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19.

Man verlasse sich doch nicht auf hysterische Weiber! Bellosi war noch gar nicht lange fort, da schlug das Wetter um bei Frau Molitore. Sie hatte zwar mit einiger Geneigtheit Bellosis versöhnlichen Vorschlägen zugehört, aber da verdarb die häusliche Unbequemlichkeit die freundliche Stimmung. Die fortgejagte Marcia sollte durch eine andere Magd ersetzt werden, die andre Magd erwies sich jedoch ungeschickt, und Frau Molitore wurde gleich wieder bitterböse. Kamilla wurde vors Bett zitiert und mit Vorwürfen überhäuft wegen ihrer ersichtlichen Neigung zu einem Juden. »Fehlt es dir denn an der natürlichen Empfindung,« eiferte Frau Molitore – »daß der Jude ein fremdartiges, abstoßendes Geschöpf ist?«

»Ja, die Empfindung fehlt mir.«

»Verstocktes, unreifes Mädchen!«

»Unreif mag ich wohl sein. Lassen Sie mir Zeit. Jetzt hab' ich soviel gehört von der Widerwärtigkeit der Juden, jetzt werd' ich acht haben, wenn ich Signor Samuele wieder sehe, ob –«

»Du sollst ihn nicht wieder sehn, ich verbiet' es.«

»Dann werd' ich auch nicht ins klare kommen über Ihren Widerwillen, den ich nicht verstehe. Sind Sie Ihrer Sache so sicher, dann können Sie mich ja prüfen lassen.«

»Geh' mir aus den Augen! Du bist naseweis.«

Auf der andern Seite erfuhr auch Bellosi eine Enttäuschung. Er freute sich so, Ruben gute Nachricht zu bringen, und als er in dessen Wohnung kam, fand er ihn nicht, sondern nur Manasse und Moses, welche in lebhafter Besorgnis waren um ihn. Er hatte sich nämlich bereit gezeigt, Farmer beizuspringen mit einer Geldsumme. Und Farmer aufzusuchen, war er ausgegangen, und Manasse jammerte: »Wenn solche Summen aus unserm Geschäfte entnommen werden, dann laufen wir Gefahr, unsern Verpflichtungen nicht nachkommen zu können, sobald die Leute wieder haufenweise an unsere Kasse dringen, und das wird sicher geschehn, wenn man merkt, daß wir Farmer Geld gegeben.«

»Und steht es denn immer noch schlecht mit Farmer?«

»Immer schlechter. Die Kurse von Wien sind soeben wieder noch niedriger angekommen, und Farmers Papiere sind von den Wiener Kursen abhängig. Er wird sich nicht halten können, und Ruben wird auch unser Geld in diesen Abgrund werfen.«

Da kam Ruben, er hatte Farmer nicht gefunden.

Bellosi rief ihm entgegen: »Und Sie wollen sich ruinieren für einen Börsenschwindler?!«

»Ich muß mir leider nachsagen, daß ich anfangs auch so befangen war, Farmer das Geld abzuschlagen. Jetzt schäm' ich mich dieser Roheit. Farmer hat seinerzeit mir geholfen, er darf jetzt Beistand von mir erwarten.«

»Falsch! Ein Börsenspieler ist ein Spieler und hat als solcher keinen Anspruch auf Unterstützung. Sie hilft ihm auch gar nichts, soweit ich Farmers Engagement kenne. Ihr ganzes Vermögen ist nur ein Tropfen in dem Meere der Farmerschen Verpflichtungen. Ihr Opfer nutzt ihm nichts und vernichtet Sie.«

»Das wissen wir nicht. Oft entscheidet bei solchen Fällen eine kleine Summe, wenn sie am richtigen Orte zur richtigen Stunde verwendet wird. Ich aber kann mein Gewissen nicht mit Undankbarkeit belasten.«

»Ach, Sie verdienen gar nicht, was ich Ihnen bringe. Also! –«

Und nun erzählte er ausführlich.

