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Es ist eine traurige Zeit um alles Reisen geworden. Es begegnet einem nichts mehr, weder etwas Komisches, noch etwas Trauriges. Man langweilt sich und das ist Alles. Es zerbricht kein Wagen mehr, man hat kein Abentheuer mehr im Wirthshause, man wird nicht mehr zum Ritter an einer Dame, denn die sind jetzt so eingefahren trotz einem Manne, nicht einmal zu einem anmuthigen Gespräche bringt man es. Als ich vor einer Reihe Jahren nach Leipzig fuhr – es waren sieben Meilen Weges – brauchte ich zwanzig Stunden dazu, und es war Zeit genug, daß ich die Lebensgeschichten aller Mitreisenden erfuhr. Jetzt kann man um die Welt fahren und man macht nichts auf, als die Börse, den Mund am wenigsten. Entweder das summende Volk der reisenden Kommis, die für ihr Geschäft um so schwerer wiegen, je leichter sich ihre Zunge bewegt, schwirrt einem um die Ohren und kramt die Musterkarten der auf der Straße eingesammelten Erfahrungen aus, oder ein Trupp Engländer streckt einem die gähnenden Gesichter entgegen, auf denen sich die Langeweile eines ganzen Welttheils aufgespeichert hat. Einem der beiden Uebel ist schon nicht zu entgehen und es bleibt nichts übrig, als sich in seine eigenen Gedanken einzuspinnen. Bis Lüttich war der Wagen vollgepfropft mit Englischen Zugvögeln, die ihre Zeit auf dem Kontinente abgemacht hatten und nach ihren alten Nestern zurückflogen, mit der gehörigen Anzahl von Guides und Panoramas als Denkzeichen und Belege. Großeltern, Kinder, Enkel, ein ganzes Haus voll hockte zusammen. Nicht einmal mit einander sprachen sie, geschweige mit einem Fremden. Es war eine schöne Familienscene.
Ich war froh, als wir in Lüttich einfuhren, durch die engen, lebendigen Straßen, die sich so lang an dem breiten Flusse hinstrecken. Ich möchte die Stadt schon leiden, wenn die Menschen und Pferde nur von besserer Race wären. Es ist alles so knochig und derb, daß alle Schönheit darunter erstickt wird. Es ist alles fest und tüchtig, der Bau der Wohnungen, wie der Menschen, aber auch eben so zusammengedrückt. Allein die Stadt selbst interessirt doch, wie alles Alterthümliche. – Diese schmalen Gassen, diese weiten Plätze, in die sich so oft die stürmischen Wogen einer tobenden Menge ergossen, haben so manches blutige Stück Geschichte gesehen. Und nichts gibt einer Stadt besseres Relief, als historische Erinnerungen. Es scheint ein eigener tumultuarischer Sinn in diesem Lütticher Blute zu stecken, das in ewiger Gährung ist und bei jeder Gelegenheit gern in die Höhe schäumt. Seit dem Eber der Ardennen hat das Rebelliren das Hauptvergnügen dieses Volkes ausgemacht, und wo es im Lande Feuer gab, half Lüttich gewiß anschüren und war obenan. Noch in der letzten Zeit haben sie den Ausschlag gegeben gegen Holland und es ist die Frage, ob sie nicht wieder die Ersten wären, eine neue Veränderung zu bewirken. Wenigstens herrscht kein Enthusiasmus für das Bestehende. Man müßte immer etwas Neues für sie erfinden, wie für die Pariser.
Ich schlenderte durch die Straßen, nach den Kirchen, die alt, aber auch kahl genug sind. Gar wenig Spuren früherer Macht und Herrlichkeit. Im Rathhause, wo so mancher mörderische Streit entschieden worden, haben sie im Flur einen Tanzsaal eingerichtet, wo dem Volke jetzt auf lustigere Weise aufgespielt wird; statt mit Blut zahlt es jetzt mit Geld; das Gold hat den Stahl verdrängt, aber die Noth ist dieselbe. In das Bischöfliche Schloß haben sie die Justiz und die Regierung verlegt, und den Hof haben sie zum Markte gemacht für Gemüseweiber und die alterthümlichen Gallerien zu Hallen für Antiquare. Die Krämerei ist an der Tagesordnung. Der Lärm der Assisen tobt in den Prunkzimmern eines feingebildeten Hofes, und von unten herauf schallt das Wallonische Geschrei schmutziger Weiber. Wir sind allesammt trockene Utilitarier geworden.
