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28. Kapitel

Auf der Sternwarte

Es begann bereits zu dunkeln, als die beiden Freundinnen nach kurzer Wanderung bergab die Haltestelle der elektrischen Bahn erreichten. Sie nahmen sogleich in dem bereitstehenden Wagen Platz, der sich nach wenigen Minuten in Bewegung setzte. Die helle Beleuchtung im Innern des Wagens verhinderte sie, etwas von der anmutigen Gegend, durch die sie fuhren, zu erkennen. Trotzdem verging ihnen die Zeit rasch, denn La war glücklich, zum erstenmal von der leidenschaftlichen Liebe und Sehnsucht sprechen zu können, die sie so lange stillschweigend und duldend hatte im Herzen verbergen müssen. Se hörte ihr teilnehmend zu, manchmal schüttelte sie leise den Kopf, immer aber mußte sie wieder mit Bewunderung auf die Freundin blicken, die mutig und entschlossen den unerhörten Schritt vom Nu zur Erde wagen wollte. Wenn sie dann ihre Augen glückstrahlend leuchten sah, so konnte sie nicht zweifeln, daß sie alle Hindernisse siegreich zu überwinden wissen werde. Sie saßen allein in ihrem Wagenabteil und konnten darum ungestört miteinander plaudern. Und dabei fragte Se:

»Eines, liebste La, ist mir doch noch bedenklich. Du sagst, zwei Jahre lang, zwei Menschenjahre, hast du ihn nicht gesehen, nicht direkt mit ihm verkehrt. Das ist lange Zeit für einen Mann. Deiner bist du sicher, aber weißt du denn, wie es mit ihm steht? Ob er dich denn noch will? Hast du nie diesen Zweifel gehabt?«

»Niemals«, sagte La entschieden. »Niemals seit jenem Augenblick, da ich ihn unter Tränen in meinen Armen hielt, da ich ihm gestand, daß ich sein bin. Das war kein Spiel, das waren keine Küsse und Liebesworte, die wie Frühlingsblumen im Sonnenschein sprießen und über Nacht im Strauß verwelken. Das wissen wir beide, die unser Wissen um das Glück mit dem Wissen um das Elend erkauften, daß wir uns nie gehören können. OSe, du Kleinmütige, du weißt nicht, wie stolz die Liebe macht; ich weiß jetzt, wie man es werden kann. Glaubst du, daß der vergessen kann, um den diese Augen aus Liebe weinten? Nein, ich bin La, ich bin seine La, und das denken wir beide zu jeder Stunde, denken's und fühlen's in tausend Schmerzen, und ob wir es uns auch niemals wieder sagen, wir zweifeln nicht.«

La schwieg und versank in Träumerei. Sie schloß die Augen und wollte sich nach ihrer Gewohnheit im Sitz zurücklehnen. Aber der unbequeme Hut erinnerte sie sogleich, wo sie war.

Se lächelte. »Ich habe mich schon lange darüber geärgert«, sagte sie, »daß diese Bahn so unbequeme Sitze hat. Bei mir gehen die kleinen Erdenleiden in keinem großen auf, und ich merke unter anderm auch, daß die heutigen Strapazen und Erregungen uns ganz schwach zur Friedauer Sternwarte werden kommen lassen. Aber ich habe mich nicht wie heute früh auf die Erde verlassen, sondern mir eine ganze Schachtel Energiepillen eingesteckt.«

»Ich auch« sagte La und zog das Büchschen aus ihrem Reisetäschchen.

»Ach sieh doch«, neckte sie Se. »Also hat das Zutrauen zu den Geselchten doch seine Grenzen.«

»Närrchen, wozu haben wir denn unsre Vernunft? Doch nicht, um das Kleine über dem Großen zu vergessen, sondern alles in seinem richtigen Verhältnis als Zweck und Mittel abzuwägen.«

»Aha, du sprichst schon im Grunthe-Ton. Da werden wir wohl bald da sein, hier sieht man bereits erleuchtete Straßen. Nun schnell die Pillen geschluckt.«

Nicht lange darauf hielt der Wagen an der Endstation. Die Fahrgäste in den übrigen Abteilen des Wagens waren alle schon unterwegs ausgestiegen. Die beiden Martierinnen standen allein auf der Straße und sahen sich ziemlich ratlos um. Der Wagenführer schaltete seine Lichter um und verschwand in der benachbarten Restauration, um sich in seiner kurzen Ruhepause zu stärken. Kein Mensch war auf der Straße sichtbar.

