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Eine Art Gartenzimmer in der Villa der Familie Sonntag. Rechts führt die Tür zum Flur, von der man die Haustür deutlich sehen kann. Links ein breites Fenster, das den Garten spiegelt. Viele Schlingpflanzen und andere Blumen schmücken das Zimmer. Nahe dem Fenster steht ein lila Ledersofa, worauf Frau Sonntag und Eduard sitzen. Frau Sonntag hält zerstreut ein offenes Buch auf der Rückseite im Schoß. Marta ist im Begriff, den Flor von Heinrichs Bild abzunehmen. Die Familienmitglieder sind in Schwarz gekleidet, auch die Dienstboten.
Frau Sonntag; Eduard; Marta; Dr. von Simon; Auguste; Berta.
Marta: Immer wieder hängt ihn Auguste um das Bild.
Frau Sonntag: Warum nimmst du ihn ab?
Marta: Eduard will es ja.
Eduard (liebevoll): Ich möchte, liebe Mutter, daß man ihm Lebendigeres brächte.
Marta (zu Eduard): Wie gefällt dir dieses junge Grün?
Eduard nickt dankbar.
Frau Sonntag (melancholisch): Ich traure, daß er gelebt hat.
Marta schmückt das Bild, setzt sich dann ans Fenster und stickt auf einen Rahmen in Seide Kamillen. Ihre Bewegungen sind unruhig, wartend.
Eduard: Daß du nur einen Augenblick an seiner Ehrenhaftigkeit zweifeln kannst!
Marta: Dr. von Simon sagt aber auch, ein Unschuldiger gehe nicht dem Leben durch.
Eduard: Der Inspektor hat sich kein Urteil über unsern Bruder zu erlauben, vor allen Dingen aber vor seines Herrn Schwester nicht.
Frau Sonntag winkt Marta zu schweigen. Kleine Pause.
Eduard: Soldat war er, wie soll der anders in diesem unaufklärbaren Falle handeln!
Frau Sonntag: Ich glaubte, diese Zeit hätte er längst vergessen.
Eduard: Aber Mutter, der Soldat lag ihm im Blut wie in Achill der Sieg.
Frau Sonntag: Wie du ihn zu verherrlichen suchst, Eduard!
Marta: Schneidig standen ihm die Schnüren und der Galahelm.
Eduard (Marta in die Rede fallend): Er hätte Soldat bleiben sollen, Mutter, auch nach Papas Tod.
Frau Sonntag: Du sagst das so vorwurfsvoll, sollte ich mich vielleicht ins Büro der Fabrik setzen?
Eduard: Mutter, du bist nervös.
Frau Sonntag: Er hat damals Papa versprechen müssen, die Leitung zu übernehmen.
Eduard: Ich hätte ihm das Versprechen nicht gegeben, wenn ich Heinrich gewesen wäre.
Frau Sonntag: Du? (Erstaunt) Daß ich meine Kinder so wenig kenne – – – Es hätte sich schon ein Stellvertreter in der Verwandtschaft gefunden.
Marta: Wenn ihr euch jetzt immer so ernst unterhaltet es ist schon trist genug bei uns im Haus.
Frau Sonntag (melancholisch): Ich bin auch keine Gesellschaft für dich.
Eduard: Bald habt ihr mich los.
Frau Sonntag und Marta (sprechen fast zusammen): Ich hoffte, du würdest nun bleiben, Eduard?
Marta: Bringst du auch mal einen Mönch mit nach Hause?
Mutter und Sohn lächeln.
Eduard: Wie denkst du dir das?
Marta: Ich möchte mal so jemand ganz Frommes kennen lernen.
Frau Sonntag (wehmütig, mokant): Du bist ihr nicht fromm genug.
Eduard: Kinder und Narren – (kleine Pause).
Marta: Mama, kann man eigentlich rosa auf dem Standesamt tragen?
Frau Sonntag (unterbricht Marta erschrocken): Daß du es übers Herz bringen kannst, Eduard.
