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Das Schloß in Franken

Auf einem Hügel, welcher sich nach dem Maine hinabsenkt, liegt ein stolzes Schloß, hoch beschattet von Ulmen und Linden. Eine prächtige Treppe führt hinauf in der Breite des ganzen Hauses, schöne Säulen bilden eine Vorhalle, die mit südlichen Bäumen angefüllt ist, und von wo man einen großen Theil dieses blühenden Landes übersieht. Terassen steigen zum Maine hinab, Gras, Sträucher und Bäume wuchern und flüstern links und rechts, ohne die Aussicht zu stören, der Weinstock kriecht überall umher, selbst an den Säulen der Vorhalle hinauf, den tief gefärbten Epheu überdeckend.

Die Sonne ist eben aufgegangen, einen blitzenden Sommertag beginnend, der Thau flimmert, die Lerche jubelt, Landleute mit Sensen ziehn jenseits des Maines in's Feld, auf der obersten Treppenstufe steht ein junger Mann. Er lehnt den Rücken in die Wein- und Epheuranken einer Säule, hat die Arme untergeschlagen und sieht in das glitzernde Land hinab.

Dieser Mann heißt Gregor. Wer ihn genau kennt, ist in der größten Verlegenheit, wie er ihn bezeichnen soll: Gregor ist nicht unglücklich, noch weniger ist er glücklich. Im alten Nürnberg, was sich da drüben in der Ebene ausbreitet, ist er in einem Bürgerhause geboren. Angesichts dieser alten Reichsstadt ist er aufgewachsen, im nördlichen Deutschland weiß man gar nicht was das heißt, denn man hat keinen Begriff von Nürnberg. Diese Stadt ist ein Stück Mittelalter, was in Essig konservirt worden ist, das heißt städtisches Mittelalter, was schon in die alten Tage des Mittelalters gehört, in diejenigen Tage, wo der Ritter schon banquerott ist, und der Bürger mit der Plüschhose sich bläht. Nürnberg ist aus der altklugen deutschen Zeit, die Romantik war vorüber, die Minnesänger waren in Meistersänger herabgesunken, Albrecht Dürer malte die reizlose Keuschheit, Hans Sachs machte Fastnachtsspiele, der Patrizier baute sich ein festes steinernes Haus in zusammengedrücktem Stile – diesen bürgerlichen Uebergang aus einer hochgebogenen alten Zeit in eine detaillirtere Epoche stellt Nürnberg dar, heute noch das ächteste Bild einer Reichsstadt, den Gymnasiasten und Liebhabern heute noch ein Lehrexemplar damaliger Bauweise und Einrichtung. Dadurch allein schon macht die Stadt einen ganz eigenthümlichen Eindruck, ein würdiges Alter fordert unser Staunen, unsre Ehrfurcht, und doch ist das Alter nicht großartig und schön genug, um unsre Sehnsucht oder den heiligen Schauer zu wecken. Nur in den alten Kirchen beschleicht uns der heilige Schauer einer hoch strebenden Vergangenheit, darum fand man Gregor öfters in den Gängen von Sanct Sebald.

Die Ahnungen, welche er in St. Sebald empfing, das niedrige Mittelalter, was ihn umgab im Bau der Häuser, in den gedrückten altmodischen Stockwerken, die verlassene Fläche rings um die Stadt, welche die Arme zu ringen scheint nach den Frankenhöhen im Norden, der hartnäckige, spröde Bürgersinn im Hause der Eltern, die Mädchengestalten, welche mitunter noch ein wenig in die mitteldeutsche Malerei heimelten – das Alles setzte sich in Gregors reichem, empfänglichen Gemüthe auf eine wunderbare Weise zusammen. Sein Charakter wurde ein Schubladenstück: mit wirklichem Eifer konnte er eine Zeitlang und gewissen Leuten gegenüber das streng bürgerliche Interesse verfechten, zu einer anderen Zeit und bei anderer Umgebung war er ein Ritter, ein Gläubiger mit Hand und Mund und Herz, und vor dem Zeitungsblatte übersah und beherrschte er die breite, industrielle Welt, welche sich gleich einem Goldnetze über unsre Tage geworfen hat.

Diese Mannigfaltigkeit wuchs aus dem starken Kerne der größten Anlagen, und jener nordfränkische befruchtende Thau lag darüber, den wir mehrmals in unsrer Geschichte erlebt, einige Male zu unserm Schrecken erlebt haben. Da wo sich das Fichtelgebirge absenkt, ist die süße Schwärmerei Jean Pauls erwachsen und die saure Ludwig Sand's, ja bei den Revolutionsausbrüchen neu'ster Zeit fand sich eine der gewaltigsten Naturen, Bunsen's, der in Frankfurt den Tod fand, ebenfalls aus den fränkischen Thälern. Neben dem muntersten Blute unsres Vaterlandes, was vorherrschend in den Franken rollt, und was in Rückert zur reizendsten Geistes- und Herzenswendung gekommen ist, neben denn heitern Lebensdrange findet sich hier öfters denn anderswo eine wunderbar tief und schwer zeugende Luft. Sie hatte auch Gregor angeweht, hob seine großen Anlagen frühzeitig zu einer ungewöhnlichen Dichtheit und Bedeutung, legte aber auch die Gewitterschwüle eines heißen Frühlingstages über Stirn und Auge.

