht behandelt, weil ich in der Wahl des Augenblickes unglücklich war. Nicht meine Keckheit, sondern meine Ungeschicklichkeit wird gestraft. Wenn ich den richtigen Moment ergriffen hätte, würde man mir für das danken, was man mir heute zum Vorwurfe macht. Sie will mich durch ihre Strenge nur wissen lassen, daß ich meine Bemühungen verdoppeln möge, um mehr Nachsicht zu verdienen und ihren Stolz zu entwaffnen. Das einzige Mittel, die Beleidigung vergessen zu machen, ist, daß man um Gnade bittet, um dann so rasch wie möglich einen neuen Angriff zu machen. Wenn die Frauen nach meiner Vorschrift handeln wollten, würden die Männer nicht so reden können.

Der Marquis zum Beispiel hat es mich öfter in seinen Augen lesen lassen, welche Absichten er hat. Ich habe ihn dafür nur dadurch gestraft, daß ich mich gestellt habe, als hätte ich ihn nicht verstanden, und dann habe ich in unauffälliger Weise seinen Geist mit anderen Dingen zu erfüllen gesucht. Damit bin ich bis jetzt fein durchgekommen. Er wollte sich mir gegenüber gewisse Vertraulichkeiten erlauben, woran ich ihn jedoch zu verhindern wußte, ohne irgendwie heftig oder aufgeregt dabei zu werden. Ich bin ihm mit Vernunft entgegengetreten, ich habe ihm merken lassen, daß seine Zumutung mich mehr betrübe wie irritiere, und ich bin sicher, daß ihn das mehr gerührt hat, als die bittersten Vorwürfe hätten tun können. Er verließ mich, mit sich selbst unzufrieden. Im ersten Augenblicke glaubte ich, er würde überhaupt nie wiederkommen. Ich war beinahe versucht, mir Vorwürfe über meine Grausamkeit zu machen. Ich fand, daß ich zu weit gegangen sei, aber nachdem ich reiflich über die Sache nachgedacht hatte, beruhigte ich mich.«

Also, lieber Marquis, die Gräfin und ich plauderten nach Herzenslust, und aus allem, was sie mir erzählte, erkannte ich sehr genau, wozu sie sich entschlossen hat. Schreien Sie, so viel Sie wollen, über ihre Ungerechtigkeit und darüber, daß sie eine bizarre und grausame Frau sei; sie ist fest entschlossen, Ihrer Liebe keine anderen Begünstigungen zu gewähren, als die, die sich mit ihrem Stolze vereinigen lassen. Ich kann Ihnen versichern, daß sie diesen Vorsatz mit viel mehr Festigkeit durchführt, als ich ihr jemals zugetraut habe. Der Verlust Ihres Herzens würde ihr ein Unglück bedeuten, über das sie sich niemals trösten könnte. Die Bedingungen, die Sie ihr stellen, erscheinen ihr zu hart, um sie annehmen zu können, sie hofft, Sie dennoch fesseln zu können, ohne ihre Pflicht gegen sich selbst zu verletzen. Dieser Vorsatz ist ihres Mutes würdig, und ich wünsche, daß er ihr besser gelingen möge, als der Plan, ihr Herz überhaupt vor der Liebe zu verschließen.

Werden wir Sie morgen bei der Präsidentin ... sehen? Sie werden dort Gelegenheit haben, die Gräfin zu sprechen, und ich zweifle nicht daran, daß Sie dann Frieden miteinander schließen werden.

 

Dreiundvierzigster Brief.

Das hatte ich aber wirklich nicht erwartet, Marquis! Meine Freundschaft für Sie, der Eifer, mit dem ich mich um Sie bemühe, hat mir also nichts als Vorwürfe eingebracht! Es geht mir genau so, wie der Gräfin, Ihre Aussetzungen haben mich ernstlich verstimmt. Wenn das, was Sie mir vorwerfen, begründet wäre, dann würde mir nichts amüsanter erscheinen, als der spöttische Ton, mit dem Sie über meine Ihnen entwickelten Grundsätze herfallen. Mir scheint fast, als wollten Sie mich für Ihre Erfolge verantwortlich machen. Aber haben Sie wirklich glauben können, daß ich in meinen Briefen an Sie jemals beabsichtigt hätte, Ihnen Unterricht in der Verführungskunst zu geben? Verstehen Sie es denn wirklich nicht, einen Unterschied in der Kunst, zu gefallen, und in der, zu verführen, zu machen? Ich habe Sie nur die erstere lehren wollen. Es ist wahr, ich habe Ihnen erklärt, welche Gründe die Frauen zur Liebe bestimmen, aber habe ich Ihnen vielleicht deshalb auch gesagt, daß sie leicht zu besiegen seien? Habe ich Ihnen den Rat gegeben, in sinnlicher Weise auf sie einzudrängen und sie anzugreifen, als ob Sie kein Zartgefühl besäßen? Ich glaube das nicht. Als Ihre Unerfahrenheit und Ihre Schüchternheit wirklich noch so groß waren, daß Sie dadurch in Gefahr kamen, eine lächerliche Rolle in der Gesellschaft zu spielen, da habe ich Ihnen klar gemacht, wie sehr Sie sich dadurch schaden könnten. Ich gab Ihnen den Rat, mehr Vertrauen in sich selbst zu haben und so mit der Zeit die edle und schöne Sicherheit zu erlangen, die unfehlbar Eindruck auf die Frauen macht. Aber sobald ich merkte, daß Sie dreister wurden und fürchten mußte, daß Sie den Ruf der Gräfin schädigen könnten, habe ich Partei gegen Sie ergriffen; und das war nur zu natürlich, war doch mittlerweile die Gräfin meine Freundin geworden. Sie sehen also wohl, wie ungerecht Sie gegen mich sind, aber Sie sind gegen die Gräfin ebenso ungerecht. Sie tun nicht anders, als ob sie ein zweideutiger Charakter wäre. Wenn man Sie sprechen hört, sollte man annehmen, daß sie sich weder für noch gegen ein galantes Leben entschlossen habe, und daß das Einzige, was Ihnen aus ihrem Benehmen Ihnen gegenüber klar geworden, die Überzeugung sei, daß sie die Koketterie mit größerem Raffinement betreibe, als alle andere Frauen, die Sie kennen gelernt. Welch ein falsches Urteil! Indessen muß man Ihnen etwas zugute halten, da Sie sich ja wirklich in einer ziemlich prekären Lage befinden. Ein Mann, der nicht so voreingenommen wäre, wie Sie es sind, würde in der Gräfin eine Geliebte erkennen, die ebenso vernünftig wie zärtlich ist, mit einem Worte eine anständige Frau, die ehrlich bemüht ist, die besten Mittel anzuwenden, um ihre Liebe mit ihrem Stolze zu vereinigen. Die Schwierigkeit, diese beiden zu vereinigen, ist nicht zu unterschätzen, sie ist die Quelle ihrer wechselnden Stimmung, durch die Sie sich so verletzt fühlen. Stellen Sie sich nur mal vor, welche Kämpfe sie mit sich selbst auszufechten hat, wenn sie empfindet, daß sie in Gefahr steht, den Geliebten durch die Sprödigkeit, die sie seinem Drängen entgegensetzt, zu verlieren! Ja, wenn man es so ganz sicher wüßte, daß man Sie durch den andauernden Widerstand fesseln könnte! Aber manchmal sind die Männer so bizarr, daß sie die Partie aufgeben, wenn der Widerstand zu lange dauert. Ihr preist unsere Tugend – aber Ihr verlaßt uns, und welche Demütigung bedeutet das für uns! Wie manche Frau hat sich nicht ergeben, um ein so folgereiches Unglück zu verhindern! Aber da es in beiden Fällen nicht ganz sicher ist, daß ihr Liebhaber ihr treu bleibt, so ist es immer das Gescheiteste, sich so zu benehmen, daß man nicht zugleich mit dem Herzen auch die Achtung unseres Verehrers verliert. Das ist wenigstens meine Ansicht, und die Gräfin und ich sind in diesem Punkte einerlei Meinung. Seien Sie daher gerecht, Marquis, die Gräfin ist eher zu beklagen, es ist unrecht, sie so hart zu beurteilen. Wenn ihr Charakter weniger fest wäre, würden Sie vielleicht augenblicklich zufriedener mit ihr sein. Aber würden Sie es bleiben? Ich zweifle stark daran. Adieu! Wir rechnen darauf, Sie heute Abend bei Frau von Fayette zu sehen, und hoffen Sie dann vernünftiger zu finden.

Morgen soll mir Abbé Gedouin vorgestellt werden. Es wird eine glänzende Gesellschaft werden. Aber Sie würden sich wahrscheinlich doch langweilen, weil das einzige Wesen, für das Sie Interesse haben, nicht anwesend sein wird. Sie würden dann am Ende meinem Salon nachsagen, was Malherbes so hübsch von den Gärten des Louvre sagte:

»Trotz aller Eurer Pracht fehlt euch die holde Frau,
Für mich gibt's Schönheit nur, wo ich ihr Bild erschau.«

 

Vierundvierzigster Brief.

Endlich also ist dem Sturme wieder Ruhe und heiteres Wetter gefolgt, und ich sehe aus Ihrem Briefe, daß Sie mit der Gräfin und mit sich selbst versöhnt sind. Wie mächtig doch die Vernunft sein kann, wenn sie uns von den Lippen der Frau verkündet wird, die wir anbeten! Erkennen Sie nur, wie verschieden der Erfolg der Handlungsweise unserer Freundin von dem ihrer Verwandten, der Marquise, ist. Die Zurückhaltung der Gräfin hat Ihre Achtung und Liebe für sie erhöht, während die Hingebung der Marquise dazu beigetragen hat, daß der Chevalier ihr untreu geworden ist. Und so sind die Männer alle; Undank ist fast immer der Lohn für die ihnen von uns erwiesenen Wohltaten! Ein solches Mißgeschick ist freilich oft genug wieder wett zu machen, und ich will Ihnen bei dieser Gelegenheit einen Brief mitteilen, den ich vor einigen Tagen von Herrn von Saint-Evremond erhalten habe. Sie wissen es ja, wie intim befreundet wir schon längst miteinander sind.

