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Die Maske.

Eine Silhouette.

 

Die große Stadt hat allerdings ihre kleinen, verborgenen Zimmer, wo es Zeit und Ruhe gibt für Gefühle und tiefe dauernde Leidenschaften. Im quartier latin zu Paris findet man die bürgerlichsten, solidesten Leute, die alte, stille französische Familie, welche sich verwahrt um und um gegen Zudrang und Eile. Auch in Berlin ist das zu Hause, besonders in den stilleren Seitenstraßen der Königsstadt; man entdeckt nicht leicht anderswo eine langsamere, zuverlässigere Familie wie in Berlin, die Treue ist in einem solchen Kreise ein ewiges Religionsgesetz, einmal blickt man auf in die Welt, erwählt sich das Seine, und kein Zweifel darf mehr nahen, dies Mädchen, diese Farbe bleibt die unwandelbare für's Leben. Just im Trubel der großen Stadt hüllt sich die einsame, gesammelte Familie, das bescheidene Gefühl fester, unzugänglicher in seinen Kreis.

Aber im Trubel selbst erscheint das Unglaubliche, wie auf bewegter Landstraße rennt Leben und Neigung und Schicksal durcheinander, der Großstädter wohnt halb auf der Straße, auch wenn er sie in der ganzen Woche nicht beträte, das bunte Gewirr trabt fortwährend durch seinen Kopf, durch sein Herz. Neigungen verschiedenster Art begegnen sich, sie haben keine Zeit zur Prüfung, der nächste Augenblick kann sie für immer auseinander reißen, sie verbinden sich, im Gedränge entgeht es ihnen eine Zeitlang, daß sie nicht zusammen gehören, sie werden's gewahr, lassen sich los, der Strom führt das Eine hierhin, das Andere dahin, kein's hat Zeit, seine Wunde zu betrachten.

1.

Es giebt vielleicht so vielerlei Liebe, wie es Blumen gibt, und es mag wohl manchen Uebelstand erzeugen, daß wir unter dem Worte Liebe meisthin ein und denselben Begriff von starker gegenseitiger Zuneigung verstehen, so stark, wie wir eben im Stande sind, ihn bei uns selbst als möglich zu denken. Entsprechend ist der Frühling – ist ein Frühling wie der andere? Leben und Fruchtbarkeit beginnt und steigt oft unter wenig erfreulichem Wetter; aber es gibt gewisse Folgegesetze, nach denen es doch grün wird, nach denen die Liebesleute doch küssend zu einander gezogen werden, – der Sommer weist es dann aus, und sicher bringt es der Herbst an den Früchten deutlich zu Tage, ob die Empfängniß in Wahrheit glücklich gewesen sei.

Vielleicht gäbe es glücklichere Menschen, wenn sie sich weniger blindlings auf einen allgemeinen Begriff verließen, wie die Liebe durch schlechte Romane einer geworden ist, wenn sie schonungsloser in sich aufsuchten, was ihnen wirkliches Herzensbedürfniß ist, und was sie als bloße Empfindungsphrase in sich zu einer künstlichen Höhe ausbilden.

Eine ganze, durch und durch nothwendige, volle Liebe ist vielleicht so selten, als ein ganzer, durch und durch schaffender und schöner Frühling. –

Der schönen Aurelie wären diese Gedanken wunderlich und fremd vorgekommen, weil sie niemals von ähnlichen, von nur entfernt ähnlichen überrascht worden war. Liebe ist Liebe, hätte sie gesagt, und ich weiß wohl, wenn ich liebe. Ein zufriedenes Lächeln zeigte, daß es damit sehr gut bestellt sein möge – sie saß an einem sehr großen Blumenfenster, und sah auf die schneebedeckte, aber von Schlitten, Reitern und Vorübergehenden reichlich belebte Straße hinab. Die willkommene Wintersonne schien freundlich in das behaglich und reich eingerichtete, von reiner Wärme durchströmte Zimmer, ein Kanarienvogel, der im großen metallenen Bauer neben ihr stand, mitten in Blumen, beleuchtet von den Sonnenstrahlen, sang und schmetterte, als ob es der Frühling sei.