Das machte ihn allerdings sehr interessant, aber wirklich interessante Leute zahlen den theuersten Einsatz selbst für die Fähigkeit, Andre zu reizen; die Höhen und Tiefen, in welchen sie das eigene Herz herumschleudert, sehen für den Beschauer blau und lockend aus, der Geschleuderte selbst aber empfindet an seinem Leibe jedes Felsenriff, über welches er schonungslos hingerissen wird. Man sollte nie vergessen, daß Sophie Müller damals dem Publikum am besten gefiel, als sie den Tod schon im Herzen trug; fast alle große Theilnahme der Welt ist grausam.

Dazu hatte Gregor ein wohlgebildetes Aeußere; er flog im Karriere durch die Welt, bemächtigte sich ins Fluge alles dessen, was zu gewinnen war; darunter befand sich glücklicherweise auch Geld und Gut, und als er im Jahre 1835 nach Kissingen in's Bad kam, freuten sich alle interessanten Mädchen. Seine Neigungen schwärmten just zur damaligen Zeit in's Ritterliche, es interessirte ihn der Adel und die historische Weihe, er fand sich zu dem schönen und reichen Fräulein Aphanasia, sie fand sich mit ihrer Fröhlichkeit und ihrem empfänglichen Gemüthe zu ihm, sie verlobten sich, er liebte sie, so viel er lieben konnte, er nahm einen Ring von ihr, und sie sprach dabei halb scherzend, halb ernsthaft: »wenn Du den Ring verlierst, so verlierst Du mich und Dein Leben«, er heurathete sie und machte sie unglücklich.

Gewaltige Menschen, die nicht eine große Thatexistenz finden, wo sich all ihre dämonischen Kräfte versuchen und tummeln, sind für die meisten Weiber ein Unglück. Das Ideal der Liebe ist erst in den letzten Jahrhunderten so vorherrschend in der Welt geworden, und es hat die Frauen verführt, allen Bezug davon sich allein zuzueignen; starke Menschen aber sind stets im Verbande mit der ganzen Weltgeschichte, sie streben und steuern nicht blos nach Anleitung der Minnesänger, sie vergessen zuweilen das Weib, wie es den Alten fast durchgängig begegnete, aber die Weiber vergeben das nicht. Und sie haben als Weiber damit ganz recht.

Gefüg und umgänglich ohne Anstoß ist durch die ganze Welt nur die Mittelmäßigkeit; gefällig ist nur das Detail. Die Frauen verlangen Detail; die Aufmerksamkeiten, dieser Hofstaat der Liebe, auf welchen sie mehr geben, als auf die Liebe, die Aufmerksamkeiten sind das Detail. Gregor, dessen Blicke in's Große und Weite gingen, übersah sie, und kränkte damit seine Frau. Anfänglich scherzte sie darüber, denn sie war gut und heiter, und schob's auf die vernachlässigte plebejische Erziehung ihres Mannes, dann schmollte sie, dann grollte sie und endlich ward sie still, aber es hatte sich ein Rost um das lichte Gemüth angesetzt, ein Rost der schlimmen Worte »er liebt mich nicht.«

Solch ein Glaube hat harte Folgen. Man erwartet im Sommer keine Kälte, man will nicht daran glauben, wenn sie eintritt, man erkältet sich zum Tode, und sagt doch: es ist ja Sommer!

Solch ein schlimmer innerlicher Sommer war es, als Gregor auf seinem prächtigen Schlosse stand in der Morgenfrühe, und auf das Frankenland hinabschaute.

Glücklicher Gärtner! sprach er vor sich hin, er betrachtet jede kleine Pflanze, ob sie Thau genug hat, um zu gedeihen; wo es fehlt, da gießt er Wasser zu, und morgen früh sieht er mit dem lebhaftesten Antheile nach, ob es gefruchtet habe. So wohlfeil ist die Theilnahme, welche das Leben trägt, und den nächsten Tag wünschen läßt.