Auf dem Lambertusplatze vor dem Pallaste war Parade. Die Truppen waren an allen vier Seiten aufgestellt. Ein Detaschement Jäger brachte ein Paar Deliquenten in das Carré, denen ein Unteroffizier ein Bandelier über den Kopf hängte und es hernach unter den Füßen wieder hervorzog. Damit waren sie degradirt. Sie mußten ihre Uniform von sich thun, graue leinene Jacken anziehen und sich Handschellen anlegen lassen. Ein Paar Gendarmen nahmen sie in die Mitte und führten sie darauf längs der ganzen Fronte und dann in's Gefängniß. Die armen Burschen hatten gegen die Subordination gefehlt und schienen freilich nicht sehr ergriffen von ihrer Strafe. Es ist übrigens ein Vergehen, das dem Belgischen Militair leicht genug gemacht wird, da niemand von Respekt gegen Offiziere etwas zu wissen scheint. Es ist eine Seltenheit, wenn ein Soldat so viele Notiz von seinen Oberen nimmt, daß er sich die Mühe gibt, im Vorbeigehen nur flüchtig zu grüßen. »Hier herrscht Gleichheit,« sagte ein sehr gefälliger Polnischer Kapitain, den die Revolution in Belgische Dienste getrieben hatte. »Gleichheit verträgt sich schlecht mit Disciplin. Neulich ging es noch toller zu. Ein Hauptmann hatte seine Kompagnie zum Marschiren antreten lassen, schon das Gewehr im Arm! kommandirt, als es plötzlich drei Mann einfiel, aus Reih und Glied zu treten, und erst noch zu einer Marketenderin zu laufen und sich mit einigen Gläsern Branntwein zu erfrischen. Der Hauptmann wurde ganz roth vor Wuth, aber er schwieg still, das Volk und das Weib lachten ihn obenein aus und das Letztere war frech genug, mit dem Wechseln des Geldes recht lange zu zögern, um dem Skandal desto größere Dauer zu geben.«
Man spricht recht viel von dem guten Geiste, der in die Französische Armee dadurch kömmt, daß Offiziere und Soldaten auf so vertrautem Fuße mit einander leben; wenn er sich aber so äußert, habe ich allen Respekt. Wo alle Scheidewände fallen, sieht es schlimm um die Gesellschaft aus und die dünneren Gliedmaßen kommen zu schlecht weg. Der Geist geht jedenfalls ganz unter. Ich habe erst heut ein Beispiel davon erlebt. Ich saß hinter einem Belgischen Kapitain und einem Kanonier, die einen jungen Menschen in der Mitte hatten, der die Belgische Armee auf das Schmählichste lächerlich machte. Er mockirte sich über ihre Haltung, über ihre Gelehrigkeit, über ihre Feigheit und meinte eben, wenn nicht England und Frankreich sie so fest hielten, so brauchte sie Holland nur anzublasen, um sie über den Haufen zu werfen. Der Kanonier stimmte ganz naiv mit ein und der Hauptmann schwieg dazu. Was läßt sich vom Offizier erwarten, wo der Soldat in dessen Gegenwart so seine Waffen herabsetzen darf, was vom Soldaten, wo der Offizier dies schweigend anhört?
Gleich nach der Exekution marschirten die Truppen zugweise ab, Jäger, Grenadiere und Artillerie, beide letztere Korps in schöner, kleidsamer Uniform, mit bärtigen Sapeurs voran, die ihr Handwerkzeug, Sägen, Spaten und Beile, ganz verwegen schwangen. Gut, daß keiner unserer Deutschen Offiziere da war. Das Marschiren hätte ihm eine Ohnmacht oder ein Gallenfieber zugezogen. Fast lauter hübsche Leute, aber nicht zwei Mann, die Schritt mit einander hielten. Aus purem Schönheitssinn bildeten die Züge die herrlichsten Schlangenlinien und jeder hielt das Gewehr, eben wie er Lust hatte. Alles war ungleich aus lauter Gleichheitssinn. Die Offiziere fragten sich einander, was sie kommandiren sollten. » Marchez comme moi!«, rief ein Lieutenant dem Führer eines Zugs hinter ihm zu.
Es wird zwar oft genug über unser mühsames Drillen der Soldaten gespottet, aber unter Napoleon marschierten die Truppen wie Ein Mann und alle Evolutionen mußten wie mit dem Zirkel abgemessen seyn. Was läßt sich auch von dem Geiste des Ganzen erwarten, wenn die Ausführung des Einzelnen nicht mit maschinenmäßiger Genauigkeit erfolgt, wenn nicht Eins sich genau an das Andere anschließt? Eine Kompagnie gutgeübter Mannschaft, die an einander geschlossen, wie eine Mauer, vorrückt, wird sich immer durch ein ganzes Regiment Bahn brechen, das lose und locker in einer willkührlichen Cadenz heranhüpft. Wenn die Belgische Armee, namentlich die Infanterie, in ihrem jetzigen schlottrigen Zustande bleibt, so wünsche ich ihr den ewigen Frieden.
Vor einigen zwanzig Jahren ging es freilich noch unruhiger zu auf diesem Platze und es blieb nicht beim Degradiren von ein Paar Mann stehen. Ganze Trupps mußten vortreten und die ihnen gegenüber standen, hatten scharf geladen, und als das Kommando erschallte, sanken die Straffälligen in ihr Blut und büßten mit dem Leben ihren wilden Ungehorsam. Auf diesem Platze hatten die Sächsischen Regimenter gestanden und sich empört gegen den Befehl, der sie den Preußischen Adlern einverleibte, die in ihrem alten Vaterlande aufgepflanzt worden, von hier waren sie angestürmt gegen das Schloß, aus dem der alte Blücher den Spektakel mit ansah, hier standen sie umzingelt von den Schaaren, die siegreich die Schlachten gegen den Feind Deutschlands geschlagen, und mußten sich beugen unter die neuen Fahnen, die ihnen damals aufgedrungen werden mußten und die jetzt ihr Stolz sind.