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Firnos wurde endlich mit vieler Mühe dahin gebracht, eine Einladung von Mistreß Montgomery anzunehmen, denn obgleich Margarete noch ledig war, nannte sie sich doch Mistreß, um mehr Freiheit genießen zu können. Sie gab sich für eine verheiratete Frau aus, deren Mann abwesend sei, damit ihre Art zu leben weniger Aufsehen in der Nachbarschaft verursachen möchte. Eine Träne der Dankbarkeit stand in ihrem Auge, als sie den Sohn Agalvas wieder erblickte. Sie stellte ihm alle ihre Kinder dem verschiedenen Alter nach vor, und niemals hatte er eine liebenswürdigere Gruppe gesehen. »Hier, Jeannette,« sagte sie zu ihrer ältesten Tochter, »ist der Sohn der edlen Frau, die dein Leben rettete.« Jeannette verbeugte sich und komplimentierte den Prinzen. »Wie,« sagte die Mutter, »hast du keine anderen Beweise deiner Dankbarkeit als eine Verbeugung und ein Kompliment?« – Mit holder Freudigkeit bot sie ihm nun ihre Lippen dar, und der Prinz küßte sie mit brüderlicher Zärtlichkeit, denn seine Mutter hatte ja ihr Leben gerettet! Jeannette gehörte die Palme der Schönheit, wenn die zweite Tochter, Camilla, nicht gegenwärtig war.
So angelegen es sich aber auch Mistreß Montgomery sein ließ, ihren Gästen alle Ehre zu erzeigen, so war doch, da sie eben im Begriff stand, den Geliebten ihres Herzens zu verlieren, unverkennbare Schwermut ihrem Gesichte eingegraben, und umsonst versuchten es ihre beiden Töchter, die Unterhaltung bei Tische heiter zu machen.
Die Bedienten hatten sich eben entfernt, als Don Antonio di Collatini angemeldet wurde.
»Wünschen Sie mir Glück,« sagte er, »es war bloß falscher Lärm. Ich habe sehr gute Nachrichten von Avignon erhalten, meine Gegenwart ist dort unnötig, ich bleibe in England.«
Mistreß Montgomery drückte ihm die Hand, und ihre Augen glänzten vor Freude. »Wie glücklich, wie unaussprechlich glücklich bin ich,« rief sie aus. – Nachdem die zwei Liebenden einige Zeit leise miteinander gesprochen hatten, fuhr sie fort: »Hier, mein lieber Don Antonio, stelle ich Ihnen den Abkömmling von Semiramis, den Sohn der Prinzessin von Kalekut vor, von der Sie mich so oft haben reden hören. Wir brauchen keine Geheimnisse voreinander zu haben, meine Töchter sind ungeduldig, Ihre Geschichte zu hören, und ich bitte, lassen Sie auch den Prinzen mit teil daran nehmen. Im Vergleich mit seinem Unglück, dem Verlust seiner geliebten Mutter, war freilich die Ursache unserer Traurigkeit, eine Trennung von einigen Wochen, sehr gering, doch schien diese unvermeidlich; zum Glück aber war unser Kummer ungegründet, und wir quälten uns umsonst. Oh, möchte doch dieses Beispiel auch seine Hoffnungen wieder neu beleben. Die Sonne kehrt ja nicht allein nach einem leichten Regenguß, sondern auch nach einem heftigen Sturm zu uns zurück.«
Don Antonios Geschichte.
Ich bin der jüngere Sohn aus einer alten römischen Familie, und folglich war ich nie dazu bestimmt, deren Würde aufrechtzuerhalten, oder für die Fortpflanzung derselben besorgt zu sein. In meinem achtzehnten Jahre konnten wenige der Monsignori ein netteres Bein in einem purpurfarbenen Strumpf aufzeigen als ich, und sogar noch in der Kinderstube nannte mich schon meine Tante, die Äbtissin von Sankt Clara, ihren kleinen Kardinal.
Mein Bruder, der Marchese di Collatini, heiratete eine Frau, die er wirklich liebte und die seiner Neigung ganz würdig war. Da zu ihren übrigen Vollkommenheiten auch Geburt und Vermögen kamen, so glaubte jedermann, daß es bloß eine Heirat aus Politik sei, einige der ersten Kavaliere aber, die sehr wünschten, ihre Cicisbei zu sein, erfuhren zu ihrer größten Kränkung, daß die Liebe diese Verbindung geschlossen hatte. Die Marchesa erschien in den Conversazioni ohne einen einzigen Kavalier, obschon ihr Rang sie berechtigt hätte, deren drei in ihrem Gefolge zu haben, ja sie hatte sogar den Mut, mit ihrem eigenen Gemahl in den Saal zu treten.
Die Damen des ersten Ranges, welche fürchteten, daß vielleicht noch mehrere verheiratete Paare ihrem Beispiel folgen könnten, und daß am Ende ihre Treue den Freiheiten ihres Geschlechtes sehr nachteilig sein könnte, bezeigten ihr, soviel es der Anstand erlaubte, jede Kränkung und erhoben ihr Betragen, in jeder beißenden Lobrede, mit bitterem Spott. Eine große Anzahl Epigramme gingen aus einer Hand in die andere. Pasquin erkundigte sich, wer das keuscheste Weib in Italien sei; und Marforio wünschte dem neueren Rom zu diesem Phänomen von Keuschheit Glück, das wie ein Phönix aus der Asche der Lukretia in der Familie der Collatini aufstieg.
Mein Bruder tat seiner Gemahlin den Vorschlag, sich doch nach den Gebräuchen des Landes, soweit als es der äußere Anstand erfordere, zu bequemen und irgendeinem vornehmen Geck den Titel ihres Cicisbeo zu vergönnen, aber sie schlug es gänzlich ab. Um aber ihrer Verlegenheit ein Ende zu machen, bot ich mich endlich dazu an, dieses Amt zu verwalten, und von nun an war ich meiner Schwägerin Begleiter, so oft sie öffentlich erschien.
Ich weiß, meine gnädige Frau, daß Sie eine viel zu gute Meinung von mir haben, daß ich dieses getan hätte, meines Bruders Eifersucht zu unterstützen. Ganz gewiß würde ich meine Dienste nicht angeboten haben, wäre ich nicht schon im voraus überzeugt gewesen, daß seine Frau ihn allen jungen Kavalieren von Rom vorzöge. Wenn es sich fügt, daß ein verheiratetes Paar sich liebt, so sollten sie immer mehr für glücklich als tugendhaft angesehen werden, und obschon es kein großes Verdienst ist, ein großes Los in der Lotterie zu gewinnen, so wünscht doch jedermann Glück dazu. Daß dieses aber ja nicht die Nachbarn verleite, auch Spieler zu werden!
Noch eine andere Ursache bewog mich, den Titel ihres Cicisbeos anzunehmen. Von jedem Italiener von Stande erwartet man, daß er eine adelige Dame bedient, und nur dies allein kann ihm ein gewisses Ansehen bei Leuten seinesgleichen verschaffen; ich hatte aber eine Liebschaft mit der Frau eines Advokaten, und wäre dieses nun in den ersten Zirkeln bekannt geworden, so würden die Spöttereien unserer Donnen niemals aufgehört haben; ich war also sehr zufrieden, daß die verstellte Galanterie gegen meine Schwägerin den Schleier über meine eigene Liebe zog.
Ohne Unterbrechung dauerte dieses einige Jahre hindurch fort, als ein bösartiges Fieber die liebenswürdige Marchesa aus den Armen ihres Mannes riß. Seine Verzweiflung, die zuzeiten nahe an Wahnsinn grenzte, war unbeschreiblich, und noch lange wurde er durch eine hierauf erfolgte Schwäche im Bett zurückgehalten. Eines Tages, als jedermann aus dem Hause in dem entferntesten Teil unseres Palastes war, um eine Kirchenprozession mitanzusehen, die durch den Corso ging, war Donna Teresa, die einzige Schwester seiner Gemahlin, an dem Bett meines Bruders, um ihn zu bewachen; er wacht auf einmal auf, und getäuscht durch ihre Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau, ergriff er sie in einem Anfall von Wahnsinn und mit der Kraft eines Herkules, von ihrem Widerstand noch mehr gereizt. – Ein Hausmeister, ein alter treuer Diener der Familie, kam auf ihr Geschrei herbei und befreite sie aus seiner Umarmung. Das Fräulein wurde entfernt, und mein armer Bruder, als er bald darauf wiederhergestellt war, erinnerte sich nicht an das, was vorgefallen war.
Die Folgen davon waren jedoch, durch die Entdeckung der Symptome einer Schwangerschaft, sehr ernsthaft. Ihre Mutter bat mich mit tränenden Augen um meinen guten Rat, und wir kamen zusammen überein, keine Zeit zu verlieren und einen für sie schicklichen Mann zu wählen. Ein Edelmann aus einer alten Familie bewarb sich um ihre Hand, und die Verbindung mit ihm wurde den Verwandten angezeigt. Als die verschiedenen Familien einst versammelt waren, um dem Brautpaar Glück zu wünschen, näherte sich auch der Marchese, mein Bruder, aber kaum hatte er die Braut ins Auge gefaßt, als ihn ihr Anblick so gewaltig erschütterte, daß ich fürchtete, er möchte wieder in seinen Wahnsinn zurückfallen. Die Braut, wohl eingedenk dessen, was geschehen war, wurde mit Schamröte bedeckt und hatte nicht den Mut, ihre Augen aufzuschlagen.
