Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Warum die kleine niederrheinische Stadt vor eitel Freude auf dem Kopf steht und ›Hurra‹ und ›Vivat‹ jubelt. Ovationen. Die alte Linde beginnt wieder zu blühen. Eine selige Botschaft säuselt hernieder: »In meines bulen garten, da stehn zwei blümelein ...« Wie Sigismund und Rosalie Perlchen unter allgemeiner Beteiligung zum Standesamt schreiten, der Bocken-Dores mit dem Angora-Pascha erscheint und Stina weiße und rote Rosen spendet. Die Hochzeitsfeier im Hause. Vorhang herunter! Tiefbewegt beschließt der Schreibersmann diese wahre und schöne Geschichte.
O dieses Glück, diese Freude! Mit silberigem Engelshaar rieselte es von dem atlasfarbigen Frühlingshimmel herunter, als zur festgesetzten Stunde die Beteiligten die Stube des amtierenden Notars beehrten. Alles und jedes wurde zum besten geordnet, festgelegt und unter Petschaft genommen und schließlich Herr Lenz zur Hochzeit gebeten. Auch die Schittbox konnte sich dieses Präsentes erfreuen. Wenn die große Linde blühte, sollte die Feier vor sich gehen, eine sinnige Aufmerksamkeit der Braut gegenüber, denn um diese Zeit war sie in ihre jetzige Stellung getreten. – Als sie die Amtsstube verließen, hing es wie Ostermusik in der Luft. Die Finken schlugen, und die Amseln jubelten.
Andern Tages war im ›Klever Volksblatt‹ zu lesen:
»Als Verlobte empfehlen sich:
Rosalie Perlchen aus Kranenburg
und
Sigismund Mendel,
Prokurist im Hause Spier, in Firma Elias & Maier.«
Die Piepmösch verlobt!
Das schlug ein wie eine Petarde in einen niedlichen Pulverturm. Der Knall dieser Eruption war so fidel und überwältigend, daß davon die Rathaustauben aufstöberten und in langen silberlichten Bändern die Luft durchflatterten.
Die Piepmösch verlobt!
Die kleine Stadt stand auf dem Kopf, strampelte mit den Beinen und rief »Hurra!« und »Vivat!«
Allerdings, man hatte diese Lösung nie und nimmer erwartet, hatte vielmehr mit Maier und Elias gerechnet, und nun diese Wendung! Aber man ließ sich gern und willig belehren, nahm die Dinge hin, wie sie nun einmal lagen, besprach die Angelegenheit mit heimlichem Kichern und Schmunzeln, auf der Kegelbahn, hinterm Ladentisch, in der Ressource, und freute sich innigst über das glückliche Sichfinden dieser beiden einzigen Menschenkinder.
Die Piepmösch und Rosalie Perlchen!
Wohin man hörte, überall wurden diese Namen gerufen, besprochen, bewundert, und als am späten Abend die Sterne heraufzogen, bewegte sich ein sinnig zusammengestellter Fackelzug von der Kesselstraße über den Marktplatz, umkreiste die im ersten Grün des Frühlings prangende Linde, hierauf das Standbild des Reitergenerals Friedrich Wilhelm von Seydlitz, um sich alsdann vor dem Haus der Gebrüder zu gruppieren und nach Bässen, Altisten und Tenören zu gliedern.
Der Männergesangverein ›Frohsinn‹, dem auch Sigismund als aktives Mitglied angehörte, gab ihm und seinem Bräutchen die Ehre. Erst dreimaliges Fahnenschwenken, hierauf eine kurze, aber packende Ansprache des Vizepräsidenten Kogeleboom und dann ... ein Klingen der Stimmgabel, ein verständnisinniges Winken und Flüstern von seiten des Herrn Dirigenten – und aus vollen deutschen, begeisterten Männerkehlen zog es durch die Schauer der Frühlingsnacht:
»Die Piepmösch sah, als kühl der Abend graute,
Von fern des Lämpchens trüben Schein;
Da griff er rasch in seine goldne Laute,
Und Liebchen kommt und winkt hinein.
