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Kapitel IV.
Von den Namen der einfachen Ideen.

§ 2. Philal. Ich gestehe, die Bildung von Modi immer für willkürlich gehalten zu haben, während ich bezüglich der einfachen Ideen und der Ideen von Substanzen überzeugt war, daß sie, neben der bloßen Möglichkeit, ein wirkliches Dasein bezeichnen müßten.

Theoph. Ich sehe nicht ein, daß dies notwendig ist. Gott besitzt die Ideen dieser Art, bevor er die Gegenstände dieser Ideen geschaffen, und nichts hindert, daß er verständigen Kreaturen solche Ideen auch mitteilen könne; ja es gibt nicht einmal einen bündigen Beweis dafür, daß die Gegenstände unserer Sinne und der einfachen Ideen, die die Sinne uns vergegenwärtigen, außer uns vorhanden sind. Dies gilt vor allem für diejenigen, die mit den Kartesianern und unserem berühmten Autor glauben, daß unsere einfachen Ideen der sinnlichen Eigenschaften keine Ähnlichkeit mit dem haben, was außer uns in den Gegenständen existiert; es würde danach keinen zwingenden Grund geben, daß diese Vorstellungen in einem wirklichen Dasein begründet sein müßten.

§§ 4. 5. 6. 7. Philal. Wenigstens werden Sie mir jenen andern Unterschied zwischen den einfachen und den zusammengesetzten Ideen zugeben, daß nämlich die Namen der einfachen Ideen nicht definiert werden können, während die der zusammengesetzten Ideen eine Definition zulassen. Denn die Definitionen müssen mehr als einen Ausdruck enthalten, deren jeder eine Idee bezeichnet. So sieht man, was der Definition fähig und was ihrer nicht fähig ist und warum die Definitionen nicht ins Unendliche gehen können, was bis jetzt, soviel ich weiß, niemand bemerkt hat.

Theoph. In einer kleinen Abhandlung über die Ideen, die vor ungefähr zwanzig Jahren in die Acta zu Leipzig eingerückt wurde, habe ich auch schon bemerkt, daß die einfachen Ausdrücke keine Nominaldefinition haben können, zugleich aber habe ich hinzugefügt, daß, wenn die Ausdrücke nur in Hinsicht auf uns einfach sind (sofern wir nicht das Mittel haben, sie zu analysieren, um zu den ursprünglichen Perzeptionen, aus denen sie sich zusammensetzen, zu gelangen) – wie z. B. heiß, kalt, gelb, grün –, sie eine Realdefinition erhalten können, die ihre Ursache erklären würde. So ist die Realdefinition von Grün die, daß es das Blaue und Gelbe in gehöriger Mischung sei; obwohl das Grüne als solches ebensowenig wie das Blaue und Gelbe einer Nominaldefinition, fähig ist, vermöge deren man es wiedererkennen könnte. Dagegen lassen die an und für sich einfachen Ausdrücke, d. h. die, von denen man einen klaren und deutlichen Begriff hat, keine Definition, weder eine nominale, noch eine reale, zu. Sie werden in jenem kleinen Versuch, der in den Acta von Leipzig erschienen ist, die Grundlagen eines guten Teils der Lehre vom Verstand im Abriß erläutert finden S. Band I, S. 22-29..

§§ 7. 8. Philal. Es wäre gut, diesen Punkt zu erläutern und anzugeben, was definiert werden kann und was nicht. Ich bin versucht, zu glauben, daß sich oft große Streitigkeiten erheben und daß viel Unsinn sich in die Reden der Menschen einschleicht, weil man nicht daran denkt. Jene berühmten Streitpunkte, von denen man in den Schulen so viel Wesens macht, haben ihren Grund darin, daß man auf diesen Unterschied in den Ideen nicht gehörig geachtet hat. Auch die größten Meister in der Methode sind genötigt gewesen, den größten Teil der einfachen Ideen undefiniert zu lassen, und wenn sie versucht haben, es zu tun, ist es ihnen nicht geglückt. Hätte z. B. wohl der menschliche Geist ein künstlicheres Gallimathias erfinden können, als das jener Aristotelischen Definition: die Bewegung sei die Verwirklichung eines der Möglichkeit nach Bestehenden, sofern es der Möglichkeit nach besteht S. ob. Anm. 59 (Buch II).. § 9. Die Modernen dagegen setzen, wenn sie die Bewegung als den Übergang von einem Ort in einen anderen erklären, nur ein gleichbedeutendes Wort an die Stelle des anderen.