Eduard: Wenn du Gott liebtest, würdest du nicht versuchen, mich wankend zu machen.
Frau Sonntag: Ich liebe Gott nicht.
Eduard: Weil du ihn mit menschlichen Empfindungen suchst.
Frau Sonntag (melancholisch): Ich habe keine andern.
Eduard (legt den Arm um sie): Und doch leidest du unmenschlich, Mütterchen. – (Kleine Pause). – Ich möchte dir, solange ich noch bei dir bin, Vater und Heinrich ersetzen. – Warum lächelst du so fremd?
Frau Sonntag: Das wirst du nie, Kind.
Eduard: Wenn ich mir nun alle Mühe geben werde?
Frau Sonntag: Du könntest es, Gott sei Dank, nicht.
Marta: Ich habe einmal zwei Mönche im Kölner Dom gesehen. Ihre Köpfe waren geschoren, wie bei Verbrechern, und barfuß gingen sie später durch den Schnee.
Mutter (seufzend): Du hältst es nicht ein Jahr im Franziskanerorden aus, Eduard.
Auguste (öffnet behutsam die Tür des Zimmers): Herr Pius ist da un will die Frau ganz allein sprechen.
Frau Sonntag (zu Eduard): Er meint dich gewiß, Eduard.
Auguste: Nä, er sagt ganz ausdrücklich, die Frau.
Frau Sonntag erhebt sich achselzuckend.
Auguste (flüstert Marta leise ins Ohr): Ihr Bräutigam is auch wieder da.
Marta blickt forschend auf Eduard, der aber nichts gehört hat, und geht leise trällernd aus dem Zimmer. Auguste deckt Eduard mit der Gebärde der Frau Sonntag eine Decke über die Füße.
Eduard: Bei der Wärme, Auguste?
Auguste: Wenn es Herr Eduard hab'n will, leist ich ihm en bißchen Gesellschaft.
Eduard nickt gütig.
Auguste: Ich hör für mein Leben gern von Herrn Jesus erzählen.
Eduard nickt. Auguste nimmt Platz und zieht ihren breiten, blauen Strickstrumpf aus der Tasche.
Auguste: Sie müssen nich immer auf den Heinrich gucken, er kriegt kein Frieden.
Eduard: Und eigentlich war ich doch an der Reihe.
Auguste: Das helft alles nix, passen Se auf, Herr Eduard, (freudig verheißend) nach der Trauer folgt de Hochzeit.
Eduard blickt sie fragend an.
Auguste: Euch mein ich doch verdeck nich, oder der liebe Herrgott müßt sich auch eine Tochter machen.
Eduard lächelt.
Auguste: De Marta mein ich.
Berta (tritt mürrisch ins Zimmer, sie bringt auf einem Tablett eine Kanne Milch und ein Glas. Zu Auguste): Ihnen alles nachzutragen, habe ich auch keine Lust mehr.
Sie verläßt das Zimmer.
Auguste: Das dumme Blag tut ens so zimperlich wie 'n Fräulein.
Eduard: Sie sieht seit einigen Tagen sehr unzufrieden aus.
Auguste: Gekündigt hat se Mama Sonntag, sie geht nach Schlamerika.
Eduard: So?
Auguste: Ich glaub, de Mutter Pius hat ihr das aus de Karten prophezeit.
Eduard: Mutter Pius hält euch nur zum besten – sie ist doch eine kluge Frau, dünkt mich?
Auguste: Sie gucken ja immer in den Himmel rein.
Eduard: Nein, ist sie keine kluge Frau?
Auguste: Wie mans beguckt; aus ihrer Schlauigkeit krauchen die Narrheiten.
Eduard: Das ist mir ganz neu.
Auguste (kleine Pause): Ich könnt euch alles beichten, Herr Eduard.
Sie hebt eine Masche auf, die während ihres Sprechens gefallen ist.