Gregor war nicht blasirt, er nahm an tausend Dingen das größte Interesse, aber er hatte zu wenig Macht, er war blos ein reicher Gutsbesitzer, er gehörte zu einem kleinen Staate, er fühlte sich berufen, aber die Bahn fehlte. Dies giebt den Schein der Blasirtheit. Weil ein großer Ruhm nicht zu gewinnen war, verhöhnte er den Ruhm selber: was soll mir's daß ein Paar tausend mittelmäßige Menschen meinen Namen ausposaunen? Diese Menschen sind mir gleichgültig, soll es mir nicht gleichgültig sein, daß sie von mir schwatzen oder nicht?

Der Enthusiasmus ist der Herzschlag des Geistes, ich hatte ihn in der Jugend, die Täuschungen hielt ich für einzelne, jetzt kenn' ich die Motive der Welt, und ich habe keinen Enthusiasmus mehr! Wüßt' ich drei Freunde, die eben so hofften und wünschten gleich mir, ich beruhigte mich. Und doch, was ist's für ein Mangel, wenn man nichts thun kann, als sich beruhigen! Ich will leben! Ich kann leben, ich fühl es, nur die Gelegenheit fehlt, und deßhalb werd' ich bei allem Mangel nicht unglücklich, bei allem Besitze nicht glücklich!

Es kamen zwei Reiter den Berg herauf, ein Cavalier mit seinem Diener. Jener war ein feiner, zierlicher, munterer Gutsherr aus der Umgegend, welcher Aphanasien den Hof machte. Gregor begrüßte ihn zerstreut; was kümmerte es ihn, ob seine Frau unterhalten wurde, was fragte er nach diesen Einzelnheiten des Lebens!

Herr von Richard ward von der Herrin des Schlos freundlich aufgenommen, sein heitres, aufmerksames Wesen gefiel ihr sehr wohl, und sie behandelte ihn so zuvorkommend, daß der unparteiische Zuschauer nicht übersehen konnte, es handle sich dabei noch um andere Absichten, als um die der Gastfreundschaft.

Aphanasia, raschen Blutes, litt lebhaft dadurch, daß sie sich von Gregor vernachlässigt sah; sie liebte ihn, sie glaubte bereitwillig an den großen Zwiespalt, der seine Existenz quälte, sie verzichtete bescheiden darauf, ihn durch gegenseitige Neigung aufzuheben, aber sie verlangte Mittheilung, das Ausbleiben derselben empfand sie wie ein Zurücksetzen, wie ein Geringachten. Tief unter der leichten Hülle ihres Wesens lag das tief Entschlossene, das Exzentrische, dessen der heitere fränkische Charakter fähig ist. Sie trat keck in das gefährlichste Spiel, Gregor durch Eifersucht zu zwingen, sie ermunterte Herrn von Richard, übersah Gregor, und ward immer weiter getrieben, als Gregor von alle dem keine weitere Notiz nahm.

Und doch war dieser keineswegs so unbetheiligt dabei: die Sache selbst schien ihm des Herausforderns in eine Besprechung unwürdig, einmal, weil er solch ein häuslich Verhältniß nicht für wichtig genug, zweitens, weil er sich für zu vornehm hielt, die Theilnahme seiner Frau durch ein Dreinsprechen zu erzwingen. Theilnahme muß wie der Thau des Himmels kommen, sprach er, oder sie ist ein reizlos Wesen.

So drängten sich Beide stets weiter auseinander; Gregor konnte sich der Eifersucht nicht mehr erwehren, die er vorher noch für ein partikulares, unbedeutendes Gefühl ausgegeben hatte, er fühlte sich geradezu gequält, und dachte auf schleunige Abhilfe. Aphanasia, welche dabei noch mit einer lebendigen Vermittelung, mit Richard zu schaffen hatte, ward in die Folgerungen ihres Entgegenkommens verwickelt, und war auf dem Punkte, sich in Mißmuth, Verzweiflung und Laune dem Zufalle zu überlassen.

Der Zufall war eigentlich ein zufälliger Mensch, Herr von Richard, wie das oft geschieht, und dieser Lebemensch war ganz geeignet, dafür die Hand offen zu halten. Ordinaire Lebemenschen sammeln ihren Genuß, ohne daß sie es wissen, meistentheils von den Schnitzeln und Spähnen, welche irgend ein höheres Mißverhältniß abwirft. Um selbst ein höheres Verhältniß zu schaffen, gebricht es ihnen an Fähigkeit, und so leben sie aus zweiter Hand.

Gregor trug sich mit dem Entschlusse, von dannen zu gehn. Er gab damit nicht nur das Besitzthum seines Herzens auf, sondern auch sein äußeres: Schloß und Gut gehörte vom Hause aus Aphanasien, und das eigen Erworbene hatte er hinein gebaut, hinein gepflanzt; dies äußere Besitzthum war eine wirkliche Ehe worden, das Beiderseitige war bis zur Untheilbarkeit in einander aufgegangen.