Theoph. Ich habe schon in einer unserer früheren Unterredungen bemerkt, daß man bei Ihnen häufig Ideen als einfache gelten läßt, die es nicht sind. Zu diesen gehört die Bewegung, welche ich für definierbar halte, und die Definition, welche sie als Ortsveränderung erklärt, ist nicht zu verachten. Die Definition des Aristoteles ist nicht so widersinnig, als man denkt, denn man beachtet hierbei nicht, daß das griechische Wort κίνησις bei ihm nicht das bezeichnete, was wir Bewegung nennen, sondern das, was wir durch das Wort Veränderung ausdrücken würden. Daher kommt es, daß er ihm eine so abstrakte und metaphysische Definition gibt, während das, was wir Bewegung nennen, bei ihm φορὰ, latio , genannt wird und unter die Arten der Bewegung (τῆς, κινήσεως) fällt Genauer unterscheidet Aristoteles vier Arten der Veränderung, die unter die »Bewegung« (κίνησις) als allgemeinen Oberbegriff befaßt werden: die Ortsveränderung (κίνησις κατὰτόπονφορὰ; die quantitative Veränderung (αὔξησις καὶφθίσιςτὸποίον); die qualitative Veränderung (κ κατὰτὸποίον) und die substantielle Veränderung (Entstehen und Vergehen, γένεσιςφθορὰ) vgl. Phys. III, 1..

§ 10. Philal. Zum mindesten werden Sie aber doch die Definition, die derselbe Autor vom Licht gibt, daß es der Akt (oder die Wirklichkeit) des Durchsichtigen sei, nicht entschuldigen.

Theoph. Ich finde sie gleich Ihnen sehr unnütz, und er bedient sich überhaupt allzuoft seines »Aktes«, der uns doch nicht viel sagt. Durchscheinend heißt ihm ein Medium, durch welches man hindurchsehen könnte, und das Licht besteht nach ihm darin, daß es diese Eigenschaft in die Wirklichkeit überführt. Gut denn! Über die Aristotelische Definition des Lichts (als den Akt des Durchsichtigen als Durchsichtigen) vgl. die Anführungen in Goethes »Geschichte der Farbenlehre« (Hempelsche Ausg. XXXVI, 18 ff.).

§ 11. Philal. Wir sind also darüber einverstanden, daß sich von unseren einfachen Ideen keine Nominaldefinitionen geben lassen, und so können wir denn den Geschmack der Ananas aus der Schilderung von Reisenden nicht kennen lernen, es müßte denn sein, daß wir die Fähigkeit besäßen, die Dinge durch die Ohren zu schmecken, wie Sancho Pansa das Vermögen besaß, die Dulcinea durch Hörensagen zu sehen, oder wie jener Blinde, der von dem Glanz des Scharlachs so viel hatte reden hören, glaubte, die Scharlachfarbe müsse dem Schall der Trompete gleichen.

Theoph. Sie haben Recht, und alle Reisenden der Welt hätten uns durch ihre Schilderungen nicht das geben können, was wir einem Edelmann unseres Landes verdanken, der etwa drei Meilen von Hannover an dem Ufer der Weser mit Erfolg Ananas zieht und dem es gelungen ist, sie dergestalt zu vermehren, daß wir sie vielleicht eines Tages auf unserem Grund und Boden ebenso reichlich wie die portugiesischen Apfelsinen haben können, wenn auch ihr Geschmack anscheinend dabei einige Einbuße erfahren würde.