Die Piepmösch weiß, wo schöne Blumen blühn!
Die Piepmösch weiß, wo rote Wangen glühn!
Sie muß, wie auch die Sterne sie geleiten,
Dorthin mit seiner Laute ziehn.«
Immer neue Ovationen wurden auf die Beine gestellt. Alle Vereine, Kränzchen, Gesellschaften konnten sich nicht genug darin tun, die beiden in sachlicher Weise zu hofieren. Mamsell van der Grinten sprach persönlich vor, um ihre Grüße zu überbringen. Desgleichen Meister Kogeleboom nebst Frau Gemahlin und Nöllecke Baumann. Auch der Bocken-Dores erschien mit einem Strauß von Tausendschönchen und Himmelschlüsselchen, ließ seinen würdigen Patriarchenbart wie ein Velarium wehen und legte ihnen seine wohlgesinnten Glückwünsche so treuherzig zu Füßen, daß der Bräutigam erschauerte und der Braut die Tränen ankamen. Nein, dieser Bocken-Dores! Welch ein sinniger Mann! Welch ein Gefäß voll zärtlicher Aufmerksamkeiten, zumal er durchblicken ließ, am Hochzeitstage würde etwas geschehen, von dem man singen und sagen würde bis an das Ende der Zeiten. Selbst während der glorreichen Regierung der erlauchten Herzöge von Jülich, Kleve und Berg wäre solche Ovation nicht Mode gewesen. Die Korporation der Vieh- und Produktenhändler der Kreise Kleve und Geldern sandte eine stolze Adresse, die lediglich die lapidare Aufschrift trug: »Dem Prokuristen.« Kurz, alles geschah, den jungen Leutchen die Honigwaben zu füllen, während Maier die feinsten andalusischen Krachmandeln knackte und Elias, aller Bekümmernisse und Sorgen ledig, sein langsames Schleifen aufsteckte und herumtänzelte wie ein munteres Lämmelböckchen auf einer blumigen Frühlingswiese. Das vergrämelte Haus war wieder ein Haus der Freude und des heimeligen Genießens geworden.
So vergingen den beseligten Menschen die Stunden, die Tage, die Wochen.
Sie zogen an ihnen gleich bunten Schmetterlingen vorüber, als da sind: Zitronenfalter, Bläulinge, Pfauenaugen, Perlmuttervögel, Admirale und Schwalbenschwänze, und waren unter ihnen keine schäbigen Baum- und Kohlweißlinge zu finden ... und als dann die ehrwürdige Linde ihre harten Blütentröddelchen baumeln ließ und diese sich anschickten, ganz sacht und allmählich ihre Hüllen auseinander zu legen, um die Herrin wie eine burgundische Prinzessin zu kleiden, entstieg eines Tages Zipora Freundlich, die Modistin aus Kleve, dem knallgelben Postwagen, begab sich mit einer allmächtigen Schachtel, diversen Paketchen und Körbchen in das Haus Großer Markt Numero sieben und begann in dem hinteren Stübchen eifrigst zu schneidern.
Der denkwürdige Tag rückte näher, und als von den nahegelegenen Wiesen die Sensen herüberlispelten, ein warmer Geruch nach umgelegten Gräsern, Tausendgüldenkraut, Kuckucksblumen und Salbei die ganze Luft erfüllte, als in den Tonscheiben und auf den wohlabgezirkelten Rabarten die Kartäusernelken ihre Äugelchen ausschlugen und eine selige Botschaft herniedersäuselte:
»In meines bulen garten,
Da stehn zwei blümelein;
Das eine trägt muskaten,
Das andere negelein.