Als wir wieder zu Hause waren, ergriff mein Bruder meine Hand und drückte sie heftig. »Oh! wie elend bin ich,« rief er aus. »Der Anblick Teresas hat mir meinen unersetzlichen Verlust ins Gedächtnis zurückgerufen. Mit ihr allein konnte ich den Genuß jener Freuden, jener herzlichen Freuden hoffen, der mir mit ihrer Schwester entschwunden ist. Derselbe Blick, dieselben Gesichtszüge, dasselbe Lächeln, die nämliche Gestalt, dieselbe Empfindsamkeit! Der Ton ihrer Stimme drang mir bis in das Herz; aber ihre Miene war so traurig, so niedergeschlagen, gewiß, Teresa ist unglücklich, und ich elend. Diese Heirat bietet ihr keine reizenden Aussichten dar und besiegelt das Grab meiner schönsten Hoffnungen. Morgen gehe ich zu Teresa, um ihr meine Hand anzubieten. Cäcilias Geist wird sich meiner Neigung zu Teresa freuen.« »Mein lieber Bruder,« sagte ich, »überlege es einen Augenblick, sie ist die Schwester deiner verstorbenen Frau.«
»Um so viel eher«, antwortete er, »wird sie ihren Platz ersetzen können, da sie in denselben Grundsätzen und von derselben ehrwürdigen Mutter erzogen ist, und gewiß wird sie mich ebenso glücklich machen, als mich ihre Schwester machte. Wird nicht Teresa die beste, zärtlichste Mutter gegen die Kinder Cäcilias sein?«
»Aber diese Heirat wird in den Augen der Kirche als eine Blutschande erscheinen.«
»Hat denn nicht unser Haus Collatini Reichtümer genug, um den ganzen Vatikan zu bestechen?«
»Wohl wahr, aber das geistliche Gericht ist sehr langsam, und ohne unmittelbare Dispensation würde der Marchese Collatini immer ein entehrtes Weib in seine Arme schließen.«
Ich entdeckte ihm nun das unglückliche Geheimnis von Donna Teresas Lage, aber diese Entdeckung befestigte mehr seinen Entschluß, als daß sie ihn wankend machte. Einige Tage lang sah ich, wie mein Bruder die Beute einer tiefen Melancholie war, sah, wie unglücklich Donna Teresa, die jede Tugend besaß, um das Glück eines häuslichen Mannes zu gründen, durch den Mann werden würde, den ihre verdrießliche Lage ihr aufzwang. So entschloß ich mich, die Vorurteile meiner Religion der Wohlfahrt meines Bruders, den ich von Jugend auf zärtlich lieb hatte, aufzuopfern. Nachdem ich mich mit ihm und der Mutter der Braut beratschlagt hatte, heiratete ich Donna Teresa und überließ sie den Umarmungen des Marchese, welcher ihr Cicisbeo wurde. Ich war bloß Diakonus, und wenige Pfaffen würden eine so schöne Aussicht zu einem Kardinalshut aufgeopfert haben. Wenige Brüder würden so gefällig gewesen sein, denn ich war auf diese Art zuerst der Titularcicisbeo seiner Frau, und dann wurde ich der Titularmann meiner eigenen.
Donna Teresa ist jetzt die Mutter einer vielversprechenden Familie, und mein Bruder so glücklich, als es nur immer ein Mann in den Armen eines liebenswürdigen Weibes sein kann. Ich würde meine Zufriedenheit, so viel zu ihrer Glückseligkeit beigetragen zu haben, nicht gegen die Macht, alle gekrönten Häupter in der Christenheit exkommunizieren zu können oder alle Ketzer in der Welt zur Ehre Gottes der ewigen Verdammnis zu überliefern, vertauschen.
Nachdem der Tod auch die Frau des Advokaten aus meinen Armen hinweggerissen hatte (ein Verlust, den zu beklagen ich niemals aufhören werde), bekam ich große Lust zum Reisen, kehrte aber immer wieder zu bestimmten Zeiten nach Rom zurück, um die Rechtmäßigkeit von Donna Teresas Kindern zu sichern.
Gestern gab ich Mistreß Montgomery Nachricht von der Notwendigkeit meiner schleunigen Rückkehr; aber jetzt habe ich einen Brief erhalten, der mich von jener Schuldigkeit entbindet. Obschon wir römischen Ursprungs sind, so liegen doch unsere Familiengüter in Avignon, das erst kürzlich mit der neuen französischen Republik vereinigt wurde. Eine der ältesten Familien in Europa muß natürlich gegen ein System sein, das uns der teuersten Vorrechte beraubt; es würde aber abgeschmackt sein, wenn unser Verlust uns so verblenden sollte, daß wir nicht auch die Vorteile sehen sollten, die man uns als Belohnung dafür gibt; denn sowohl Aristokrat als Demokrat, jeder, der nur vorurteilsfrei ist, muß die Leichtigkeit der Ehescheidungen billigen. Kurz, ich werde bald geschieden sein, denn mein Bruder, der sich entschlossen hat, für die Zukunft in Avignon zu leben, macht mir den Vorschlag, sich mit meiner früheren Frau in dem Tempel der Vernunft zu vermählen, und so, meine liebe Mistreß Montgomery, werde ich nun imstande sein, noch länger die Reize Ihrer Gesellschaft in England zu genießen.
* * *
Don Antonio schwieg nun; die jungen Leute verließen einer nach dem anderen das Zimmer, und Firnos und Camilla blieben allein mit den zwei Liebenden. Wenn zwei Liebende sich von der Bürde eines Kummers befreit sehen, so ist die dritte oder vierte Person sehr überflüssig. Camilla tat ihrem neuen Freunde den Vorschlag, mit ihr die Gemäldegalerie zu besehen.
»Meine Mutter«, sagte die geistreiche Camilla, als sie in den weitläufigen Saal eintraten, der mit den ausgesuchtesten Gemälden angefüllt war, »hat einige der ersten Künstler gebraucht, um diese Wände verzieren zu lassen. Dieses wird gemeiniglich die Gemäldegalerie genannt, wir nennen es aber unter uns die Halle der Vorurteile, denn hier sind meistenteils die unglücklichen Katastrophen vorgestellt, die aus den abgeschmacktesten Vorurteilen der Menschen entsprangen. Hier wird die blühende Virginia durch die Hand ihres eigenen Vaters gemordet. Gemordet, ich bin gewiß, Eure Hoheit errät nicht warum? – gemordet, um, wie man es nennt, ihre Ehre zu retten, und eine solche Handlung, die eher einen Mann ins Tollhaus oder an den Galgen bringen sollte, wird sehr oft als ein Zeichen von Seelengröße bis in die Wolken gehoben. Doch ich will Sie nicht mit der Beschreibung jedes Gemäldes belästigen. Hier ist Lukretia, die eine Heldin, aber keine Philosophin war. Dort ist Johanna Shore, die gutherzigste Frau in der Welt, die Freundin der Armen, deren Einfluß auf ihren Gebieter jeden Tag die Quelle einer guten Handlung war. Sehen Sie hier, wie man sie auf die Straße schleppt, in einem bloßen Hemde Buße zu tun. Jedes Haus, das sich einst durch ihre Gegenwart geehrt fühlte, wird jetzt bei ihrer Annäherung verschlossen. Ihre schmarotzerischen Freunde lassen sie jetzt unter den schändlichen Lästerungen eines undankbaren Volkes, welches sie sonst mit ihrer Güte fütterte, verhungern.«
»Und was war ihr Verbrechen?« fragte Firnos.
»Sie war keine Lukretia,« antwortete Camilla mit Achselzucken und erzählte ihre Geschichte.
»Hier ist der zweite Sesostris Siehe Diodor von Sizilien., der ein Freudenfeuer mit seinen Weibern nährt, und Heinrich der Achte, der die Seinigen auf das Schafott bringt.
»Hier ist Ludwig der Fromme, wie ausgeartet nach Karl dem Großen! Ludwig, der sich der Liebhaber seiner sieben unverheirateten Schwestern bemächtigt, einige von ihnen ermordet, indem er sie mit den Gesichtern durch ein Stoppelfeld schleppen, anderen die Hände abhauen oder die Augen ausstechen läßt, und alsdann, nachdem er sich selbst zu der beendigten Verbesserung Glück gewünscht hat, von den Geschäften in eine mönchische Einsamkeit zurückzieht.
»Hier ein viehischer, burgundischer Baron, der, wütend gemacht durch den Vorzug, den seine Frau dem Robert von Konstantinopel gab, in den Palast stürmt und sich sowohl seines Weibes als ihrer Mutter bemächtigt. Die hilflose, arme Mutter bindet er in einen Sack und wirft sie in den Bosporus. Der jungen, liebenswürdigen Tochter raubt er Nase und Lippen und verläßt sie blutend, damit ihr Liebhaber sich an ihrem Anblick weide. So unbändig grausam waren die gehörnten Tiere des dreizehnten Jahrhunderts.
»Die Geschichte von Clarissa Harlowe ist der Gegenstand dieser Reihe von Gemälden. Sie dürfen nicht glauben, daß diese Geschichte wahr sei, aber obschon diese Clarissa niemals lebte, so gibt es doch viele ähnliche Opfer des Vorurteils im gemeinen Leben, und der Roman selbst liefert uns ein so treues Gemälde von unseren jetzigen Sitten und Meinungen, daß ihr bloß erdichtetes Unglück mit den Beispielen von wirklichen Trauerfällen zusammengestellt zu werden verdient.
»Doch lassen Sie uns von dieser Szene hinwegeilen, ich will Sie nicht länger mit den Beispielen europäischer Torheit aufhalten. Die Gemälde der nächsten Zimmer werden Sie gewiß mit mehr Vergnügen betrachten.«
»Vor allen Dingen sagen Sie mir doch,« sagte Firnos, »wer ist der hämisch schielende Philister über der Tür?«
»Sein Name ist von weniger Bedeutung, er ist ebenso abschreckend als sein Anblick, ich habe ihn vergessen. Es war ein päpstlicher Bischof, der vor einigen hundert Jahren lebte und mit den schönsten Jungfrauen seines Kirchensprengels sein Bett zu teilen pflegte. Er hat viele Siege über sein Fleisch und den Teufel davongetragen, indem er die Gelübde seiner Keuschheit in ihren Armen ausübte. Aber dies sei genug von der Halle des Vorurteils,« sagte Camilla und öffnete eine innere Tür, »nun wollen wir das Boudoir meiner Mutter besehen.«
Ein Boudoir ist eine ungewöhnliche Verfeinerung des Geschmacks in London. Die Damen außerhalb Englands verstehen die Galanterie besser, und Mistreß Montgomery hatte das Festland besucht.
Nichts konnte geschmackvoller sein, als dieser kleine Zufluchtsort der Liebe; selbst ein Pariser würde ihn ohne Tadel gefunden haben. Von einem Thronhimmel, geschmückt mit einer Krone von Rosen und Myrten, fiel in prächtigen Falten ein rosenfarbener Vorhang herab und beschattete ein türkisches Sofa von der einladendsten Elastizität. Im Hintergrund war die Liebe, aber nicht von Helena und Paris (denn Margarete Montgomery würde keine Memme einer Umarmung gewürdigt haben), sondern von Aspasia und Alkibiades geschildert. Der junge Held kam eben von seinem ersten Sieg zurück, die Dankbarkeit seines Vaterlandes hatte ihn mit Lorbeeren gekrönt, und Aspasia empfing den Geliebten, der ihrer so würdig war, mit offenen Armen.
Rund in dem Boudoir herum hingen die Porträts derjenigen Weiber, die ihrem Geschlechte Ehre gemacht hatten.
Das erste Porträt, das ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, war das der geistvollen Heloise.
»Soeben habe ich das Leben dieses merkwürdigen Weibes gelesen,« sagte Camilla. »Schon als Äbtissin nahm sie Gott zum Zeugen, daß sie lieber Abälards Buhlerin als die rechtmäßige Gemahlin eines Kaisers sein wollte. Auf diesem Sofa liegt das Buch, erlauben Sie mir, ehe wir die übrigen Gemälde besehen, Ihnen eine Stelle daraus vorzulesen? Sie werden sehen, daß, wenn sie keine Naïrin war, sie doch des Glückes würdig war, eine zu sein.