Der Boden war noch feucht und teilweise mit den Resten des Gewitterregens bedeckt. Die breite, von Vorgärten begrenzte Straße endete hier in einem kleinen, mit Bäumen besetzten Platz, von welchem dunkle Alleen nach drei Seiten ausgingen. Man konnte nicht erkennen, wo sie hinführten, denn zwischen den dichtbelaubten Bäumen verschwand das Licht der spärlichen Gasflammen, die sie erhellten, und nur so weit konnte man sehen, als die Strahlen der elektrischen Bogenlampen an der Endstation der Straßenbahn reichten.

»So also sieht es in Friedau aus«, seufzte Se. »Und das ist noch eine Residenzstadt! Wie mag es da erst auf dem Lande sein, wo«

»Halte keine Reden«, unterbrach sie La, »sondern komm, die Sternwarte wird schon zu finden sein.«

Sie spähte nach jemand aus, den sie nach dem Weg fragen könnte. Eine Laterne tauchte in der Hauptstraße auf, es war die eines Radfahrers, der in eine der Alleen einbog.

»Dort hinaus muß also noch irgend etwas liegen, denn es fahren noch Menschen hin«, sagte La in unverwüstlicher Laune.

»Weißt du, wer das war?« rief Se. »Als er bei der Bogenlampe vorüberfuhr, erkannte ich ihn. Es ist derselbe Mensch, der während des Gewitters bei dem Pavillon stand. Und ich bin vorhin nicht dazu gekommen, mit dir darüber zu sprechen ist dir nicht eine seltsame Ähnlichkeit aufgefallen?«

»Mit wem? Ich habe kaum auf ihn geachtet.«

»Mit Ismas Mann. Nach den Bildern. Ich bilde mir ein, es ist Torm.«

»Wie töricht. Das würde doch Isma zuerst wissen«

»Wenn er aber Gründe hätte, sich zu verbergen? Du hast ja gehört«

»Dann wäre er doch nicht nach Friedau gegangen, wo ihn jeder Mensch kennt.«

»Und niemand sucht. Er sieht jetzt nicht mehr so aus, wie er damals ausgesehen hat. Ich glaube gern, daß ihn kein Mensch wiedererkennt. Der Bart ist anders, das Haar ergraut, die Gesichtsfarbe gebräunt, die Wangen eingefallen aber ich habe den Blick für den Charakter der Physiognomie, ich sehe durch alle Veränderungen hindurch«

»Aber warum sollte er sich vor seiner Frau verbergen?«

»Es ist mir auch ein Rätsel. Immerhin wäre es sonderbar, wenn es zwei so ähnliche Individuen gäbe. Doch sieh, da kommt jemand.«

Der Wagenführer trat aus der Restauration. Seine Abfahrtszeit war gekommen. Auf Las Frage gab er den Damen bereitwillig Auskunft. Die Allee rechts, immer bergan, in ein paar Minuten kommt man an das Gitter.

»Also die Allee, die dein Geistertorm hinaufgefahren ist. Wären wir ihm nur gleich nachgegangen. Nun vorwärts«, sagte La.

Die Steigung war für die beiden Martierinnen beschwerlich. Sie spannten jedoch ihre Schirme auf, und so kamen sie bald vor das eiserne Gittertor, das von einer Glühlampe beleuchtet wurde.

Niemand war ihnen begegnet.

»Es ist furchtbar einsam hier«, sagte La.