Die muskaten, die sind füße,
Die negelein, die sind reß,
Die gib ich meinen bulen,
Daß er mich nicht vergeß,«
da stand im Haus der Gebrüder die Chuppe gerichtet, da trug Sigismund einen imposanten Nelkenstrauß im Knopfloch, da warf die ewigjunge Freundlich ein köstliches Gewand über Rosalie hin, denn an diesem Tage sollte nach vorhergegangener Ziviltrauung auf dem Standesamt die Ehe eingesegnet werden, sollte das heilige Wort des Rabbiners fallen: »Befiehl dem Herrn deine Werke, so werden deine Anschläge fortgehen. Wer eine Ehefrau findet, der findet was Gutes. Dein Born sei gesegnet, und freue dich des Weibes deiner Jugend. Sie ist lieblich wie eine Hindin und holdselig wie ein Reh. Laß dich ihre Liebe allzeit sättigen, und ergötze dich allewege ihrer Anmut. Wachset und mehret euch wie der Sand am Meere. Seid glücklich!«
Als sie ins Freie traten, um sich aufs Rathaus zu begeben, schlug es elf von Sankt Nikolai, drang ihnen ein fröhliches Knattern entgegen.
Hoch vom Giebel herunter wehte die preußische Fahne, raschelten die Kränze, wisperten die Girlanden, duftete ihnen Buchs und Kalmus zu, die liebevolle Hände vor ihnen ausgestreut hatten.
Auch die Nachbarhäuser hatten es sich nicht nehmen lassen, sich festlich zu schmücken.
Und der Marktplatz erst, die weitere Umgebung!
Die Linde begrüßte sie im Glanz ihrer rahmweißen Schleier und brabantischen Spitzen, eine edle Frau am Hofe des burgundischen Herzogs, über und über gesprenkelt mit Sonnenlichtern und dem glitzernden Blau des ewigen Himmelreichs.
Und dieses Tuscheln und Raunen!
Die kleine Stadt war auf den Beinen.
»Heelmoi!« sagte Mamsell van der Grinten, als sie des Brautpaares ansichtig wurde.
»Pumpös!« flüsterte Herr Kogeleboom seinem Nachbar zu; er hob sich auf den Zehenspitzen, um besser sehen zu können.
»Magnifik!« konstatierte Nöllecke Baumann ... und dann eine gebietende Stimme: »Achtung! Richtet euch und Augen links!«
Der Turnverein ›Vater Jahn‹, dessen jungstolze Mannschaft in voller Stärke angerückt war, machte stramm.
In voller Drillichmontur, mit gestickten Gürteln bildeten sie Spalier von dem Spierschen Anwesen bis zu den Stufen des städtischen Hauses – eine Leistung ersten Ranges, die zu Bewunderung hinriß.
Elias und Maier, die als Trauzeugen rechts und links des Brautpaares standen, waren vor eitel Rührung kaum imstande, sich noch tapfer zu halten.
Rosalie schluchzte laut am Arm des Geliebten.
Der aber ...
Er streckte die Hand und rief glückstrahlend über die jungstolze Mannschaft: »Ich danke den Herren! Ich danke auch vielmals! Ich werde geben den Herren am kommenden Sonntag fünf Lagen Bier in der städtischen Turnhalle, aber alles for gratis!«
»Bravo! und hoch sollen sie leben!« und unter diesen jauchzenden Zurufen, unter Hüte- und Tücherschwenken traten sie an, um den wichtigen Zivilakt auf dem Standesamt zu begehen.