Eduard: Tun Sie das, Auguste.
Auguste: Ich habe Mama Sonntag vorige Woche was vorgelogen.
Eduard (ein Lächeln unterdrückend): Was denn, Auguste?
Auguste: Ich hab mich gar nicht verschlafen, im Leichenhaus war ich. Ich wollt dem lieben Herrn Heinrich addjüß sagen.
Eduard: Das hätte Ihnen meine Mutter ja nicht verwehrt, Auguste.
Eine Schar Jungens mit Waldbeeren in Kannen klingeln an der Haustüre und klopfen und surren.
Auguste (schließt die Tür): Und was denken Sie, wem seh ich da – de alte Pius! De Augen standen scheel wie beim Geripp, un gedreht hat se sich (spricht immer tiefer) um de Leichen immer rund um, ohne aufzuhören, un gesungen hat se dabei (sie singt ganz tief, fast im Baß): O du lieber Augustin, alles is hin, hin, hin.
Eduard: Was erzählen Sie da, Auguste?
Auguste: Regen Se sich deshalb nich auf. Carl sein Großvatter, der hat vor langer Zeit zu mich gesagt, de Mutter Pius war das Karussell, wo wir all drin sitzen.
Frau Sonntag kommt entstellt ins Zimmer; sie sieht ganz gelb im Gesicht aus. Die Jungens sieht man beim Hereintreten sich vor der Haustür drängen. Der größte hält ein Öllämpchen in der Hand.
Auguste: De Jungens machen mir ganz nervös.
Ahmt Frau Sonntag nach, erhebt sich gemächlich vom Stuhl und geht behutsam aus dem Zimmer.
Die Jungens: Gitzhals! Gitzhals!
Frau Sonntag: Du weißt es wohl schon.
Eduard ist noch immer erregt von Augustens Erzählung.
Eduard (nickt fragend »nein«): Du schüttelst dich, als ob du über ein gedüngtes Land gegangen bist.
Frau Sonntag: Du weißt es wirklich nicht, Eduard?
Eduard: Setz dich zu mir, armes, armes Mütterchen.
Pause.
Frau Sonntag: Pius war doch hier.
Eduard: Ach ja, was wollte er?
Frau Sonntag (tonlos): Marta.
Kleine Pause.
Eduard: Ich hätte mich mehr erschrocken, wenn es der Inspektor gewesen wäre.
Frau Sonntag (verlegen): Du hättest ihn sehen müssen, den schüchternen Jungen – impertinent wurde er, sage ich dir, Eduard. Er trinkt überdies.
Eduard (kleine Pause): Ich bildete mir ein, er hätte uns so oft meinetwegen besucht. – (Kleine Pause) – Ich bin Egoist geworden während meiner Krankheit.
Frau Sonntag: Aber Eduard, er konnte sich doch glücklich schätzen, dich besuchen zu dürfen.
Eduard: Wie trivial faßt du unsere Freundschaft auf, Mutter.
Die Jungen werden so laut, daß man sie im geschlossenen Zimmer hört.
Frau Sonntag (sehr verlegen): Auguste soll die Kinder draußen fortschicken. (Sie klingelt.)
Eduard: Eine junge, eherne Apostelgestalt ist Carl Pius, in Versuchung.
Frau Sonntag: Du bist ein Fanatiker.
Eduard: Und doch lehrt Krankheit weise Melodien. – (Kleine Pause) – Was sagtest du ihm?
Frau Sonntag: Ich erinnerte ihn zuerst an seine Jugend.
Eduard: Und?
Frau Sonntag (sich erdenkend): Daß Marta dann schon ein altes Mädchen sein würde – aber als er impertinent wurde – wies ich ihm die Tür.
Eduard senkt den Kopf.
Auguste (triff behutsam ins Zimmer, ihre roten Backen glänzen, sie läßt die Zimmertür halb offenstehen): Wie zwei Turteltauben, die beiden im Garten – (Frau Sonntag verlegen).
