Heinrich Laube
Louison
Heinrich Laube

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Elftes Kapitel.

Louison hatte geschlafen und immerfort geträumt. Das war ihr nichts Neues, denn sie träumte stets, sobald ihr die Augen zufielen. Aber beim Erwachen wußte sie absolut nicht, wie es in ihr aussähe. Ob sie wie tags vorher nur traurig sein oder ob sie hoffen dürfte. Diese neue Bekanntschaft mit dem Doktor Zech rumorte wunderlich in ihr. Seine nüchternen Äußerungen über das Theater hatten etwas so Befremdliches für sie. Aber was er ihr übrigens zugesprochen über ihre Lage, das war so einfach und tüchtig, daß es ihre Hoffnung belebte.

Er wird Rambert sprechen, er wird ihn durch seinen ehrlichen, wahrhaften Ton bewegen – es kann noch alles gut werden! dachte sie, und beim Frühstück wie beim Frisiertwerden sprach sie heute behaglicher als seit langer Zeit mit Rose und Nanette, obschon ihr beide entgegengesetzte Ratschläge gaben.

Rose war für ungeheure Sparsamkeit, um nach und nach abzahlen zu können. Wenn die Gläubiger ihre Sparsamkeit und ihren Ernst sähen, so würden sie sich gedulden.

101Das fand Nanette lächerlich. Eine Künstlerin dürfe sich nicht mit Geldsorgen quälen, das verderbe ihr Talent. Tag für Tag in Gunst der Öffentlichkeit könne sie Tag für Tag ein unvorhergesehenes Glück erwarten. Der so ungemein reizenden Louison könne jeden Augenblick die Million eines Enthusiasten in den Schoß fallen. Gefalle ihr nach einiger Zeit dieser Millionenmann nicht, so könne sie Scheidung und das Heiratsgut verlangen, welches sie sich natürlich vor der Trauung ausbedungen habe.

Bei diesen Worten trat Narziß ein und sagte: »Ich weiß nicht, Mademoiselle, wie ich verfahren soll. Sie haben gestern lange mit Herrn O'Brien gesprochen, soll ich ihn ferner abweisen? Er ist im Vorzimmer.«

»Abweisen!« flüsterte Rose.

»Natürlich annehmen!« sagte Nanette laut – »ich bin fertig; Mademoiselle Louison sieht heute brillant aus.«

Louison sagte nicht ja, nicht nein. Narziß nahm das für ja und öffnete O'Brien die Tür.

Dieser erkundigte sich zunächst nach dem Befinden der Mama, er war voll Höflichkeit und Zurückhaltung, und als die Dienerinnen fortgegangen, sagte er plötzlich: »Warum, schönes Fräulein, vergiften Sie sich das Leben mit kleinlicher Sorge. Ich seh's, daß die unbedeutende Schuldenlast Sie zu Boden drückt. Das ist ja Torheit! Für ausgezeichnete Menschen ist das Geld eine Nebensache, die früher oder später sich einstellt. Was hindert Sie, die Schuldscheine dort aus dem Schubfache zu nehmen und mir zu übergeben? Die Angst, daß Sie dadurch mir verpflichtet würden. Aber das ist ja eine törichte Angst! Was täte ich denn mit einer Zuneigung, welche ich nur einer Geldzahlung verdankte? Es ist niederdrückend, daß Sie mir solch eine Gemeinheit zutrauen. Ja, ich hoffe, daß Sie wieder fröhlich werden, wenn Ihnen die Last abgenommen ist, und daß Sie dann in ihrer neu erwachten Fröhlichkeit auch mich freundlicher ansehen als 102bisher. Aber das ist auch alles. Ihre Gunst kann ich doch nur langsam erwerben; denn ich habe zu viel gesündigt. Aber dies Sündigen ist vorbei, ich werde wie Jakob geduldig sieben Jahre um Sie werben und habe nur eine Bitte.«