Der junge Graf von ... hatte Fräulein ... geheiratet, in die er toll verliebt war. Kurze Zeit danach klagte er mir darüber, daß die Ehe und der unbestrittene Besitz des geliebten Wesens die Liebe abschwächten, ja oft genug ganz zerstörten. Wir unterhielten uns sehr lange über dieses Thema, und ich schrieb noch an demselben Abend darüber an Herrn von Saint-Evremond, weil es mich sehr interessierte, seine Ansichten darüber zu erfahren. Dies ist seine Antwort:

 

Brief des Herrn von Saint-Evremond an Fräulein von Lenclos.

Ich stimme vollkommen mit Ihnen überein, mein Fräulein! Es ist nicht immer, wie man dies so gern annimmt, die Ehe selbst und der Besitz des geliebten Gegenstandes, die der Liebe gefährlich sind; es ist vielmehr der Mangel an Selbstbeherrschung, eine zu maßlose Hingabe an die Freuden der Liebe, die die Quelle des Widerwillens sind, der nur allzu leicht sich der Liebenden bemächtigt. Wenn man sich ganz ohne Rückhalt dem wollüstigen Rausche seiner Sinne hingibt, so ist eine Reaktion nur natürlich und unausbleiblich. Das Herz empfindet eine gewisse Leere, die es beunruhigt und erkältet. Vergebens suchen wir die Ursache der uns erfüllenden Gleichgültigkeit in äußeren Dingen anstatt in unserer eigenen Maßlosigkeit. Unser Glück würde ein dauerhafteres und gleichmäßigeres gewesen sein, wenn wir nur Maß zu halten verstanden hätten. Wenn Sie genau analysieren, was unser Inneres bewegt, wenn wir etwas wünschen, so werden Sie finden, daß unsere Wünsche meist auf wirklicher Neugierde beruhen. Diese Neugierde ist die Triebfeder des Herzens. Wenn sie befriedigt ist, verlöschen unsere Wünsche. Wer also den Gatten oder den Geliebten dauernd an sich fesseln will, muß ihm immer etwas zu wünschen lassen, das Heute muß ihm etwas für Morgen versprechen. Man muß in die Freuden der Liebe Abwechselung zu bringen suchen, der Geliebte muß stets ein wenig in Aufregung gehalten werden, die Unbeständigkeit seiner Schönen zu fürchten haben, und ich stehe Ihnen für seine Beständigkeit und Treue.

Ich gebe übrigens zu, daß die Ehe oder das, was man unsere Niederlage nennt, bei einer gewöhnlichen Frau sehr wohl das Grab der Liebe werden kann. Aber es ist weniger der Liebhaber, dem man die Schuld davon beimessen kann, als diejenige, die sich über die eingetretene Erkältung der Gefühle beklagt. Sie nennt Herzensverderbnis, was nichts anderes als das Resultat ihrer eigenen Ungeschicklichkeit, ihres Mangels an Mäßigung beizuschreiben ist. Sie hat nicht mit ihren Mitteln Haus zu halten verstanden und hat nun der Neugierde des Geliebten nichts mehr zu bieten; sie bleibt immer dieselbe, wie eine hübsche langweilige Statue; er kann keine Abwechselung bei ihr finden; er weiß alles, was kommen wird – sie langweilt ihn. Die Frau jedoch, wie ich sie mir denke, wird ganz anders vorgehen. Bei ihr ist die Ehe wie die Morgenröte des schönsten Tages, der Beginn der süßesten Freuden, die wahre Befriedigung gewähren. Ich meine, daß das feste Vertrauen aufeinander, die gegenseitigen Herzensergüsse und offenen Mitteilungen die Seele mit köstlichem Behagen erfüllen; dazu kommen dann noch die harmlosen Naivetäten, die uns willenlos entschlüpfenden Geständnisse, die Gewißheit, ganz das Glück der von uns geliebten Person auszumachen und dabei doch aller Achtung würdig zu sein. Es ist der Zeitpunkt, wo der Mann unerschöpfliche Schätze, die sie ihm bisher verborgen, in der geliebten Frau entdecken wird: die Freiheit, die sie errungen, ihre Gefühle offen zeigen zu dürfen, verhilft all ihren Fähigkeiten zu schönster Entwickelung, aber sie geht ökonomisch mit ihren Mitteln um. Die natürliche Folge davon ist, daß der Mann ihrer nicht überdrüssig wird, daß sie ihm vielmehr immer wünschenswerter erscheint. Ich betone es aber noch einmal, daß sie Geist genug haben muß, um Herrin ihrer Neigung zu bleiben. Denn um seinen Liebhaber dauernd zu fesseln, genügt es nicht, ihn glühend zu lieben – vielleicht ist das überhaupt gar nicht nötig dazu. Man muß es nur verstehen, mit Klugheit und mit Zurückhaltung zu lieben; aus diesem Grunde ist die Schamhaftigkeit das Klügste, womit eine feinfühlende und kluge Frau sich wappnen kann. Sich stürmisch und bis zur Bewußtlosigkeit dem Geliebten hingeben, sozusagen ganz in seiner Leidenschaft aufgehen, das kann nur einer ganz törichten Frau begegnen. Das ist überhaupt keine wirkliche Liebe, es ist nur ein momentaner Rausch der Sinne, dessen einziger Zweck es ist, den Geliebten von vorneherein zu verwöhnen. Ich fordere von jeder Frau, daß sie sich immer mit Zurückhaltung und Anstand zu benehmen weiß. Ihre übermäßige Leidenschaftlichkeit ist in meinen Augen durchaus keine Entschuldigung. Das Herz ist fast immer ein Durchgeher, man muß seine Lebhaftigkeit zu bändigen verstehen, geschieht dies nicht, so erlahmen seine Kräfte nur allzubald und sind nur noch eines vorübergehenden Impulses fähig. Dieselbe Reaktion, die Sie nach solchen maßlosen Erregungen bei Ihrem Liebhaber bemerken, wird sich auch bei Ihnen vollziehen. Sie werden dies bald genug entdecken und die Notwendigkeit einer Trennung empfinden.

Mit einem Worte, es gehört viel Geist dazu, wenn man lieben und dabei glücklich sein will. Bis zu dem verhängnisvollen »Ja«, oder besser gesagt, bis zu der Stunde ihrer Niederlage bedarf die Frau keiner Künste, um sich den Geliebten zu erhalten. Die Neugierde reizt ihn, das Verlangen nach Besitz spornt ihn an, und die Hoffnung ermutigt ihn. Aber wenn er sein Ziel erreicht, dann muß die Schöne sich ebensoviel Mühe geben, ihn an sich zu fesseln, wie vorher der Liebhaber getan, um sie zu besiegen. Der Wunsch, ihn nicht entschlüpfen zu lassen, wird sie erfinderisch machen. Es geht mit dem Herzen so wie mit der Einnahme einer Festung, es ist viel leichter sie einzunehmen, wie sie zu behaupten. Man braucht nur Reiz zu haben, um einen Mann in sich verliebt zu machen, aber um sich den Liebhaber zu erhalten, dazu gehört viel mehr. Dazu gehört große Geschicklichkeit, viel Geist und sogar ein wenig Launenhaftigkeit und Unberechenbarkeit. Leider sind die Frauen, nachdem sie sich einmal ergeben, meistens viel zu zärtlich und zuvorkommend. Zu beiderseitigem Glücke wäre es wirklich besser, wenn die Frauen im Anfang weniger spröde und nachher viel zurückhaltender wären. Ich wiederhole es, daß sie dem Überdrusse des Geliebten nur dadurch zuvor kommen können, daß sie ihm immer etwas zu wünschen übrig lassen. Ich höre die Frauen so oft über unsere Gleichgültigkeit klagen, indessen ist sie wirklich nur die Folge ihres allzu großen Entgegenkommens. Sie rufen unaufhörlich die Erinnerung an jene Zeit zurück, wo wir in unserer Verliebtheit am liebsten ganze Tage mit ihnen verbracht hätten. Wie verblendet sie doch sind! Sie sind sich kaum bewußt, daß sie noch immer die Macht haben, jene Zeiten, deren Erinnerung ihnen so teuer ist, herauf zu beschwören. Wenn sie nur vergessen wollten was sie einst für uns getan, so würden sie sich nicht versucht fühlen, noch mehr tun zu wollen. Sie müssen Sorge tragen, es uns vergessen zu machen. Sie müssen es verstehen, unser Herz aus seiner Besitzessicherheit aufzurütteln und ihm neue Schwierigkeiten entgegensetzen. Sie müssen unser Verlangen nach Beweisen ihrer Zärtlichkeit neu zu entfachen wissen, Beweise, die leicht an Wert verlieren, wenn wir ihrer allzu sicher zu sein glauben. Sie werden dann weniger über uns zu klagen haben und sich selbst viel glücklicher fühlen. Soll ich ganz offen zu Ihnen sprechen? Ich meine, daß alles anders und viel besser sein würde, wenn die Frauen nur nicht vergessen wollten, daß es ihre Aufgabe ist, sich jede Gunstbezeigung abbetteln zu lassen, und daß der Mann immer von neuem um sie werben und jeden Sieg erkämpfen müßte. Eine Frau darf nur gewähren, niemals, unter keinen Umständen darf sie sich dem Manne anbieten. Selbst in der höchsten Leidenschaft muß sie eine gewisse Zurückhaltung beobachten, und niemals darf sie sich dem Geliebten bedingungslos hingeben. Nur so wird sie ihrem Liebhaber immer noch etwas zu wünschen übrig lassen, und er wird folglich immer noch etwas zu erlangen suchen. Eine schrankenlose Hingabe verwischt die verführerischsten körperlichen Reize und mißfällt schließlich selbst dem, der sie begehrt. Das ist ein Erfahrungssatz. Wenn ein Mann übersättigt ist, dann sind ihm alle Frauen gleichgültig.

