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Ninon de Lenclos ist vornehmer Geburt. Herr de Lenclos hat sich immer nur in der ersten Gesellschaft bewegt, und ihre Mutter entstammte dem alten Geschlechte der Abra de Baconis. Böse Zungen haben zwar behauptet, daß Herr de Lenclos ein Spieler von Profession gewesen sei, aber das ist ein Irrtum, man hat eben eine seiner Liebhabereien als Beruf aufgefaßt.
Ninon war die einzige Frucht dieser Ehe. Ihre Mutter war eine streng christliche Dame und suchte schon früh ihre religiöse Überzeugung auf die Tochter zu übertragen. Herr de Lenclos jedoch hatte ganz andere Erziehungsprinzipien. Er wollte seine Tochter zu einem liebenswürdigen Mädchen erziehen und ihr die heitere Lebensphilosophie lehren, die nach seiner Auffassung die einzig wahre Weisheit ist. Welche Kontraste! Welche Kämpfe in dem Geiste des jungen Wesens! Man weiß ja, wozu in einem solchen Falle ein natürlich denkendes Mädchen sich entschließt. Ninon entwickelte sich sehr rasch, und ihr Vater bestrebte sich früh, ihr Urteil auszubilden und ihre Talente zu pflegen. Dies gelang ihm vollkommen. Sie war kaum zwölf Jahre alt, als sie schon Montagne und Charon gelesen hatte. Besonders Montagne, der so sehr in dem Sinne ihres Vaters schrieb, blieb ihr ganzes Leben lang einer ihrer Lieblingschriftsteller.
Vergebens bemühte sich Frau von Lenclos, die Tochter dazu zu bewegen, die religiösen Übungen zu teilen, mit denen sie ihre Tage verbrachte. Wenn Ninon gezwungen wurde, die Mutter in die Kirche zu begleiten, dann schmuggelte sie anstatt der Gebet- und Erbauungsbücher, die ihr herzlich langweilig erschienen, die von ihrem Vater erhaltenen Bücher dahin ein. Es wurde Herrn de Lenclos nicht schwer, seine von der Natur so reich begabte, warmherzige Tochter die Pfade zu leiten, die er sie zu führen wünschte.
Ninon trat zu einer Zeit in die Gesellschaft, wo Frankreich eine Beute aller möglichen Unruhen und Verwirrungen war, die es nach außen und nach innen zerrissen. Man hätte denken sollen, daß man in einer so stürmischen Zeit in Paris keine Zeit zu Vergnügungen gefunden hätte. Dem war jedoch nicht so; trotz der Kriegsnöte amüsierte man sich unter der Herrschaft des allerfrommsten Monarchen ganz ausgezeichnet.
Es war besonders im sogenannten Marais, dem nördlich von der Seine gelegenen Stadtviertel, wo die berühmtesten Lebeleute ihren Aufenthalt genommen hatten, oder wo sie sich doch zu ihren Festen und Versammlungen zusammenfanden. Fern von dem Lärm des Handels und der Industrie, der im Zentrum der Stadt herrscht, beschäftigte man sich in diesem reizenden Viertel nur mit dem, was dem Leben Reiz verleihen konnte. Dort fanden sich die Glücklichen, die über ein bedeutendes Vermögen zu verfügen hatten, mit denen zusammen, die eine lebhafte Phantasie und einen natürlichen und feingebildeten Geist besaßen, sowie mit allen, die die Kunst, das Leben zu genießen, zu ihrer Aufgabe gemacht hatten. Der Höfling, die höheren Offiziere, die Vertreter der Wissenschaften und der Künste vereinigten sich in der heiteren Lebensphilosophie, deren Ursprung in dem Bedürfnis und dem Sehnen der menschlichen Natur nach Glück zu suchen ist.
Herr de Lenclos hatte seine Tochter schon sehr früh in diese auserlesenen Kreise eingeführt, deren Hauptanziehungspunkt sie bald genug wurde. Hatte man doch selten ein junges Mädchen gesehen, das so viel körperliche Schönheit mit solchem Geiste und so unvergleichlicher Anmut verband. Ninon hatte eine elegante Gestalt von vollkommenstem Ebenmaße, und die wunderbare Frische ihrer blendend weißen Hautfarbe verlieh ihr einen ganz besonderen Reiz. Ihre großen schwarzen Augen hatten einen lebendigen Ausdruck und spiegelten die Empfindungen ihrer Seele. Ihre Zähne, ihr Mund, ihr Lächeln war reizend, die Haltung ihres Kopfes vornehm, ohne stolz zu sein. Ihr Gesicht machte einen offenen und gewinnenden Eindruck, der Klang ihrer Stimme war melodisch, ihre schönen Arme und Hände, sowie ihre kleinen Füße waren von vollendeter Schönheit, ihre ganze Art sich zu bewegen graziös und liebreizend, mit einem Worte: Ninon war schön. Und schön ist sie geblieben bis zum Ende ihrer Tage.
Und zu all diesen Reizen kamen noch eine Fülle schöner und verführerischer Talente. Herr von Lenclos, der sehr musikalisch war, hatte ihr persönlich Unterricht im Lautenspiel gegeben, und sie beherrschte dieses Instrument, das damals sehr in Mode war, bald vollkommen; man sagte, daß ihm niemand bisher solche rührende und ausdrucksvolle Melodien zu entlocken gewußt habe. Es war eben ihre schöne Seele, die sich in den Schmeicheltönen der Laute aussprach, durch die sie aller Herzen zu gewinnen wußte. Sie war eine Meisterin aller gesellschaftlichen Künste und galt für die graziöseste Tänzerin ihrer Zeit.
Der modernen Sprachen kundig, hatte sie die besten Schriftsteller in der Ursprache gelesen und da sie ein ausgezeichnetes Gedächtnis und einen lebhaften Geist besaß, war ihre Unterhaltung stets ebenso interessant wie geistreich. Obwohl sie einen ganz besonders scharfen Blick für die Lächerlichkeiten der Menschen hatte, machte sie sich doch niemals in platter oder verletzender Art über jemand lustig, sondern erlaubte sich nur in dezenter, liebenswürdigster und neckischer Weise gelegentlich darüber zu scherzen. Ihr Charakter war sanft und von einer bezwingenden Gleichmäßigkeit und Güte. Ihr heller Verstand, ihr starker Geist, sowie ihr warmes Herz und der ausgesprochene Sinn, den sie für unverbrüchlich treue Freundschaft hegte, waren Verdienste, um deretwillen sie ihre Freunde ebenso abgöttisch verehrten und priesen, wie ihre Liebhaber dies um ihrer blendenden Schönheit willen taten. Die treue Ergebenheit ihrer Freunde ist ein Beweis dafür, daß die Natur, die sie so verschwenderisch mit Vorzügen des Geistes und des Körpers überschüttet hatte, in Ninon eins ihrer seltenen Meisterwerke schuf, das der Bewunderung wert war, die ihre Zeitgenossen ihr zollten.
Es wäre töricht zu glauben, daß man ihre vielen Vorzüge dadurch schmälern könnte, wenn man zugibt, daß Ninon auch einige Schwächen besaß. Wie hätte ein Wesen ihrer Art selbst der Liebe widerstehen können, die sie allen einflößte, die das Glück hatten sie zu kennen!
Man sagt, daß unter den vielen Verehrern, die sie sich durch ihre Schönheit errang, der junge Graf von Coligny Kaspar von Coligny, Herzog von Chatillon usw., starb als Generalleutnant am 9. Februar 1649 in dem Gefecht von Charenton. der erste gewesen sei, dem sie ihre Gunst geschenkt habe. Er soll ein sehr eleganter, hübscher und geistvoller junger Mann gewesen sein, der den Vorzug, den Ninon ihm vor seinen Rivalen gegeben, durchaus verdiente. Ich weiß nicht, ob das Glück der beiden jungen Leute von langer Dauer war, ob es ihnen gelungen ist, die Wachsamkeit und den Widerstand von Frau de Lenclos, die dieses Verhältnis nicht billigte, zu überwinden. Ich habe nichts darüber erfahren können. Die Tradition sagt uns, daß Herr de Coligny glücklich gewesen sei, und wenn Ninon ihm wirklich ihre Gunst schenkte, war er sicher der glücklichste aller Menschen.
Ein eigentümlicher Zug in dieser Liebesepisode ist es, daß Ninon, die durchaus keine Frömmlerin und sehr frei in religiöser Beziehung war, sich doch die allergrößte Mühe gab, ihren Verehrer dazu zu bestimmen, den Irrtümern und Vorurteilen abzuschwören, die er durch eine verkehrte Erziehung eingesogen und die er der herrschenden Landesreligion vorzog, Irrtümer, die seinem Vorankommen in der Welt hinderlich waren und die unfehlbar seine Aussichten auf die glänzende Staatskarriere, zu der er durch seine hohe Geburt und seine persönlichen Verdienste berechtigt war, für immer vernichten mußten.
Man stelle sich Ninon im Alter von sechzehn oder siebzehn Jahren vor, wie sie, die nur für die Freude und die Liebe geschaffen schien, in ernstem Gespräche ihre ganze Überredungskunst aufbot, um ihren Verehrer von der Torheit seiner religiösen protestantischen Ansichten zu überzeugen. Man muß es zugeben, daß diese Situation zwischen zwei Liebenden so jugendlichen Alters sehr eigentümlich war. Es war vielleicht weniger Eifer für die Sache selbst, als ihr warmes freundschaftliches Interesse für ihn, das Ninon so beredt machte. Aber spricht diese Handlungsweise nicht sehr für ihren Charakter? Welche andere Frau interessierte sich so lebhaft für den Grafen, um ihn auf seine Irrtümer aufmerksam zu machen? – denn gegen religiöse Ansichten streiten zu wollen, das heißt den Kampf mit einer Hydra aufnehmen. Vorläufig widerstand der Graf ihrer Überredungskunst, und es war erst ein paar Jahre später, daß er die Notwendigkeit des Schrittes einsah, zu dem Ninon ihm geraten. Er bekehrte sich im Jahre 1643 zu der Landesreligion.
Ob es Ninon war, deren Gefühle für Herrn von Coligny sich bald abkühlten, oder ob er selbst die Kette zerriß, durch die er an sie gefesselt war, bleibt unentschieden. Gewiß ist nur, daß ihre Liebesleidenschaft sehr bald ein Ende nahm, daß sich aber dann aus diesem Verhältnisse eine einfache und herzliche Freundschaft entwickelte, die die beiden für das ganze Leben verband. Ninon stellte schon damals Betrachtungen über die Liebe auf, die ihr Verhalten in solchen Angelegenheiten für die Zukunft feststellten.
In der Trunkenheit ihrer Neigung hatte das junge Paar sich ewige Treue gelobt, die zu halten jungen Liebenden ja immer anfangs sehr leicht erscheint. Indessen erkannte Ninon nur zu bald, daß die Erregung der Sinne, das gegenseitige Entzücken, das sie und ihr Verehrer anfangs bei ihrem Zusammensein empfunden, sich sehr bald abkühlten. Ninon beurteilte die Liebe nach ihren Wirkungen. Sie erkannte in der Liebe eine blinde, fast elementare Macht, die die Herzen der Menschen zueinander drängt. Die Weisheit der Menschen hatte dann später diese Leidenschaft den Gesetzen des Anstands und der Ehre unterworfen, aber eben dadurch verlor sie ihre primitive Einfachheit und Kraft. Plato erzählt, daß die berühmte Hetäre Diotima dem Sokrates eine ähnliche Definition der Liebe gegeben. Dennoch hatte sie eine große Achtung vor dieser Leidenschaft, von der sie, wie Ninon, glaubte, daß sie das Ideal und das Werk der Sinne sei. –
Die übersinnliche Liebe, die sich nicht von dem Verstande beeinflussen läßt, erschien Ninon ebenso unwirklich wie die Zauberschlösser, die Fabelungeheuer, die Wunder der Magie, mit denen unsere Gedichte und Romanzen erfüllt sind. Sie wagte es also, der Liebe die Maske abzureißen, mit der sie, nach einer stillschweigenden Übereinkunft aller Nationen, ihr Antlitz zu verhüllen pflegt. Diese Leidenschaft, die uns in ihren ersten Anfängen so verlockend vorkommt, erschien ihrem Auge in ihrer weiteren Entwickelung nichts anderes zu sein, als wie der Durst und das Bedürfnis nach sinnlichen Genüssen; oder (wie der Abbé von Châteauneuf erzählt, der es von ihr selbst gehört hat), die Liebe däuchte sie nichts anderes zu sein, als ein durch die Sinnlichkeit entstandenes heißes Verlangen, ein ganz blindes Gefühl, das von dem Wesen, das sie erregt, keine Verdienste erwartet und es zu keiner Erkenntlichkeit verbindet, eine Kaprice unserer Sinne, deren Dauer nicht von uns abhängig ist und die sich ganz ohne unser Zutun plötzlich in Widerwillen und Reue verwandeln kann.
Der philosophische Zug ihrer Seele bewirkte, daß diese Entdeckung ihr wie etwas ganz Natürliches vorkam. Es erschien ihr durchaus folgerichtig, daß eine Leidenschaft wie die Liebe bei den Menschen je nach der Disposition ihres Charakters eine ganz verschiedene Wirkung hervorbrachte, die ihrem Temperament, ihrer Erziehung, ihren Grundsätzen und den verschiedenen Lebensverhältnissen entsprach, während im Grunde doch die ganze Sache nichts anderes war, als die glühende, wenn auch versteckte Begierde nach dem Besitze des geliebten Wesens, ohne den die Liebe nicht existieren kann. Ist dies Begehren befriedigt, so kühlt sich meistens die Liebe rasch ab, wie ein Feuer, das aus Mangel an Nahrung erlischt.
Ihr heller Verstand zog kühne Schlüsse, die sie gewöhnlich durch die Erfahrung bestätigt fand. Wer erst damit anfängt, die ererbten Vorurteile über Bord zu werfen, sieht bald die Dinge in einem anderen und helleren Lichte, das allerdings Dutzendmenschen nicht zu ertragen vermögen.
Ihre Neigung zu ernstem kritischen Nachdenken veranlaßte sie sehr bald, das Verhältnis der beiden Geschlechter zueinander zu prüfen, und sie entdeckte, daß die Welt sich gewöhnt hat, das weibliche Geschlecht in jeder Weise herunterzudrücken. Sie erkannte die Ungerechtigkeit einer solchen Denkungsart und hielt ihre Meinung darüber nicht zurück.
»Ich sehe,« sagte sie zu einem ihrer Freunde, »daß man die Frauen mit den kleinlichsten und frivolsten Eigenschaften behaftet glaubt. Die Männer hingegen haben sich das Recht vorbehalten, Träger der hervorragendsten Charaktereigenschaften zu sein. Von dem Augenblicke an, wo ich dies erkannt habe, zähle ich mich zu den Männern.« – »Das tat sie wirklich! Und sie hat wohl daran getan,« sagte einer unserer geistreichsten Schriftsteller.
Man muß sich daher daran gewöhnen, Ninon nicht wie eine gewöhnliche Frau, deren Geist mit tausend Nichtigkeiten erfüllt ist, zu betrachten. Sie steht auf dem moralischen Standpunkte der angesehensten Lebemänner ihres Zeitalters und hat mit allen Vorurteilen gebrochen.
Eine gewisse Ähnlichkeit ihrer Charaktere, ihre freie Lebensanschauung, vor allen aber wohl ihre ungebändigte Lebens- und Vergnügungssucht war Veranlassung, daß sie sich mit der berühmten Marion de Lormes befreundete, die den Reiz ihrer Schönheit bis in das höchste Alter zu bewahren wußte und bis zu ihrem Tode von Verehrern umringt war. Diese schöne und liebenswürdige Frau, von der der Kardinal de Retz als Träger einer Soutane allerdings kaum besser als wie von einer Prostituierten spricht, besaß so ausgezeichnete Eigenschaften, daß man ihr die Schwächen des Herzens gern vergab. Ihr feiner Geschmack, ihr lebendiger sprühender Geist, verbunden mit der Grazie und Schönheit ihrer Erscheinung, bewirkten, daß sie in dem Kreise vorurteilsfreier Lebemänner eine Achtung genoß, die man Frauen von einer so ausgesprochenen Vergnügungssucht nur selten entgegenbringt. Schon durch die Wahl ihrer Verehrer nahm sie lange eine distingierte Stellung unter den galanten Damen ihrer Zeit ein.
Ihr Verhältnis mit D*** ist das einzige, das man ihr zum Vorwurfe macht. Es ist wahr, daß er der Gegenstand allgemeinen Hasses war und daß daher ihr Verkehr mit ihm dem Rufe Marion de Lormes unbedingt schaden mußte, um so mehr, da man sie verdächtigte, sich ihm aus pekuniären Interessen ergeben zu haben. Das ist etwas, was Ninon niemals getan haben würde, weil sie sich selbst zu hoch dafür achtete. Darin unterschied sie sich von ihrer Freundin.
Da sie fast denselben Freundeskreis hatten, wurden die beiden Damen bald unzertrennlich. Bald bei der einen, bald bei der anderen fanden die so berühmt gewordenen Gesellschaften statt, wo die Lehre Epikurs ihre elegantesten und geistreichsten Vertreter fand. Die distingiertesten Höflinge, die liebenswürdigsten und geistreichsten Gelehrten und Künstler suchten alle mit gleichem Interesse die Freundschaft dieser beiden berühmten Damen. Die Grafen von Miossens, der Marschall d'Albret, de Pulluan, der Marquis de Vardes, Herr de Grammont und sein Bruder Saint Evremond, Sarrasen, Boisrobert zählten zu ihren begeisterten Anhängern. Es war besonders Scarron, der damals noch ein junger Mann war, der viel zur Unterhaltung dieses lebenslustigen Kreises beitrug. Vermochten doch in späteren Jahren die grausamsten körperlichen Leiden nicht die Lebhaftigkeit seines Geistes zu unterdrücken, wie hätte da die geistliche Tracht, die er zu jener Zeit noch trug, ihn verhindern können, die Raketen seines Witzes sprühen zu lassen und sich der Freude des Lebens ganz hinzugeben! Zu jener Zeit, ehe noch die schweren Leiden seine Glieder entstellt und die Gesichtszüge verzerrt hatten, sah er nicht übel aus, und jedenfalls gehörte er zu den gesuchtesten Persönlichkeiten jenes Kreises.
