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Wir rühren an eines der schwierigsten Probleme der geschichtlichen Betrachtung, wenn wir die Frage aufwerfen, ob die Ursachen und die treibenden Kräfte der Frauenbewegung in wirtschaftlichen Verhältnissen oder in geistigen Entwicklungen, in objektiven gesellschaftlichen Zuständen oder in subjektiven inneren Bedürfnissen, ob sie in oder außer uns liegen. Und diese Frage wird um so schwieriger, wenn wir nicht an sie herantreten mit den theoretischen Voraussetzungen eines Materialismus, der prinzipiell alles auf wirtschaftliche Gründe zurückführt, oder eines Idealismus, dem die Geschichte ausschließlich als der Entwicklungsprozeß von Ideen erscheint. Sie wird um so schwieriger, wenn wir nicht mit dem starren Entweder-Oder einer irgendwie dogmatischen »Geschichtsauffassung« an sie herantreten, sondern die Möglichkeit offen lassen, daß in der Frauenbewegung wirtschaftliche und geistige Ursachen nebeneinander wirken, ohne daß ihre geistigen ganz aus ihren wirtschaftlichen oder ihre wirtschaftlichen ganz aus ihren geistigen Zeiten zu erklären wären. Wenn wir die Entwicklung von Frauenfrage und Frauenbewegung von diesem Gesichtspunkt aus betrachten, so stehen wir vor der schwierigen Frage: einen wie großen Anteil haben in dieser Entwicklung einerseits die wirtschaftlichen, andererseits die geistigen Ursachen? wir können uns den Versuch, diese Frage zu beantworten, um so weniger ersparen, als sie bei einer im Fluß befindlichen Bewegung ja nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische Bedeutung hat. Denn es handelt sich ja nicht nur darum, vergangene Erscheinungen zu deuten, sondern auch darum, Ziele und Wege für die Fortführung des Gewordenen zu bestimmen. Und je nachdem wir die Bedeutung der wirtschaftlichen Faktoren einerseits, der geistigen andererseits einschätzen, werden wir der Entwicklung der Frauenbewegung andere Richtlinien in die Zukunft hinein vorzeichnen, werden wir die Lösung der Frauenfrage nach verschiedenen Seiten hin suchen. Das zeigt sich deutlich in der vorhandenen Literatur über die Frauenfrage, die gerade in Deutschland umfangreicher als in allen anderen Kulturländern ist. Von einer verschiedenen Bewertung der wirtschaftlichen Ursachen in ihrem Verhältnis und ihren Beziehungen zu den geistigen kommt man auch zu verschiedenen theoretischen Lösungen der in der Frauenfrage beschlossenen Probleme. Und man kann vielleicht die Meinungsverschiedenheiten, die in der Beurteilung der Frauenfrage zutage treten und die in der Frauenbewegung geradezu zur Parteibildung geführt haben, im letzten Grunde darauf zurückzuführen, welche Bedeutung und welches Gewicht innerhalb der verschiedenen Anschauungen den materiellen und den ideellen Ursachen der Frauenbewegung zugeschrieben wird.
Ich will versuchen, den Wirkungsbereich dieser zwiefachen, in der Frauenbewegung tätigen Kräfte gegeneinander abzugrenzen, wenn ich dabei mit der Kritik der in der Fachliteratur vorhandenen, bzw. der theoretisch möglichen Anschauungen beginne, so gewinnen wir zugleich einen Überblick über den noch nicht ausgetragenen Meinungskampf.
Dabei haben wir uns zunächst mit denen auseinanderzusetzen, die in einer kurzsichtigen Anwendung der materialistischen Geschichtsauffassung in der Frauenbewegung lediglich »den Schatten des Kapitalismus«, ein wirtschaftlich begründetes Phänomen, erblicken. Sie treten von vornherein an die Erklärung der Frauenfrage mit der Meinung heran, daß sich unbedingt für alle ihre Erscheinungen eine wirtschaftliche Ursache finden lassen muß und daß diese Erscheinungen eben noch nicht erklärt sind, solange sie als geistige gelten und zureichende wirtschaftliche Ursachen nicht erkennbar sind. Man muß diesen prinzipiellen Standpunkt verstehen, um dem Gedankengang von Bebels Buch über die Frau Bebel: Die Frau und der Sozialismus. Stuttgart. oder auch Lily Brauns Auffassung der historischen Tatsachen in ihrem Buch über die Frauenfrage Lily Braun: Die Frauenfrage, ihre geschichtliche Entwicklung und ihre wirtschaftliche Zeite. Leipzig 1901. ganz folgen zu können. Für Bebel ist die Frauenfrage im Grunde weiter nichts als eine Folge des Mißverhältnisses zwischen den modernen Produktionsweisen und der noch zu Recht bestehenden Eigentumsordnung. Es handelt sich dabei vor allem um zwei Tatsachen, von denen eine die bürgerliche, die andere die proletarische Frauenfrage begründet.
