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Kapitel XI.
Über die gegen die besprochenen Unvollkommenheiten und Mißbräuche anzuwendenden Mittel.

§ 1. Philal. Es ist hier nicht der Ort, sich in die Untersuchung über den Nutzen einer wahrhaften Beredsamkeit zu vertiefen, und noch weniger, auf Ihr Kompliment zu antworten, weil wir darauf denken müssen, diesen Gegenstand, die Worte, abzuschließen, indem wir Mittel gegen die Unvollkommenheiten aufsuchen, die wir hier bemerkt haben.

§ 2. Es würde lächerlich sein, eine Reform der Sprachen zu versuchen und die Menschen zwingen zu wollen, nur in dem Maße, als sie Erkenntnis haben, zu sprechen. § 3. Das aber wird kein zu großes Verlangen sein, daß die Philosophen sich, wenn es sich um eine ernstliche Untersuchung der Wahrheit handelt, einer genauen Ausdrucksweise befleißigen; sonst wird alles voll von Irrtümern, Einseitigkeiten, und leeren Streitigkeiten sein. § 8. Das erste Mittel ist, sich keines Wortes zu bedienen, ohne mit ihm eine Idee zu verbinden; statt dessen aber wendet man oft Worte, wie Instinkt, Sympathie, Antipathie, an, ohne irgendeinen Sinn damit zu verknüpfen.

Theoph. Die Regel ist gut, aber ob die Beispiele passen, ist mir zweifelhaft. Unter Instinkt pflegt man allgemein die Neigung eines Tieres zu dem, was ihm zuträglich ist, zu verstehen, ohne daß es die Ursache davon begreift, und selbst die Menschen sollten diese Instinkte, die sich auch bei ihnen noch entdecken lassen, obwohl ihre künstliche Lebensweise sie meistens fast gänzlich verwischt hat, nicht so sehr vernachlässigen. Der »Arzt seiner selbst« hat dies wohl bemerkt. Die Sympathie oder Antipathie bezeichnet dasjenige, was in den empfindungslosen Körpern dem Instinkt der Tiere, sich zu vereinigen oder sich zu trennen, entspricht. Und obwohl man nicht das wünschenswerte Verständnis der Ursache dieser Neigungen oder Strebungen hat, so hat man doch einen ausreichenden Begriff davon, um verständlich darüber reden zu können.

§ 9. Philal. Das zweite Hilfsmittel ist, daß die Ideen, die zu den Namen der Modi gehören, wenigstens bestimmt sein, und daß (§ 10) die Ideen, die zu den Namen der Substanzen gehören, zudem noch mit der Wirklichkeit übereinstimmen müssen. Wenn jemand sagt: die Gerechtigkeit ist ein dem Gesetze entsprechendes Verhalten hinsichtlich des Wohles eines anderen, so ist diese Idee nicht genug bestimmt, wenn man keine deutliche Idee dessen hat, was Gesetz genannt wird.

Theoph. Man könnte hier sagen, daß das Gesetz eine Vorschrift ist, die die Weisheit oder die Wissenschaft des Glücks uns erteilt.

§ 11. Philal. Das dritte Hilfsmittel besteht darin, die Ausdrücke so viel als möglich dem angenommenen Gebrauch gemäß zu verwenden.

§ 12. Das vierte besteht darin, zu erklären, in welchem Sinne man die Worte nimmt, sei es, daß man neue bildet, oder die alten in einem neuen Sinne verwendet, sei es, daß man findet, daß ihre Bedeutung im Sprachgebrauch nicht genügend fixiert sei. § 13. Es gibt dabei aber verschiedene Fälle. § 14. Die Worte für die einfachen Ideen, welche nicht definiert werden können, werden durch synonyme Worte, wenn diese bekannter sind, oder durch Hinweis auf die Sache erklärt. Durch diese Mittel kann man einem Bauer begreiflich machen, was die Farbe ist, die man mit »feuille morte« bezeichnet, indem man ihm sagt, daß es die Farbe der im Herbst herabfallenden trockenen Blätter ist. § 15. Die Namen für die zusammengesetzten Modi müssen durch die Definition erklärt werden, denn das ist möglich. § 16. Hierauf beruht es, daß die Moral des Beweises fähig ist. Man wird hierbei den Menschen, ohne sich um seine äußere Gestalt zu bekümmern, als ein zugleich körperliches und vernünftiges Wesen nehmen. § 17. Denn mittels der Definitionen können die Gegenstände der Moral klar behandelt werden. Man wird besser tun, die Gerechtigkeit nach der in unserem Geiste vorhandenen Idee von ihr zu definieren, als ein Muster derselben, wie den Aristides, außer uns zu suchen und hiernach ihren Begriff zu bilden. § 18. Und da die meisten zusammengesetzten Modi nirgends in der Wirklichkeit zusammenbestehen, so kann man sie nur dadurch fixieren, daß man ihre Definition gibt, indem man ihre verstreuten Bestandteile aufzählt. Bei den Substanzen gibt es gewöhnlich leitende oder charakteristische Eigenschaften, die wir als das unterscheidende Kennzeichen der Art betrachten und mit denen wir die übrigen Ideen, die die komplexe Idee der Art bilden, verbunden denken. Bei Pflanzen und Tieren ist dies die Gestalt, bei den leblosen Körpern die Farbe, und bei einigen die Farbe und Gestalt zusammen. § 20. Darum ist die von Plato gegebene Definition des Menschen charakteristischer, als die des Aristoteles; wenigstens dürfte man sonst nicht die Mißgeburten töten. § 21. Oft leistet auch der Blick ebenso gute Dienste wie irgendeine andere Prüfung: so unterscheiden Leute, die mit der Prüfung des Goldes vertraut sind, oft mit dem bloßen Auge das echte vom falschen, das reine vom verfälschten Gold.