Dieser Kreis liebenswürdiger Menschen hatte das Glück des Grafen von Coligny zwar ohne Neid gesehen, aber man freute sich dennoch herzlich, als man bemerkte, daß Ninons Leidenschaft für ihn im Abnehmen begriffen war, und bemerkte, daß ihre Neigung keine bleibende sei, weil jeder im stillen hoffte, Nachfolger des bevorzugten Verehrers zu werden. Ninon selbst erklärte nach ihrem Bruche mit Coligny in hochmütiger Weise, daß nach ihrer Überzeugung die Regeln und Pflichten der Liebe für beide Geschlechter durchaus gleich seien und daß man von ihr nichts anderes wie von den Männern erwarten könne. Die Beständigkeit und Treue, deren sie fähig sei, bewahre sie für ein reineres und höheres Gefühl, nämlich für die Freundschaft. In der Tat hat sie ihr ganzes Leben lang diese hochgehalten und ist fast berühmter durch ihre Freundschaften, wie durch ihre Liebesverhältnisse geworden.
Der ganze Adel Frankreichs fing an sich der romantischen Ideen zu entledigen, die ein Überbleibsel der eigentümlichen Galanterie des Mittelalters waren. Daher kam es, daß man Ninons Theorie über die Vergänglichkeit der Liebe keinen großen Widerstand entgegensetzte, um so mehr, da jeder im stillen hoffte, nun vielleicht selbst bei ihr Erfolg haben zu können.
Man darf aber durchaus nicht annehmen, daß ihre Freunde der Reihe nach zu Liebhabern avanciert wären. Es ist ja freilich wahr, daß die Liebe ein impulsives Gefühl ist und daß es nicht immer die Würdigsten sind, durch die sie erregt wird. Wenn uns auch nicht die Namen aller derer bekannt geworden, die Ninon mit ihrer Liebe beglückte, so steht es doch fest, daß sie sehr wählerisch war und mit dem ihrem Geschlechte eigentümlichen Geschmack nur denjenigen ihrer Verehrer ihre Gunst schenkte, die wirklich Meister der holden Verführungskunst waren und deren Geist und Talente als Entschuldigung für die Schwäche gelten konnte, die man für sie empfand.
Der Großprior von V..., der schon seit einiger Zeit von den Reizen Ninons ganz hingerissen war, hörte nicht auf, sie zu verfolgen. Er war einer ihrer allerstürmischsten Verehrer, und es machte ihm den größten Schmerz, daß sie ihm die Grafen von Miossens und von Pulluan vorzog. Er beklagte sich bitterlich darüber; aber weit entfernt, von seinen Klagen gerührt zu sein, nahm Ninon nicht die kleinste Notiz davon und fuhr fort, ihre Gunst nach ihrem eigenen Gefallen zu verschenken. Der Prior geriet ganz in Verzweiflung darüber, und in dem ungerechten Zorne, in dem er sich gerade befand, ergriff er ein ziemlich kleinliches Mittel, um sich an seiner spröden Angebeteten zu rächen. Als er sie einmal besucht hatte, fand sie, nachdem er sie verlassen, auf ihrem Toilettentische einen Brief, der folgenden Vierzeiler enthielt:
»Unwürdig meiner Lieb, unwürdig meines Leids,
»Verzichte freudig ich auf Dich, Du Undankbare,
»Nur meine Lieb' hat Dich geschmückt
»Mit Reizen, die nie Deine waren!«
Ninon war viel zu vernünftig, um sich durch solche alberne und kleinliche Kränkung beleidigt zu fühlen. Sie hielt es für richtig, diese ganze Affäre in das Lächerliche zu ziehen und dem Prior mit einer kleinen Persiflage seines Vierzeilers zu antworten, den die Tradition uns erhalten hat:
»Unwürdig Deiner Lieb, unwürdig Deines Leids,
»Verzichtest freudig Du auf einst ersehntes Glück –
»Doch – wenn die Lieb mir solchen Reiz verleiht,
»Warum hast Du Dich selbst dann nicht geschmückt?«
Einem der bedeutendsten Männer seiner Zeit gelang es ebensowenig ihre Gunst zu erringen. Um Ninon zu gewinnen, genügte es nicht, sie mit Achtung oder Bewunderung zu erfüllen, man mußte vor allen Dingen ihr gefallen und ihre Zuneigung zu erwerben suchen. Der Abbé von Raconis, der mit ihr verwandt und ihr Freund, der Abbé von Boisrobert, die alle beide mit C... de R... befreundet waren, hatten diesem öfter von dem eigentümlichen Reize Ninons erzählt und den Wunsch in ihm erweckt, sie persönlich kennen zu lernen. Boisrobert versprach ihm, dies zu vermitteln und seine Neugierde zu befriedigen.
Obgleich C. ein ungewöhnlich begabter und geistvoller Mann war, der sich mit großen Projekten herumtrug, die zu verwirklichen er seine ganze Tatkraft einsetzte, so hatte er doch nebenbei immer kleine Liebesintrigen gepflegt. Dieser große Mann war eben sehr vielseitig. Er hatte sich seine Zeit genau eingeteilt. Er beschäftigte sich alle Tage ein paar Stunden mit der Literatur und fand ebenfalls Zeit, galanten Abenteuern nachzugehen. Wenn wir den Worten des Kardinals von Retz Glauben schenken können, soll er freilich in der Kunst, den Frauen zu gefallen, nicht immer sehr glücklich gewesen sein. Vielleicht sind es meist weniger bedeutende junge Leute, die Meister der Verführungskünste sind.
Es war in Ruel, in dem Hause C...s, wo der intrigante Geistliche ihn zuerst mit Ninon und ihrer Freundin bekannt machte. Die beiden Damen waren entzückt darüber, daß ihre Schönheit die Aufmerksamkeit eines Mannes erregt hatte, auf dem die Augen von ganz Europa ruhten. Sie folgten daher nur zu gern der durch Boisrobert überbrachten Einladung. Eine Reihe glänzender Feste von auserlesenstem Geschmack war die Folge dieser Bekanntschaft. Dennoch ließ Ninon sich durch solche Äußerlichkeiten nicht blenden, und da der illustre Verehrer ihrem persönlichen Geschmacke nicht zusagte, hatte sie den Mut, ihn nicht zu erhören.
Der Widerstand, den Ninon ihm entgegensetzte, verletzte C... auf das tiefste; er glaubte sich dadurch an ihr zu rächen, daß er nun seine Huldigungen Marion de Lormes darbrachte, bei der er jedoch durch einen fatalen Zufall auf fast noch unüberwindlichere Hindernisse stieß. Da Widerstand bekanntlich immer mehr reizt und C... bisher keinen Widerstand kennen gelernt, konnte es nicht fehlen, daß er alles aufbot, um Marion de Lormes zu gewinnen. Man erzählt, daß er sich sogar an Ninon gewandt habe mit der Bitte, ihm zu helfen, das Herz der Grausamen zu erweichen. Sie hatte den Auftrag, ihrer Freundin ein Geschenk von 50 000 Talern anzubieten, das sie jedoch ausschlug. Der Kardinal von Retz behauptet zwar, daß sie ihn endlich doch erhört hätte und daß sie einige Nächte mit C... verbracht habe, aber alle ihre anderen Zeitgenossen sind sich darüber einig, daß sie C... zurückgewiesen habe und daß es ihre Liebe zu einem jungen Staatsrate, dem berühmten Desbarreaux, gewesen sei, die sie veranlaßte, die ihr gemachten vorteilhaften Anerbieten abzuweisen.
Unter solchen Verhältnissen benimmt sich der genialste und wohlerzogenste Mann wie jeder andere gewöhnliche Mensch. C... ließ Marion de Lormes und Ninon plötzlich fallen und suchte ihre Gesellschaft nicht mehr. Die beiden Freundinnen verloren nicht ohne Bedauern einen Verehrer, der eine so hervorragende Stellung einnahm, und sie dachten noch geringschätziger von der aufregenden Leidenschaft der Liebe, die so viel Verwirrung und Unheil anstiftet.
Der beklagenswerte körperliche Zustand, in dem ihr Freund Scarron sich befand, verursachte Ninon neuen Kummer. Sie war diesem geistvollen Manne eine teilnehmende treue Freundin. Als er sich in die Vorstadt Saint-Germain überführen ließ, um dort Bäder zu nehmen, die vielleicht seinem qualvollen Zustand etwas Linderung bringen würden, nahm er in seiner burlesk geistreichen Weise Abschied vom Marais und gedenkt darin auch Ninons.
Er kehrte in den Marais zurück, ohne Linderung seiner grausamen Leiden gefunden zu haben. Scarron war an allen Gliedern vollständig gelähmt, sein Gesicht war auf das schrecklichste entstellt. Aber sein Geist war vollständig unberührt von diesen körperlichen Leiden. In dieser Zeit war es, daß Ninons Freundschaft sich auf das glänzendste bewährte. Sie verbrachte ganze Tage im Hause und an dem Schmerzenslager ihres unglücklichen Freundes und machte ihn zum Mittelpunkte der auserlesensten Gesellschaft des Hofes und der Stadt. Sie erwies dadurch dem armen Scarron einen unschätzbaren Dienst, der ihn mit seinem grausamen Geschicke aussöhnte. Nicht von ihr hat der berühmte Chevalier de Grammont es gelernt, seine Freunde, wenn sie krank werden oder in Not geraten, im Stich zu lassen.
Ninon verlor übrigens außer Scarron noch einen anderen Freund, der ebenfalls durch seinen Geist und Witz viel zur Belebung ihres Kreises beigetragen hatte. Es war dies der berühmte Lebemann und Philosoph Desyveteaux. Er hatte bisher die ihm von Ninon geschenkte Freundschaft auf das eifrigste gepflegt, und es war daher um so seltsamer, daß er nun plötzlich sich nicht mehr sehen ließ.
Ninon wußte zwar, daß er durch mißliche Familienverhältnisse in eine etwas bedrängte Lage geraten war und empfindliche Vermögensverluste erlitten hatte. Von dem wirklichen Grunde seiner Zurückgezogenheit wußte sie jedoch nichts, und da sie sich um den ihr wirklich werten Freund ernstlich beunruhigte, beschloß sie, ihn aufzusuchen und alles aufzubieten, den Kummer, in den sie ihn versunken wähnte, zu verscheuchen. Ninon irrte sich jedoch, Desyvetaux war nicht traurig, er war vielmehr sehr glücklich. Es sei mir gestattet, hier die eigentümlichen Gründe mitzuteilen, die ihn dazu bestimmten, den bisher gepflegten Vergnügen zu entsagen und sich aus der Lebewelt zurückzuziehen.
Dieser berühmte Epikuräer fand, als er eines Abends sehr spät heimkehrte, ein ohnmächtiges Mädchen vor der Schwelle seines Hauses liegen. Aus einfacher Menschlichkeit erbarmte er sich des armen Wesens und brachte sie in seine Wohnung. Sie hatte kaum das Bewußtsein wiedererlangt und verwirrt um sich geschaut, als er sich von ihrem Reize seltsam berührt fühlte und sich sofort warm für die Unglückliche interessierte. Sie war jung und sehr hübsch, und nachdem sie sich einigermaßen erholt, wollte sie sich ihrem Retter dankbar erweisen, indem sie ihm mit unendlich süßer verführerischer Stimme einige rührende Lieder sang, die sie auf der Harfe, die sie bei sich hatte, begleitete.
Der Philosoph, der ein großer Musikenthusiast war, konnte dieser Stimme nicht widerstehen, er beschloß sofort, sich nicht mehr von der reizenden Sängerin zu trennen. Es kostete ihm keine große Mühe, das Herz eines Mädchens zu gewinnen, dessen trauriges Los es bisher war, mit einem Bruder in den Vorstädten von Paris von einer Kneipe zur anderen zu ziehen und durch ihren Gesang ihr bescheidenes Dasein zu fristen. Sie war mehr wie zufrieden in dem Bewußtsein, das Glück dieses Mannes zu sein, der sie so leidenschaftlich liebte und mit dem sie in einem der schönsten Häuser der Vorstadt Saint-Germain ein ruhiges und üppiges Leben führte, das er in einem seiner Bücher beschrieben hat.
Obwohl er die größte Zeit seines Lebens als Gouverneur von Vendôme und als Lehrer Ludwigs XIII. am Hofe verbracht, hatte er doch stets große Vorliebe für das zurückgezogene Leben. Die Beschreibungen der ländlichen Freuden, die er in seinen Büchern fand, hatten in ihm die Überzeugung erweckt, daß diese Lebensweise allen anderen vorzuziehen sei. Die kleine Dupuis, die bereitwillig auf seine Pläne einging, kleidete sich wie eine Schäferin des Theaters, um ihrem Geliebten zu gefallen, der die Rolle des Schäfers übernahm.
Auf dem weichen Rasenteppich ausgestreckt, lauschte er den entzückenden Liedern und den rührenden Tönen, die seine Schäferin ihrem Instrumente entlockte. Die zahmen Vögel entschlüpften ihren Käfigen und drängten sich heran, um diesem Konzerte zu lauschen, die Harfe der Dupuis mit ihren Flügeln zu umschmeicheln und sich vertraulich auf ihrem Schoße niederzulassen. Diese kleine Galanterie, zu der sie abgerichtet waren, erregte immer von neuem das Entzücken des Desyveteaux. Er lebte sich ganz in seine verliebte Schäferrolle ein und bildete sich ein, daß er mit ihr die Herden behüten müsse. Ihre Unterhaltungen waren sozusagen nur zärtliche Schäferspiele. Sie hatten sich beide so ganz in diese Rollen eingelebt, daß sie jede Berührung mit der Außenwelt wie eine unliebsame Störung ihres Glückes betrachteten.
Man stelle sich also die Überraschung Ninons vor, als sie ihren »guten Jungen«, wie sie ihn stets zu nennen pflegte, in der Verkleidung eines Schäfers fand, den Hirtenstab in der Hand und einen mit rosa Taft gefütterten Strohhut auf dem Kopfe. Im ersten Augenblicke glaubte sie, daß Desyveteaux infolge alles Verdrusses den Verstand verloren habe. Desyveteaux, der ihren Schrecken bemerkte und verstand, wußte sie jedoch über die mit ihm vorgegangene Verwandlung zu beruhigen. Er wußte ihr klar zu machen, daß harmlose Freuden, die nur den Charakter einer gewissen Eigentümlichkeit haben, sich durch die Philosophie rechtfertigen lassen. Welch harmloseres Vergnügen konnte es geben, als das, in anderen Dingen wie der große Haufen sein Glück zu suchen?
Ninon fand großes Wohlgefallen an der reizenden Gefährtin ihres Freundes. Ihre Gestalt, ihr Geist, ihre schöne Stimme und ihr musikalisches Talent entzückten sie. Desyveteaux, der ihr zuerst lächerlich vorgekommen war, erschien ihr nun vollkommen glücklich zu sein.
Sie machte deshalb keinen Versuch, ihn für ihren Kreis zurückzugewinnen. Sie fand, daß ihr Leben bei weitem nicht so befriedigend war, wie das Desyveteaux' und seiner holden Schäferin. Was hätte sie diesen beiden glücklichen Menschen als Ersatz bieten können für die einfachen und reinen Freuden, die sie miteinander in ihrer ländlichen Zurückgezogenheit genossen? Die eiteln Freuden der Welt, ihre oberflächlichen Kunstgenüsse lassen das Herz unbefriedigt und kalt, sobald der Reiz der Illusion verweht ist.
Es ist wohl möglich, daß die Philosophie Desyveteaux' nicht ohne Eindruck auf Ninon blieb, denn sie ist immer seine Freundin geblieben und besuchte ihn von Zeit zu Zeit, um sich über sein zärtliches Schäferspiel zu amüsieren. Desyveteaux blieb übrigens der neuerwählten Lebensweise treu bis zu seinem Tode. Als er merkte, daß seine letzte Stunde sich nahte, bat er die Dupuis, eine Sarabande zu spielen, die er besonders gern hörte und bei den Tönen ihrer Harfe hauchte er seine Seele aus.
Ich darf nicht vergessen, daß Desyveteaux sein ganzes Leben lang an seinem Hute ein gelbes Band trug »aus Liebe und zur Erinnerung an die reizende Ninon, die es mir einst geschenkt hat«, sagte er.
Es ist wirklich nicht erstaunlich, daß Ninon, die, seit sie sich ihrer selbst bewußt geworden, solche Lehrmeister gehabt, Vertreterin einer Philosophie wurde, die nichts mit den Prinzipien gemein hatte, die ihre Mutter vergebens ihr einzupflanzen bemüht gewesen war. Madame de Lenclos lebte schon seit Jahren nicht mehr mit ihrer Tochter, die zärtlich zu lieben sie jedoch nicht aufgehört hatte. Auch Ninon hing mit großer Innigkeit an ihrer Mutter. Die Weltanschauung dieser beiden Frauen war zu verschieden, als daß sie friedlich miteinander hätten leben können, aber Ninon ist deshalb doch immer eine gute und pflichttreue Tochter gewesen. Sie eilte, als Frau von Lenclos schwer erkrankte, sofort zu ihrer Mutter.