§ 12. 13. Philal. Ganz anders verhält es sich mit den zusammengesetzten Ideen. Ein Blinder kann verstehen, was Statue bedeutet, und ein Mensch, der niemals den Regenbogen gesehen hätte, würde begreifen können, was das ist, wenn er nur die Farben gesehen hätte, aus denen er besteht. § 15. Wenngleich indessen die einfachen Ideen nicht definierbar sind, so sind sie nichtsdestoweniger doch die am wenigsten zweifelhaften; denn die Erfahrung leistet mehr als die Definition.

Theoph. Gleichwohl findet sich hinsichtlich der Ideen, die nur in bezug auf uns einfach sind, eine gewisse Schwierigkeit. Es würde z. B. schwierig sein, die Grenzen des Blauen und des Grünen genau zu bestimmen und überhaupt die einander sehr naheliegenden Farben zu unterscheiden, während wir genaue Begriffe der Termini, deren man sich in der Arithmetik und Geometrie bedient, haben können.

§ 16. Philal. Auch haben die einfachen Ideen noch die Eigentümlichkeit, daß sie, von der untersten Art bis zur höchsten Gattung hin, nur eine sehr geringe Unterordnung – gemäß dem, was die Logiker Prädikamentallinie nennen – aufweisen. Dies liegt daran, daß die unterste Art nur eine einfache Idee ist, von der sich somit nichts abziehen läßt; so kann man z. B. von den Ideen des Weißen und des Roten nichts abziehen, um die gemeinsame Erscheinung übrig zu behalten, in der sie übereinstimmen. Darum faßt man sie mit dem Gelben und anderen unter dem Gattungsbegriff oder dem Namen Farbe zusammen. Will man dann einen noch allgemeineren Ausdruck bilden, der auch die Töne, die Geschmäcke und die Tastqualitäten umfassen soll, so braucht man den allgemeinen Ausdruck der Qualität in dem Sinne, den man ihm gewöhnlich gibt, um diese Eigenschaften von der Ausdehnung, der Zahl, der Bewegung, der Lust und dem Schmerze zu unterscheiden, die durch mehr als einen Sinn auf den Geist wirken und ihm ihre Ideen zuführen.

Theoph. Ich habe über diese Bemerkung noch etwas zu sagen, hoffe jedoch, daß Sie mir hier und anderwärts die Gerechtigkeit widerfahren lassen werden, zu glauben, daß es nicht aus einem Geist des Widerspruchs geschieht, sondern weil die Sache es zu fordern scheint. Es ist kein Vorteil, daß die Ideen der sinnlichen Eigenschaften so wenig gegenseitige Unterordnung aufweisen und so wenig der Untereinteilungen fähig sind, denn das kommt nur daher, daß wir sie so wenig kennen. Schon dies indes, daß alle Farben darin übereinstimmen, daß sie durch das Gesicht wahrgenommen werden, daß sie sämtlich durch die Körper dringen, durch welche eine oder die andere von ihnen hindurchgeht und daß sie von den glatten Oberflächen der Körper, die sie nicht durchlassen, zurückgeworfen werden, gibt zu erkennen, daß man von den Ideen, die wir von ihnen haben, doch etwas abtrennen kann. Man kann sogar die Farben mit gutem Grunde in extreme (von denen das eine, nämlich das Weiße, positiv, das andere, nämlich das Schwarze, privativ ist) und in mittlere, die man noch in einem spezielleren Sinne Farben nennt, einteilen. Diese letzteren entstehen aus dem Licht durch Brechung; und man kann sie noch weiter in solche einteilen, die auf der konvexen, und solche, die auf der konkaven Seite des gebrochenen Lichtstrahls liegen. Diese Einteilungen und Untereinteilungen der Farben sind von nicht geringer Wichtigkeit.

Philal. Wie kann man aber Gattungen in diesen einfachen Ideen finden?