Die bürgerliche Frauenfrage besteht nach ihm darin, daß die Ehe als eine aus längst überwundenen bürgerlichen Eigentumsverhältnissen entstandene Rechtsform ihre Aufgabe nicht mehr erfüllt. Sie schränkt die Frau auf eine Wirkens- und Rechtssphäre ein, die ihr unter den modernen Produktionsverhältnissen keine volle Verwertung ihrer Kraft und keine volle Befriedigung ihrer Glücksbedürfnisse mehr ermöglicht. Denn die Ehe soll heute zugleich der Erhaltung und Vermehrung bürgerlichen Privateigentums dienen; man muß »standesgemäß« und wirtschaftlich vorteilhaft heiraten. Da das aber einer zunehmenden Zahl von Männern gerade derjenigen Stände, die darauf Gewicht legen, unter modernen Verhältnissen nicht oder doch erst spät möglich ist, so sind Tausende von Frauen der bürgerlichen stände von der Erfüllung ihrer natürlichen Bestimmung ausgeschlossen und zugleich Tausende und Millionen von Männern auf außereheliche Befriedigung ihrer Geschlechtsbedürfnisse hingewiesen. Dazu kommt, daß die Familie nicht mehr wirtschaftlich produktiv ist und damit eine Frau, wirtschaftlich betrachtet, ein Luxusgeschöpf ist.
Versucht nun aber die Frau, aus der bisher durch die Ehe ihr angewiesenen Wirkenssphäre herauszutreten und produktive Arbeit zu tun, d. h. sich unmittelbar an der volkswirtschaftlichen, der erwerbsmäßigen Gütererzeugung zu beteiligen, wie es die Proletarierin muß, so gerät sie innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsordnung aus dem Regen in die Traufe. Denn unter der Herrschaft des Privatkapitalismus mit seiner natürlichen Tendenz auf Kapitalprofit, auf hohe Verzinsung der industriellen Unternehmungen für den Besitzer, wird die Frau auf dem Arbeitsmarkt ein Objekt der Ausbeutung. Der gewinnsüchtige Kapitalist hat schnell ihre Zwangslage erkannt und schlägt aus dieser Zwangslage in des Wortes eigentlichster Bedeutung »Kapital«. So entsteht die neue, die proletarische Frauenfrage, in der alle die unheilvollen Wirkungen der Frauenarbeit auf das Lohnniveau der männlichen Arbeiter, auf die Familie, auf die Gesundheit der Frau selbst, auf ihre Mutterschaft beschlossen sind. Nur durch den Sozialismus, d. h. durch die Kollektivierung der Produktionsmittel, die Aufhebung des Privatkapitals werden die wirtschaftlichen Schranken der Eheschließung fallen, nur durch den Sozialismus wird die Möglichkeit geschaffen, den Arbeitstag so einschränken zu können, daß auch die Frauenkraft ihm gewachsen ist. Nur durch Sozialisierung der Familie ist es möglich, die Frau als eine wirklich wertvolle Kraft in den Betrieb der Volkswirtschaftlichen Güterproduktion einzustellen.
Das Buch von Lily Braun führt den Gedankengang Bebels weiter. Es wendet die materialistische Geschichtsauffassung, oder besser die materialistische Begründung der menschlichen Wertbegriffe direkt auf das Verhältnis der Frau zum Manne und zur Gesellschaft an und stützt seinen Gedankengang auf die Annahme, »die Frau wird nur dann volle soziale Gleichberechtigung mit dem Manne erringen, wenn sie wirtschaftlich von ihm unabhängig ist, wenn sie ebenso wie er erwerbstätig ihren vollen Lebensunterhalt verdienen kann.
In der Auffassung der Frauenfrage als einer Erscheinung des Kapitalismus liegt nun eine gewisse Einseitigkeit, die darin besteht, daß man nicht die technische Entwicklung an sich, die unendlich vielfältige moderne Arbeitsteilung, als die Grundlage der Frauenfrage ansieht, sondern den Kapitalismus, d. h. die Eigentumsordnung, die geldwirtschaftliche Seite der modernen wirtschaftlichen Entwicklung, und daß man folglich meint, durch Änderungen der Eigentumsverhältnisse das Problem beseitigen zu können.
Es scheint nun aber, daß wir in der Erklärung der Frauenfrage als einer wirtschaftlichen Frage doch noch einen Schritt weiter zurückgehen müssen, und daß die Aufgabe der Anpassung des Frauenlebens an die neuen Produktionsweisen selbst mit der Beseitigung des Privateigentums nicht restlos gelöst werden kann, im Gegenteil, daß das eigentliche Problem auch dann noch bestehen bleibt. Das zu zeigen, wird der Zweck der folgenden Ausführungen sein.
Vorher aber muß noch ein anderer Faktor erwähnt werden. Friedrich Naumann setzt in seinem Buche »Neudeutsche Wirtschaftpolitik « neben die technologische Erklärung der Kulturentwicklung die sogenannte »anthropologische« Betrachtung. Das heißt, er sieht in der Bevölkerungsbewegung, insbesondere der Bevölkerungszunahme, den Hauptantrieb für die Umgestaltungen im Leben der Völker. »Die Veränderungen der Menschenwelt gehen von den Kindern aus.« Auch in bezug auf die Frauenfrage kommt eine solche elementare Tatsache der Bevölkerungsbewegung in Betracht, das ist die Tatsache des in allen europäischen Ländern vorhandenen Frauenüberschusses. Wieweit ist die Tatsache des Frauenüberschusses Ursache der Frauenbewegung? Oder – eine wie gewichtige Rolle spielt der Frauenüberschuß in der Reihe der Faktoren, die die Frauenfrage ausmachen? Das haben wir zu allererst zu fragen. Wir beschränken uns hier auf die Feststellung des Zahlenverhältnisses der Geschlechter in Deutschland. Dabei müssen wir aus zwei Gründen von der Berufsstatistik von 1907 ausgehen. Einmal, weil wir die Entstehung der Frauenfrage aus der normalen Bevölkerungsbewegung in Deutschland darzustellen haben, also von dem Stand der Dinge vor dem Kriege ausgehen müssen. Die Zählung von 1907 ist aber – und das ist der zweite Grund, aus dem sie zugrunde gelegt werden muß – nicht nur die letzte vor dem Krieg, sondern auch die letzte, die es überhaupt in Deutschland gegeben hat. Sie hat außerdem den Vorzug, daß sie die Verhältnisse zu einem Zeitpunkt kapitalistischer Entwicklung erfaßt, der schon alle typischen Züge des großindustriellen Deutschland zeigt.