Ihre Niederlage bringt alle Frauen auf dasselbe Niveau. Nachdem sie sich dem Manne ergeben, unterscheidet die Schöne sich von der Häßlichen nur durch die Kunst, mit der sie ihr Ansehen zu bewahren versteht. Aber was ist der gewöhnliche Lauf der Dinge? Die Frau glaubt, daß es nun völlig genüge, wenn sie liebevoll, zärtlich, sanft, gleichmäßig und dem Geliebten treu sei. In gewisser Beziehung hat sie damit auch recht, denn solange diese Eigenschaften die Grundzüge ihres Charakters ausmachen, wird man ihnen nie die Achtung versagen können. Aber so außerordentlich schätzenswert diese Eigenschaften an und für sich sind, so genügen sie doch auf die Dauer nicht. Die Frau muß sich interessant und unberechenbar zu machen wissen, wenn nicht bald eine gewisse Ermüdung und Langeweile eintreten soll, die das unfehlbarste Gift für die gegenseitige Neigung der Herzen ist.

Und wissen Sie, woher es kommt, daß Liebende so oft ihres Glückes bald überdrüssig werden? Warum man einander bald nur noch so wenig gefällt, nachdem man vorher so sehr voneinander eingenommen war? Es kommt daher, daß die beiden interessierten Parteien eine gleich falsche Vorstellung haben. Der eine glaubt nichts mehr erlangen, die andere nichts mehr geben zu können. Da ist es denn am Ende ganz natürlich, daß der Mann in seiner Verfolgung lässig wird, während die Frau sich nur noch durch solide Eigenschaften Geltung zu verschaffen glaubt. Man läßt den Verstand und die Achtung an Stelle der Liebe treten, und von dem Augenblicke an ist der gegenseitige Verkehr seines Hauptreizes beraubt und sogar die so amüsanten kleinen Streitigkeiten hören auf. Und doch sind sie so notwendig, um die Langeweile und den Überdruß zu verscheuchen.

Wenn ich jedoch die Eintönigkeit einer Liebesaffäre ab und zu durch kleine Stürme unterbrochen sehen möchte, so meine ich doch damit nicht, daß man, um glücklich zu sein, immer miteinander zanken müsse. Ich wünsche, daß selbst die gelegentlichen Uneinigkeiten ihren Grund nur in der Liebe haben möchten. Die Frau darf es nie vergessen, daß sie nur durch rücksichtsvolle Güte die ihr zukommende Achtung bewahren kann und daß sie durch übertriebene Empfindlichkeit und Reizbarkeit die Liebe zu einer Quelle von Sorgen macht, durch die sie ihr ganzes Leben vergiftet. Sie soll sich aber auch hüten, durch eine allzu gewissenhafte Treue ihren Liebhaber in Sicherheit zu wiegen, so daß er glaubt, daß er von dieser Seite nichts zu fürchten habe. Ebenso muß sie sich vor einer immer gleich bleibenden Güte und Gleichmäßigkeit in acht nehmen, und keinesfalls darf sie die Schwäche haben, dem geliebten Manne etwaige Fehltritte ohne weiteres zu verzeihen. Die Erfahrung lehrt uns, daß die Frauen die Herzen des Geliebten oder ihres Mannes sehr oft gerade durch ihre allzugroße Nachsicht und Langmut verlieren. Welche Ungeschicklichkeit! Sie halten es für ein Verdienst, ihnen alles zu opfern, aber sie verderben die Männer nur dadurch und ernten Undank dafür. Durch übertriebenen Edelmut schädigen sie ihr eigenes Interesse, denn die Männer gewöhnen sich nur allzu rasch daran, als ein Recht zu fordern, was man ihnen nur aus Gnade zugestanden hat.

Auf der anderen Seite können Sie aber auch täglich Frauen beobachten (und sie werden mit Recht verachtet), die ihre Männer mit eiserner Faust regieren, sie wie Sklaven behandeln und in unwürdiger Weise erniedrigen. Diese Frauen aber sind es, die meistens am längsten geliebt werden. Ich kann es natürlich einer klugen und fein erzogenen Frau nicht verdenken, daß sie einem solchen Beispiel nicht nachfolgen möchte. Ein so rauhes Betragen beeinträchtigt die guten Sitten und verletzt den feinen Anstand, der selbst Dingen, die nichts mit der Tugend zu tun haben, einen gewissen Reiz verleiht. Eine kluge Frau wird daher diese Schroffheit vorsichtig um einige Grade zu mildern wissen und dann gerade das Richtige treffen, um sich das Herz ihres Liebhabers oder Gatten dauernd zu erhalten. Die Männer gleichen Sklaven, die, wenn man sie zu gut behandelt, sehr leicht unverschämt werden, wir müssen dann wie die Sklaven der neuen Welt angefaßt werden. Wir haben genug Rechtsgefühl, um, wenn die Hand des Machthabers mit Recht auf uns lastet, sogar noch dankbar dafür zu sein.

Um kurz noch einmal alles zusammenzufassen: In Liebesangelegenheiten sollen die Frauen herrschen. Ihnen sollen wir unser Glück verdanken, und das werden wir unfehlbar, wenn sie unsere Herzen mit Klugheit zu lenken verstehen, ihre Neigung zu zügeln und ihre Autorität, ohne sie zu mißbrauchen oder sich etwas zu vergeben, zu wahren wissen.

 

Fünfundvierzigster Brief.

Nun Marquis, ich kann Ihnen mit wenig Worten sagen, was ich von dem Briefe denke, den ich Ihnen gestern geschickt habe. Wenn eine Frau Nutzen aus den Ratschlägen des Herrn von Saint-Evremond ziehen wollte, dann müßte sie, ohne selbst sehr tief berührt zu sein, eine große Leidenschaft erregt haben. Wir können, wenn Ihnen dies Vergnügen macht, uns nächstens eingehend darüber unterhalten. Doch nun zu dem, was Sie betrifft.

Das Opfer, das die Gräfin von Ihnen gefordert, ist des Preises wert, den sie dafür versprochen hat. Sie sollen Verzicht auf eine Frau leisten, deren entgegenkommendes Wesen Ihnen nur zu deutlich sagt, wie sehr sie Ihnen gewogen ist. Öffentlich, in Gegenwart ihrer Nebenbuhlerin und ohne jede Schonung auf ihre Eitelkeit sollen Sie diese Dame verleugnen – ich finde, daß das viel verlangen heißt und daß der Preis, den die Gräfin auf einen solchen Beweis Ihrer Ergebenheit setzte, nämlich ihr Porträt, nicht zu hoch war. Das Sie aber gerade den Tag aussuchen mußten, an dem die Marquise zum ersten Male offiziell bei sich empfing, daß Sie den Augenblick wählten, an dem die Finanzdame sich darauf vorbereitet hatte, mit allen Waffen gegen die Schönheit der Damen der Aristokratie zu kämpfen – daß Sie sie dann vollkommen ignorierten, an ihr vorüber gingen, um ihre Nebenbuhlerin zu begrüßen und ihr eifrig den Hof zu machen, das, Marquis, ist eine Beleidigung, die sie Ihnen nicht vergeben wird. Sie wird sich dafür rächen, das werden Sie schon sehen, und zwar so grausam wie möglich, dafür stehe ich Ihnen. Nun aber zum zweiten Teile Ihres Briefes.

Sie fragen mich, ob die letzte Gunst, die eine Frau gewährt – man könnte ebensogut sagen der letzte Fehler, den sie begeht – ein ganz sicherer Beweis dafür sei, daß sie uns liebt? Ja und nein.

Ja, wenn Sie mit einer Frau zu tun haben, deren erste Liebe Sie sind und die zartfühlend und tugendhaft ist. Aber selbst in diesem Falle wird dieser Beweis ihrer Neigung weder schmeichelhafter noch von tieferer Bedeutung sein, als andere Liebeszeichen, die sie Ihnen gegeben hat. Alles, was eine liebende Frau tut, Dinge, die oft scheinbar wenig bedeuten, sind doch ebensoviele Beweise ihrer Liebe wie jene letzte Gunst, aus der die Männer so viel Wesens machen. Ich möchte sogar hinzufügen, daß es Umstände gibt, unter denen tausend andere kleine Opfer, die Sie ihr kaum anrechnen, mehr bedeuten als diese letzte Gunst. Sie interessiert sich zu sehr für das, was Sie ihr sagen, als daß Sie sich groß damit rühmen dürften, sie überredet zu haben; jeder andere würde vielleicht ebensoviel von ihr errungen haben. Ich kenne sogar eine Frau, die sich zwei- oder dreimal Männern ergeben hat, die ihr im Grunde gleichgültig waren, während sie sich dem, den sie wirklich liebte, stets verweigert hat. Es kann also sehr wohl passieren, daß auch diese letzte Gunst kein Beweis wahrer Liebe ist. Es kommt sogar vor, daß ein Liebhaber nur deshalb rasch zum ersehnten Ziele kommt, weil man wenig Wert auf ihn legt. Vor keinem möchten wir uns weniger etwas vergeben als vor denjenigen, die wir wirklich achten; Sie können mir glauben, es gehört schon eine mächtige Leidenschaft dazu, wenn eine kluge Frau sich hinreißen sollte lassen, sich einem Manne gegenüber zu vergessen, auf dessen Achtung sie Wert legt. Ihr vermeintlicher Triumph kann daher zuweilen Folgen haben, die weit entfernt davon, ehrenvoll für Sie zu sein, Sie sogar demütigen müßten, wenn Sie sie erführen.