Mit diesem Entschlusse ringend schritt er in seinem Zimmer auf und ab; Aphanasiens Gemächer lagen eine halbe Treppe tiefer; er übersah durch ein inneres Fenster den größten Theil ihrer Räume. Die hohe, schöne Frau saß weiß angekleidet auf einem Sopha und hatte die Stirn nachdenklich auf die Hand gelehnt. Gregor stand still und sah ihr zu. Was trennte sie? Sein Wesen; und nicht einmal dies, nur der Schein desselben. Er durfte hinabgehn, und die Hand ausstrecken, nicht das kleinste Wort war nöthig, sie wäre ihm weinend um den Hals gefallen.

Aber was wir Haltung nennen, Stolz, Trotz, und was die eigentlich fremde dämonische Natur in uns ist, das ist der Hauptfeind des Zusammenlebens. Verschiedenes Herkommen hat auch bis zum Tode eine doppelt schwere Ehe, es trägt einen Mutterleib von Mißtrauen bis zum Tode mit sich.

Dennoch war Gregor einen Augenblick zweifelhaft, ob er nicht hinabgehn sollte – da erschien Herr von Richard bei seiner Frau; sie lächelte, sie lachte, er warf sich vor ihre Kniee hin, sie reichte ihm die Hand zum Kusse – Gregor ertrug das nicht, und daß er es nicht ertrüge, kam ihm kindisch vor, er rief seinen Diener und ließ seine Sachen packen.

Dann machte er einen Gang in's Freie; als mehrere Stunden vorüber waren, kam er zurück – jetzt haben sie wohl genug Zeit gehabt, sprach er, und um ja nicht störend zu sein, soll mich Betty melden.

Aphanasia kam ihm entgegen, er sah es nicht, daß sie verweinte Augen hatte –

Warum, Gregor, solche Formen?

Auch diese sollen Dir nicht mehr lästig werden, ich komme das letzte Mal und reise in der nächsten Stunde.

Gregor!

Machen wir keine Scene; wir beglücken einander nicht, ein Hieb ist kürzer als ein langsam Sterben.

Aphanasia konnte nicht sprechen, damit er ihr Weinen nicht sähe, denn sie war eben so stolz. Eine schwere Pause herrschte. Nur ein einzig ehrlich Wort, was dem Einen oder dem Andern entschlüpft wäre, hätte hingereicht, sie einander in die Arme zu führen. Das Kammermädchen kam mit einem Kleide dazwischen, und entschied das Geschick – Gregor ging abgewendet davon; Aphanasia wagte den Schmerzensschrei, welcher in ihr aufstieg, vor dem fremden Geschöpfe nicht, einen so tiefen Schmerzensschrei, daß er Gregor unmittelbar belehrt hätte.

Es blieb todtenstill; Gregor warf sich auf's Pferd, und sprengte den Hügel hinab, sein Weib, sein Schloß verlassend, verloren gebend, er wußte selbst nicht, warum.

 

Im nächsten Herbste ging es über die Maaßen munter zu auf jenem Schlosse; der Herr war auf Reisen gegangen, und die Strohwittwe Aphanasia gab große Jagden und Feste, alle lustigen Cavaliere sind geladen; die Dame ist schön, nimmt alle Huldigungen an, zwar etwas höhnisch, aber lächelnd, alle Welt sagt, sie führe ein seidnes Leben.

An einem jener Herbstabende, als Aphanasia, ermüdet von Bankett und Jagd in ihr Zimmer trat, schrieb sie in ein Tagebuch mit großen, ungleichen Buchstaben: Wo ich Dich finde, Gregor, erdrossele ich Dich!

Das arme Weib glaubte jetzt mehr als je, kein Mann sei wie Gregor, kein Mann habe so viel Quellen des Reichthums und Glücks für sie, als Gregor. Just weil er sie in's Unglück geführt, traute sie nur ihm die Macht des größten Glückes zu; Haß und Liebe sind ein Gefühl, sie haben nur entgegengesetzte Farben.

Am anderen Tage kam ein einsamer Wanderer an den Fuß des Schloßberges, es war Gregor; am Anblicke dieser Heimath wollte er sich Kraft holen zu neuer Verlassenheit. Er sah Aphanasien mit ihrem Hoftrosse vorübersprengen in die Ebene, tiefer verbarg er sich in die Hecken, welche er einst selbst gepflanzt, und erst als der berittene Zug in der Ferne verschwand, stieg er langsam zum Schlosse hinauf, schlich unbemerkt in seine früheren Zimmer, stieg in Aphanasiens Gemächer hinab, fand das Tagebuch, und sah nur jene Stelle, die Tags vorher erst geschrieben war.

Schweigend schlug er das Buch zu, schweigend führte er noch einmal seinen Blick von der Terasse über das lachende Frankenland und wanderte wieder von dannen.