»›Und welche Ehre für mich, dein Weib auf Kosten deines guten Rufs zu sein. Ich würde die Flüche der Welt auf mich laden, der Kirche einen Schatz rauben und den Philosophen ein Ärgernis geben: welcher Schimpf, wenn du, der eine Welt zu beglücken imstande wärest, nur für ein Weib leben wolltest. Denk' an die Worte des heiligen Paulus: Bist du ledig, so sei vernünftig und suche dir kein Weib. Wenn aber weder der Apostel noch die Kirchenväter dich abschrecken können, eine so schwere Last aus dich zu laden, so höre mindestens die Philosophen: traue einem Theophrast, der durch so manche Gründe beweist, daß ein Gelehrter nicht heiraten soll; einem Cicero, der die Terentia verstieß und eine Verbindung mit der Schwester des Hircus ausschlug, weil, wie er laut erklärte, er sich zwischen der Philosophie und einem Weibe nicht teilen könne. Wie können auch solche widersinnige Dinge zusammengestellt werden? Schüler und Mägde, Tintenfässer und Wiegen, Bücher und Spinnrocken, Federn und Spindeln? Wie kann man, in theologische und philosophische Meditation versunken, das Weinen der Kinder, den Gesang der Amme und die Zänkereien des Gesindes ertragen? Wenn du deine Würde als Geistlicher nicht behaupten willst, so vergiß wenigstens nicht, daß du ein Philosoph bist. Dir wird die Rolle eines Liebhabers ehrenvoller und mir reizender sein, als die des Ehemannes. Nicht das Band der Ehe, sondern meine Zärtlichkeit soll mich an dich fesseln, und unsere Freuden werden immer den Reiz der Neuheit behalten, wenn wir uns seltener sehen.‹«
Neben Heloise hingen die Porträts von Myrtis und Corinna. Nicht auf Theben, ihr Geburtsland, allein beschränkte sich der Ruf ihrer großen Talente, der wilde und üppige Geist Pindars wurde durch ihre Anweisungen gebessert. Bei den öffentlichen musikalischen Wettstreiten entwickelten sich seine ersten Bemühungen, ihrem Ruf gleichzukommen; er überwand Myrtis, wurde aber fünfmal von Corinna übertroffen. Die Stimme der Verleumdung schreibt zwar ihre wiederholten Siege mehr den Reizen ihrer Schönheit, als der Überlegenheit ihrer Talente zu, aber selbst auch ihre Niederlage würde nicht unrühmlich für sie gewesen sein, und ihre Freiheit von Vorurteilen würde sie immer zu der Ehre berechtigt haben, einen Platz hier zu behaupten.
Weiterhin sah man die Königin Artemisia, deren Mut und Tapferkeit in der Schlacht von Salamis glänzend hervorging, und die Königin Dido, die Stifterin eines Reichs, das mit dem alten Rom wetteiferte. Ebensowenig fehlte Kleopatra, die Gefährtin der Helden, die den Tod der Knechtschaft vorzog. Sie spottet über den Triumvir und hält ruhig die Natter an ihren Busen. Auch zwei berühmte Weiber der neueren Zeit, Maria Stuart und Christine von Schweden, waren hier. Beide die Zierden ihres Zeitalters, und beide anerkannte Beschützerinnen der Gelehrsamkeit. Gleich einem Philosophen verließ Christine den Thron, um ihren Durst nach Wissenschaft zu befriedigen, und Maria bestieg das Schafott wie ein Held. Aber wer könnte dir, o Katherina, größtes der Weiber, an die Seite gesetzt werden? Welches Zeitalter, welches Land hat deinesgleichen hervorgebracht? O ja, der Prinz von Kalekut ist entzückt, das Porträt von Samora, seiner erhabenen Vormutter, mit dem deinigen gepaart zu sehen.
Camilla: »So groß auch die Verbindlichkeiten sind, welche Mistreß Montgomery der Nachtochter von Semiramis schuldig ist, so war es doch nicht nur Dankbarkeit allein, sondern auch wirkliche Verehrung ihres Charakters, die sie bewog, ihrer erhabenen Vormutter diesen Ehrenplatz einzuräumen. Sie ist die Erste ihresgleichen, und es ist eine ausgemachte Sache, daß alle Weiber, die in der Geschichte geglänzt haben, von der Stifterin Babylons an bis auf unsere heutige Semiramis, nicht allein im Kabinett, sondern auch im Boudoir tätig waren.«
Firnos blickte bei diesen Worten Camilla an, Vergnügen lächelte auf ihren Lippen und glänzte in ihren Augen, sie sprach mit Enthusiasmus, und Enthusiasmus ist ansteckend; er umschlang ihren schönen Leib. Ein gewöhnlicher Liebhaber würde das freilich nicht getan haben, aber ein gewöhnlicher Liebhaber wäre auch nicht nach dem Geschmack der geistvollen Camilla gewesen. Die Galanterie würde ihm allerdings mehr abgemessene Fortschritte verzeichnet haben, denn erst mußte er ihr die Hand küssen, um ihr zu zeigen, wie sehr er den Gedanken billigte, den sie eben geäußert hatte; aber warum sollte man aus seinem Weg gehen? ihre Lippen, die den seinigen begegneten, waren ihm ja näher.
Firnos: »Ich hoffe nicht, daß Sie eine von jenen Moralisten sind, die sich mit ihrer Theorie begnügen und ihre Lehrsätze nie praktisch auszuüben wünschen.«
Camilla: »Es bedarf wohl keines großen Scharfsinns, mein lieber Firnos, um zu sehen, daß Sie eben über eine Liebeserklärung nachsinnen. Ich zweifle nicht an Ihrer Beredsamkeit, aber ich spreche Sie hiermit von allen Präliminarien frei. Ich bemitleide jedesmal einen Engländer, der, erzogen in den Grundsätzen der europäischen Galanterie, mir Schmeicheleien ins Gesicht sagen würde; aber einen aufgeklärten Naïr, der es wagen würde, dasselbe zu tun, würde ich verachten. Ich bekenne Ihnen denn frei, und bekenne es ohne Erröten, daß meine Gefühle sehr günstig für Sie sprechen. Unsere kurze Bekanntschaft erlaubt mir bloß von Ihren persönlichen Eigenschaften zu urteilen, ich hoffe, daß ich in jenen Ihres Herzens oder Ihres Verstandes nicht getäuscht werde. Indessen ist die Furcht, daß die Entdeckung Ihres wahren Charakters vielleicht in der Zukunft eine Trennung unter uns nötig macht, keine Ursache, warum ich Ihren jetzigen Empfehlungen widerstehen sollte.«
Jetzt erfolgte ein Stillschweigen, das vielleicht nicht weniger reizend und nicht weniger belebt war, als die vorhergegangene Unterhaltung.
Endlich machte Camilla Firnos aufmerksam, wie bedeutungsvoll das Sofa zwischen den beiden Porträts der Arria und Ninon de Lenclos gestellt war.
Firnos: »Arria und Ninon? Niemals habe ich erwartet, diese beiden beieinander zu sehen; denn einst, wenn ich nicht irre, sah ich Arria mit Lukretia gepaart.«
Camilla: »Wir sind nur gerecht gegen sie, da wir sie in eine bessere Gesellschaft bringen. Meine Gedanken über die Lukretia habe ich Ihnen schon mitgeteilt. Arria liebte einen Mann bis zu einem so hohen Grad, daß sie lieber mit ihm sterben, als ohne ihn leben wollte. Daß dieser Mann zufälligerweise ihr Gemahl war, dies vermehrt weder noch vermindert es die Reinheit ihrer Liebe und den Heldenmut ihres Todes. Die vollkommene Heloise, obschon eine erklärte Feindin der Ehe, würde in einer ähnlichen Lage auch dasselbe getan haben, und wäre Arria beständig mit einem Schwarm französischer Abbés oder Petit-Maitres umgeben gewesen, so würde sie ihre Liebhaber ohne alle Umstände ebenso oft gewechselt haben als Ninon. Wir haben diese Porträts darum nebeneinandergestellt, um damit zu erklären, daß ein Liebhaber, der es verdient, noch immer erwarten kann, eine Arria zu finden, die mit ihm durch Feuer und Wasser geht, aber daß eine vernünftige Frau, ehe ein solcher Liebhaber sich findet, mit der Nymphe im Comus Comus, ein berühmtes allegorisches Singspiel von Milton. gleicher Meinung sein darf, nämlich daß Unbeständigkeit auch ihren Nutzen hat.«
Bald äußerten sich bei Naldor sehr günstige Zeichen der Wiedergenesung, und der schottische Doktor, den die beiden Freunde vermocht hatten, den Patienten zu sich ins Haus zu nehmen, wo er ihn besser als in dem öffentlichen Spital pflegen konnte, erklärte, daß er bald wiederhergestellt sein würde. Die Verräterei seines Weibes hatte ihm einen so eingewurzelten Haß gegen ihre Landsmänninnen eingeflößt, daß sein Wahnsinn zurückkehrte, sobald er einer Engländerin ansichtig wurde, ausgenommen des Wärters Weib und Tochter, die sich beide in großes Ansehen bei ihm gesetzt hatten; wenn aber Mistreß Montgomery und ihre Töchter ihn besuchten, trug Camilla stets das Kleid einer Naïrin.
Als er vollkommen hergestellt war, gestattete man Firnos den Zutritt, und das Erstaunen und die Freude eines treuen Dieners des kaiserlichen Hauses bei dem Anblick des Sohnes Agalvas überstieg alle Grenzen. Als die Türen seines Gefängnisses ihm geöffnet wurden, war die Idee einer baldigen Rückkehr nach Kalekut, und daß er dadurch von den Sirenen Englands, die schuld an seinem Unglück waren, befreit würde, so lebhaft in ihm, daß er beständig ausrief: »O meine teure Mutter!« Und nur die Erzählung von Agalvas Abwesenheit und der Ungewißheit ihres Schicksals konnte den lebhaften Ausbruch seiner Freude vermindern. Firnos hatte, obschon nicht ohne Murren gegen die Schlechtigkeit der englischen Gesetzgebung, die Gläubiger von Naldors Frau befriedigt. Neugierde verleitete ihn, sich nach diesem lasterhaften Weibe zu erkundigen, aber niemand hatte schon seit langer Zeit etwas von ihr gehört.
Ehe Firnos England verließ, wünschte er Fitz Allan noch zu besuchen, um vielleicht einige Umstände von ihm zu erfahren, die zur Entdeckung des unglücklichen Kindes, welches in seinem Hause verloren gegangen war, führen könnten. Da aber Agalva in Fitz Allans Familie bloß unter dem Titel der Marchesa di Roverbella bekannt war, so überredete Naldor den Prinzen, als ein Marchese und ihr Sohn aufzutreten, und er selbst begleitete ihn als sein Oheim, der Cavaliere Pellerini.