Madame de Lenclos, die schon sehr lange von ihrer Tochter und ihrem Manne getrennt lebte, hatte eine frömmelnde Richtung eingeschlagen; es war daher natürlich, daß sie gewisse Vorurteile gegen Ninons freie Lebensweise nicht zu überwinden vermochte. Sie wußte, wie sehr ihre Tochter an den weltlichen Freuden hing und zog daraus eine Schlußfolgerung, die sie selbst für folgerichtig hielt, die aber höchst ungerecht war. Sie glaubte, daß Ninons Vorliebe für ein ungebundenes und üppiges Leben sie vollständig verdorben habe, und weil ihre Tochter ihre religiösen Anschauungen nicht teilte, hielt sie sie für entartet.
Der gefährliche Zustand, in dem Frau von Lenclos sich befand, war Veranlassung, daß sie bald ihre Tochter gerechter beurteilen lernte. Ninon flog zu ihrer Mutter, sobald sie ihre Krankheit erfahren. Ohne Bedenken verließ sie ihre Gesellschaften, ihre Freunde, ihre Verbindungen und ihre ganze fröhliche Lebensweise, um sich mit größter Hingebung der Pflege ihrer Mutter zu widmen. Frau von Lenclos war sehr überrascht davon und erkannte, wie sehr sie sich in Ninon geirrt hatte. Sie selbst hatte niemals aufgehört, ihre Tochter zärtlich zu lieben und mit Entzücken fand sie, daß Ninon ihre Gefühle erwiderte. Wenn etwas ihre Tage hätte verlängern können, so wäre es diese Freude gewesen, aber es war zu spät, Frau von Lenclos war dem Tode verfallen.
Obwohl Ninon eine große Philosophin war, so vermochte sie doch kaum den Anblick ihrer sterbenden Mutter zu ertragen; ihre Seele war von Schmerz zerrissen. Glücklich diejenigen, deren Philosophie sich nicht durch solche Schwächen des Herzens erschüttern läßt! Ihre Mutter ermahnte die Tochter vor dem Tode mit eindringlichen Worten, von ihrem leichten Leben abzulassen und sich zu Gott zu bekehren, und Ninon, die von Schmerz gebeugt und durch die vielen ermüdenden Nachtwachen und die mühsame Pflege nervös und abgespannt war, fühlte sich tief erschüttert durch den Pathos, mit dem die Sterbende bis zum letzten Augenblick ihr Gewissen bedrängte. Frau von Lenclos hatte denn auch kaum die Augen geschlossen, als ihre Tochter den Entschluß faßte, sich von der Welt zurückzuziehen. Sie war nun freie Herrin ihres Lebens und konnte tun und lassen, was sie wollte. Sie wies einige ihrer Freunde, die gegen ihren Willen sie aufsuchten und von ihrem Entschlusse abzubringen suchten, schroff ab. Ninon, die von Schmerz ganz aufgelöst war, zog sich in ein in den Vorstädten von Paris gelegenes Kloster zurück und glaubte damals, daß sie es niemals wieder verlassen würde.
Aber es ist eine bekannte Sache, daß auch der herbste Schmerz sich mit der Zeit abstumpft und in Wehmut verwandelt. Nachdem Ninon sich einigermaßen beruhigt hatte, suchten Saint-Evremont und Marion de Lormes die gemeinschaftliche Freundin auf und versuchten ihren Entschluß, Nonne zu werden, rückgängig zu machen. Marion verzweifelte bald daran, daß es ihr gelingen würde, den Widerstand Ninons zu brechen. Aber Saint-Evremont kannte das Herz Ninons zu gut, um nicht davon überzeugt zu sein, daß das einförmige und traurige Klosterleben sie auf die Dauer unmöglich befriedigen könne. Es war schon sehr viel, daß er sie dazu zu bewegen vermochte, ihn zu empfangen und mit ihm zu sprechen. Allmählich wurde sie seiner Überredungskunst zugänglicher, und es gelang ihm und Marion de Lormes endlich doch, sie davon zu überzeugen, daß sie zu jung sei, der Welt zu entsagen und daß sie auf keinen Fall ein Gelübde tun dürfe, ehe sie sich genau geprüft habe.
Ihr Aufenthalt im Kloster hatte zu kurze Zeit gedauert, um die starke Lebens- und Vergnügungssucht, die ihr eigentümlich war, ganz zu ersticken. Sie hatte kaum dem Kloster den Rücken gekehrt, so erwachte auch ihr alter Frohsinn, und sie begriff kaum, daß sie in ihrem Schmerze den Entschluß hatte fassen können, der Welt mit ihren Freuden zu entsagen. Auch die Liebe zog wieder in ihr Herz ein, aber es war eine geläuterte Liebe, ohne das Gefolge törichter Gefühle wie Neid, Eifersucht, Tyrannei und den anderen Schwächen der Frauen.
Wie sehr Ninons Freunde sich freuten, als sie wieder unter ihnen erschien, das ist kaum mit Worten zu beschreiben; man erkannte erst jetzt, wie unendlich lieb sie allen war. Selbst hochgestellte Frauen der Gesellschaft waren stolz auf die Bekanntschaft mit diesem bevorzugten Mädchen, in dem sich so viele Reize vereinigten.
Ninon war vor allen Dingen immer durchaus wahr und offenherzig. Es war ja kaum anders möglich, als daß sich in den auserlesenen Kreis, der sich um sie gebildet hatte, auch ab und zu Elemente einzufinden wußten, die nicht dahin gehörten. Aber Ninon verstand es, sie selbst von ihrer Nichtzugehörigkeit zu überzeugen und dann zogen sie sich meist schleunigst zurück. Die Natürlichkeit, die einfache Grazie ihrer Unterhaltung erschreckten diejenigen, die ihren Wert nicht zu schätzen wußten, sie fühlten sich unbehaglich und verschwanden aus dieser Gesellschaft, die rasch den Einklang wiederfand. Die Schärfe des Urteils und die außerordentliche Feinheit von Ninons Geschmack veredelte ihre Freunde. Wenn auch die liebenswürdige Offenheit, die natürliche Höflichkeit, der feine Geschmack, die den Franzosen unserer Zeit auszeichnen, vielleicht in ihren Anfängen nicht nur ihr zuzuschreiben ist, so kann es doch niemand in Abrede stellen, daß sie alle diese schönen Eigenschaften ausgebildet hat und daß sie einen veredelnden Einfluß auf die Sitten aller gehabt, die sich des Glückes erfreuten, mit ihr leben zu dürfen.
Einige Zeit später entstand zwischen zwei von ihr bevorzugten Verehrern ein Streit ganz besonderer Art. Ninon befand sich in gesegneten Umständen und sollte Mutter werden. Der Marschall d'Estrées und der Abbé Deffiot stritten sich über die Ehre der Vaterschaft, beide behaupteten, Anspruch auf das zu erwartende Kind zu haben. Sei es nun, daß Ninon ihrer Sache selbst nicht sicher genug war, um eine Entscheidung zu treffen, oder daß diese Sache ihr sehr amüsant erschien, sicher ist, daß sie sich nicht darüber aussprach, wer der Vater sei, und daß nach vielem Hin- und Herreden sie den streitenden Parteien den Vorschlag machte, den Zufall darüber entscheiden zu lassen, wem dieses Kind der Liebe angehören solle. Man würfelte darum und das Glück war dem zu erwartenden Kinde hold, indem es zugunsten des Abbé Deffiot entschied, der ihm ein treuer Vater war und jedenfalls mehr für es tat, wie der Marschall wahrscheinlich getan haben würde.
Ninon selbst willigte freudig ein, ihm das Kind zu überlassen, um dessen Besitz er mit so viel Eifer gekämpft hatte; sie hat es niemals zu bereuen gehabt, ihren Sohn der Sorge dieses Mannes übergeben zu haben, denn er hat immer mit väterlicher Liebe für ihn gesorgt.
Der Marschall ließ diesen, den ersten Sohn Ninons, später unter dem Namen eines Chevaliers von Boissière in die Marine eintreten, wo er sich durch seine Talente und seine Tapferkeit auszeichnete. Er hatte außerdem die Liebenswürdigkeit, den feinen Geschmack und das musikalische Talent seiner Mutter geerbt. Er liebte die Musik leidenschaftlich und besaß eine vorzügliche Sammlung von alten Instrumenten aller Art und von Partituren berühmter Musiker. Er ist in Toulon in hohem Alter gestorben. Alle Musiker, die Toulon auf ihrem Wege passierten, pflegten bei ihm vorzusprechen; sie wurden stets mit ausgezeichnetster Gastfreundschaft empfangen und bewirtet, vorausgesetzt, daß sie ihm Gelegenheit gaben, ihr Talent zu bewundern.
Ninon hat ihr ganzes Leben lang an diesem Sohne solche Freude gehabt, daß sie es nicht bereuen konnte, ihm das Leben geschenkt zu haben. Wohl ihr, wenn es bei diesem einen Kinde geblieben wäre, aber sie schenkte noch einem zweiten Sohne das Leben, und durch diesen hat sie das größte Leid erfahren, das sie in ihrem Leben betroffen hat.
Der Tod des Kardinals von Richelieu und der Ludwigs des Gerechten hatten die politische Lage geändert. In den ersten Jahren der Regentschaft gab sich der Hof ganz dem heitersten Lebensgenusse hin, und das Volk lebte ebenfalls fröhlich in den Tag hinein.
Die Franzosen, die von Natur ebenso ruhm- wie vergnügungssüchtig sind, teilten ihr Herz zwischen diesen beiden Neigungen.
»Jeder Liebende diente seinem Könige,
»Jeder Krieger seiner Dame.«
(St. Evremont an Ninon de Lenclos.)
Welch glückliche Zeit war dies für Ninon, die nur in und für die Lebensfreude lebte! Sie bildete den Mittelpunkt der liebenswürdigsten und geistreichsten Gesellschaft von ganz Paris. Ihr sonniges, heiteres Wesen war es, das alles belebte, es war ihre höchste Freude, Glückliche zu machen.
Das, was Ninon so interessant macht und sie vor anderen Frauen auszeichnet, ist, daß selbst, wenn sie sich von der Schwäche ihres Herzens fortreißen ließ, sie doch niemals, selbst in der Trunkenheit der Sinne, die Herrschaft über sich verlor, stets maßvoll war und nie die Grenzen der Schönheit überschritt. Zärtlich mit ihren Geliebten und nie den Anstand verletzend, war sie ihren Freunden treu, und voller Teilnahme und fraulicher Sorge. Sie teilte ihr Herz zwischen dem Geliebten und den Freunden, aber sie räumte auch dem zärtlichsten ihrer Verehrer nicht das Recht des ausschließlichen Besitzes ein. Wie der Abbé von Chateau-neuf einmal behauptet hatte, waren ihre Freunde den Liebhabern am gefährlichsten.
Der junge Marquis von Sevigné, der vergebens nach einer Frau gesucht, die schön, geistreich und liebenswürdig genug wäre, um seinem verwöhnten Geschmack zu genügen, fand, daß es überhaupt kein Weib gäbe, das sich mit Ninon vergleichen ließ. Seine Mutter, Frau von Sevigné, beweist durch einen ihrer Briefe, in dem sie meint, daß Ninon ihren Sohn verdorben habe, daß seine Leidenschaft für Ninon ihr weder unbekannt noch gleichgültig gewesen ist.
Der junge Graf von Vassé, der ein Freund Ninons und des Marquis von Sevigné war, gab Ninon öfters glänzende Feste in St. Cloud, zu denen der Marquis von Sevigné sich regelmäßig einstellte. Er kannte Ninon und wußte, daß der Graf ihm kein gefährlicher Rivale sein würde, da Ninon stets nur dem Zuge ihres Herzens folgte. Ninon glaubte ihre Erkenntlichkeit gegen den großmütigen Gastgeber keineswegs dadurch zu verkürzen, daß sie dem Marquis den Vorzug gab.
Ich spreche hier nicht von dem großen Kummer, den er ihr machte, als sie bald darauf erfuhr, daß der Marquis, nachdem sie ihn durch ihre Gunst beglückt hatte, in einem Duell mit dem Chevalier d'Albret das Leben verlor. Dieser Schmerz war durchaus aufrichtig, wenn auch nicht nachhaltig, denn sie hatte für Sevigné nur eine leichte Aufwallung der Sinne, keine tiefere Leidenschaft empfunden. Herrn von Vassés Aktien aber fielen bald ganz. Er gefiel ihr nicht mehr, und Ninon war ehrlich genug, ihm das ganz offenherzig einzugestehen. In Liebesangelegenheit gab es nur eins, was sie als ihrer unwürdig und schimpflich erachtete, das war die Lüge.
Der junge Herzog von Angien, der in intimem Verkehr mit dem Grafen von Moissens und Saint-Evremont lebte, hatte von diesen schon viel von dem Ruhme ihrer berühmten Freundin gehört. Er machte sich nicht viel aus Poesie und vermied die Kreise, in denen die Schöngeister dieser Zeit zu verkehren pflegten. Es ist ja bekannt, daß die Söhne des Mars nicht immer Lieblinge der Venus sind. Nachdem er aber Ninon kennen gelernt, änderte er seine Ansicht, und einmal bei ihr eingeführt, wurde er bald regelmäßiger Gast ihres Hauses. Der Sieger von Rocroy verlor sein Herz an die berühmte Schöne, die ihm gegenüber ebenfalls nicht kalt blieb und glückliche Tage mit ihm verlebte, obwohl der junge Fürst sich schlecht auf die galanten Künste verstand und sich oft ungeschickt genug erwies. Man sagt, daß sie einmal in seiner Umarmung auf das lateinische Sprichwort: »Vis pilosus aut libidinosus aut fortis.« anspielend, ausgerufen habe: »Ach, mein Prinz, Sie müssen sehr tapfer sein!«
Er lebte lange genug in intimem Verkehr mit ihr, um den größten Nutzen aus ihren Ratschlägen und ihrer Unterhaltung zu ziehen, denn ihr heller Geist beschäftigte sich lebhaft mit der Politik ihres Landes. Wie einst Aspasia den Perikles beeinflußte, so verstand sie es, ihre Verehrer stets anzuregen und in ihren Plänen zu fördern.
Dieser junge Held verehrte und liebte Ninon denn auch auf das wärmste und verbrachte jeden Augenblick, den er seinen Staatsgeschäften abnötigen konnte, in ihrer Gesellschaft. Selbst als er schon Prinz von Condé geworden, vernachlässigte er sie nicht und gab ihr Beweise seiner Achtung und Freundschaft, die so weit gingen, daß, wenn er ihrem Wagen in der Straße begegnete, er seinem eignen Kutscher zu halten befahl, ausstieg und an Ninons Equipage herantrat, um sie zu begrüßen.
Auch der Prinz von Marsillac, der zu den flottesten und galantesten Lebemännern seiner Zeit gehörte, konnte Ninon, die er beim Herzog von Angien kennen gelernt hatte, seine Bewunderung nicht versagen; er trat in ein schönes, freundschaftliches Verhältnis zu ihr, das bis zu seinem Tode gedauert hat. Es konnte aber auch wohl kaum eine uneigennützigere und selbstlosere Freundin geben, als Ninon war. Niemals ließ sie sich von materiellen Interessen bestechen, sie folgte nur ihrem Geschmacke und der Neigung ihres Herzens. Sie hat nie daran gedacht, die Freundschaft dieser Herren, die so hoch über ihr standen, zu ihren Gunsten auszubeuten, und nichts hätte sie je dazu bestimmen können, Freundschafts- oder Liebesgefühle zu heucheln, die sie nicht wirklich empfand.
Es konnte nicht ausbleiben, daß das hohe Ansehen und die Berühmtheit, die Ninon in den Kreisen der vornehmsten Männer genoß, den Haß und den Neid einiger Damen herausforderte und zwar besonders einer gewissen Art von Frauen, die man mit dem Namen »die Prüden« bezeichnet hat, das heißt Frauen, denen die Tugend nur als Maske dient, die aber nicht die Kunst besitzen, liebenswürdig zu sein. Was Neid und Eifersucht nur ersinnen konnten, setzten diese Damen in Bewegung, um einem Mädchen zu schaden, dessen Reiz ihnen so gefährlich erschien. Sie erhoben die bittersten Klagen und die ungerechtfertigtsten Anschuldigungen gegen Ninon, ja, sie gingen sogar so weit, sich an die Königin Anna von Österreich, damalige Regentin, zu wenden und sie zu bitten, Ninons Exzessen, die sie ihr in den schwärzesten Farben malten, Einhalt zu tun.
Die Königin soll darauf einen Gardeoffizier an Ninon abgesandt haben, der ihr den Befehl überbrachte, sich sofort in ein Kloster zurückzuziehen; die Wahl dieses Klosters stellte ihr die Regentin gnädigst anheim. Ninon wußte, von wem dieser Schlag ausging. Sie sah aber sehr gut voraus, daß ihre Freunde sie keinenfalls im Stiche lassen, sondern die Königin bald eines Besseren belehren würden. Sie nahm also die königliche Botschaft heiter und wie einen guten Scherz auf. Sie antwortete dem Offizier, der sie ihr überbrachte, daß sie sehr dankbar dafür sei, daß die Königin ihr die Wahl des Klosters freilasse und daß sie sich für den Orden der Franziskaner entschlossen habe. »Diese Schelmin!« sagte Anna von Österreich lachend, als sie erfuhr, wie ihr Abgesandter von Ninon empfangen worden. Herr von Guitaut, Hauptmann der königlichen Leibgarde, der zugegen war, als der junge Offizier der Regentin Ninons Antwort überbrachte, nahm sich dann ihrer warm an und wußte die Königin davon zu überzeugen, daß es nur Neid und Bosheit gewisser Damen wäre, die Ninon in so gemeiner Weise verklatscht hatte. Dieses Zeugnis wurde durch alle Kavaliere, die sie kannten, bestätigt, so daß die Königin eines Besseren überzeugt wurde und gar nicht mehr daran dachte, Ninon zu beunruhigen, sondern sich offen darüber aussprach, wie niedrig sie es fände, eine Dame zu verdächtigen, von der die ersten Herren des Hofes so eingenommen seien und von der ganz besonders der Herzog von Angien so viel hielt, von dem es doch bekannt genug sei, wie zurückhaltend er Damen gegenüber sei.