Aurelie war zwanzig Jahre alt, und ihr Leben war in den Hauptzügen folgendes gewesen. Die Eltern hatten eine günstige Stellung in der Welt und erzogen die einzige Tochter auf eine dieser Stellung angemessene Weise. Aurelie war sanft, gelehrig, wußte sich leicht zu schicken, zu fügen, ward stattlich und schön, und hatte jedermann zum Freunde, und Ferdinand, ein junger glänzender Mann, weihte ihr die ganze schwärmerische Neigung erster Liebe. Wie reizend fand sie das; Ferdinands Blut und Miene, seine Munterkeit, seine Gewandtheit waren das Ideal ihrer Wünsche – wie liebte sie ihn!

Da trat der Vater eines Tages zu ihr und sprach: Liebe Aurelie, ich habe starke Verluste erlitten, meine Existenz ist bedroht, du kannst helfen; schlag dir die Jugendtändelei mit Ferdinand aus dem Sinne, Herr von Real hat um dich angehalten, er ist ein reicher, braver Mann, gieb ihm deine Hand!

Aurelie weinte und gehorchte. Ferdinand ging auf Reisen. Ein Jahr verging besser, als sie gedacht hatte. Herr von Real war ein guter, liebenswürdiger Mann. Aureliens milder, fügsamer Charakter unterwarf sich erst geduldig den auferlegten Pflichten, und fand am Ende eine stille, ziemlich zufriedene Existenz, die bald gar keine Erinnerung mehr daran hatte, daß sie eine resignirte sei.

Herr von Real stürzte mit dem Pferde und starb. Aurelie kam nach einer Zeit, als schöne, junge Wittwe nach der Stadt zurück und war umschwärmt von Verehrern und Bewerbern. Ihre Eltern waren in der Zeit auch gestorben, sie war mit ihrem Reichthume allein und unabhängig. Natürlich tauchte Ferdinands Bild in ihrer Seele auf, aber, dachte sie, der ist jetzt, Gott weiß wo, und sein Herz hat Trost gesucht. Sie gab sich also ziemlich unbefangen den Verehrungen hin, welche man ihr zollte, spielte mit den Freiwerbern, und befand sich wohl. Da traf sie in einer Abendgesellschaft Ferdinand; er war zurückgekehrt, sah ernst und reisebraun aus, und begrüßte sie ziemlich kühl, jedenfalls viel förmlicher, als er nach ihrem Ermessen nöthig gehabt hätte, und als er mit mancher anderen Dame verkehrte. Sie selbst hatte wieder jenen elektrischen Schlag bei seinem Anblicke gefühlt, der sie früher oft so entzückend betroffen hatte; größere Wärme, regerer Antheil an Allem schien ihr ausgegossen über Herz und Sinne – aber mit Ferdinand schien es ganz anders zu sein. Es vergingen mehrere Tage, und er besuchte sie nicht; als sie ihm wieder in Gesellschaft begegnete, schien er ihr sogar auszuweichen. Himmel, in welche Bewegung versetzte sie das! Als der Zufall ihn neben sie führte, mochte so etwas von der innern Aufregung heraustreten und irgend ein verrathendes Wort finden, wenigstens fand er schnell eine Erwiederung, die eben dahin schattirte; man fand sich näher zu einander gestellt, als man vermuthet hatte; den nächsten Abend erwartete Aurelie seinen halb erbetenen, halb angekündigten Besuch.

Sie saß in ihrem schönen Zimmer, und harrte seiner mit klopfendem Herzen; die Erwartung ließ ihr keine Ruhe, bald stand sie auf, ging hin und her, bald setzte sie sich wieder, bald eilte sie zum Spiegel: »Meine Haut ist nicht mehr so weich und schön wie früher, meine Augen liegen etwas tiefer, mein Mund ist nicht mehr so schmal und geschlossen – werd' ich ihm noch gefallen?«

Als könnte Liebe vergleichen! –

Sie war aber in der That von einnehmender Schönheit. Schlank und hoch gewachsen, und doch von leichter, fester Fülle der Umrisse war sie eine lockende Erscheinung, und das seidne dunkle Gewand, das sie trug, hob die Weiße ihrer Haut und das mit leichtester und feinster Röthe angehauchte Gesicht, in welchem unter dunklen Haar und fein geschweiften dunklen Brauen, ein großes tiefblaues Auge lebte, und dem ganzen Wesen ein süß Geheimnißvolles gab, was man oft Romantik nennt. Der spröde Reiz des Mädchens, der weiche Schmelz einer jungen Frau sahen noch vereint aus ihren Zügen, jener war noch nicht ganz überwunden, dieser hatte noch nicht völlig gesiegt.

