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Wie der Teufel den Professor holte

(1907)

 

»Aber ganz gewiß«, sagte der Professor, indem er liebevoll die Asche seiner großen Flor de Ynclan betrachtete, »ganz gewiß hat er mich geholt; in eigener Person.«

»Hohoho!« Der starke Herr lachte. »Also doch?«

»Und das haben Sie noch gar nicht erzählt?«

»Wer denn?« fragte die blaue Dame. »Wer hat Sie geholt?«

»Haben Sie denn nicht gehört?« rief die kleine Frau Brösen ungeduldig. »Der Teufel hat den Professor geholt.«

»Aber da sitzt er ja –«

»Weil er ihn eben lebendig geholt hat!« rief der starke Herr.

»Das versteh' ich nicht!«

»Er muß es erzählen.«

Man rückte näher am Tische zusammen.

»Wie sah er denn aus?«

»Wann war denn das?«

»Am vorigen Sonnabend« – der Professor tat einen nachdenklichen Zug an seiner Zigarre –, »ich saß wie gewöhnlich abends an meinem Schreibtisch, da klopfte es, und auf mein verwundertes Herein – aber erschrecken Sie nicht!«

»Gräßliches will ich nicht hören, nein, nein, nein!« schrie die blaue Dame.

»Gräßlich war es allerdings. Im ersten Augenblick war ich nicht wenig erschrocken.«

Die blaue Dame hielt sich die Ohren zu; aber nicht fest.

»Auf einmal steht jemand im Zimmer und knipst die Hängelampe an, daß ich die Gestalt ganz deutlich erkenne.«

»In einem Mantel, mit feurigen Augen? Ich seh's vor mir!« rief Frau Brösen.

»Es war ein Lodencape und eine goldene Brille; ein Mann in meiner Größe und Statur, mit grauen Haaren und Schnurrbart, eigentlich ganz gemütlich, aber das Gräßliche war eben –«

»Der Pferdefuß?«

»Der Schweif?« kreischte die blaue Dame.

»Nein; er sah genau aus wie ich selbst – lachen Sie nicht! Ich dachte natürlich an eine Halluzination, und Sie wissen, was das bedeutet in meinem angegriffenen Gehirn. Ich blieb zunächst ganz starr sitzen.

Da sagte mein Doppelgänger sehr höflich: ›Es tut mir leid, daß ich Sie holen muß, Herr Professor, aber ich habe den bestimmten Entschluß gefaßt –‹

›Holen, was heißt das? Ich bin nicht Arzt und habe jetzt keine Zeit!‹ rief ich unwillig.

›Nun, eben holen‹, sagte der andere. ›Ich bin nämlich der Teufel.‹

›Der Teufel? Aber Sie sehen ja aus –‹

›Ja, Sie müssen schon entschuldigen. Wenn ich zu Ihnen komme, habe ich diese Ihre Gestalt. Es ist nämlich jeder sein eigener Teufel! Aber nun seien Sie so gut, und kommen Sie mit.‹

›Wohin denn? Ich glaube weder an Hölle noch an Teufel im Volkssinne.‹

›Ist auch gar nicht nötig. Ich hole jeden in seinem Sinne, wie er seine Welt sich ausmalt. Sie zum Beispiel werde ich in einem kleinen Weltraum-Automobil mitnehmen. Sie reisen ja so gerne nach den Sternen.‹

›Bitte sehr, das tue ich hier am Schreibtisch; ich habe durchaus keine Lust zum Reisen. Außerdem brauchte ich mehrere Wochen Vorbereitung. Erst müßte ich meine Reiseapotheke packen.‹

›Ist nicht nötig. Zu Ihrem Vergnügen hole ich Sie ja nicht. Sie sollen zu Ihrer Läuterung hunderttausend Billionen Kilometer reisen. – Das habe ich mir so ausgedacht.‹

›Und dann?‹ fragte ich.

›Nun, das wird sich ja finden. Vielleicht machen wir einen Meteor aus Ihnen, oder Sie werden für tausend Jahre auf dem Mars verheiratet – Marsjahre natürlich.‹

›Ich danke für beides. Es fällt mir gar nicht ein, mitzukommen. Ich habe hier noch dringende, angefangene Arbeiten.‹

›Das hilft alles nichts. Die können Sie unterwegs fertigmachen.‹

›Also den Hals wollen Sie mir nicht umdrehen?‹

›Ich denke nicht daran, wenn Sie gutwillig mitkommen. Wir möchten uns Ihre wertvolle Gehirntätigkeit noch eine Zeitlang erhalten, wenn auch freilich nicht mehr auf der Erde.‹

›Aber schließlich leb' ich doch in der Erdseele weiter, nicht wahr?‹

›Lassen Sie mich in Ruhe‹, rief der Teufel ärgerlich. ›Ich bin nicht hier, um mich ausfragen zu lassen. Die Erdseele hole ich schließlich auch noch mal!‹«

»Die Erdseele?« unterbrach die blaue Dame den Professor. »Was ist denn das?«

»Ach, stören Sie doch jetzt nicht«, sagte Frau Brösen. »Der Professor hat doch erst neulich einen Vortrag darüber gehalten!«

»Da konnt' ich ja nicht kommen, da war mein Mädchen fortgelaufen.«

»Na«, rief der starke Herr, »nach Ansicht des Professors ist eben die Erde ein beseeltes Wesen, und wenn wir hier als Menschen nicht mehr leben können, dann leben wir weiter als Erinnerungen der Erdseele.«

»Sagt Fechner«, schaltete der Professor ein.

»Ich auch?« fragte die blaue Dame.

»Sie kommen sogleich in die Sonnenseele«, sagte der Professor, »weil Sie schon jetzt zu den schönsten Erinnerungen der Erdseele gehören.«

»Erzählen Sie doch weiter!« rief Frau Brösen und klopfte auf den Tisch.

Der sanfte Jüngling, der eben etwas sagen wollte, fuhr zusammen und schwieg.

Der Professor nahm einen Schluck aus seinem Glase und sagte: »Ich bemerkte mit Vergnügen, daß theoretische Fragen den Teufel in einige Verlegenheit zu bringen schienen. Um Zeit zu gewinnen, kramte ich in meinen Manuskripten und wollte eben fragen, ob ich nicht meinen Zeissfeldstecher mitnehmen könnte, aber auf einmal – ich weiß nicht, wie es kam – war ich aus meinem Zimmer heraus und fand mich neben dem Teufel auf einem bequemen Sessel. Die Füße ruhten auf einem Tritt, und ein Geländer umgab uns, sonst aber schwebten wir ganz frei im Raume. Merkwürdigerweise hatte ich gar kein Schwindelgefühl.«

Der starke Herr hustete eigentümlich. Der Professor ließ sich nicht stören.