Fitz Allan empfing den Marchese mit offenen Armen und wünschte ihm in italienischer Sprache Glück zu seiner Ankunft in England. Firnos geriet durch diese unvorhergesehene Schwierigkeit in Verwirrung, doch Naldor kam ihm geschwind zur Hilfe. »Der Marchese«, sagte er, »findet sich sehr durch die Aufmerksamkeit, deren Sie unsere Sprache würdigen, geschmeichelt, aber er würde sehr ungerecht gegen die Schönheit der englischen Sprache sein, wenn er irgendeine Gelegenheit vorbeigehen ließe, sie sich zu eigen zu machen, und ich habe ihn daher verleitet, so wie ich das Gelübde zu tun, in England bloß Englisch zu sprechen.«
»Hat die Marchesa ihre besten Freunde hier so bald vergessen? Wie geht es Ihrer lieben Mutter?«
Die Tränen traten bei der Rückerinnerung in Firnos' Augen.
»Meine Schwester«, antwortete Naldor eilig, »befindet sich in Florenz sehr wohl, aber der Verlust ihrer Tochter ist eine Wunde, die die Zeit noch nicht geheilt hat. Sie hat ihren Sohn in der Hoffnung nach England gesandt, daß vielleicht seine Nachforschungen glücklicher wären als die meinigen.«
»Ja,« sagte Firnos, als er sich wieder erholte, »kann Fitz Allan, der Freund meiner Mutter, kann er uns vielleicht einige nähere Nachrichten wegen meiner Schwester geben?«
»Ach, wie glücklich wäre ich, wenn ich Ihren Hoffnungen nur in etwas schmeicheln könnte, doch wie viel Jahre sind schon seit jener unglücklichen Nacht verflossen. Unglückliches Kind! sie ist gewiß tot.«
Firnos war zu bewegt, um Fitz Allans Verlegenheit bemerken zu können, aber Naldor sah sehr wohl, wie er seine Farbe wechselte. Obschon Fitz Allan über die Kälte seines Betragens den Schleier einer zuvorkommenden Höflichkeit zog, so entging sie dem geübten Auge des Hofmanns nicht. Es befremdete ihn, daß der alte Liebhaber Agalvas immer das Gespräch auf gewöhnliche Gegenstände lenkte, sobald ihre Tochter nur im mindesten erwähnt wurde.
Nachdem sie eine Einladung zum Mittagessen auf den anderen Tag angenommen hatten, verabschiedeten sich die beiden Naïren. Wie groß war aber ihr Erstaunen, als sie am anderen Tage das ganze Haus in Verwirrung fanden und zugleich hörten, daß Fitz Allan das Land verlassen hätte. Über das Warum und Wohin konnte ihnen niemand während ihres noch übrigen Aufenthaltes in England einige Auskunft geben.
Das günstige Urteil, welches Agalva in ihrem Tagebuche und auch alle seine Freunde über ihn fällten, brachte jeden Argwohn, den sein unerwartetes Verschwinden aufgeregt hatte, zum Schweigen. Obgleich sie ihn noch einmal zu sehen wünschten, so nahmen sie doch keinen Anstand, dem Ruf des Kapitäns zu folgen, der sie benachrichtigte, daß innerhalb vierzehn Tagen ein Schiff von Portsmouth absegeln würde.
Firnos' immer mehr herannahende Abreise verbreitete Traurigkeit über die ganze Familie der Mistreß Montgomery. Es tat ihm äußerst leid, von diesem würdigen Weibe scheiden zu müssen, aber die Trennung von Camilla griff ihm an das Herz, und die letzte Nacht vor seiner Abreise machte ihre Wohnung zu einem Trauerhause. Als er aber am anderen Morgen kam, um Abschied zu nehmen, fand er im Vorhause einen schon gepackten Koffer, und Camilla in Reisekleidern flog in seine Arme. »Firnos,« sagte sie, »du hast mir dein Mutterland so oft und mit so reizenden Farben geschildert, daß ich unzufrieden mit meinem Vaterland geworden bin. Du kannst jetzt meine schönsten Träume in Erfüllung bringen, die Schlüssel des Paradieses sind in deiner Hand, wirst du mich wohl in einer Wüste lassen? Meine Mutter hat eingewilligt, ich fliege mit dir nach dem Lande der Freiheit.«
Firnos' Entzücken war über alle Beschreibung groß, es löste sich endlich in einem Strom von Tränen und Küssen auf.
Mistreß Montgomery umarmte sie beide. »Mit Zuversicht«, sagte sie zu dem Prinzen, »übergebe ich Camilla dem Schutze eines Naïren; für jetzt hat sie wohl keine Fürbitte nötig, aber wehe dem Weibe, das auf einen so unsicheren Boden baut, als die Liebe ist. Sollte ihr eigenes Herz aufhören, so warm für Sie zu sprechen – so erinnern Sie sich Margarete Montgomerys, erinnern Sie sich der Freundin Ihrer Mutter.«
Mistreß Montgomery küßte wechselweise Firnos und Camilla, und Camilla und Firnos. Die Kinder hingen sich fest an sie; obschon sie einem nach dem anderen Lebewohl gesagt hatte, so kehrten sie doch immer wieder von neuem zurück. Mistreß Montgomery fügte ihre Hände zusammen, Jeannette schluchzte laut, als sie die Treppe hinuntergingen. De Grey und Naldor waren schon im Wagen, erst spätabends kamen sie auf Edmunds Landsitz an.
Clara hörte das Geräusch des Wagens und kam ihnen schon entgegengelaufen, und zwar am Arme ihres Liebhabers, und dieser Liebhaber war – ihr Gemahl.
Die guten Eigenschaften Claras waren bei Edmund weggeworfen, der ein zu überzeugter Wollüstling war, um wider einen Lehrsatz der großen Welt zu handeln, der sich aber jeder Meinung von Mode und Ausschweifung blindlings unterwarf. Er hielt sie seiner Aufmerksamkeit unwert, bis die Eroberung, die sie an Firnos machte, seine gute Meinung von ihr hob, und alsdann befürchtete er fast, daß er ihrer unwert sei; aber nach einiger Zögerung, die sein falscher Stolz veranlaßte, wagte er es, ihr selbst den Hof zu machen.
Clara hatte eine außerordentlich gute Erziehung genossen, und Edmund war gerecht genug, ihre Überlegenheit zu bemerken, er fragte sie bei jeder Gelegenheit um Rat. Er fing an, mit ihr das Vergnügen an geschmackvoller Literatur und schönen Wissenschaften zu teilen. Die Achtung, die er ihr jetzt zollte, schmeichelte ihr, sie wurde seine Lehrerin, er ihr Anbeter. Eins liebte das andere, als ob sie niemals wären verheiratet gewesen.
Firnos fühlte bei dieser Veränderung eine lebhafte Zufriedenheit, er konnte sich vorstellen, welch ein glücklicher Umstand es sein müsse, wenn zufälligerweise die Liebe ein verheiratetes Paar verbindet, denn die Neigung eines Naïren entspringt nicht aus Eitelkeit oder Egoismus, und ebensowenig betrachtet er den guten Erfolg eines Nebenbuhlers als eine Beleidigung seiner eigenen Ansprüche. Firnos würde über Claras Glückseligkeit, selbst auf Kosten seiner eigenen, dasselbe Vergnügen empfunden haben, aber jetzt hatte er ja auch Camilla, die ihn für seinen Verlust tröstete.
De Greys Gedanken waren immer mit seiner Niederlassung in Kalekut beschäftigt, England hatte in seinen Augen allen Reiz verloren. Es bot ihm ebensowenig Genugtuung für seine Liebe zum Vergnügen, als für seinen Durst nach Ruhm dar. Seitdem er Kalekut verlassen hatte, war er der Gräfin von Raldabar beständig treu geblieben, aber seine Enthaltsamkeit war mehr ihrer Überlegenheit als seinen Grundsätzen zuzuschreiben; es war die Enthaltsamkeit eines Epikuräers, und nicht die eines Einsiedlers. Seit er sie verlassen hatte, hatte er kein Weib gesehen, die so viel Gewalt über sein Herz und seine Sinne gewonnen hätte, daß nicht das bloße Nachdenken an der Gräfin Reize sie gleich wieder vernichtete. Sie war ohne Nebenbuhlerin, weil die Spuren, die sie seinem Gedächtnis hinterlassen hatte, ihm ein Vergnügen gewährten, welches er nicht hoffen konnte, in den Armen eines anderen Weibes zu finden.
Aber auch sogar das Bild der Gräfin beschäftigte ihn nur in Zwischenräumen. Ehrgeiz war seine herrschende Leidenschaft, und stundenlang war er imstande, über die Bahn der Ehre nachzudenken, die er in Hindostan verfolgen wollte. Seine Taten sollten ihn unter den Naïren berühmt machen. Mit welchem Entzücken würde er eine Reihe von Nachfolgern aus seinem Blute gesehen haben. Unmöglich! Sein Ruhm wohl, aber nicht seine Familie konnte ihn dort überleben. Seine Schwester Emma, deren Kinder seine Stelle hätten vertreten können, wo ist sie, diese beleidigte, lang verlorene, lang beweinte Schwester?
Der Tag zu ihrer Abreise nach Portsmouth war bestimmt, und eben den Tag vorher war seine Seele ganz mit diesen Gedanken beschäftigt.
Er ging in einer Allee auf und ab. Fünf Jahrhunderte vorher hatte ein De Grey sie gepflanzt, aber war dieser De Grey auch wirklich sein Vorvater? Wohl möglich, doch unwahrscheinlich. »Aber wenn Emma da wäre,« sagte er zu sich selbst, »so wären doch ihre Kinder gewiß meine Neffen und würden meine Nachfolger sein, ja wenn ich von dieser Welt hinweggegangen wäre, würden sie die lebenden Denkmäler meines Ruhmes bleiben.«
Ein Wagen, mit vier Pferden bespannt, die in vollem Lauf die Allee heraufkamen, unterbrach sein Nachdenken, er hielt an, der Neuangekommene stieg heraus und sprang ihm entgegen. – Es war Don Antonio di Collatini.
»Wie sehr erfreut bin ich, Sie noch hier zu finden,« sagte der Römer, »denn sonst hätte ich Ihnen nach Portsmouth folgen müssen.