Rosalie lächelte und weinte abwechselnd, glücklich, beseligt, stolz auf ihren Sigismund Mendel, und gedachte der Weise, die ihr dieser oft zugeraunt
»Lecho Daudi Likras Kalle –
Komm', Geliebter, deiner harret
Schon die Braut, die dir entschleiert
Ihr verschämtes Angesicht.«
So schritten sie weiter, bewundert, begrüßt und umjubelt, als eine Bewegung entstand, die immer weiter um sich griff und die Herzen höher schlagen ließ. Denn siehe: seitlich des Denkmals erschien ein gewaltiger Recke in schlichter Tracht, barhaupt, einen Stab in der Rechten, den fließenden Bart mit der Linken strählend. Wie ein Held aus der Bibel, ein Seher und Führer des Volkes, ging er hoch und hehr seines Weges, sanft und gemessen, den Stab hebend, den Stab senkend, mit dem Stabe bedeutsame Zeichen gebend – Runen und Reime. Und hinter ihm ... ha! da kam es gewandelt – ein schneeweißes Tier mit gedrehten Hörnern und fadigem Kinnbart: der Angora-Bock, aufmontiert wie der Maulesel eines andalusischen Blumenhändlers, der die Straße Sevillas durchschlendert. Und dieses weißhaarige Tier: linksseitig trug es einen Korb mit Rosenblättern und zerkleinertem Kalmus, rechtsseitig einen solchen mit Nelkenblüten und zerschnittenem Buchsbaum ... und wurde geleitet von einem üppigen Mädchen, angetan mit schwarzweißer Schärpe und neckischem Schäferinnenhütchen ... und wisset:
Und der hohe Mann am Stabe
Zog mit seiner Karawane
Durch die zugeströmte Menge,
Durch das baß erstaunte Volk.
An den Kopf des Hochzeitszuges,
Hin vor Mendel, hin vor Perlchen,
Hin vor Maier und Elias
Trat er jetzt mit Tier und Tochter,
Seinen weißen Stab erhebend,
Seinen Stab auch wieder senkend,
Zeichen gebend, Hieroglyphen,
Arabesken, Runen, Reime
Und dabei den Bart, den greisen,
Sorgsam mit der Linken kämmend,
Während Stina, seine Tochter,
Schabbesgoi bei den Brüdern,
Weißgekleidet, hochgegürtet,
Unter heiterem Gemecker
Immerfort die Blumen streute:
Weiße Rosen, rote Rosen,
Zartgeflammte Rosenknöspchen,
Weiße Nelken, rote Nelken,
Zartgeflammte Nelkenknöspchen.
So der Alte, so die Tochter,
So der Bock und so die Blumen ...
Und der Alte kam des Weges
Wie dereinst zu Epidauros
Hochkothurnt der erste Spieler
Vom Proskenion der Halle
Tragisch zur Orchestra schritt.
Nie dagewesen, erhaben, erschütternd! und die Menge zog die Mützen herunter, und von allen Seiten kam es gefahren: »Der Bocken-Dores soll leben: Hurra und Vivat!« und unter diesen Beifallsbezeigungen ging es zum Rathaus, wurde die standesamtliche Trauung vollzogen, wurde der Heimgang in das Haus der Gebrüder angetreten, wurde die heilige Feier daselbst unter der hergerichteten Chuppe begangen.
Am Abend erstrahlten alle Fenster in heller Beleuchtung, hielt der Herr Notarius Baptiste Napoleon Jean Pierre Lenz die Festrede, betrank sich Potthövel, drückte sich das junge Paar unter dem Tisch innigst die Hände, sielten sich Maier und Elias in eitel Wonne und Seligkeit, streute Stina immerfort Blumen:
Weiße Rosen, rote Rosen,
Zartgeflammte Rosenknöspchen,
Weiße Nelken, rote Nelken,
Zartgeflammte Nelkenknöspchen ...
kurz, es ging ebenso gediegen her wie auf der Aldobrandinischen Hochzeit und war des Jubels und der Freude bis zum hellichten Tage kein Ende.
Und der Himmel war gnädig, denn sein Segen ruhte sichtlich und offenbar auf diesem seligen Abend. Als sich das Stündlein erfüllte: wiegte Rosalie einen allerliebsten, krölligen, kleinen Maier Elias Napoleon Jean Pierre Mendel heiter im Schöße.
Und Sigismund schmunzelte, er schmunzelte immer, er schmunzelte wie die Auserwählten schmunzeln.
Vorhang herunter! denn hiermit beschließt der Schreibersmann dieses die ergreifende Tragikomödie im Hause der Gebrüder Spier, hoffend, daß es allen wohlergehen möge bis zum Beschluß ihrer gottwohlgefälligen Tage. Amen.
Ende