»Ich nahm mir vor«, fuhr er fort, »mir vom Teufel nicht imponieren zu lassen. Vielleicht konnte ich ihm doch irgendwie beikommen, daß ich ihn los würde. Wäre Faust ein richtiger Mathematiker gewesen, so hätte er sich nicht sein ganzes Leben mit dem Teufel herumzuschlagen brauchen. Ich fühlte mich ruhiger und sagte nichts. Da begann der Teufel: ›Nun, wie gefällt Ihnen unser Weltautomobil? Das ist aus Ihrem Ideal, dem absolut festen und durchsichtigen Stellit, gefertigt, da können Sie alles aufs schönste überblicken.‹

Ich sah mich um. Hinter uns war absolute Nacht, völlige Schwärze. Über, neben und unter uns erkannte ich einzelne Sterne, die nach vorn immer dichter standen, bis sie in der Fahrtrichtung zu einem einzigen hellen Glanze zusammenflossen. Ich konnte mir das gar nicht erklären. Was war das für ein Sternenhimmel? In welcher Gegend der Welt waren wir? Ich mußte wohl längere Zeit bewußtlos gewesen sein.

›Wie lange sind wir schon unterwegs?‹ fragte ich.

›Etwa eine halbe Stunde‹, antwortete der Teufel. ›Ich mußte Sie ein bißchen einschläfern, um Sie bequemer hier hereinzubringen. Na, nicht wahr, so was haben Sie noch nicht gesehen?‹

›Oh‹, sagte ich, ›das wird sich ja alles natürlich erklären. Mit welcher Geschwindigkeit fahren wir wohl?‹

›Ungefähr mit der zehnfachen Lichtgeschwindigkeit.‹«

»Hohoho!« Der starke Herr lachte. »Das müßte allerdings mit dem Teufel zugehen.«

»Das tat's ja auch«, fuhr der Professor gelassen fort. »Ich überschlug schnell die Sachlage. Zehnfache Lichtgeschwindigkeit, da mußten wir die Entfernung Sonne-Erde in fünfzig Sekunden zurücklegen.

Bis zum Neptun ist's dreißigmal so weit. Ich sagte also: ›Soso! Da müssen wir ja schon längst aus dem ganzen Sonnensystem hinaus sein.‹

›Das sind wir in der Tat.‹

Nun glaubte ich zu begreifen, warum hinter uns die schwarze Nacht war. Da wir soviel schneller als das Licht dahinrasten, konnten uns die Lichtwellen nicht einholen, und es war dunkel. Die von den Seiten kommenden Strahlen dagegen trafen uns. Aber der Glanz da vorn? Durch unsre riesig schnelle Bewegung, dem Licht der Sterne entgegen, mußten die Lichtwellen so stark verkürzt werden, daß selbst die längsten sichtbaren Wellen, die des roten Lichts, bis unter die Länge der überhaupt sichtbaren Wellen herabsanken und somit gar keinen Eindruck mehr auf unser Auge machen konnten. Woher also die Helligkeit vor uns? Es hätte dort auch Dunkelheit herrschen müssen.

Der Teufel sah mir wohl an, daß mir etwas nicht klar war, und sagte höhnisch: ›Nun, Herr Professor, das Licht da vorn können Sie wohl nicht natürlich erklären.‹

In diesem Augenblick fiel mir die Lösung ein, und ich sprach ganz ruhig: ›Das ist doch sehr einfach. Was uns da vorn leuchtet, das sind keine Lichtstrahlen, wie wir Menschen sie zu sehen gewohnt sind, sondern das sind die für unser Auge sonst unwirksamen langen, etwa Wärme- oder elektrischen Wellen jenseits des roten Endes des Spektrums. Durch unsre Eigenbewegung werden sie so verkürzt, daß wir sie als Licht empfinden. Es ist ein schöner Beweis dafür, daß die Sterne sehr viel ultrarote Strahlen aussenden, die wir noch nicht beobachten konnten.‹

Der Teufel brummte etwas vor sich hin. Er ärgerte sich, weil ich es richtig getroffen hatte. Gleich darauf aber drückte er die Augenbrauen zusammen und zog die Mundwinkel etwas auseinander, wie ich zu tun pflegte, wenn ich so eine recht knifflige Frage stellen will – es war zu gemein, daß der Kerl genauso aussah wie ich –, und nun sagte er:

›Wenn Sie das helle Licht da vorn inkommodiert, so kann ich es auch abblenden. Sehen Sie, ich habe hier einen für alle Strahlen undurchlässigen Schirm, den drehe ich jetzt nach vorn – so –, nun kann von vorn kein Licht mehr einfallen, und doch ist noch Licht da –‹

›Ja, aber es ist viel schwächer.‹

›Woher kommt nun dieses Licht?‹

Ich geriet in Verlegenheit. Mogelte der Teufel vielleicht? War der Schirm gar nicht völlig undurchsichtig? Nein, die Erscheinung war nicht bloß eine Abschwächung der früheren; es zeigte sich eine ganz andere Sternverteilung. Der starke Glanz in der Mitte war verschwunden. Von den Sternen in unsrer Fahrtrichtung konnte das Licht nicht herrühren. Hatten wir etwa jetzt einen Spiegel vor uns? Ich drehte mich um, hinter uns war es dunkel. Der Teufel grinste. Mir wurde unbehaglich. Ich durfte mich vom Teufel in theoretischen Fragen nicht schlagen lassen. Wer weiß, was er dadurch für Rechte gewann. Das Licht konnte nur von hinten kommen, und doch fuhren wir ihm entgegen – wie ... aber freilich, so mußte es sein –

›Na, Professorchen?‹ fragte der Teufel wieder mit unheimlicher Gemütlichkeit.

›Ich weiß es natürlich‹, sagte ich. ›Das ist das Licht, das wir auf seinem Wege einholen, deswegen scheint es, als käme es von vorn. Und da wir durch unsere Eigenbewegung die Lichtquellen auseinanderziehen, so sehen wir auch nicht die eigentlichen, leuchtenden, sondern die kurzwelligen ultravioletten Strahlen der hinter uns liegenden Sterne; die werden uns jetzt sichtbar. Vorher fiel dieses Licht nur nicht auf, weil es durch die Strahlen von vorn überglänzt war.‹«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Frau Brösen.