Auf diese glücklichen Tage, die Frankreich im Frieden und Freuden verlebte, folgten nur allzubald düstere und sorgenschwere Zeiten.
Die notwendigen Abgaben, die auferlegt werden mußten, um einen Krieg weiter zu führen, den in Münster in wenig befriedigender Weise zum Abschlusse gebracht zu haben man dem Ministerium zum bitteren Vorwurfe machte, wurde als Vorwand genommen, das Volk gegen Thron und Regierung aufzuhetzen.
In Paris herrschte eine überaus gespannte und unbehagliche Stimmung. Ninon versuchte es vergebens, diejenigen ihrer Verehrer, die sie mit Schmerz sich gegen den Thron auflehnen sah, durch ihren Einfluß und ihre Ratschläge zurückzugewinnen. Das Haus Scarrons, das ein Sammelpunkt der Unzufriedenen geworden, hatte keinen Reiz mehr für sie. Sie wollte selbst ihren Vater, der sich gegen den Thron erklärt hatte, nicht mehr sehen, so schmerzlich ihr dies auch war.
Obwohl man sich Mühe gab, sie über die politischen Wirren zu täuschen, so erkannte sie doch den ganzen Ernst der Lage, und da sie zu schwach war, Einfluß zu gewinnen, zog sie es vor, sich ganz von dem politischen Schauplatze zurückzuziehen. Der Marquis von Villarceaux, der schon seit einiger Zeit der von ihr bevorzugte Verehrer war, besaß ziemlich weit von Paris ein Landgut, wohin sie sich mit ihm zurückzog. Herr von Villarceaux ist vielleicht derjenige, den sie von allen ihren Verehrern am längsten geliebt hat, jedenfalls hat Ninon zum allgemeinen Erstaunen drei volle Jahre mit diesem Herrn einsam auf seinen Gütern verlebt, ohne, wie es scheint, die Freuden der großen Welt, deren Mittelpunkt sie war, zu entbehren.
Saint-Evremont, der ganz erstaunt über eine solche Beständigkeit war, die niemand Ninon je zugetraut hatte, schrieb ihr eine Art von Elegie, in der er ihr die Freuden der Gesellschaft in lebhaften Farben malt und ihr die ernste Leidenschaft vorwirft, durch die sie sich all ihren Freunden entfremdet hatte. Ihre Rückkehr nach Paris war aber keine Folge dieser scherzhaften Epistel, sondern vielmehr die wieder eingetretene Ruhe, denn sie hatte sich geschworen, nicht eher in die Seinebabel zurückzukehren, bis wieder Frieden herrschte.
Das Glück des Marquis von Villarceaux hatte sehr viel Neid erregt. Welch ein Triumph war es für ihn, selbst nachdem er drei volle Jahre das Glück eines ungestörten Zusammenseins mit der Geliebten genossen hatte, noch immer als ihr bevorzugter Verehrer neben ihr erscheinen zu dürfen, und die Probe eines so langen Zusammenseins bestanden zu haben! Der Marquis war verheiratet, und es war daher natürlich, daß die Marquise von Villarceaux wütend auf Ninon war und sich nicht bestrebte, den Haß gegen eine Frau zu verbergen, die ihr die Liebe ihres Mannes geraubt hatte.
Als sie einmal eine große Gesellschaft hatte, baten sie einige ihrer Freundinnen, ihren jungen Sohn sehen zu dürfen, den sie zärtlich liebte und auf den sie sehr stolz war; er erschien in Begleitung seines Hauslehrers, und nachdem der hübsche Junge genügend bewundert worden, wollte die eitle Mutter auch seinen Geist leuchten lassen. Sie forderte seinen Erzieher, einen Italiener, auf, einige Fragen über die zuletzt mit ihm durchgenommenen Dinge an ihn zu richten. »Nun, Herr Marquis,« sagte der junge Mann mit der ihm eigentümlichen italienischen Aussprache, die auch sein Zögling angenommen hatte: »quem habuit successorem Belus, Rex Assyriorum?« »Ninum,« antwortete prompt der kleine Marquis. Bei diesem Worte, das sie für Ninon hielt, geriet Frau von Villarceaux in grenzenlose Aufgeregtheit und Wut; sie behauptete, daß es eine Schmach sei, daß der Lehrer ihren Sohn von den Torheiten seines Vaters unterrichte, und daß dieser den Namen der Frau genannt habe, der ihr das Herz ihres Gatten geraubt habe. Vergebens versuchte der Erzieher sie aufzuklären, indem er ihr die Frage übersetzte und feststellte, daß ihr Sohn »Ninum« geantwortet habe, auch nichts anderes hätte antworten können, da dies eine allgemein bekannte Tatsache sei. Sie wollte keine Vernunft annehmen, und alle Bemühungen, die Eifersucht dieser Dame zu beruhigen, waren vergebens. Sie führte diese Szene bis zur Lächerlichkeit. Man sprach in der ganzen Stadt darüber, und auch Ninon erfuhr davon. Sie, ihre Freunde und besonders Herr von Villarceaux lachten noch lange über den Scherz. Da Ninon sehr gern solche kleine Begebenheiten zu verwerten liebte, kann man fast mit Bestimmtheit annehmen, daß sie Molière, ihrem persönlichen Freunde, Mitteilung davon gemacht, und daß dieser große Mann den Scherz in der Gräfin d'Escarbagnas (Szene 19) verwertet hat.
Herr von Lenclos, der den unangenehmen Folgen glücklich entschlüpft war, die seine Unvorsichtigkeit, sich mit den Rebellen gemein zu machen, sehr leicht für ihn hätte haben können, hatte sich namenlos gefreut, als er seine Tochter wieder in Paris sah. War doch die große Berühmtheit, die sie genoß, gewissermaßen sein Werk; er freute sich, daß seine Lehren solche Früchte getragen, und ihre Verdienste und Talente, die sich immer mehr entwickelten, machten sie ihm noch teurer. Auch Ninon freute sich unendlich, ihren Vater wiederzusehen. Leider aber war diese Freude keine ungetrübte und nur von kurzer Dauer. Ihr Vater war einer unheilvollen Krankheit verfallen und sein Zustand verschlimmerte sich bald so sehr, daß jede Hoffnung auf Genesung ausgeschlossen war. Seine Umgebung erkannte dies nur zu bald, und auch er war sich ganz klar über seinen Zustand. Er ließ deshalb seine Tochter zu sich rufen, um Abschied von ihr zu nehmen. Sie war ganz trostlos, aber Herr von Lenclos erwies sich auch sterbend stark und als ein Vertreter der fröhlichen Philosophie, der er stets durch sein ganzes Leben treu geblieben war.
»Ninon,« sagte er mit matter, kaum noch verständlicher Stimme, »du siehst, daß alles, was mir jetzt übrig geblieben, nur eine Erinnerung der Freuden ist, die ich verlassen muß. Das einzige, worüber ich mich bei der Natur beklage, ist eben, daß die Dauer dieser Freuden eine so kurze war. Aber ach! dieses Bedauern ist unnütz! Du, meine teure Tochter, der noch eine hoffentlich lange Lebenszeit beschieden ist, benutze die köstliche Zeit, sei niemals skrupulös in der Zahl, sondern nur in der Wahl deiner Vergnügen.« Diese Worte klangen allerdings etwas verschieden von denen, die ihre sterbende Mutter einst zu ihr gesagt, und er hatte sie kaum ausgesprochen, als er mit einem vergebenen Versuch, sie zu umarmen, in ihren Armen zusammenbrach und seinen letzten Seufzer aushauchte. Ninon hatte den zärtlichsten der Väter verloren, aber er starb so sanft und friedlich, daß dadurch dem Abschiedsschmerze der Stachel entzogen wurde. Die philosophische Ruhe, die Herr von Lenclos bis zum letzten Augenblicke bewahrt hatte, ließ keins der Gefühle aufkommen, die unter ähnlichen Umständen die Zurückbleibenden erfüllen. Ninon sagte sich, daß ihr Vater gestorben sei, wie er gelebt hatte, nämlich wie ein Weiser. Es würde seiner Tochter und Schülerin unwürdig gewesen sein, den Schmerz über seinen Verlust zu sehr Herr über sich werden zu lassen.
Nach dem Tode des Herrn von Lenclos ergab es sich, daß das Vermögen, das er seiner Tochter hinterließ, bei weitem nicht so bedeutend war, wie sie geglaubt und erwartet hatte. Das üppige Leben, das er geführt, sowie seine Teilnahme an politischen Wirren hatten seine Mittel sehr stark in Anspruch genommen. Ninon selbst hatte keine großen Bedürfnisse, da sie aber auf jeden Fall nicht von pekuniären Sorgen bedrückt sein wollte, entschloß sie sich kurz, ihr Vermögen auf Leibrente anzulegen und sicherte sich dadurch eine jährliche Rente von etwa 10 000 Francs, die ihr zum Lebensunterhalte genügten.
Als Ninon nach ihrem dreijährigen Aufenthalte auf dem Gute des Herrn von Villarceaux nach Paris zurückkehrte, fand sie zu ihrem größten Erstaunen ihren alten Freund Scarron mit dem liebenswürdigen Fräulein d'Aubigné verheiratet. Die junge Dame befand sich in einer prekären Lage, in der es ja nicht ganz leicht war, eine passende Versorgung für sie zu finden, aber es war kaum möglich, einen Mann zu finden, der weniger zum Gatten eines so reizenden Wesens zu passen schien als Scarron. Er war und blieb ein unheilbar kranker Mann, und sein Zustand war so traurig, daß selbst sein Geist, seine Heiterkeit und sein sprühender Witz ihn nicht vergessen machen konnten; er war dabei abhängig von der Gnade der Königin und hatte also dem reizenden Wesen, das durch eine seltsame Schicksalsfügung eine so unerhörte Karriere machen sollte, wahrlich nicht viel zu bieten.
Es war kaum möglich, geistvoller zu sein wie die Gemahlin oder vielmehr die Gefährtin Scarrons es war. Scarrons heißester Wunsch war, daß sie und Ninon Freundinnen werden möchten, und dieser Wunsch erfüllte sich. Die beiden Frauen fühlten sich von dem Augenblicke an, da sie einander sahen, sofort zueinander hingezogen. Mit dem beiden eigentümlichen Instinkte erkannten sie ihren gegenseitigen Wert und schlossen sich herzlich aneinander an. Selbst wenn die Geschichte, die man von Barbé Barbé war ein Freimaurer, der sich viel mit Astrologie beschäftigte. Man sagt, daß er der Frau Scarron prophezeit habe, sie würde die mächtigste Frau Frankreichs werden. erzählt, wahr sein sollte, so hat doch Frau Scarron ihr nicht die kleinste Bedeutung beigelegt. Zu der Zeit, als Ninon sie kennen lernte, kannte sie noch keinen Ehrgeiz und schätzte das Vergnügen über alles.
Die Freundschaft zwischen Frau Scarron und Ninon wurde so innig, daß sie sogar jahrelang ein Bett geteilt haben. Selbst eine Begebenheit, die fast immer die zwischen Frauen bestehende Freundschaft zerstört, vermochte nicht die beiden zu entzweien.
Herr von Villarceaux, der immer noch der eifrige Verehrer Ninons geblieben war, und dem sie stets ihre Gunst bewahrt hatte, wandte sich von ihr ab und bewarb sich um Frau Scarrons Liebe, die nur zu bereit war, ihn zu erhören. Wenn man untreu ist und die Geliebte betrügt, tritt man anfangs stets mit einer gewissen Schüchternheit auf. Frau Scarron bemühte sich, die Besuche des Herrn von Villarceaux vor Ninon zu verheimlichen, und das Zusammenleben mit der Freundin fing an, ihr sehr lästig zu werden. Ninon war zu klug, um nicht sehr bald dahinter zu kommen, daß beide, der Geliebte und die Freundin, sie betrogen. Aber großdenkend, wie sie war, fanden beide Gnade vor ihren Augen; sie vergab den doppelten Verrat. Sie beruhigte ihre Freundin, sprach offen mit dem Marquis, und erbot sich, die Vertraute ihrer Liebe zu sein. Philosophin, wie sie war, fand sie in dieser Rolle nichts für sie Demütigendes. Wie viel Leid und unnütze Aufregungen würden viele Menschen sich in ähnlichen Fällen ersparen, wenn sie so groß und vernünftig zu denken vermöchten, wie Ninon es tat!
Herr von Villarceaux wurde bald durch einen anderen Verehrer ersetzt, der zweifellos noch manchen Nachfolger hatte. Aber ich will in diesen Memoiren nur von denen reden, die wirklich von Interesse sind, die einfache Aufzählung derer, die Ninon geliebt, würde ermüdend wirken.
Herr von Gourville, der durch seine Verdienste und seine Treue zu dem Hause Condé und la Rochefoucauld zu einer hohen Stellung gelangt und zu einem kolossalen Vermögen gekommen war, empfand eine heftige Leidenschaft für Ninon, die sie erhört hatte, als er gezwungen wurde, Paris im Interesse seiner Partei zu verlassen. Vor seiner Abreise hielt er es für geraten, Maßregeln zu treffen, um sich unter allen Umständen einen Teil seines in Bargeld bestehenden Vermögens zu sichern. Er gehörte der Fronde, also den Rebellen an, und es konnte daher gefährlich für ihn werden, sein Vermögen irgend einer Bank anzuvertrauen. Er beschloß daher, dieses Geld bei zwei bewährten Freunden zu deponieren. Er war mit einem Groß-Pönitenziar bekannt, der allgemein wegen seiner Sittenreinheit gerühmt wurde und zu dem er das größte Vertrauen hatte. Er übergab ihm 10 000 Taler mit der Bitte, sie für ihn zu bewahren und legte eine gleiche Summe in Ninons Hände. Ninon bewies sich dieses ihr bewiesenen Vertrauens würdiger, als der geistliche Herr.
Als Herr von Gourville nach Paris zurückkehrte, begab er sich zu dem Groß-Pönitenziar, um die diesem anvertraute Summe zurückzufordern. Man denke sich sein Erstaunen, als dieser ihm ganz unverfroren antwortete, er wisse nicht, um was es sich handle, er wisse absolut nichts von dem Depot, von dem Herr von Gourville spreche. Wenn ihm Geld übergeben würde, so hätte er die Gewohnheit, dies sofort unter die Armen zu verteilen, und wenn Herr von Gourville ihm wirklich Geld gebracht habe, dessen er sich aber nicht einmal erinnere, so habe er es zu wohltätigen Zwecken verwandt. Von Gourvilles Protest, seine Klagen und sein Ärger waren vergebens, der geistliche Herr antwortete ihn mit empörendem Phlegma und absolutester Gleichgültigkeit, er leugnete, überhaupt etwas von der Sache zu wissen und war beleidigt über die Dreistigkeit seines Verlangens. Da Herr von Gourville keine Zeugen hatte, blieb ihm nichts übrig, als sich unverrichteter Sache zurückzuziehen.
Da er so grausam in seinem Vertrauen von einem Manne getäuscht worden, den ganz Paris für rechtschaffen hielt, glaubte er, daß es ihm bei Ninon, die ihn vergessen zu haben schien, kaum besser gehen würde. Nach dem, was er erfahren, glaubte er, eine Frau, die einen Lebenswandel wie Ninon führte, würde kaum ehrenhafter handeln, wie ein Geistlicher, der allgemein im Geruche der Heiligkeit stand. Er fürchtete sie wiederzusehen, weil ihm der Gedanke zu schmerzlich war, eine Frau, die er so sehr geliebt, nun verachten zu müssen.
Ninon jedoch hatte zufällig erfahren, daß Herr von Gourville sich seit einigen Tagen in Paris aufhalte; sehr überrascht, daß er nicht gleich zu ihr kam, sandte sie ihm ihre Grüße und ließ ihm sagen, daß sie sich sehr darüber wundere, daß er noch nicht bei ihr gewesen, daß sie aber erwarte, er werde ohne Zögern zu ihr kommen, um sie zu umarmen. Er kam dann zu ihr und ließ sich bei ihr melden. Ninon flog in die Arme ihres Freundes. »Ach, Gourville,« sagte sie zu ihm, »mir ist während Ihrer Abwesenheit ein großes Unglück passiert!« Bei diesen Worten erwachte der schon gegen sie gehegte Verdacht von neuem und Herr von Gourville wagte kaum Ninon anzusehen. Sie hatte keine Ahnung von der wahren Ursache seiner Verwirrung und fuhr fort: »Ach, mein armer Freund, ich würde es namenlos beklagen, wenn Sie mich immer noch lieben sollten, denn sehen Sie, ich kann mir darüber nichts weiß machen, meine Gefühle für Sie sind erkaltet, und daran läßt sich nichts ändern. Ich habe aber die Erinnerung an das mir von Ihnen geschenkte Vertrauen nicht verloren, hier sind die 10 000 Taler, die Sie mir vor Ihrer Abreise anvertraut haben. Nehmen Sie Ihr Geld, aber ich bitte Sie, verlangen Sie nicht von mir, daß ich Ihnen wie früher mein Herz schenke. Aber, wenn meine Liebe auch erkaltet ist, so empfinde ich doch die aufrichtigste, treueste Freundschaft für Sie.« Herr von Gourville war sehr überrascht von diesen Worten. Ninons Ehrlichkeit, mit der sie ihm den Wechsel ihrer Gefühle beichtete, imponierte ihm ebenso wie die Treue, mit der sie sein Eigentum behütet hatte. Er beklagte tief, ihr Herz verscherzt zu haben, da er sich aber selbst gestehen mußte, daß er durch seine lange Abwesenheit kein Recht zu klagen habe, beschloß er, die ihm angebotene kostbare Freundschaft anzunehmen.