Theoph. Da sie nur dem Anscheine nach einfach sind, so finden sich stets Umstände, die sie begleiten und mit ihnen in Zusammenhang stehen, wenngleich dieser Zusammenhang von uns nicht verstanden wird. Diese Umstände nun liefern uns etwas, was der Erklärung und der Analyse fähig ist, und auch einige Hoffnung gewährt, daß man dereinst die Gründe dieser Erscheinungen wird finden können. Daher kommt es, daß in unseren Perzeptionen der sinnlichen Eigenschaften wie auch in denen der sinnlichen Massen eine Art von Pleonasmus stattfindet: und dieser Pleonasmus besteht darin, daß wir von demselben Gegenstand mehr als einen Begriff besitzen. Das Gold läßt verschiedene Nominaldefinitionen zu: man kann sagen, daß es der schwerste oder daß es der dehnbarste der uns bekannten Körper ist, oder aber, daß es ein schmelzbarer Körper ist, der der Kapelle und dem Scheidewasser widersteht usw. Jedes dieser Merkmale ist gut und genügt, um das Gold wiederzuerkennen, wenigstens vorläufig und bei dem Zustand der Körper, der uns gegenwärtig bekannt ist, solange, bis sich ein noch schwererer Körper findet, wie einige Chemiker dies von ihrem Stein der Weisen behaupten, oder bis man jene Luna fixa aufzeigen kann: ein Metall, das die Farbe des Silbers, dagegen fast alle übrigen Eigenschaften des Goldes haben soll, und von dem der Ritter Boyle zu behaupten scheint, daß er es hergestellt habe »Luna« ist der alchymistische Name des Silbers; die Luna fixa ein angebliches Metall, welches die Farbe des Silbers, aber die Schwere und Unverwüstlichkeit des Goldes besitzen soll. Da zur Zeit Boyles das Platin noch nicht bekannt war, müssen wir annehmen, daß das, was Boyle gesehen hat oder gesehen haben soll, eine metallische Mischung war (Sch.).. Auch kann man sagen, daß die Definitionen für alle Dinge, von denen wir nur eine empirische Kenntnis besitzen, nur vorläufig sind, wie ich schon vorher bemerkt zu haben glaube. Wir wissen also tatsächlich nicht mit demonstrativer Gewißheit, ob nicht eine Farbe durch die bloße Reflexion ohne Refraktion entstehen kann, und ob nicht die Farben, die wir bisher bei der gewöhnlichen Refraktion an der konkaven Seite beobachtet haben, sich auf der konvexen Seite in einer bisher unbekannten Weise der Refraktion vorfinden und umgekehrt. Auf diese Weise würde die einfache Idee des Blauen von dem Gattungsbegriff, den wir ihr auf unsere Erfahrungen hin zugewiesen haben, getrennt werden müssen. Es ist indes gut, sich an das Blau, wie wir es haben, und an die Umstände, die es begleiten, zu halten. Auch ist es schon etwas wert, daß diese Umstände uns Anhaltspunkte geben, um Gattungen und Arten zu bilden.

§ 17. Philal. Was sagen Sie aber zu der Bemerkung, daß die einfachen Ideen, da sie aus dem Dasein der Dinge geschöpft sind, keineswegs willkürlich sind, während die der gemischten Modi dies gänzlich und die der Substanzen es wenigstens in einem gewissen Sinne sind?

Theoph. Ich glaube, daß die Willkürlichkeit nur in den Worten, keineswegs aber in den Ideen liegt. Denn diese drücken nur Möglichkeiten aus, so daß z. B., wenn es auch niemals einen Vatermord gegeben hätte, und wenn alle Gesetzgeber ebensowenig daran gedacht hätten, von ihm zu sprechen wie Solon, der Vatermord dennoch ein mögliches Verbrechen und die Idee von ihm eine reelle Idee wäre. Denn die Ideen sind in Gott von aller Ewigkeit her, ja sie sind auch in uns, bevor wir tatsächlich an sie denken, wie ich in unseren ersten Unterredungen gezeigt habe S. ob. S. 95 und Anm. 8 (Buch II).. Wenn jemand das Wort Idee dagegen nur für wirkliche Gedanken der Menschen braucht, so steht ihm das frei, aber er würde sich dann ohne Grund mit dem angenommenen Sprachgebrauch in Gegensatz setzen.


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