»Na, denken Sie sich mal«, rief der starke Herr, »eine lange, lange Kolonne Infanterie marschiert vor Ihnen, die holen Sie mit Ihrem Wagen ein und fahren daran vorbei. Da kommen Sie an allen Sektionen vorüber, aber zuerst an der letzten und dann an den früher abmarschierten immer später. Das ist genau so, als wenn der Wagen hielte und die Kolonne marschierte rückwärts an Ihnen vorbei.«

»Wissen Sie nicht«, fiel die blaue Dame ein, »wie wir das letztemal ins Manöver fuhren, und mein Miezchen verlor das seidne Tuch? Da war's so. Aber da sahen wir doch immer die Leute von hinten?«

»Die Lichtwellen haben aber keinen Rücken«, brummte der starke Herr, »die übermitteln Ihnen überhaupt bloß den Eindruck der Schwingungen aufs Auge, die von den Gegenständen ausgehen. Wenn der Professor hätte bis auf die Erde sehen können, so hätte er jetzt alles genau der Zeit nach umgekehrt gesehen, der Uhrzeiger hätte sich von rechts nach links gedreht, und die Menschen wären alle wirklich rückwärts gelaufen.«

»Jawohl«, sagte der Professor. »Und ich hab' es sogar gesehen. Denn um den Teufel zu ärgern, bemerkte ich: ›Schade, daß es kein Mittel gibt, das uns die Dinge auf der Erde in erkennbarer Weise sichtbar macht. Dann könnten wir alles, was dort geschehen ist, jetzt zur Abwechslung einmal rückwärts ablaufen sehen. Wir müßten freilich viel langsamer fahren, denn bei unsrer Geschwindigkeit würde ja die Zeit rückwärts rasen, und man würde nichts deutlich wahrnehmen.‹

›Haha!‹ Der Teufel lachte. ›Sie könnten natürlich so ein Fernrohr nicht machen, aber für mich ist das eine Kleinigkeit. Sehen Sie mal hier durch das Glas. Für unsre jetzige Entfernung wird es noch reichen. Einen Augenblick – so, ich habe nur unsre Geschwindigkeit so gemäßigt, daß wir das Licht in normaler Geschwindigkeit einholen. Wohin wollen Sie sehen?‹

›Nun, in unsre Stadt. Wahrhaftig, da hab' ich's schon. Das ist ja die Ecke von der Schlammstraße, sogar die Hausnummer kann ich erkennen, Numero einundzwanzig.‹«

»Wie?« Die blaue Dame stieß einen Schrei aus. »Das ist ja unser Haus! Was sahen Sie denn?«

»Ich sah durch das offne Fenster in das Garderobenzimmer –«

»Da hat das Mädchen wieder das Fenster aufgelassen, und ich habe doch –«

»Aber so hören Sie doch erst!« sagte Frau Brösen zu der blauen Dame.

»Ich konnte ganz gut alles erkennen«, fuhr der Professor fort. »Denn die Sonne schien ins Zimmer. Es war nämlich um die Mittagszeit am vorigen Sonnabend. Da wir jetzt schon eine Stunde mit zehnfacher Lichtgeschwindigkeit gefahren waren, so hatten wir nunmehr das Licht eingeholt, das vor zirka zehn Stunden von der Schlammstraße ausgegangen war.«

»Gott sei Dank«, rief die blaue Dame. »Da war ich nicht zu Hause.«

»Es war aber jemand in dem Zimmer. Ich mußte mich nur erst daran gewöhnen, daß ich alles in umgekehrter Zeitfolge sah. Ich wäre auch gar nicht daraus klug geworden, wenn ich nicht immer nur momentan die Augen geöffnet und mir so eine Reihe von Augenblicksbildern geschaffen hätte. Aber wenn ich Ihnen die so nennen wollte, wie ich sie sah, immer das spätere zuerst, ein weibliches Wesen zur Tür hinausgehen, dann dasselbe Wesen im Zimmer, ein Kleid in einen Schrank legen, was aber herausnehmen bedeutet, dann erst den Schrank öffnen und so weiter, so würden Sie gar nicht klug daraus werden.«

»O Gott, o Gott! Sagen Sie nur, wie's wirklich war! Es waren gewiß Diebe da!«

»Ich weiß nicht. In richtiger Zeitfolge verlief die Sache etwa so, daß ein Mädchen erst in einer Schublade suchte und ein Paar weiße Handschuhe herausnahm –«

»Ach, die vierknöpfigen!«

»Dann aus dem Schrank einen Rock und eine weiße Bluse –«

»Das war meine gestickte, wissen Sie, die mit den echten –«

»Und wie sie mit den Sachen zur Tür hinausging, blieb sie an der Klinke hängen und es gab einen großen Riß in den Spitzen–«

»O Himmel! Himmel! Das war mein Mädchen, die wollte ja abends auf den Ball, die hat sich meine Sachen geborgt! Oh! Ich muß nach Hause, gleich!«

Die blaue Dame sprang auf. Der sanfte Jüngling machte eine Verbeugung.

Der Professor fuhr fort: »Ich suchte nun noch weiter mit dem Glase, aber der Teufel nahm es mir aus der Hand.

›Nun‹, sagte er mit funkelnden Augen –«

Die blaue Dame seufzte und setzte sich wieder. »›Nun, Herr Professor, erklären Sie mir doch einmal dieses Glas auf natürlichem Wege?‹

›Das habe ich gar nicht nötig‹, sagte ich ganz ruhig. ›Sie können von mir eine Erklärung nur von natürlichen Vorgängen verlangen, aber Ihr Glas ist irgendeine teuflische Erfindung, will sagen, eine Spiegelfechterei, die die Naturwissenschaft nichts angeht. Da müßten Sie mir erst beweisen, daß es ein richtiggehendes optisches Instrument und nicht eine psychologische Täuschung ist, ehe Sie eine Theorie von mir erwarten dürfen.‹

›Verdammter Kerl, so ein Professor!‹ knurrte der Teufel.

Ich tat, als hätte ich nichts gehört.

›Aber‹, fing er wieder an, ›daß wir überhaupt mit zehnfacher Lichtgeschwindigkeit fahren, die ich jetzt wieder hergestellt habe, das ist doch ein rein technisches Problem, das müssen Sie lösen. Wenn Sie das nicht können, geb' ich mir gar nicht erst soviel Mühe mit Ihnen. Ich mache bloß diese Klappe auf, dann fallen Sie heraus, und die Sternschnuppe ist fertig.‹

Die Sache wurde fatal. Ich dachte nach. So habe ich noch nie nachgedacht und will's auch nicht wieder tun. Glücklicherweise bin ich Philosoph. Ich sagte mir: Ich muß die Sache ganz abstrakt fassen. Der Teufel konnte mir noch viele Fragen stellen, um mich hineinzulegen. Ich mußte den Teufel selbst erklären!