Nach dieser Berufszählung von 1907 gab es in Deutschland unter 61 720 529 Einwohnern 31 259 429 Frauen, also einen Überschuß von etwa 4/5 Million. Ob dieser Überschuß an dem Entstehen einer Frauenfrage schuld ist, hängt mit der Frage zusammen, in welchen Altersklassen sich die überzähligen Frauen finden. Bestände z. B. der Frauenüberschuß aus Mädchen, bei denen die Versorgung durch die Eltern noch selbstverständlich und von eigener Erwerbstätigkeit noch nicht die Rede wäre, und verschwände er (etwa durch größere Sterblichkeit der Mädchen) auf den höheren Altersstufen, so entstände keine Frauenfrage. Tatsächlich verteilt sich nun der Frauenüberschuß auf die verschiedenen Altersstufen in folgender Weise:
männlich | weiblich | |
unter 14 | 10 115 119 | 10 053 517 |
14–16 | 1 195 198 | 1 246 778 |
16–20 | 2 354 517 | 2 370 097 |
20–25 | 2 654 736 | 2 642 344 |
25–30. | 2 467 146 | 2 445 124 |
30–40 | 4 220 293 | 4 213 857 |
40–50 | 3 177 104 | 3 263 413 |
50–60 | 2 167 715 | 2 437 183 |
60–70 | 1 386 701 | 1 672 056 |
70 und mehr | 719 451 | 913 176 |
Es zeigt sich also ein Männerüberschuß auf den Altersstufen unter 14 Jahren, so wie, wenn auch sehr gering, zwischen 20 und 40 Jahren, im Heiratsalter; es zeigt sich ferner ein geringer Frauenüberschuß zwischen 14 und 20 Jahren – also vor dem eigentlichen Heiratsalter, und dann ein sehr erheblicher von 40 Jahren aufwärts.
Wenn also schon hieraus erhellt, daß der Frauenüberschuß für das Heiratsproblem an sich nicht sehr stark in Betracht kommen kann, weil im Heiratsalter kein Frauenüberschuß da ist, so wird diese relative Belanglosigkeit des Frauenüberschusses für die Frauenfrage in Deutschland noch verstärkt durch die Tatsache, daß dieser Überschuß sinkende Tendenz zeigt. Er geht zurück, weil die Auswanderung der Männer nachläßt und weil die Lebensdauer der Frauen und Männer sich mehr ausgleicht. An dieser Tendenz konnte wohl auch der Krieg nichts ändern, wenn er auch natürlich vorübergehend einen starken Frauenüberschuß zur Folge hatte, und möglicherweise durch die von ihm geschaffene deutsche Wirtschaftslage die Auswanderung verstärken wird.
Mit dem einfachen numerischen Frauenüberschuß als Grund einer Heiratsnot der Mädchen braucht also dauernd nicht gerechnet zu werden. Aber allerdings bedeutet der Frauenüberschuß, sofern er in den höheren Jahrgängen am stärksten ist, ein Versorgungsproblem, genauer gesagt: eine Witwenfrage.
Nun deckt aber die Zahl der im eigentlichen Sinne und aus numerischer Notwendigkeit »überzähligen« Frauen bei weitem nicht die Masse der Frauen, die unverheiratet bleiben. Nach ihrem Familienstand waren von allen Personen über 16 Jahren im deutschen Reich
Männer | Frauen | |
ledig | 7 321 868 | 6 624 909 |
verheiratet | 10 967 583 Es sind bei den Männern die Wanderarbeiter mitgezählt, die ihre Frauen im Ausland haben. (Anmerkung zu Seite 7.) | 10 821 990 |
verwitwet und geschieden | 861 331 | 2 512 219 |
Aus diesen Ziffern tritt das Witwenproblem sehr stark hervor, wie weit die Ledigenziffer zugleich der Ausdruck der Frauenfrage ist, ergibt sich aus dieser Gesamtziffer noch nicht; man muß sie nach Altersstufen zerlegen und die höheren Jahrgänge in Betracht ziehen. Dann zeigt sich:
von den über | 40 jährigen | Männern | sind ledig | 622 124 |
" | " | Frauen | " | 911 752 |
von den über | 50 jährigen | Männern | sind ledig | 322 785 |
" | " | Frauen | " | 523 825 |
Es bleiben also in Deutschland, abgesehen von allen denen, die unter 50 Jahren als Ledige sterben, rund 500 000 Frauen ledig gegen 300 000 Männer.