Man sieht zum Beispiel, daß ein Verehrer sich von uns zurückzuziehen scheint; man fürchtet, daß man seiner verlustig geht und daß er sich einer anderen Dame zuwendet, die ihm besser paßt. – Man möchte ihn nicht verlieren, es ist immer so demütigend, sich um einer anderen willen verlassen zu sehen. Da gibt man sich endlich hin, weil man kein anderes Mittel zu haben glaubt, den Wankelmütigen zu fesseln. Man will sich nichts vorzuwerfen haben, denn da eine Frau sich selbst durch die erwiesene Gunst an den Mann fesselt, glaubt sie diesen dadurch zur Dankbarkeit zu zwingen. Welche Torheit! Andere Frauen wieder ergeben sich aus ganz anderen Gründen, manche sogar nur aus Neugierde, sie möchten halt auch mal wissen, wie es tut und was die Liebe ist. Manche auch, die nicht so bevorzugt ist, ihre Verehrer durch ein schönes Gesicht fesseln zu können, sucht ihre Liebhaber durch Gewährung sinnlicher Freuden dafür schadlos zu halten. Eine andere vielleicht bildet sich ein, daß es der Eitelkeit des Geliebten unendlich schmeicheln würde, wenn er sie besiegte – sie opfert ihm alles, um ihn an sich zu fesseln. Noch eine andere gibt dem Mitleid, der günstigen Gelegenheit nach, oder sie tut es aus der Lust, sich an einem anderen ihr untreu gewordenen Verehrer zu rächen. Was soll ich sagen? Das Herz einer Frau ist so bizarr, es läßt sich durch so eigentümliche und verschiedene Gründe bestimmen, daß es unmöglich ist, alles zu nennen, durch was es sich rühren läßt. Aber wenn wir uns Illusionen machen über die Mittel, mit denen wir die Männer fesseln könnten, wie oft täuschen sich diese über das, was sie für Beweise unserer Liebe halten! Wenn sie hellsichtiger und feinfühliger wären, würden sie erkennen, daß es vieles andere gibt, das ein besseres Zeugnis für unsere Neigung ablegt, als diese letzte so fatale Gunst. –

Sagen Sie mir doch, Marquis, was ist denn mit Herrn von Coulanges los? Habe ich ihm etwas getan? Es ist nun schon einen Monat her, seit er nicht bei mir gewesen ist. Er ist wirklich einer der liebenswürdigsten Menschen, die ich kenne. Wenn ich von Versailles zurückkomme, dann hoffe ich, daß Sie mir ihn wieder zuführen, Sie würden mich sonst ernstlich erzürnen. Ich möchte, daß er mir die letzten Lieder, die er gedichtet hat, vorsingt. Man sagt, daß sie ganz reizend seien.

 

Sechsundvierzigster Brief.

Es ist sehr freundlich von Ihnen, Marquis, daß Sie meine Abwesenheit schmerzlich empfunden haben. Wenn ich Ihnen von meinem Landaufenthalte aus nicht geschrieben habe, so geschah dies, weil ich Sie glücklich wußte. Dieser Gedanken beruhigte mich. Ich war mir bewußt, daß die Liebe ihre Rechte hat. Da außerdem ihre Herrschaft gewöhnlich nur von kurzer Dauer ist und die Freundschaft eine ganz von ihr getrennte Sache ist, wartete ich eben geduldig auf eine Zwischenpause Ihrer Liebesfreuden, die Ihnen Muße geben würde, meine Briefe zu lesen. Wissen Sie, was ich während dieser Zeit getan habe? Ich habe mich damit amüsiert mir aus dem, was vorhergegangen, die kommenden Ereignisse, die Sie treffen würden, zu kombinieren. Den Zwist zwischen der Gräfin und ihrer Rivalin habe ich vorausgesehen, ich habe es wohl gedacht, daß das mit einem offenen Bruche enden müsse. Auch davon war ich ebenfalls gleich überzeugt, daß die Marquise Partei für die Finanzdame und nicht für die Gräfin ergreifen würde. Die erstere ist nämlich nicht ganz so hübsch wie ihre Rivalin, und das ist ein entscheidender Grund dafür, in dem Kampfe der beiden ihr beizustehen. Was konnte man auch anderes erwarten? Die beiden Frauen mußten sich ja entzweien! In wie kurzer Zeit hat sich alles geändert, nur Ihr Glück ist Ihnen treu geblieben! Sie entdecken alle Tage neue und liebenswertere Eigenschaften in der Gräfin und sind vollständig vernarrt in sie. Und eine Frau wie sie, die ein so reizvolles interessantes Gesicht hat und dabei geistig so wertvoll ist, kann auch wirklich in näherem Verkehre immer nur gewinnen. Möge also die Achtung, die Sie für sie empfinden, eine dauernde sein. Ich gebe zu, daß sie das von Ihnen so heiß ersehnte Geständnis ihrer Zuneigung gemacht hat, aber sie verdient es nicht, deshalb geringer geschätzt zu werden. Sollte sie Ihnen nicht vielmehr noch teurer und verehrungswürdiger sein, da Sie nun die Gewißheit haben, daß Sie der alleinige Besitzer ihres Herzens sind? Und selbst wenn sie so weit gehen sollte, Ihnen den Beweis ihrer Gunst zu geben, von dem ich in meinem letzten Briefe sprach, so haben Sie darum nicht das Recht, geringer von ihr zu denken. Ich kann es nicht verhehlen, daß es mich stets entrüstet, wenn die Männer eine Frau der ihnen gezeigten Schwäche wegen strafen wollen. Ist es nicht wirklich der Höhepunkt der Grausamkeit, eine Frau noch des Schmerzes wegen zu verhöhnen, der durch Euere Unbeständigkeit verursacht wurde? Selbst wenn er einer Frau überdrüssig geworden, dürfte ein anständig denkender Mann sie niemals verhöhnen. Wenn wir schuldig werden, indem wir Euerem Drängen nachgeben, so sind doch diejenigen, die unsere Schwäche ausgenutzt haben, nicht dazu berufen, uns dafür zu strafen. Bewahren Sie also der Gräfin die Gefühle, die Sie jetzt für sie empfinden. Unsere Niederlage sollte uns nicht in Ihren Augen verächtlich erscheinen lassen. Nur die Art, wie wir uns verteidigt und ergeben haben, darf Eurer Achtung oder Verachtung zum Maßstabe dienen.

Frau von Lafayette findet also, daß ich mich in meinem letzten Briefe zu frei über die intimsten Verhältnisse ausgesprochen habe? Sie sehen also, welche Unannehmlichkeiten mir aus Ihrer Indiskretion erwachsen! Die Dame muß, wenn sie gerecht sein will, es gelten lassen, daß ich nicht strafbarer bin als jeder Lehrer der Anatomie. Dürfte ein solcher sich erlauben, aus Furcht schwache Gemüter und eine kranke Einbildungskraft zu beunruhigen, die wichtigsten Teile seines Vortrages auszulassen? Es sind nicht die Worte oder die Idee, die eine Sache unanständig erscheinen lassen, es kommt vielmehr nur auf die Absicht an, in der sie gesprochen werden; oft genug ist es aber auch die niedrige Denkungsweise des Zuhörers, die ihnen einen anderen Sinn unterschiebt. Frau von Lafayette ist gerade diejenige, von der ich am allerwenigsten so alberne Vorwürfe erwartet hätte; ich werde sie morgen bei der Gräfin sehen und dann werde ich sie von ihrer Ungerechtigkeit gegen mich zu überzeugen wissen.

 

Siebenundvierzigster Brief.

Was, Marquis, ich sollte mich über die neuen Schwierigkeiten wundern, die Ihre Finanzdame Ihnen macht? O nein, dazu kenne ich doch die Frauen zu gut. Sie können ganz sicher sein, daß sie alle ihre Gefallkunst aufbieten wird, um Sie der Gräfin abspenstig zu machen, sie hat einmal Geschmack an Ihnen gefunden, aber bilden Sie sich nicht zu viel darauf ein. Das mächtigste Leitmotiv ihres Betragens ist der Wunsch, sich zu rächen. Es gibt Dinge, die die Frauen nicht vergeben können, und wenn ihr Zorn sich zunächst auch nicht gegen den Gegenstand des Streites richtet, so bedürfen sie seiner doch, um ihrer Rache genug zu tun. Sie haben bei der Rivalin der Gräfin das gefunden, was Sie von dieser als Pfand ihrer Liebe forderten. Man bietet Ihnen im voraus den Lohn für Dienste, auf die man später wahrscheinlich verzichten wird, und ich fürchte, daß Sie unzart genug sein werden, dieses Anerbieten anzunehmen. Die Herzen der Männer sind eben alle gleich, sie gehören: »der Gefälligsten«.

Aber sollten Sie sich nicht wirklich schämen, der Gräfin Grund zu Vorwürfen zu geben? Vergleichen Sie sie doch nur mit ihrer Rivalin! Diese ist eine Frau ohne Zartgefühl und Liebe, eine Frau, die sich nur durch die Sinnenlust leiten läßt, Sie nicht wirklich liebt und in Ihnen nur Ihre Jugend und die Vorteile sucht, die sie durch Sie haben könnte.

Sie müssen es doch selbst empfinden, wie viel wertvoller die Gräfin ist; Sie wissen es ganz genau, daß Sie ihr gegenüber im Unrecht sind. Sie geben mir selbst zu, ein Ungeheuer von Undankbarkeit zu sein und können sich doch nicht dazu verstehen, sich mit ihr zu versöhnen. Wahrhaftig, Marquis, ich verstehe Sie nicht mehr! Ich fange an zu glauben, daß Frau von Sevigné recht hat, wenn sie behauptet, daß ihr Sohn zwar sehr gut seine Pflichten kenne, daß er sich aber immer von seinen Leidenschaften fortreißen lasse. Sein Kopf sei klar genug, aber »sein Herz sei ganz närrisch«.

Sie erinnern mich an das, was ich Ihnen früher über die leichte Art gesagt, mit der man Liebeshändel führen sollte. Bitte, erinnern Sie sich gefälligst daran, daß es sich zu jener Zeit nur um allgemeine Ansichten handelte und daß ich keinesfalls prätendierte, Ihnen offiziellen Rat zu geben. Vergessen Sie ferner nicht, daß damals nur von einem vorübergehenden oberflächlichen Verhältnisse, von einer gewöhnlichen Maitresse die Rede war. Aber ist Ihre heutige Lage nicht eine ganz andere? Sie können die Frauen von ganz Paris durchmustern, und Sie werden nicht eine finden, die sich auch nur annähernd mit der Dame vergleichen ließe, die Sie jetzt so grausam verlassen wollen. Und weshalb? Nur, weil ihr fortgesetzter Widerstand Ihre Eitelkeit verletzt.