Der Teufel brüllte mich an, er dachte offenbar, er hätte mich schon.

›Wird's bald?‹ schrie er.

›Wissen Sie‹, sagte ich, ›es gibt zwei Erklärungen. Eine psychologische und eine metaphysische. Nach der psychologischen sind Sie weiter nichts als mein Traumgebilde, eine Phantasie überhaupt, eine Menschheitsphantasie.‹

Der Teufel machte eine Bewegung, als wollte er die Klappe öffnen und mich in den Weltraum fallen lassen.

›Das nutzt Ihnen gar nichts‹, sagte ich schnell, ›damit können Sie nichts beweisen. Denn wenn Sie nur eine Phantasie sind, so würde auch mein Fall nur Phantasie sein, und ich würde doch an meinem Schreibtisch, oder wo ich sonst eingeschlafen bin, wieder ganz munter erwachen.‹

›Sie wachen!‹ brüllte er wieder.

›Ich glaube es auch‹, sagte ich. ›Denn wenn sich diese Geschichte nur als Traum entpuppte und nicht jetzt wirklich von mir erlebt würde, so wäre sie ziemlich abgedroschen. Dieses Traummotiv habe ich schon zu oft verwertet.‹

›Nun also!‹

›Also die metaphysische Erklärung. Da gibt es wieder zwei Erklärungen. Die eine ist naturphilosophisch-kosmologisch, die andere ist mehr ethisch-noologisch.‹

›Herr, Sie können einen rasend machen! Ich will nicht immer zwei Erklärungen, ich will die richtige.‹

›In Ihrer Frage, wie Sie das machen, so schnell zu fahren, liegen aber zwei Probleme. Ich kann fragen: Woher kommt es, daß Sie über diese Energiemenge verfügen, die Sie zu der Geschwindigkeit brauchen; und ich kann fragen: Woher kommen Sie selbst?‹

Der Teufel sah mich mit einem Gesichte an, daß ich mich schämte, so dumm-erstaunt aussehen zu können.

›Sie haben doch überhaupt nicht zu fragen‹, polterte er dann, ›sondern ich.‹

›Aber eine Frage erlauben Sie mir noch‹, sagte ich sehr höflich. ›Es ist nur, damit ich bei meiner Erklärung nicht erst überflüssige Auseinandersetzungen mache.‹

›Na‹, sagte er etwas milder, ›das will ich noch gelten lassen. Ich will sie sogar beantworten. Aber das ist die letzte Frage, sonst –‹

›Sagen Sie mir bitte, können Sie Wunder tun?‹

Da ging eine seltsame Veränderung mit dem Teufel vor. Seine Züge verzerrten sich, er sah gar nicht mehr aus wie ich, er sah aus wie ein tief unglücklicher Mensch und doch wie ein gewaltiger Herr von furchtbarer Willensstärke, den eine Ohnmacht überrascht hat. Ich erschrak. Aber es dauerte nur einen Augenblick. Dann war er wieder der alte. Er runzelte die Stirn und fragte: ›Was soll das heißen? Erschaffen kann ich nichts!‹

›Ich meine‹, erwiderte ich, ›können Sie an der ursprünglichen Verteilung der Welt-Energie willkürliche Änderungen hervorrufen, so daß plötzlich für unsere Erkenntnis gänzlich unerwartete und unerklärliche Dinge auftreten?‹

Er lachte bitter. ›Für euch Menschen unerklärlich? Das wäre was Rechtes! Wie weit könnt ihr denn sehen? Ihr seid endliche Geister, und dem Unendlichen gegenüber seid ihr ohnmächtig. Ich aber kann hineingreifen ins Unendliche, wo noch zahllose Weltsysteme mit unendlichen Energieformen schweben, und kann aus ihnen hereinschieben in euren Milchstraßenraum, was ich brauche, daß euch die Haare zu Berge stehen.‹

›Aha‹, sagte ich, ›so haben Sie also diese Bewegungsenergie mit der fabelhaften Intensität, die uns zehnfache Lichtgeschwindigkeit gibt, aus irgendeinem unendlich fernen Sternsystem hierhergeschoben?‹

›Ungefähr so, wenn auch nicht so einfach, wie Sie sich das denken. Nicht aus einem System, wie dieses hier, sondern aus einem ganz andern Orte, von dem Sie keine Vorstellung haben können.‹

›Nun also‹, meinte ich, ›da ist ja die Sache natürlich erklärt. Es fragt sich nur, warum Sie sich diese Mühe machen? Ich möchte mir erlauben zu bemerken, daß Sie da etwas sehr Törichtes getan haben.‹

Da fuhr der Teufel in die Höhe. Es sprühte jetzt tatsächlich Feuer aus seinen Augen, und ich bereute meine Worte.

›Elender Wurm‹, brüllte er mich an, ›wie kannst du es wagen, über die Handlungen unendlicher Geister zu urteilen. Zermalmen würde ich dich, wenn nicht – wenn nicht –‹, und mit ruhiger Stimme sprach er weiter: ›Wenn Sie nicht eigentlich ganz recht hätten, Herr Professor.‹

Und damit sank er wieder wie gebrochen zusammen.

Bei diesem Umschlag ging meine Angst in stille Freude und Sicherheit über. Was konnte mir denn passieren, solange ich recht behielt? Ich glaubte es klar zu erkennen: So mächtig dieser Teufel war, eine Macht war über ihm, das war die Vernunft. Nur wenn ich ihm darin unterlag, mochte ich verloren sein. Aber was nutzte mir das alles, wenn es mir nicht gelang, wieder zur Erde zu entkommen, zu der ich gehörte? Ich wollte doch nicht hier durch Ewigkeiten im Raume reisen. Fragen durfte ich nicht mehr. Was tun?«

»Oh, oh, oh!« seufzte der sanfte Jüngling und nippte an seiner Zitronenlimonade.

Der Professor fuhr fort: »›Sie sprachen da‹, begann ich vorsichtig, ›von den Handlungen unendlicher Geister. Das klingt gerade so, als wenn es mehrere dieser Art gäbe.‹

›Es gibt nur zwei‹, sagte der Teufel müde, ›der eine bin ich, und von dem andern sprech' ich nicht gern.‹

›Hm! Der andre – ‹

›Schweigen Sie davon!‹ unterbrach er mich unwirsch.