Als Gesamtergebnis der Bevölkerungsstatistik in ihrer Bedeutung für die Frauenfrage läßt sich also feststellen:
1. Die absolut überzähligen Frauen haben keinen starken Einfluß auf die Entwicklung der weiblichen Erwerbstätigkeit.
2. Auch die relativ überzähligen, d.h. dauernd außerhalb der Ehe bleibenden Frauen sind nicht so zahlreich, um die Ausdehnung der weiblichen Erwerbstätigkeit zu erklären.
Es gab im Jahre 1906 9½ Millionen erwerbstätiger Frauen in Deutschland, es ist also klar, daß diese Zahlen und die in ihr beschlossene Frauenfrage nicht vollständig aus einem für die Frauen ungünstig liegenden Zahlenverhältnis zwischen den Geschlechtern und ungünstigen Heiratsmöglichkeiten erklärt werden können. Der Frauenüberschuß ist ein erschwerender Faktor in der Entstehung der Frauenfrage und natürlich auch eine mittreibende Tatsache in der Frauenbewegung. Aber seine Bedeutung ist relativ gering innerhalb des Gesamtproblems, mit dem wir es zu tun haben.
Daß die charakteristischen Züge der modernen Frauenfrage und die Triebkräfte der Frauenbewegung nicht nur »anthropologisch«, das heißt aus der Tatsache von Geburt, Tod und Eheschließung an sich erklärt werden können und daß der ausgedehnten weiblichen Erwerbstätigkeit noch andere Ursachen zugrunde liegen als die Heiratschancen an sich, wird uns ganz deutlich, wenn wir zwei Erscheinungen zum vergleich heranziehen. In den Vereinigten Staaten fehlt etwa eine Million Frauen, und in früheren Jahrzehnten war der Männerüberschuß noch viel größer. Trotzdem ist es das Land der am frühesten einsetzenden, heute am weitesten fortgeschrittenen Umwandlung des Frauenlebens und das Geburtsland der Frauenbewegung. Ein zweiter Beweis gegen eine rein anthropologische Erklärung der modernen Frauenfrage ist die Frauenfrage des Mittelalters. Durch das ganze Mittelalter hindurch gab es einen gegen heute jedenfalls viel größeren Frauenüberschuß, da die männliche Bevölkerung durch Kriege, Seuchen, unmäßiges Leben dauernd in viel stärkerem Maße dezimiert wurde als die Frauen, und da überdies die gegen heute relativ viel größere Zahl von cölibatären Geistlichen und Mönchen die Zahl der Heiratskandidaten noch weiter einschränkte, wie Bücher das alles in seiner Untersuchung über die Frauenfrage im Mittelalter nachweist. Karl Blücher: Die Frauenfrage im Mittelalter. Tübingen 1882. 2. Auflage 1911 Sie ist eine rein anthropologisch, nicht wirtschaftlich begründete Erscheinung, d. h. sie hing lediglich mit der größeren Männersterblichkeit zusammen, wurde, wie die Steuerlisten mittelalterlicher Städte zeigen, bei Seuchen und Kriegsnot akut und nahm ab in friedlichen und gesunden Zeiten. Sie konnte der Natur der Sache nach wieder aufhören, und das ist ja denn auch geschehen, wenn sie vorhanden war, hieß es, die Witwen und Jungfrauen, für die eben keine häusliche Arbeitsstätte zu finden war, durch irgendwelche Veranstaltungen vor Hunger und Elend zu schützen. Soweit das gelang, war die Frauenfrage des Mittelalters gelöst. Für keine Frau existierte eine Frauenfrage, solange sie ein Elternhaus oder das Haus eines Gatten hatte. Ging ihr das erste verloren, ohne daß das Haus eines Verwandten oder eine eigene Familie sich ihr auftat, so ergab sich natürlich das Problem, wie für sie zu sorgen wäre. Bei dieser Versorgung spielte auch selbständige handwerksmäßige Erwerbstätigkeit eine Rolle, wie ja die Frau auch die Mitarbeiterin des Mannes im handwerksmäßigen Betrieb war; aber trat sie ganz ins Erwerbsleben hinaus, so war das gewissermaßen eine persönliche Notwendigkeit, nicht etwa eine von außen, nämlich durch die Organisation der volkswirtschaftlichen Arbeit an sich bedingte.
Es wird nun ohne weiteres einleuchten, daß in der modernen Frauenfrage ein ganz anderes Problem vor uns liegt, ein Mißstand, der längst chronisch geworden ist und auf ganz andere Ursachen zurückgeht.
Welches sind diese Ursachen?
Es erscheint vielleicht manchem überflüssig, sie zu besprechen, weil sie, wie man sagt, auf der Hand liegen. In der Tat ist aber das scheinbar so Einfache doch durchaus nicht so eindeutig, wie es dem flüchtigen Blick erscheint. Wenn nämlich hinter den auch dem konservativsten Munde geläufigen Gemeinplätzen über den Rückgang der Hauswirtschaft usw. eine wirklich ganz scharfe, deutliche Vorstellung von ihrer Tragweite und Bedeutung steckte, so könnte es eigentlich gar keinen Kampf um die Berechtigung der Frauenbewegung mehr geben. Da wir aber faktisch immer noch in diesem Kampf stehen – trotz des äußeren Abschlusses des Rechtskampfes der Frauen –, so scheint doch die endgültige Formel für die historische Notwendigkeit der Frauenbewegung noch nicht festzustehen, wenn wir nämlich sagen: die Frauenfrage entsteht mit der Zerbröcklung der Familienwirtschaft, so ist das vielleicht noch etwas zu eng gefaßt und dürfte nicht für jeden gleich den vollen Umfang und den besonderen Charakter des Vorganges erschöpfen, in dem die moderne Frauenfrage entstand. Und wenn wir wiederum sagen, sie beruht auf der sozialen Differenzierung, der immer mehr verzweigten Arbeitsteilung, so ist das zunächst vielleicht etwas zu weit und unbestimmt.