»Das ist noch das Beste dabei«, sagte Se. »Es ist wenigstens auch still. Wie spät ist es denn eigentlich?«

»Da oben leuchtet ja das Zifferblatt der Sternwartenuhr. Es ist acht Uhr vorüber. Wir wollen schellen.«

Grunthe saß mit Torm, der soeben von seinem Ausflug zurückgekommen war, bei ihrem frugalen Abendessen, als ihm der Besuch zweier Damen gemeldet wurde. Sein Assistent, der sonst die Besucher der Sternwarte herumzuführen pflegte, war nicht anwesend, und es war ihm sehr unangenehm, jetzt sich stören zu lassen, zumal durch Damen. Er ließ daher sagen, er bedauere, aber die Sternwarte könne heute nicht gezeigt werden.

Der Diener ging hinaus, kam jedoch nach einer Minute in großer Aufregung wieder herein.

»Was gibt es denn?« fragte Grunthe.

»Zwei Damen vom Mars«, stammelte der Diener, indem er Grunthe ehrfurchtsvoll eine schmale, zierliche Karte überreichte. Sie war mit einer Nadel durchstochen, an der eine kleine goldene Medaille hing. Diese Medaille war es, die den Diener in Aufregung versetzt hatte. Jeder kannte diesen Weltpaß der Nume, das Wappen des Mars auf der einen Seite, auf der andern die Worte: Im Schutze des Nu. Sie öffnete dem Besitzer alle Türen.

»Nume?« sagte Grunthe verwundert zu Torm. Er betrachtete die Karte. Sie trug keinen Namen, sondern nur die flüchtig hingeschriebenen martischen Zeichen: »Die Pflegerinnen von Ara bringen sich in Erinnerung.«

Grunthes Stirn zog sich zusammen. Seine Lippen bildeten das in Klammern gesetzte Minuszeichen. So las er noch einmal die Karte. Dann lösten sich seine Züge wieder zu einem höflicheren Ausdruck, und er sagte zu dem Diener: »Ich bitte in die Bibliothek. Ich werde gleich kommen.«

»Es sind La und Se«, sagte er dann zu Torm, »die beiden Nume, die Saltner und mich nach unserm Sturz gepflegt haben. Ich bin ihnen zu großem Dank verpflichtet. Ich muß sie empfangen. Wollen Sie mitkommen?«

»Es würde mich interessieren. Diese La war sehr freundlich gegen meine Frau während ihres Aufenthalts auf dem Mars. Aber sie ist auch eine Freundin Ells. Man weiß nicht, was sie herführt. Hören Sie erst, was sie wollen.«

»Sie können nun einmal Ihr Mißtrauen nicht loswerden. Doch wie Sie wünschen.«

Torm warf einen Blick durchs Fenster. »Es ist klar geworden«, sagte er. »Ich will versuchen, am großen Refraktor einige Platten zu exportieren. Die Damen kennen mich nicht, dort im Dunkeln können sie mich überhaupt nicht erkennen. Wenn Sie sie herumführen, könnte ich sie mir dort einmal; übrigens, nun fällt mir ein, vielleicht habe ich die Damen schon gesehen, heute, an der schönen Aussicht bei Tannhausen. Dort waren zwei Martierinnen, und kurz vorher sah ich ein merkwürdiges Luftschiff aufsteigen; nun aber gehen Sie, wir werden ja sehen.«

Grunthe betrat die Bibliothek mit einem möglichst liebenswürdigen Gesicht, sogar ein Lächeln machte einen Anlauf zum Erscheinen, verunglückte aber in seinen ersten Zügen. La und Se enthoben ihn der Schwierigkeit, ihnen die Hand zu reichen, indem sie ihn auf martische Weise begrüßten.

Es gab bald ein lebhaftes Gespräch und kurze Erkundigungen und Erklärungen herüber und hinüber. Grunthe wollte ausführlich auf die wissenschaftlichen Ergebnisse zu sprechen kommen, die er mit Hilfe der Mitteilungen gewonnen hatte, die ihm La vom Mars aus hatte zukommen lassen, aber La ging nicht darauf ein, sie fragte direkt nach Saltner.