›Ich wollte nur sagen, der könnte doch auch ins Unendliche greifen und hier die wunderbarsten Dinge produzieren.‹

›Nein!‹ brüllte er jetzt wieder wütend. ›Der tut's eben nicht. Der hat es nicht nötig. Der ist ja doch die Weltvernunft selbst. Der hat die ganze Geschichte so schön eingerichtet, daß alles von selber läuft. Der macht keine Fehler, so braucht er keine Wunder, um sie zu korrigieren. Und das ist eben mein Unheil, das ist meine Tragödie!‹

›Aha! Da sind Sie ja auch erklärt, Herr Teufel! Die Macht haben Sie zwar, aber nicht die Vernunft!‹

›Ein Elend ist's, ein vermaledeites. Ich bin nur dazu da, die Fehler in der Welt zu machen. Und auch das nützt mir nichts. Denn die Vernunft kuriert sie immer wieder aus. Das Unvernünftige bloß geht zugrunde. Und so mache ich mich eigentlich selbst tot.‹

›Sie sind also sozusagen der chronische Selbstmord.‹

›Ach was, das ist nicht so wörtlich zu nehmen. Ich habe ja das Unendliche zur Verfügung. Soviel Unvernünftiges auch weggeschafft wird, ich bringe immer neue Störungen hinein. Mit unsrer Fahrt zum Beispiel habe ich eine ganz nette Konfusion in die Welt geworfen. Schon die Untersuchung morgen, wo Sie hingekommen sind – ‹

›Verzeihen Sie, das ist doch aber wirklich eine Kleinigkeit. Da gibt's ein paar Zeitungsartikel, und dann ist die Sache vergessen. Warum sprengen Sie nicht die Erde auseinander? Warum drücken Sie nicht das ganze Milchstraßensystem zu einem Klumpen zusammen?‹

›Haha!‹ Der Teufel lachte. ›Was hätte ich davon? Ob das bißchen Materie oder Energie, oder wie Sie's nennen wollen, so oder so im Raume umherschwirrt, ob die Stückchen Stoff kleiner oder größer sind, das macht im Grunde verflucht wenig aus. Das Zeug ist ja in unendlichen Mengen da, der Raum und die Zeit auch. Was man so die Natur nennt, das Existierende im Raum, für das ist es ganz egal, wie sich's gestaltet, das hat unendlich viele Wege, um zu seinem Ziel zu kommen. Aber das Ziel, die Idee! Sehen Sie, das ist die Hauptsache! Wenn ich daran etwas ändern könnte! Im Bewußtsein liegt's! Darin steckt das Gesetz, da steckt der ganze Weltzweck, daran muß ich mich machen. Deswegen wende ich mich mit Vorliebe an die gelehrten Herren, die sind es, von denen die Vernunftideen gehalten werden. Wenn ich so einen Philosophen holen kann, wie Sie zum Beispiel, lieber Professor, da richt' ich mehr aus, als wenn ich eine Million Sonnensysteme demolierte; denn da tu' ich der Vernunft selbst Schaden.‹

›Das ist mir ja ganz außerordentlich schmeichelhaft‹ sagte ich. ›Warum haben Sie aber da nicht lieber Leute wie Sokrates, Galilei, Kant und dergleichen geholt?‹

›Hab' ich ja, hab' ich! Sie wissen doch, habe die Staatsgewalten gegen sie gehetzt. Kam nur leider zu spät. Aber – na, warum soll ich mich nicht einmal ein bißchen gegen Sie aussprechen. Sie kommen ja doch nicht mehr auf die Erde zurück und können's nicht ausplaudern.‹

O weh! dachte ich für mich.

›Also, Sie sagten vorhin, ich hätte die Macht. Aber die ist ziemlich beschränkt. Es ist nun einmal so mit der Welt – das Ziel, die Idee ist zeitlos, ist ein bestimmender Gedanke. Aber Wollen und Denken allein können nichts schaffen, können sich nicht verwirklichen als Seiendes; dazu gehört eine andre Form des Zusammenhangs –‹

›Ich weiß schon‹, sagte ich, ›dazu gehört die Existenz in Raum und Zeit. Eine Million Mark habe ich schon oft gedacht und gewollt, aber dazu gebracht hab' ich's immer noch nicht, weil dazu ein Objekt in Zeit und Raum gehört, sei's auch nur jemand, der sie mir schuldet.‹

›Na also, sehen Sie! Und sowenig ich die Existenz von irgend etwas im Raume setzen kann, ebensowenig kann ich etwas aus dem Raume fortschaffen, was einmal drin ist. Denn der Raum ist unendlich, daran hängt's! Und selbst ein unendlicher Geist kann das im Raum Existierende nur umwandeln, er kann die Milchstraße zu Bayrischbier verarbeiten, aber das bleibt immer im Raume, und ein andrer unendlicher Geist kann wieder Sonnen, Planeten und Philosophen daraus fabrizieren.‹

›Aber wenn der Raum nicht unendlich wäre? Wenn er gewissermaßen in sich selbst zurückliefe, falls man nur weit genug darin fortflöge?‹ sagte ich lauernd.

›Hahaha!‹ Der Teufel lachte. ›Ja wenn! Wenn er wie eine große ringförmige Schachtel wäre, in der man zwar ewig in der Runde herumlaufen, aus der man aber auch einfach etwas hinaustun könnte! Dann hätte ich gewonnenes Spiel. Da könnte ich so eines nach dem andern aus dem Raume werfen, mit anderen Worten, ich könnte Existenz vernichten, absolut zu nichts machen. Aber tun Sie einmal etwas aus einer Schachtel hinaus, wenn die Schachtel überhaupt nichts außer sich hat, höchstens daß sie wieder in einer Schachtel steckt und so immer wieder und wieder in einer andern. Das hat eben die Weltvernunft so schlau eingerichtet, daß sie die Formen der Existenz an dasselbe Gesetz der Unendlichkeit gebunden hat, wie die Formen des Denkbaren. Und so bin ich ›armer Teufel‹ immer nur auf kleine Mittel angewiesen, wenn ich der Existenz des Vernünftigen an den Leib will.‹

Als ich den Teufel so reden hörte, ward mir ganz wundersam froh zumute. Ein Plan der Rettung tauchte in mir auf.«

»Ach ja!« sagte plötzlich der sanfte Jüngling, der bis jetzt aus Bescheidenheit geschwiegen hatte. Der Professor sah ihn verwundert an.