Versuchen wir, den Vorgang, der sich nicht gut mit einem Wort kennzeichnen läßt, zu umschreiben.
Das Leben des Kulturmenschen ist im wesentlichen in zwei Kreise zusammengefaßt; einen kleineren: die Familie, und einen größeren: die Gesellschaft. Unser Leben, alles was wir denken und arbeiten, und wiederum was wir an Kulturgütern empfangen und in uns aufnehmen, vollzieht sich zum Teil in dem engen Kreis der Familie, zum Teil in dem weiteren der sozialen Gemeinschaft. Es ist nun eine der wesentlichsten und bedeutungsvollsten Eigenschaften unserer gesamten Kulturentwicklung, daß der kleinere Kreis der Familie an Bedeutung verloren hat gegenüber dem weiteren der sozialen Gemeinschaft, die als industrielle Unternehmung, als Gemeinde, Staat, freiwilliger Verband, der Familie eine Funktion nach der andern entzieht. Man könnte, um sich diese Vorgänge zu verdeutlichen, die Familienwirtschaften sich als eine Reihe von kleinen Inseln denken, von denen das Meer ein Stück nach dem andern abspült, um von diesem abgespülten Erdreich ein neues Land zu bilden, nämlich die Welt des sozialen Lebens, der weiteren sozialen Beziehungen. Das Abbröckeln begann in der Tätigkeitssphäre des Mannes. Es war zunächst sein Leben, das mehr und mehr hinausverlegt wurde auf dieses Neuland. Dann aber ergriff dieser Vorgang auch den Lebenskreis der Frau, nur daß er hier Halt machen mußte bei einem Stück Natur, das wie Urgestein, wie ein unzerstörbarer Kern dieser Insel übrig bleiben muß: das ist die Mutterschaft.
Dieses Hinauswandern einer menschlichen Tätigkeit nach der anderen aus dem primitiven Bereich der Familie hinaus in die soziale Gemeinschaft, in der diese einzelnen Tätigkeiten sich spezialisieren, in neue Zusammenhänge miteinander treten, ihr selbständiges, von der Familie unbestimmbares Leben mit eigenen Entwicklungsgesetzen gewinnen, das ist das Grundschema für unsere Kulturentwicklung überhaupt. Innerhalb dieser Entwicklung entsteht die Frauenfrage. Im Prinzip beginnt sie schon in dem Augenblick, als z.B. das Spinnen und Weben aufhörte, die Obliegenheit der Frauenkemenate zu sein und ein selbständiger Beruf auf dem Gebiet der sozialen Güterproduktion wurde, als die Grabschrift jener Römerin »domum servavit, lanam fecit« – sie verwaltete das Haus und spann – in ihrem zweiten Teil einen Zustand der Vergangenheit andeutete, als das Gewandschneiden, das Sticken, das Backen ein Gewerbe wurde. Ein anderer großer Schritt geschieht damit, daß die primitive Einführung in die Arbeitspraxis des Hauses, die in der Urzeit aller Völker das Wesen der Erziehung ausmachte, nicht mehr genügte, und die Schule entstand, die einen Teil der Erziehung aus dem Hause herausnahm, weil die häuslichen Bildungsmöglichkeiten den differenzierten Bedürfnissen, die mit dem Anwachsen des sozialen Lebens in Beruf, Staatswesen und Wissenschaften entstanden, nicht mehr genügen konnten. Ganz langsam hat dieser Vorgang des Hinüberfließens der Lebensfunktionen aus dem engen in den größeren Kreis weiter gewirkt, bis dann plötzlich mit dem technischen Jahrhundert die Bedeutung dieses weiteren Kreises mit reißender Schnelligkeit wuchs und das Leben stromweise aus den kleinen Lebensgemeinschaften in die eine große hineingesogen wurde. Bis dahin hatte die Familie, trotzdem sie immer mehr von ihren produktiven Aufgaben verlor, noch Arbeit genug für alle ihr zur Verfügung stehenden Frauenkräfte. Denn mit der Verfeinerung der Produktionsweisen draußen im gewerblichen Leben wuchsen doch auch die Lebensansprüche der Familie. Die Erhaltung und Pflege all der verfeinerten handwerksmäßig hergestellten Geräte erforderte auch wieder mehr Arbeit im Hause; die Ernährung wird komplizierter – die ehemals stereotypen Mahlzeiten einer mecklenburgischen Bauernfamilie, alle Mittag Graupen mit Schweinefleisch und alle Abende Pflaumen mit Grütze wären selbst in einem ärmlichen großstädtischen Arbeiterhaushalt zu einförmig – die Erziehung, auch wenn sie die Schule zum Teil übernahm, oder vielleicht gerade weil die Schule hinzukam, wurde schwieriger und sozusagen künstlicher und umständlicher. Trotz alledem aber kommt doch einmal der Augenblick, wo die Verkleinerung des Lebenskreises der Frau nicht mehr als Entlastung einer vielfach Überlasteten, sondern als Raub an einem notwendigen Lebensinhalt empfunden wurde. Und nun entsteht für die Frau die Frage, ob es ihr gelingt, sich auch in den sozialen Gemeinschaften mit ihrer Leistung oder mit einem Teil ihrer Leistungen anzusiedeln, oder ob sie auf volle Verwertung ihrer Lebenskraft und Arbeitsleistung in Zukunft verzichten muß. Da entstand die Krisis, die wir mit der modernen Frauenfrage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebten.