Dennoch gebe ich Ihnen zu, daß eine einmal erloschene Leidenschaft nur selten wieder zu neuer Glut erwacht. Man ist nicht Herr darüber, ob man lieben oder nicht lieben will. Ich fühle die Wahrheit dieses Satzes, den ich nur ungern und mit Bedauern zugebe, weil ich mir selbst sage, daß Sie das Bessere um des Schlechteren willen aufgeben. Sie entsagen einem soliden Glücke, dauerhaften Freuden, einer vorübergehenden Neigung, einer reinen Kaprice wegen. Aber ich weiß doch, daß alles, was ich Ihnen sage, Sie nicht eines besseren belehren wird. Ich fürchte sogar, Sie mit meiner Moral zu langweilen, und, um die Wahrheit zu sagen, es ist etwas lächerlich, daß ich Ihnen Beständigkeit predige, während es bereits entschieden ist, daß Sie aufgehört haben zu lieben und daß »Ihr Herz verrückt geworden« ist. Ich überlasse Sie daher Ihrem traurigen Geschicke, ohne jedoch darauf zu verzichten, es auch ferner mit Interesse zu verfolgen. Was nützte es mir auch, wenn ich mich darüber betrüben wollte? Soll ich vielleicht Ihnen gegenüber einen Schulmeisterton annehmen? Nein, sicher nicht, das würde uns allen beiden nicht passen. Es würde mich langweilen, und ich würde Sie doch nicht dadurch bessern.

 

Achtundvierzigster Brief.

Ich verhehle es Ihnen nicht, Marquis, daß Ihr Betragen der Gräfin gegenüber mich ernstlich verstimmt hat, ich möchte am liebsten ganz mit einem Manne brechen, der so schlecht ist, wie Sie es sind. Die Bereitwilligkeit, mit der ich mich durch Ihre Bitten dazu bestimmen lasse, dies nicht zu tun, beweist mir, daß ich wirklich eine kleine Schwäche für Sie habe. Sie haben recht; ich würde nicht Ihre wahre Freundin sein, wenn ich Ihnen nur treu bleiben wollte, so lange Sie meine Ratschläge befolgen. Je mehr Sie zu beklagen sind, um so weniger sollte ich Sie im Stiche lassen, aber man ist nicht Herr seiner ersten Regungen. Obgleich ich mir die größte Mühe gegeben habe, Ihr Betragen mit milderen Augen anzusehen, so ist doch das Interesse für meine Freundin so groß, daß es mir nicht gelingen wollte. Es gab Augenblicke, in denen ich Sie für schuldig hielt, weil ein so liebenswürdiges Wesen wie die Gräfin sich über Sie beklagte. Jetzt sehe ich, daß die Situation sich allmählich klärt, und ich bedauere beinahe die Kälte meines letzten Briefes.

Ich werde zwar nicht aufhören, die Gräfin zu beklagen, aber ich werde Sie nicht mehr ihretwegen belästigen. Wir wollen so wie früher miteinander verkehren. Fürchten Sie also keine weiteren Vorwürfe, die ebenso unnütz wie deplaciert sein würden.

 

Neunundvierzigster Brief.

Wie, Sie wußten wirklich nicht, Marquis, daß es oft viel schwerer ist, eine Maitresse los zu werden, als eine zu bekommen? Jetzt also machen Sie diese Erfahrung? Sie sind der Finanzdame überdrüssig geworden? Nun, was mich wundert, ist nur, daß dies nicht schon sehr viel früher geschehen ist! Sie haben doch schon einen Einblick in ihren Charakter getan, wie ist es da möglich, daß Sie ihre scheinbare Verzweiflung über Ihre täglich zunehmende Gleichgültigkeit auf eine wirkliche Leidenschaft zurückführen? Wie ist es nur möglich, daß Sie sich noch immer von ihr betören lassen können? Ich bewundere und beklage Ihre Verblendung! Aber sollte nicht die Eitelkeit viel dazu beitragen, Sie in Ihrer Illusion zu bestärken? Freilich haben Sie wenig Grund, darauf eitel zu sein, von einer solchen Frau geliebt zu werden. Aber Ihr Männer seid ebenso eitel, daß Ihr Euch selbst durch die Liebe einer ausgesprochenen Kurtisane geschmeichelt fühlt. So sehen Sie doch endlich klar! Wenn man eine Frau verläßt, die einen Charakter hat wie Ihre Schöne, so denkt diese in ihrem Kummer nur an ihr eigenes Interesse. Sie versucht es, Sie durch ihre Tränen und durch ihre Verzweiflung davon zu überzeugen, daß der Verlust Ihres Herzens das größte Unglück sei, und daß es niemand gibt, der sie dafür zu entschädigen vermöchte. Aber all diese Versicherungen sind erlogen. Es ist nicht die verzweifelnde Geliebte, die aus ihr spricht, es ist die in ihrer Eitelkeit tief gekränkte Frau, die außer sich darüber ist, daß eine andere ihr den Rang abgelaufen hat und ihre Reize die Macht über Sie verloren haben. Wenn auch von Ihnen verschmäht, gibt sie sich nun die größte Mühe, gefühlvoll und eines besseren Loses würdig zu erscheinen. Herr D. L. R. F. bemerkte einmal sehr richtig von solchen Frauen: »Sie beweinen ihren Geliebten weniger darum, weil ihr Herz so sehr an ihm gehangen hätte, als weil sie dadurch der Liebe würdiger erscheinen möchten.« Er hat Recht, wenn er diese Gefühle verspottet. Sie muß wirklich eine sehr eigentümliche Idee von Ihnen haben, wenn sie denkt, Ihnen durch so etwas imponieren zu können. Möchten Sie sie ganz so kennen lernen, wie sie ist? Nun, der Chevalier ist ja augenblicklich frei, veranlassen Sie ihn doch, Ihre Stelle bei ihr einzunehmen. Ich bin überzeugt, Sie werden mir bald genug mitteilen, daß es ihm leicht genug geworden, sie über ihren Verlust zu trösten! Eine Frau ihres Alters fängt an zu fürchten, den Verlust eines Liebhabers nicht so schnell durch einen Nachfolger ersetzen zu können, und um nicht im Preise zu sinken, nimmt sie den Ersten an, der sich ihr bietet. Ihr Kummer bleibt darum doch wahr, aber sie täuscht Sie über die Gründe dieses Kummers. Zerreißen Sie also ohne weiteres diese Ihrer unwürdigen Bande. Einer solchen Person gegenüber ist es lächerlich, Bedenken zu haben. Erinnern Sie sich der Worte, die Herr von Coulanges einmal aussprach: »Die Beständigkeit ist die Tugend beschränkter Leute.« Wenn diese, ermutigt durch die Laune eines liebenswürdigen Weibes, einmal in deren Kette geschlagen sind, so hält das Gefühl ihrer Mittelmäßigkeit sie darin fest, es schüchtert sie ein, sie wagen es kaum, den Versuch zu machen, ob sie auch bei andern Erfolg haben würden. Überglücklich, Erfolg gehabt zu haben, fürchten sie das einmal errungene Gut freizugeben, aus Furcht, keinen Ersatz dafür zu finden. Wenn dann die Frau dahinter kommt, wie minderwertig sie sind, dann erheben sie Ihre Beständigkeit zu einer Tugend und machen aus der Liebe einen Götzendienst; sie strengen ihren Verstand auf das äußerste an, um sich ein Herz zu erhalten, das sie nur einer Laune, einer Gelegenheit oder einer Überraschung verdanken. Hüten Sie sich, in eine Kategorie mit so unbedeutenden Persönlichkeiten gestellt zu werden. Die Herzen sind das Geld des galanten Lebens. Liebenswürdige junge Leute gehören der Gesellschaft an. Es ist ihre Bestimmung, darin zu zirkulieren, und sie sollen mehr wie Eine glücklich machen. Ein beständiger Mann gleicht also einem Geizhalse, der die Zirkulation des Geldes verhindert. Er hält einen ihm unnützen Schatz fest, während andere einen so guten Gebrauch davon machen würden.

Was soll übrigens eine Maitresse, die man nur aus Vernunftsgründen nicht verabschiedet? Wie langweilig ist der Verkehr mit ihr! Wie unerträglich ist es, von Liebe zu sprechen zu müssen, während man keine mehr empfindet. Es ist nur selten, daß eine Leidenschaft gleichzeitig bei zwei Beteiligten erlischt; daher ist allzugroße Beständigkeit ein wahres Unglück. Ich vergleiche sie mit jenem Tyrannen des Altertums, der einen zum Tode Verurteilten lebend an einen Leichnam fesselte und die Banden nicht löste, bis der Delinquent selbst tot war. Die Beständigkeit verurteilt uns zu derselben Folter. Schütteln Sie also ein Ihrer Freiheit so gefährliches Vorurteil energisch ab. Glauben Sie mir, es ist viel besser, Sie folgen ohne weiteres Ihrer neuen Neigung zu jener jungen Frau, von der Sie mir erzählten. Wenn, wie Sie mir sagen, diese zwar schön, aber nicht sehr geistvoll ist, wird ihr Reich ohnehin nicht von langer Dauer sein. Sie werden also bald genug wieder frei sein, und ich zweifle nicht daran, daß dann rasch noch einige andere galante Abenteuer Sie beschäftigen werden. Vielleicht sogar werden Sie das Ende des Einen nicht abwarten, ehe Sie sich in ein anderes einlassen, denn ich sehe aus Ihrem Briefe, daß Sie in die Mode kommen. Dies System hat ja etwas ganz Gutes, man kann sich kaum besser einrichten. Den einen Liebeshandel nicht eher abbrechen, bis man einen anderen angefangen hat, sich aus dem ersten erst dann zurückzuziehen, wenn man in dem zweiten Fortschritte gemacht, ei, das ist ja wirklich eine ganz amüsante Sache! Da es aber trotz so weiser Vorsicht doch einmal kommen könnte, daß man sich plötzlich verlassen sieht, da Ereignisse eintreten können, die aller menschlichen Vorsicht spotten, so ist es ganz geraten, zu versuchen, mit allen Maitressen friedlich auseinander zu kommen, um eventuell während eines Interregnums noch einmal bei der einen oder der anderen vorsprechen zu können. Das, Marquis, wäre wirklich ein fein ausgedachter Plan, und ich zweifle nicht daran, daß er Ihren Beifall haben wird. Adieu.

