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Die erste der drei Szenen

Die Zeit der Frühmesse. Eines Sonntags.

Drüben läutets Wandlung. Hoch vom Turm. Die beiden, der Pfarrer und die Ambrosia, lösen die Hände auseinander, die sich bis dahin hielten, und bekreuzen sich zu diesem Augenblick und schlagen an die Brust, so wie man muß und wie mans, seit man denken kann, in der Gewohnheit hat.

Dann eine ganze Weile Schweigen.

Ambrosia mit einer Feindlichkeit im Ton: Du, die ist noch nicht aufgestanden, du.

Achatius der nicht gern darüber reden möchte, fragt drum fürs erste lieber, obwohl er genau weiß, wer gemeint ist: Wer?

Ambrosia: Na, die Neue.

– – – – –

Und dieses, das sie jetzt sagt, sagt sie ganz ohne Feindlichkeit und so lieb fast, wie eine Frau zu einem kleinen Kind, das unterhalten sein will. Aber jetzt, jetzt. Hörst?

Achatius geht ziemlich auf den Ton ein: Ja. Und horcht eine ganze Weile.

– – – – –

Ja, jetzt steht sie also auf.

Ambrosia: Ja. Jetzt. Sie sagt das sehr vorwurfsvoll, sehr strafend.

Achatius entschuldigend: Sie hat auch keine leichte Herreise gehabt, bis her zu uns. Ich glaub, an sieben Stund.

– – – – –

Und nun muß er doch das Thema anschneiden und will auch.

Du magst sie nicht?

Ambrosia seufzt: Ach.

Achatius: Das ist schon begreiflich.

– – – – –

Aber sie nimmt dir nichts. Für die paar Monat.

Ambrosia wimmert: Für die paar Monat.

Achatius: Nimmt sie dir denn was?

– – – – –

Dann bist dann du, dann bist du wieder da. Bei uns. Und sehr leise. Bei mir.

Ambrosia ganz Wunsch, daß es so sei, und zugleich so befriedigt, als obs schon wäre: Bei dir, Achaz. Bei dir.

– – – – –

Nun wieder seufzend und wimmernd.

Wenns nicht so schwer sein tät. So gar so schwer. Das was jetzt kommt. Das was mir jetzt bevorsteht. Ich bin so jung nimmer, ich bin schon –

Achatius fällt ihr in die Rede: Du.

Ambrosia: Ich bin so jung nimmer. Nimmer die jüngste. Ich bin so jung nimmer. Ich kanns voraussagen –

– – – – –

In Sterbensangst. Du, wenn ich –

Achatius: Du. Du, du.

Ambrosia: Du, wenn ich –

Achatius: Du.

Ambrosia: Ich bin so jung nimmer. Ich überstehs nicht. Ich überdauers nicht. Ich bin schon –

Achatius ächzend: Du.

– – – – –

Mit leisem Vorwurf. Gegen sie und sich selber. Wie oft ist jetzt die Red schon zwischen uns von dem gewesen –

– – – – –

Vertraun. Vertraun. Aufschaun zu IHM.

Ambrosia die Hände, die fast alte Weiberhände sind, fahren ihr mädchenhaft genug empor und suchen die Augen zu verdecken. Wie singend: Aufschaun? Zu ihm? Aufschaun? Ich kann nicht aufschaun. Ich kann nimmer. Ich trau mich nimmer. Nein. Nein, nein. Nein, nein. Ich darfs gar nimmer. Nein.

– – – – –

Andere Melodie. Wir. Zwei so alte Leut. Und daß uns das noch – oh, daß uns das noch – oh – 's ist nicht zu sagen, 's ist kaum zu glauben.

– – – – –

Steht schnell auf. Nach seiner Hand langend. Du, ich mein, sie kommt. Horcht. Ich hab ihr in der Küch' draußen alles hingstellt. Ihren Kaffee – ich schau nur schnell noch nach. Hält seine Hände.