»Was für eine?«

»Sie sollen Ihr Talent schonen. Sie schädigen es durch diese Hingebung an Kummer und Sorge. Ich habe mich geprüft, und ich weiß jetzt, daß Sie mich nicht bloß durch Ihre Person, nein, daß Sie mich vorzugsweise durch Ihr Talent bezaubern. Wenn Sie mich später doch, von meiner Standhaftigkeit besiegt, heiraten wollten, so machte ich's zur Bedingung, daß Sie beim Theater blieben. Wir setzten es wörtlich in den Heiratsvertrag, daß unsere Ehe aufzuhören hätte, wenn Sie Ihren guten Humor verlören und das Theater verließen.«

Da hätte ja doch Nanette recht, dachte Louison, welcher O'Brien nichts Willkommeneres sagen konnte.

Sie lächelte und stand auf wie zur Verabschiedung. Er stand ebenfalls rasch auf und rief: »Sie geben mir also die Schuldscheine« – und dabei streckte er den Arm aus, um sie in Empfang zu nehmen.

Louison trat erschreckt einen Schritt zurück und sagte: »Das ist ja Ihr verwundeter Arm, welchen Sie ausstrecken. Er ist also geheilt. Warum tragen Sie ihn noch in der Binde?«

»Geheilt ist er nicht, und nun schmerzt er.«

O'Briens Antlitz zeigte einen plötzlich veränderten, schlimmen Ausdruck.

Louison entfuhr leise das Wort »Vilsac«, und sie machte eine rasche Abschiedsbewegung mit ihrem Arme.

Er schob langsam und mit Vorsicht den Arm wieder in die Schleife; sein Antlitz suchte sichtlich die sanften Züge wiederzugewinnen, und nach einer Pause sagte er fast lächelnd: »Es werden wohl Jakobs sieben Jahre werden. Aber Sie geben mir doch jetzt die Schuldscheine?«

103Louison schüttelte den Kopf und schellte mit der kleinen Glocke, welche in ihrer Nähe auf einem Tische stand. Rose trat rasch ein; O'Brien ging unter tiefer Verbeugung.

»Der meint's nicht gut. Ich traue ihm und auch dem Narziß nicht,« flüsterte Rose.

Louison hörte nicht darauf. Sie ließ sich vollständig ankleiden und ihren Schal geben. »Ich will Luft schöpfen,« sagte sie; »du kannst mich begleiten, Rose.«

Sie ging in die Champs Elysées hinaus, am Hause Ramberts vorüber. All' ihre Gedanken waren darauf gerichtet, ob der Doktor Zech dort oben im ersten Stock Erfolg haben werde. »Ach!« seufzte sie, »wie glücklich war ich hier! Könnt' ich's wieder werden!«

Abends nach dem Theater kam der Doktor Zech, wie er's versprochen.

Louison flog ihm entgegen, ergriff seine beiden Hände und rief: »Nun?«

»Im Grunde steht's ganz gut,« sagte er in ruhigem Tone; »aber hier im Hause zeigen sich verdächtige Symptome. Herr Rambert hat ja gestern eine Karte an Sie hergesandt mit der Einladung, ihn um elf Uhr vormittags zu besuchen – die haben Sie wohl nicht erhalten?«

»Nein.«

»Er hat sie nicht durch die Post, sondern durch seinen Leibdiener hergeschickt. Er nannte Ihre richtige Adresse. Was heißt das?«

»Einerlei!« rief Louison; »erzählen, erzählen! Was sagt Herr Rambert?«

»O nein,« erwiderte Zech, »erst klar machen, warum die Karte nicht abgegeben worden ist.«

Rose, welche eben Bier und Tee brachte, sagte trocken: »Narziß.«

Louison und Zech blickten staunend auf sie, und nun setzte sie rasch auseinander, wie sie an vielen Zeichen bemerkt habe, 104daß Narziß mit den Herren Ferval und O'Brien heimlich verkehre und gewiß ein Schelm sei.

»Rufen Sie ihn herein!« sagte Zech.