»Wenn mich nur nicht die Blatternarbe hier am linken Schlafe entstellt! Betty streicht mir auch den Scheitel immer noch nicht tief und fest genug darüber. –«

»Aber wo er bleibt! Es ist ihm gar nicht eilig«, da hörte sie schnelle, leichte Schritte auf dem Vorsaale, und wie tief erschreckt floh sie auf's Sopha, und griff mechanisch nach der Handarbeit.

2.

Sie hatten sich gefunden; aber im Grunde nur so weit, daß Ferdinand hoffen konnte, über kurz oder lang eine volle, gewährende Liebe in Aurelie zu finden. Aurelie gehörte zu den Frauen, welche mehr zu geben und gewinnen glauben, wenn sie wenig und öfter geben, als wenn sie eine ganze Seele ohne Rückhalt öffnen und im aufopfernden Selbstvergessen darbieten. In jenem Verfahren liegt Klugheit oder Mangel; es fesselt geschickter, aber es fehlt ihm jener Hauptmoment der Liebe, in welchem alle Beschränkung und Berücksichtigung aufhört, um dessentwillen die Liebe ein voller, selbstständiger Himmel genannt wird.

Das Verhältniß ging in dieser halben Entschiedenheit länger fort, als Ferdinand gehofft hatte. Kluge Leute behaupteten, es gewinne dadurch mehr Reiz, andere meinten, der Reiz sei weniger als das Glück.

So war es Winter geworden, und Aurelie sitzt, wie zu Anfang gesagt wird, am Fenster, und sieht mit Behagen dem Treiben auf der Straße zu; es ist um die Mittagszeit, Ferdinand kann jeden Augenblick vorbeireiten. Bunte Schlitten mit Herren und Damen klingeln vorüber. »Wenn Ferdinand galant wäre, so könnte er mich wohl auch zu einer kleinen Farth abholen!« und wie ein Tischleindeckdich kam der Geliebte mitten in den Wunsch hineingeschwirrt mit einer prächtigen Equipage. –

»Ich finde es sehr liebenswürdig, guter Ferdinand, daß Sie mir den Vorschlag machen; aber es würde doch zu sehr auffallen, es geht nicht –«

»»Meine Cousine ist bereit, uns zu begleiten.««

»Mein lieber Ferdinand, es geht nicht; aber ich dank's Ihnen bestens.«

Kein Bitten half, verletzt stürmte er fort, warf sich in den Schlitten und fuhr davon, als wollte er sich und was ihm in den Weg käme zu Grunde richten; Aurelie schrie auf am Fenster. Da er verschwunden war, reute es sie. – Du wirst ihn ermüden, und er wird dich aufgeben. Rasch wurde ihm ein Billet geschrieben: Sein Sie nicht böse und kommen Sie ja heut Abend auf die Redoute, ich bin an rothen Schleifen zu kennen und finde Sie sicher heraus. Ich möchte gut machen, was ich wohl heute schlecht gemacht; im Maskenkleide kann ich das vielleicht am besten, weil ich mich leider ewig vor der blanken Wirklichkeit genire.