Er konnte sich aber nicht enthalten, Ninon zu erzählen, wie der Groß-Pönitenziar ihn betrogen habe, und welchen Verlust er durch diesen Mann erlitten, der sich doch des höchsten Ansehens erfreute. »Das wundert mich keineswegs,« sagte Ninon, »aber weil dieser Priester Sie betrogen hat, hätten Sie mich nicht verdächtigen sollen. Ich verlange nicht, daß Sie mir gestehen, was Sie von mir gedacht haben, aber ganz gewiß hätte meine Lebensstellung und mein Ruf Sie nicht gegen mich einnehmen dürfen.«
Das Betragen Ninons in dieser Angelegenheit macht ihr ja alle Ehre, besonders wenn man es mit dem des geistlichen Herrn vergleicht, obwohl es ja nur ganz natürlich war. Anvertrautes Geld zu unterschlagen ist eine große Gemeinheit, aber es einfach zurückzugeben ist schließlich etwas, was man von jedem ehrenhaften Menschen erwarten kann.
Ninon selbst fand es lächerlich und beinahe beleidigend, daß man sie einer ganz selbstverständlichen Handlung wegen loben wollte. Sie gehörte nicht zu der Art galanter Damen Roms, von denen so manche eigennützige und häßliche Handlung erzählt wird. Man sagt, daß Vitellius Varrus, als er schwer erkrankte, seiner Geliebten Octacilia unter dem Titel einer fingierten Schuld eine bedeutende Summe vermacht habe, die seine Erben ihr nach seinem Tode ausbezahlen sollten. Er genas jedoch und auf Grund dieses Testamentes erpreßte Octacilia dann die genannte Summe, die sie ihm geliehen zu haben behauptete, von Vitellius. Auch Sempronia, die Grazie und Muse ihrer Zeit, verleugnete vor Gericht die ihr anvertrauten Gelder. Aber für solche niedrige Denkungsart hatte Ninon kein Verständnis, in ihren Augen war die allergewissenhafteste Rechtlichkeit keine Tugend, die Versuchung, unehrenhaft zu handeln, existierte für sie nicht.
Der Marquis von Gersay war der glückliche Nachfolger Herrn von Gourvilles. Er brachte Ninon noch einmal in die kritische Lage, die vor einigen Jahren Gegenstand des originellen Streites zwischen dem Marschall d'Estrées und dem Abbé Deffiat gewesen. Die Liebe des Marquis zu Ninon war eine so heiße, daß er sich sogar bei Hofe damit rühmte, und er war glücklich, als sie ihm einen Sohn schenkte, der ihm von niemand streitig gemacht wurde und den Ninon ganz seiner väterlichen Fürsorge überließ. Er ließ ihn unter dem Namen Chevalier de Villiers auf das sorgfältigste erziehen. Dieser Sohn ist es, durch den Ninon den größten Schmerz erlitt, der ihr je im Leben widerfahren ist
Als die Königin Christine von Schweden im Jahre 1656 durch Frankreich reiste, und auch nach Paris kam, war Ninon fast die einzige Frau, die sie durch ihren Besuch beehrte. Der Marschall von Albret und andere hochgestellte Herren und Gelehrte, die der Königin vorgestellt wurden, entwarfen dieser ein so schmeichelhaftes Bild von der Schönheit und Liebenswürdigkeit Ninons, daß die hohe Frau es nicht für unter ihrer Würde hielt, einen solchen Schritt zu tun. Es ist wirklich schade, daß die lange Unterhaltung dieser beiden so geistvollen und ausgezeichneten Frauen der Nachwelt nicht überliefert worden ist. Die Tradition hat uns nur einen Ausspruch Ninons bewahrt, den sie in Beziehung auf die sogenannten »Preciösen«, deren es zu jener Zeit ziemlich viele gab, in Anwendung brachte, Ninon nannte sie »die Jansenistinnen der Liebe«. Diese Definition entzückte die Königin, sie dachte gern und oft an ihre Unterhaltung mit Fräulein von Lenclos zurück und fand Ninon noch viel reizvoller und interessanter, als man sie ihr geschildert hatte. An Ninons Neigung zu einem galanten und leichten Leben glaubte sie einfach nicht und verschloß ihre Ohren für alles, was man ihr darüber mitteilen wollte. Die Königin empfand die wärmste Sympathie für Ninon und hat stets ein lebhaftes Interesse für sie bewahrt.
Dieser königliche Besuch, der in ganz Paris für ein Ereignis galt und auf das lebhafteste besprochen wurde, war Gegenstand allgemeinen Neides, besonders der Damen. Auf Ninon machte er keinen Eindruck, sie rühmte sich nicht der ihr widerfahrenen Ehre und blieb so einfach und natürlich liebenswürdig, wie sie es stets gewesen.
Es war zu jener Zeit, daß Ninon durch Vermittelung der Herren von Bachaumont und von Chapelle, die zu ihren intimsten Freunden zählten, die Bekanntschaft Molières machte. Besonders Herr von Chapelle war einer der glühendsten Verehrer Ninons und hat seiner Bewunderung für sie öfter in seinen Poesien Ausdruck verliehen. Aber es scheint, daß er wenig Glück bei ihr gehabt und daß selbst die schönen Talente nicht immer genügten, ihr Herz zu rühren. Molière hatte zu jener Zeit eben sein später so berühmt gewordenes Lustspiel »Les Précieuses Ridicules« vollendet und Ninon war eine der ersten, die dem damals noch ziemlich unbekannten Autor ihren Beifall äußerte und ihm die glänzende Zukunft prophezeite, die sich dem Dichter so bald erfüllen sollte. Ihre freundschaftlichen Beziehungen zu Molière wurden immer inniger, waren aber nur geistiger Natur. Sie erkannte seinen Geist und sein Talent an, und er hielt sie für die bedeutendste Frau ihrer Zeit. Die Natur hatte ihnen, wenn man so sagen darf, gleichgebildete Augen für die Schwächen und Vorzüge der Gesellschaft verliehen. Molière hat durch seine Bücher ebenso aufklärend auf seine Zeitgenossen gewirkt, wie Ninon auf ihn durch ihre klugen Ratschläge und ihre feine Beobachtungsgabe. Ninon hat selbst einmal zu Saint-Evremont gesagt, daß sie alle Abende Gott dafür danke, daß er ihr einen hellen Geist verliehen, und daß sie ebenso jeden Morgen betete, der Herr möge sie vor den Schwächen und Torheiten ihres Herzens schützen. Wie sehr spricht es für Ninons Charakter, daß der größte Dichter Frankreichs ihr seine Freundschaft schenkte und daß sie diese immer zu bewahren wußte! Molière selbst erkannte stets den Einfluß an, den diese bedeutende Frau auf seine Meisterwerke, und, daran anknüpfend, auf die Entwickelung des Theaters gehabt hat.
Es ist ja bekannt genug, welche Intrigen gegen Molières Komödie »Tartuffe« gespielt wurden. Eine kleine, wenig bekannte Anekdote über den Titel dieses Lustspiels dürfte hier vielleicht am Platze sein. Als Molière sein Stück verfaßte, war er noch nicht mit sich darüber einig, welchen Namen der scheinheilige Held tragen solle. Er wurde damals bei einem Nuntius zum Mittagessen eingeladen, wo er noch zwei andere Geistliche traf, deren scheinheiliges, heuchlerisches Wesen ganz dem Charakter entsprach, den er in seinem Stücke zu schildern unternommen. Einer dieser frommen Herren, der etwas Italienisch verstand, und der bisher kaum die Augen aufzuschlagen gewagt, geriet in plötzliche Aufregung, als eine Schüssel mit Trüffeln herumgereicht wurde, und sich ganz vergessend, begierig die besten für sich auswählend, rief er mit strahlendem Gesichte: »Tortoffali! Tortoffali! Signor Nuntio!« Molière, der bisher ein schweigender Beobachter gewesen, amüsierte sich höchlichst über diese kleine Szene und bekam den Einfall, den heuchlerischen Helden seines Spiels »Tartüffe« zu nennen, da ihm dieser Namen sehr passend zu sein schien. Obwohl Ludwig XIV. und einige der höchsten Prälaten dem Stück ihren Beifall zollten, war es doch fürs erste nicht auf dem Repertoire geblieben, die Zahl der Heuchler, die befürchteten, in diesem Lustspiele entlarvt zu werden, war so groß, daß sie es durchzusetzen wußten, daß die Aufführung des »Tartuffe« von der Obrigkeit verboten wurde.
Während dieser Zeit, wo ihm von so vielen Seiten Hindernisse in den Weg gelegt wurden, war es, daß Molière Ninon sein Stück vorlas, und ihren Rat über notwendige Verbesserungen erbat. Denn er schätzte ihr Urteil, wie er öfters bekannt hat über das aller anderen und glaubte, daß es kaum jemand gebe, auf den das Lächerliche einen so schnellen und lebhaften Eindruck machte, wie auf sie.
Ninon war ganz entzückt von einem Werke, das, wie sie fest überzeugt war, ihren berühmten Freund unsterblich machen würde. Um ihm einen Beweis dafür zu geben, wie treu er die Natur nachgeahmt, erzählte sie ihm eine Geschichte, die sich unter ihren Augen zugetragen hatte, und deren Held ein alter Heuchler war. Sie begleitete ihre Erzählung mit so feinen Beobachtungen, und warf so helle Lichter auf diese Art von Charaktere, daß Molière mit einer Bescheidenheit, die heute wohl ebenso selten ist, wie sein Talent, behauptete, wenn er sein Stück nicht schon geschrieben hätte, würde er es, nachdem er Ninons Schilderung gehört, nicht mehr unternommen haben, da er nicht imstande gewesen sei, den Scheinheiligen seines Lustspiels so vollkommen zu charakterisieren, wie dies Ninon in ihrer Erzählung gelungen sei. Die Anregung zu seinem reizenden Lustspiel »Der eingebildete Kranke« empfing er auch durch Ninon und eine ihrer Freundinnen, Frau von Sablière. Es geschah dies bei Gelegenheit eines animierten Abendessens. Jeder der geistreichen Festgenossen half die muntere Idee auszuspinnen und selbst Despreaux hielt es nicht für unter seiner Würde, an dieser heiteren Plauderei teilzunehmen. Aber kehren wir zu den galanten Abenteuern Ninons zurück, die noch lange nicht erschöpft sind.
Einer ihrer Lieblingsgrundsätze war, daß man sich allenfalls Lebensmittel im Vorrate anschaffen könne, aber keine Vergnügungen, und daß man deshalb immer nur für den heutigen Tag sorgen und das Beste daraus zu machen suchen solle. Sie ließ sich durch nichts in dem Genußleben stören, das sie befriedigte und das Glück der Männer war, die den Vorzug genossen, ihr zu gefallen. Herr von Sancourt gehörte zu diesen Glücklichen; er war einer der talentvollsten Männer seiner Zeit, und Ninon wurde von ihren Rivalinnen beneidet, von einem so liebenswürdigen und glänzenden Kavalier geliebt zu werden. Aber er war unbeständig, und bei dieser Verbindung war es nicht Ninon, die die zärtlichen Bande löste.
Die Schwäche ihres Herzens und ihre Vergnügungssucht nahmen immer mehr zu, und das ist bei der Lebensweise, die sie führte, nur zu natürlich. Es gibt bevorzugte Wesen, deren Herz eben leistungsfähiger ist, wie das anderer Menschen, freilich sind solche Herzen selten. Die Freimütigkeit Ninons, vor allem das Privilegium, das sie sich schon in ihrer ersten Jugend angemaßt hatte, alle Rechte der Männer auch für sich in Anspruch zu nehmen, waren die Ursache, daß sie sich auch nicht die kleinste Unruhe über ihren Lebenswandel machte.
Es waren ihre Verehrer, die sich nach ihrer Art, die Liebe aufzufassen, zu richten hatten, und die sie rücksichtslos verstieß, sobald sie ihrer überdrüssig war. Sie errötete nicht über diese Unbeständigkeit des Herzens, sie fühlte sich voll berechtigt zu handeln, wie es ihr gefiel, und sie scherzte oft über ihre Schwäche.
Der Marquis von Châtre war ihr erklärter Liebhaber. Der Dienst zwang ihn jedoch, Paris für einige Zeit zu verlassen, und als er Ninon verließ, fühlte er, daß diese Trennung für seine Liebe verhängnisvoll sein würde. Aber ein Franzose wählt nicht zwischen der Pflicht der Ehre und seiner Liebe – es ist die Ehre, die ihm als das Höchste gilt. Die Trennung von der Geliebten wurde ihm jedoch sehr schwer, er fürchtete, daß sie ihn vergessen würde, und daß sein Glück dann auf immer verloren sei, kannte er doch den leichten Sinn und die Wankelmütigkeit Ninons. Vergebens suchte sie ihn zu beruhigen. »Nein, du Grausame,« erwiderte er, »ich weiß es nur zu gewiß, daß du mich vergessen und verraten wirst, sobald ich abgereist bin. Ich kenne dein Herz, jetzt ist es noch mein, aber du bist unfähig, treu zu sein, ich kann mich darüber nicht täuschen. Jetzt, wo ich dich umfangen halte und dir sagen kann, wie heiß ich dich liebe, gehörst du mir, aber, wenn ich nicht mehr hier bin, um es dir zu sagen, dann wirst du mich vergessen. O Ninon, die Liebe, die du empfindest, ist sehr, sehr verschieden von der, die du einzuflößen verstehst! Ich werde dich niemals vergessen. Die Trennung wird das Feuer meiner Liebe noch heller entfachen, für dich aber bedeutet die Trennung das Ende deiner Zärtlichkeit. Ohne dich erscheint mir das Leben arm und reizlos, aber du findest stets neue Verehrer und Interessen.« Ninon mußte sich im stillen gestehen, daß der Marquis ganz recht habe. Aber da sie ihm wirklich gut war, suchte sie seine Zweifel zu zerstreuen; sie dachte ja in jener Stunde auch nicht daran, ihn täuschen zu wollen, es war keine Gelegenheit dazu da, vielleicht bot sich eine solche überhaupt nicht; er liebte sie so leidenschaftlich, daß es sich vielleicht wirklich der Mühe verlohnte, ihm treu zu bleiben. All dies glaubte Ninon selbst und versicherte es dem Marquis von Châtre in herzlichsten Worten. Aber Ninon hatte gut sagen, niemand springt über seinen Schatten.
Der verliebte Marquis hätte sich bei Ninons Versicherungen beruhigen können, wenn sein Mißtrauen gegen ihre Treue und die Furcht, sie zu verlieren, nicht allzu groß gewesen wären. Er wollte sich nicht zufrieden geben, bis er nach vielen Hin- und Herüberlegen endlich glaubte, ein Auskunftsmittel gefunden zu haben. »Höre, Ninon,« sagte er zu ihr, »du bist zweifellos nach vielen Richtungen hin eine ganz außergewöhnliche Frau. Mich kann daher auch nur eine ganz außergewöhnliche Maßregel beruhigen. Ich fordere von dir, daß du mirs schriftlich gibst, mir eine unverbrüchliche Treue zu bewahren. Ich werde dir einige Zeilen diktieren, in denen du mir bei allem, was dir heilig ist, gelobst, dein Versprechen zu halten. Ich kann dich nicht eher verlassen, bis du mir dieses Unterpfand deiner Beständigkeit gegeben hast, es ist für meine Seelenruhe durchaus notwendig.« Ninon stellte ihm vergebens vor, daß sein Verlangen zu seltsam, ja geradezu töricht sei; der Marquis war eigensinnig und wußte ihren Widerstand zu besiegen. Sie mußte Versicherungen schreiben und besiegeln, wie sie in solcher Form gewiß noch nie verfaßt worden sind. Mit diesem Schriftstücke in der Tasche reiste dann der Marquis beruhigt ab.
Kaum zwei Tage nach der Abreise Herrn von Châtres sah Ninon sich schon von einem der gefährlichsten und geistreichsten Lebemänner verfolgt, der sie das gegebene Versprechen bereuen ließ. Er hatte ihr schon lange von seiner Leidenschaft für sie gesprochen, und er war ein Mann, der wirklich auch Liebe einzuflößen verstand. Er wußte, daß sein Nebenbuhler abgereist sei; der Widerstand, den Ninon ihm entgegensetzte, entmutigte ihn keineswegs; er wurde nur dringender und wußte seine Liebe in so glühenden und beredten Worten zu schildern, daß es ihm gelang, Ninons Herz zu gewinnen. Ihre Augen verrieten sie. Nichts wird den Frauen schwerer, als in gewissen Momenten ihre Gemütsbewegung zu verbergen; er merkte bald genug, daß er aufgehört habe, ihr gleichgültig zu sein, und sie war schon besiegt, ehe sie die ihr drohende Gefahr ganz begriffen.
Wie erstaunt aber war der glückliche Sieger, als Ninon in dem Augenblicke, da sie sich ihm ergab, mit leiser Stimme mehrere Male die Worte wiederholte: »Ach ... Ach! das gute Billett, das la Châtre von mir erhalten hat.« Ganz erstaunt bat er Ninon um Erklärung dieser rätselhaften Worte, die ihm die leichtlebige Dame auch sofort gab. Er amüsierte sich königlich darüber und fand dieses kleine Abenteuer so lustig, daß er kein Geheimnis daraus machte und das Billett von la Châtre war bald in aller Munde und galt für ein Sprichwort, das man anwendete, wenn man von Versprechungen redete, auf deren Erfüllungen zu rechnen sehr unklug wäre.