Es ist ein Irrthum, wenn ein Herr des Hauses Herr im Hause zu sein glaubt, es giebt keine völlige Unabhängigkeit auf dieser Welt; ein kleiner Bube, der im Winkel der Treppe mit Bohnen spielt, sieht Dich kommen und gehn, und Du stehst somit in der Abhängigkeit des Buben. Es kann Alles davon abhängen, ob Du gekommen oder gegangen bist, der kleine Bube hat das Loos mit seiner Aussage in den Händen.

Gregor war gesehen worden, Aphanasia erfuhr es, ein Nachtwind strich über den Berg, und das schöne Schloß in Franken war verödet; finsteren Blickes suchte die Frau ihren Gatten in der Welt, und es war wenig zu hoffen, aber viel zu fürchten, wenn sie ihn fände.

Indessen war das Finden nicht leicht; ein einzelner Mensch verliert sich wie ein Sandkorn auf der Erde, und Aphanasia suchte allein; von dem Augenblicke an, wo sie Gregors Anwesenheit auf dem Schlosse erfahren, hatte sie sämmtlichen Troß von Liebhabern und Begleitern verabschiedet, und war in ein graues Gewand getreten.

War es eine größere Freude, war es größerer Haß, die durch Gregor's neues Dasein erregt wurden? Man muß selbst ein fröhlich fränkisches Gemüth haben mit den Abgründen fanatischer Entschlüsse, um diese Frage zu beantworten.

Das Geschick und das Wandern auf Fußsteigen brachte Gregor in ein herrnhutisches Oertchen an der schlesischen Grenze; die Sauberkeit und Ruhe desselben machten ihm einen zauberhaften Eindruck, der Fußtritt eines Mannes, der an den Häusern hinging, hallte durch den ganzen Ort; der Kellner des Gasthofes, der auch von der Gemeinde war, lächelte sanft, ununterbrochen in jeder Frage, bei jedem Befehle.

Zu anderer Zeit hätte sich Gregor's Natur wahrscheinlich aufgelehnt gegen solche Existenz; jetzt war er selbst gebeugt, erschöpft, sie that ihm wohl. Der nächste Morgen war ein Sonntag: die Frauen, alle schneeweiß gekleidet, zogen zur Erde blickend an ihm vorüber nach dem Bethause. Er ging auch dahin, und ward von höflichen Männern beschieden, links zu gehn, rechts saßen die Frauen, ein stilles, weißes Meer. Man unterschied in der Einfarbigkeit kaum noch, was schön, was unschön, was jung, was alt wäre. Nur die Bänder gaben ein bescheidenes Signal: die Wittwen tragen weiße, die Frauen blaue, die Mädchen rothe.

Das Haus lag unter dichten Kastanienbäumen, und wo ein offener Blick für die Sommersonne war, da schützten weiße Gardinen. Statt des Altars und der Kanzel stand ein einfacher, mit grünem Tuch behangener Tisch da, hinter demselben saß ein Mann im einfachen Ueberrocke, er intonirte den responsorischen Gesang. Dann kam ein andrer, welcher die Kinder brachte, und diesen eine Rede hielt. Sie sollten das Gute thun, weil es belohnt, und das Böse lassen, weil es bestraft würde, lehrte der Mann.

Gregor überhörte es nicht, aber das übrige Weben, das leise und sanfte, streichelte ihn noch wohlthuend.

Dann kamen Landleute zu der Predigt, und hörten sie mit der Gemeinde an. Sie hatten auch einen Anstrich von Bescheidenheit und traten leise auf; der protestantische Zorn und Eifer fehlte überall, wohl aber auch die protestantische Energie. Aber was nützt die Energie, sprach Gregor, da sich die Welt nicht zusammen fassen läßt; Ruhe ist mir willkommen.

Gregor wollte eintreten in die Gemeinde, um dieser Ruhe theilhaftig zu sein, und ein bürgerlich Unterkommen zu finden; er hatte nichts mehr, sein täglich Brot zu zahlen. Man nahm ihn mit sanfter Miene auf, empfahl ihm Freundlichkeit, und ließ ihn unter Aufsicht einen einzelnen Lehrzweig in der Anstalt vortragen, nachdem er über die dogmatische und industrielle Einrichtung des Ganzen in Kenntniß gesetzt war.

Die Herrnhuter geben ihre Lehre für eine rein evangelische aus, welche sich nur in einzelnen Gebräuchen von dieser unterscheide: zu diesen gehört die Feier des Todes, welcher als ein Heimgang zur Freude und Seligkeit nicht in Trauer begangen, und durch keine traurigen Abzeichen kenntlich gemacht wird. Den Punkt des Heurathens rechnen sie nicht zum Dogma, sondern zur Gemeindeverfassung: früher wurden die Eheleute einander durch's Loos zugetheilt, seit dem Jahre 1818 gilt dies aber für abgeschafft; jede Verheurathung bedarf aber noch der Zustimmung der respektiven Gemeinde.