Eduard: Das wäre allerdings eine Impertinenz – – –
Die Jungens betteln unaufhörlich.
Auguste: Wir wollen de Jungens en Liter Waldbeeren abkaufen, dann hab'n se Ruh.
Sie nimmt aus Frau Sonntags Portemonnaie im Schlüsselkorb, ohne Antwort abzuwarten, Geld. Marta und der Inspektor werden sichtbar im Garten. Eduard wendet den Kopf zum Fenster hin. Frau Sonntag rafft sich auf.
Frau Sonntag (gepreßt): Sie sollten es dir selbst sagen, Eduard.
Kleine Pause.
Eduard: Schamloser konntest du deinen Sohn Heinrich nicht verraten. – (Kleine Pause) – Mein armer Bruder, ein flüchtender Soldat, ging er verzweifelt in den Tod – –
Frau Sonntag: Damit gibst du ja seine Schuld zu.
Eduard: Es steht dir nicht, Mutter, mich meuchlings überführen zu wollen.
Frau Sonntag: Ich verstehe nicht, was du eigentlich gegen Dr. von Simon hast.
Eduard: Dasselbe, was du gegen ihn hast, Mutter, darum wagtest du auch nicht, mir von der Katastrophe selbst Mitteilung zu machen.
Frau Sonntag (etwas finster): Ich fürchte mich vor meinen Kindern nicht, selbst vor dir nicht, Eduard.
Kleine Pause.
Eduard: Erinnere dich doch, welchen Verdacht du gestern noch gegen ihn aussprachst.
Frau Sonntag (hochmütig): Ich hab ihn mir eigentlich erst heute morgen angesehen.
Eduard (spöttisch): Schwärmst etwa auch nun für seine schmachtenden Wimpern?
Frau Sonntag (aufweinend): Ich fühle, Eduard, ich war zu selbstlos zu dir.
Eduard: Mutter, teure Mutter, aus welchem Grunde willst du Martas Mädchenseele preisgeben?
Frau Sonntag: Daß Heinrich in der letzten Zeit auf ihn erbost war, hat tiefere Gründe.
Eduard: Aber wir haben doch Augen und Ohren, Mutter.
Frau Sonntag (gezwungen): Ich wünschte sogar, wir hätten Herrn Dr. von Simon veranlaßt, zeitiger in unserem Hause zu verkehren.
Eduard: Du weichst noch immer meiner Frage aus, Mutter?
Frau Sonntag: Um dir Einblick in die geschäftlichen Dinge zu geben, warst du damals zu jung, Eduard.
Eduard: Wir lebten doch luxuriöser als heute, Papa gab eine Festlichkeit nach der andern.
Frau Sonntag: Das war es ja eben. Heinrich hat oft genug sein Schweineglück, wie er sich ausdrückte, gepriesen, einen Mann wie Dr. von Simon gefunden zu haben. – (Kleine Pause) – Wir können uns glücklich schätzen, daß er Marta nimmt.
Eduard: Der Mann bringt wahrhaftig kein Opfer.
Auguste öffnet zögernd die Zimmertür, sie hält einen großen Rosenstrauß in der Hand, zwischen den Blättern liegt eine Karte. Sie versucht, sich mit Frau Sonntag schweigend zu verständigen.
Frau Sonntag: Nicht wahr, Auguste, Herr Dr. von Simon ist doch der richtige Mann für das Fräulein?
Auguste schlägt erstaunt die Augen auf und dann mit zufriedenem Lächeln:
Auguste: Von das Fräulein Oberbürgermeister – – –
Sie stellt den Strauß zärtlich in eine Vase.
Eduard (spöttisch): Du fragst doch sonst deine Dienstboten nicht.
Frau Sonntag: Sie können gehen.
Auguste (greift in die Schürzentasche): Un das da soll ich die Madame von dem längsten Bengel draußen geben, un er wünscht ein langes Leben.