»Ich will Ihnen mitteilen, was wir wissen«, sagte sie. »Er ist in Bedrängnis, man wird ihn dieser Tage mit Hilfe von Luftschiffen suchen und gefangennehmen. Ich bin aber von seiner Unschuld überzeugt.«

Grunthe wurde sehr ernst. Er wagte es sogar, La jetzt anzusehen und erkannte in ihren Zügen die Aufrichtigkeit der Teilnahme und die herzliche Sorge um den Freund.

»Es ist für Saltners Freunde«, sagte er, »eine Freude, ein solches Wort zu hören. Ich weiß, daß auch Ell ihm gerne helfen würde, wenn er dürfte, aber er ist durch seine Amtspflicht gebunden. Leider kann Ihre Überzeugung, selbst wenn sie nachträglich vom Gericht geteilt werden sollte was ich bezweifle, Saltner nichts nützen. Ich muß Ihnen gestehen, daß seine Lage eine verzweifelte ist. Er selbst würde sich ja schließlich auch über die Verhaftung und das Urteil hinwegzusetzen wissen. Aber Sie wissen, wie er an seiner Mutter hängt. Und damit verknüpft sich sein Geschick. Die alte Dame würde eine nochmalige Gefangennahme nicht überleben, das ist Saltners Sorge. Und ihr Zustand gestattet ihm nicht, seinen Zufluchtsort aufzugeben und etwa, was ihm sonst vielleicht gelingen könnte, sich am Tag in den Wäldern zu verbergen und in der Nacht auf unwegsamen Kletterpfaden in Sicherheit zu bringen. Wir sehen daher keinen Weg vor uns, wie diese Gefahr vermieden werden könnte. Vielleicht schon morgen geschieht das Traurige.«

»Morgen?« unterbrach ihn La erschrocken. »Was wissen Sie?«

»Ich erhielt heute eine Depesche von einem seiner Freunde. Zwei Luftschiffe sind zu seiner Aufsuchung ausgeschickt. Sie sollte schon heute beginnen. Das Wetter, das die Berge in Wolken hüllt, verhinderte sie jedoch. Wenn es morgen klar wird und die Wetterkarte läßt es vermuten«

»Können Sie mir sagen, wo Saltner sich aufhält?«

»Genau wissen es nur wenige Eingeweihte. Wir wissen nur, was auch den andern bekannt ist, in den Bergen, die sich südlich vom Etschtal oberhalb Bozen, etwa nach dem Nonsberg, hinziehen, in einer der dort befindlichen Hütten hier können Sie die Spezialkarte sehen.« La ließ sich die Karte erklären.

»Können Sie mir die Karte leihen?« fragte sie.

»Recht gern. Aber was wollen Sie damit?«

»Ich sagte Ihnen schon, ich bin mit meiner Freundin auf einer Reise durch Europa. Vielleicht sehe ich mir diese Gegend einmal an. Übrigens war ich so frei, mein Luftschiff hierher zu bestellen, um uns abzuholen. Es müßte eigentlich schon hier sein. Frau Torm sagte uns, daß Sie selbst hier im Garten gelandet seien, so glaubte ich«

La hatte ruhig gesprochen. Jetzt trafen sich ihre Blicke mit denen Grunthes, sie ruhten eine Weile ineinander. Dann legte Grunthe schweigend die Karte zusammen und überreichte sie La.

»Wünschen Sie eine Empfehlung an einen Kenner der dortigen Gegend?« fragte er. »Sie dürften dort als Nume wenig Entgegenkommen finden.«

»Wir brauchen keinen Führer«, erwiderte La. »Wir schweben ja über den Höhen, da genügt uns die Karte. Ich danke Ihnen.«

Sie erhob sich.

»Wollen Sie nicht einen Gang durch unsere Arbeitsräume tun? Von der Plattform aus würden wir die Ankunft Ihres Schiffes am besten bemerken.«

Sie durchschritten mehrere Zimmer und betraten den Rundgang. Hier und da sprach Grunthe einige erklärende Worte.