– – – – –

Und alles zu Mittag hab ich lang ang'richt. Und fürn Koprator – Aber ich schau noch nach. Sie geht nach der Küche.

Achatius geht wartend umher. Und viele Male an der Brille rückend. Denkt an seine Predigt und an was er Ambrosia noch sagen möchte.

 

Grad als ob sichs heut schlechter durch die Brille säh als sonst. Drum, wie seine Sehkraft prüfend, sieht er den Rest des Wartens zum Fenster hinaus.

Wie die Ambrosia dann zurückkommt, zählt sie anstelle eines Geeigneteren vorerst ihre unterschiedlichen Gepäckstücke, ganz ohne aufzusehn und Achatius anzusehn, noch einmal nach. Nämlich die liegen auf dem Tisch, auf dem Kanapee, auf der Kommode und auf zwei Stühlen. Alles Wäsche- und Kleidungsstücke. In Bündeln. In Leinentücher, geränderte Halstücher und bunte gar großformatige Schnupftücher eingeknüpft. An einem der Stücke löst sie nun einen Knoten auf und knüpft ihn dann um so fester zu. Und erst ganz gen Ende dieser Arbeit, die ein wenig müßig scheint, findet sie ein paar Worte, die die Situation von vorhin neu geben sollen, die halb einen zu einer Fortsetzung des früheren Gesprächs aufmunternden Sinn haben und doch im Ton zur Hälfte abweisend sind: Ich hab ihr gsagt, du bist noch da herin. Das heißt soviel wie sie soll nicht hereinsehn jetzt.

– – – – –

Und setzt sich dann und sitzt, wie eine Bäuerin im Wartesaal eines Bahnhofs, inmitten ihrer Bündel.

Achatius macht erst zur Einleitung ein paarmal: Hm. Es ist schwer, was er sagen will.

– – – – –

Ambrosia, das mit der Sünde, das mit dem Sündgefühl, das du mir gsagt hast, mit dem nicht Aufschaun können schau frei auf!

– – – – –

Was sind wir? Menschen. Ich bin auch nur ein Mensch. Das ist eben Erbsünd. Herausfordernd. Aber möchts in vielen was man so Ehen nennt, in christlichen Ehen, möchts in gar vielen nur grad sein als wie –

wie zwischen uns zwei! Das ist keine Sünd nicht.

Ambrosia: Das sagst du jetzt, Achaz, das sagst zu mir, weil –

– – – – –

Das sagst du jetzt und sagst nur jetzt zu mir, weil ich jetzt so bin – Ja, jaja. Eija.

Verweisend. Du, bitt dich, nimm mirs nicht in Übel, aber wie hast du früher gsagt, wies angfangt hat, dasselbige mit uns, selbiges zwischen uns? Da hast du gsagt, du nimmst die Schuld auf dich, die ganze Schuld, die doppelte, auf dich, die meinige wie die deinige, auf dich, und trittst dann gradaus hin vor unsern Herrgott. Denn ich bin frei von Sünd, so hast du gsagt. Ja. Denn mir vergibst dus ja, wie ich dirs beicht. Ja. In heiliger Beicht, kraft deines Priesteramts. Du bist als Beichtvater an Gottes Statt und absolvierst mich! Dortmals hast du so gsagt, heut sagst du so. Heut sagst du gar, es ist – ist überhaupt nicht Sünd –

– – – – –

Wimmert wieder. Ich kann nicht aufschaun!

Achatius: Ambrosia.

Ambrosia es hat sie wie ein Fieber gepackt: Jetzt weiß ich, was ich tu –

– – – – –

Ich geh jetzt – und –
komm nimmer wieder –

Achatius beispringend: Du!

– – – – –

Ganz eigen. Und 's Kind? Und 's Kind? Und unser Kind!

Ambrosia: Ach Gott –

– – – – –

Sie weint. Weint sehr und lang. Weint, wie um sich zu erlösen. Denn nun ist manches ausgesprochen, und für manches andere, das noch unausgesprochen blieb, gibt es in dieser altbayerischen Denk- und Redeweise keine Worte.