Theoph. Ohne Zweifel kommt alles auf die Definitionen zurück, die bis zu den ursprünglichen Ideen gehen können. Ein und derselbe Gegenstand kann mehrere Definitionen haben; um aber zu wissen, daß sie demselben Dinge zukommen, muß man darüber entweder von der Vernunft belehrt werden, indem man die eine Definition mit Hilfe der andern beweist, oder durch die Erfahrung, indem man erprobt, daß sie beständig zusammengehen. Was die Moral betrifft, so ist ein Teil von ihr gänzlich in der Vernunft begründet, aber es gibt auch einen anderen, der von den Erfahrungen abhängt und sich auf die Temperamente bezieht. Für die Erkenntnis der Substanzen liefern uns Gestalt und Farbe, d. h. das Sichtbare, die ersten Ideen, weil man hieran die Dinge von weitem erkennt; aber diese Ideen sind gewöhnlich zu oberflächlich; und bei den Dingen, die uns wichtig sind, sucht man die Substanzen näher kennen zu lernen. Ich wundere mich übrigens, daß Sie noch einmal auf die Definition des Menschen zurückkommen, die man dem Plato zuschreibt, nachdem Sie selbst soeben gesagt haben, daß man in der Moral den Menschen als ein körperliches und vernünftiges Wesen nehmen muß, ohne sich um seine äußere Gestalt zu bekümmern. Übrigens trägt eine große Übung allerdings viel dazu bei, um Dinge, die ein anderer kaum durch schwierige Versuche festzustellen vermag, mit dem bloßen Gesicht zu unterscheiden. Auch erkennen Ärzte von großer Erfahrung, die einen scharfen Blick und ein gutes Gedächtnis haben, oft beim ersten Anblick des Kranken, was ein anderer ihm durch Fragen und durch das Fühlen des Pulses nur mit Mühe entreißen kann. Aber es ist gut, alle Kennzeichen, die man haben kann, miteinander zu verbinden.

§ 22. Philal. Ich gebe zu, daß der, dem ein guter Münzwardein alle Eigenschaften des Goldes anzeigt, davon eine bessere Erkenntnis erhalten muß, als der bloße Anblick sie ihm geben kann. Könnten wir aber die innere Beschaffenheit des Goldes erkennen, so könnte die Bedeutung des Wortes ebenso leicht wie die des Wortes Dreieck bestimmt werden.

Theoph. Sie könnte dann ebenso gut bestimmt werden, so daß der Begriff keine bloß vorläufigen Bestandteile mehr enthielte; doch würde die Bestimmung niemals so leicht vonstatten gehen. Denn es wäre, glaube ich, eine etwas weitläufige Unterscheidung nötig, um die Struktur des Goldes zu erklären, wie es ja selbst in der Geometrie Figuren gibt, deren Definition lang ist.

§ 23. Philal. Die reinen, von den Körpern losgelösten Geister haben ohne Zweifel vollkommenere Erkenntnisse als wir, obschon wir keinen Begriff von der Art und Weise haben, wie sie sie erwerben können. Sie könnten indessen von der innersten Bildung der Körper ebenso klare Ideen besitzen, als wir sie von einem Dreieck haben.

Theoph. Ich habe Ihnen schon bemerkt, daß ich Ursachen habe, anzunehmen, es gebe keine geschaffenen Geister, welche gänzlich vom Körper losgelöst wären; indessen gibt es ohne Zweifel solche, deren Organe und deren Verstand unvergleichlich vollkommener als die unsrigen sind und die uns in jeder Art des Begreifens soweit und noch mehr übertreffen, als Frenicle Bernhard Frénicle de Bessy(etwa 1602-1675),bekannt durch seine Leistungen auf dem Gebiete der Zahlentheorie; näheres über ihn in Cantors Gesch. der Mathematik3, II, 783ff. oder der von mir erwähnte schwedische Knabe den Durchschnitt der Menschen im Kopfrechnen übertrifft.