»Jetzt ist er nicht da; abends geht er immer aus.«

»Also morgen. Jetzt mein Bericht; er läßt sich hören. Herr Rambert ist im Theater gewesen, er hat Sie spielen sehen.«

»Ah!«

»Sie haben ihm gefallen. Er mißbilligt Ihre Lebensweise, aber er ist bereit, Sie zu empfangen. Morgen vormittag um elf.«

Louison fiel ihm um den Hals und war außer sich vor Freude.

»Ich hab' ihm auch gesagt, daß Sie von einer großen Schuldenlast bedrückt sind.«

»O! das hätten Sie nicht tun sollen!«

»Alles muß man sagen. Wenn er sie nicht bezahlt, was haben Sie dann gewonnen?«

»Den besten Freund, ein reines Gewissen.«

»Viel wert. Hoffentlich kommt das andere von selbst; er ist ja jetzt unterrichtet, und wenn er nicht von selbst davon anfängt, dann bitten Sie ihn.«

»Das kann ich nicht.«

»›Kann ich nicht!‹ Konnten doch Schulden machen. Ich kann Ihnen zunächst nicht mehr förderlich sein, ich reise morgen mit dem Frühesten nach Straßburg zu einer ärztlichen Versammlung. Und vergessen Sie nicht, den Narziß vorzunehmen und eventuell fortzujagen. Sie müssen ohnedies diese teure Wohnung und diesen kostspieligen Hausstand aufgeben. Womöglich morgen schon. Beim Concierge hinterlassen Sie mir Ihre neue Adresse, wenn Sie mich wiedersehen wollen. Somit Gott befohlen! Gute Nacht!«

Louison hatte dies alles kaum gehört; sie dachte nur an die Zusammenkunft mit dem guten Onkel, schlief kaum und 105war am anderen Morgen schon vor elf Uhr unterwegs nach den Champs Elysées.

An Narziß hatte sie nicht mehr gedacht, und als Rose hartnäckig daran erinnerte, sagte sie: »Später! später!«

Als sie in Ramberts Zimmer trat, saß er am Schreibtische auf seinem Lehnstuhl und wendete sich ihr zu, mit der Hand winkend. Sie stürzte ihm zu Füßen, küßte inbrünstig seine Hand und schluchzte.

Er hob sie auf und küßte sie auf die Stirn mit den Worten: »Törichtes Kind, was hast du alles angerichtet!«

»Verzeihung, lieber Onkel, Verzeihung!«

»Beichte alles, damit ich dir verzeihen kann.«

Und nun erzählte Louison ihr Leben, seit sie ihn verlassen, mit einer rührenden Aufrichtigkeit. Sie war mit einem Male wieder das kindliche naive Mädchen, welches aus St. Quentin zu ihm gekommen war. »Die Welt ist eben größer, als ich mir gedacht« – schloß sie – »ich verliere mich in den hundert Zudringlichkeiten.«

»Du schaffst sie dir selbst. Wozu dies Heer von Courmachern? Hast du dich endlich doch in einen verliebt?«

»O nein!«

»Wozu also dies Heer täglich empfangen! Wozu die Luxuswohnung! Zieh' dich ins Enge und Einfache zurück!«

»Ja, ja, das will ich.«

»Laß nur Leute zu dir kommen, welche für deinen Geist oder für dein Herz etwas bedeuten.«

»Ja, ja, das will ich.«

»Lerne Bücher lesen. Du hast gewiß gar nicht mehr gelesen?«

»Ich hab' keine Zeit.«

»Verschaff' dir Zeit dadurch, daß du dich unzugänglich machst.«

»Ja, ja, das will ich.«

Und nun sprang mit der Beruhigung ihre ganze frühere Heiterkeit wieder in die Höhe; sie lachte wieder echt und 106trieb ihr ausgelassenes Wesen mit dem guten Onkel, welchem sie die Haare aus der Stirn strich und die Falte zwischen den Augenbrauen glättete, als ob gar keine Störung zwischen ihnen eingetreten wäre.