Weinen, weinen. Das Weinen eines Weibleins, das über seine jungen Jahr lang hinaus ist.

 

Und nun endlich hat sie mit Weinen aufgehört.

Und nun kann Achatius seine paar Fragen tun. Äußerliche. Geschäftliche sozusagen: Die Frühmeß ist gleich aus. Ich hab jetzund Amt und Predigt vor mir. Seh ich dich nachher nimmer?

Ambrosia: Nein. Ja. Nein.

Achatius: Zu wann hats dich denn unser Posthalter wissen lassen? Wann solls denn fortgehn mit dir?

Ambrosia: Zu nach der Frühmeß. Während Amt und Predigt.

Achatius: So.

– – – – –

Dann geht er auf sie zu. Und in drei Wochen komm ich dann das erste Mal zu dir hinüber. Recht so? Ja?

Ambrosia schmiegt sich an ihn: Ich möcht –

Achatius: Na was denn?

Ambrosia so wie sie diese folgenden Worte sagt, so rankt, so klammernd rankt sich Efeu an einem Stamm hoch und höher: Ich möcht –

zuvor die Predigt noch hörn von dir, Achaz –

Achatius preßt sie unwillkürlich und jäh an sich. Dann zwingt er sich zu einem Lächeln, zu fast einem Lachen: Die ist nicht sonders neu, die kennst du lang schon.

Ambrosia wiederholt nur: Zuvor die Predigt noch hörn von dir, Achaz –

– – – – –

Achaz –

Da setzt Läuten ein, da läutets Sanktus von drüben.

Achatius: Alsdann – Er nickt ihr zu und geht. Er muß nach der Kirche.

 

Eine Weile; und Ambrosia geht zur Tür, die nach der Küche führt, und öffnet die und ruft verschiedene Male: Prechtlin. Prechtlin. He! Prechtlin.

Irma von draußen antwortend: Ja? Dann tritt sie ein. Den letzten Bissen ihres Frühstücks kauend.

Ambrosia nicht allzu freundlich: Paßts auf, Prechtlin. Der Koprator muß gleich da sein. Und da will er seine Frühmahlzeit.

Irma: Ich kann mirs denken.

Ambrosia: Und wenn Hochwürden aus der Predigt kommt, wenns Amt aus ist, dann steht auch schon ein Bissen und eine Taß Fleischsuppen auf dem Tisch.

– – – – –

Er ist viel hungrig jedsmal. Nach Amt und Predigt.

– – – – –

So. Und 's Andere wißt ihr? Alles? Alles genau?

Irma: Alles genau. Eija.

– – – – –

Was nun kommt, das ist nicht etwa purste Gemeinheit von der Irma. Irma sieht teils diese Ambrosia eben als ihre Kollegin an, und so möcht sie vertraut sein mit ihr, und so sollen, so meint sie, keine großen Geheimnisse zwischen ihnen beiden sein. Zum andern Teil ist etwas Lauerndes in Irmas Fragen und sind ihre Fragen von einem etlichen Neid diktiert, darum daß Irma hier nur wieder Aushilfsperson sein soll und ihr wie schon öfter eine feste dauernde Stellung wieder nicht winkt. Darum: wie sie Kollegenschaft aufsucht, das ist begreiflich, denn Irma ist ein Weib; und daß sie von Neid erfüllt ist, das scheint mir noch begreiflicher, denn Irma ist ein Weib, das anders noch Weib sein möchte und zu wiederholten Malen nun schon zusehn muß, wie solche Ambrosien längst und gut unter der Haube sind ... So fragt sie nun. Wann gehts denn schon dahin mit euch? Jetzt gleich?

Ambrosia nimmt die Gepäckstücke, die auf dem Tisch liegen fort und legt sie woanders hin und antwortet nicht.

