Hans Leifhelm
Hahnenschrei
Hans Leifhelm

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In den Bergen

        Es weht am bleichen Kalkalpenriffe
Unstät der Jochwind, die Wolken fliehn
Durch dunkle Bläue wie Geisterschiffe,
Und aus den Schroffen die Nebel ziehn
Wie heller Atem der grauen Wände,
Die schweigend ragen, verblaßt und kahl,
Bergsonne blendet mit grellem Strahl,
In rissige Steine krall ich die Hände.

Und überm Abgrund häng ich verloren,
So wie ein Geier im Felsgenist,
Hier hat nicht Stätte, was schoßgeboren,
Hier bleibt dem Herzen nur karge Frist.
Doch diese Stunde, in der ich hafte,
Mit Fuß und Hand ins Gestein verkrallt,
Ist heiße Fülle, der Pulsschlag hallt
Wie Baumes Klingen, gesprengt vom Safte.

Es rauscht im Ohre ein dumpfes Brausen,
Das flutend schwillt und verebbt und schwillt,
Sind es die Winde, die fliehend sausen,
Der Felsenklüfte geschrecktes Wild,
Sind es der Berge uralte Sagen,
Die sie da murmeln, für sich allein,
Sind es die Wasser, die im Gestein
Seit tausend Jahren die Bahn sich nagen –

Wie Meeresabgrund so sind die Tiefen
Des Tals durchsilbert vom Sonnenglast,
Als ob die Zeiten versunken schliefen –
Die Hitze dörrt mir die Haut zu Bast,
Erinnerung dämmert, auftauchend leise
Aus Erdenursprungs zeitloser Flut,
Metallisch kochend singt mir das Blut
In dieser Gipfel mythischem Kreise.

Die Kuppen ragen wie Panzertiere,
Es lockt der Höhe magischer Bann,
Daß ich wie Bergrauch mich jäh verliere,
Unendlich weht mich die Ferne an –
Ich wend zum Abstieg all meine Sinne,
Ich komm nach Stunden hinab zur Alm
Ich greif die Blätter, ich faß den Halm,
Daß ich mich fühlend wieder gewinne.

Nun hockt die Nacht über bleichen Felsen
Und schickt ins Tal schon den dunklen Blick,
Im letzten Strahle tanzen die Gelsen,
Es tropft melodisch des Quells Getick.
Ich lieg im Grase, schau Lid an Lide
Der Wetterdistel silbernen Stern,
Und tief im Süden ragt steil und fern
Des Großvenedigers Eispyramide.

 


 


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