»Speise heute mit mir!« sagte er.

»Ja, ja! – Herr Gott nein, das geht ja nicht. Während deiner Speisestunde muß ich schon im Theater sein, ich spiel' ja alle Tage.«

»Widerwärtig!«

»Aber zum Frühstück komme ich.«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

Rambert zögerte mit der Antwort. Juron kam seit einiger Zeit regelmäßig zum Dejeuner, und vor Juron scheute er sich einzugestehen, daß er die Sünderin wieder aufgenommen.

»Das paßt mir jetzt nicht,« sagte er endlich, »und du mußt auch erst Juron beschwichtigt haben.«

»Juron? Nein, Onkel; Juron ist kein guter Mann, der ist nicht wie du. Den will und kann ich nicht beschwichtigen!«

»Schon wieder der Trotzkopf! Das ist eine schöne Besserung!«

Da trat Jean ein, verdrießlichen Aussehens, und meldete einen Besuch – »von der Universität,« setzte er nachdrücklich hinzu. Es war ihm offenbar darum zu tun, die Komödiantin wieder aus dem Hause zu treiben.

»Den muß ich empfangen,« sagte Rambert; »also auf Wiedersehen! Wann? Wie? Zu dir kommen kann ich nicht, nachdem du mich kompromittiert hast, und solange du in deinem Saus und Braus lebst, man also unter die dreisten Nichtstuer deines Umgangs geraten kann. Du zu mir? Wunderlich! Auch das ist schwer. Bis zum Frühstück arbeite ich, und da störst du mich. Dann kommt – Juron und bleibt oft lange.«

»Nach dem Theater!«

»Ich geh' jetzt zeitiger zu Bett. Aber ich werd' dir's 107sagen lassen, wenn ich noch einmal in dein Theater komme, um dich wieder spielen zu sehen. Dann nehm' ich dich mit. Was ist dir?«

»Ich weiß nicht – eine Wolke – daß die Verhältnisse uns so auseinander halten, daß ich –«

Sie stockte. Ihn um Hilfe anzusprechen in ihrer Geldnot, lag doch so nahe, da er ihr verziehen. Er hätte auch wahrscheinlich diese Hilfe gewährt – aber sie brachte eine solche Bitte nicht über die Lippen, jetzt gewiß nicht in solcher Eile und mit dem letzten Worte. Es widerstand ihr, seine Verzeihung sogleich auszubeuten. Sie schwieg, umarmte ihn lebhaft und ging.

Gesenkten Hauptes kam sie die Stiege herunter, und Rose sah sie betroffen an.

Es war ein heller Wintertag; sie gingen zu Fuße nach Hause, völlig stillschweigend.

Für die drängende Geldnot war nichts errungen. Rose, ein kluges Mädchen, schien es zu erraten. Sie sagte plötzlich: »Liebes Fräulein, jagen Sie den Narziß fort! Ich hab's deutlich bemerkt: er hetzt Ihnen die Gläubiger auf den Hals, er stachelt sie zur Pfändung.«

Louison schwieg. Es war aber richtig, was das Mädchen gesagt: sie fand ihr Vorzimmer voll von Gläubigern, und diese kündigten ihr rohen Tones die Pfändung an, wenn nicht bis morgen vormittag Zahlung geleistet würde.

Ferval, welcher zum Besuche kam, erlöste sie. Er schickte die Gauner mit der Bemerkung fort: morgen vormittag würden sie befriedigt werden.

»Womit denn?« sagte Louison trübselig, als sie allein waren.