Ich weiß wirklich nicht, woher ich den Mut nehme, Ihnen so lange und so törichte Briefe zu schreiben? Ich finde einen gewissen heimlichen Reiz darin, mich mit Ihnen schriftlich zu unterhalten, und wenn ich nicht meines Herzens so sicher wäre, könnte mich das ängstlich machen! Indessen stelle ich fest, daß mein Herz augenblicklich wirklich frei ist, es wird daher doch besser sein, wenn ich mich von jetzt an ein wenig vor Ihnen in acht nehme. Denn Sie lassen es sich manchmal einfallen, mir sehr zärtliche Dinge zu sagen – und es könnte mir am Ende doch in den Sinn kommen, Ihren Worten zu glauben.

 

Fünfzigster Brief.

Sie mögen darüber lachen so viel Sie wollen, Marquis, aber ich behaupte immer noch, daß Sie schon längst nicht mehr in die Handelspräsidentin verliebt sind. Glauben Sie mir, ich sehe in Ihren Angelegenheiten klarer, wie Sie selbst dies tun. Ich habe Hunderte von anständigen jungen Leuten gekannt, die, genau wie Sie, des guten Glaubens waren, verliebt zu sein, und die es in Wahrheit doch längst nicht mehr waren. Es gibt Krankheiten des Herzens, so gut wie es Krankheiten des Körpers gibt, und es gibt wirkliche und eingebildete Krankheiten. Das, was Sie an eine Frau fesselt, ist nicht immer Liebe. Die Gewohnheit des Zusammenseins, das öftere Begegnen, das Bedürfnis nach galantem Verkehr, der Wunsch zu gefallen, all dies und noch vieles andere kommt zusammen, um Gefühle zu erregen, die oft genug für Liebe gehalten werden, die aber in Wahrheit gar nichts mit dieser Leidenschaft zu tun haben. Die Frauen sind stets bereit, einen solchen Irrtum zu bestärken. Sie fühlen sich so sehr geschmeichelt über alle ihnen dargebrachte Huldigungen, daß sie selten darüber nachdenken, aus welchen Gründen ihnen diese erwiesen werden.

Zu den oben angeführten Gründen kommt noch ein anderer, der wohl dazu beitragen kann, Sie über die Natur Ihrer Gefühle zu täuschen. Die Präsidentin ist widerspruchslos eine der hübschesten Frauen unserer Zeit. Sie ist seit kurzem verheiratet, sie hat die Huldigungen eines der liebenswürdigsten jungen Lebemänner zurückgewiesen. Ohne Zweifel würde es Ihrer Eitelkeit gewaltig schmeicheln, wenn es Ihnen gelingen sollte, eine Eroberung zu machen, die Ihnen in der Gesellschaft eine gewisse Berühmtheit verleihen würde, die Sie erstreben. Das also, lieber Marquis, nennen Sie Liebe! Es wird auch schwer sein, Sie von der Wahrheit meiner Behauptung zu überzeugen, denn Sie haben sich so in Ihre Idee verrannt, daß Sie, wenn Sie es nicht schon sind, doch in kurzem fest davon überzeugt sein werden, daß Ihre Neigung eine wirkliche sei. Es wird wirklich eine amüsante Sache sein, wenn Sie ihr dann mit vieler Würde von Ihren eingebildeten Gefühlen erzählen. Sie werden des guten Glaubens sein, ihre volle Anerkennung zu verdienen, und, was noch drolliger ist, man wird vielleicht Ihre Versicherungen für bare Münze nehmen und Ihnen Glauben schenken. Aber unglücklicherweise wird die Enttäuschung auf dem Fuße folgen, und dann werden Sie der erste sein, der über die Wichtigkeit lacht, die Sie einer so närrischen Angelegenheit beigelegt haben.

Soll ich Ihnen klar sagen, was ich über Sie denke? Ich bin fest überzeugt, daß Sie sich überhaupt nicht mehr verlieben werden. Sie werden vorübergehende Liebschaften, leichtfertige Abenteuer haben und sich in von Ihrer Laune eingegebene galante Verbindungen einlassen. Aber die Pfeile Gott Amors werden von Ihnen abgleiten. Sie werden die Schmerzen der Liebe nicht erdulden, aber werden Sie dann auch noch ein wirkliches Herzensglück genießen? Können Sie es hoffen im Rausche der sinnlichen Freuden, denen Sie sich hingeben werden, diese köstlichen Genüsse zu finden, die einst Ihr höchstes Glück ausmachten? Ich möchte Ihnen nicht schmeicheln, aber ich möchte Ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen: Ihr Herz ist für edlere Freuden bestimmt. Nicht als ob ich Sie für das üppige und leichtfertige Leben, das Sie führen, verantwortlich machen wollte, Sie lassen sich eben von der Gesellschaft der Modeherren, in der Sie leben, zu stark beeinflussen. Diese jungen Männer meinen, daß sie das Leben genießen, wenn sie alle Freuden bis zum Übermaße auskosten, und ein solches Beispiel wirkt ansteckend. Aber diese Trunkenheit wird früher oder später von selbst aufhören, und dann, wenigstens hoffe ich es, werden Sie bald genug einsehen, wie sehr Sie sich über Ihr eigenes Herz getäuscht haben. Sie haben geglaubt, daß Sie in die Präsidentin verliebt wären, aber Sie werden bald genug Ihren Irrtum erkennen. Sie glaubten nichts mehr für die Gräfin zu empfinden ... doch ich will mein Ihnen gegebenes Wort halten. Vielleicht wird die Zeit kommen, wo ich Ihnen unumwunden mitteilen kann, was ich denke. Nun aber zur Beantwortung Ihres Briefes.

Gestehen Sie, Marquis, Sie müssen heute morgen gar nicht gewußt haben, was Sie tun sollten, als Ihnen der Einfall kam, sich damit zu amüsieren, meine Briefe noch mal durchzulesen. Ich glaube sogar, daß Sie gerade in der richtigen Stimmung waren, um sie einer strengen Kritik zu unterwerfen. Irgend ein interessantes kleines Rendezvous ist wohl vereitelt worden? Doch ich will nicht danach forschen. Sie meinen also, daß ich mir zuweilen selbst widerspräche? Wie wäre es, wenn ich Ihnen auf diesen Vorwurf mit der Antwort erwiderte, die Herr von Bruyères einmal einigen Kritikern gab: »Ich bin es nicht, der mir widerspricht, es ist das Herz, über das ich Betrachtungen anstelle.« Sollten Sie wirklich allen Ernstes behaupten wollen, daß alles, was ich gesagt habe, unrichtig sei? Ich glaube es nicht. Aber es kann sehr gut möglich sein, daß ich im Eifer über die eigentümliche Lage, in der Sie sich befanden, manchmal dem widersprochen habe, was ich bei anderen Gelegenheiten behauptet habe. Vielleicht habe ich, wenn ich sah, daß Sie im Begriffe waren, einen Fehltritt zu begehen, um Sie davor zurückzuhalten, manche Wahrheiten bis auf die Spitze getrieben aus Furcht, daß Sie, wenn ich sie nur schwach betonte, keinen Eindruck auf Sie machen würden. Und weiß ich es, ob mein Interesse für eine teuere Freundin, deren Glück ich bedroht sah, nicht meine Aufrichtigkeit zuweilen ein wenig beeinflußt hat? Aber es ist sehr gutmütig von mir, daß ich Ihre Nörgelei überhaupt ernst nehme und einer Antwort würdige. Sah ich doch beim ersten Blick, daß aus Ihrem Briefe mehr üble Laune spricht, als der Wunsch, mich wirklich zu kritisieren. Aber Sie können sicher sein, daß Sie zum letzten Male meine Güte mißbraucht haben. Ich werde mich über Ihre Falschheit mit ... zu trösten wissen, der wird ganz gewiß nicht so schlecht mit mir umgehen, wie Sie es getan haben.

Wie schade ist es doch, daß Sie keine Frau sind! Ich möchte mich so gern über die jetzt modernen hohen Frisuren unterhalten. Etwas so Extravagantes habe ich noch niemals gesehen. Wenn die Präsidentin sich übrigens auch eine solche Frisur zulegen sollte, dann können Sie anständigerweise nicht mehr mit ihr verkehren.

 

Einundfünfzigster Brief.

Es ist also eine abgemachte Sache? So sehr ich Ihnen auch davon abgeraten habe, Sie sind der erklärte Liebhaber der Präsidentin: man hat Ihnen den Rivalen geopfert, Sie haben über ihn gesiegt. Ihre Eitelkeit ist hoch befriedigt über einen solchen Erfolg. Ich würde wirklich darüber lachen, wenn Sie trotz Ihres Triumphes eines schönen Tages den Laufpaß erhielten. Denn es könnte ganz gut der Fall sein, daß das Opfer, das man Ihnen gebracht und auf das Sie sich so viel einbilden, in Wahrheit gar kein Opfer war. Sie sollten doch jetzt die Frauen schon genug kennen gelernt haben, um zu wissen, daß man nicht alle von ihnen zur Schau getragenen Gefühle für wahr halten darf. Wie nun, wenn Ihre Schöne Sie nur deshalb angenommen hätte, um in dem Herzen ihres Seladons die schon verlöschende Leidenschaft neu anzufachen? Wenn Sie nur dazu benutzt werden sollten, um den andern eifersüchtig zu machen – könnte man sich darüber wundern? Sie werden mir sagen, daß die Präsidentin nicht sehr scharfdenkend und deshalb schon einer solchen List unfähig sei. Mein lieber Marquis, die Liebe ist eine große Lehrmeisterin, und sehr oft entwickeln Frauen, die sonst für beschränkt gelten, ein feineres, gerechteres und sicheres Verständnis, als alle anderen, sobald es das Interesse ihres Herzens gilt. Dies sei nur beiläufig erwähnt, bleiben wir bei den Männern und wie diese sich in einer Lage wie die Ihrige benehmen.