 

Aphanasia fand ihn nicht; je vergeblicher, je länger sie suchte, desto stärker ward ihr Drang, sich zu rächen, seinen Leib zu zerstücken. Herr von Richard, der sie ununterbrochen verfolgte mit Anträgen, und der, wenn sie ihm auch wieder entgangen war, ihren Weg immer von Neuem kreuzte, dieser zudringliche Herr – denn die Alltäglichkeit ist stets zudringlich – entrang am Ende dem Unmuthe wirklich ein Versprechen. Aphanasia sagte zu, am nächsten Johannistage auf ihrem Schlosse einzutreffen, wenn sie bis dahin Gregor nicht habhaft geworden sei; sie betrachte ihn dann wie einen Verschollenen, und sich selbst für berechtigt zu neuer Verbindung.

Was aber geschähe, wenn sie ihn träfe, darüber schwieg ihr Mund, denn es lag drohend zusammengeballt in ihrem Herzen.

 

Gregor fand all die kleinen, täglichen Neigungen und Leidenschaften der Menschen, um derentwillen er aus dem gewöhnlichen Kreise entflohen war, bei den Herrnhutern wieder, und sie hatten ihm dort ein noch viel widerwärtigers Ansehn, denn sie schlichen gebückt, sauer lächelnd, im Dunkeln umher, sie trugen zierliche Mäntelchen. Das Verhältniß machte es nöthig, daß jede Leidenschaft einen Lakai vor sich her schickte, die Gleißnerei.

Mitten in den Fasern und Angeln einer Welt von Leidenschaften, wo Ursprung und Ende und Fortbewegung nur ruckweise, ebenfalls in Leidenschaften vor sich geht, da macht Ihr Jahrtausende lang den Versuch, alle Leidenschaft zu unterdrücken. Dieser Versuch selbst ist eine Leidenschaft, Euer ganzes Herz ist eine Leidenschaft. Leiten, veredlen, verschönern sollt Ihr sie, das ist ein Beruf, der allein gelingen mag.

Diese süß grinsenden Kabalen, diese sanft erdrückenden Intriguen, diese Verläugnung alles raschen Blutes, wie es doch der Herrgott in die Adern gieß't, und durch einen fröhlichen Wind und einen fröhlichen Sonnenschein weckt im Menschen, entrüsteten Gregor immer mehr; dieser niedergebeugte, passive Zustand einer schaffenden und waltenden Natur gegenüber, welche doch des Selbstbewußtseins entbehrt, ward ihm zu schwer; der alte sehnige Mensch richtete sich auf in ihm, er schüttelte den Staub von den Füßen, und zog hinweg. Kleine Zufälle aber fesselten ihn lange in dem Knäul kleiner Ortschaften des Distriktes, und die kleinen, täglichen Verhältnisse lähmten ihm wieder die Schwingen, welchen der aufwachende alte Geist ein einzig Mal seit langer Zeit einen kräftigen Schwung mitgetheilt hatte. Die Misere eines kleinen Lebens ist die Pest alles Schwunghaften; wenn die Seele nicht ein über alle Regeln erhabenes Genie ist, so braucht sie ihren hilfreichen Boden wie der Baum.

Der Same großer Thaten hatte ihn aus dem schönsten Kreise hinausgetrieben, er war umher geirrt, hatte nirgends Ort, Zeit und Gelegenheit entdeckt, wo Großes zu thun wäre, denn es liegt nichts einzeln am Wege, Alles entsteht in bestimmten Kreisen, auch das Ungewöhnlichste. Jetzt sah er sich nahe daran, ein gewöhnlicher Vagabund zu werden; die Sehnsucht nach seinem Weibe, welche ihm zuweilen erwacht war, drückte ihn jetzt schon wie Verwegenheit, wie Verlangen nach einer Krone, Anspruch und Zutrauen der eignen Würdigkeit sank immer tiefer, er war dem Aergsten nahe, und bereit, diesem auszuweichen vermittelst des Aergsten.

 

In diesem schlimmen Momente fand er einen Gastwirth, der mit viel Behaglichkeit und leidlichem Verstande das Geschäft in seinem kleinen Städtchen führte. Jede Behäbigkeit, wenn sie nicht bestialisch ist, äußert sich auf den Zuschauer wohlthuend. Der Wirth wußte Gregor zu einer kleinen Mittheilung der letzten Reiseeindrücke zu nöthigen, dieser ertappte sich selbst wieder auf einer harmlosen Betrachtung, und darüber ward ihm wohnlicher in der Welt. Er fragte den Wirth, warum man in Niederschlesien auf eine so barbarische Weise die Gegend dadurch entstelle, daß man von allen Laubholzbäumen die Zweige abhaue, und solchergestalt nichts als fratzenhafte, unschöne Baumgestalten, um Arm und Bein verkürzte Figuren sehen lassen, eine Karrikatur von Landschaft.