Die Wirkung war zauberhaft. Ruben nahm alles, was Kamillas nur angedeutete Empfindung betraf, als offen eingestandene Liebe und Treue. Gewiß hatte es trotz allen Jammers still in ihm gelegen, daß sie ihn nicht verleugnen werde, und so genügten ihm diese halben Zugeständnisse, ja entzückten ihn. Er umarmte Bellosi und dankte mit hingebenden Worten. Dann erklärte er: »Ich muß ins Freie, macht hier, was ihr wollt, nur zahlt Farmer die Summe, welche er verlangt und laßt mich heute und morgen unbehelligt von jedem Geschäft.«

Fort eilte er. Wohin? Natürlich zur Platane hinauf, obwohl er dort erst am nächsten Morgen Kamilla erwarten durfte.

Verblüfft von so stürmischem Gefühlsausbruche folgte ihm Moses die nächste Straße entlang. Er wußte selbst nicht warum, und blieb endlich stehn, sich fragend, was seine Aufregung bedeute?

Er wußte auch das nicht. In der Tat war in den letzten Tagen eine Veränderung mit ihm vorgegangen: der Geschäftstrieb war zurückgetreten, das fortwährende Mitfühlen des Liebeslebens, welches seinen verehrten Ruben auf und nieder schwang, nahm ihm Sinn und Gedanken in Anspruch, und eine unbestimmte Sehnsucht war in ihm aufgeregt.

Dieser Moses war eine sogenannte Natur, und die Frage war in ihm aufgewacht: Kannst du nicht auch so lieben wie Ruben? Es muß doch entzückend sein. Wen denn? – Das Bild eines schönen Mädchens schob sich vor den Sinn. Oh, oh, oh! rief er eben, nein, nein! – Das Bild war Marcia.

Und das Wunderlichste war: sie stand augenblicklich und persönlich vor ihm. Das heißt: sie saß vor ihm. Am Gassenladen Veitls, bis zu welchem er Ruben nachgelaufen war, da saß sie und blickte Ruben nach, der vorübergeeilt war, ohne sie zu bemerken. Bildsauber sah sie aus, das mußte ihr Feind eingestehen, und Moses konnte sich des Gedankens nicht erwehren, wie sehr er ihren moralischen Charakter verabscheuen mochte: Eine Umarmung dieses Mädchens wäre ein Opfer wert, und er selbst wäre bereit, dies Opfer zu bringen. Er starrte sie an, als wollte er sie verschlingen.

Veitl hatte ihr Unterstand in seiner Junggesellenwirtschaft bewilligt, bis sie einen neuen Dienst gefunden, und jetzt saß sie als Lockmittel da vor seinem Laden, um Vorübergehende zum Stehenbleiben zu veranlassen. Mancher kaufte dabei eine Schartecke der ausgelegten Schriften, um länger stehen bleiben zu können. Veitl verstand den kleinen Handel.

Als sie endlich den Kopf wendete und Moses gewahr wurde, streckte sie ihm die Zunge entgegen, fuhr aber erschreckt in die Höhe, als Moses mit ausgebreiteten Armen auf sie zuging – er wollte sie wirklich umarmen, so überspannt war er augenblicklich.

Marcia war in den Laden zurückgetreten, Veitl war herzugehumpelt und hatte sich vor sie hingestellt, Moses mit Schimpfreden überschüttend.

Dadurch ließ sich Moses fortreißen, Dinge zu sagen, welche diesem Gelichter verborgen bleiben mußten, bloß um Marcia und Veitl zu ärgern. Darunter deutlich genug, daß Ruben und Kamilla trotz aller Verleumdung und Verhetzung zueinander kämen, miteinander glücklich würden. Und erst als er sah, daß Veitl und Marcia einander zuwinkten, wurde er inne, daß er eine Dummheit gemacht und ging weiter. Wozu neuerdings die Freunde aufreizen?

