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Erster Teil

Frau Geheimrat Reinhart an Aenne Hoffmann.

Wertes Fräulein!

Ich habe bisher stillschweigend die Beziehungen zwischen Ihnen und meinem Sohne geduldet. Indessen scheint es mir jetzt, wo mit bestandenem Referendarexamen die Studentenzeit hinter ihm liegt, – deren Freiheiten und Torheiten ich mehr wohl als sonst eine Mutter Rechnung getragen habe – an der Zeit, dass Sie sich trennen.

Aus eben diesem Grunde habe ich meinen Sohn gebeten, auf die in solchem Fall übliche Aussprache – die sogenannte letzte Begegnung – zu verzichten. Und zwar in Ihrem Namen.

Ich durfte das, da ich weiss, dass wir uns in dem Wunsche, ihm einen notwendigen Schritt nicht unnütz zu erschweren, begegnen.

Mit gleicher Post sende ich Ihnen einen Scheck über zehntausend Mark. – Wenn Sie früher oder später einmal vor eine für Ihr Leben wichtige Entscheidung gestellt sind: möglich, dass dieser Rückhalt Ihnen dann erlaubt, neben Ihrer Vernunft auch Ihr Herz zu befragen. Und gern will ich wünschen, dass Sie dann das Richtige treffen.

Mit bester Begrüssung
Frau Geheimrat Julie Reinhart.

 

Aenne Hoffmann an Frau Geheimrat Reinhart.

Gnädige Frau!

Sie reissen mich aus allen Himmeln. Ich erhalte eben während meiner Tischzeit Ihre Zeilen, die alles in mir durcheinanderwerfen. Ich bin ganz ratlos, hilflos, verzweifelt. Ich weiss ja nichts, ich verstehe ja nichts; aber ich fühle, dass das nicht geht. Nicht heut und nicht morgen, und überhaupt nicht. Bei mir nicht und auch nicht bei ihm. Sie wissen ja nicht, wie lieb wir uns haben! Das kann ja nur so ein Gedanke von Ihnen sein. Denn unsere Liebe, die hat ja nichts mit der Studentenzeit und dem Examen zu tun und mit all dem, was Sie sonst noch schreiben. Die ist eben da! Gott weiss, wieso. Ich nicht. Und ich darf auch gar nicht daran denken, dass es jemals anders kommen könnte! Ich wüsste nicht, was sonst geschähe. Also bitte! Bitte! Nichts mehr von einer Trennung! Und den Scheck lege ich wieder bei. Ich denk mir, das war nur so eine Versuchung. Aber ich brauche kein Geld, solange ich gesund bin, solange ich arbeite und – das gehört natürlich dazu – solange der Peter mich lieb hat.

Hochachtungsvoll
Aenne Hoffmann.

 

Frau Geheimrat Reinhart an Aenne Hoffmann.

Mein wertes Fräulein!

Wollte ich Ihnen die Gründe nennen, aus denen ich Ihrem: »es geht nicht!« mit aller Bestimmtheit ein: »es muss gehen!« entgegensetze, so hiesse das, Ihnen eine Schilderung von der Verschiedenheit der Welten geben, in der Sie und wir nun einmal leben.

Dass diese Verschiedenheit besteht, kann man bedauern, aber man kann es ebenso wenig leugnen wie ändern.

Die Welt geht ihren Gang – und wir müssen ihn mitgehen. Das mag manchmal nicht leicht sein. Aber sich widersetzen, heisst: zu Schaden kommen. Was Ihnen jetzt geschieht und was ich von Ihnen fordre, ist nichts Ungewöhnliches und nichts Unerhörtes, fast möchte ich sagen: es ist etwas Alltägliches.

Daran ändert nichts, dass es jeder, dem es just passiert, als ein grosses Unglück empfindet – und ein noch grösseres Unrecht.

Erfragen Sie unter Ihren Kolleginnen, soweit sie nicht gar zu jung oder gar zu hässlich sind, ob sie nicht alle einmal diesen ersten Schmerz ertragen mussten und – wie sie ihn ertragen haben. Denn so viel ersehe ich bereits aus Ihren wenigen Zeilen, dass Sie nicht weltfremd genug sind, um zu glauben, mein Sohn, dem bei seiner Begabung und seinem Namen, den ihm sein in Gott ruhender Vater hinterlassen hat, und den in Ehren zu halten seine erste Pflicht ist, die Welt offen steht, könnte jemals daran denken – ja, ich will nicht ein Gespenst an die Wand malen, dessen ganze Widersinnigkeit so augenfällig ist, dass sich bei dem blossen Gedanken meine Feder sträubt.

Also, mein liebes Fräulein, nehmen Sie Vernunft an, statt sich im Ueberschwange Ihrer Gefühle jeder verständigen Erwägung zu verschliessen. Was sich heute vielleicht in einem grossen Schmerze äussert, dann aber als liebe Erinnerung, die man nicht einmal missen möchte, fortlebt, würde in zwei Jahren wahrscheinlich Ihren Zusammenbruch bedeuten.

Mir liegt als Mutter vor allem daran, von meinem Sohne alles, was die Heiterkeit seines von Natur aus frohen Gemütes trüben könnte, so lange wie irgend möglich fern zu halten.

Sie haben es also in der Hand, ihm einen notwendigen Schritt zu erschweren oder zu erleichtern. Ich weiss, dass stumm entsagen, grosse Liebe voraussetzt. Aber da ich keinen Grund habe, an der Aufrichtigkeit Ihrer Gefühle zu zweifeln, so weiss ich auch, wie Sie sich nun entscheiden werden.

Ich versichere Sie meiner aufrichtigen und jederzeit bereitwilligen Gesinnung und bin mit freundlichen Grüssen Ihre ergebene

Julie Reinhart.

 

Aenne Hoffmann an Frau Geheimrat Reinhart.

Gnädige Frau!

Ich sitze vor Ihrem Briefe und weiss mir nicht zu helfen. Ich möchte ja gewiss alles Gute tun, um ihm zu nützen. Aber was Sie wollen, das kann nicht gut sein. Ich will die Welt nicht ändern; und auch die Menschen nicht. Es soll nur alles so bleiben, wie es ist – und was weiter kommt, das wollen wir ruhig der Zukunft überlassen.