»Einer meiner Verwandten, ein Malteserritter, den seine Gefährten bei einem Angriff auf eine der griechischen Inseln für tot hatten liegen lassen, ist jetzt ganz unerwartet aus seiner Sklaverei zurückgekehrt. Von dem Ungemach, das er erduldet hat, ließe sich ein ganzes Buch schreiben. Nach manchem Wechsel seines Schicksals kaufte ihn endlich ein reisender Kaufmann, der mit einer Karawane nach Bagdad ging, und bestimmte ihn zum Hüter seiner Kamele. Auf ihrem Weg dahin wurden sie von einem Trupp Araber angegriffen, die zwar glücklich in die Flucht geschlagen wurden, der Kaufmann aber hatte im Gefecht eine Wunde erhalten, die, obgleich anfangs sehr gering, durch die Unwissenheit des Wundarztes verwahrlost, beinahe tödlich wurde. Der Ritter, der sich einige Kenntnis in der Wundarzneikunst bei der Wartung kranker Pilger in dem Hospital von St. Johann erworben hatte, bot seinen Beistand an, den der Türke, aufgeklärt genug, auch annahm, wie er auch bald darauf wieder genas. Die Türken sind wirklich eine großmütige Nation, und wenn sie fehlen, so ist mehr ihr Prophet als sie selbst schuld daran. Herr und Diener wurden die besten Freunde, kurze Zeit darauf kamen sie in Bagdad an. Doch hier will ich Ihnen einen Auszug aus seinem Brief vorlesen:
»Eines Abends war mein Herr auf ein Kaffeehaus gegangen, um dort eine Pfeife Tabak zu rauchen und einen berühmten Geschichtserzähler zu erwarten, der einige Geschichten aus den Arabischen Nächten erzählen sollte. Da ich an dieser Unterhaltung wegen meiner wenigen Kenntnis der Sprache keinen Teil nehmen konnte, so blieb ich zu Hause und fütterte die Kamele. Bei seiner Zurückkunft sagte er zu mir: ›Ein hiesiger Kaufmann hat eine europäische Sklavin, die sehr krank ist, und da er sterblich in sie verliebt ist, so läßt er dich ersuchen, sie womöglich wiederherzustellen.‹
»Am folgenden Tage eilten wir zu dem Kaufmann. Ihr werdet Euch sehr täuschen, wenn Ihr nun die Erzählung einer Liebschaft mit einer zärtlichen Schönen erwartet, die, auf persischen Teppichen ruhend, aus einem goldenen Becher in dem Schatten eines Granatbaumes Scherbet trinkt; ihr Hals besät mit Perlen, und schimmernde Diamanten von Golconda in ihren Ohren; unterdes ein Trupp Tänzerinnen sich, sie zu vergnügen, in jede wollüstige Stellung biegen, um ihrer Überlegenheit durch den Anblick ihrer weniger blendenden Reize zu schmeicheln. Ebensowenig müßt Ihr die Beschreibung eines irdischen Paradieses erwarten, das würdig wäre, die Houris aufzunehmen. Vielleicht gibt es deren im Osten. Auch kann der Beschützer der Rechtgläubigen sonst eins in Bagdad gehabt haben, und der Großherr hat vielleicht noch jetzt ein solches. Wir Europäer haben unsere Ideen von Asien nach den arabischen Märchen gebildet. Bei dem bloßen Namen Türke stellen wir uns auch gleich ein Serail vor, er wird Pascha, und alle Weiber des Ostens sind in unseren Augen ebensoviel Sultaninnen. Aber ihr Weiber der Armen (obschon eure Tyrannen fast ebensoviel Mitleid als ihr selbst verdienen), eure Gefängnisse sind weniger prächtig, und weniger die Hilfsmittel gegen eure unaufhörliche Langeweile.
»Wenn einer genötigt wäre, sich ein Gefängnis zu wählen, wer sollte bei dem Anblick der Borghesischen Gärten oder der Beschreibung von Chantilly nicht wünschen, in einem so entzückenden Ort eingeschlossen zu sein? Aber diese irdischen Tempel werden nur einem unter Millionen zuteil, und mancher Sterbliche muß mit einer Hütte vorliebnehmen, die er kaum sein eigen nennen kann. Der Prinz Condé kann eine Stuterei von tausend Pferden haben, seine Nachbarn mögen zu Fuße gehen; und der Mann muß schon weit von Nahrungssorgen entfernt sein, der es dahin bringen kann, sich nur ein Reitpferd zu halten. In Asien sind die Weiber ein Artikel des Luxus; ein Emir kann seinen ganzen Harem mit Weibern aus den entferntesten Provinzen angefüllt haben und sogar den Marktpreis erhöhen, unterdessen die niederen Klassen, die es nicht dahin bringen können, eine Frau von ihren Eltern zu erkaufen, sich, so gut als sie können, in ihrem ehelosen Stand behelfen, und der muß schon in guten Umständen sein, der ein einziges Weib ernähren will.
»Wenn ich nach der Außenseite der Wohnung schließen sollte, so konnte meines Herrn Korrespondent auf einen solchen Leckerbissen keinen Anspruch machen; aber vielleicht war eine schöne Frau sein Steckenpferd, und er versagte sich bei anderen Gelegenheiten Genüsse, um diesem Genüge leisten zu können. Die Möbel bestanden nur aus einem Paar zerrissenen Kissen. Ein Hof, nur wenige Fuß lang und umgeben mit einer hohen Mauer, diente ihr zum Spaziergang und um frische Luft zu schöpfen. Ihr Herr, der keinen Verschnittenen bezahlen konnte, ließ ihr, wenn er auf den Bazar ging, für einen ganzen Tag Lebensmittel zurück, verschloß die Tür und steckte den Schlüssel in seine Tasche. Kann der Verlust der Freiheit ein europäisches Weib in einem Serail unglücklich machen, so schließt hieraus auf das weit Abscheulichere einer solchen Einkerkerung.
»Ich folgte ihrem Herrn in das einzige Zimmer; ein Weib, von Kopf bis zu den Füßen verschleiert, erhebt sich, sie versucht zu sprechen, aber ihre Stimme wird immer durch Schluchzen unterbrochen. Endlich sagte sie: Mein Herr, Sie sind ein Edelmann, mit Zuversicht wende ich mich daher an Sie. Ich bin Ihnen fremd, aber glauben Sie mir, obschon ich jetzt so tief gesunken bin, so bin ich doch aus einer der ersten Familien Englands. Bei allem, was Ihnen heilig ist, bei der Hoffnung zur Seligkeit beschwöre ich Sie, sollten Sie jemals nach Europa zurückkehren, so unterrichten Sie meinen Bruder Edmund De Grey in Berkshire von dem Ort meiner Gefangenschaft. O wie lange ist es schon, daß ich nicht das Angesicht eines Christen gesehen habe! Wie viele Monate bin ich schon in diesen Mauern begraben, wo ich keine Seele als diesen Elenden sehe, der mich der Befriedigung seiner schändlichen Lüste aufopfert. Oh, wenn mein Bruder Walter dies wüßte! Mein Bruder Walter! Gerechter Himmel – vielleicht ein Sklave, so gut wie ich.‹
»Sie hatte mit steigender Bewegung gesprochen und fiel jetzt ohnmächtig zu meinen Füßen nieder.
»Ich riß geschwind den Schleier herab, als der Türke in einem Anfall von Eifersucht mich bei dem Kragen faßte und zur Tür hinauswarf.«
»O meine geliebte Schwester,« rief De Grey, »hast du noch eine Träne für mich, für mich, die Ursache deines Unglücks? Sie lebt! Sie lebt noch! Und kann vielleicht gerettet werden! Ja, wir wollen sie befreien, ihre Fesseln lösen. Wir wollen sie wieder glücklich und frei machen. Sie soll Mutter einer vielversprechenden Familie werden. Ihre Nachkommenschaft wird mich überleben.«
De Grey eilte mit möglichster Schnelligkeit nach dem Hause zurück, indem er den Don Antonio immer nach sich zog. »Edmund! Firnos! Clara! Camilla!« – Seine Freunde stürzten die Treppe hinunter, als sie ihre Namen so heftig ausrufen hörten. »Meine Schwester ist wiedergefunden,« sagte er, »Emma ist gefunden.« – »Wo? wo?« Seine Farbe veränderte sich, und mit einem Seufzer sagte er: »Zu Bagdad.« – Don Antonio erzählte nun das Weitere.
»Meinen Reisewagen mit vier Pferden!« rief De Grey noch einmal den Bedienten zu. »Lebe wohl, Edmund! Lebe wohl, Clara! Firnos und Camilla, euch beiden wünsche ich eine glückliche Reise! Ich reise in diesem Augenblick nach Bagdad. Jeder Augenblick Verzug ist ein Verbrechen, das ich an meiner Schwester begehe. Wenn ich in ihrer Befreiung glücklich bin, so reise ich durch Persien. Ohne Emma seht ihr mich nie in Kalekut wieder. Wie sehr verlangt mich danach, sie in deine Familie einzuführen. Nach ihren jetzigen Leiden wird sie ein Paradies in deinen mütterlichen Hallen finden.«
Don Antonio, der vor Ungeduld brannte, wieder nach London zu Mistreß Montgomery zurückzukehren, bot ihm einen Platz in seinem Wagen an. »Möge doch dein Vorhaben glücklicher ausfallen als das meinige,« sagte Firnos, »und deine Schwester bald in den Schoß ihrer Familie zurückkehren, obgleich meine unglückliche Mutter …« »Lebe wohl, De Grey – Lebe wohl, Firnos. Versichere den Samorin, die Samorina und den Hof meiner beständigen Ehrerbietung und die Gräfin Raldabar meiner Liebe.«
Am anderen Morgen trennten sich Firnos, Camilla und Naldor von Edmund und Clara. »Meine teuren Freunde,« sagte Firnos, indem er ihre Hände zusammenfügte, »möge doch die Liebe euch vergessen lassen, daß ihr verheiratet seid!«
Spät in der Nacht kamen sie in Portsmouth an; wie bekümmert war Firnos! Jeder Gegenstand in dem Wirtshaus, wo er auch bei seiner Ankunft in England gewohnt hatte, – voll Hoffnungen und Zutrauen hielt er den guten Erfolg seiner Reise für gewiß und glaubte seine Mutter schon gefunden und gerettet; jeder Gegenstand erinnerte ihn an seine Täuschung. Er überlegte ihre Erlebnisse in England. Jede Szene in ihrem Tagebuch stand vor seinem Gedächtnis. Er sah sie mit dem Blute der Gräfin O'Neil bespritzt, und alle seine kindlichen Gefühle zitterten bei dem gezogenen Schwert des Barbaren, der nach dem Blut seiner Mutter dürstet. – Wie schmeichelnd und beruhigend war der Gedanke für ihn, daß seine Mutter das Werk der Vorsehung war, um zwei Mitgeschöpfe vom Untergang zu retten. Sie rettete ein Kind und seine Mutter! Aber ach! ihr eigenes konnte sie nicht retten! – Wo ist sie, die kleine Osva, der Abkömmling der göttlichen Samora, eine Prinzessin des ersten Reichs der Welt, deren Vormütter so frei und berühmt waren? Wo ist sie? Vielleicht ein Flüchtling in einem fremden Lande, oder hat sie vielleicht schon ein Leben des Unglücks durch einen Tod voll Schande geendet? – O meine vielgeliebte Mutter, wenn du noch unter den Lebenden bist, so muß dich dieser Gedanke wohl töten. – Er benetzte seine Kopfkissen mit Tränen, und der Schlaf hatte kaum seine Augen geschlossen, als er vom Kapitän des Schiffes geweckt wurde.
Der Kapitän berichtete ihm, daß er nicht eher als den folgenden Tag absegeln werde.
Firnos wünschte das Schicksal des Freudenmädchens zu erfahren, die das erstemal, als er in Portsmouth war, ihn so interessiert hatte. Er schickte den Aufwärter, sie zu holen.
Der Aufwärter kam mit der Antwort zurück, daß eine schwere Krankheit sie ans Bett gefesselt halte.