Frau Sonntag nimmt das Kuvert gedankenlos hin, spielt damit, legt es dann schließlich auf den Tisch.
Auguste (zu Eduard): Ich glaub, dem Liesken sein Bruder wars, der Kerl mit der langen Nas und de grüngemalten Hände. Seine Bux hat er aufgekrempelt bis über de Knie.
Auguste bleibt bei der halbgeöffneten Zimmertür unbemerkt stehen.
Eduard (nimmt das Gespräch wieder auf): Das ist alles noch kein Grund, seine Tochter zu verkaufen.
Frau Sonntag: Soll Marta vielleicht Ladenmädchen werden?
Eduard (primanerhaft): Lieber als im buhlerischen Bett liegen.
Frau Sonntag: Du übertreibst, Eduard, ich bitte dich, schlafe eine Nacht darüber.
Eduard (mit biblischer Wucht): Ich sage dir, Weib, beflecke unser Haus nicht.
Mutter bricht weinend zusammen.
Frau Sonntag (leise): Du bist impertinent wie Carl Pius.
Auguste (behutsam durch die Tür wieder eintretend, glotzäugig, gutmütig, lügend): Überall schellt es –
Eduard: Die kommt dir immer wie gerufen.
Auguste: Ich kann de Mama Sonntag nicht heulen sehen.
(Tritt gutherzig näher zu ihr hin.) Ma'mm Sonntag – – –
Eduard kämpft mit sich. Marta kommt temperamentvoll ins Zimmer, von Simon verharrt unsicher, als er Eduard erblickt, vor der halb offenen Zimmertür.
Frau Sonntag: Marta, laß uns noch einen Augenblick allein.
Marta gehorcht schmollend; im nächsten Augenblick ihren Bräutigam graziös anlächelnd, verschwindet sie mit ihm wieder.
Eduard (zärtlich, aber fest): Hast du mir noch etwas zu sagen?
Auguste (zu Frau Sonntag): Gucken Sie ihm an, Ma'mm Sonntag, er hat en Heiligenschein um de Locken.
Frau Sonntag nickt unendlich traurig.
Auguste: Er paßt gar nicht in de sündige Welt.
Frau Sonntag ernst zustimmend.
Auguste (zeigt auf die Haustür): Da steht verdeck noch der große Lümmel von Puderbachs vor de Haustür und lauert.
Eduard: Ist das Lieschen bei ihm?
Frau Sonntag: Aber Eduard – – –
Auguste: Lassen Se das arme Blag man lieber links liegen, sonst kommen Se auch wie de Heinrich im falsches Verdacht.
Eduard erschöpft, er hustet stärker.
Auguste (harmlos): Er hat mir selber öfters gefragt, ob Herr Eduard das Lieschen poussierte.
Eduard (entgeistert, kleine Pause): Mutter, hast du das gewußt?
Frau Sonntag (mitleidsvoll): Ich kenne dich doch, Eduard –
Eduard schreitet fremd und einsam aus dem Zimmer wie über einen Berg herüber. Frau Sonntag sieht ihm melancholisch nach; nimmt das Kuvert zerstreut vom Tisch und tritt ans Fenster, vor das die Verlobten treten; Marta blickt erstaunt den Zaun des Gartens entlang.
Marta: Denk mal, Mama – (Frau Sonntag hört kaum hin) eben ging Berta aus dem Haus am Zaun vorbei, in meinem Jackett und Hut, und ihre Sachen hängen an meinem Haken am Ständer.
Dr. von Simon: Darf ich der verehrten Mama die Hand küssen?
Berührt die ihm zaudernd dargereichte Hand.
Frau Sonntag (verlegen): Ich kann mich noch gar nicht an den Gedanken gewöhnen.
Auguste wartet am äußeren Ende des Zimmers. Die Situation ist ihr unbegreiflich. Sie geht heraus. Marta schmollt. Sie nimmt eine Kamille aus ihrem Gürtel und befestigt sie über dem Herzen von Simons.