Die Redoute war im lustigsten Treiben, ein blauer Domino verfolgte eine weiße mit rothen Schleifen geschmückte Dame – sie sah reizend aus mit dem stolzen Wuchse, dem stolzen, weißen Nacken, den blendenden Schultern, den vollen, schönen Armen, es mußte Aurelie sein, obwohl die Maske nicht darauf eingehen wollte. Am Ende mußte sie denn doch dem unablässig drängenden Ferdinand nachgeben, mußte sprechen und damit das halbe Geheimniß aufgeben. Eine Weile scherzten und tändelten sie nun unbefangen und glücklich im Saale herum, und genossen den kleinen Reiz deutscher Maskenbälle. Wenn sich nicht ein solches Einverständniß gebildet hat, kann man bei diesen Vergnügungsanstalten dem unerquicklichsten Zustande anheim fallen; man ist in enge Räume gedrängt, die Witterung verbietet das Draußen, ein wirklich interessantes Suchen und Finden und Verkehren ist schon darum nicht möglich, unsre Gewohnheit mit der unvermeidlichen Mutter am Arme, mit der ganzen idealen Schamhaftigkeit der Germanen, bilden einen baaren Gegensatz zum Romantischen; was der Kern eines Maskenballs sein soll, das Fremde, das Unbekannte ist uns feindlich in der Gesellschaft, unsere Laune, unser Humor sind niemals so eigenwüchsig aus unbefangenem, halbmateriellem Uebermuthe, daß wir uns Stunden lang darin herumtreiben, daß wir für ein Scherzwort, was nur ein Erkünsteltes betrifft und von einer Larve ausgeht, zu der wir keinen geschichtlichen Bezug haben, Empfänglichkeit oder gar Entgegnung haben könnten. Sind wir auch sonst objektiv genug, für das, was man Amüsemant nennt, brauchen wir unsere Gewohnheiten, unsere Umgangsgeschichte mehr als andere Völker. Deshalb werden die Redouten bei uns immer etwas Forcirtes, Ungenügendes bleiben.

Ein Liebender, wie Ferdinand, hätte am wenigsten auf solche Gedanken kommen sollen, Aurelie hatte ihm aber doch dazu verholfen. Sie war nun einmal von den Frauen, welche eine Furcht davor haben, sich an den Mann zu verlieren; so war es ihr denn auch bald eingefallen, daß die Maske keineswegs verberge, daß sie auch von andern Bekannten Notiz nehmen müsse, und was dergleichen Bedenklichkeiten mehr waren, die einen Liebhaber in Conversationsschranken weisen. Er lehnte sich, in seinen blauen Domino gehüllt, an eine Säule, und ennuyirte sich herzlich über das Maskentreiben; die Spässe kamen ihm albern vor, unnatürlich widerlich, besonders die Harlequins mit ihrer dem Deutschen so unangemessenen Beweglichkeit, waren ihm ein Gräuel. Und Eifersucht, das trockne Feuer, das nur sticht und brennt, ohne jemals zu wärmen; der Baum, welcher nur Ruthen trägt, aber niemals Blätter, quälte ihn prickelnd. – Aurelie war umschwärmt von Masken und Dominos; mitunter strich sie wohl an ihm vorüber, und versuchte es, ihn in den Kreis zu ziehen; aber ein Eifersüchtiger, der Alles haben kann und will, weis't trotzig alles Halbe von sich, selbst Gunstbezeigungen, womit er einen Augenblick vorher, in größerer Unbefangenheit, glücklich gemacht worden wäre.

So verging der Abend; Aurelie fühlte sich auch beunruhigt, einmal durch das Verhältniß zu Ferdinand, dem Mann ihrer Liebe, welchem sie lauter Qual bereitete, ferner durch eine zudringliche Maske, die sie unablässig verfolgte; sie sah sich ängstlich nach dem blauen Domino um. Er hat kein Glück, sagte sie ärgerlich vor sich hin, ich bin in einer Stimmung ihm um den Hals zu fallen, und jetzt ist er nirgends zu sehen.

Die Maske ward immer dreister, Aurelie wollte fort; Musik, Tanz, Schmeicheleien, das Zurücktreten Ferdinands hatte sie aufgeregt, daß sie hätte weinen, oder, ja wohl, gestand sie sich leise, küssen mögen zum Vergehen – da, da ist der blaue Domino? He, Ferdinand, bringen Sie mich nach Hause, – sie reichte ihm den Arm – den ersten besten Wagen, ich habe nicht Zeit noch Lust, meinen Bedienten zu suchen. Es war eine stockfinstere Nacht, der Mietwagen hatte keine Laternen, die Fahrenden nahmen ihre Larven ab. Aurelie, die vielleicht just ein solches Nichtgesehenwerden brauchte, um sich endlich einmal hinzugeben, umarmte ihn feurig und innig und bat ihn auf das Zärtlichste, er möge ihr Liebe bewahren, auch wenn sie ihrem Naturell nach nicht immer so wäre, wie er es gern haben möchte; ihr Drang war diesmal so eifrig, daß sie ihn gar nicht zu Worte kommen ließ.