Ninon verlor doch bei dieser Gelegenheit ihre philosophische Ruhe und ärgerte sich sehr über die Indiskretion ihres neuen Geliebten. Aber er wußte sie zu versöhnen, da er ein ungewöhnlich liebenswürdiger, junger Kavalier war. Ninon vergaß über dem Reiz, den seine Unterhaltung auf sie ausübte, daß sie sich vorgenommen, ihn zur Rede zu stellen, es fiel ihr erst wieder ein, als er fortging. Sie lief ihm nach und rief ihm von der Treppe herab zu: »Vergessen Sie aber nicht, Herr Graf, daß wir noch nicht wieder versöhnt sind.«
Durch solche und ähnliche kleine Züge kam es, daß sie in den Ruf der Koketterie kam, eine Eigenschaft, die für sie sehr gefährlich hätte werden können, wenn sie die Falschheit besessen hätte, ihre Fehler zu verstecken oder sie verteidigen zu wollen. Aber ihre große Ehrlichkeit versöhnte ihre Freunde immer wieder und machte, daß sie ihr leichtes Leben, das von ihren Feinden natürlich viel schlimmer dargestellt wurde, als es war, sehr nachsichtig beurteilten.
Ich erkläre hier übrigens ausdrücklich, daß ich die Schwächen von Ninons Herzen sowie ihre ungezügelte Lust, sich allen Freuden des Lebens hinzugeben, ebensowenig entschuldigen will, wie die Freiheit und Leichtfertigkeit, mit der sie über Dinge sprach, die anderen Menschen heilig sind. Die Sicherheit, die wir durch die Philosophie erlangen, gibt uns darum doch nicht das Recht, das, was andere für richtig halten oder was ihnen heilig ist, zu verspotten. Es ließe sich leicht beweisen – wenn an dieser Stelle Raum für eine solche Darlegung wäre – daß die Achtung, die jeder der Gesellschaft schuldet, es zum Gesetz machen sollte, daß jeder in religiöser und politischer Richtung freidenkende Mensch nur mit solchen von seiner Überzeugung spricht, bei denen er ein Verständnis erwarten kann. Ninons religiöse Vorstellungen waren mehr wie frei, und ihre unumwundene Art, sich darüber auszudrücken, läßt sich kaum entschuldigen. Frau von Sevigné beklagt sich in einem ihrer Briefe bitterlich über die Leichtfertigkeit, mit der sie religiöse Dinge behandle und über den gefährlichen Einfluß, den sie dadurch auf ihren Sohn ausübe.
Man muß zugeben, daß Frau von Sevigné nicht ganz unrecht hatte, wenn sie das Verhältnis ihres jungen Sohnes zu der damals schon nicht mehr jungen Ninon etwas beunruhigte. War der Marquis doch ganz hingerissen von der Liebenswürdigkeit dieser Frau, der er überall folgte und unter deren Bann er stand, obgleich sie ihn nicht immer gut behandelte und oft genug einfach wie mit einem guten dummen Jungen umging, über den sie sich lustig machte.
Der junge Marquis liebte sie, und obwohl seine Mutter und Frau von La Fayette ihre ganze Beredsamkeit aufboten, ihn von der Torheit seiner Leidenschaft zu überzeugen, gelang es ihnen nicht, ihn davon abzubringen. Er war ein verführerischer und geistvoller junger Mann, Ninon erhörte ihn bald; da es ihr jedoch hinterbracht worden, daß er ein Liebesverhältnis mit der berühmten Schauspielerin Champmélo gehabt habe, wurde ihre Eifersucht erweckt, und sie forderte von ihm, daß er ihr die Briefe ihrer Nebenbuhlerin ausliefere. Der Marquis ließ sich wirklich dazu bestimmen. Ihre Absicht war, diese Briefe dem offiziellen Liebhaber der Schauspielerin, dem Marquis von T... zu übersenden, damit dieser, wie sie sagte, ihr einige Degenhiebe versetzte. Es gelang jedoch Frau von Sevigné, ihren Sohn, der ihr seine Schwäche, die Briefe ausgeliefert zu haben, gestanden, davon zu überzeugen, daß er eine Handlung begangen habe, die eines Ehrenmannes unwürdig sei. Sie veranlaßte ihn darauf sofort zu Ninon zu eilen und – wie die Marquise erzählt – gelang es ihm halb durch List, halb durch Gewalt, die Briefe der Schauspielerin zurückzuerhalten, die er dann gleich verbrannte.
Obgleich im Anfang ihres Verkehrs viele Mißverständnisse das Verhältnis der Liebenden trübte, schien es doch dauerhaft zu sein. Frau von Sevigné zitterte. Aber ihr Sohn beruhigte sie, indem er ihr mitteilte, daß Ninon ihn abgedankt habe und erzählte ihr von den vielen Streitigkeiten, die er mit ihr gehabt hatte. Ninon hat übrigens den Marquis nicht gut behandelt und scheint keine besonders hohe Meinung von ihm gehabt zu haben. Sie sprach sich öfters sehr wegwerfend über ihn aus und behauptete, er sei ein Waschlappen, eine ausgekochte Seele und ein durchaus unbedeutender Kopf. Vielleicht ließ sie sich aber auch nur durch ihren Unmut zu solchen Redensarten hinreißen. Sicher ist, daß der Marquis von Sevigné ein ganz talentvoller, geistreicher Mann war und daß er, obwohl sie ihm wiederholt den Laufpaß gegeben, doch immer zu Ninon zurückkehrte, die ihn stets wieder zu Gnaden annahm, wenn auch nicht in der Eigenschaft eines Liebhabers, sondern in der eines Freundes. Sie waren so intim miteinander, daß man es einfach nicht glauben wollte, daß kein Liebesverhältnis mehr zwischen ihnen bestehe, so daß sie sich gezwungen sah, dem Kreise ihrer Freunde wiederholt zu sagen, daß sie sich irrten und daß sie und der Marquis ganz wie Geschwister miteinander verkehrten.
Es war ungefähr um diese Zeit, daß einige von Ninons Bonmots die Runde in der eleganten Welt machten, die heute noch nicht vergessen sind. Es kam damals eine neue Haartracht der Damen auf, die man »Struwelkopf« nannte. Diese Mode stand aber nicht allen Frauen. Frau von Sevigné sagt, daß manche Damen mit dieser Frisur so ausgesehen hätten, daß man sie am liebsten hätte ohrfeigen mögen. Frau von Ch. gehörte zu diesen Damen. Als Ninon sie sah, meinte sie, sie sähe einer Wirtstafel im Frühling so ähnlich wie ein Tropfen Wasser dem andern. Frau von Sevigné sagt in ihren Briefen, daß dieser Vergleich ein ganz ausgezeichneter gewesen sei.
Das zweite Scherzwort, das uns ebenfalls durch die Briefe der Frau von Sevigné bekannt geworden, verspottet Frau Dufrenoy, die Frau des ersten Angestellten, Herrn von Louvois, die dem Minister keineswegs gleichgültig gewesen ist. Sie war sehr hübsch und Frau von Sevigné nennt sie eine Nymphe – eine Göttin (obgleich sie dabei bemerkt, daß sie doch nicht so hübsch wie ihre eigne Tochter sei, aber daß die hohe Stellung ihres Verehrers für sie von hoher Bedeutung gewesen sei). Der König ernannte sie zur Bettdame der Königin, eine ganz neue Charge, die eigens für die Dufrenoy geschaffen wurde. Diese Stellung stellte sie zwar unter die Ehrendamen, aber über die Kammerfrauen, und viele Damen am Hofe waren sehr unzufrieden über diese Neuerung. Ninon, die all die bittern Worte, die darüber gewechselt wurden, mit anhören mußte, meinte scherzend, der Minister habe es so gemacht wie Caligula, der sein Pferd zum Konsul ernannte.
Fräulein von Scudéri ist das dritte Opfer ihres Spottes. Ihre Häßlichkeit ist fast ebenso berühmt wie ihr Geist. Als Ninon sie sah, meinte sie, sie sähe gerade aus wie eine Septuaginta. Die Septuaginta ist die griechische Übersetzung des Alten Testamentes durch jüdische Schriftgelehrte, die sogenannten 70 Dolmetscher. Man fand diese bizarre Bezeichnung zu jener Zeit sehr drollig und würde es vielleicht heute noch tun, wenn nicht solche Scherzworte immer durch das Wiedererzählen an Reiz einbüßten.
Ninon liebte es sehr, die Schwächen anderer in das Lächerliche zu ziehen und sich darüber zu amüsieren, sie wetteiferte darin mit ihrer Freundin Frau von Coronel, deren Geist und Spottlust in jenen Tagen allgemein bekannt war. Besonders bei den Tafelfreuden ließ Ninon gern das Raketenfeuer ihres Witzes sprühen. Es war beinahe, als ob sie, wenn sie kaum ein paar Löffel Suppe gegessen, schon angeheitert wäre. Dabei trank sie nie etwas anderes wie Wasser. Es war als verschwende sie jenen wunderbaren Trank, von dem Homer sagt, daß Helena ihn unter ihre Festgenossen verteile, um sie in begeisterte Stimmung zu versetzen. Der Dichter hat damit wohl kaum etwas anderes gemeint, als den Reiz der Unterhaltung der Fürstin.
Ich gestehe, daß ich Ninon kaum einer Handlung für fähig halte, die jedoch von verschiedenen Zeitgenossen berichtet wird. Ein hochgestellter Geistlicher, den Frau von Sevigné den »großen Pan« nennt, genoß allgemein der höchsten Achtung. Ninon wurde eben durch die ihm gezollte Ehrfurcht gereizt, den Versuch zu machen, ob sein Herz wirklich so rein sei, wie seine Worte. Hatte sie doch fast alle Helden und großen Männer jener Zeit in ihren Ketten gesehen. Der Prior von B. verdiente es, in die Liste ihrer Verehrer eingereiht zu werden. Sie stellte sich krank und schickte zu ihm mit der Bitte, sie zu besuchen. Als der ehrwürdige Vater bei ihr ankam, fand er eine Frau, die nach allen Regeln der Kunst auf das Verführerischste gekleidet und geschmückt war und die ihn mit entzückender Liebenswürdigkeit empfing, die jedoch keinen Eindruck auf den geistlichen Herrn machte. »Ich sehe,« sagte er ihr, »daß Sie körperlich vollkommen gesund sind. Ihr Herz und Ihr Geist jedoch sind schwer erkrankt. Das einzige, was ich für Sie tun kann, ist, daß ich zu dem großen Arzt der Seelen bete und ihn bitte, Sie zu heilen.« Damit verließ er sie.
Wenn diese Anekdote wahr sein sollte, wäre sie allerdings beschämend für Ninon. Ich halte diese kleine Geschichte jedoch unbedingt für Erfindung, da sie gar nicht mit Ninons gradem Charakter zu vereinigen ist. Möglich ist ja, daß sie den Prior irgendwo getroffen, daß sie sich zufällig länger mit ihm unterhalten hat und er ihr Vorstellungen über ihren Lebenswandel gemacht hat. Das ist dann weiter erzählt, ausgeschmückt und unglücklicherweise der Nachwelt erhalten worden. Es ist das die Quelle von vielen skandalösen Anekdoten, mit denen die Geschichte aller Zeiten erfüllt ist.
Leider ist die folgende Anekdote begründeter. Bisher hatte Ninon nur Verehrer gehabt, die eine hohe Stellung einnahmen und wirklich durch Talent und Verdienste ausgezeichnet waren. Man sagt aber, daß sie dann dem Tänzer Pécour ihre Gunst geschenkt habe, und man muß gestehen, daß die Tanzkunst dieses Mannes kaum eine Entschuldigung für eine solche Wahl war.
Wie dem immer war, jedenfalls habe ich von Leuten, die genauer um die Geschichte jener Zeit Bescheid wußten, erfahren, daß dieser berühmte Tänzer ihr sehr gefallen habe, ja, daß er sogar eine Zeitlang der glückliche Rivale des Grafen von Choiseul gewesen sei, der nachher Marschall von Frankreich wurde. Dieser Herr, der weniger durch seine geselligen Talente, als durch die anerkannte Rechtschaffenheit seines Charakters und seine Tüchtigkeit ausgezeichnet war, vermochte es nicht Ninon wärmere Gefühle einzuflößen. »Er ist ja wirklich ein sehr ehrenwerter Herr,« sagte sie von ihm, »aber er reizt mich nicht dazu, ihn zu lieben.« Die häufigen Besuche Pécours bei Ninon beunruhigten den Grafen ernstlich, er wagte es jedoch nicht, sich darüber zu beklagen, war auch nicht ganz sicher, ob wirklich Grund zu seinen Befürchtungen vorlag. Als er dann aber eines Tages diesen seiner so unwürdigen Nebenbuhler bei Ninon traf und durch seine geringschätzige Behandlung den Tänzer zu einer gewagten Antwort reizte, konnte er sich nicht mehr verhehlen, wer Ninons bevorzugter Verehrer sei.
Pécour hatte sich einen Frack machen lassen, der den zu jener Zeit üblichen Uniformen nur allzu ähnlich sah. Der Graf von Choiseul, der ihn in diesem etwas zweifelhaften Anzuge sah, machte einige spöttische Bemerkungen und frug ihn, bei welchem Truppenkörper er diene. Pécour ließ sich durch seine Eitelkeit hinreißen, den geheimen Vorzug, den er genoß, zu verraten. Er antwortete dem Grafen in hochmütigem Tone: »Mein Herr, ich befehlige einen Körper, dem Sie schon lange dienen.«
Der Graf, der sich durch diese demütigende Antwort in seinem Verdachte bestärkt sah, geriet außer sich vor Wut und beschloß, Ninon nur noch einmal wieder zu sehen, um ihr die heftigsten Vorwürfe zu machen. Aber ihr Anblick genügte, seinen Zorn zu entwaffnen. Die Natur verschwendet nicht all ihre Gaben auf eine Person, der Graf leuchtete nicht durch seinen Geist. Es war ganz natürlich, daß Ninon eines Verehrers überdrüssig wurde, der nur seufzen und sie anschmachten konnte, der sie aber nicht zu unterhalten und zu fesseln wußte. Die Beharrlichkeit des Grafen wurde ihr bald lästig und eines Tages ließ sie sich in einem Augenblicke der Ungeduld hinreißen, von ihm wie Cornelia einst von Cäsar zu sagen: »Ach Gott, wie viel Tugenden macht Ihr mir doch verhaßt.«
Dieser satyrische Zug beweist übrigens zur Genüge, daß Ninon sich nie durch äußere Stellung oder Reichtum bestimmen ließ, ihre Gunst zu verschenken, und daß nur diejenigen ihrer Verehrer durch ihre Liebe beglückt wurden, die ihr gefielen und Reiz auf sie ausübten.
Die gütige Natur, die Ninon verschwenderisch mit all den Gütern bedacht hatte, die sie sonst unter die Frauen zu verteilen pflegt, hat sie mit einer ebenso seltenen wie kostbaren Gabe ausgezeichnet, nämlich der Kunst, in einem Alter zu gefallen, in dem andere Frauen ihrer Schönheit verlustig gehen. Im Alter von 65 Jahren erregte Ninon noch das lebhafteste Interesse und war so unglücklich, ihrem geliebten Sohne eine verhängnisvolle Leidenschaft einzuflößen, durch die er den Tod und sie den größten Schmerz erlitt, der sie je getroffen.
Herr von Gersay hatte den Sohn, den Ninon ihm geschenkt, unter dem Namen eines Chevaliers von Villiers auf das sorgsamste erziehen lassen, ihm jedoch nach gegenseitiger Übereinkunft das Geheimnis seiner Geburt auf das sorgsamste verschwiegen. Als der Chevalier in die Gesellschaft eingeführt worden, wünschte Herr von Gersay, daß Ninon ihn wie andere junge Leute vornehmer Geburt empfange, damit er von ihr guten Geschmack und feines Benehmen erlerne.
Ninon hatte also ihrem Sohne Eintritt in ihren Kreis gewährt, in den aufgenommen zu werden zu jener Zeit die Blüte des französischen Adels sich drängte. Man sagte, daß man unter den am Hofe zugelassenen Herren immer gleich die Kavaliere erkenne, die das Glück hatten, von Ninon empfangen zu werden, da sie sich durch Feinheit des Benehmens und durch ihre geistvolle Unterhaltung auszeichneten, daß die Lust, ihr zu gefallen und von ihr ausgezeichnet zu werden, die jungen Leute rasch zu Meistern eines feinen Benehmens mache. Herr von Gersay hatte seinen Sohn für eine hohe Karriere bestimmt, in der gesellschaftliche Sicherheit und feines Wesen ihm von wesentlichem Nutzen sein mußte. Er wollte den Chevalier nicht eines Vorteils berauben, auf den er mehr Anspruch hatte, als alle anderen jungen Leute.