»Folgendermaßen!« erwiderte Ferval leichten Tones: »›Unglück in der Liebe, Glück im Spiele‹, ist ein wahres Wort; ich hab's zehnmal erlebt. Sie haben aber Unglück in der Liebe, denn Sie können nicht lieben, Sie werden also fabelhaftes Glück im Spiele haben. Spielen Sie!«

108»Wo denn?«

»Bei mir. Es hat sich ein Cercle gebildet aus der Crême unseres Klubs. Großenteils Millionäre. Wir spielen hoch, sehr hoch. Ein Gewinn oder Verlust von hunderttausend Franks ist etwas Gewöhnliches, das kaum bemerkt wird. Ihr Schuldenkonto wird sich kaum über fünfzigtausend Franks belaufen; in einer Viertelstunde können Sie die gewonnen haben und also morgen die Gläubiger abfertigen. Verstehen Sie Pharao?«

»Ein wenig.«

»Haben Sie Karten da?«

»Ja. Mama legt Patiencen.«

»Geben Sie ein Spiel her! Ich lehre Sie die Feinheiten des Pharao.«

»Aber ich allein unter lauter Männern!«

»O nein. Meine Schwester ist eine Spielratte, die nimmt immer teil, und einige alte Herren bringen ebenfalls Damen mit. Sie werden gar nicht auffallen. Also das Spiel Karten!«

Es wurde gebracht, und er belehrte sie mit großer Sachkenntnis. Sie selbst hatte ja Passion fürs Spiel, und von dem leichten Tone Fervals angesteckt, sagte sie endlich: »Was bleibt mir denn auch übrig? Aber der Einsatz! Ich hab' ihn nicht.«

»Hier ist er!« sagte O'Brien, welcher soeben eingetreten war und eine Tausendfranknote auf den Tisch legte. »Sie dürfen mich nicht abweisen,« fuhr er fort, »denn es ist kein Geschenk; wir spielen Moitié von dem Momente an, wenn Ihre Schuldensumme –«

»Fünfzigtausend Franks,« schob Ferval ein.

»Wenn also fünfzigtausend Franks gewonnen sind, beginnt unser Moitiéspiel. Ich selbst spiele eigentlich nicht mehr, aber solch eine Ausnahme gestatte ich mir, weil ich überzeugt bin: Sie gewinnen und werden eine lästige Sorge 109los, da Sie ja doch niemand von uns überlassen, Ihre Gläubiger zu befriedigen.«

Es kam mehr Besuch, und das Thema wurde so heiter und sicher besprochen, daß Louison gar nicht mehr in die Stimmung kam, nein zu sagen. »Ich hole Sie im Theater ab,« sagte O'Brien, als man fortging, »und rechne auf Ihre glückliche Hand.«

Die nie ruhende Phantasie ist ja die vorherrschende Eigenschaft der Künstler. Das Unglaubliche macht sie ihnen glaublich, das Unmögliche zeigt sie als möglich. Louison schwelgte an diesem Nachmittage und Abende in der Aussicht, im Pharaospiel ihre ganze Geldmisere zu beseitigen. Mindestens! Sie hoffte, noch viel mehr zu gewinnen und dann wieder frei und lustig zu leben, unabhängig von jedermann. »O'Brien,« gestand sie, »hat sich hübsch benommen, wirklich liebenswürdig. Du kannst nun vertrauensvoller mit ihm verkehren.«

Louison fuhr denn des Abends nach der Vorstellung in trefflicher Laune mit ihm nach der Wohnung Fervals. Sie war sehr schön, diese Wohnung. Ferval, der einzige Sohn eines Bankiers, verwendete seine zahlreichen Coupons mit Geschick und Geschmack zu seiner Unterhaltung. Alles andere dieser Welt war ihm gleichgültig. Interessante Unterhaltung für sich täglich und stündlich zu haben, war sein Lebenszweck, das allein. Darin unterstützte ihn eine bombenfeste Gesundheit und infolge derselben eine unversiegbare gute Laune. Die Dame, welche er bei Louison seine Schwester genannt, war eine alte Geliebte, welche er vor Jahren verlassen, welche aber ihn nicht verlassen hatte, was er sich lachend gefallen ließ. Sie hatte ihn gegen Louison gehetzt, welche sie für gefährlich erachtete. Das war kaum richtig. Es kam ihm nicht viel darauf an, Louison für sich zu gewinnen, aber es versprach ihm Unterhaltung, dies lieblose Mädchen in gespannte Situationen zu treiben. Wie wird sie sich benehmen? Wird sie nicht doch am Ende dir zufallen? dachte er. Auf 110Lug und Trug kam es ihm bei solchen Späßen nicht an, wie er's nannte, und deshalb hatte er ihr Narziß zugeteilt, welcher ihre Angelegenheiten zur Katastrophe treiben sollte. Daß Narziß sich auch von O'Brien bestechen ließ, wußte er nicht.