Die verliebte Stimmung aber blieb aufrecht. Eben hatte er Marcia umarmen wollen, und jetzt, als er in die Nähe der Villa kam, tauchte das Bild Kamillens, der schönen Kamilla! vor ihm auf. Aus Respekt vor Ruben wagte er es nicht, sie umarmen zu wollen, aber anschaun, anschaun! Das war doch ein feines Fest. Und warum nicht? Geh' hinein. Im schlimmsten Falle wirst du hinausgeworfen. Nun, das wär' nichts Neues. Im günstigsten Falle aber schlängelst du dich an der alten Tante vorüber bis zur jungen Kamilla und – ja richtig! übergibst ihr –, du hast ihn ja noch in der Tasche, den Brief von Rubens Mutter. Während sie ihn liest, oder auch nicht liest, sagst du ihr in vertraulichem Tone – wie reizend wird sie dazu dich anschauen! – daß Ruben gerade jetzt oben bei der Platane sei und auf sie warte. Es wäre ratsam, ihn nicht warten zu lassen, denn ob es ihr morgen früh gelänge, wie Bellosi gesagt, unbemerkt aus dem Hause zu kommen, das sei doch sehr zweifelhaft, jetzt sei der Augenblick günstig, der vortreffliche Moses decke den Rückzug.

Das klang und klingt ja wie Schwindel, aber seine gespannte Verliebtheit hielt die überschwenglichsten Dinge für erreichbar, und er eilte spornstreichs über die Villa hinaus, um nachzuschaun, ob Ruben auch wirklich bei der Platane wäre –

Ja, er war da. Hurra! flüsterte er sich zu, hinein! Bring', wenn's nicht glatt abgeht, die Dinge in der Villa zum Knallen, das ist ja doch zuletzt unerläßlich, wenn aus der ganzen Geschichte etwas werden soll, und – er trat wirklich keck ins Haus.

Die Unverschämtheit hatte, wie so oft, ihr Glück in der Tasche, er traf es sehr günstig: in der Villa herrschte augenblicklich eine Art Siesta. Die kranke Hausfrau mit den erschöpften Nerven schlief, und die Dienerschaft, für welche die unruhige Marcia fehlte, tat desgleichen, sie faulenzte wenigstens in der Küche.

Unbemerkt kam Moses in den ersten Stock hinauf und öffnete dort die Tür zum Zimmer der Hausfrau. Er tat es vorsichtig. Bellosis Erzählung nach ging ja der Weg zu Kamilla durch dieses Zimmer. Richtig, die Tür des folgenden Zimmers stand offen, er sah Signorina Kamilla am Schreibtische und – Frau Molitore schlief, schlief fest.

Auf den Fußspitzen bewegte er sich an der schlafenden Dame vorüber der schreibenden Dame zu, der jungen! Ihre Schönheit ist noch feiner, als die der Marcia, flüsterte sein lüsterner Sinn, und an der Schwelle der offenen Tür blieb er stehen, sie mit Entzücken betrachtend.

Da regte sich Frau Molitore. Er war so frech, gar nicht zu erschrecken, sondern das Weitere ruhig abzuwarten. Es erfolgte auch nichts, Frau Molitore schlief weiter. Aber Kamilla, welche ihm bisher den Rücken gekehrt, drehte sich um und wurde seiner gewahr.

Wenn sie erschrak und schrie! Nein, sie schrie nicht, sie betrug sich wie eine Gefangene und fragte halblaut: »Was bringst du?«

»Einen Brief der Mutter, hier! – und die Nachricht, daß er jetzt unter der Platane sitzen wird und daß ich Sie begleiten möchte bis an den Berg. Das Haus ist still und tot, niemand wird Sie aufhalten.«

Kamilla stand auf, nahm den Brief, legte ihn auf den Tisch und nickte mit dem Haupte. Dann griff sie nach Hut und Schal und ging lächelnd an ihm vorüber durchs Zimmer der Tante hinaus. Das geschah so leise wie möglich, indem sie nach der Schlafenden zurückblickte. So still wie möglich folgte ihr Moses, ohne nach der Tante zurückzublicken, bis an den Aufstieg zur Platane hinauf. Dort blieb er zurück und sah ihr seufzend nach.