Irma: Na, und nachher kommts wieder zurück, wenns – wenns vorbei ist?

Ambrosia mit einer plötzlichen Angst, sich etwa vor dieser Irma zu verraten, mit einer solchen Angst, daß sie sich dreifach verrät: Wenns – wenns vorbei ist?

Irma: Na ja. Ihr seids doch hops?

Ambrosia versteht den Ausdruck wirklich nicht: Was heißt hops?

Irma: Na, schwanger seids!

Ambrosia die bis jetzt wähnte, kein Mensch außer Achaz und ihr wisse davon, könne davon etwas wissen. Wie flehend: Nein.

Irma: Ja. So recht trocken.

Ambrosia noch flehender: Nein.

Irma noch trockener: Ja.

– – – – –

Gar nicht so eifrig oder übelhaberisch begründend. Sehr ruhig, sehr selbstverständlich. Das sieht man doch. Wenn einer halbwegs Augen im Kopf hat –

Abschätzend. So an die sechs – na – oder sechseinhalb Monat –

– – – – –

In diesem Augenblick tritt der Kooperator, der Vincenz Mauerermeier, von draußen ein. Grüßt: Guten Morgen.

Ambrosia daß sie nicht aufschrie, als wäre der Kooperator ein Gespenst, das gerade nicht. Aber es hätte wohl nicht viel dazu gefehlt.

– – – – –

In solcher Verfassung bedeutet sie nun der Irma: Den Kaffee für Hochwürden –

Irma geht nach der Küche.

Vincenz natürlich ganz ahnungslos: Wann fahrts ihr denn fort, Köchin?

Ambrosia wieder so fast flehend wie vorhin: Nach dem Amt –

Vincenz: Ich schau nur erst noch auf mein Zimmer, Köchin, und komm dann zum Kaffee – geht durch die Tür ab, durch die man zur Küche hinausgeht.

Und Irma bringt auch schon die Frühmahlzeit herein. Sie hat sich das Erschrecken der Ambrosia vorhin beim Eintreten des Kooperators ziemlich falsch ausgelegt. Sie frägt nun ganz in ihrer Art weiter, indem sie sich den noch vom Frühstück fettigen Mund mit der Schürze wischt: Na. Und aber – von wem seids denn hops?

Ambrosia: Von – wem?

Irma: Na ja. Von dem oder von dem?

Ambrosia: Von dem oder von dem? Sie fliegt am ganzen Körper.

Irma ungeduldig: Vom Pfarrer oder vom Kooperator?

Ambrosia begreift durch diese letzte Frage erst vollends und spürt die ihr ungeheuerlich scheinende Zumutung wie einen physischen Schmerz. So weint sie statt aller Antwort und aller Verteidigung laut auf. Eine ganze Weile.

– – – – –

Du Mein Gott, oh du Mein Gott! Jetzt du Mein Lieber Gott –

Läuft ab nach der Küche.

Das Amt drüben wird eingeläutet.

Irma bleibt sehr ratlos zurück. Und fängt unter Kopfschütteln an, den Tisch zurechtzumachen.

Vincenz kommt wieder. Setzt sich umständlich. Sehr umständlich sogar. Dieser Neuen wegen. Und des Ungewohnten, das mit ihr kam. Dann siegt der Hunger aber doch über die Verlegenheit, und der Kooperator beginnt eine sehr reichliche Frühmahlzeit. Stumm. Stark dreinhauend, wie man hier sagt. Ganz Kauwerk. Einfach nicht aus der Rolle zu bringen.

Irma steht wo und schaut bald auf den schlingenden Geistlichen, wie darauf wartend, daß er ihr etwas befehle oder sich sonst mit ihr ein wenig unterhalte, bald zu den Fenstern hinaus, hinüber nach der Kirchenwand.

Da kommt auch Ambrosia wieder herein. Aber noch gar nicht erholt von ihrer Bestürzung von vorhin: Ich hör mir drüben noch die Predigt an – Wenn der Posthalter derweil schicken sollt, so –

– – – – –

so – ergänze: sagt ihm –

ich hör mir drüben noch die Predigt an.

