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Bis zum Anbruch des Abends schlief Homchen im hohlen Stamme einer Buche am Waldesrand. Da würde es durch ein Rauschen im Walde erweckt. Es spähte hinaus. Der Regen hatte aufgehört, das Wetter war still und klar. Es war nicht der Regen, nicht der Wind, die durch die Äste fuhren, daß die Blätter raschelnd herniederglitten. Stimmen hörte man jetzt dazwischen, Zurufe von Tieren.
»Quih! Quih! Hi Kala! Hu Kusu! Eh! Eh! Gnu, Gnuru, Gnura! Quih!«
Homchen stieg hinauf zu einem der kahlen Äste, von denen es in den Wald hineinsehen konnte.
Näher kam es und näher. Tiere des Waldes, Trupp auf Trupp, ein ganzer Zug. Scharen der jungen Beutler, die Vorhut der Auswanderer. Gar nicht sehr weit von Homchen hatte die große Menge der Waldtiere den Tag über geruht, jetzt hatten sie ihren Weg nach Süden wieder aufgenommen.
Homchen wußte zunächst nicht, was es von der Bewegung der vielen Tiere halten sollte. Es beobachtete hinter einem Seitenaste verborgen. Manchmal kamen einzelne Tiere so nahe, daß Homchen glaubte, sie müßten es sehen. Wirklich, es waren die Säuger des Heimatwaldes! Was wollten sie hier?
Und da – da eilte ein Trupp junger Kala heran – einer hielt still und blickte nach Homchen hin – er spitzte die Ohren und richtete sich auf – dann sprang er mit einem Freudenschrei auf Homchen zu:
»Homchen, Homchen, bist du's?«
»Ja, Puhs, mein Bruder, ich bin's!«
»Homchen ist da, Homchen!« So schallte es zu den Kala.
Die umringten Homchen mit Jubel, neue kamen herbei, andere eilten auf den Freudenruf wieder zurück, und alle die Jungen sammelten sich um Homchen und bestürmten es mit Fragen.
Homchen schwoll das Herz in Freude und Stolz, als es sich so von seinen Brüdern und Freunden, von der ganzen Jugend des Waldes begrüßt sah. Und nun erfuhr es, was in der Heimat geschehen. Die Seinigen waren auf der Flucht vor den Echsen. In den Süden wollten sie, in den warmen, immer blühenden Wald mit den süßen Früchten, wo es keine Echsen gab? Dazu hätte Homchen seinen Weg zur großen Schlange angetreten und durchgeführt, damit ihnen der Heimatwald geraubt werde, damit sie im üppigen Süden ihre Stärke, ihren Mut, ihre spitzigen, scharfen Zähne verlieren sollten? War das der Weg zur Macht, den es den kommenden Geschlechtern zeigen wollte? Nein! Homchen war entschlossen, daß das nicht sein dürfe.
Während Homchen so schweigend überlegte, erschollen zwischen den Erzählungen der Tiere Fragen und Ruhmeserhebungen. »Wie sieht die rote Schlange aus? Wieviel Feinde hast du getötet? Ist es wahr, was der singende Flieger sang? Welche Schlange hast du besiegt? Es lebe Homchen, der Sieger, der die Schlange fraß! Führe uns, Homchen, nach dem Süden, daß uns die Echsen nicht fressen! Schütze uns vor dem Iguanodon, schütze uns vor dem Zorn der Zierschnäbel, daß uns die rote Schlange wieder gnädig wird! Sie sagen, du hättest die rote Schlange getötet und die Welt gehe zu Grunde. Sage, daß es nicht wahr ist!«
»Es ist nicht wahr!« rief Homchen in das Gewirr der Stimmen hinein. »Die rote Schlange kann niemand töten. Sie ist mit uns! Sie hat mich geschützt in tausend Nöten und mir Macht gegeben über alle Feinde! Sie wird uns auch gegen die Echsen schützen, wenn ihr mich hören wollt.«
Und Homchen sprang auf einen noch höhern Ast und rief laut sein Lied, daß die Tiere schwiegen, als es durch den Wald scholl:
»Homchen heiß' ich,
Echsen beiß' ich,
Mehr als alle Tiere weiß ich.
Schlangen schlag' ich,
Flammen trag' ich,
Neue Wunder sag' und wag' ich.«
Die Tiere bildeten ehrfürchtig einen Kreis um Homchen, das stolz und sicher auf sie niederblickte.
Da drängte sich durch die Menge ein Kala, dem sie willig Raum gaben.
»Homchen, mein Sohn!« rief Mea.
Homchen sprang herab von seinem Sitz und barg sich an der Brust der Mutter.