Ich habe die Sprache nicht in der Gewalt wie Sie, und mir fehlt ja auch die Erfahrung, aber das sagt mir doch mein Verstand: wenn Peter so dächte, wie Sie, dann wäre es gewiss nicht nötig, dass Sie mir viele gute Worte geben. – Aber Peter denkt anders! Das weiss ich! Peter denkt wie ich!

Also nochmals: ich kann nicht! Und bitte, quälen Sie mich nun nicht länger. Ich bin schon halbtot und kann meine Erregung vor meinen Eltern kaum noch verbergen.

Hochachtungsvoll
Aenne Hoffmann.

 

Frau Geheimrat Reinhart an Aenne Hoffmann.

Wertes Fräulein!

Statt wie ein vernünftiger Mensch zu erwägen, zu prüfen und zu entscheiden, flattern Sie wie ein gescheuchter Schmetterling schreckhaft auf. Ich fürchte sehr, Sie werden sich, wenn Sie mir nun nicht bald folgen, die Flügel verbrennen!

Ich würde es sehr bedauern, wenn Sie mich durch weiteren Widerstand zwängen, die Vermittelung Ihrer gewiss ahnungslosen Eltern in Anspruch zu nehmen.

Dies ist mein letzter Versuch. Eine weitere Korrespondenz wäre zwecklos. Ich füge auch den Scheck wieder bei und begrüsse Sie bestens.

Frau Geheimrat Reinhart.

 

Telegramm Aenne Hoffmanns an Peter Reinhart.

Dr. Peter Reinhart. 7 Montague Square. Edinburgh. Denke, Deine Mama schreibt mir, dass mich von Dir trennen soll. Bin völlig hilflos und verzweifelt; drahte, dass fühlst wie ich, dass Trennung unmöglich. Ganz Deine Aenne.

 

Aenne Hoffmann an Frau Geheimrat Reinhart.

Gnädige Frau!

Ich wusste mir in meiner grossen Not nicht anders zu helfen und habe an Peter nach Schottland telegraphiert. Und Peter hat geantwortet: »Sei standhaft! Ich halte zu Dir!«

Sie sehen also, wie recht ich hatte! Ich wusste es ja! Es wäre auch furchtbar, wenn es anders wäre.

Darum dürfen Sie aber nicht etwa denken, dass Peter Sie nicht lieb hat. Ich weiss, wie er an Ihnen hängt. Und wenn er jetzt auch zu mir hält – lieb hat er Sie darum doch. Ich liebe ja meine Eltern auch und könnte doch ohne den Peter nicht leben.

Und nicht wahr, nun quälen Sie mich nicht mehr. Sie werden ja auch fühlen, dass es für Peter gut ist, wenn alles so bleibt, wie es ist.

Ich bin schon ganz krank von all den Aufregungen der letzten Tage. Wenn doch Peter erst wieder da wäre!

Hochachtungsvoll
Aenne Hoffmann.

In grosser Eile! Daher nur dies! Und dies so flüchtig! Es ist mittags, und ich muss ins Bureau!

 

Frau Geheimrat Reinhart an Frau Hoffmann.

Werte Frau Hoffmann!

Es tut mir leid, Sie mit diesen Zeilen bekümmern zu müssen; aber meine Versuche, Ihnen den Kummer zu ersparen, sind an dem Eigensinn Ihrer Tochter gescheitert.

Ich weiss nicht, ob es Ihnen bekannt ist, dass Ihr Kind seit einer Reihe von Jahren zu meinem Sohne Beziehungen unterhält, deren Charakter mir natürlich unbekannt ist. Es liegt mir daher fern, etwa der Ehre Ihrer Tochter zu nahe zu treten.

Jedenfalls musste sie sich bei der Verschiedenheit ihres Bildungsgrades und ihrer sozialen Stellung von vornherein klar darüber sein, dass diese – nun, nennen wir es einmal Freundschaft, eines Tages ihr Ende finden würde. Wie derartige Beziehungen denn überhaupt wegen der Schwere der Trennung nicht über Jahre hinaus bestehen sollten.

Und da mein Sohn mit Bestehen der ersten staatlichen Prüfung – nicht mehr wie bisher entschuldigt durch seine Jugend – die volle Verantwortung für alle seine Handlungen trägt, so darf er auch nicht mehr in das Schicksal eines Menschen eingreifen, dessen Leben von Natur aus eine andere Richtung geht als das seine.

Aus diesem Grunde liegt es im Interesse unserer beiden Kinder, dass sie ihre Beziehungen, gleichviel welcher Art sie waren, abbrechen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie in diesem Sinne auf Ihre Tochter einwirken; ihr jede weitere, auch schriftliche, Verbindung mit meinem Sohne verbieten und dafür sorgen, dass auch jeder Versuch meines Sohnes, sich ihr wieder zu nähern, an Ihrer strengen Aufsicht und dem festen Willen, einen Verkehr nicht mehr zu dulden, scheitert.

Die kleine Summe, die ich in einem Scheck beilege, ist dafür bestimmt, Ihrer Tochter, der wir alles Gute wünschen, das Fortkommen zu erleichtern.

Hochachtungsvoll
Frau Geheimrat Reinhart.

 

Frau Hoffmann an Frau Geheimrat Reinhart.

Sehr gnädige Frau Geheimrat!