Der Chevalier von Villiers empfand sofort ein warmes Interesse für Ninon. Die Dankbarkeit, die er Fräulein von Lenclos schuldig zu sein glaubte, ging sehr bald in wärmere Gefühle über, die er sich selbst kaum einzugestehen wagte. Er verbarg lange seine Liebe vor ihr, mit der Zeit wurde sie jedoch so heftig, daß sie all sein Sinnen und Denken beherrschte. Ninon erschien ihm täglich liebenswerter, und sie war unvorsichtig genug, seine Leidenschaft zu nähren. Sie hatte sich Herrn von Gersay gegenüber streng verpflichtet, ihrem Sohne nie das Geheimnis seiner Geburt zu verraten, aber die Stimme der Natur war so stark in ihr, daß sie unwillkürlich den Sohn vor den anderen jungen Leuten ihrer Gesellschaft auszeichnete. Er hielt dies für eine Ermutigung seiner Leidenschaft, die täglich heißer wurde; er war jung, lebhaft, verliebt, es war nur zu natürlich, daß er Ninons Güte falsch auffaßte. Ninon war zu gescheit, um nicht bald genug diese schreckliche Leidenschaft zu entdecken, die für sie wie für ihren Sohn gleich verhängnisvoll werden sollte. Sie war entsetzt über diese Liebe, die ihr Sohn bald genug nicht mehr vor ihr zu verbergen strebte. Um ihn zu heilen, versuchte sie alles, was Vernunft und mütterliche Liebe zu ersinnen vermochte, sie verbannte ihn sogar zeitweise aus ihrem Hause. Es war alles vergebens. Es ist das erste Bedürfnis eines Verehrers in dem Alter und mit dem Charakter des jungen Marquis, die zu sehen, die er liebt. Er erkaufte sich den Wiedereintritt in Ninons Haus durch das Versprechen, Herr seiner Neigung zu werden, und so stürmisch auch der Chevalier war, so wußte er sich doch zu bezwingen, um sich nicht der Gnade unwürdig zu erzeigen, die er endlich durch seine Tränen und Versicherungen errungen hatte. Ninon ließ sich täuschen; man läßt sich nur zu leicht durch die bizarre Leidenschaft der Liebe täuschen, die alle Umstände zu ihren Gunsten auszubeuten bereit ist. Allmählich jedoch, und vielleicht ohne es selbst zu wollen und zu wissen, vergaß der Chevalier die Bedingungen, unter denen Ninon Frieden mit ihm gemacht. Ninon jedoch, die auf ihrer Hut war, bemerkte bald genug, daß die widernatürliche Neigung des Chevaliers nicht erloschen sei. Seine Seufzer, seine Blicke, seine Traurigkeit verrieten ihn. Sie glaubte noch einen Versuch, ihn zu heilen, machen zu müssen, sie ließ ihn in ihr Privatgemach kommen und hielt ihm das Unsinnige seiner Leidenschaft vor. »Törichter junger Mann,« sagte sie zu ihm, »begreifen Sie denn nicht, daß eine Frau meines Alters unmöglich noch Liebesworten Gehör schenken kann? Ich bin mehr als 65 Jahre alt, ist das ein Alter, in dem man noch lieben kann und Liebesschwüre empfangen darf? Nehmen Sie doch Vernunft an, Chevalier und machen Sie doch nicht mich und sich selbst lächerlich.«
Aber selbst diese ernsten Vorstellungen vermochten nicht de Villiers zu bestimmen, seiner Leidenschaft zu entsagen. Er sah in Ninon nach wie vor die vollendetste und schönste aller Frauen und wurde in seiner Verzweiflung immer dringlicher und stürmischer. Ninon verlor endlich selbst die Fassung und heiße Tränen entrangen sich ihren Augen, der junge Villiers sah sie als Zeichen seines Sieges an. »Was sehe ich, o Gott!« rief er, »um wen fließen diese Tränen? Sind es Zähren des Mitleides oder der Liebe? Sollte mein Schicksal endlich eine günstige Wendung nehmen?« –
»Unsinniger,« antwortete sie, »lassen Sie mich, Ihre Leidenschaft ist es, die den Rest meiner Tage vergiftet und mir das Leben unerträglich erscheinen läßt.«
»Welche Sprache?« antwortete der Chevalier. »Wie wäre es möglich, daß Ihr Leben dadurch vergiftet würde, daß Sie einen Mann erhören, der Sie über alles liebt? Spricht Ninon, die Philosophin, im Ernste solche Worte? Glaubt sie mir gegenüber die Spröde spielen zu müssen, um von der Welt ihrer Tugend willen gepriesen zu werden? Durch welche Macht hat Ihr Herz sich in so grausamer Weise geändert? Sie treiben Ihre Grausamkeit ja so weit, das Messer gegen sich selbst zu kehren, und dennoch weiß ich es, daß Sie nicht so gefühllos sind, wie Sie mich glauben machen wollen. Ich habe es in Ihren Augen gelesen, daß ich Ihnen nicht so gleichgültig bin, wie Sie mich glauben machen wollen. Warum denn sonst diese Tränen? Sollte die Gleichgültigkeit, der Haß Sie Ihnen entlockt haben? So reden Sie doch! Wagen Sie es nicht, ein Gefühl zu gestehen, dessen Natürlichkeit Sie ehrt?«
»Halten Sie inne, Chevalier,« antwortete ihm Ninon, »es hängt nur von Ihnen ab, meine Freundschaft zu genießen; ich glaubte, Sie wären würdig, wirklich mein Freund zu heißen. Nur Freundschaft ist die Quelle der Tränen, die ich um Sie vergieße. Aber schmeicheln Sie sich nicht mit der törichten Hoffnung, mir Liebe eingeflößt zu haben. Ich sehe es wohl, welchen Illusionen Sie sich hingegeben haben. Ich erkläre Ihnen noch einmal, daß Sie nicht die kleinste Aussicht auf Erfolg haben. Ich würde Sie hassen müssen, wenn Sie noch einmal wagen sollten, von dieser blinden Leidenschaft zu sprechen. Ich will nichts mehr von Ihnen wissen. Verlassen Sie mich sofort. Ich bereue es, Ihnen je Freundlichkeiten erwiesen zu haben, da Sie diesen einen so ganz anderen Sinn untergelegt haben.«
Es zerriß Ninons Herz, als sie von der Verzweiflung hörte, der ihr Sohn sich nach dieser letzten Unterhaltung ergab. Sie bereute jetzt bitterlich, daß sie nicht den letzten entscheidenden Schritt getan und dem jungen Manne das Geheimnis seiner Geburt enthüllt habe, aber das Herrn von Gersay abgelegte Gelübde hatte ihr bis dahin den Mund verschlossen. Sie wandte sich nun an ihn mit der Bitte, ihr zu erlauben, dem Chevalier das Geheimnis zu entdecken, und nachdem Herr von Gersay erfahren, um was es sich handelte, riet er selbst Ninon zu einer offenen Aussprache.
Sie schrieb deshalb an den Chevalier und forderte ihn auf, sich an einem bestimmten Tag zu einer ebenfalls bestimmten Stunde in ihrem kleinen Hause in der Vorstadt St. Antoine einzustellen, da sie ihm in dringender Angelegenheit zu sprechen wünsche. Er flog dahin. Er hatte die sorgfältigste Toilette gemacht und bildete sich ein, das Ziel seiner Wünsche endlich erreicht zu haben. Er traf Ninon allein, war aber sehr überrascht, sie in tiefgedrückter, trauriger Stimmung zu finden. Er warf sich ihr zu Füßen, ergriff ihre Hand und benetzte sie mit seinen Tränen.
»Unglücklicher,« rief Ninon, aufgelöst vor Kummer in seine Arme sinkend, »ist es möglich, daß wir beide das Opfer eines so schrecklichen Schicksals werden sollen? Habe ich nicht alles getan, was in meinen Kräften stand, um Ihnen die Ruhe wiederzugeben?« »Ach,« unterbrach er sie, »wollen Sie mich wieder täuschen? Aus diesen dunkeln Worten erkenne ich, daß Sie immer noch ungerecht gegen mich sind. Sie hoffen immer noch, mich von meiner Leidenschaft heilen zu können; aber täuschen Sie sich darüber nicht, denn ich versichere Ihnen, daß es einfach unmöglich ist und daß es keine Macht gibt, die Ihr Bild aus meinem Herzen zu verdrängen vermöchte.« – Er riß sie wild an sich und von Worten versuchte er zu Taten überzugehen.
Ninon riß sich entrüstet aus seinen Armen. »Halten Sie ein,« rief sie empört, »und erfahren Sie endlich, daß diese Ihre entsetzliche Liebe sich gegen alle menschlichen Gesetze versündigt. Zittern Sie vor sich selbst und erfahren Sie endlich, daß die Frau, die Sie in so grausam zudringlicher Weise mit Ihrer Leidenschaft verfolgen ...« sie stockte.
»Nun?« sagte der Chevalier, »vollenden Sie Ihre Worte – –«
»Nun denn,« fuhr Ninon entschlossen fort, »ich bin deine Mutter. Du verdankst mir das Dasein, es ist mein Sohn, der zu meinen Füßen liegt, und von Liebe spricht. Herr von Gersay ist dein Vater. Seine übergroße Liebe und Zärtlichkeit für dich ist es, die es bisher zu verhindern wußte, daß dir das Geheimnis deiner Geburt enthüllt wurde. Dir ist es genau bekannt, mit welchen Vorurteilen die Gesellschaft unehelich geborene Kinder betrachtet; um dein Zartgefühl zu schonen, waren dein Vater und ich dahin übereingekommen, daß du es nicht erfahren solltest, wer deine Eltern sind. Erkenne in mir deine Mutter, mein Sohn, und vergib mir, daß ich dir das Leben geschenkt habe.«
Ninon brach in heiße Tränen aus, während der Marquis wie vernichtet dastand und die Worte seiner Mutter kaum zu begreifen schien. Totenbleich und zitternd flüsterte er das Wort: »Mutter«, er warf ihr noch einen zärtlichen Blick zu, dann aber reißt er sich von ihr los, stürzt aus dem Zimmer, flieht in den Garten und dort im Schatten eines Bosketts zieht er ohne zu zögern seinen scharfgeschliffenen Degen aus der Scheide und stößt ihn sich in die Brust. Blutüberströmt sinkt der unglückselige junge Mann dann sterbend zu Boden.
Welch entsetzliches Schauspiel für Ninon, die ihrem Sohne gefolgt war, und die nun Zeugin seines schrecklichen Endes sein mußte. Ein grausames Schicksal fügte der Qual, ihren Sohn verbluten zu sehen, noch eine andere Folter hinzu. Er wandte ihr seine schon verlöschenden Augen zu, und sie las in diesem Blicke, daß er sie immer noch wild und leidenschaftlich liebte. Er versuchte es, noch einige Worte zu sprechen, aber es war zu spät, er verschied vor den Augen der unglücklichsten aller Mütter.
Ihre Hilferufe zogen zum Glücke rasch Leute herbei, die sie daran verhinderten, sich ganz der Verzweiflung hinzugeben. Ihr Sohn war tot, es galt unter allen Umständen soviel wie möglich diese unheilvolle Geschichte vor der Welt zu verbergen, und trotz des namenlosen Leides, das sie getroffen, war sie besonnen genug, in dieser Beziehung vernünftigen Rat anzunehmen und die nötigen Schritte zu tun, ihr furchtbares Geschick nicht öffentlich werden zu lassen.
Die Vernunft und die Philosophie vermochten jedoch nicht, sie über ein Ereignis zu trösten, das ebenso grauenvoll wie einzig in seiner Art war, und das sie hatte weder vorhersehen noch verhindern können. Dieser Schlag war entsetzlich für eine Frau, die trotz der Schwächen ihres Herzens stets eine ausgesprochene Neigung für tiefes und ernstes Nachdenken gehabt hatte. Hatte Herr von Saint-Evremont doch mehr wie einmal scherzend geäußert, Ninon würde nur an ihren eigenen Gedanken sterben.
Seit diesem schrecklichen Ereignisse änderte sie ihre ganze Lebensweise und auf die ausschweifende, leichtlebige Ninon folgte nun das solide Fräulein von Lenclos, und das ist sie auch bis zu ihrem Tode geblieben. Man hat sie in ihren letzten Lebenszeiten stets so genannt.
Freilich konnte auch ihre veränderte Lebensführung nicht ganz über ihr Naturell siegen, das nun einmal eine ausgesprochene Neigung zu galanten Abenteuern hatte. Man erzählt, daß sie am Aschermittwoch, an dem die gläubigen Christen ihre Stirn mit Asche schwärzen, geäußert hätte, man solle die Ermahnung des Priesters durch die Worte ersetzen »Lasset ab von Euerer Liebe! Lasset ab von der Liebe.« Aus einem an Saint-Evremont geschriebenen Briefe sieht man, daß sie wirklich die Schwäche ihres Herzens tief beklagte. »Alle Welt sagt mir, daß die Zeit sehr glimpflich mit mir umgegangen sei, und daß ich mich weniger um mein Alter zu beklagen hätte, wie jeder andere Mensch. Wie das immer sein möge, wenn ich gewußt hätte, welches mein Schicksal sein würde, dann hätte ich mich aufgehangen.«
Sie wurde bis an das Ende ihres Lebens geliebt und bewundert und verdiente dies auch. Die geistreichsten Männer suchten ihren Verkehr, und so kam es, daß es selbst bis in ihr hohes Alter Augenblicke gab, wo ihre alte Lebens- und Liebeslust Herr über sie wurde.
Es scheint, daß der berühmte Abbé von Chaulieu, dieser Anakreon seiner Zeit, den man seit seinem Eintritt in die Welt den Dichter der guten Gesellschaft nannte, mehr Glück bei ihr gehabt hat, wie sein Lehrer und Freund Chapelle. Sie traf diesen Dichter öfter in der Priorei von Fontenay, wohin sie die Herzogin von B. und den Chevalier von V. öfter zu begleiten pflegte, und die Herzogin verfolgte Chapelle mit ihren Spöttereien, weil ihm die liebenswürdigen Talente fehlten, durch die man sich die Frauen so leicht gewogen macht und ihre Liebe erringt.
Jedenfalls soll Fräulein de Lenclos seine Seufzer nicht erhört haben. Offiziell hatte sie keine Liebhaber mehr. Der Baron von Banier, der Sohn des berühmten schwedischen Generals, war der letzte, der sich dieser Auszeichnung rühmen durfte.
Chapelle, der, wie schon erzählt, es nicht vermochte, auf Fräulein von Lenclos Eindruck zu machen, ärgerte sich so sehr darüber, daß er der Versuchung, sich für ihre Gleichgültigkeit zu rächen, nicht zu widerstehen vermochte.
Ganz Paris kannte bald das Spottgedicht, das er auf Fräulein von Lenclos verfaßte. Es war aber auch sehr bekannt, daß er bisher einer der ausgesprochensten Bewunderer derjenigen ihrer Eigenschaften, die er nun verhöhnte, gewesen war. Er schämte sich nicht, trotzdem er Fräulein von Lenclos' Freundschaft genossen und vielfach in ihrem Hause verkehrt hatte, sie nun ihres Alters wegen lächerlich zu machen, wie man dies aus folgenden Versen sieht:
»Es ist doch gar so seltsam nicht,
Wenn von Platonscher Lieb nun spricht
Das Fräulein von Lenclos!
Den Weisen von Altgriechenland
Hat sie wohl sicher selbst gekannt,
Ist alt genug dazu!«
Fräulein von Lenclos hat über diesen Scherz sicher herzlich mit ihren Freunden gelacht. Sie war viel zu groß angelegt, um sich darüber beleidigt zu fühlen. Sie hatte es schon vor langer Zeit durch Herrn von Rochefoucauld erfahren, daß das Alter die Hölle der Frauen sei. Aber diese Hölle hatte sie niemals erschreckt. Sie war eine zu große Philosophin, um den Verlust eines Gutes zu betrauern, das sie wenig schätzte. Der Geist ging ihr über alles, und sie beklagte die schwindende Jugend kaum. Es war nur in einem der heitern Augenblicke, in denen sie zuweilen ihrer Phantasie die Zügel schießen ließ, daß sie das Wort des Königs von Aragonien wiederholte, der einmal sagte, er wünsche, er hätte Gott bei Schöpfung der Welt mit seinem Rate beistehen können. Gefragt, welchen Rat sie denn gegeben hätte, meinte sie heiter: »Nur den, die Runzeln des Alters da anzubringen, wohin die heidnischen Götter die verwundbare Stelle des Achilles verlegt hatten.«
Es ist wahr, daß sie sich viel weniger wie alle anderen Frauen über die Verheerungen beklagen durfte, die die Zeit an der Schönheit verübt. Sie beweist uns, sagt Saint-Evremont, daß man Herr der Natur werden kann, und daß es möglich ist, nicht alt zu werden. Obgleich sie den Jahren nach längst eine wirklich alte Frau war, ist sie doch niemals dem Ansehen nach eine Greisin gewesen, sie ist immer schön geblieben, hat sogar alle ihre Zähne behalten und das Feuer ihrer Augen; man sagt, daß man bis zu ihren letzten Lebensjahren darin ihre ganze Geschichte habe lesen können.
Das Abenteuer mit dem Nachtwandler oder dem kleinen schwarzen Manne, der dem Fräulein von Lenclos, als sie zwanzig Jahre alt war, erschienen sein und der ihr vorhergesagt haben soll, daß ihre Schönheit unvergänglich sein würde, und daß sie solange sie lebte, Herzen erobern würde, war allgemein unter ihren Freunden verbreitet und fand allgemeinen Glauben. Der Abbé Severin, der die Geschichte erzählt, hat an sich selbst die Erfahrung gemacht, daß Ninons Gewalt über die Herzen der Männer noch mächtig war, als sie schon über 75 Jahre zählte.
Nie ist der Salon des Fräuleins von Lenclos so berühmt gewesen, als gerade zu jener Zeit, in der sich die berühmtesten Persönlichkeiten um sie versammelten. Die Damen la Fayette und la Sablière, von denen Fräulein von Lenclos die erstere mit üppigen fruchttragenden Feldern und die andere mit einem blumengeschmückten Garten vergleicht, fanden sich regelmäßig bei ihr ein, ebenso der berühmte Herr von Rochefoucauld, der bis zu ihrem Tode Fräulein von Lenclos hoch in Ehren hielt und ihr in aufrichtigster Freundschaft ergeben war. Frau von Sevigné, die zuerst sehr gegen sie eingenommen war, später aber ihre Verdienste voll anerkannte, die Damen von Grignan, von Torp, von Coulanges, selbst die Herzogin von Bouillon, zogen ihren Salon allen anderen vor, und wurden nicht müde, sich das Vergnügen ihrer geistreichen Unterhaltung zu verschaffen.
Ein von Abbé Regnier Desmarais erhaltenes Gedicht schildert die Freude dieses ganzen auserlesenen Kreises, als Fräulein von Lenclos, die plötzlich schwer erkrankt war, wieder genas. Eine Krankheit in ihrem hohen Alter war ja unter allen Umständen höchst fatal, und es scheint auch, daß sie einen Teil ihrer Kräfte dabei einbüßte. Die Angst, daß sie ihren Freunden vielleicht bald entrissen werden könne, machte sie ihnen doppelt teuer.