»Homchen lebt! Homchen ist da!« drang die Kunde weiter und weiter in den Wald. Und nun sammelten sich auch die Alten und verweilten auf ihrem Zuge. Aber nur Knappo eilte zu Homchen, die andern hielten sich zweifelnd und zürnend zurück.
Sie hielten Rat. Wie sollte man sich zu Homchens Rückkehr stellen? Homchen war vom Walde gebannt. Sollte man ihn jetzt wieder aufnehmen? Man war nicht mehr im Heimatwalde. Man war hier selbst fremd und konnte Homchen nicht vom Walde vertreiben. Aber Homchen war schuldig an dem ganzen Unglück der Säuger, er hatte den Zorn der Echsen veranlaßt, seinetwegen mußte man die Heimat verlassen. Durfte man ihm also erlauben mitzuziehen? Durfte er wieder in die Sippe zurückkehren? Wenn er nun wirklich die rote Schlange versöhnt hätte? Die Meinungen waren geteilt, aber Graukopf und die Mehrzahl der Alten waren gegen Homchen.
Der Rat wurde in unerwarteter Weise unterbrochen. Mitten in die Versammlung drängte sich das Heer der Jungen, Homchen an ihrer Spitze. Zornig verwies ihnen Graukopf die Störung, aber die dichte Menge der Eindringlinge wich nicht zurück. Homchen sprang über die Köpfe der Versammlung auf einen Baum und begann zu reden. Und schon hatte der Ruhm, der um Homchen einen Sagenkreis gewoben, auch die Meinung seiner Gegner beeinflußt, daß man es nicht wagte, Homchen mit Gewalt zu entfernen. Allmählich drang seine Stimme durch den Lärm, und aufmerkend, wenn auch unwillig, hörte man auf seine Worte.
»Ja, die rote Schlange sprach zu mir«, rief Homchen, »sie zürnt mir nicht, sie zürnt uns nicht! Glaubet mir, ihr Säuger des Waldes! Das Große wird klein und das Kleine wird groß! Die Zeit der Echsen ist vorüber. Sie sollen vertilgt werden wie die Schlangen, die ich schlug mit dem Stein des Berges, sie sollen dahinschwinden wie die Hohlschwänze, die ich verbrannte mit der Glut der Steppe. Glaubet nicht den Zierschnäbeln, daß die Echsen immer herrschen, daß die Waldtiere immer sich fürchten sollen im Dunkel. Die Zierschnäbel lügen! Sie sagen, die Echsen seien aus dem Ei gekommen, das die rote Schlange in den Tag legte, das war die Sonne. Und aus dem Ei, das sie in die Nacht legte, seien die Waldtiere gekommen, das war der Mond. Und darum müßten die Waldtiere in der Nacht bleiben, die Echsen aber sollten herrschen wie der Tag. Ich aber sage, die Zierschnäbel lügen. Wenn es so wäre, wie sie sagen, so könnten Sonne und Mond nicht mehr scheinen, denn aus ihnen wären Echsen und Säuger geworden. Ihr wißt aber, daß die Sonne alle Tage scheint! Und ihr wißt – doch blickt euch um, was steigt dort empor zwischen den Ästen des Waldes? Blutigrot schimmert es euch ins Antlitz – Sehet ihr? Es ist der Mond – und so sind wir nicht gekommen aus dem Monde!«
Ein Schauer ging durch die Zuhörer, als sie sich umblickten und groß und feierlich das Nachtgestirn sich erheben sahen.
»Die Zierschnäbel lügen«, fuhr Homchen fort. »Sie haben nichts voraus vor den anderen Tieren. Es ist nicht wahr, daß sie allein den Weg zur roten Schlange kennen, daß sie allein mit ihr reden dürfen. Jeder kann den Weg gehen, jeder kann mit der Schlange reden. Denn ich habe sie gefunden. Ich brauchte mich nicht mit ihr zu versöhnen, denn sie hat mir nie gezürnt. Sie spricht aus mir, in jedem will sie sprechen, der sie sucht. Denn sie ist nahe bei uns.«
Still war's ringsrum im Walde. Kaum zu atmen wagten die Tiere. Nur hell und laut klang Homchens Stimme.
»Durch die Steppe sprang ich zur Nacht. Vor mir floh die sengende Flamme, denn mit mir war die rote Schlange. Und die Flamme fraß die Zierschnäbel, als sie zurückkamen vom Moore. Dort waren sie gewesen, um die Echsen aufzureizen, damit sie den Wald vertilgten und euch vertrieben. Auf meinem Wege fand ich die verbrannten Leichname der Zierschnäbel. Die rote Schlange schützte sie nicht. Ich aber nahm das Feuer zwischen meine Zähne und trug es davon. Und mich schützte die rote Schlange. Und also will sie auch euch schützen, wenn ihr auf sie hört.