Meistens glauben diese, wie auch Sie es tun, daß, wenn ihnen der Rivale geopfert worden sei, ihre eigene Persönlichkeit diesem bei weitem überlegen sein müsse. Und doch! wie oft ist dieses Opfer nur ein Spiel, besonders wenn dieser Rivale ihr aufrichtig ergeben gewesen, wenn die Schöne ihn geliebt oder auch, wenn sie ihn nicht geliebt hat. Wenn sie ihn geliebt hätte, so würde seine Verabschiedung ein sicheres Zeichen dafür sein, daß sie ihn nun nicht mehr liebt, und in solchem Falle ist es doch kein besonderer Ruhm für Sie, den Vorzug vor ihm zu erhalten. Hat sie ihn aber nicht geliebt, was bedeutet dann Ihr sogenannter Sieg über einen Mann, der ihr gleichgültig ist?

Es ist noch ein dritter Fall denkbar, in dem Sie den Vorzug erhalten könnten, ohne daß dies besonders schmeichelhaft für Sie wäre, das ist, wenn die Eitelkeit der Dame, um die Sie sich bewerben, größer ist als ihre Neigung für den in Ungnade gefallenen Liebhaber. Ihre hohe gesellschaftliche Stellung, Ihre vorteilhafte Erscheinung, Ihr Ruf und Ihr Reichtum, all dieses kann sie bestimmen, sich zu Ihren Gunsten zu entscheiden. Ich behaupte, daß es sehr selten geschieht, daß ein Liebhaber, der nur seine Liebe zu bieten hat, lange stand gegen einen Rivalen hält, der einen gewissen Rang einnimmt, ein Haus führt, über eine zahlreiche Dienerschaft und Equipage verfügt. Es ist dies schmachvoll für die Frauen, aber die Männer sind ebenso niedrig denkend. Sobald eine Frau erröten müßte, Rang und Namen ihres Liebhabers zu gestehen, ist es ganz sicher, daß seine Herrschaft von kurzer Dauer sein wird. Sie wird bald genug einen Grund finden, um ihn zu verabschieden. Der verabschiedete Verehrer der Präsidentin war also ein Rat, der wahrscheinlich ebenso fade und langweilig war wie seine Perücke? Wie ganz anders erscheint dagegen ein galanter Höfling, ein tapferer Offizier, wie Sie es sind!

Nun! Werden Sie in Zukunft meinen Prophezeiungen Glauben schenken? Was habe ich Ihnen gesagt? Ist der Chevalier etwa auf große Schwierigkeiten gestoßen, als er Ihre Penelope zu gewinnen suchte? Diese trostlose Frau, die sich am liebsten einen Dolch in das Herz gestoßen hätte, gibt Ihnen schon nach 14 Tagen einen Nachfolger, den sie liebt, dem sie Beweise ihrer Zuneigung gibt, und der jetzt auch schon wieder den Abschied erhalten hat. Das geht doch wohl flott genug! Was sagen Sie dazu?

 

Zweiundfünfzigster Brief.

Ja, Marquis, meiner Freundschaft, meinen vernünftigen Ratschlägen verdankt es die Gräfin, daß sie jetzt ihre Ruhe wieder gefunden hat. Ich sehe aber durchaus nicht ein, weshalb die Gleichgültigkeit, die sie Ihnen jetzt entgegenträgt, Sie betrüben sollte. Ich empfinde auch nicht das geringste Mitleid mit Ihnen, denn Ihr Kummer entsteht nur aus gekränkter Eitelkeit. Die Männer sind sehr ungerecht. Sie wollen, daß die Frauen stets das Interesse für sie bewahren, während sie selbst, wenn sie eine Geliebte verlassen, sie gewöhnlich davon zu überzeugen suchen, daß sie sie verachten. Sagen Sie mir doch, was geht der Haß oder die Liebe einer Dame, die Sie nicht mehr lieben, Sie an? Ihre Eifersucht auf den kleinen Herzog ist so unvernünftig, daß ich laut darüber lachen mußte. Ist es denn nicht ganz einfach und natürlich, daß eine Frau sich über Ihren Verlust tröstet, indem sie einen Mann erhört, der den Wert ihres Herzens besser zu schätzen weiß, als Sie es getan? Mit welchem Rechte also beklagen Sie sich? Prüfen Sie Ihr Gewissen, geben Sie zu, daß Frau von Sevigné recht hat: Ihr Herz ist ein tolles Herz, mein armer Marquis!

Trotz alledem erscheint mir die Rolle, die Sie mir zuerteilen möchten, höchst amüsant, und ich gebe zu, daß es ganz lustig sein würde, Ihnen zu helfen sich an Ihrer Ungetreuen zu rächen. Aus Verdruß über Ihre verschmähte Liebe wollen Sie nun mit mir ein Verhältnis anknüpfen? Aber solche Spiele nehmen gewöhnlich ein sehr schlechtes Ende. Die Liebe ist eine Tyrannin und schlägt tiefe Wunden, selbst wenn man nur mit ihr spielen möchte. Deshalb behalten Sie Ihr mir so großmütig dargebotenes Herz, ich habe nicht die geringste Lust, mich mit Ihnen einzulassen. Außerdem bin ich wirklich der faden Redensarten verliebter Männer herzlich müde, ich will nur noch mit Freunden zu tun haben. Man kommt mit Liebhabern nie zur Ruhe, und ich fange an, den Wert der Ruhe zu schätzen und möchte sie genießen. Ich komme später noch hierauf zurück. Es ist doch wirklich zu toll, daß Sie sich solche Torheiten in den Kopf setzen und sich einbilden, daß ich Sie trösten müsse! und ebenso albern ist, daß Sie sich einbilden, ich bedürfe des Trostes, weil der Marquis von ... abgereist ist, um seinen Gesandtschaftsposten anzutreten. Verstehen Sie mich genau? Meine Freunde genügen mir vollkommen, und wenn ich Sie zu diesen zählen soll, dann rate ich Ihnen, mir nicht mehr mit solchen verliebten Albernheiten zu kommen. Wenn nicht, dann – – – – Adieu, Marquis.

 

Dreiundfünfzigster Brief.

Ich gebe die Partie auf, wenn Sie darauf bestehen, noch länger in diesem Tone zu mir zu sprechen. Welcher Dämon ist denn in Sie gefahren und hat Ihnen die Lust eingegeben, die Rolle der Abwesenden zu übernehmen? Wie konnten Sie mich nur so plagen, wie Sie es gestern abend getan haben? Und doch, ich weiß nicht, wie es kam, aber so gern ich mich auch über Ihre Anträge geärgert hätte, es war mir unmöglich, ernstlich böse auf Sie zu sein. Ich weiß nicht, wohin dies führen kann. Eins aber ist ganz sicher: Sie mögen tun und reden, was Sie wollen, ich will und werde Sie niemals lieben, verstehen Sie wohl, Marquis, niemals. Es ist doch auch wirklich eine ganz sonderbare Sache, einer Frau einreden zu wollen, daß sie traurig sei und getröstet werden müsse, wenn sie Ihnen versichert, daß dies durchaus nicht der Fall ist und daß sie nichts von Ihnen wissen will. Das heißt, mich tyrannisieren wollen. Denken Sie doch mal darüber nach, was Sie sich da wieder für Torheiten in den Kopf gesetzt haben! Würde es anständig sein, wenn ich die Stelle meiner Freundin einnehmen wollte? Eine Frau, die Ihnen als Mentor gedient, die Mutterstelle bei ihnen vertreten hat, sollte nun Ihre Geliebte werden? Sollten Sie vielleicht nur darum meine Eroberung machen wollen, um zu erfahren, ob ich die Praxis so gut wie die Theorie der Liebe verstehe? Sie können Ihre Verführungskünste sparen, ich werde Ihre Neugierde sofort befriedigen.

Sie wissen genau, wie es geht und daß selbst, wenn wir recht klug zu reden und anderen zu raten wissen, wir doch nicht immer in eigenen Angelegenheiten klug zu handeln verstehen. Nun, diese Erfahrung würden Sie auch machen, wenn Sie sich mit mir in ein zärtliches Verhältnis einlassen wollten. Alles was ich Ihnen über die Frauen und die Liebe mitgeteilt habe, gibt Ihnen keinerlei Anhalt für die Art, in der ich mich bei einer solchen Gelegenheit betragen würde. Es ist eben ein großer Unterschied dazwischen, ob man für andere denkt, spricht und handelt, oder ob es für eigene Rechnung geschieht. Sie würden daher bei mir allerlei Seltsamkeiten entdecken, die Ihnen wahrscheinlich sehr mißfallen würden. Ich bin nicht so, wie andere Frauen sind. Sie könnten sie alle kennen und würden doch Ninon nicht kennen, und glauben Sie mir, die Eigentümlichkeiten meines Charakters würden es Sie bereuen lassen, daß Sie sich so viel Mühe gegeben, um mir zu gefallen. Ich versichere Sie, daß Sie mich allzu hoch schätzen und daß ich nicht fähig bin, die Hoffnungen zu erfüllen, die Sie auf mich setzen. Wählen Sie eine glänzendere Liebeslaufbahn. Der Hof bietet Ihnen tausend hübsche Frauen und noch dazu solche, die Sie nicht wie ich mit philosophischen Gesprächen langweilen und bei denen es nicht nötig ist, Geist zu entwickeln.

Trotz alle diesem möchte ich es Ihnen jedoch nicht verhehlen, daß es mir sehr leid tun würde, wenn ich Sie nicht heute noch sehen sollte. Mein Kopf tut mir weh, weil ich mich den ganzen Tag mit alten und modernen Schriftstellern beschäftigt habe. Ich bin in einer Stimmung, daß ich fast mit Ihnen darin übereinstimmen möchte, daß ich doch noch nicht alt genug sei, mich nur mit den Wissenschaften zu beschäftigen und besonders nur mit den alten Dichtern. Wenn Sie mir nicht immer so den Hof machen wollten, dann bin ich sicher, daß ich Ihre Gesellschaft der aller anderen vorziehen würde, um mich ein wenig zu erheitern und von meinen ernsten Beschäftigungen abzuziehen. Aber Sie sind ja ein so unlenksamer und böser Mensch, daß ich es kaum wage, Sie zum Abendessen einzuladen, ich kann nicht sagen für morgen, denn ich entdecke eben, daß es schon 2 Uhr nachts ist, Sie werden also meinen Brief kaum vor Mittag erhalten. Also erwarte ich Sie heute Abend. Nun wollen Sie sich noch immer beklagen? Das ist doch ein Rendezvous in schönster Form! Aber gerade dieses Entgegenkommen soll Ihnen beweisen, daß ich Sie nicht fürchte und daß ich von Ihren Schmeicheleien nur das glauben werde, was mir selbst paßt. Sie werden doch wohl einsehen, daß ich die Letzte bin, der man in dieser Beziehung etwas weißmachen könnte. O, ich kenne die Männer so genau!