Die Krisis kam zum Ausbruch, weil mit der rapiden Entfaltung der Großindustrie ein Bedürfnis nach weiblichen Kräften in der volkswirtschaftlichen Güterproduktion entstand. Die Großindustrie brauchte zu ihrer Entfaltung die Frauenkraft. Wie der Magnetberg das Eisen der Schiffe, so zog sie fühllos und unaufhaltsam an sich heran, was an freier, oder sagen wir besser »wehrloser« Arbeitskraft da war, wenn auch die Familie dabei auseinanderbrach. Schon 1839 waren von der halben Million Fabrikarbeiter, die es in England gab, mehr als die Hälfte Frauen.
Und wenn hier die Frauenkraft von der Großindustrie vielfach wie von einem unüberwindlichen Sieger als willenlose, ja widerstrebende Beute mitgerissen, vor sich her gestoßen wird, um fern der häuslichen Heimstätte an irgendeinem vakanten Posten der volkswirtschaftlichen Produktion eingestellt zu werden, so drängten andererseits auch wieder in den oberen Schichten die Scharen von Frauen, deren Arbeitskraft durch die Entlastung der Hauswirtschaft frei wurde, freiwillig hinaus und sammelten sich vor den verschlossenen Toren der höheren Berufe, bis man ihnen hier und da auftat.
Es ist nicht die Aufgabe dieser Ausführungen, nun den historischen Verlauf im einzelnen zu verfolgen. Nach der Zählung von 1907 standen wir in Deutschland vor der Tatsache, daß fast die Hälfte der gesamten Lebensjahre aller erwachsenen Frauen in Deutschland der Erwerbstätigkeit, nur wenig über die Hälfte noch der Arbeit in der Familie gehören.
Weshalb nennen wir diesen Tatbestand eine Frauen frage? Und welche Konflikte umschließt er?
Er umschließt deshalb Konflikte, weil diese Verteilung der Frauenkraft auf Haus und Erwerb, auf familienwirtschaftliche und volkswirtschaftliche Werterzeugung durch das einzelne Frauenleben, durch Millionen von einzelnen Frauenleben einen klaffenden Riß gezogen hat. Die Familie braucht nicht mehr die volle Kraft das ganze Leben hindurch – aber sie kann doch die Frau nicht ganz loslassen, sie bindet sie in wechselndem Grade, bald stärker, bald weniger. Das Dasein der Frau gehört von nun an zwei Systemen an, von denen jedes sein eigenes Leben hat, seine eigenen Zwecke verfolgt, von seinen eignen Gesetzen beherrscht wird. Im Schicksal der Frau steigert sich der Gegensatz zwischen Familieninteressen und Produktionsinteresse zur grellsten Dissonanz; ihr Leben wird der Schauplatz des schärfsten Zusammenstoßes zwischen diesen beiden Tendenzen unserer Kulturentwicklung, wird wirklich, »zweier Zeiten Schlachtgebiet«. Sie ist heute die, die den letzten, den nach unserer Überzeugung unveräußerlichen Kern der Institution der Familie gegen die seelenlosen Gewalten der technischen Entwicklung mit Leib und Leben zu schützen hat.
Denn welche Lebensbedeutung die oben erwähnte Verteilung der Frauenkraft auf Haus und Erwerb für die einzelne hat, mag die folgende Zusammenstellung von Ziffern aus dem Jahre 1907 zeigen: In der Altersklasse bis zu 30 Jahren sind von rund 4 Millionen erwerbstätiger Frauen nur eine halbe Million verheiratet. Die große Mehrzahl also der jungen weiblichen Arbeitskräfte gehört ausschließlich einem Gebiet der Volkswirtschaft an. In der Altersgruppe zwischen 30 und 50 Jahren aber wird es ganz anders. Von 2,3 Millionen erwerbstätiger Frauen sind 1,5 Millionen verheiratet, d. h. 66 Prozent. Diese 66 Prozent Frauen müssen also ihre Kraft gleichmäßig auf Haus und Beruf verteilen, sie haben am Tag mehrmals den Schauplatz ihrer Arbeit zu wechseln, Gedanken, Interessen, Kräfte umzuschalten. Auch in den höchsten Altersklassen von 50 Jahren aufwärts sind noch fast die Hälfte der erwerbstätigen Frauen verheiratet, dann aber ein großer Prozentsatz Witwen, die den Weg aus der Familie ins Erwerbsleben zurückmachen mußten. Erwerbslose Haustöchter über 16 Jahre gibt es in ganz Deutschland nur noch etwa 700 000 (nach einer Berechnung von Gertrud Bäumer in dem Buch »Die Frau in Volkswirtschaft und Staatsleben der Gegenwart«, Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt, S. 8 f.).