Glaubet mir, es kommt eine Zeit, da weiß man nichts mehr von den dummen Echsen. Es kommt eine Zeit, da herrschen die klugen, die guten Tiere. Groß und stark werden sie und treten bei Tage aus den Wäldern, aufgerichtet auf zwei Füßen, und heben die Augen auf zum Lichte des Himmels. Und sie schwingen den Stein und den Baumstamm, daß sie ihnen gehorchen, und sie tragen die Flamme und locken sie hervor, daß sie ihnen dient und sie schützt und wärmt in der Kälte des Winters. Und die Macht der klugen Tiere wird groß auf der weiten Erde, und nicht der Berg und nicht der Fluß noch das Meer können sie hemmen. Denn in ihnen lebt die rote Schlange.
Euch aber sage ich, die da wollen, daß die Zeit komme, in der unsre Enkel herrschen über die Erde, in der nicht die Bestie gewaltig ist, wie sie will, und an sich reißt, was sie kann, sondern in der auch der Schwache stark ist durch die Güte und Klugheit, die in allen zusammenwirkt, wer das will, was die rote Schlange verheißt, der höre auf mich! Der ziehe nicht nach dem Süden, der kehre um zum Heimatwalde! Der fasse Mut und folge mir! Folget mir alle!«
Homchen wartete keine Gegenrede und keine Beratung ab. Während die Versammlung noch überrascht und erschreckt von dem Unerhörten, von der neuen Verkündigung und der kühnen Forderung, schweigend verharrte, sprang Homchen, gefolgt von seinen Getreuesten, in der Richtung der Heimat durch den Wald. Nach kurzer Strecke hielt es an und wartete, ob sich die Säuger alle anschließen würden. Es kamen auch die jüngeren fast alle, von den älteren nur wenige, unter ihnen seine Eltern und die nächsten aus der Kala-Sippe.
Graukopf aber und die Mehrzahl der Alten blieben zurück. Sie berieten lange. Alle fragten nach dem Taguan, aber der Taguan war nicht zu sehen. Man wußte nicht, wo er hingekommen war. Endlich beschloß man, den Zug nach dem Süden fortzusetzen. Ein Bote eilte zu Homchen, um seine Partei zum Anschluß aufzufordern. Er kam unverrichteter Sache zurück. Und so trennte sich das Geschlecht der Beutler.
Die einen zogen nach Süden. Monatelang wanderten sie umher. Dann fanden sie immergrüne Wälder mit reicher Nahrung und milder Luft. Da lebten sie und ihre späten Geschlechter ungestört als kleine Beuteltiere. – Homchen aber und die anderen zogen nach Norden, ungewissem Schicksal entgegen, wilden Feinden und rauhen Wettern, aber mit Mut und Hoffnung in den trotzigen Herzen. Und doch – ein Schauer des Unheimlichen überfiel sie, wenn sie Homchens Rede gedachten.
Nahe am Waldrande hielt sich ihr Weg. Als der Morgen anbrach, suchten sie sich Nahrung und sichere Plätze auf den Bäumen, denn sie waren müde und mußten schlafen.
Nur Homchen konnte nicht schlafen. Eine Sorge war in ihm lebendig. Wenn die Echsen gegen den Wald zogen, wie sollte es die Seinen verteidigen, wie sollte es sie vor den Echsen schützen? Wohl wußte es, die rote Schlange würde ihm helfen. Es mußte ein Mittel geben gegen die Gewalt der Echsen! Hatte es nicht die Steine gegen die Schlange geschleudert? Hatte es nicht die Hohlschwänze mit Feuer verbrannt? Aber woher sollte es das Feuer nehmen?
Homchen schlich sich bis an den Rand des Waldes und spähte hinaus. Hier hatte es nicht geregnet. Drüben im Westen war der Himmel von Wolken umzogen, die im Widerschein des Frührots seltsam leuchteten. Hier saß es lange still.
Durch das Schweigen des Morgens flatterte eilig ein Tier am Rande des Waldes hin.
»Taguan!« rief Homchen.
»Hik! Hik! Homchen bist du es? Hast du die Deinen nicht unterwegs getroffen?«
»Ich habe sie getroffen und die Jungen sind mit mir zurückgekehrt. Sie schlafen drin im Walde. Ich führe sie nach der Heimat.«
»Und die anderen?«
»Sie ziehen nach Süden.«
»O Homchen, wie konntest du die Kala bereden, umzukehren? Komm zurück. Komm eilend zurück! Nur im Süden ist Rettung.« .