»Sie sehen«, sagte er, »wie wir uns Mühe geben, von Ihnen zu lernen. Vieles hatte Ell bereits eingerichtet, ehe wir etwas von den Numen wußten. Ich habe mich freilich schon damals gewundert, wie er auf so viele neue Feinheiten hatte kommen können.«

An einer Stelle war die Seitenwand weit auseinandergeschoben. An dem dort befindlichen, auf den Sternenhimmel gerichteten Instrument war Torm beschäftigt. Er verbeugte sich flüchtig, ohne sich stören zu lassen.

Se beobachtete ihn scharf, soweit es die matte Beleuchtung gestattete, während sie scheinbar das Werk einer in der Nähe stehenden Uhr studierte.

»Wissen Sie«, sagte sie plötzlich laut zu Grunthe, »daß wir Frau Torm beinahe mitgebracht hätten? Wir waren mit ihr im Wald, nur mußte sie leider nach Berlin zurück. Haben Sie denn etwas von den Gerüchten gehört, daß Torm wirklich zurückgekehrt sei und sich nur, man weiß nicht warum, hier verborgen halte? Wir haben mit Frau Torm natürlich nicht davon gesprochen, aber Sie können wir ja doch fragen.«

Torm hatte sich bei Ses Worten tief auf das Instrument gebeugt, und Se sah deutlich, wie seine Hand an der Schraube des Apparats zitterte.

»Welches Gerücht?« fragte Grunthe, als hätte er nicht recht gehört. In diesem Augenblick erhellte sich die Gegend plötzlich wie von Sonnenlicht, und durch die geöffnete Wand drang auf kurze Zeit ein tagheller Schein.

»Das Luftschiff«, rief La und blickte zum Fenster hinaus, während Se ihren Blick auf Torm gerichtet hielt, der sich schnell entfernte.

»Der Schiffer beleuchtet seinen Landungsplatz.«

»Und meinem Assistenten hat er die Aufnahme verdorben«, setzte Grunthe hinzu.

»Das tut mir sehr leid«, sagte La. »Aber wir wollen Sie auch nicht länger stören. Würden Sie jetzt die Güte haben, uns in den Garten zu führen?«

Als La und Se mit Grunthe den Garten betraten, lag das Schiff schon auf dem Rasenplatz. Nur zwei kleine Lichter machten es im Dunkel kenntlich. Grunthe konnte die freundliche Einladung nicht abschlagen, die Yacht zu besichtigen und einen Augenblick im Salon Platz zu nehmen.

Se setzte sich ihm gegenüber, und ihn offen anblickend begann sie:

»Nun will ich Ihnen auch einmal etwas auf den Kopf zusagen, Grunthe. Dieser Mann, den sie Ihren Assistenten nannten, war Hugo Torm, und Sie wissen es. Warum steckt er hier im Verborgenen? Warum ist er nicht bei seiner Frau, die ihn für tot hält? Warum läßt er sie in ihrem Harm sitzen? Und das dulden Sie? Das ist ja ganz unerhört. Und nun reden Sie die Wahrheit.«

Grunthe saß stumm mit eingezogenen Lippen.

»Sie wollen nicht reden?« fragte Se.

»Ich darf nicht. Es sind nicht meine Geheimnisse.«

»Ach, also Torms! Das Zugeständnis genügt. Und billigen Sie dies Verhalten?«

»Nein.«

»Warum benachrichtigen Sie nicht Frau Torm?«

»Das geht mich nichts an. Davon verstehe ich nichts. Das muß ich Torm überlassen.«

»Und seine Gründe? Er muß Ihnen doch Gründe angegeben haben.«

»Ich kann nichts sagen.«

»So werde ich Isma «

»Ich bitte Sie«, unterbrach sie Grunthe, »Sie können nicht wissen, ob das gut wäre. Nehmen Sie an, er stünde unter dem Druck einer Schuld, oder glaubte es wenigstens er würde seine Frau nur ins Unglück stürzen, wenn er jetzt käme, oder er scheue sich, vor sie als ein Ausgestoßener zu treten, aber er hoffe, daß der Makel noch von ihm genommen werden könnte, in einiger Zeit. Nehmen Sie an, er warte nur noch Nachrichten ab. Eine vorzeitige Mitteilung könnte alles verderben«