Sie geht ab. Hinüber nach der Kirche.

Und das Einläuten des Amtes geht hier zu Ende.

 

Vincenz ißt und ißt und ißt. Und endlich beginnt, angeregt durch die Irma, langsam eine Unterhaltung, die sich in ihrer ersten Hälfte sehr, sehr innerhalb der niederbayerischen Grenzen zu halten weiß. Eine Unterhaltung begleitet mit Essen. So wie sonst oft ein Essen mit Musik begleitet ist ...

Irma: In einer Tour weint sie.

– – – – –

Indes, das scheint ihr Partner wenig gehört zu haben. So sagt sie es nochmal. Sie weint grad in einer Tour fort.

Vincenz der gerade einen Lammsknochen in der Arbeit hat: Wer?

Irma: Eure Köchin.

Vincenz philosophierend und zugleich mit Fingern und Zähnen von dem Lammsknochen abschälend: Das ist auch nichts Leichtes, was sie hat –

Irma langsam: Ich will ja nicht sagen, daß es was Leichtes ist, was sie hat –

Vincenz wie oben: Und sie selber ist grad die Jüngste nimmer –

Irma: Freilich, freilich. Es ist nicht grad was Leichtes, was sie hat. Und sie selber ist grad die Jüngste nimmer. Aber –

– – – – –

Aber gar so schwer, so gar soviel schwer ist es wieder auch nicht. Das weiß sie, so, wie man so etwas eben weiß.

Vincenz der aber muß mit dem Essen innehalten und sie sehr dumm ansehn. Gedehnt, sehr gedehnt: Was? Und überlegt etwa bei sich: ist er, der Vincenz, denn um soviel dümmer als diese Neue, daß er sich sowas sagen lassen muß?

Irma wiederholts. Wort für Wort. Und offenen Gesichts: Es ist freilich grad nichts Leichtes, was sie hat. Und sie selber ist grad die Jüngste nimmer. Alles schön und gut. Aber – aber gar so schwer, so gar so viel schwer ist es wieder auch nicht. Nein. Nein, nein.

Vincenz der möchte in diesem Augenblick fast einen völligen Eid darauf schwören, daß er um gar viel dümmer sein muß als diese Irma Prechtl.

– – – – –

Er kann nichts sagen. Er ist schlechthin überzeugt. Wenn dabei auch maßlos verwirrt.

Irma in grader Linie weiter. Und zu einem Abschluß ihrer Meinung drängend: Sie wirds überdauern. Gewiß wird sies überdauern. Ganz gewiß. Warum soll sies denn nicht überdauern?

Vincenz das ist ihm nun doch ein wenig zuviel: Überdauern? Das glaub ich nicht. Davon kann gar keine Red sein. Absolut nicht. Sie wirds eben nicht überdauern!

Irma nun geht es ihr ähnlich wie erst dem Kooperator: Das glauben –

Das glauben Sie nicht?

Vincenz: Nein, das glaub ich nicht. Das glaub ich gar nie und nimmer. Wie heut die Sache steht –

Es soll gar schlimm stehn! Recht gar schlimm –

Irma verzweifelnd: Aber so gar so schlimm kanns doch noch gar nicht stehn! So gar so weit ists doch noch gar nicht! Sie denkt stark an die sechs oder sechseinhalb Monate, die sie abschätzte. Das ist – übertrieben.

Vincenz: Das ist gar nicht übertrieben. Gar nicht –

– – – – –

Und da spielt er den letzten Trumpf aus. Sie ist in tausend Ängsten, daß sie sie überhaupt nimmer am Leben antrifft!

Irma beinahe stammelnd: Was? Wen? Am Leben?

Vincenz: Die Mutter.

Irma: Was –

– – – – –

Was für eine Mutter?