Sie waren an der Hausthüre; die Lampen waren eingebrannt, auch im Portierfenster war es dunkel, aber mechanisch an sein Geschäft gewöhnt, mochte dieser auf den Klingelzug am Drahte ziehn; die Thür öffnete sich. Um Gotteswillen, Ferdinand, was machen Sie, Sie sind mit eingetreten! Nur um's Himmelswillen nicht sprechen, man kennt Ihre Stimme. Seine Küsse verschlossen ihr den Mund – sie wollte selbst nicht viel sprechen, um Niemand zu wecken – und was braucht auch die Liebe Worte und Reden, sie sind ihr nur ein Ausfüllmittel, wie das französische Sprechen in deutscher Gesellschaft.

3.

Sie waren verheurathet, und lebten eben wie andere junge Eheleute, umgaukelt von neuen Reizen und Zuständen, in den Tag hinein.

»Aber sag' mir Aurelie, was dich damals am Tage nach dem Maskenball bewog, ein so reizendes Billet an mich zu schreiben, und mir anzukündigen, daß wir verlobt wären?«

»»Schweig, Ferdinand, du bist abscheulich!««

Er schwieg aber nicht, und nach einigem Hin- und Herreden mußte Aurelie glauben, er sei damals in seinem blauen Domino allein nach Hause gegangen. Kalt überlief es sie, aber sie schwieg. War es ein thörichter Scherz von ihm, oder sollte wirklich ein anderer blauer Domino – entsetzlich, – er hatte kein Wort gesprochen!

In Sachen der Liebe sind Frauen viel feinere Diplomaten, als unsere Politiker in Sachen des Staates, weil ihnen das Herz zu Hilfe kommt; Ferdinand ahnte nichts von dem, was in den Fragen war, und Aurelie hatte dennoch bald die unumstößliche Gewißheit, er sei nicht der heimbegleitende blaue Domino gewesen.

Nun zeigte sich's, was es für ein Frühling, für eine Liebe gewesen sei: sie hatte nicht die Kraft, den Vorfall einzutauchen in jenes Meer von Neigung, das eine ächte Liebe besitzt, in jenes grundlose Meer; denn es existirt eine Liebe, die Alles vergiebt auch das Schlimmste, die auch den Verbrecher gegen sie selbst niemals verlassen kann, eine Liebe ohne Rücksicht, eine Liebe quand même. Eine solche war Aureliens keineswegs; sie sah sich jetzt durch einen Irrthum an Ferdinand gerathen, diese Eine Täuschung warf ihre Schatten über die ganze Neigung und machte ihr dieselbe fraglich. Aber sie liebte auch nicht so kräftig, um jetzt zu hassen, um wenigstens das Begehren zu empfinden: du möchtest ihm weh thun bis in's innerste Herz. Bei starken Naturen springt das Gefühl von einem Pole zum andern, – nichts davon fand sich bei Aurelien vor: die Neigung war ihr zweifelhaft geworden, die Gleichgültigkeit folgte diesem Zweifel auf dem Fuße, das Verhältniß, das scheinbar so tief und stark einhergebraus't kam, verlor sich wie der Fluß, der zeitig an den Meeresstrand sich verirrt, sein Wasser, sein Wesen verliert sich in die große Masse hinein.

Ferdinands Verwunderung über die gar so indifferent gewordene Frau wurde Trotz, da die Verwunderung unbeachtet blieb; der Trotz, da er sich ebenfalls ignorirt sah, flüchtete sich zur Gleichgültigkeit, und diese war gefällig und ließ sich wirklich finden. Man vergaß sich, vergaß seine Geschichte, und haschte nur darnach, irgend ein kleines Interesse an Diesem oder Jenem zu haben; sie wohnten nach wie vor in demselben Hause und wurden viel artigere Weltleute, als sie früher gewesen waren. Wenn die innere Welt zu Ende ist, da hilft die äußere am liebsten; wer nicht dichten kann, verspottet am schnellsten die Dichter.

– »Eine ganze, durch und durch nothwendige volle Liebe ist vielleicht so selten, als ein ganzer durch und durch schaffender, schöner Frühling.« –


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