Man versammelte sich gewöhnlich gegen fünf Uhr in ihrem Salon. Im Winter fand ihr Zirkel in einem Gemache statt, das mit den Porträts ihrer besten Freundinnen und Freunde, alles Werke der vorzüglichsten Meister, geschmückt war. Im Sommer empfing sie in einem anderen Salon, aus dem man die Aussicht auf die Boulevards hatte, er war mit schönen Fresken geziert, die die Geschichte der Psyche darstellten. Aber so wohl sie sich auch im Kreise ihrer Freunde fühlte, so hatte sie doch alle daran gewöhnt, sie um neun Uhr zu verlassen, da sie sehr ruhebedürftig geworden war.
Fast alle berühmten Leute, die sie seit ihrer Jugendzeit kannte, ebenso die Mitglieder des neuen Hofes, der in seinen Lebensanschauungen sich wenig von dem alten unterschied, fanden sich täglich bei ihr ein. Die Straße Fournelles, in der sie nun schon seit so vielen Jahren wohnte, war eine sehr belebte, man hatte sogar ihren Freunden den Namen »Fournellevögel« gegeben.
Es galt für eine gewisse Auszeichnung, sich mit diesem Titel schmücken zu können. Besonders der Graf von Charleval tat sich ordentlich etwas darauf zugute, so genannt zu werden, weil es ihn daran erinnerte, daß er immer das Glück gehabt hatte, zum Kreise der intimen Freunde der merkwürdigsten und liebenswürdigsten Frau ihrer Zeit gezählt zu werden. »Er war das, was man einen Lebenskünstler nennt, und durch seinen sanften, edlen Charakter und die Feinheit seines Geistes und seiner Talente hatte er sich das volle Vertrauen des Fräulein von Lenclos erworben. Bis in das hohe Alter hatte sein Geist sich die Lebendigkeit und die Frische der Jugend und sein Herz die Treue und Güte bewahrt, die uns unsere wahren Freunde so teuer macht.« So schrieb Fräulein von Lenclos an Saint-Evremont, als sie ihm den Tod ihres gemeinsamen Freundes mitteilte, um den sie mit einer Aufrichtigkeit trauerte, die ihrem Herzen alle Ehre machte. »Wir hatten,« sagte sie, »so viele und innige Beziehungen, und einen solchen Freund verlieren zu müssen, das ist schlimmer, als selbst zu sterben.« –
Die reizende Sammlung seiner Briefe sowie seiner Gedichte fiel unglücklicherweise nach seinem Tode in die Hände des Herrn von Ris, seines Neffen, der, man weiß nicht aus welchen Gründen, dieses schöne Werk der Öffentlichkeit vorenthalten hat.
Trotz der Ungnade, in die Herr von Saint-Evremont gefallen und trotz seiner Entfernung vom Hofe, hatte Fräulein von Lenclos ihren alten Freund doch niemals vergessen. In der ersten Zeit, in der er selbst noch wünschte, daß der Hof ihn aus dem Exile zurückriefe, wandte sie ihren ganzen Einfluß zu seinen Gunsten auf. Man konnte ihm nichts anderes vorwerfen, als daß er einen Minister, über den zu klagen er Grund zu haben glaubte, wegwerfend behandelt hatte; dieser Herr war bald darauf schon gestorben. Die Herren von Lionne, von Laugin, sowie der Graf von Grammont, alle drei Freunde des Fräulein von Lenclos, waren an der Spitze der Clique, die alles aufbot, um Saint-Evremont in sein Vaterland zurückzurufen. Aber ihre Bemühungen waren vergebens. Ludwig der Große war zu eigensinnig, um nachzugeben, und erst nach der Kriegserklärung von 1689 schrieb ihm der Graf von Grammont, als Bevollmächtigter des Ministeriums, es stehe ihm frei, zurückzukehren. Er machte keinen Gebrauch davon.
Fräulein von Lenclos hatte immer einen regen Briefwechsel mit ihrem alten Freunde unterhalten. Es war ungefähr vier Jahre, nachdem er die ihm angebotene Begnadigung zurückgewiesen hatte, als sie ihm schrieb, um zu wissen, ob ein unter seinem Namen erscheinendes Werk »Gedanken über die Lehre Epikurs« wirklich von ihm geschrieben sei. Herr von Saint-Evremont antwortete ihr, daß er nicht der Verfasser sei, und er widmete ihr einige Zeit darauf sein kleines Werk über die »Moral Epikurs«, die bedeutend klarer und geistreicher, wie das obengenannte Buch ist.
Die Details, die Saint-Evremont dem Fräulein von Lenclos von der Lebensauffassung Epikurs gab, deckten sich mit dem philosophischen System, das sie sich selbst zurechtgezimmert hatte. »Man wird natürlich nicht glauben,« sagt Saint-Evremont, »daß Epikur seine Zeit nur damit verbracht habe, mit Leontium und Themissa zu philosophieren: er liebte die sinnlichen Genüsse, aber als weiser Mann wußte er sich jederzeit zu mäßigen. Er gab dem Triebe der Natur nach, hielt absolute Keuschheit und Enthaltsamkeit nicht für eine Tugend; aber er hielt es für ein Laster, ein ausschweifendes Leben zu führen und war viel zu weise, um sich der Zerschlagenheit und dem ekelhaften Reuegefühl auszusetzen, das die regelmäßige Folge von dem übertriebenen Genusse aller sinnlichen Freuden ist. Er meinte, daß ein gutes Mahl nur dann bekömmlich sei, wenn man Hunger habe und daß jeder Genuß der Sinne nur dann menschenwürdig sei, wenn die Natur ihn fordere.«
Herr von Saint-Evremont hat mit dieser Idee ganz gewiß die Lehre Epikurs geschildert, aber indem er das Porträt des griechischen Philosophen zeichnete, gab er gleichzeitig ein treues Bild der Lebensanschauung des Fräulein von Lenclos. Sie erkannte sich natürlich selbst in der Schilderung Saint-Evremonts und hat sich ganz sicher herzlich darüber gefreut. Fräulein von Lenclos hatte niemals andere Grundsätze gehabt, und sie ist ihnen bis zum Ende ihres Lebens treu geblieben. Sie rühmte sich sogar, daß sie ihr Leben nach jeder Richtung hin so voll und ganz genossen habe und wollte, daß man dies anerkennen solle.
Das Werkchen, das Saint-Evremont ihr zugeschickt hatte, hatte ihre Besorgnis, daß er der Verfasser der traurigen »Gedanken über die Lehre Epikurs« sein könne, vollständig zerstreut. Sie erkannte mit Freude, daß er immer noch ihrer Freundschaft würdig war, daß sein Herz sich ebensowenig geändert habe, wie das ihre. Der regelmäßige Austausch von Briefen, den sie bis zum Ende ihres Lebens fortsetzten, beweist das große Vertrauen, das sie zueinander empfanden. Sie sprechen beide darin öfters die tiefe Befriedigung aus in einem Alter, in dem andere Menschen abgestumpft sind, noch Daseinsfreudigkeit zu empfinden und teil an den Genüssen des Lebens nehmen zu können.
Sie empfahlen sich gegenseitig Personen, von denen sie glaubten, daß sie ihrer Gesellschaft würdig wären. Frau von Sand... spricht noch heute mit der größten Dankbarkeit von dem großen Dienste, den Saint-Evremont ihr erwiesen, indem er ihre Bekanntschaft mit Fräulein von Lenclos vermittelte, als sie nach Paris kam, um den berühmten Arzt Dr. Morelli zu konsultieren. Frau von Sand... war die Tochter des berühmten Grafen von Roch...; sie hatte die Talente und den Geist ihres Vaters geerbt, und obgleich sie noch sehr jung war, als sie in der Straße Tournelle eingeführt wurde, wußte sie sich doch diesem anspruchsvollen und auserlesenen Kreise anzupassen und darin zu behaupten. Fräulein von Lenclos, die damals schon ihre künftige Bedeutung zu ahnen schien, sah sie nur mit dem größten Bedauern scheiden. »Frau von Sand...,« so schreibt sie in einem ihrer Briefe, »hat mir eine große Freude dadurch gemacht, daß sie sich in meiner Gesellschaft wohl fühlte. Ich glaubte kaum, in meinem hohen Alter noch so angenehm mit einer jungen Frau verkehren zu können. Sie hat mehr Verstand und Geist, als alle anderen Frauen Frankreichs.«
Es hieße das Bild abschwächen, das die Gräfin von Sand... noch heute von der alten Freundin im Herzen trägt, wenn man versuchen wollte, sie in diesen Memoiren zu schildern. Genug, daß noch heute, nach mehr als sechsundvierzig Jahren, der Namen des Fräuleins de Lenclos die schönsten Erinnerungen in ihr erweckt, und daß sie mit Bewunderung und Achtung von ihr spricht.
Ich würde über Herrn R..., der den Spitznamen »der Grieche« hatte, hier weiter kein Wort verlieren, wenn das, was man sich von ihm erzählt, nicht ein Beweis dafür wäre, was ich schon früher berichtete, nämlich, daß Fräulein de Lenclos sich die größte Mühe gab, das Herz und den Geist der sie besuchenden jungen Leute zu bilden. Ihre Bemühungen bei Herrn R. hatten so wenig Erfolg, daß sie bereute, sich mit ihm abgegeben zu haben. »Ich habe mich durch seine griechische Bildung blenden lassen,« sagte sie, »aber jetzt habe ich ihm endgültig den Laufpaß gegeben, weil er die Philosophie und das Leben ganz falsch auffaßt und meiner und der gebildeten Gesellschaft, die er bei mir trifft, unwürdig ist. Als Gott die Menschen geschaffen, bereute er es – ich bereue es, mich um de R... bemüht zu haben.«
Einige Memoirenschreiber nennen freilich diesen selben Herren als Helden einer anderen, etwas eigentümlichen Anekdote. Es ist aber wohl sicher, daß dies ein Irrtum ist, wahrscheinlich eine Verwechselung mit dem Abbé Gédouin, der jedenfalls eher dazu angetan war, Eindruck auf Fräulein von Lenclos zu machen und die Ninon früherer Zeiten in ihr zu erwecken.
Der Abbé Gédouin und der Abbé Frag... traten im Jahre 1694 aus dem Jesuitenkloster aus, das heißt zu einer Zeit, in der Fräulein von Lenclos mehr als 79 Jahre alt war. Fast gleichzeitig machten die beiden Herren ihre Bekanntschaft; beide waren hingerissen von ihrem seltenen Geiste und ihrem Wissen, und sie erkannten sofort den Vorteil, den sie durch den Verkehr mit dieser seltenen Frau genossen, in dem sie Gelegenheit fanden, sich in der Kunst des feinen gesellschaftlichen Tones auszubilden, den sie im Kloster nicht erlernen konnten.
Besonders der Abbé war ganz von der Liebenswürdigkeit des Fräulein von Lenclos eingenommen, und seine Bewunderung für sie verwandelte sich nur allzurasch in eine wirkliche Leidenschaft, die so stürmisch war, daß sie sogar, so unglaublich dies klingt, selbst im Herzen der Neunundsiebzigjährigen noch einmal die frühere Lust zur Sinnlichkeit entfachte. Sie versagte sich aber dennoch dem verliebten Abbé bis zu einem gewissen Termine, nämlich bis zu dem Tage, wo sie ihr achtzigstes Jahr erreichte, dann soll sie das ihm gegebene Versprechen eingelöst und seinen Wunsch erfüllt haben.
Da das Haus des Fräulein von Lenclos das Stelldichein aller talent- und verdienstvollen Leute war, war es nur natürlich, daß auch der berühmte Herr von Fontenelle sich dort einfand, der seines Geistes und seines liebenswürdigen Charakters wegen allgemein sehr geschätzt war.
»Die Frauen der ersten Gesellschaft,« schreibt Frau von Coulanges, »drängen jetzt noch vielmehr an Fräulein von Lenclos heran, wie früher die Männer. Vielleicht wollen sie von ihr die Kunst lernen, nicht alt zu werden?« Fräulein von Lenclos selbst dachte über diesen Punkt nicht weiter nach; sie beklagte die dahingeschwundene Jugend kaum, waren ihr doch die Banden der Freundschaft fast noch stärker und heiliger, wie die der Liebe gewesen. Übrigens wird dieser Ausspruch von Frau von Coulanges durch einen Brief der Frau von Sevigné dementiert. Sie schreibt: »Corbinelle erzählt mir Wunder von der guten Gesellschaft, die er immer bei Fräulein von Lenclos findet. Was auch Frau von Coulanges sagt, sie versammelt auf ihre alten Tage nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer um sich; aber selbst, wenn sie jetzt zuweilen mehr Frauen empfangen sollte, so wird sie sich darüber zu trösten wissen, da ihr ganzes Leben lang die Männer ihre Gesellschaft begehrt und gesucht haben.«
Dieselbe Briefsammlung, der wir diese Tatsachen entnehmen, erzählt uns, daß die Gesundheit Fräuleins von Lenclos im Jahre 1696 wieder einen heftigen Stoß erhielt. »Unsere liebenswürdige Lenclos,« so schreibt Herr von Coulanges, »ist von einer heftigen Erkältung befallen, die mir gar nicht gefällt«, und etwas später berichtet er: »Unsere arme Lenclos ist von einem schleichenden Fieber heimgesucht, das abends immer stärker wird; dabei hat sie ein Halsleiden, das ihre Freunde sehr beunruhigt.« Dieses Leiden schwächte sie natürlich sehr, aber sie ertrug es mit großer Geduld und lächelnder Philosophie. Sie meinte, man müsse zufrieden sein mit dem, was man noch besäße, »man müsse heute vergessen, wie es gestern gewesen, und man müsse sich im Alter ebensosehr bemühen, liebenswürdig zu sein, wie man es in der Jugend getan.« So verbrachte Fräulein von Lenclos den Rest ihres Lebens, dessen Ende sie ohne Furcht herannahen sah. »Wenn man nur, wie Frau von Chevreuse, wirklich glauben könnte, daß man in einem jenseitigen Leben alle lieben Freunde wiederfände, dann müßte es sehr hübsch sein zu sterben,« meinte sie einmal.
Frau Scarron, die große Karriere gemacht hatte und Marquise von Maintenon geworden war, – nach dem Berichte der Frau von Sevigné verdankte sie ihre Stellung bei dem Könige hauptsächlich ihrer blendenden Unterhaltungskunst, – hatte Fräulein von Lenclos, ihre alte Freundin, niemals ganz vergessen; diese hatte ohne Überraschung oder Neid stets mit größtem Interesse die glänzende Laufbahn der einstigen Gefährtin verfolgt und war kaum erstaunt, als die Marquise ihr nun den Beweis, daß sie ihr stets zugetan geblieben, dadurch lieferte, daß sie ihr ein schmeichelhaftes und glänzendes Anerbieten machte.
Sie ließ dem Fräulein von Lenclos Wohnung und freien Aufenthalt im Schlosse von Versailles und in ihrer unmittelbaren Nähe anbieten; sie sagte dabei, daß es im Interesse des Königs geschähe, dem sie Gelegenheit geben wolle, sich öfter mit einer Dame unterhalten zu können, die trotz eines Alters von fünfundachtzig Jahren und trotz ihres zarten, leidenden Zustandes doch die Lebhaftigkeit des Geistes, den feinen, auserlesenen Geschmack bewahrt habe, durch die sie noch viel berühmter geworden, als durch ihre körperlichen Reize und durch die Schwäche ihres Herzens.
Aber Fräulein von Lenclos schätzte ihre persönliche Freiheit über alles und hatte keine Lust dazu, das beschaulich heitere Leben, das sie führte, eines besseren Einkommens wegen zu opfern. Sie dankte der Marquise für ihr Anerbieten und sagte dabei, daß sie zu alt sei, um sich jetzt noch irgend einen Zwang auferlegen zu können, besonders da sie dies nie im Leben getan habe. Alles, was man von ihr erreichen konnte, war, daß sie sich eines Tages auf der Tribüne der Kapelle von Versailles einstellte und Ludwig dem Großen so Gelegenheit gab, seine Neugierde zu befriedigen und wenigstens einmal diese seltene Frau zu sehen, die das Wunder ihrer Zeit war.
Eines der interessantesten Dinge, die man aus den letzten Jahren ihres Lebens erzählt, ist der Besuch des jungen Arouet (Voltaire), der damals noch ein Knabe war. Fräulein von Lenclos betrachtete ihn mit großer Aufmerksamkeit und schien ganz hingerissen von seinen geistreichen und lebendigen Antworten zu sein; mit bewunderungswürdigem Verständnis erkannte sie in ihm sofort die großen Talente, die ihn auszeichneten, und die ihn später zu dem Range des ersten Schriftstellers seines Zeitalters erhoben. Fräulein von Lenclos interessierte sich so sehr für den geistreichen Knaben, daß sie sich lange und eingehend mit ihm unterhielt. Ihre Freundschaft für ihn war so groß, daß sie ihm sogar in ihrem Testamente eine Summe vermachte, für die er Bücher kaufen sollte. Welch glückliches Debut war dieser Besuch für Voltaire!
Die Gesundheit Fräuleins von Lenclos wurde alle Tage schwächer. Sie sah ihrem Tode mit größter Ruhe entgegen und behielt ihre Besinnung bis zum letzten Augenblicke, man sagt sogar, daß sie in der Nacht vor ihrem Hinscheiden, als sie nicht schlafen konnte, noch folgenden Vierzeiler gemacht habe:
»Erfüllt ist nun des Lebens Lauf,
Sollt ich zuletzt noch mutlos werden?
Nichts hält des Todes Stunde auf,
Was soll ich noch auf dieser Erden?«
Ninon de Lenclos starb am 17. Oktober 1706.