»Entschuldigen Sie«, stammelte der Jüngling, »ich freute mich nur so, daß der Teufel schließlich doch nichts ausrichten kann, selbst nicht mit dem bayrischen Bier.«

»Na«, meinte der Professor, »da freuen Sie sich nur nicht zu früh.«

»Aber der Alkohol ist doch eine teuflische Einrichtung«, bemerkte der sanfte Jüngling schüchtern. »Der ist doch wohl eines der größten Mittel des Teufels.«

»Da ist der Teufel anderer Meinung. Wissen Sie, was er weiter zu mir sagte? Ich brachte ihn nämlich auf seine sogenannten kleinen Mittel, weil ich inzwischen über meinen Plan nachdenken wollte. Und da sagte er unter anderem, jetzt betreibe er mit Vorliebe die Verbreitung der Abstinenz

»Was? Wie?«

»Ja. ›Der Alkoholgenuß nämlich‹, so sagte der Teufel, ›ist einer meiner größten Feinde. Ohne den wäre die Menschheit wohl längst ausgestorben. Es ist freilich richtig, durch den Mißbrauch des Alkohols, den sogenannten Suff, werden ja viele Menschen und ganze Generationen ruiniert, aber das nützt mir nicht viel. Das sind nämlich immer haltlose Menschen ohne Willensstärke. Insofern wirkt also der Suff als eine moralische Auslese; durch ihn werden gerade die charakterlosen Menschen vernichtet und an der Weiterverbreitung verhindert, während die sittlich starken übrigbleiben. Der Suff verbessert die Rasse. Das ist mir natürlich fatal. Die Abstinenz als Gewohnheit bewirkt nun, daß auch die Willensschwachen und Schwächlichen sich erhalten, und verschlechtert somit die Menschheit; denn sie ändert ja nicht den Charakter der Menschen, sondern beseitigt nur ein Symptom ihrer Schwäche.‹«

»Aber, aber –«

»Ich teile ja nur mit, was der Teufel sagte. ›Übrigens‹, fuhr er fort, ›ist die Beseitigung des sogenannten Suffs nur Nebensache. Was mich an der Abstinenz freut, ist, daß sie der Menschheit das unentbehrlichste Vorbeugungs- und Anregungsmittel entzieht. Lassen Sie nur ein paar Generationen keinen Alkohol mehr genießen, so stirbt in den folgenden das ganze Volk an Darmkrankheiten und Nerventrägheit aus. Absolute Abstinenz fördere ich daher mit Vorliebe.‹«

»Oh, oh, Herr Professor«, seufzte der sanfte Jüngling.

»Sehr richtig!« rief der starke Herr.

Die blaue Dame bat um ein Glas Glühwein.

»Jetzt aber«, sagte die kleine Brösen, »kommen Sie nun endlich dazu, wie Sie den Teufel losgeworden sind.«

»Gern«, begann der Professor wieder. »Wir redeten noch so allerlei, dazwischen fragte ich, wie man es denn mache, das Raum-Automobil anzuhalten.

›Haha!‹ Der Teufel lachte. ›Sie denken wohl, das werde ich Ihnen sagen? Die Operation mit dem unendlichen Vektor? Nein, das kann ein endlicher Geist nie verstehen. Ich drücke nur so – so ... Die Energie kommt nicht aus dem Unendlichfernen, sondern aus dem Unendlichkleinen!‹

›Und da ist so viel darin?‹

›I nun, natürlich. Da sind ja die unendlich vielen Unteratomwelten! Ich kann da Bewegungsenergie von beliebig hoher Intensität herausziehen – ‹

›Was? Wir könnten noch schneller fahren?‹

›Freilich, mit tausend-, mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit.‹

›Das glaube ich nicht.‹

›Herr, ich muß bitten!‹

›Entschuldigen Sie! Aber doch keinesfalls mit zwanzigmillionenfacher Lichtgeschwindigkeit?‹

›Ich werde es Ihnen gleich zeigen. Dann lassen Sie mich aber ein wenig in Ruhe, denn es fällt mir nicht ein, mich sämtliche hunderttausend Billionen Kilometer unsrer Reise hindurch zu unterhalten.‹

Der Teufel machte nun einige seltsame Manipulationen, wobei er mich mit der einen Hand festhielt. Als er mich wieder losließ, bemerkte ich, daß wir eine ganz unbeschreibliche Geschwindigkeit angenommen haben mußten. Die näheren Sterne zur Seite ließen wir rasch hinter uns. Wir fuhren in der Sekunde sechs Billionen Kilometer; das ist ein Weg, zu dem das Licht über ein halbes Jahr braucht. Gleich darauf legte sich der Teufel zurück und schlief sofort ein.«

»Na, erlauben Sie mal«, sagte der starke Herr, als der Professor eine Pause machte, um sich eine neue Zigarre anzuzünden, »das von den kolossalen im Unendlichkleinen noch festgelegten Energiemengen will ich allenfalls glauben. Wir haben ja beim Radium gesehen, welcher Kraftvorrat noch in den Atomen ruht, und es ist jedenfalls denkbar, daß weit unter dem uns Zugänglichen noch unerschöpfliche gebundene Kräfte stecken. Denn das Unendliche geht so gut nach unten wie nach oben, für uns ist's nur ein Fragezeichen, und der Teufel weiß, wie man dazu kann. Aber daß ebendieser Teufel auch schlafen sollte wie unsereiner, das sollen Sie mir nicht weismachen.«

Der Professor brachte erst mit großer Sorgfalt seine Zigarre in Brand, dann schaute er den starken Herrn vergnüglich an und sprach:

»Er schlief ja auch gar nicht. Ich dachte mir natürlich gleich, daß das bloß ein Kniff sei. Er hatte doch offenbar noch andres zu tun, als mit mir zu reisen, wollte mich aber nicht ohne Aufsicht lassen; und da er meine Gestalt deshalb beibehalten mußte, so konnte er sich vermutlich nicht anders helfen, als sich schlafend zu stellen. Wahrscheinlich war er durch irgendwelche Rücksichten, die ich nicht kenne, dazu gezwungen, denn sonst hätte er's nicht gerade in dem Augenblick getan, als ich ihn zu der Sechsbillionengeschwindigkeit beredet hatte.«

»Ja, aber warum taten Sie denn das überhaupt?« fragte Frau Brösen. »Ich habe mich schon vorhin gewundert. Sie sollten doch – so ... na, ich weiß nicht, wie weit reisen, da lag es in Ihrem Vorteil, möglichst langsam zu fahren, um nicht so bald ... Was sollten Sie doch werden?«