Er empfing sie mit der sogenannten Schwester unter ausgesuchter Höflichkeit in einem eleganten Salon, wo ein kaltes Souper serviert wurde, und stellte ihr ein Dutzend Herren vor, zuletzt auch eine alte Dame. Diese alte Dame war die wirkliche Ehefrau eines alten Herrn, und beide waren Spieler von Profession. Nicht daß sie nötig gehabt hätten, Geld zu gewinnen, nein, sie waren wohlhabend, aber sie hätten sich gelangweilt ohne Hasardspiel. Wie andere Leute jeden Abend ins Theater gehen, so gingen sie jeden Abend zu einem Hasardspiel. Und sie spielten korrekt und gewissenhaft, diese beiden Leute, welche Madame und Monsieur Legrand genannt wurden.

Das Souper wurde kurz abgefertigt, und die Gesellschaft verfügte sich in ein dunkel tapezirtes, aber durch Gasflammen blendend erleuchtetes Zimmer, wo ein grün überzogener Tisch stand, von etwa einem Dutzend Stühlen mit steifer Lehne umgeben.

Man setzte sich sogleich. Ferval kündigte sich als Bankier an. Ein Diener stellte eine Kassette vor ihn auf den Tisch; Ferval nahm daraus Geldrollen und Banknoten mit dem Bemerken: die Bank bestehe aus zweimalhunderttausend Franks und verpflichte sich, eine Stunde lang standzuhalten, wenn sie nicht früher gesprengt werde. Eine prächtige Stutzuhr an der Wand schlug eben Mitternacht; also bis ein Uhr werde das Spiel dauern. »Ordnen Sie Ihr Spiel, das Spiel beginnt,« schloß er.

Jedermann legte seine Barschaft vor sich hin. Louison bat den neben ihr sitzenden O'Brien, ihr die Tausendfranknote in kleinere Noten umzuwechseln, was er bereitwillig tat, und sie setzte hundert Franks aufs As.

111Ferval schlug ab. Es dauerte lange, endlich kam das As. Louison hatte gewonnen. Sie bot flugs Paroli. Nach ein paar Sekunden kam das As wieder, und sie hatte wieder gewonnen. Sie blickte auf O'Brien; dieser nickte mit dem Haupte. Sie bot Sixleva und – gewann wieder. In großer Aufregung steigerte sie weiter und weiter – ihre Kühnheit machte Aufsehen – und gewann auch den höchsten Satz. Eine große Summe wurde ihr zugeschoben; sie hätte vor Vergnügen aufschreien mögen. O'Brien riet ihr nun, eine neue Karte zu wählen. »Nein,« sagte sie, »man muß treu sein im Glück,« und setzte tausend Franks wieder aufs As. Nun verlor sie. Betroffen blickte sie auf O'Brien. Der lachte und wiederholte: »Eine andere Karte! Man muß auch bei Freunden die Ansprüche nicht überspannen.« – Sie nahm den König und – gewann. – »Sehen Sie,« flüsterte O'Brien, »immer mir folgen, ich bin Ihr guter Genius. Ich selbst verliere immerfort; nun raten Sie auch mir! Soll ich auf die Dame setzen?« –»Ja.« – Die Dame gewann. –»Eins nützt dem anderen,« fuhr er fort, »Sie sehen, daß wir verbunden leben sollen.« – »O!« schrie sie halblaut; ihr König hatte verloren. »Zurück zum As!« Das hielt ihr wieder stand, und in immer aufsteigendem Glücke wurde sie so erregt, daß sie unbedacht O'Briens Hand faßte und drückte mit den Worten: »Dank Ihrem Darlehn, ich werde frei!« – Da schlug die Stutzuhr eins, und Ferval schloß das Spiel.