Dr. von Simon: Du wirst mich ausputzen wie einen Geck, Kätzchen.
Frau Sonntag öffnet apathisch das Kuvert, sie nimmt Martas Nacktphotographie hervor – erschrickt heftig – begreift nicht, betrachtet sie von allen Seiten. Sie ruft Marta ans Fenster zu sich und hält ihr die Kehrseite des Bildes vor Augen.
Frau Sonntag: Marta, kennst du die Handschrift?
Marta (übermütig): Das ist Pius seine dicke Tatze.
Auguste (kommt geheimnisvoll ins Zimmer): Herr Eduard sitzt in seine Stub und beguckt sich im Spiegel.
Marta: Den hat er doch beklebt, daß er nicht eitel werde.
Frau Sonntag schließt das Bild in ihren Sekretär ein.
Dr. von Simon (leise zu Marta): Für dich wird es auch die höchste Zeit, hier herauszukommen, Kätzchen.
Frau Sonntag (apathisch, dann aufleuchtend zu sich redend, aber den Kopf zu den beiden zum Fenster hin gewandt): Ich werde ihm eine Herzensfreude machen.
Marta (etwas schnippisch): Du willst wohl mit ihm ins Kloster gehen, Mama?
Auguste geht mit der Gebärde, die ausdrückt, um Himmelswillen nicht, fürsorglich hinter Frau Sonntag aus der Türe. Die Verlobten verschwinden im Garten.
Im selben Arbeiterviertel wie im ersten Aufzug.
Pendelfrederech; Lange Anna; Amadeus; Eduard; Carl; August Puderbach; Großvatter Wallbrecker.
Amadeus: Klopfen Se man tüchtig, de alte Pius schläft doch nich in de Nacht, die hat mit em Satan zu konferieren.
Lange Anna: Un oben beim Wallbrecker sin de Fensterlöcher verstopft.
Pendelfrederech (stößt Eduard stier an): Ich hab 'ne trockne Kehl, Herr.
Lange Anna: Du toter Maulwurf, was weißt du von em Durscht!
Pendelfrederech (zu Eduard): Wir sind ja beide auf de Himmelfahrtreis.
Er murmelt grausig. Eduard gibt ihm ein Geldstück.
Lange Anna (betrachtet es höhnisch): Davon brauchst de mich nix mitgeben, Frederech!
Pendelfrederech: Altes Ferkel!
Amadeus: Wenn Sie de Carl sprechen wollen, Herr, der is im Wirtshaus und säuft 'en Fusel nach dem andern; (Eduard bewegt) un de Aujust sitzt bei ihm un frißt Zucker aus seine Tasch und säuft mit ihm in Kömpanni.
Eduard bewegt sich in der Richtung zum Wirtshaus.
Amadeus (instinktiv): Ich will ihm herausholen, bleiben Sie man lieber hier.
Pendelfrederech: Hausknecht!
Eduard hält Amadeus zurück. Lange Anna kreischt plötzlich auf, ähnlich wie am Abend, als Carl Pius seinen Arm verrenkte.
Amadeus: Was is dich, Lange Anna?
Lange Anna wimmert wie ein Weib. Pendelfrederech murmelt böse.
Amadeus: Wie 'n Schellenzug von de Großmutter bammelt dein Ärmel am Leib herunter.
Lange Anna quietscht leise Frederech ins Ohr.
Pendelfrederech: Altes Ferkel!
Amadeus (zu lange Anna): Du hast es auch ein bißchen zu weit getrieben.
Lange Anna: Ich?
Amadeus: Ja, das hast de; seit de Zeit hockt er im Fusel drin.
Lange Anna: Hihihihi!
Amadeus: Dat tut mich leid, leid tut mich das, er säuft ja sonst nix.
Lieschens Vater kommt nach Hause, durch die kleine Seitengasse vom inneren Viertel her, man sieht ihn also nicht, hört nur, wie er mit der Faust krachend die Haustür aufstößt.