Vincenz nun beinahe grob, so sicher ist er seiner Sache wieder: Na, die Mutter von der Köchin!

Irma aus tausend Gründen nicht viel freundlicher als er: Die Mutter von der Köchin?

Vincenz noch ein wenig gröber: Ja, von was red ich denn die ganze Zeit, wenn ich nicht von der Mutter von der Köchin red? Und von was reden wir denn überhaupt die ganze Zeit, wenn wir nicht von der Mutter von der Köchin reden?

– – – – –

Resümierend. Nicht ohne Verve. Da ist die Mutter von der Köchin. Nicht? Na also. Und kränkeln tuts schon lang genug, die alte Mutter von der Köchin. Die alte Mutter, die alte – na ja, wo unsere Köchin selber, ihrige Tochter, unsere Ambrosia, grad keine von den Jüngsten mehr ist. Sie muß sogar sehr alt sein, die Mutter von der Köchin. Und jetzt liegts aufn Tod, die alte Mutter. Und die Ambrosia ist in tausend Ängsten – so hat mir wenigstens der Pfarrer gsagt – daß sie, wenn sie jetzt hinüberfahrt zur Mutter, ans Sterbebett, daß sie sie überhaupt gar nimmer am Leben antrifft. Daß sie statt an ein Sterbelager ans Totenbett – an einen vollbeschwerten Sarg kommt.

Irma: So hats Euch – wenigstens – der Pfarrer gsagt?

Vincenz: Ja und so hats mir der Pfarrer gsagt.

– – – – –

Nun hat er die Sache geklärt. Er ist mit sich selbst zufrieden. Das ist sehr deutlich aus dem Ton herauszuhören, in dem er dieses Folgende, diesen Schlußschnörkel sozusagen, anbringt. Und dann muß die Ambrosia eben gleich für eine Zeitlang daheim bleiben. Dem alten Vatern für die ersten Wochen die Wirtschaft tun. Wie sichs ghört. Dem alten Vatern. Und deswegen ists – wie mir der Pfarrer gestern auf d' Nacht nochmal gsagt hat, ja – deswegen ists, daß es gradhin vier oder viereinhalb Monat währen kann, bis daß unsere Ambrosia wieder zu uns zurückkommt.

Irma: Wie Euch der Pfarrer gestern auf d' Nacht nochmal gsagt hat?

Vincenz: Ja.

– – – – –

Und nun noch schnell einen allerletzten Schnörkel. Und so lang, bis daß die Ambrosia wieder zurückkommt, seids eben ihr da. Punktum.

So war es denn nun an Irma, daß sie im Verlauf dieser Darlegungen erst immer verwirrter wurde, bis sie dann mit einem Mal erschreckend klar sah. Und da steht nun das Weibsleut da, in Staunen, nein in Entsetzen vor soviel Naivität des Vincenz, vor soviel blinder Überzeugung und Unerschütterlichkeit, wo ihn doch ein, nur ein einziger halbwegs kundiger Blick auf die Schürze der Ambrosia längst hätte eines ganz andern belehren müssen. Und kann keine Silbe mehr hervorbringen. Nur noch einen Seufzer.

Vincenz der Sieger, herablassend: Und – seids ihr öfters schon in einem Pfarrhof gewesen?

Irma für jeden andern als für Vincenz wäre das nur sehr schwer mißzuverstehen, was sie nun sagt: Das ist meine dritte, schon meine dritte derartige Stellung. Immer weint eine in einer Tour fort, wenn ich komm, weil ihr so ein altes Elternleut am Sterben ist, und weil sie in tausend Ängsten glaubt, daß sie statt ans Sterbelager an ein Totenbett – an einen – wie habts Ihr vorhin gsagt –

Vincenz geschmeichelt: Und an einen vollbeschwerten Sarg, hab ich gsagt –

Irma: Ja.

– – – – –

Immer also ist es so. Und das ist schon meine dritte derartige Stellung. Ich bin die reinste Aushilfsperson!