Louison war davon sehr unangenehm überrascht, sie war so gut im Zuge. »Morgen wird's auch Mitternacht,« sagte O'Brien; »wieviel haben Sie gewonnen?« – »Ich weiß es nicht; vielleicht fünfzigtausend!« –»Zählen wir!« – Es waren nur sechsundzwanzigtausend. »Wie schade!« rief Louison, setzte aber hastig hinzu: »Also morgen; Sie holen mich wieder ab.«

Sie war in vollem Fieber und freundlich wie nie für O'Brien, der sie nach Hause brachte.

112Triumphierend zeigte sie Rose, welche sie auskleidete, ihren Gewinn. Rose war ganz betroffen. »Morgen hol' ich mir die anderen sechsundzwanzigtausend, und dann sind wir die Blutsauger los.«

»Das tät' ich nicht,« sagte Rose.

»Warum nicht?«

»Beim Spiel herrscht der Teufel, sagte mein Vater, und der Teufel ist treulos. Morgen können Sie alles wieder verlieren. Mit diesen sechsundzwanzigtausend aber können wir uns Ruhe verschaffen für lange Zeit.«

»Du bist ein Hasenfuß. Wer nicht wagt, gewinnt nicht.«

Das Morgen kam. O'Brien holte sie nach der Vorstellung wieder ab. Prächtig hatte sie diesmal gespielt in ihrer aufgeregten Stimmung, und er sagte es ihr mit überschwenglichen Ausdrücken. Denn natürlich hatte er wieder die ganze Vorstellung angesehen.

Um Mitternacht saßen sie wieder wie gestern, nur daß heute Herr Legrand die Bank hielt. Madame Legrand saß neben ihm und kontrollirte wie ein Torschreiber. Sie pflegte eine kurze Lache aufzuschlagen, wenn ihr Gatte, der Bankier, eine gewinnende Karte aufgelegt hatte.

Louison gewann wieder und steigerte ihr Spiel verwegen. O'Brien warnte sie. Umsonst. Ihre sechsundzwanzigtausend Franks, welche sie vor sich liegen hatte, waren schon mit einem Hügel von Goldrollen und Bankscheinen bedeckt, da – sie war bei der höchsten Steigerung – schlug das Glück um; sie verlor.

In diesem Augenblicke war Juron eingetreten, ein Vertrauter im Hause Ferval. Louison bemerkte ihn nicht, sie bemerkte nur, daß die sogenannte Schwester Fervals ihr dringend zunickte, alles zu wagen. »Wer wagt, gewinnt,« flüsterte sie, und Louison erwiderte: »Ja wohl!«

Hitzig setzte sie nun fünftausend Franks. Verloren! Zehntausend Franks. Verloren! Kurz, drei Viertelstunden nach 113Mitternacht hatte sie all' ihr Gold verspielt, alles, was sie gestern und was sie heute gewonnen. O'Brien desgleichen. Sie konnte nicht mehr setzen und sank an ihre Stuhllehne zurück.

Da sprach Herr Legrand lächelnd zu ihr: »Mademoiselle, die Bank kreditiert vierundzwanzig Stunden lang auf Ehrenwort.« – Madame Legrand äußerte sich mit ihrer kurzen Lache und zupfte ihren leichtfertigen Gatten am Ärmel. Er ließ sich aber nicht stören, sondern fuhr fort: »Hier sind fünftausend Franks. Wollen Sie?«

Louison nickte. Er schob ihr fünf Geldrollen zu, jede zu tausend Franks, und Louison spielte weiter.

Als es ein Uhr schlug, waren auch diese fünf Rollen verloren.


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