 

Vierundfünfzigster Brief.

Es wird endlich Zeit, Marquis, Ihnen zu enthüllen, wie die Gräfin über Sie denkt. Ich weiß, daß es ein Vertrauensbruch unserer Freundschaft bedeutet, wenn ich Ihnen ihr Geheimnis enthülle, aber wenn ich es vor Ihnen verberge, dann könnten Sie mir doch eines Tages vielleicht gerechte Vorwürfe machen. Trotz der Treulosigkeiten, die Sie sich zuschulden kommen ließen, trotz der Mühe, die die Gräfin sich gegeben, Sie davon zu überzeugen, daß Sie ihr total gleichgültig geworden seien, hat sie doch in Wirklichkeit nie aufgehört, Sie zärtlich zu lieben. Obgleich sie es versucht hat, Sie durch eine erheuchelte Gleichgültigkeit zu strafen, wollte sie doch das Vergnügen nicht entbehren, Sie zu sehen, und nur aus Gefälligkeit für die Gräfin habe ich Sie ermutigt und aufgefordert, mich zu besuchen, um ihr dadurch Gelegenheit zu geben, Sie bei mir zu sehen. Aber all dies hat nicht genügt, ihrem so tief verwundeten Herzen Frieden zu geben. Sie steht im Begriffe, einen Plan auszuführen, gegen den ich mich lange erklärt habe. Lesen Sie den Brief, den sie mir gestern schrieb und den ich hier beifüge.

 

Brief der Gräfin an das Fräulein von Lenclos.

Wenn Sie meine Freundin bleiben wollen, liebe Ninon, so widersetzen Sie sich meinem Entschlusse nicht mehr, denn ich habe ihn nach reiflicher Überlegung gefaßt. Er ist nicht die Frucht einer momentanen Verstimmung, eines unvernünftigen Liebesgrams oder der Verzweiflung. Ich habe Ihnen nie etwas verhehlt. Der Besitz des Herzens des Herrn von Sevigné würde mein höchstes Glück ausgemacht haben, wenn ich mir hätte schmeicheln können, daß es für immer mein bleiben würde. Ich war aber nur zu sicher ihn zu verlieren, wenn ich ihm die Gunst erzeigte, die er von mir forderte. Seine Unbeständigkeit hat mich darüber belehrt, daß auch ein ganz entgegengesetztes Betragen kein sicheres Mittel gewesen wäre, ihn dauernd zu fesseln. Es heißt also für immer der Liebe zu entsagen, da die Männer unfähig sind, ein zartes Verhältnis mit einer Frau zu pflegen, das ebenso rein wie einfache Freundschaft ist.

Sie wissen es selbst, liebe Ninon, daß ich immer noch nicht ganz von meiner Leidenschaft für Herrn von Sevigné genesen bin; es verwirrt mich jedesmal von neuem, wenn ich ihm begegne. Das einzige, was mir übrig bleibt, ist, ihn vollständig zu meiden – und das zu tun habe ich mich entschlossen! – Ich fürchte nicht, was die Welt darüber sagen wird, wenn ich mich ganz auf das Land zurückziehen werde. Ich habe es denen, die davon überrascht zu sein Ursache hätten, selbst mitgeteilt. Man weiß, daß ich einen Prozeß gegen die Erben meines Mannes gewonnen habe. Mir ist dadurch Gelegenheit geboten, der Welt alle Gelegenheit zu übler Nachrede abzuschneiden. Ich habe vorgegeben, daß ich den Besitz des mir zugesprochenen Landgutes antreten wolle; selbst der Marquis wird also den wahren Grund meines Verschwindens aus der Welt nicht ahnen. Ich lege sein Bild und seine Briefe in Ihre Hände. O Gott, wie schwach ich doch bin! Es kostet meinem Herzen viel, mich von einem Besitze zu trennen, der meiner Ruhe so gefährlich ist. Beklagen Sie mich, teure Freundin, und vergessen Sie Ihr mir gegebenes Wort nicht. Sie wissen, Sie haben mir versprochen, Ihn davon zu überzeugen, daß er mir absolut gleichgültig ist. Wenn man endgültig mit einem Verehrer bricht, dann muß dies in ruhiger Weise geschehen, die es nicht ahnen läßt, was man dabei leidet, wie gern man sich versöhnen ließe. Da ich aber wirklich um keinen Preis wieder mit dem Marquis anbinden möchte, so bitte ich, ihm das beiliegende Paket auszuhändigen, und veranlassen Sie, daß auch er, wie wir das einst abgemacht haben, mir mein Bild und meine Briefe zurückgibt. Sie können ihm ja, wenn er nach mir fragen sollte, sagen, daß meine Geschäfte mich zwingen, Paris für einige Zeit zu verlassen, aber bitte sprechen Sie niemals zuerst von mir.

Ich würde trostlos sein, Sie, meine liebe Ninon, verlassen zu müssen, wenn ich nicht hoffen dürfte, Sie bald in meiner Einsamkeit begrüßen zu dürfen. Sie schreiben ja gern an Ihre Freunde; wenn Sie diese nach dem Maße der Liebe und Achtung beurteilen, die sie für Sie empfinden, so ist keine des Titels Ihre Freundin zu heißen würdiger, wie ich es bin. Ich rechne also auf Ihre Briefe bis zu dem Augenblicke, wo Sie mich besuchen werden. Sie kennen meine Gefühle für Sie.

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Ziehen Sie selbst Ihre Schlüsse aus diesem Briefe, Marquis. Das einzige jedoch, warum ich Sie dringend bitte, das ist, daß Sie niemals die Indiskretion verraten, die ich beging, indem ich Ihnen dies Schreiben mitteilte, denn die Gräfin würde es mir niemals vergeben, und mit Recht nicht! Alles, was ich zu meiner Rechtfertigung über einen solchen Schritt sagen kann, ist, daß Sie sie zu sehr geliebt haben, als daß ihr Entschluß Ihnen gleichgültig sein könnte; mir ist, als ob ich Euer beiderseitiges Interesse dadurch schädigen würde, wenn ich anders handeln wollte.

 

Fünfundfünfzigster Brief.

Ich bin entzückt von allem, was Sie getan haben, Sie sind ganz reizend! Zweifeln Sie nicht daran, Ihr Vorgehen, meine Bitten – vor allem aber Ihre Liebe werden endlich doch den Widerstand der Gräfin brechen. Alles wird zusammenkommen, um sie zu bestimmen, den Heiratsantrag, den Sie ihr machen wollen, anzunehmen. Ich könnte Ihnen sogar versichern, daß es nur noch ihr Stolz ist, der unseren Bemühungen und ihrer eigenen Neigung widersteht. Ich drängte sie heute Morgen, sich doch zu Ihren Gunsten zu entscheiden. Sie fürchtet jedoch immer noch, Sie könnten sich neue Treulosigkeiten zuschulden kommen lassen. »Beruhigen Sie sich doch darüber,« sagte ich ihr, »eine sichere Garantie dafür, daß er Ihnen treu bleiben wird, ist, daß alle anderen Frauen ihn enttäuschen, wenn er sie mit der vergleicht, die er verlassen hat. Anständige Leute gestatten sich immer nur eine gewisse Zahl leichtfertiger Abenteuer. Der Marquis hat deren nicht mehr gehabt, als sein Alter und sein Stand mit sich bringen. Er hat sie zu einer Zeit bestanden, wo sie verzeihlich waren. Er hat die Torheiten der Mode mitgemacht, aber darum ist es nicht ausgeschlossen, daß er von jetzt an ganz vernünftig sein wird. Obgleich die Sitte es heute nicht will, daß ein Mann in seine Frau verliebt ist, so wird doch jeder, der Sie kennen gelernt hat, ihm diese Schwäche vergeben. Sie riskieren also nichts, Gräfin; Sie selbst haben sich das Ansehen einer Welt- und Modedame gegeben. Sie sind aber doch zu vernünftig, um auf die Dauer Gefallen an solchem Spiele zu finden, und der Marquis denkt wie Sie. Vergessen Sie also seine Seitensprünge. Möchten Sie den Tod eines so liebenswürdigen jungen Mannes auf dem Gewissen haben?«

Mit einem Worte also, ich habe ihr ernstlich zu Gewissen gesprochen; indessen ist sie immer noch unentschlossen. Aber ich zweifle nicht, daß es Ihnen gelingen wird, einen Widerstand zu besiegen, der ihr selbst schon peinlich ist.

Nun, Marquis, werden Sie nach alle diesem noch immer behaupten, daß ich mir selbst widerspräche? Ich habe Ihnen im Anfang geraten, die Liebe leicht zu nehmen, nur leichte, galante Verbindungen zu suchen, die Ihnen Vergnügen bereiteten. Sie sollten eben nur galant sein und sich mit dünnen, leicht zerreißbaren Fesseln an die Schönen binden. Ich meinte das als allgemeinen Grundsatz und in bezug auf die gewöhnlichen Frauen. Wie hatte ich denken können, daß Sie so glücklich sein würden, einer Frau zu begegnen, die, wie die Gräfin, alle Reize ihres Geschlechtes mit dem Verstande und Wissen eines gebildeten Mannes vereinen würde. Wie glücklich werden Sie sein, denn die Gräfin vereinigt in einer Person die anregendste geistreichste Freundin mit der reizendsten Geliebten. Nehmen Sie mich als Dritte in Ihren Freundschaftsbund auf, und mein Glück wird dem Eurigen gleich sein! Gibt es überhaupt ein reineres und vollkommeneres Glück als das, das man mit seinen Freunden teilt?


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