Der Prinz entschloß sich, sie zu besuchen, und Camilla und Naldor erboten sich, ihn zu begleiten.
»Ich hoffe nicht,« sagte der Aufwärter, »daß Ihre Gnaden und die gnädige Frau es wagen werden, bis auf den Oberboden zu steigen, denn die gnädige Frau würde gewiß den Hals auf der Stiege brechen; überdem ist es auch ein berüchtigtes Haus und in einer Straße, wo kein anständiger Mensch bei Tage hineingeht.«
»Ehrlicher Christ,« sagte Firnos, »gehen deine Gedanken von Anständigkeit mit der Sonne zu Bett, oder ist es vielleicht anständiger, den Lohn, den so ein armes Geschöpf sich erwirbt, bei Nacht zu teilen, als ihr am Tage an ihrem Krankenbett beizustehen?«
Das Gewissen des Aufwärters trieb das Blut in sein Gesicht. Er führte sie zu dem berüchtigten Hause.
Das Haus stand in einer Gasse, deren Aussehen vollkommen mit ihrem Rufe übereinstimmte: Unsterbliche Liebe, einstige Beherrscherin von Cyprus und Knidos, wohin hat dich der Aberglaube geführt, um deinen Thron aufzuschlagen? Welcher Gestank vermischt sich mit dem Weihrauch, der zu deiner Gottheit aufsteigt? Alle rechtlichen Leute haben dir den Gehorsam aufgekündigt und sind Abtrünnige deiner Verehrung geworden. Das Mitleid leugnet seine Verwandtschaft mit dir. Die göttliche Milde schämt sich, dir beizustehen. Mörder sind deine Bundesgenossen, und Banditen deine Leibwache. Das Elend allein kann noch die Tugendhaftigkeit zwingen, ihr Brot in deinem Dienste zu essen, und Schande brandmarkt die Priesterinnen deiner Altäre.
Diese Betrachtungen hielten den Prinzen von Kalekut doch nicht ab, seinen Entschluß auszuführen. Naldor, der am längsten in England gewesen war, verbarg seine Uhrkette und hielt seine Taschen zu, als er an einigen verdächtigen Kerlen vorbeiging, die nicht übel willens schienen, sie auf der Treppe anzupacken. Sie waren nun bis zu dem ersten, zweiten, dritten und vierten Stockwerk gekommen. Hier und da kam ein halbnackender schreiender Balg, um sie anzustarren, eine neckische Branntweinverkäuferin blies ihnen den Rauch des schlechtesten Tabaks ins Gesicht, und eine Priesterin der Venus lud sie zu den Mysterien ihrer Gottheit ein und verfluchte sie zur Hölle, daß sie ihre Einladung nicht annahmen. Camilla brach fast den Hals, als sie die Stiege des obersten Stockwerks hinaufkletterten.
Das Elend selbst hätte nicht eine armseligere Wohnung finden können. Die rauhe Witterung hatte die hölzernen Laden geschlossen, denn gläserne Fenster waren nicht zu sehen, und das Licht des Tages blickte nur hier und da durch die Löcher des Dachs, wo der Wind die Ziegel hinweggeweht hatte, und beleuchtete die unglückliche Priesterin des Vergnügens, jetzt das Bild des Todes, auf einem großen Strohbett liegend. Ihre Wangen waren bleich, ihre Augen hatten allen Glanz verloren, und ihr Bein, das sie gebrochen hatte, war in eine Schiene eingeschlossen. Der Prinz fragte sie teilnehmend um die Ursache ihres Unglücks, aber als sie versuchte zu antworten, versagte ihr die Stimme, denn nun schon seit vierundzwanzig Stunden hatte sie keine Nahrung zu sich genommen.
Ein Weib trat zu dem Boden herein, deren schlechte Kleidung ganz mit den übrigen Gegenständen übereinstimmte. Ihre besten Jahre waren vorüber, ihr Aussehen aber hatte mehr durch die unordentlichen Gewohnheiten ihres Handwerks, als durch ihr Alter gelitten. Sie hatte ein Auge verloren, und ihr Atem roch nach Branntwein, aber ihre Sprache hatte das Gefällige eines höheren Standes. »Sei ruhig, meine Liebe,« sagte sie, indem sie die Hand ihrer kranken Schwester zärtlich faßte (Unglück, ein festeres Band als Blut, hatte sie vereinigt), »ich habe dir ein Brot mitgebracht und will dir nun auch gleich Tee machen; es hat lange gedauert, ehe ich das verdienen konnte. Ich bin nicht mehr jung, meine Reize sind dahin, Gott weiß, was noch mein Schicksal sein wird. Endlich begegnete ich einem Matrosen, der sich entschloß, mit mir nach Hause zu gehen; aber als er das Haus sah, konnte ich ihn nicht überreden, mit hereinzukommen; ich mußte daher mit ihm in ein Bierhaus gehen. Er bestand darauf, daß ich von seinem schlechten Branntwein trinken sollte, er gab mir nur einen Schilling; wenn es aber dunkel ist, will ich noch einen Ausgang wagen.«
Firnos fragte Fandella, durch welchen Zufall ihre Freundin das Bein gebrochen hätte. »Mignonne«, sagte sie, »(denn das ist der Name, den ein Seekapitän meiner Gefährtin gegeben hat, und vielleicht wünscht sie, daß ihr wirklicher Name nicht bekannt wird), war vor einigen Wochen das schmuckeste Mädchen in der Stadt, sie war der Liebling der ganzen Flotte im Hafen. Spanische Taler und Dublonen regneten in ihren Schoß. Sie erhielt Besuche von Kapitänen und Leutnants; sollte sie jetzt wieder genesen, dann muß sie auch mit den Umarmungen der gemeinen Matrosen zufrieden sein. Aber auch bei ihrem besten Verdienst seufzte sie doch immer nach einem ehrlicheren Lebensunterhalt. Eines Tages sagte ihr der Aufwärter eines Gasthofes, der in ihrem Solde war, daß eine vornehme Dame, die in seinem Gasthof wohne, ein Kammermädchen brauche. Mignonne trat in ihre Dienste, aber bald entdeckte sie, daß ihre neue Herrschaft mit einem Edelmann, der sie immer mit der größten Vertraulichkeit besuchte, ihrem Manne entlaufen war. Der Mann überraschte ganz unerwartet die zwei Liebenden. Sie flohen in einer Postkutsche mit vier Pferden bespannt davon, wurden umgeworfen, und Mignonne brach das Bein. Das liebende Paar hatte kaum Geld genug, seine Flucht fortzusetzen; sie verließen sie also ohne jede Belohnung. Sie wird nach Hause gebracht, und die Rechnung des Wundarztes frißt vollends ihren kleinen Sparpfennig auf, ein geiziger Wirt wirft sie aus ihrer geschmackvollen Wohnung, und man bringt sie hierher, wo die Menschlichkeit des Wundarztes versprochen hat, ihre Kur zu vollenden; aber ich muß gehen und ihr Tee machen.«
»Ich wollte darauf schwören,« sagte Naldor, »daß ich das Weib schon irgendwo vorher gesehen hätte, ihre Stimme ist mir so bekannt.«
Als Mignonne durch den Tee etwas gestärkt war, dankte sie dem Prinzen für den Anteil, den er an ihrem unglücklichen Schicksal nahm. Bald darauf kam der Wundarzt, um nach ihrem Bein zu sehen, und Fandella bat die Anwesenden, mit in ihre Kammer zu gehen.
»Jetzt sehen Sie mich in dem dritten Stockwerk,« sagte Fandella; »in meinem goldenen Zeitalter bewohnte ich das erste. Da ich aufgehört hatte, neu zu sein, bewohnte ich das zweite, denn das silberne Zeitalter war eingetreten, und jetzt kann ich mich sehr glücklich schätzen, wenn die Überreste meiner vorigen Reize mich in den Stand setzen, diese elende Kammer zu behaupten, und ich nicht genötigt bin, zu Mignonne auf den Oberboden zu ziehen. Dies ist mein kupfernes Zeitalter, wie der Unterschulmeister einer benachbarten Armenschule neulich bemerkte, der mir vier Pence für meine Mühe gab, als er eine Nacht mit mir zugebracht hatte.«
»Ich müßte mich sehr irren,« sagte Firnos, »aber ich glaube nicht, daß Sie für diese Lebensart geboren waren.«
Fandella: »Keiner weiß, zu was er geboren wird. Ich habe Lords zu meinen Füßen seufzen sehen, das Visavis eines Herzogs stand zu meinem Befehl, und heute brauchte mich ein betrunkener Matrose. Meine Schwester fährt in ihrem Wagen, unterdessen ich in hölzernen Schuhen geschäftig hin und her laufe, manchmal ohne zu essen zu Bett gehe und die Hunde in meines Bruders Stall beneide. Wir stehen alle bald oben bald unten in diesem Leben.«
Firnos: »Madame, Sie sind eine Philosophin.«
Fandella: »Ach, mein Herr, ich bin nur ein Freudenmädchen.«
Naldor: »Und auf meine großen Unkosten meine Frau!«
Fandella sah Naldor an, veränderte etwas ihre Farbe, schien verlegen, biß sich in die Lippen und brach auf einmal in ein lautes Gelächter aus.
Fandella: »Um's Himmels willen, caro sposo, wie sind Sie denn aus dem Gefängnis entwischt? Ich glaubte Sie für Ihre ganze Lebenszeit gut aufgehoben.«
Naldor hatte einen zu großen Ekel vor ihrer Unempfindlichkeit, als daß er ihre Neugierde befriedigen konnte.
Firnos: »Hören Sie, Fandella, Mignonne hat mich einst durch die Erzählung ihres Lebens sich sehr verbindlich gemacht; ich bin gewiß, die Ihrige ist nicht weniger merkwürdig; wollen Sie wohl so gefällig sein, sie uns zum besten zu geben?«
Fandella: »Herzlich gern, eine von der Schwesternschaft, noch dazu nur mit einem Auge, darf ja keine Gelegenheit vorbeigehen lassen, eine Guinee zu verdienen.«
Firnos nahm eine aus seiner Börse.