Es ist der reine glückliche Zufall, dass Ihr Brief kam, als mein Mann fort war. Denn so schlimm alles schon ist, vor dem Schlimmsten blieb mein Kind wenigstens bewahrt. Wir haben nur das eine, und sie hat uns nie Sorge gemacht, war immer ordentlich und fleissig und verdient jetzt 180 Mark im Monat. Dass sie den Peter liebt, wusste ich – aber um Himmelswillen, wenn mein Mann das erfährt, dass sein Kind – und dass ich darum weiss! – Aber sehen Sie, immer nur arbeiten – die halben Nächte hat sie gesessen, als sie auf der Handelsakademie war und hat nebenbei verdient, um uns nicht zur Last zu fallen. – Und wie dann das mit dem Herrn Peter anfing, das hat sie mir alles erzählt – wie sie sich kennen lernten bei dem Stenographenkursus und wie er sie dann bat, zusammen zu arbeiten. Na, und wie das dann eben so kommt! Sehen Sie, da haben sich die jungen Leute denn liebgewonnen – sie sagt's ja selbst, und ich weiss es auch. Aber schelten kann ich sie darum nicht. Mein Gott, sie wollen ja nichts voneinander als das bisschen Liebe – soll ich ihr das auch noch nehmen? Darf ich das? Bei Ihnen reichen Leuten mag das wohl anders sein. Aber ich denk mir immer, da mein Kind ihn doch so liebt, wird er doch wohl auch etwas taugen und mein Kind nicht unglücklich machen. Sehen Sie! Das ist es! Nicht unglücklich machen soll er mein Kind! Sie werden es vielleicht nicht begreifen und schlecht von mir denken, aber sehen Sie, ich bin Ihrem Sohn sogar gut, weil er mein Kind glücklich macht. Und um das bisschen Glück dreht sich ja am Ende das Ganze.

Und darum lassen Sie die beiden nur ruhig beieinander. Das kommt nachher doch alles so, wie's kommen soll. Und bessern tut man selten etwas, wenn man Schicksal spielt …Ich bin alle Tage froh, wenn ich mein Kind glücklich seh! und hätt' nicht den Mut, etwas daran zu ändern.

Das Geld will ich vorläufig gern verwahren. Und wenn es doch einmal anders kommt, als ich es mir so denke, dann will ich es Ihnen zurückgeben.

So! Und nun habe ich mir alles vom Herzen geschrieben. Nun will ich schnell wieder zu meinem Kinde, das über Ihren Brief so unglücklich ist, dass sie heute nachmittag im Bureau fehlen musste. Das erstemal in viereinhalb Jahren.

In Hochachtung
Frau Mathilde Hoffmann.

 

Aenne Hoffmann an Dr. Peter Reinhart.

Mein Peter!

Mir ist, als wenn ich durch die Zeilen Deiner Mutter urplötzlich ein anderer Mensch geworden wäre. Ich habe ja nie daran gedacht, dass so etwas kommen könnte. Ich habe überhaupt nie über uns nachgedacht – und das war wohl ein Fehler! Aber Du liesst es ja nie dazu kommen, und hattest am Ende auch recht. Denn sollten wir uns die wenigen Stunden, die mir von der Arbeit, Dir von Deinen gesellschaftlichen Pflichten blieben, auch noch kürzen und uns gegenseitig das Herz schwer machen?

Die Zeit reichte ja kaum aus für das, was wir uns so zu sagen hatten! Aber wenn ich dann nachher allein war, dann fielen mir oft tausend Dinge ein, über die ich mit Dir sprechen wollte. Wie oft nahm ich's mir vor! Und wie fest! Aber wenn wir dann zusammensassen, war alles weggeflogen. Und doch soll man gewiss gerade, wenn man im Glück ist, an die Zukunft denken. Ich spreche nicht von meiner – du lieber Gott, was liegt an der! – Ich meine Deine! Und so ist es denn gekommen, dass wir uns, ohne zu denken, in das Gefühl hineingewöhnt haben, unsere Gemeinsamkeit sei etwas für unser Leben ebenso Selbstverständliches wie Notwendiges. Und davon werden wir nun nie mehr loskommen.

Das ist alles, was ich über uns weiss. Und wenn ich jemandem Rechenschaft darüber geben sollte, wie es möglich war, dass es dahin kam – ich wüsste nicht, was ich ihm sagen sollte. Mir selbst gegenüber – wenn ich zurückdenke – weiss ich nicht einmal, wie ich's erklären soll. Dabei war ich doch kein Kind mehr und wusste, was ich tat, als ich Dir schliesslich in allem folgte.

Aber ich denk mir, Peter, wo wir mit unserer Vernunft unseren Gefühlen nicht beikommen können und uns selbst nicht denken können, warum es so ist, wie sollen da Dritte dazu imstande sein? Fernstehende, die ja nicht einmal ahnen, wie es in uns aussieht.

Ja sag, Peter, kann man gegen das, was uns verbindet und was von unserem Willen doch sicherlich unabhängig ist, was einfach da ist und sicher von Anbeginn an in uns war, und was darum nicht zu sein aufhört, weil wir oder Dritte es wünschen – kann man dagegen überhaupt mit Vernunft ankämpfen??

Etwa: man wäre der Meinung, das Grün der Bäume passe nicht zu dem Blau des Himmels; und bewiese das so, dass jeder Vernünftige sich der Beweisführung beugte. Etwas an sich doch durchaus Denkbares! – Dennoch würden der Himmel blau und die Bäume grün bleiben. Denn die Gesetze, denen sie unterworfen sind, liegen weit ab aller menschlichen Vernunft.

Genau so denke ich mir, ist es mit dem, was uns miteinander verbindet. Und diese Gewissheit ist es, Peter, die mir jetzt nach den Erregungen der ersten Tage meine Ruhe gibt. Ich habe über uns nachgedacht – zu meiner Schande gesteh ich's: zum ersten Male! – und bin zu dieser Erkenntnis gekommen, die mich ganz ruhig und glücklich macht.

In Liebe
Aenne.

 

Dr. Peter Reinhart an Aenne Hoffmann.

Gute Aenne!

Meinem Telegramm lasse ich schnell noch ein paar Zeilen folgen, da es mich quält, Dich in Unruhe zu wissen.

Schon dass Mama, um uns zu trennen, eine Zeit wählt, zu der ich fort und beinahe unerreichbar bin, muss Dir sagen, dass ihr Vorgehen ohne mein Wissen erfolgt. Denn es entspräche nicht meiner Art, selbst nicht in den unbequemsten Lagen, mich in Dingen, die mich angehen, hinter Dritte zu verstecken. Also!!