»Ein Meteor – oder auf den Mars verheiratet. Hm«, sagte der Professor, »ich wollte aber weder das eine noch das andere, auch wollt' ich nicht so lange reisen, ich wollte nach der Erde zurück, und dazu mußte ich möglichst schnell fliegen, und zwar immer geradeaus.«

»Das versteh' ich nicht«, rief Frau Brösen. »Reden Sie deutlicher.«

»Nun, wenn Sie von hier aus immer gerade nach Westen reisen, so kommen Sie, da die Erde eine Kugel ist, doch schließlich vom Osten her an dieses liebliche Weltdorf wieder zurück.«

»So klug bin ich auch. Aber die Welt ist doch keine Kugel, an deren Oberfläche ich herumreise.«

»Nein, aber der Raum, sehen Sie, der Raum, worin wir alle uns bewegen, der ist nämlich krumm, ohne daß wir's merken. Früher haben die Menschen auch die Erdoberfläche für eine Ebene gehalten, auf der man geradeaus gehen konnte, und jetzt wissen wir, daß wir auf einem Kreise reisen, obwohl wir immer dieselbe Richtung einhalten. Unsre Mathematiker wissen nun schon lange, daß es mit unserm Raume auch sein könnte. Allerdings besaß man kein Mittel, um zu entscheiden, ob unser Raum wirklich in sich zurücklaufe, man wußte nur, daß für das Denken kein Widerspruch darin liegt. Nun aber ist es mir wirklich gelungen, zu entdecken, was der Teufel nicht wußte – meine Abhandlung ist nämlich noch nicht veröffentlicht –, es ist mir geglückt, den sogenannten Krümmungsradius unsres Raumes mit voller Sicherheit zu bestimmen. Um es streng wissenschaftlich auszudrücken: Unser Raum ist kein euklidischer, sondern ein sogenannter elliptischer Raum mit zugeordneten Polen und einem Krümmungsradius von etwas über dreitausend Lichtjahren; das bedeutet, daß das Licht etwas über zehntausend Jahre braucht, um wieder an seinen Ausgangspunkt zurückzukehren.«

»Na, na, na!« rief der starke Herr. »Das könnte schon sein, aber da müßten wir doch auch das Sonnenlicht wieder von der andern Seite zurückkommen sehen; wir müßten immer eine Gegensonne im Rücken haben.«

»Würden wir auch, wenn der Raum vollständig durchsichtig wäre. Aber in diesem Raum treibt sich so viel lichtverschluckender Staub herum, daß auch das stärkste Licht nicht den ganzen Weg zurücklegen kann, ohne aufgesaugt zu werden. Wir können so weit nicht sehen, selbst der Teufel nicht. Und der beste Beweis dafür ist: Ich bin den ganzen Weg gefahren.«

»Aber«, brummte der starke Herr, »woher wußten Sie denn, daß Ihr Wägelchen nicht von der geraden, will sagen, der kürzesten Linie im Raume abgelenkt werden konnte?«

»Nun, der Teufel hatte mir doch gesagt, unser Fahrzeug sei aus Stellit. Das ist der Name, den ich für einen idealen Stoff gewählt habe, wodurch alles von ihm Umschlossene frei von der Schwerewirkung wird. Wir könnten demnach durch die Anziehung der Sterne nicht abgelenkt werden. Ich durfte also annehmen, daß unser geradliniger Weg, der nach Ansicht des Teufels ins Unendliche führte, uns tatsächlich wieder in das Sonnensystem zurückbringen mußte. Deswegen hatte ich den Teufel überredet, unsre Geschwindigkeit auf die zwanzigmillionenfache des Lichts zu bringen. Denn dann konnten wir, wie ich mir schon ausgerechnet hatte, die ganze wirkliche Reise um die Welt in noch nicht ganz fünf Stunden vollenden. Und ich wollte doch noch gern während der Nacht nach Hause kommen.«

»Nach Hause?« rief die blaue Dame wieder aufspringend. »Ach ja, ich wollte ja auch nach Hause. Ich muß ja nachsehen –«

»Na, nu warten Sie nur noch ein wenig«, beruhigte sie der Professor. »Mit dem ›nach Hause‹ war es nicht so einfach. Ich wollte zunächst nur wieder in unserm Sonnensystem sein, denn in diesen fremden Fixsternwelten konnte sich ja kein Mensch auskennen. Aber wirklich nach Hause, ja auch nur nach der Erde und aus diesem Miniatur-Weltkörperchen herauskommen – das war die Schwierigkeit. Und das sagte ich mir von vornherein, daß ich dazu den Teufel nötig hatte. Ich wußte ja nicht, wie er mich hereingebracht hatte – auch er nur konnte mich wieder herausbugsieren. Zunächst schien er neben mir zu schlafen, obgleich ich sicher war, daß dieses Phantom neben mir nur eine Attrappe vorstellte, einen Meldeapparat für den Teufel, wenn ich irgend etwas Eigenmächtiges an dem Apparat zu ändern versucht hätte. Ich verhielt mich mäuschenstill. Vier Stunden etwa mußten noch vergehen, ehe unsre Mutter Sonne als kleines, schwaches Sternchen wieder auftauchen konnte, und dann näherten wir uns ihr von der andern Seite her. Und die Erde war auch ein Stück auf ihrer Bahn fortgelaufen und hatte sich dabei um ihre Achse gedreht. Und wenn wir so mit unsrer wahnsinnigen Geschwindigkeit gegen die Erde angefahren wären, so hätten wir einfach ein Loch hindurchgeschossen, falls das Stellit es aushielt. Während ich mir das alles überlegte, wurde mir ganz jämmerlich zumute. Schlimmer konnte mich der Teufel wahrhaftig nicht holen. Ich kann schon das Reisen überhaupt nicht leiden, und nun gar, wenn das Ankommen so unbestimmt ist! Und nicht einmal etwas zu essen oder zu trinken, nicht einmal eine Zigarre!«

»Sie tun mir aber auch wirklich leid«, sagte die blaue Dame gutmütig.

»Nicht wahr? Ich mir auch. Ich sah ja unglaubliche Dinge in jenen fernen Weltgegenden, Lichtnebel vor mir lösten sich zu Sternenhimmeln auf und schwanden wieder hinter mir zu schimmernden Wölkchen; ich aber saß neben dem schlafenden Teufel, Stunde um Stunde, und wußte nicht, soll ich ihn rufen, soll ich noch warten. – Und nun fiel mir's erst aufs Herz: Bei der rasenden Geschwindigkeit, mit der wir fuhren, war es ja gar nicht möglich, irgendein Sternbild zu erkennen, wenn wir auch wieder in unsre Himmelsgegend kamen – ich hätte gar nicht gewußt, ob ich an der Sonne vorbeisauste, denn selbst einen Raum vom sechzigfachen Durchmesser der Neptunsbahn durchmaßen wir im zehnten Teil einer Sekunde; ich war einfach verloren im Weltraum, ich war selbst schon viel weniger als eine Sternschnuppe ...