Amadeus: Ich merk das Poltern da (faßt auf sein Herz).
Pendelfrederech (murmelt böse): Aus de Bibelstunde kömmt er.
Lange Anna (stößt Eduard an die Schulter und quietscht höhnisch auf): Das war der Vater von es – – –
Pendelfrederech murmelt grausig.
Amadeus: Geheult hat es, als es in die Zwangserziehungsanstalt geholt wurde, wie en Madame ihr Schoßpudel auf dem Weg zum Schlachthaus.
Eduard bewegt.
Lange Anna: Da werden se es man tüchtig durchbläuen für seine Liebhabereien. – (Kleine Pause) – Mich hätt Ihr Bruder lieber nehmen sollen.
Pendelfrederech: Dir altes Ferkel? (Eduard bewegt.) Die Kleine versteht es feiner wie du. Im Nachthemd spaziert es grad unterm Mond über die Dächer. Ich lag selber auf de Lauer und schnappte nach dem Glühwürmken.
Amadeus (zu Eduard, wehmütig): Einmal hab ich es ja auch gesehen.
Lange Anna: Auf mir hat es in de Herrgottsfrüh nach der Oper (zeigt auf seinen Arm) unten an de Wupper gelegen.
Amadeus: Ich war dem netten Dier gut.
Lange Anna (zeigt auf seinen Arm): Ich soll man nix de Polizisten erzählen von de Carl, es war sein Schatz. Hihihihi!
Pendelfrederech: Verlogenes Ferkel, verkrochen hast de dir vor Carl seine fette Faust.
Lange Anna: Du lauerst wohl aus dein Deckel?
Carl und August kommen schwankend Arm in Arm aus dem Wirtshaus. Carl sieht grenzenlos verändert aus. Seine alte Primanermütze trägt August umgedreht auf einen Stock gespießt. Die drei Herumtreiber lachen. Carl erblickt Eduard.
Carl: 'nen Abend, Eduard, wie geht es mein Schatz Marzebillken? Se will mich doch heiraten. Ijo, ijo! (Zu sich selbst sprechend im Ton seiner Großmutter) Carl, hast de deine Großmutter lieb? (Kleine Pause. Im seligtrunkenen Ton) Ich hab dich ja so lieb, Eduard.
August (neidisch; er schwankt ebenfalls): Laß doch den Hungerleider stehn, Carl, er soll sich das Haar schneiden lassen.
Amadeus (zu August): Zeig meine beiden Kollegen molz de heilige Eva aus deine Brieftäsch, Aujust.
Die Brieftasche hängt August aus der Hosentasche.
Eduard: Das ist Pius' Brieftasche.
Es beginnt ein Wehen in der Luft.
Amadeus: Ein Spruch aus lateinisch steht auf der Hinterseit.
Eduard (er umfaßt Carl hinterrücks): Helfen Sie mir doch, Amadeus.
Amadeus: Ich kann ihm nich untergreifen, mein gläsern Herz bricht in Splittern. (Wehleidig) En Sprung hat es schon.
Lange Anna: Nehmt mir in de Mitte, versoffne Brüders.
Er stößt Eduard zurück, der taumelnd an Frederechs Brust fällt. Lange Anna drängt sich zwischen Carl und August.
Pendelfrederech: Sin wir beide Todenvögels vereint.
Carl, Lange Anna, August wanken über die Brücke, von dort weiter. Der Nachtwind klagt wie ein Kind, Eduard fröstelt. Noch einmal klopft er leise an die Haustür von Pius' Häuschen.
Großvatter (öffnet sein Fensterchen und kräht): Will se schon vertreiben, de Nachtgespenster.
Er gießt eine Emaillekanne voll Wasser herunter.
Pendelfrederech (murmelt böse): Ich leg mir schlafen unterm Busch.
Eduard tritt mit gesenktem Kopf den Heimweg an.
Ende