Er setzte sich auf einen Stein. Wacht halten wollte er und seine aufgestörten Gefühle behaglich aufatmen lassen.

Stets ein armer Teufel, war er ganz zufrieden mit den idealen Genüssen, welche ihm in der letzten halben Stunde die schöne Marcia und Kamilla gewährt hatten. Und auch außen war ja das Beste erreicht: Kamilla ging soeben Ruben entgegen, und eine Störung – halt, halt! er selbst konnte eine Störung aufgeweckt haben. Marcia! Er hatte geprahlt, hatte die wahrscheinlich Eifersüchtige herausgefordert. Marcia hatte Ruben vorübergehen sehen, sie konnte kommen und alles verderben.

Was war da zu verderben? Nichts. Kamilla ging so unbefangen dahin und grüßte schon von weitem mit der Hand den erstaunten Ruben. An ihr schien jeglicher Zwiespalt unbemerkt vorübergegangen zu sein.

»Warum so spät?« rief sie.

»Kamilla, Engel, du zürnst nicht?«

»Weshalb sollt' ich zürnen? Daß du ein Jude bist?«

»Ja.«

»Ich schau dich an: du bist derselbe, der du vorgestern warst, als ich nichts von deiner Herkunft wußte. Laß dich betrachten! Ja du bist unverändert, bist ganz derselbe, den ich vorgestern liebte, weshalb sollt' ich zürnen?«

»Und das Vorurteil der Tante und aller übrigen?«

»Hat mir gar keinen Eindruck gemacht. Setzen wir uns und erzähle mir, wie es dir ergangen. Nach deinem Briefe an mich, unruhig. Ohne Not. Du hättest mir nicht mißtrauen sollen.«

Kurz, die reine, volle Neigung zweier Menschen zueinander zeigte sich erhaben über den Dunstkreis gesellschaftlicher Vorstellungen. Sie waren und blieben einig, einander anzugehören, und kamen überein, nun auch demgemäß zu handeln. Kamilla war bereit, der Tante offen entgegen zu treten, sobald Ruben sie rufen würde, und Ruben war entschlossen, die Schonung seines Vaters hintanzusetzen. Die ungerechte Behandlung, welche er neuerdings vom Vater erfahren, hatte ihn empört – da drang Lärm herauf zu ihnen. Sie hörten zankende, schreiende Stimmen. Marcia war gekommen und nur gewaltsam durch Moses zurückgehalten worden.

Als er sich stärker denn sie erwiesen, war sie zurück in die Villa gelaufen und hatte geschrien, der schöne Jude entführte die Signorina Kamilla! Und mit diesem Schreien hatte sie es dahin gebracht, daß Frau Molitore im Freien erschien, um ihre Nichte zu retten. Ein Diener und eine Magd begleiteten sie, und der unvermeidliche Moses trat ihr als Parlamentär entgegen. Er hatte eiligst Ruben und Kamilla unterrichtet von dem Überfalle durch den Feind, und versicherte jetzt der Frau Molitore, daß die Liebesleute ihr entgegen kämen, um ihre Befehle zu vernehmen.

Sie war außer sich. In unpassender und unzureichender Kleidung auf die Landstraße hinaus und erleben zu müssen, daß Ruben und Kamilla ohne ein Zeichen von Verlegenheit ihr einfach anzeigten, sie hätten sich verlobt – und hofften auf ihren Segen – das war doch mindestens unerhört.

Es ereignete sich aber also.


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