Fandella: »Sehen Sie, wie ich jetzt bei dem Anblick einer Guinee vor Freuden in die Höhe springe, und einst hatte ich deren fünftausend im Vermögen, aber dieses Vermögen war auch wahrscheinlich die Quelle aller meiner Mühseligkeiten:
»Mein Vater, ein Landedelmann, überließ mich nach seinem Tode der Sorge meines Bruders. Ich hatte mein sechzehntes Jahr erreicht, als der Kapitän Lisle mir bei einem unserer Bälle als Tänzer vorgestellt wurde. Er sagte mir so viele Artigkeiten und machte meiner Schönheit so viele Komplimente, daß mein junges Herz, noch ehe es Nacht wurde, sein war. Da er die Kunst aus dem Grunde verstand, gleich bei dem ersten Anblick die schwache Seite von jedermann zu erkennen, so gewann er sich bald meines Bruders gute Meinung, indem er sich bei einem Pferdehandel von ihm übertölpeln ließ. Mein Bruder, obgleich im Grunde von einem sehr ehrlichen Charakter und mehr dazu geeignet, der Betrogene als der Betrüger zu sein, wußte sich doch viel auf die niedrige Verschlagenheit und Pfiffe eines Roßkammes. Lisle wurde nun zu uns gebeten, und bald darauf entlief er mit mir nach Gretna Green. Nur zu bald machte ich die traurige Entdeckung, einen berüchtigten Gauner geheiratet zu haben, der nicht einmal einen Namen hatte, der ihn empfahl. Meine Freunde erboten sich, die Heirat für unrechtmäßig erklären zu lassen, da er mich unter einem falschen Namen geheiratet hatte (denn Armstrong war sein rechter Name), aber ich gab es nicht zu. Ich hatte genug Kenntnis von der Welt, um einzusehen, daß, wenn ich mich von ihm trennte, ich die Hoffnung auf einen anderen Mann, so lange als ich lebte, aufgeben müßte. Und obschon zu der Zeit meine Bescheidenheit es niemals würde öffentlich bekannt haben, so war doch mein Temperament gar nicht dazu geschaffen, um an einer beständigen Witwenschaft Vergnügen zu finden. Ich blieb deswegen bei Armstrong, meine Familie zahlte ihm mein Vermögen aus und überließ mich meinem Schicksal.
»Als mein Mann die letzte Guinee davon durchgebracht hatte, entschloß er sich, meine Reize zu Geld zu machen; und für fünfzig Pfund und nachher für die Hälfte der Summe, in die Hand meines Herrn und Gebieters gezahlt, war ich genötigt, jeden Liebhaber, der sich darbot, anzunehmen.
»Da er nun einmal meine Reize preisgegeben hatte, so nahm er sich auch vor, jedes Gefühl von Ehrlichkeit in mir zu ersticken. Seine üble Behandlung war endlich von gutem Erfolg, und die Beredsamkeit seines Stocks überwand alle meine Bedenklichkeiten. Ich wurde die Lockspeise bei der Pharaotafel, welche er in einigen der Modebäder hielt, und wehe dem Jüngling, der mehr Geld als Verstand hatte, wenn er in unsere Klauen fiel: meine Reize verrückten ihm den Kopf, und meines Mannes Habsucht leerte seinen Beutel. Endlich zwang uns die Entdeckung eines spitzbübischen Komplotts, über welchem er in England gebrütet hatte, das Land zu verlassen. Wir führten nun zwei Jahre hindurch ein herumschwärmendes Leben auf dem Festlande, indem wir den Winter durch die beträchtlichsten Messen in Deutschland besuchten und während des Sommers uns in Spa oder Aachen, Pyrmont oder Karlsbad aufhielten.
»In Karlsbad gewann Armstrong eine große Summe von einem Polen; er folgte ihm nach Wien. Hier wurde ich von einem Kinde entbunden. Ich war erstaunt, als man es mir gleich nach der Geburt entriß, aber Armstrong beruhigte mich mit der Versicherung, daß er es einer Amme übergeben habe. Nach meiner Wiedergenesung wollten wir die Stadt verlassen; ich wünschte, daß das Kind nach Hause geholt würde, doch Armstrong sagte mir nun, daß er es in ein Findelhaus getan hätte. Meinen Kummer und Unwillen können Sie sich leicht denken. Ich war eine Hure und eine Betrügerin, aber ich war doch eine Mutter, ich gab ihm jeden schändlichen Namen, den ein solcher Schurke verdient. Er flog mit seinem Stock auf mich zu. Ein Offizier, der in dem anstoßenden Zimmer wohnte und mein Geschrei hörte, kam mir zu Hilfe und nannte ihn eine Memme. Sie zogen ihre Degen, und Armstrong erhielt einen Stich durch das Herz. Der Verlust eines solchen Mannes kostete mir nicht eine Träne, aber die Angst um mein Kind verursachte mir eine schwere Krankheit. Damals war ich doch ein närrisches empfindsames Geschöpf, ich seufzte und jammerte einen ganzen Monat und nahm kaum einige Nahrung zu mir, daß ich so mager wurde wie ein Strohhalm, aber jetzt habe ich noch weniger Gefühl wie ein Spartaner, und wenn mich etwas bekümmert, so lache ich um so viel lauter. Einst, wie ich noch zu Hause war, vergoß ich Tränen, weil eine Turteltaube, die ich gefüttert hatte, zu einem Mittagessen sollte bereitet werden, und neulich, als zwei von meinen Liebhabern gehängt und gevierteilt wurden, sah ich dem ganzen Spaß ganz ruhig zu.
»Meine Landsmänninnen in Wien waren menschlich genug, eine Subskription für mich zu veranstalten, und gaben sich viel Mühe, mein Kind zu entdecken, aber da mein Mann die Grausamkeit gehabt hatte, es ohne irgendein Kennzeichen von sich zu geben, so war jede Nachforschung unter der Menge von Findlingen umsonst. Ich reiste nach England ab und blickte oft noch betrübt nach dem Ort zurück, wo die kleine Waise verloren war.
»Bei meiner Zurückkehr wollte meine Familie gar nichts mehr von mir wissen; ich hätte vielleicht auf den Pfad der Ehre und Tugend können zurückgeführt werden, aber das Leben, welches ich geführt hatte, war zu bekannt, meine Liebschaften nahmen zu viel Platz in der skandalösen Chronik ein, mein Charakter war zu schlecht, als daß mich meine eigenen Verwandten hätten unterstützen können, und die Gesellschafter meines verstorbenen Mannes waren nicht dazu gemacht, um moralische Gefühle bei einem jungen Weibe in meiner Lage zu erwecken. Ich vereinigte mich nun mit Abenteurern, Spielern und Betrügern und hatte meinen Teil an ihrer Beute. Kurz, ich bin die berühmte Mistreß Jackson, und ich habe schon oft daran gedacht, das Publikum mit meinem Lebenslauf und meiner Verteidigung zu beschenken, aber bis jetzt habe ich noch nicht mit dem Buchhändler übereinkommen können.
»Einst hatte ich einen Goldschmied überlistet, daß er mir einiges Silberzeug gab; der Mann kam und verlangte seine Bezahlung; ich hatte meinen Namen und meine Wohnung gewechselt, aber er forschte mich aus und drohte mir mit dem Gefängnis. Ich sah bald, daß seine Grundsätze von Ehrlichkeit mit den meinigen so ziemlich einen Gang gingen. ›Welchen Vorteil würdet Ihr davon haben, wenn ich im Gefängnis vermoderte? Nein, Eure einzige Hoffnung auf Bezahlung ist, mich in Freiheit zu lassen, damit ich einen närrischen Italiener zur Heirat locke.‹ Verzeihen Sie die Härte des Ausdrucks,« fuhr sie fort, indem sie dem caro sposo eine Verbeugung machte. »›Er ist ganz vernarrt in mich, und wenn er in der Schlinge, die ich ihm lege, gefangen wird, so könnt Ihr ihn den anderen Tag mahnen, soviel Ihr wollt.‹
»Ich hatte den Cavaliere Pellerini bei Fitz Allan gesehen, dessen Großmut ich wegen der Bezahlung einer unbedeutenden Summe, die sein Schwager, der unglückliche Whitgrave, meinem verstorbenen Mann schuldig geblieben war, in Anspruch genommen hatte.«
»Wie,« sagte Firnos zu Naldor, »ihr Mann ist der nämliche Armstrong, dessen teuflisches Projekt in meiner Mutter Tagebuch erwähnt ist?«
Naldor: »Es ist der nämliche.«
Firnos: »Gott sei gedankt, diese Nachricht macht mich sehr glücklich. – Ehe ich noch Europa verlasse, sehe ich doch, daß die Vorsehung überall die nämliche ist, und daß, so abgeschmackt auch hier die Begriffe von Liebe sind, doch selbst auch hier solche entschiedenen Bübereien ihrer Strafe nicht entgehen. – Nun gut, fahren Sie fort, Madame.«
Fandella: »Ich bin fast am Ende meiner Erzählung. Ich beredete den Cavaliere, Edinburg mit mir zu besuchen, wir wohnten in dem Hause eines Mannes, von dem mir bekannt war, daß er seine Hand zu einem ähnlichen Komplott, gegen einen anderen jungen unbesonnenen Menschen, geboten hatte. Der Cavaliere nannte mich vor Zeugen seine Frau, wurde wegen meiner Schulden ins Gefängnis gesetzt, und was sich während der Zeit mit ihm zugetragen hat, darüber wird er uns wahrscheinlich am besten selbst Auskunft geben können. Ich überließ ihn seinem Schicksal, ohne mir irgendeinen Vorwurf zu machen. In meiner ersten Ehe war ich der Narr meines Mannes; da ich aber während der Zeit ein wenig weltliche Weisheit gelernt hatte, so faßte ich den Entschluß, daß in meiner zweiten mein Mann der meinige werden sollte.
»Nach der Zeit fuhr ich in dem Wagen eines jungen reichen Erben die Gassen auf und ab, und als sein Vater ihn zwang, zu heiraten, so kam ich mit anderen Gerätschaften in die Hände seines Wucherers. Ich besuchte nun die Schauspielhäuser sehr fleißig und unterbrach durch mein lautes Lachen die anziehendsten Szenen, so daß sich jedes Auge auf mich wendete. Darauf begleitete ich einen Kapitän, der auf Rekrutierung reiste; er überraschte mich in den Armen seines Korporals und warf mich zum Hause hinaus.
»Der Einfluß meiner Reize beschränkte sich von nun ab auf eine niedere Sphäre. Wollen Sie wohl glauben, daß ich die Schwachheit hatte, mich wirklich in den Korporal zu verlieben, und dem Regimente überallhin, wo er einquartiert wurde, folgte? Die Liebe, ach! die Liebe hat mich so weit gebracht.
»Sehr oft hatte ich nicht einen Schilling in der Tasche; dies war auch der Fall, als eines Abends ein herumziehender Schauspielertrupp den Julius Cäsar in einer Scheune aufführte. Um von dem Vergnügen zu profitieren, mußte ich durch eine Spalte in den Brettern zusehen, als auf einmal Brutus, der mit gezogenem Schwert seine Rolle probierte, mir den tödlichen Stahl in das Auge stieß. Die jungen Herren der Etonschule kannten mich nun unter dem Namen der einäugigen Zauberin.