Man sieht aus dieser Zusammenstellung, daß nur für einen ganz kleinen Bruchteil der Frauen das Leben noch ungeteilt im Familienkreis abläuft, und selbst bei diesem kleinen Bruchteil ist dieser Verlauf vielfach nicht mit Sicherheit vorherzusehen. Die Mehrzahl der Frauen hat ein Doppelleben zu führen, muß Hausfrau und Berufsarbeiterin sein, wenn nicht nebeneinander, so doch nacheinander. Und deshalb muß ihr Leben von vornherein auf zwei Möglichkeiten eingestellt werden. Und wenn ein Mädchen aus einem provisorisch ausgeübten Beruf in die Ehe übergeht, so weiß sie damit noch keineswegs, ob sie nicht später wieder in den Beruf zurück muß. So ist es ihr Los, vielleicht einmal, vielleicht aber auch öfter ein angebautes Feld im Stich lassen zu müssen, ehe sie noch die Früchte ernten konnte. Die Folge dieses Dualismus zwischen volkswirtschaftlichem und familienwirtschaftlichem Beruf ist klar. Da, wenn auch nicht zehn, so doch fünf oder vier gegen eins zu wetten ist, daß die Frau mit ihrer Existenz einmal nicht auf die Ernten von dem Felde ihrer beruflichen Arbeit angewiesen sein wird, so pflügt sie dort nicht so tief, so legt sie nicht so viel für Saatkorn an. Und wenn sie die Wette von vier gegen eins verliert, so reicht eben das oberflächlich bestellte Feld nicht aus, um sie zu nähren. Andererseits wirkt natürlich auch umgekehrt eine jahrelange Ausbildung für den Beruf oder eine jahrelange Berufsausübung in mancher Hinsicht beeinträchtigend auf die Fähigkeit zur Mutterschaft. Wenn es einerseits ja auch ganz richtig ist, daß die Disziplin des Berufslebens eine gute Schule der Tatkraft und Selbstzucht ist, die hernach auch der Leiterin des Haushalts und der Erzieherin zugute kommt, so gilt das im ganzen doch nur für die höheren Berufe oder für solche niederen, die den späteren hauswirtschaftlichen Aufgaben nahe stehen. Andererseits aber haben eine ganze Anzahl von Frauenberufen nicht nur die Wirkung, daß sie die Frau körperlich ungeeigneter für die Mutterschaft machen, sondern auch, daß sie seelische Eigenschaften in ihr ausbilden, die ihr später mindestens unnötig oder aber sogar hinderlich sind. Ein Mädchen, das zehn Jahre seines Lebens, und zwar gerade die besten Jugendjahre hindurch täglich acht bis zehn Stunden Lumpen sortiert oder Glühstrümpfe verpackt, wird in dieser Zeit und durch diese Vergangenheit in keiner Weise geeignet, ja häufig genug geradezu innerlich unfähig für die Aufgaben der Mutterschaft. Diese Schwierigkeiten können hier alle nur angedeutet werden, sie werden uns später noch eingehend zu beschäftigen haben.
Verschärft wird dieser Konflikt der beiden Wirtschaftskreise, auf die die Frau ihre Kraft verteilen muß, noch durch etwas anderes. Der mächtige Organismus der modernen Güterproduktion, des Güteraustausches, des Verkehrswesens, kurz unseres ganzen volkswirtschaftlichen Lebens hat sich im wesentlichen ohne Frauenkraft entwickelt und ausgestaltet, hat sich in seinen Formen gefestigt, in der Abhängigkeit all seiner Zweige untereinander verankert, ehe die Frau anfing, eine irgendwie ins Gewicht fallende Rolle als volkswirtschaftliche Arbeitskraft zu spielen. Und nun zeigt sich diese ganze Welt der gesellschaftlichen Produktion mit der schauerlichen Unpersönlichkeit ihres Mechanismus, der den einzelnen rücksichtslos zu einer Triebkraft in dem großen Räderwerk macht – nun zeigt sich dieser Organismus zu wenig elastisch, um die Frauenkraft als Frauenkraft sich einverleiben zu können. Wie eine Maschine nach dem Maß von so und so viel Pferdekraft konstruiert ist, so ist diese ganze vielgestaltige Maschine konstruiert nach dem Grundmaß der Manneskraft, die ganz zur Verfügung gestellt werden kann, an die von anderer Seite her keine oder doch nur geringe Ansprüche erhoben werden. Man kann in diesem ungeheuer verzweigten Betriebe kein Rad brauchen, das nur den halben Tag laufen will, keinen Treibriemen von weniger ausdauernder Beschaffenheit. Man kann die Frau nur nach den Maßen der Manneskraft beschäftigen oder gar nicht. Wenigstens ist das bis jetzt noch im großen und ganzen der vorherrschende Zustand, der um so schwerer wiegt, als die Industrie ja gerade diejenigen Frauen aufsaugt, die hauswirtschaftlich durch alle die Errungenschaften der modernen Technik noch am wenigsten entlastet sind. Man darf vielleicht mit Recht sagen, daß die ersten Generationen der modernen Fabrikarbeiterinnen die belastetsten Geschöpfe gewesen sind, die die Kulturgeschichte gekannt hat.