§ 24. Philal. Wir haben schon bemerkt, daß die Definitionen der Substanzen, die dazu dienen können, die Namen zu erklären, wenn es sich um die Erkenntnis der Dinge handelt, unvollkommen sind. Denn gewöhnlich setzen wir den Namen an Stelle der Sache, der Name besagt also mehr, als die Definitionen enthalten, wir müssen daher, um die Substanzen gut zu definieren, die Naturgeschichte studieren.

Theoph. Sie sehen also, daß z. B. der Name des Goldes nicht allein das bezeichnet, was der, welcher ihn ausspricht, vom Golde weiß (wie etwa, daß es ein sehr schwerer gelber Körper ist), sondern auch, was er nicht weiß, was aber ein anderer wissen kann, d. h. daß es ein Körper von einer bestimmten inneren Beschaffenheit ist, aus der die Farbe und die Schwere sich ergeben und aus der noch andere Eigenschaften entspringen, welche, wie er zugibt, den Sachkennern besser bekannt sind.

§25. Philal. Es wäre nun zu wünschen, daß diejenigen, welche in naturwissenschaftlichen Untersuchungen geübt sind, die einfachen Ideen, in denen ihrer Beobachtung zufolge die Individuen jeder Art beständig miteinander übereinkommen, angeben wollten. Um aber ein Wörterbuch dieser Art anzufertigen, das sozusagen die Naturgeschichte in sich schließen würde, wären zu viel Leute, zu viel Zeit, zu viel Mühe und zu viel Scharfsinn erforderlich, als daß man auf ein solches Werk jemals hoffen könnte. Indessen würde es gut sein, die Worte, soweit sie sich auf Dinge beziehen, die man an ihrer äußeren Gestalt erkennt, mit kleinen Abbildungen zu begleiten. Ein solches Wörterbuch würde der Nachkommenschaft von großem Nutzen sein und den künftigen Kritikern viel Mühe ersparen. Kleine Bilder, wie vom Eppich ( apium) oder von einem Steinbock ( ibex, eine Art wilden Bockes), wären mehr wert als lange Beschreibungen dieser Pflanze oder dieses Tieres. Und um zu erkennen, was die Lateiner strigiles und sistrum, tunica und pallium nannten, würden Zeichnungen am Rande unvergleichlich mehr wert sein, als die angeblichen Synonyma Striegel, Cymbale, Robe, Kleid, Mantel, aus denen man kaum eine deutliche Vorstellung hiervon gewinnen kann. Übrigens will ich mich nicht bei dem siebenten Hilfsmittel gegen den Mißbrauch der Worte aufhalten, das darin besteht, beständig denselben Ausdruck in demselben Sinne anzuwenden, oder wenn man ihn wechselt, dies anzuzeigen. Denn davon haben wir schon genug geredet.

Theoph. Pater Grimaldi Leibniz hatte Grimaldi in Wien kennen gelernt, trat mit ihm in Korrespondenz und empfing von ihm, nachdem derselbe nach Peking zum Vorsteher der Sternwarte und des chinesischen Kalenderwesens berufen worden war, viele interessante Mitteilungen. (Sch.). Vgl. Leibniz' Brief an Grimaldi (Epistola de Miscellaneis philosophicis et mathematicis, Dutens V, 75 ff.)., Präsident des Tribunals der Mathematiker zu Peking, hat mir gesagt, daß die Chinesen Wörterbücher haben, welche mit Bildern versehen sind. Es gibt ein kleines, zu Nürnberg gedrucktes Wortverzeichnis, wo bei jedem Worte solche Bilder stehen, die recht gut sind. Ein solches illustriertes Universallexikon wäre zu wünschen, und es herzustellen würde nicht sehr schwierig sein. Was die Beschreibung der Arten betrifft, so ist das gerade die Aufgabe der Naturwissenschaft, und man macht allmählich Fortschritte in dieser Arbeit. Ohne die Kriege, welche Europa seit den ersten Gründungen der königlichen Gesellschaften oder Akademien beunruhigt haben, wäre man bereits weit gekommen und würde schon imstande sein, von unseren Arbeiten Nutzen zu ziehen. Aber die Großen kennen deren Wichtigkeit meistens nicht, noch wissen sie, welcher Güter sie sich berauben, indem sie die Förderung der gründlichen Kenntnisse vernachlässigen; auch sind sie gewöhnlich durch die Vergnügungen des Friedens und durch die Sorge für den Krieg zu sehr in Anspruch genommen, um die Dinge, welche ihnen nicht gleich von vornherein in die Augen stechen, richtig zu würdigen.

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