»Nehmen wir an, was wir wollen« hub jetzt La an, »hier gibt es gar keine andre Wahl, als die Frau in dieses Geheimnis zu ziehen, und sie kann dann entscheiden. Ihr haltet das wahrscheinlich für besonders edel, daß der Mann die inneren Kämpfe in sich ausficht und die Frau aus Schonung in der Angst der Ungewißheit läßt, weil ihr denkt, sie könnte sich wieder durch rücksichtsvolle Gefühle bestimmen lassen, das zu tun, was sie eigentlich nicht will. Zartgefühl nennt ihr's, und Hochmut ist es, weiter nichts. Der Hochmut, daß ihr allein so außerordentlich fähig seid zu beurteilen, wo und wieweit man sich aufopfern darf. Das kommt aber alles davon, weil ihr nicht wißt, was Freiheit ist; Freiheit, die das Gefühl anerkennt, wie es wirklich ist, aber nicht es zurechtstutzt, wie es euch verständig scheint. Und weil eure Vernunft zu blöde ist, um dieses ganze Gewirr von Gefühl und Berechnung zu durchschauen so verderbt ihr das Leben aus lauter Edelmut in der schönsten Selbstlüge.«

»Ich verstehe nichts davon«, sagte Grunthe wiederholt, indem er aufstand. »Ich will nichts damit zu tun haben, das sind Sachen, die sich nicht berechnen lassen. Ich bitte nur, wahren Sie ein Geheimnis, das nicht das Ihrige ist, wie auch ich es tue.«

»Das versteht sich von selbst«, erwiderte Se. »Wir können nur von dem Gebrauch machen, was wir mit eignen Augen gesehen haben.«

»Leben Sie wohl«, sagte Grunthe. »Und möge Ihre Reise zum Ziel führen.«

»Sie werden uns in jedem Fall nächste Nacht wieder hier sehen. Dürfen wir in Ihrem Garten übernachten?«

»Selbstverständlich. Indessen ich kann mich nicht darum kümmern.«

»Das beanspruchen wir nicht«, sagte La lächelnd. »Wenn wir aber vielleicht Gäste mitbringen, die mit Ihnen sprechen möchten, wie können wir Sie von unsrer Ankunft benachrichtigen?«

»An der Tür, die vom Garten nach dem Haus führt, ist eine Klingel. Wir werden wahrscheinlich die nächste Nacht durcharbeiten, wenn es klar ist.«

»Es wird klar werden«, sagte La, indem sie jetzt Grunthe die Hand reichte.

Er nahm sie, er drückte sie sogar ein wenig. Dann ging er mit steifen Schritten aus der Tür.

La sah ihm nach.

»Ich fürchte«, scherzte Se, »den hast du auch erobert. Er hat dir ja beinahe die Hand gedrückt.«

»Ja«, sagte La, »er hat sich gebessert. Aber im Ernst, er ist einer von den Menschen, die wert wären, auf dem Nu geboren zu sein. OSe, wenn es Gott gäbe, daß wir morgen hier alle zusammen sind!«

»Laß uns hoffen und ruhen. Wir haben einen schweren Tag vor uns.«

»Ich will nur noch mit dem Schiffer sprechen. Eine Stunde vor Sonnenaufgang wollen wir aufbrechen.«

Alle Luken wurden geschlossen, die Lichter gelöscht. Dunkel und verschwiegen lag das Schiff auf dem Rasen, verborgen von den hohen Bäumen des Parks. Ein fernes Wetterleuchten zuckte zuweilen im Norden, im Süden aber, alle Sterne überstrahlend, zog der rötliche Mars seine Bahn in ruhigem Licht.


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