»Vergangenen Herbst wurde das Regiment des Korporals nach Westindien beordert, und ich folgte ihm bis hierher; doch der undankbare Lothario, der bis zum Offiziersspieß avancieren sollte, wenn er die Wäscherin des Majors heiratete, und der wahrscheinlich meines noch übrigen Auges überdrüssig war, schiffte sich ohne mich ein und ließ mich zurück, um die Unbeständigkeit der Männer zu beklagen, oder die Täuschung der uneigennützigen Liebe in einem Krug Porterbier zu ersäufen. – Aber ich muß nun doch zusehen, ob vielleicht Mignonne noch mehr Tee verlangt.«
Firnos: »Sagen Sie mir doch, Sie, die Sie sich rühmen, aller Gefühle beraubt zu sein, die einen Mann im Gefängnis verfaulen lassen wollten, sind Sie nicht eine große Närrin, daß Sie sich so viele Mühe um Mignonne geben?«
Fandella: »Vielleicht bin ich es; ich habe der Sache noch nicht so recht nachgedacht: aber Mignonne ist auch nicht mein Mann.«
Firnos: »Armes Weib, deine Aussichten auf Glückseligkeit waren einst so vielversprechend, und dein Herz war von Natur gut, die Ehe hat beides verdorben. Naldor, morgen verlassen wir die Insel, die Zwischenzeit ist kurz, und doch wollte ich wohl wetten, daß wir sie nicht verlassen, ohne noch einige Anklagen gegen die Ehe zu hören.«
Fandella kehrte mit Mignonnes Wundarzt zurück; der Prinz lobte seine Menschlichkeit, bat ihn, seine Mühe zu verdoppeln, und machte ihm ein artiges Geschenk.
Sie stiegen nun wieder zu Mignonne hinauf, um ihr Lebewohl zu sagen, als man auf einmal ein Husten und Räuspern auf der Stiege hörte, als ob der Boden auf den wichtigen Besuch, den er eben empfing, erst vorbereitet werden sollte; ein Mann trat herein, mit einer gepuderten Perücke und mit Manschetten, die ihm bis auf die Knöchel gingen, der, wohlbewußt seiner Würde als Repräsentant seines Herrn, sich nicht die Mühe nahm, an den Hut zu greifen, sondern sich mit der groben Aufgeblasenheit eines Menschen, der aus niederem Stande emporgekommen ist, dem Bette näherte. – Es war der Haushofmeister eines Edelmanns.
Haushofmeister: »Nun, Mamsell, wie lange sollen wir, ich und mein Herr, wohl noch auf dem Seil tanzen; ich hoffe, ich bin zum letzten Male hier –«
Mignonne: »Das hoffe ich auch.«
Haushofmeister: »Mein Herr läßt Euch dreißig Pfund für Euer Zeugnis anbieten.«
Mignonne: »Ich kann keines geben.«
Haushofmeister: »Nun, dann sogar fünfzig.«
Mignonne: »Sagt Eurem Herrn, und wenn er mir fünfhundert gäbe, so würde ich doch niemals die Frau verraten, deren Brot ich gegessen habe.«
Haushofmeister: »Ist das Euer letzter Entschluß?«
Mignonne: »Mein letzter.«
Haushofmeister: »Nun denn, so verhungert.«
Als er dies gesagt hatte, ging er fort und schlug die Tür hinter sich zu.
Mignonne: »Ist der Schurke fort? Fandella wird Ihnen wahrscheinlich gesagt haben, daß meine letzte Herrschaft ihren Mann verlassen hatte; aber glücklicherweise kann er ohne mein Zeugnis nichts beweisen.«
Firnos: »Großmütiges Mädchen, das, bedeckt mit Lumpen, in einer kalten Dachstube vor Frost zittert, ohne einen Trost, der sie aufrichtet, und ohne einen Freund. Doch nein, ich bin ungerecht gegen Fandella; ihr tugendhaften Weiber, lernet in einem Bordell, was uneigennützige Freundschaft ist. Sage mir, Mignonne, woher hast du die Stärke, fünfzig Pfund auszuschlagen?«
Mignonne: »Meine gnädige Frau behandelte mich so gütig, könnte ich anders handeln?«
Firnos führte Camilla beiseite, und nachdem sie einige Zeit heimlich miteinander gesprochen hatten, kam Camilla zu ihr zurück. »Mignonne,« sagte sie, »ich bin eben im Begriff, England zu verlassen, und brauche eine Kammerjungfer; wenn du keine Einwendungen gegen eine Reise nach Indien hast und, wie ich nicht zweifle, wirklich entschlossen bist, eine Lebensart aufzugeben, die nicht deine freie Wahl, sondern die Not dir aufzwang, so biete ich dir die Stelle an.«
Mignonne nahm das Anerbieten an, und sollte noch dieselbe Nacht in den Gasthof gebracht werden, um sich mit ihrer neuen Gebieterin einzuschiffen.
Naldor machte der Fandella ein Geschenk. »Ich bitte dich,« flüsterte er Firnos zu, »laß mein schätzbares Weib nicht merken, daß ich mich mit dir einschiffe, sonst macht sie vielleicht bis morgen neue Schulden, und ich, ein armer Mann, kann noch gar arretiert werden, ehe wir aus dem Hafen segeln.«
Die vier Reisenden kehrten in das Wirtshaus zurück.
Camilla dachte eben darüber nach, wie groß Mignonnes Erstaunen sein würde, wenn sie, die so lange das Opfer europäischer Vorurteile war, sich in einem solchen Schutzhafen wie Kalekut befinden würde, als Fandella mit einem Brief kam, worin Mignonne ihr sehr für ihre gute Meinung dankte und ihr erklärte, daß ihre mütterliche Liebe ihr nicht erlaube, sich so weit von ihrem Kinde zu entfernen. Des Kindes eigener Vorteil hätte sie zwar genötigt, sich so lange seines Anblicks zu berauben, aber nichts würde fähig sein, sie zu verleiten, es ganz aufzugeben.
Camilla konnte nichts tun, als diesen Entschluß billigen, der übrigens auch noch ihre Hochachtung vor Mignonne vermehrte; sie schickte ihr einen Brief, worin sie den Schutz der Mistreß Montgomery für sie erbat.
»Wie,« sagte Naldor, »Sie wollen also ein liederliches Weib einer vornehmen Engländerin empfehlen?«
»Warum nicht,« antwortete Camilla, »sie ist nicht die erste Unglückliche, die sie vom Verderben rettete.«
»Nun, Firnos,« sagte Naldor den anderen Tag, »du hättest deine Wette verloren, der Tag unserer Abreise ist nun da, und wir haben kein neues Eheopfer getroffen.«
Firnos: »Eheopfer! ich danke dir für das Wort, es ist der natürlichste Ausdruck, den uns die Ehe gibt; aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, welchen eure Dichter in Europa sich so schön denken, ›Ketten der Liebe‹. Liebe braucht keine Ketten, nicht einmal Ketten von Rosen, denn zwei Herzen, die der Magnet der Liebe berührte, sind ewig verbunden, nichts wird sie trennen. Doch sobald die magnetische Kraft aufhört zu wirken, warum dann durch die Ehe in eiserne Fesseln, überflüssig, solange sie nicht beschwerlich sind, die Körper schmieden, die die Seele der Liebe verlassen hat.
Camilla (in die Hände klatschend): »Bravo, Firnos! bist du begeistert! Die Idee ist wirklich poetisch.«
Firnos: »Wenn sie das wirklich ist, so bin ich unschuldig daran, der Gegenstand riß mich hin.«
»Der Tag unserer Abreise ist nun erschienen,« sagte Naldor, als sie die Treppe hinuntergingen.
»Ist aber noch nicht vorüber,« sagte Firnos; er blickte auf und sah Susanne unter der Menge, die ihren Wagen umgab, aber wie sehr verschieden von jener Susanne, deren Reize ihm fünfzig Pfund gekostet hatten. Ach! wie verändert, ihr Auge ohne Glanz, ihre Wangen ohne Farbe, ihre niedergeschlagene Miene und ihr zerrissener Anzug trugen jedes Zeichen von Unglück und Armut. – »Wie geht es dir, Susanne?« – Ein Seufzer war die Antwort. – »Wo ist dein Mann?« – »Ich habe ihn verloren.« – »Dann mußt du einen anderen nehmen.« – »Ich darf nicht.« – »Warum nicht?« – »Mein Mann ist nicht tot.« – »Wo ist er denn?« – Susanne stammelte heraus: »Er ist nach Botany Bay deportiert worden.«
Firnos hatte keine Zeit, sie um ihre Geschichte zu fragen, es war hohe Flut und der Kapitän sehr ungeduldig. Er gab ihr eine Guinee, sprang in den Wagen und fuhr zum Hafen. Sie wurden eingeschifft.
Der Kapitän, der das Wirtshaus zu besuchen pflegte und Susanne kannte, sagte ihm, daß ihr Mann, der Aufwärter, auf sieben Jahre nach Botany Bay wäre transportiert worden, weil er seinem Herrn Silberzeug gestohlen hatte. »Wie,« sagte Firnos, »kann das Gesetz verlangen, daß das arme Weib in der Blüte ihrer Jugend sieben Jahre hindurch auf den Genuß der Liebe soll Verzicht tun, oder verlangen, daß ein ehrliches Weib nach sieben verflossenen Jahren einen berüchtigten Schurken wieder in ihre Arme aufnehmen soll? Soviel ich mich bemüht habe, einige Einsichten von der britischen Gerichtspflege zu erhalten, so konnte ich niemals bezweifeln, daß eine Verurteilung zur Deportation zu gleicher Zeit auch eine Scheidung zugunsten des unschuldigen Weibes bewirkte. Naldor, ich würde die Wette jetzt verloren haben.«
Als die weiße Küste Englands ihrem Gesicht entschwunden war, sagte Firnos: »Ach, Camilla, du bist mein Schutzengel gewesen. Deine Liebe war der Knäuel, der mir den Weg aus diesem Labyrinth von Vorurteilen zeigte. Hätten deine glänzenden Eigenschaften mich nicht an dich gefesselt, so würde ich, durch meine Leidenschaften getrieben, an diesem Gestade Schiffbruch erlitten haben. Ich wäre vielleicht durch einen eigensinnigen Ehemann ermordet oder durch einen eifersüchtigen angeklagt worden. Oder vielleicht auch gar verheiratet!«
»Und durch ein ausschweifendes Weib in das Gefängnis gebracht worden,« rief Naldor, ihn unterbrechend. »Leb' wohl, du Fegefeuer der Liebe.«
Die ersten Monate ihrer Reise waren glücklich vorübergegangen, aber je näher Firnos seinem Mutterlande kam, je mehr machte ihn der üble Erfolg, seiner Reise mißmutig. Er sah schon die Traurigkeit, die sich auf jedem Gesicht in Kalekut verbreiten würde, er sah die Bekümmernis seines Oheims und die Verzweiflung seiner ehrwürdigen Großmutter bei der Ungewißheit von Agalvas Schicksal und dem Verlust ihres Kindes Osva. Niemals blies ein frischer Wind in die Segel, ohne daß er in den düsteren Träumen seiner Einbildungskraft die geliebte Mutter, mit den Wellen kämpfend, untersinken sah. Er schauderte zusammen. Camilla schmeichelte ihm umsonst mit der Hoffnung, sie schon zurückgekehrt zu finden, Camilla, die selbst Mutter werden sollte, denn bald darauf brachte sie eine Tochter zur Welt, die sie dem Element zu Ehren, das sie zuerst wiegte, Marina nannte.
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