Der Wirth lächelte: ich hab es auch schon gesagt, sprach er vertraulich, weil ich einmal über die Grenze hinaus gekommen bin und es anders gesehen habe, aber es hilft nichts, sie brauchen die Laubzweige zur Schaffütterung, besonders ist das Lindenlaub den jungen Lämmern gar sehr zuträglich.

Aber das sind alte Geschichten, lassen Sie sich eine neue erzählen, die hier passirt ist, und aus der kein Mensch gescheidt wird.

Nun erzählte der Wirth Folgendes: Es war ein junger Mensch auch nur auf der Durchreise durch das Städtchen gekommen, er war offenbar anständiger Eltern Kind gewesen, mit Geld und Geschick wohl versehen, aber offenbar überspannt, sehr überspannt. Beim besten Appetite, beim schönsten Burgunder habe er versichert, sehr unglücklich zu sein, er müsse etwas Außerordentliches leisten und werden, es koste was es wolle. Sehen Sie, sagte der Wirth, das sind Flausen, wie man sie in Büchern lies't, und für Dummheiten hält, wenn man's praktische Leben vor Augen hat. Nun, sehen Sie, der junge Mann geht in unsre katholische Kirche und sieht da ein hübsches Mädchen – Sie werden sie auch noch sehn – und verliebt sich auf der Stelle, und fragt wer sie sei. Man weiß nicht recht wer, und ob's aus Spaß geschehen ist, oder aus Versehen, kurz, es sagt ihm jemand: 's ist des Herrn Kämmerers Tochter, der draußen am Wasser wohnt. Der junge Mensch schreibt an des Kämmerers Tochter sogleich einen Brief, erklärt ihr seine Liebe, und bittet sie um ein Rendezvous den andern Morgen in der katholischen Kirche. Wenn sie das gewähre, so möchte sie gegen Abend ein rothes Band aus ihrem Fenster flattern lassen. – Das Mädchen ist ein muntres Kind, sieht das für einen Scherz an, hat vielleicht auch nichts dawider, einen unbekannten Liebhaber anzufeuern, und bindet einen ganzen Shawl von feuerrother Farbe an's Fensterkreuz. Der junge Mensch war selbigen Abend ganz närrisch vor Vergnügen.

Am andern Morgen geht's natürlich in die Kirche, das hübsche Mädchen sitzt wieder da, nimmt aber gar keine Notiz von ihm, und als er zudringlich wird, wird sie grob. Er erkundigt sich von Neuem, und erfährt, daß dies gar nicht des Kämmerers Tochter ist, sondern des Forstmeisters, Kämmerers sei gar nicht katholisch, und man wüßte gar nicht, was die hier wolle, und hinten im Kreuzgange sich die Bilder ansehe.

Sehn Sie, kaum weiß er, daß er sich an eine Falsche gewendet und die Sache verkehrt angefangen hat, so kommt er nach Hause, schreibt wieder einen Brief, geht hinten in meinen Garten und schießt sich, so wahr Gott lebt, auf der Stelle todt.

In dem Briefe steht, er sei ein sehr unglücklicher Mensch, der seinen außerordentlichen Lebenspunkt nicht habe treffen können – nun, so schlag doch der Teufel drein, den ordentlichen hat er getroffen, er hat nicht mehr gemuckt; aber wenn die große Welt viel solche Hansnarren hat, lieber Herr, da lob ich mir unser kleines vernünftiges Städtchen, nicht wahr?

 

Diese Erzählung hatte wie ein Blitzstrahl in Gregor's Inneres geschlagen, er übersah sein letztes Leben wie die öde Halde eines Irrthums, der im Unsichern und Weiten die That sucht, deren seine Anlage und sein Herz bedarf, und die Kreise thöricht durchbricht, innerhalb welcher sein Dasein eingewebt ist. Die Geschichte des Menschen geht in einem stählernen Gewinde fester Stangen, die aus der innersten Eigenthümlichkeit heraus sich bilden, und nur durch diese sich erweitern und verengern lassen. Wer aus diesem seinem Gehäuse herausspringt, und das ihm Außerordentliche haschen will, der springt in das Chaos, in den Zufall hinein und geht darin unter, wenn er keinen Rückweg findet. Das Draußen ist für des Menschen Gedeihn nur als Gelegenheit da, aller Kern und alle wirkliche Größe wächst nur aus dem innersten Herzen. Jeder Mensch ist seine eigenste Welt, zu der er erobern kann, wenn er mit einem Arme fest an seiner innern Burg hält, die er aber nur zu seinem Untergange ganz verläßt.