Und noch ein Weiteres bedenke: Was uns zusammenhält, ist weder die Folge von Vernunft und Berechnung, die Ehen stiftet, noch die Folge von Bequemlichkeit und Gewohnheit, die Ehen erhält – es ist einfach ein Gefühl des Zusammengehörens, es ist einfach Liebe, und damit basta!

So! Und nun sei vergnügt und freue Dich Deines Lebens, wie ich es tue!

Kuss
Peter.

 

Frau Geheimrat Reinhart an ihren Sohn.

Mein lieber Junge!

Ich habe gar nichts dagegen, wenn Du Deinen dortigen Aufenthalt noch weiter ausdehnst. Es kann nach der anstrengenden Examensarbeit gar nichts Besseres für Dich geben, als einmal ein paar Wochen geistig völlig auszuspannen, gehörig Sport zu treiben und möglichst viel in frischer Luft zu sein. Der Ansicht ist auch unser Sanitätsrat. Und da Du das alles nirgends so beieinander findest wie dort, so wäre es töricht, kehrtest Du auch nur einen Tag früher als nötig nach Berlin zurück.

Von Rücksicht auf mich darfst Du nicht sprechen. Du kennst Deine Schwestern, die mich, während Du fort bist, mehr noch als sonst mit Liebe umgeben und dafür sorgen, dass ich, fast möchte ich sagen, nicht eine Stunde lang allein bin. Im Gegenteil: jeden Morgen, wenn ich erwache – und Du weisst ja, dass meine ersten Gedanken, auch wenn Du hier bist, stets Dir gelten, mein lieber, bester, einziger Junge! – bin ich glücklich in dem Gefühl, Dich dort zu wissen, wo Du bei so lieben Verwandten ganz nur Deiner Gesundheit lebst. Aus allen diesen Gründen bitt ich Dich: bleibe!

Ich begreife bei Deiner Passion für allen Sport vollkommen, dass Du Dich dort glücklich fühlst. Dass Du ausser allem andern noch die seltene Gelegenheit hast, bei anerkannt guten Spielern Golf zu erlernen, was längst Dein Wunsch war, kann nur ein Grund mehr sein, Dich zum Bleiben zu bestimmen.

Ich habe bereits die Anlegung eines Golfplatzes auf unserer Wannseeer Besitzung angeordnet, und Du kannst Deine Vettern und mit wem Du sonst dort noch Freundschaft schliesst, auffordern, einen Teil des Sommers bei uns zu verbringen.

Du siehst, dass es mir Freude macht, Dir Dein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Ich erwarte dagegen von dir nichts weiter, als dass Du Deine Pflicht tust. Ich weiss, dass ich darin im Sinne Deines in Gott ruhenden Vaters handle. Seine ganze Hoffnung warst Du; und immer wieder muss ich Dir seine letzten Worte in Erinnerung rufen: »Unseren Jungen musst Du nun glücklich machen. Vor allem sei nicht ehrgeizig mit ihm! Er braucht nicht der Erste zu sein und sich nicht hervorzutun. Sorge, dass er gesund und ordentlich ist und sein Leben geniesst.«

Sage, ob ich nicht immer danach gehandelt habe? Und nicht wahr, wir haben uns mehr als einmal in die Hand gelobt: in seinem Sinne weiterzuleben.

Ich weiss daher auch, dass es nur dieses Anstosses bedarf, um Dich zu bestimmen, Deine Beziehungen zu der kleinen Sekretärin, die mir natürlich nicht entgangen sind, abzubrechen. Denn als ordentlicher Mensch ist es vor allem Deine Pflicht, keines anderen Menschen Unglück zu verschulden. Du wirst aber zugeben, dass dies Mädchen noch länger an Dich fesseln, als dies leider schon der Fall ist, die an sich grosse Gefahr, sie unglücklich zu machen, vergrössern heisst.

Meine Versuche, Dir das immerhin Peinliche einer Trennung zu ersparen, sind an der Verliebtheit des Mädchens und der völligen Ahnungslosigkeit ihrer Mutter gescheitert. Diese Leute tun gerade so, als ob überhaupt keine sozialen Unterschiede existieren, und möchten Dich am liebsten zeit Deines Lebens mit Beschlag belegen. Aber gerade diese Harmlosigkeit erschwert den an sich so einfachen Vorgang. Ich habe die Leute nun glücklich so weit, dass sie als Schmerzensgeld zehntausend Mark von mir genommen haben. Es scheint aber, als ob Du dem Mädchen mehr als nötig den Kopf verdreht hast. Ich finde das nicht recht, mein Junge, denn man soll in keinem Menschen Hoffnungen erwecken, von denen man weiss, dass man sie nicht erfüllen kann. Immerhin bin ich bereit, wenn es Dich beruhigt, ein übriges zu tun, und ihr, respektive der Mutter noch ein paar tausend Mark zu senden.

Von Dir erwarte ich nunmehr ein paar für das Mädchen bestimmte Zeilen, in denen Du Deiner jetzigen Position wegen von ihr Abschied nimmst – nicht zu elegisch bitte, sie verträgt das nicht – und ihr alles Gute für die Zukunft wünschst.

Damit ist dann diese Episode, um die ich mich nur ungern gekümmert habe, hoffentlich erledigt, und Du wirst von nun an in diesen Dingen etwas vorsichtiger sein. Denn Du bist jetzt in einem Alter, das Frauen, für die Du Interesse zeigst, an eine Ehe zu glauben berechtigt. Darauf musst Du nun auch in der Wahl Deines Verkehrs Rücksicht nehmen und nur mit Leuten Umgang pflegen, von denen Du weisst, dass auch ich sie in meinem Hause empfangen würde.

Dir steht jedes Haus offen. Du kannst dank dem Namen und dem Vermögen, die Dir Dein Vater hinterlassen hat, und dank Deiner Persönlichkeit die höchsten Anforderungen stellen. Und es wird das Glück meines Alters sein, Dich an der Seite einer Dir würdigen Frau zu wissen, die auch ich lieben kann.