Vincenz: So

Irma heftig: Ja, die reinste Aushilfsperson bin ich!

Vincenz: Na. Aber das galt weniger ihr und ihrem Reden als seiner Frühmahlzeit, die er nun völlig bewältigen will.

Irma überlegt nur ganz kurz. Dann weiß sie, was sie will, bis aufs kleinste. Dann weiß sie jedes Wort, das sie bis ans vorgefaßte Ziel reden wird. Das ist das Zigeunerische, von dem ich schon einmal sprach. Wenn mans zigeunerisch nennen kann. Es kommt ein eigener Rhythmus in ihre Rede: Und – jetzt geh ich in die Küche, den Sonntagsbraten aufs Feuer setzen, denn Arbeiten gilt noch vor dem Kirchengehn, und –

erst hab ich Euch nicht für ganz so gutgläubig gehalten, Herr Kooperator!

Vincenz: Was?

Irma: Aber nun muß ich Euch ganz dafür halten, für gar viel gutgläubig und –

muß in die Küche hinausgehen und den Sonntagsbraten aufs Feuer setzen!

Vincenz fährt auf seinem Stuhl eine ganze halbe Wendung herum: Wie?

Irma: Nur –

gar so gutgläubig, um nichts anderes zu sagen, ist keiner von den andern zweien in den zwei Pfarrhöfen gewesen, in denen ich schon früher zur Aushilfe gewesen bin. So gar so gutgläubig seids nur Ihr, Herr Kooperator!

Vincenz beschwörend: Köchin! Was ist denn jetzt –

Irma: Erst hab ich glaubt, Ihr könnts Euch rasend gut verstellen und Ihr, und nicht der Herr Pfarrer wärts der gewesen, der die Sach mit der Ambrosia angestellt hat!

Vincenz: Der die Sach mit – Köchin!

Irma: Ja – von dem nämlich die Ambrosia hops ist!

Vincenz kennt den Ausdruck noch weniger als früher die Ambrosia: Was heißt hops?

Irma: Schwanger!

Vincenz: Was heißt schwanger?

Irma nicht ganz ohne Humor: Aber Ihr werdets doch wohl wissen, was schwanger heißt!

Und jetzt werden Euch doch endlich die Augen aufgehn und Ihr werdets nicht länger mehr glauben, daß Schwangersein etwa nur soviel heißen soll, daß eine alte Mutter im Sterben liegt und man in tausend Ängsten lebt, daß man sie überhaupt nicht mehr –

Der Herr Pfarrer, das muß man sagn, das kann man mit bestem Gewissen sagn, der Herr Pfarrer hat Sie schön anglogen, Herr Kooperator. Mit dem, was er Ihnen gestern auf d' Nacht nochmal gsagt hat!

Vincenz: Angelogen?

Irma geht auf ihn zu. Und rührt ihn fast an, und das fast hurenhaft an, wie sie nun sagt, und fast hurenhaft sagt: Sind Sie ein Kind, Hochwürden Herr Kooperator!

Vincenz: Köchin –

Irma: Also die Ambrosia ist schwanger, vom Herrn Pfarrer schwanger, und das ist meine dritte derartige Stellung, und jetzt ists höchste Zeit, daß ich den Sonntagsbraten übers Feuer bring und für Sie höchste Zeit, daß Sie sich nicht allerhand solche neckische Gschichteln mehr vom Herrn Pfarrer vorerzählen lassen –

Punktum!

Sie geht hinaus. Ab nach der Küche.

Vincenz allein gelassen, steht wie ein Kind, das noch nicht gehen kann und das man nun zum ersten Mal allein stehen läßt.

– – – – –

Und mittlerweile geht sehr langsam der Vorhang herab. Und draußen beginnt – wieder einmal – etwas zu läuten. Vom Turm. Und da ist aber der Vorhang endlich ganz herab, und so kann auch das Läuten nicht mehr sein und hört auf, wie vom Vorhang abgeschnitten.


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