Hoch aufgerichtet, fest und sicher seines Wesens, wenn auch im leinenen Kittel, gelangte Gregor am Johannisabende zum Fuße des Berges, auf welchem das stolze Schloß, einst sein Schloß, thronte. Die Terassen waren verwildert, der Hase und der Fuchs sprangen aus dem wirren Weingeranke.

Auf dem ersten Absatze hielt zu Pferde Herr von Richard, nur wenige Stunden waren noch übrig, dann verfiel ihm die schöne Frau. Man fühlt sich ein ganzes Jahr sicher, aber die letzte Viertelstunde fürchtet man Alles. Und hier traf es ein, der einzig gefährliche Prätendent stand vor ihm. Dies Wunder des Romans, daß der Rechte im letzten Momente eintritt, ist ein stets wiederkehrendes Wunder der Weltgeschichte: die Dinge reifen in bestimmten Zeiträumen, und wenn die Frucht plötzlich abfällt, so verwundert es nur den, welcher Zeit und Gesetze nicht kennt.

Richard wehrte ihm den Zugang, Gregor aber, der in seine innere, volle Existenz wieder fest gerüttelt war, riß ihn vom Pferde und warf ihn in die Weinranken, daß Roß galloppirte in die Fläche hinab.

Geh hinauf, Bandit, rief der Niedergeworfene, hole dir den Tod, dein früheres Weib hat dir Rache geschworen, ihre Söldner erwarten dich, während sie selbst in Nürnberg schwelgt.

Gregor fürchtete sich nicht; aber sein Weib, das lebendige Herz seines früheren Besitzes, war doch die Seele, welche ihn zog, er wendete sich um und stieg die Straße nach Nürnberg hinab. Richard sah ihm vergnügt nach und eilte den Schloßberg hinauf, sobald Gregor hinter den Bäumen verschwunden war.

Schweigend in ihrem weißen Gewande saß Aphanasia oben im Saale, eine Uhr stand auf dem Tische, ein Dolch lag daneben. Richard's Hereinstürmen wies sie blos mit einer unwilligen Handbewegung ab, und mit kaltem Tone sprach sie blos: »Um zwölf!«

Auf keine Rede, auf kein Gespräch ging sie ein, wie ein Marmorbild saß sie da, Richard mußte zu einem Buche flüchten. Es ward todtenstill, der Zeiger rannte, die dunkle Nacht fiel mit goldnen Sternen herab, die Feuerwürmchen spielten hin und her außerhalb der Fenster; es schlug eilf Uhr auf dem Schloßthurme, Richard lächelte, Aphanasia lächelte auch, aber es zuckte ein Todesschimmer in diesem Lächeln.

Es verging wieder eine halbe Stunde, Alles blieb still. Da hörte man hastige Schritte auf dem Flure, die Thür ward aufgerissen, Gregor im leinenen Kittel stand athemlos auf der Schwelle, Aphanasia sprang auf, ergriff den Dolch, rief mit wunderbar harter Stimme »Gregor!« und schritt ihm entgegen.

Aphanasia! schrie dieser, und der Ton kam schmerzhaft dringend aus einem verborgensten Winkel der Seele – sie stand still – er fuhr fort: Nach Nürnberg ward ich geschickt, dort solltest Du sein, aber als der Abend sank, wandte das gepeinigte Herz meine Füße hierher, hier mußtest Du sein –

Zeig Deine Hand, sprach sie mit schwacher Stimme, Deine rechte Hand, Gregor! Großer Gott, der Ring ist noch an Deinem Finger, und Du liebst mich? – – der Dolch entglitt ihr –

Bis zu peinigenden Schmerzen lieb ich Dich! Damit stürzte er ihr in die Arme, sie brach zusammen, sie verging, bis ein Thränenstrom, wild wie ein Gebirgswasser, aus ihren Augen brach. Nun umfaßte, nun drückte und liebkos'te sie ihn, als ob sie ihn damit tödten wollte – ich habe nicht geweint – Gregor – seit Du fort bist – der Dolch war für Dich, wenn Du ohne Ring, ohne Liebe kamst – vergieb – für mich, wenn Du ausbliebst.

Als sie ausgeweint hatten und den Frieden fühlten, schritten sie hinaus auf die Terasse – Herr von Richard war verschwunden – und sahen Arm in Arm, Wange an Wange, in das golden flimmernde Land hinab. Nun ist der goldene Reichthum des schönen Landes wieder auferstanden auch für uns, mein Weib, jetzt tritt er in unser Bewußtsein, wie Alles erst unser wird, wenn wir's einmal verloren haben. Mein Weib, mein Land, jetzt bin ich Euer!


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