»Ich fürchte mich nicht vor den Echsen. Die rote Schlange wird uns beschützen.«
»Glaube das nicht. Die rote Schlange gerade versperrt euch den Weg.«
»Was soll das heißen?«
»Ich weiß es selbst nicht, aber ich habe es von fern gesehen. Ich flog noch einmal zurück. Ich wollte sehen, ob noch Säuger im Walde verlassen geblieben wären, ja ich wollte sogar bis zum Igel, um ihm Lebewohl zu sagen. Ihr Kletterbeutler braucht so viel Zeit zum Wandern, inzwischen mache ich dreimal den Weg. Aber als ich weiter nach Norden kam, vielleicht noch eine Nachtreise für euch von hier, da wehte es heiß von der Steppe her und es leuchtete durch die Nacht, daß ich erschrak. Da flog ich weiter im Walde, bis ich an die Schlucht kam, die sich von den Hügeln herein erstreckt, und immer weiter in ihr nach Norden. Und als es Tag ward, hing ich mich dort zum Schlafe auf. Doch ich schlief nicht lange. Ein erstickender Geruch weckte mich auf, der mir den Atem benahm. Nicht weit von mir qualmte die ganze Schlucht. Es krachte in den Bäumen, es zersprang die Rinde, ich floh hinauf nach dem Innern des Waldes. Und zuweilen blickte ich nach der Schlucht. Dicke Wolken lagen darüber. Und als der Abend kam, glühte darin ein feuriges Meer. Du weißt, da liegen die alten Blätter und Nadeln der Bäume in dicker Schicht. Das alles schwelte in Hitze. Und dazwischen standen feurige Riesen. Das ging so fort bis an den Felsenkessel, wo der Waldsee liegt. Dort hörte es auf. Ich aber fürchtete mich und kehrte zurück. Noch schaudere ich, wenn ich daran denke. O Homchen, es ist ein Zeichen der roten Schlange! Du sollst nicht wieder zurück in den Wald.«
Da rief Homchen: »O rote Schlange, ich danke dir! Taguan, mein Freund, ich danke dir für die Nachricht. Ja, es ist ein Zeichen der roten Schlange. Ein Zeichen, daß sie mit mir ist, daß sie uns schützen wird gegen die Echsen. Lebe wohl, ich muß fort! Ich muß nach der Schlucht, solange die Riesen noch feurig sind und der Boden noch glüht. Du führe die Alten nach Süden. Wir aber wollen zurück! Lebe wohl und sorge nicht um Homchen.«
Vergeblich rief der Taguan, Homchen war schnell in den Wald gesprungen. Erst gedachte der Taguan, ihm zu folgen; dann besann er sich, daß er schon zu lange von den Auswandrern, die weiter zogen, entfernt war, und flog weiter.
Homchen aber setzte sich nachdenklich hin, nicht fern von den schlafenden Genossen. Es schloß die Augen, aber es schlief nicht. Wie ein wundersames Zeichen war ihm das Wort des Taguan gekommen. Die rote Schlange sprach mit ihm. Wenn sie sprach, so war's wie ein buntes Schweben und Neigen von Gestalten, wie Baumblätter gegeneinander schwingen im Lufthauch. Blätter der Erinnerung, Blüten der Hoffnung wehten vor dem geschlossenen Auge. Aber in Homchens Seele wuchs ein heller Schein wie das Licht des Tages, das klarer und klarer durch die Zweige glänzte. Und dann wußte es, was die Schlange gesprochen hatte.
Die Flamme der Steppe war in die Schlucht gedrungen, sie hatte die morschen Stämme entzündet. Sie tanzte leise um die dürre Rinde, sie schlief in der glimmenden Kohle. Homchen würde sie wecken. Aber sie durfte nicht wieder fliehen. Homchen mußte sie bewahren. Und es verstand jetzt, was einst die Stimme sprach: In der Felsenhöhle wirst du die glühende Kohle hegen und nähren.
Ja, die Flamme ließ sich tragen. An den Hügeln gab es Höhlen, trocken lagen die Steine übereinander getürmt. Man trug die Flamme hinein. Die Genossen mußten lernen, die Nahrung der Flamme im Walde zu suchen, Nahrung für die rote Schlange. Homchen wird sie zur Höhle tragen jeden Tag.
Auf den Hügeln am Waldesrand müssen kluge Kala Wache halten. Wenn die Echsen kommen, so müssen sie schnelle Botschaft bringen zum Walde und zu Homchen. Dann werden sie die Flamme hinaustragen aus der Höhle, dann werden sie die Glut in den Weg der Echsen werfen, aufs Gras der Hügel. Und die Echsen werden fliehen vor dem Zorn der roten Schlange. Das Kleine wird groß, wenn sie zusammenstehn – das Viele zum Einen machen! So muß es gelingen. Die Vielen müssen tun, was für alle ist.
Rote Schlange ich danke dir!
Homchen sprang auf und weckte die Seinen.