Die Einstellung des Mechanismus unserer großen Wirtschaftskreise auf die Leistungen des Mannes hat noch eine andere Seite. Man verlangt nämlich von der Frau nicht nur dem Kraftmaß nach männliche Leistungen, sondern man kennt auch für die Qualität, für die Art ihrer Leistungen keinen eignen Maßstab. Und so bezeichnete das Wort von der »mißbrauchten Frauenkraft«, das Ellen Key geprägt hat, in der Tat eine schmerzliche Wahrheit. Eine in mehr als einer Hinsicht schmerzliche Wahrheit, denn einerseits wird die Unvereinbarkeit der frauenhaft mütterlichen Aufgaben mit den im Beruf an die Frau herantretenden um so größer, je ferner dieses Berufsgebiet der Welt ihrer natürlichen Interessen, ihres weiblichen Empfindens liegt. Dann aber auch kann die Frau gerade dadurch, daß man sie mechanisch und schematisch in den Betrieb der Männerarbeit einstellte, zur Konkurrentin werden. Noch ist die Möglichkeit für differenzierte, aus ihrer Frauenart hervorgehende Arbeitsleistungen auf dem Berufsgebiet der Frau sehr gering.
Zu all diesen Konflikten, die das Anwachsen der großen Wirtschaftskreise im Verhältnis zu dem kleinen der Familie für die Frau gebracht hat, kommt nun allerdings erschwerend der Kapitalismus. Halten wir es fest: das eigentlich konstitutive Element der Frauenfrage ist der Kapitalismus nicht. Das ist vielmehr die technische Entwicklung an sich, auch abgesehen von ihrer geldwirtschaftlichen Seite. Die Probleme, die wir bisher erörterten und die alle aus der sachlichen Unvereinbarkeit der beiden Kreise und ihrer Anforderungen im Leben der Frau hervorgehen, würden weiter bestehen, auch bei Ablösung des Privatkapitals durch Kollektivierung der Produktionsmittel. Die mechanische Gesetzmäßigkeit in dem volkswirtschaftlichen Kreise würde dadurch keineswegs biegsamer, und es würden nach wie vor die Umstände bestehen bleiben, deretwegen die beiden Systeme unmöglich aufeinander Rücksicht nehmen und einander angepaßt werden können. Produktionsinteresse und Familieninteresse würden nach wie vor im Leben der Frau in Konflikt geraten.
Trotz alledem aber ist es natürlich zuzugeben, daß der Kapitalismus den Konflikt verschärft. Und zwar vor allem nach zwei Seiten hin. Er verschärft die bürgerliche Frauenfrage durch seine Wirkung auf die wirtschaftliche Lage des Mittelstandes. Darauf hat Robert Wilbrandt in seinem kleinen Buch »Die Frauenarbeit ein Problem des Kapitalismus« (B. G. Teubner, Leipzig) ganz richtig hingewiesen. Der Kapitalismus hat, indem er in den höchsten Schichten die großen Vermögen geschaffen hat, es dem gebildeten Mittelstand schwer gemacht, mitzukommen. Es werden ihm Lebensansprüche aufgezwungen, denen er mit seinen wirtschaftlichen Mitteln nicht gewachsen ist. Wer mit den Lebensschicksalen von Lehrerinnen bekannt ist, der weiß, daß hier sehr vielfach die Notwendigkeit für die Tochter, einen Beruf zu ergreifen, damit zusammenhängt, daß für die sogenannten Standespflichten der Söhne zu viel ausgegeben werden muß. Andererseits verringern eben diese an den Mittelstand gestellten Ansprüche die Heiratschancen für die Töchter dieser Kreise. Sie kommen als Heiratskandidatinnen für die Söhne ihrer eigenen Schicht unter solchen Umständen oft nicht in Betracht. Die müssen eben versuchen, sich durch eine reiche Frau die notwendige Grundlage für den Lebensstil zu verschaffen, der von ihnen verlangt wird. Diese repräsentativen Standespflichten haben allerdings nach dem Kriege einen heilsamen Stoß bekommen. Andererseits aber hat sich die Lage dieses gebildeten Mittelstandes doch auch so verschlechtert, daß das Frauenproblem dieser Schicht sich eher noch verschärft hat.
Nach einer anderen Seite hin leidet die erwerbstätige Frau im Beruf unter dem Kapitalismus. Durch den Kapitalismus sind die Bedingungen der Selbstbehauptung im wirtschaftlichen Kampfe so beeinflußt, daß nur der organisierte Arbeiter diesen Kampf mit Erfolg auszukämpfen imstande ist. Die geringere Fähigkeit der Frau zu dieser wirtschaftlichen Selbstbehauptung setzt sich ganz mechanisch um in geringere Löhne, die ihre wirtschaftliche Lage niedrig halten und die Frau unter Umständen zu einem dem Kapitalismus willkommenen Ersatz für die kostspielige Männerkraft machen.
So glauben wir die Frauenfrage, soweit sie eine wirtschaftliche Frage ist, im wesentlichen gekennzeichnet zu haben. Sie umfaßt eine Reihe von Unterproblemen, die noch im einzelnen zu erörtern sind. Im wesentlichen nämlich die folgenden vier Unterprobleme:
Ehe wir in die Erörterung dieser vier Hauptfragen eintreten, haben wir aber die geistige Seite der Frauenfrage, die geistigen Triebkräfte der Frauenbewegung zu erörtern, weil auch von hier aus uns diese vier Fragen entgegentreten, und weil ihre Lösung von hier aus in entscheidender Weise beeinflußt wird.