Da – ich fühlte, wie ich den Sitz unter mir verlor, aber irgendeine Gegenkraft hielt mich schwebend; ich kam zur Ruhe und merkte sofort, daß die Sterne wieder stillstanden, ich erkannte den vertrauten Himmel unsrer Milchstraße, und da, direkt vor uns, das hellstrahlende Pünktchen, das konnte nichts andres sein als unsre liebe Sonne –

›So soll doch aber!‹ polterte der erwachte Teufel neben mir, der seinen Sitz ebenfalls unfreiwillig verlassen hatte. ›Da habe ich vergessen, die zwanzigmillionenfache Lichtgeschwindigkeit abzustellen, und nun – nun haben wir das ganze Reiseprogramm von hunderttausend Billionen Kilometern in kaum fünf Stunden abgefahren!‹

Nun sah ich, daß der Teufel unter seinem Sitze eine richtige Taxameteruhr gehabt hatte, die auf hunderttausend Billionen Kilometer gestellt war. In dem Augenblick, da diese Strecke von dem Automobil abgefahren war, hatte es sich selbsttätig bis auf einfache Eigengeschwindigkeit der Sonne abgebremst. Aber ich bekam einen neuen Schreck. Jetzt fiel mir erst auf, daß die vom Teufel mir bestimmte Reisestrecke mit dem Umfang des elliptischen Raumes, wie ich ihn berechnet hatte, fast genau übereinkam. Hatte der Teufel vielleicht doch gewußt, daß der Raum endlich ist? Hatte er mich getäuscht und sich vorgesehen?

Das ging mir durch den Kopf, während der Teufel bereits fortfuhr:

›Wo sind wir denn eigentlich? Das versteh' ich nun wirklich nicht. Wir sind ja wieder im Sonnensystem, dicht an der Neptunsbahn, aber genau an der entgegengesetzten Seite, als wo wir hinausfuhren. In der Richtung sind wir aber nirgends abgewichen, das hätte ich gleich gemerkt.‹

Nun erkannte ich, daß der Teufel nichts vom Krümmungsmaß des Raumes wußte. Mochte die Übereinstimmung der Zahlen nur Zufall sein oder irgendeinen unbekannten innern Grund haben, jedenfalls hielt mein Begleiter den Raum immer noch für unendlich.

›Gestatten Sie‹, fiel ich daher neu ermutigt ein, ›das kann ich Ihnen nun gleich erklären. Ich hoffe, Sie werden dann –‹

›Gar nichts werde ich. Die Reise ist zu Ende, und jetzt mache ich mit Ihnen, was ich Lust habe. Aber erklären können Sie vorher immer noch.‹

›Hm!‹ brummte ich. ›Sie haben sich eben getäuscht, wenn Sie den Raum für unendlich hielten. Unsere Mathematiker wissen längst, daß unendlich viele Raumarten denkbar sind, die keinerlei Widerspruch in sich enthalten. Nur ob unser Raum, die Bedingungsform unsrer Existenz, jene Eigenschaft der Krümmung besitzt, das ließ sich nicht beweisen. Nun sind wir aber tatsächlich immer geradeaus gefahren und doch wieder an dieselbe Stelle zurückgekommen. Also ist der Raum unsrer Erfahrung nicht ein sogenannter euklidischer Raum, sondern er führt nach hunderttausend Billionen Kilometern in sich zurück. Der Raum ist endlich. Ich habe das schon lange gewußt; hätten Sie mich meine Manuskripte mitnehmen lassen, da steht's.‹

Der Teufel blieb eine Weile ganz starr und dachte nach.

›Was?‹ rief er dann. ›Der Raum ist wahrhaftig krumm? Das heißt, er ist nicht unendlich? Und das habe ich nie gemerkt? Freilich bin ich auch noch niemals so wahnsinnig schnell geradeaus gefahren. Dann aber, wenn das so ist – ha! Dann weiß es auch der andre nicht! Dann ist ja die ganze Weltvernunft auf dem Holzwege! Dann ist die Form der körperlichen Existenz nicht ebenso unendlich wie die Form des Gedankens und der Idee? Ei, dann habe ich gewonnen! Dann kann ich ja nach und nach die ganze Natur, all ihren gesetzlichen Inhalt, aus ihrer Existenzform hinauswerfen, ins Nichts verrinnen lassen – ich kann vernichten! Was kein Gott und kein Teufel zu begreifen vermochte, so ein Professor kriegt es heraus! Bei meiner Großmutter, du bist ein Prachtkerl! Bruderherz, ich muß dich umarmen!‹

Eigentlich war ich etwas beschämt; aber ich sagte doch: ›Nun werden Sie aber wohl –‹

›I natürlich!‹ rief der Teufel. ›Dich laß' ich laufen. Um dich wär' es schade. So ein Genie muß den Menschen erhalten bleiben. Gleich bring' ich dich auf die Erde zurück.‹«

»Hohoho!« Der starke Herr lachte. »Da sind Sie aber schön reingefallen!«

Der Professor schwieg und nickte ein paarmal leicht mit dem Kopfe. Dann nahm er einen Schluck aus dem Glase und zündete die Zigarre wieder an.

»Nun, und? Was weiter?« fragte die kleine Brösen.

»Das war das letzte, was ich vom Teufel hörte. Ich fand mich in meinem Arbeitszimmer wieder. Die Uhr zeigte fünfundzwanzig Minuten nach zwei Uhr morgens. Sonntag. Ich war todmüde und ging zu Bett.«

»Aber, Herr Professor«, fragte die blaue Dame, »die Geschichte ist doch wohl gar nicht wahr?«

»Es ist alles wahr, ganz genau, bis auf die Hausnummer der Schlammstraße: einundzwanzig; diese kleine Episode spielte in einer andern Wohnung. Aber das andere – darauf können Sie sich verlassen.«

»Hohoho! Prosit Professor!« rief der starke Herr.

Der sanfte Jüngling goß sich ein Glas Wasser ein, und die blaue Dame sagte:

»Es ist aber doch wirklich nett vom Teufel, daß er Sie wiedergebracht hat.«


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