In treuer Liebe
Deine Mutter.

 

Dr. Peter Reinhart an seine Mutter.

Liebe Mama!

Auf Deine soeben empfangenen Zeilen schnell ein Wort der Erwiderung. Ich bitte Dich, mir zu glauben, dass mir Vaters letzte Worte soviel gelten wie Dir. Aber ich kann sie nur mit meinem Herzen und meinem Verstande fassen und nicht durch das Herz und den Verstand eines Dritten: selbst dann nicht, wenn dieser Dritte meine Mutter ist.

Dein Wunsch, mich von diesem Mädchen zu trennen, aber hiesse: Vaters letzten Willen ins Gegenteil kehren. Denn ich würde damit, um mich Deiner Worte zu bedienen, bewusst das Unglück eines Menschen verschulden; nach Vaters, Deiner und meiner Ansicht also aufhören, ein anständiger Mensch zu sein. Dass das Dein Wille nicht ist, weiss ich.

Du begreifst, dass mir heute die Stimmung und Ruhe fehlten, um auf den sonstigen Inhalt Deiner Zeilen einzugehen. Daher nur herzliche Grüsse!

In Liebe
Dein Peter.

 

Frau Geheimrat Reinhart an ihre Schwägerin in Edinburgh.

Meine liebe Therese!

Jeder Brief meines Sohnes zeigt mir aufs neue, wie dankbar ich Euch für die Art sein muss, in der Ihr meinen Jungen auch diesmal wieder bei Euch aufgenommen habt.

Mehr als einmal habe ich mir in den letzten Jahren gesagt, dass Ihr wohl recht hattet, als Ihr mir beim Tode meines Mannes rietet, Euch den Jungen auf ein paar Jahre zu überlassen, der gerade in seinem damaligen Alter, mehr noch als die Liebe der Mutter, die Freundschaft eines Vaters brauchte.

Denn eine Freundschaft zwischen Mutter und Sohn ist in dem Augenblick gefährdet, wo der Junge aufhört, Kind zu sein. Und ist man erst mal in einer für die Weiterentwickelung wichtigen Frage als Freund und Berater ausgeschaltet, dann hat man bald auch jeden inneren Zusammenhang mit seinem Kinde verloren, das gerade im ersten Stadium der Reife, in der es alles unter dem oft ganz unbewussten Einfluss des Geschlechts betrachtet, so sehr der Leitung eines väterlichen Freundes bedarf.

Aber welche Mutter trennt sich wohl ohne Not von ihrem Kinde. Und wenn auch nur auf Jahre. Noch dazu zu einer Zeit, zu der sie, wie ich, eben ihr Bestes verloren hatte.

Heute bereu ich es und wünschte, ich hätte mehr an den Jungen, weniger an mich gedacht.

Bitte lies, was mir der Junge auf meine Bitte, sein Verhältnis zu einer kleinen Sekretärin zu lösen, antwortet. Muss einem da nicht der Verstand stille stehen? Das einfachste wäre natürlich, diesem unwürdigen Zustande kurzerhand ein Ende zu machen. Aber Du kennst die Empfindsamkeit Peters und weisst, wie sehr er zu Exzentrizitäten neigt. Damit muss ich in diesem Falle, der so deutlich zeigt, wie unreif er noch ist, ganz besonders rechnen. Zumal es letzten Endes ja auch hier nur wieder seine grosse Güte ist, die ihn Pflichten sehen lässt, wo keine sind. Darum will ich versuchen, der Sache ein Ende zu machen, ohne ihm weh zu tun. Dass es für mich natürlich nur noch eine Pflicht gibt, ihn so schnell wie möglich von diesem Mädchen zu trennen, brauche ich Dir, die Du selbst Mutter zweier blühender Söhne bist, nicht zu sagen.

Du kannst mir nun – und darum dieser lange Brief – dabei von Nutzen sein. Einmal dadurch, dass Du Peter so lange wie irgend möglich bei Euch hältst. Das wird nach seinen begeisterten Briefen zu urteilen nicht allzu schwer fallen. Dann aber, indem Du ihn vielleicht mit Hilfe Deiner Söhne für andere Frauen zu interessieren suchst. Sprecht ihm von seiner grossen Zukunft, von dem Namen, den ihm sein Vater hinterlassen hat, erfindet Fälle, wo junge Leute sich zu fest an ihre Verhältnisse attachierten, nicht mehr loskamen, sie zu ihren Frauen machten und unglücklich wurden. Ich meine, dass er dann von dieser Caprice lassen wird. Möglich aus freier Entschliessung und ohne Emotionen, die in dem Augenblick, in dem ich mich an den Vater des jungen Mädchens wende, wahrscheinlich unvermeidlich wären.

Ihr werdet es mir, die ich schon in Eurer Schuld stehe, hoffentlich verzeihen, wenn ich Euch, in Sorge um meinen Sohn, nun auch noch um diesen Liebesdienst bitte.

Grüsse mir meinen Bruder herzlich und sei selbst umarmt von Deiner treuen Schwägerin

Julie.

P. S. Den Brief Peters an mich, den ich ihm mit gleicher Post, und zwar bestimmter, als es mein Gefühl verlangt, beantworte, lege ich bei.

 

Frau Geheimrat Reinhart an ihren Sohn.

Mein lieber Junge!

Eine andere Mutter würde Dir auf Deine Zeilen antworten: »wähle zwischen ihr und mir!« und würde vielleicht unter Berufung auf Deinen Vater auf Dich einzuwirken suchen. Beides liegt mir fern. Denn ich kann nicht glauben, dass Du so verblendet bist, wie es nach Deinen Zeilen scheint. Nur eins, lieber Peter, verbiete ich Dir: den Namen Deines Vaters in Zusammenhang mit dieser Geschichte zu bringen, die ich, nimm es mir nicht übel – nicht anders als die groteske Verirrung eines verliebten Studenten bezeichnen und – soll sich das Bild, das ich von Dir im Herzen trage, nicht ins Gegenteil kehren – nicht ernst nehmen kann.

Du wirst von mir nicht erwarten, dass ich mich über absolut indiskutable Dinge mit Dir in einen Briefwechsel einlasse. Ich wünsche, von der ganzen Geschichte nun nichts mehr zu hören, es sei denn, dass Du mir sagst: sie ist zu Ende.

In Liebe
Deine Mutter.

 

William Wolff an Frau Geheimrat Reinhart.

Liebe Julie!

Wir haben Deinen Jungen, der sich bisher in jeder Beziehung als vollendeter Gentleman gezeigt hat, bereits so lieb gewonnen, als wenn es unser eigener wäre. Daraus wirst Du schon schliessen können, wie sehr uns Dein Brief erregt hat. Wir haben es nicht glauben wollen, dass dieser wohlerzogene, ungewöhnlich gescheite und sympathische Mensch imstande wäre, eine Geschmacklosigkeit wie diese zu begehen. Leider belehrte uns Dein Brief eines Schlechteren.

Ich habe ihm nun, wie Du es wünschtest, in diesen Tagen verschiedentlich auf den Zahn gefühlt, und wir haben mehrmals stundenlang miteinander geplaudert. – Ja, liebe Julie, es wird mir schwer, aber sagen muss ich es Dir doch, dass ich den Eindruck gewonnen habe, als wenn Dein Sohn sich auf schiefer Bahn bewegt. Er entwickelt Ansichten, die man von Söhnen unserer Kreise glücklicherweise sonst nicht zu hören bekommt. Er verwechselt, scheint mir, Christentum mit Sozialismus. Er verwirft jede Wertung des Menschen nach Geburt, Kinderstube, Erfolg und Stellung! Ihm ist die Gesinnung alles, und er legt sich sein Christentum aus, wie's ihm passt.

Es soll mich daher nicht wundern, wenn er aus seiner Aventüre mit diesem Frauenzimmer Verpflichtungen herleitet, die Dir unbequem werden, zum mindesten aber Dich eine Stange Gold kosten können.

Er macht Unterschiede, deren Feinheit verblüfft und die man in jenen Volksschichten, wenn überhaupt, dann höchstens materiell wertet. Er unterscheidet bescholtene und unbescholtene Mädchen und treibt den Wahnsinn so weit, zu behaupten, es gebe nur eine Frauenehre, und wenn ein Unterschied überhaupt existiere, dann sei es der, dass das gefallene Mädchen der Gesellschaft noch unter dem gefallenen Mädchen aus dem Volke stehe!

Du kannst Dir denken, wie verblüfft ich war. Und da ich mit meinem Urteil nicht zurückhielt und solche Ansichten für verrückt erklärte, so machte er auch noch den Versuch, mich von der Richtigkeit seiner Wahnidee zu überzeugen.

Seine Beweisführung ist für die Vorstellungen, in denen er lebt, zu charakteristisch, als dass ich sie Dir vorenthalten dürfte.

Also höre! Er sagt: Das Mädchen aus dem Volke, das als Kind schon ohne Aufsicht auf der Strasse spielt, sei, kaum erwachsen in den Betrieben, in denen es arbeitet, in ganz anderer Weise der Verführung ausgesetzt als das junge Mädchen der Gesellschaft, bei dem jeder Schritt von Mutter und Gouvernante bewacht wird.

Auch sei sich das junge Mädchen der Gesellschaft infolge seiner Erziehung und Bildung ganz anders der Tragweite seines »Falls« bewusst und vermöge daher a priori dem Verführer einen ganz anderen inneren Widerstand entgegenzusetzen als das Mädchen aus dem Volke, das schon im zarten Alter die Scheu vor Dingen verlöre, die jenes nie zu sehen bekommt.

So sei das Proletarierkind – ohne Erziehung, ohne Vorbild, ohne Aufsicht, ohne gesellschaftliche Rücksicht – ein leicht erlegbares Wild, das oft noch die Not dem Verführer geradezu in die Arme treibt. Während das junge Mädchen der Gesellschaft selbst erst mit List alle möglichen Hindernisse wegräumen müsse, nur um dem Verführer überhaupt die Möglichkeit zu schaffen, seine Kunst zu üben!

So etwa Dein Sohn!

»Aber Junge! Das Menschenmaterial ist doch ein ganz anderes!« schrie ich empört und erhielt als Antwort: »Nein! In der Stunde der Geburt sind sie alle gleich!« –

Ja, liebe Julie, bei derart verschrobenen Ansichten bekommt Dein Junge es auch fertig, die Person, die er da am Halse hat, am Ende für anständig zu erklären und sie Dir eines Tages als Schwiegertochter zu präsentieren. Nach dem, was er mir da entwickelt hat – ich habe Dir natürlich nur das Wesentlichste berichtet – halte ich das durchaus für möglich.

Da sieht man wieder mal, wie wenig man sich im gesellschaftlichen Verkehr kennen lernt. Hättest Du uns nicht die Direktiven gegeben, wir wären doch nie auf solche Dinge, die unseren Kreisen gottlob ja auch völlig fern liegen, zu sprechen gekommen.

Du, liebe Julie, wirst ja nun wissen, was Du zu tun hast. Dass Dein Sohn noch lange bei uns bleibt, glaube ich nicht. Die Welten, in denen wir leben, sind denn doch zu verschieden.

Das kann natürlich an unseren Gefühlen für Dich nichts ändern, die gleich herzlich sind und bleiben. Auch in Thereses Namen grüsst Dich in Liebe

Dein Bruder William.

 

Telegramm Frau Reinharts an ihren Sohn.

Ich fahre, da erholungsbedürftig, heute abend Ostende Plage Hotel, wo Dich bestimmt erwarte. Du fährst am besten noch heute und sorgst für gutes Logis.

Deine Mama.

 

Frau Reinhart an ihren Bruder in Edinburgh.

Lieber William!

Mein Telegramm, das ich sofort nach der Lektüre Deines Briefes an Peter sandte, hat Euch, noch vor Empfang dieser Zeilen, von der Gegenwart meines Sohnes befreit.

Ich bin die letzte, die seine Ideen billigt oder verteidigt. Aber ich weiss auch, dass die Jugend, die gern durch Leidenschaft ersetzt, was ihr an Erfahrung mangelt, sich aus überspanntem Ehrgefühl mit Vorliebe auf die Seite der Schwachen und Unterdrückten schlägt.

Dieser Zug – du nennst ihn ja wohl verrückt oder gar sozialistisch – schwindet, wie alle Illusionen der Jugend, sobald die praktische Vernunft erwacht, von selbst. Ihn zu bekämpfen ist eine Pflicht, der ich mich im Interesse meines Kindes nicht entziehen werde.

Aber ich spreche Euch, wie jedem anderen das Recht ab, daraus kränkende Schlüsse auf den Charakter meines Sohnes zu ziehen, über den ich heute wie immer schützend meine Hände breite. Ich kenne sein gutes Herz und weiss, dass er bei allem, was er tut, das Gute will. Mag er, was die Wirkung angeht, noch so oft daneben hauen und gegen das verstossen, was man heute gerade Moral nennt.

Ja, ich gestehe, dass es selbst mir nicht immer leicht fällt, ihren Gesetzen zu folgen, die – seien wir uns selbst gegenüber doch ehrlich! – längst nicht von der Ethik, sondern von der Zweckmässigkeit bestimmt werden.

Ueber das moralische Unbehagen, das die unreife, weil unzweckmässige Weltauffassung meines Sohnes bei Euch auslöst, kann ich – verzeiht mir! – daher nur lachen.

Um ein »nützliches Mitglied der Gesellschaft« aus ihm zu machen, ist es meine Pflicht, ihn zu dieser »zweckmässigen Weltauffassung« zu erziehen und – wenn es sein muss – zu zwingen. Ich werde mich dieser Pflicht nicht entziehen. Aber ich bin mir dabei jeden Augenblick bewusst, dass ich meinen Jungen damit wohl vorwärtsbringen, nicht aber bessern kann, denn durch seine Euch entwickelten Ideen – obschon ich sie mit leidenschaftlichem Eifer bekämpfen werde – habe ich meinen Jungen, den mir Gott erhalte, wenn möglich noch lieber gewonnen.

Bestens
Eure Julie.

 

William Wolff an Frau Geheimrat Reinhart.

Liebe Julie!

Wir hätten allen Grund, über Deine Zeilen und die Art von Peters Fortgang gekränkt zu sein. Wir sind es nicht! Vielmehr bedauern wir Deine Verblendung, die Dir Blick und Urteil trübt. Um so mehr als Du Dich zur Mitschuldigen machst und eine Verantwortung auf Dich lädst, an der Du noch einmal schwer tragen wirst.

Du tätest wirklich gut, Peters Angelegenheit durch Deine Schwiegersöhne erledigen zu lassen, die zum mindesten in Dingen wie diesen besser als eine Frau, die ihnen weltfremd gegenübersteht, Bescheid wissen.

Du wirst es daher hoffentlich nicht falsch auslegen, wenn wir sie von unserer Korrespondenz und den sie begleitenden Vorgängen in Kenntnis setzen. Mit der glücklichen Erledigung der leidigen Angelegenheit, an der wir keinen Augenblick zweifeln, wird auch Deine Verstimmung gegen uns schwinden, die wir nur Dein und Deines Sohnes Bestes im Auge haben.

Wir grüssen Dich herzlich
William und Therese.

 

Ilse von Zobel an Frau Geheimrat Reinhart.

Liebe Mama!

Aus Deinen verschiedenen Nachrichten, die uns unter den jetzigen Verhältnissen natürlich ganz besonders interessieren, haben wir so gut wie nichts über die Fortschritte, die Peters Angelegenheit macht, entnehmen können.

Kurt und ich hatten das günstig gedeutet und gehofft, dass Du uns bei Deiner Rückkehr vor ein fait accompli stellen würdest. Leider belehrt uns ein Brief von Onkel William, der eben eintrifft, eines Besseren. Danach scheinst Du ja mit einer Rücksicht zu verfahren, als wenn es sich um die Entlobung einer höheren Tochter handle.

Ich empfinde es zwar als durchaus unpassend, mich in die Weibergeschichten von Peter zu mischen. Ich möchte aber doch, dass Du weisst, wie sehr ich in allem der Auffassung Kurts beipflichte, mit deren Befolgung Du sicherlich in Peters Interesse handelst und Dich und uns alle vor der üblen Notwendigkeit bewahrst, uns ein zweites Mal mit so unappetitlichen Dingen zu befassen.

Tu, liebe Mama, was Kurt Dir rät und beschwere Dir nicht den Kopf durch übertriebene und deplazierte Rücksichtnahme, wo nur ein schneller Entschluss und fester Wille zum Ziele führen.

In Liebe
Deine Tochter Ilse.

 

Kurt von Zobel an Frau Geheimrat Reinhart.

Liebe Mama!

Ich begreife nicht, wie man sich bei derlei Dingen auch nur fünf Minuten lang aufhalten kann. Derartige Bagatellen habe ich als junger Mann durch Papas Kammerdiener erledigen lassen. Ein Kuvert, einen Scheck, eine Visitenkarte mit dem Ausdruck des Bedauerns, die Beziehungen aus hier nicht zu erörternden Gründen abbrechen zu müssen – und in Fällen, wo etwa das Herz engagiert war, noch gute Wünsche für ferneres Wohlergehen. Damit war's dann aber auch aus. Und wenn eine gar zu hartnäckig war, na, dann wurde man grob und drohte, wenn auch das nicht half, mit der Polizei.

Glaube mir, der ganze Witz liegt darin, die Leute zu behandeln, wie sie's gewohnt sind. Sie vertragen's nicht anders und werden anmassend, wenn man zu ihnen wie zu seinesgleichen spricht.

Ich kann mir lebhaft denken, wie diese Person die Gutmütigkeit Peters ausnutzt – und Deine dazu. Denn sie wäre nicht, was sie ist, wenn sie Deine Schwäche nicht längst erkannt hätte. Deine Korrespondenz war ein Fehler. Dadurch ist sie sich erst ihrer Wichtigkeit bewusst geworden, von der sie bis dahin keine Ahnung hatte. Denn in dem Augenblick, wo man anfängt, in Sentimentalität zu machen, ist es allemal aus. Sentimentalität ist Gift, kittet und vertieft. Und der Witz so 'm Mädel gegenüber ist doch allemal der Bluff. Eh sie so recht zur Besinnung kommt, muss sie schon beim Nächsten sein.

Du siehst also, liebe Mama, dass der Fall erst dank Deiner gemütvollen Regie etwas Tragisches bekommen hat; an sich ist er ganz harmlos. Oder war's doch wenigstens! Und damit er's wieder werde und nicht durch neue Fehler von Deiner Seite noch weiter verwickelt und erschwert wird, bitte ich Dich, mir alle weiteren Schritte zu überlassen – was an sich auch schicklicher ist.

Mit herzlichem Gruss
Dein Schwiegersohn Kurt.

 

Anschrift des Landrats Moll.

Liebe Mama!

Ich stimme in allem Kurt und Ilse bei. Meine Frau erfährt nichts, denn ich halte es für meine Pflicht, derart schmutzige Geschichten von der Mutter meiner Kinder fernzuhalten. Ich werde auch Onkel William bitten, uns künftighin mit solchen Zuschriften, mögen sie noch so gut gemeint sein, zu verschonen.

Im übrigen möchte ich Dich bitten, Dir klar zu machen, dass es mir in meiner sozialen Position einfach unmöglich ist, mich mit Peters illegitimen Beziehungen zu befassen.

Andererseits darf ich erwarten, dass Peter alles vermeidet, was seinen Namen in unliebsamer Weise in die Oeffentlichkeit bringen kann. Er ist klug genug, um sich zu sagen, dass von einem Skandal, der ihn angeht, nur zu leicht auch wir betroffen werden können. Sag ihm das und überlass im übrigen die Regelung Kurt, der sich in den Dingen besser auskennt als Du.

Herzlichen Gruss Deines Schwiegersohnes
Anton.

 

Frau Geheimrat Reinhart an Kurt von Zobel.

Lieber Kurt!

Wenn ich Euch schon das Mädchen ausliefere – meinen Jungen lasse ich Euch nicht. Aber auch das Mädchen behandelt, wenn schon nicht aus Nächstenliebe, dann doch wenigstens mit Rücksicht auf Peter so menschlich und rücksichtsvoll, wie es Euch möglich ist.

Tausendmal mögt Ihr recht haben, wenngleich ich die Beweiskraft Eurer gewiss reichen Erfahrung nicht bedingungslos gelten lasse. Denn, habt Ihr Euch auch nur ein einziges Mal die Mühe gemacht, zu ergründen, was in dem Innern so eines armen, verlassenen Mädchens in solcher Stunde vorgeht? Was da alles an Hoffnungen und Glauben zusammenbricht?

Aber lassen wir das! Denn ich fühle, ich bin zu schwach, um auf die Dauer Euch gegenüber meine Ansichten zu vertreten. Ich muss Euch das Mädchen opfern, um mir den Jungen zu erhalten.

Damit Ihr mich aber nicht falsch versteht: Peters Trennung von diesem Mädchen halte ich nach wie vor für absolut notwendig und selbstverständlich. Nur über das Wie gehen unsere Meinungen auseinander.

Mir liegt daran, dass er innerlich von dem Mädchen loskommt. Dann wird sich die äussere Trennung von selbst vollziehen. Ich will nicht, dass er einem Zwange folgt; er soll erkennen, dass der Gedanke, sich lebenslänglich an dies Mädchen zu fesseln, widersinnig ist, dass das Karriere und gesellschaftliche Position opfern hiesse. Seinen Ehrgeiz anspornen, heisst: seine Verirrung bekämpfen. Seiner Verirrung mit Zwang begegnen, heisst: seinen Widerstand festigen.

Ich habe ihn nun glücklich so weit bekommen, dass er mit einer einjährigen Prüfungszeit einverstanden ist. Er wird das Mädchen ein Jahr lang weder sehen, noch mit ihm korrespondieren, noch sonst irgendwelche Verbindung mit ihm unterhalten. Ihr habt also ein Jahr lang Zeit, und das wird Euch hoffentlich Grund sein, um schonend mit dem armen Mädchen zu verfahren.

Wie wenig ich, wenn es sich um die Zukunft meines Jungen handelt, an mich denke, könnt Ihr daraus ersehen, dass ich bereits an Onkel Max geschrieben habe, er möge via Golf die Versetzung Peters auf ein Jahr zur Regierung nach Südwest veranlassen. Ich habe den Fall sehr dringend hingestellt und erwarte jeden Tag die Nachricht seiner Berufung. Ich werde es so einrichten, dass er vorher gar nicht erst nach Berlin zurückkehrt. Seine Ausrüstung besorgen wir in London, und ich begleite ihn bis Southhampton, wo ich dann noch eine Woche bleibe. Mir ist ganz elend bei dem Gedanken, den Jungen so weit fortzugeben.

Herzliche Grüsse Euch allen von
Eurer Mutter.

 

Dr. Peter Reinhart an Aenne Hoffmann.

Aenne!

Ein hoher Familienrat hat beschlossen, unsere Liebe auf ihren Ernst, ihre Tiefe und ihre Festigkeit hin einer einjährigen Prüfung zu unterziehen.

Man gibt sich der Hoffnung hin, es werde ein Jahr genügen, um uns zu trennen! Und da meine Familie ganze Arbeit liebt, so verlangt sie ausser dieser räumlichen Trennung noch ein ehrenwörtliches Versprechen, dass wir uns während dieses Jahres weder schreiben, noch uns durch die Vermittelung eines Dritten übereinander berichten lassen.

Aenne! Ich teile Dir das nur mit, um Dich zu erheitern. Weiss ich doch, wie sehr Du den Humor liebst. Ich habe Mama, als sie mir mit dem ernstesten Gesichte von der Welt ihren Vorschlag unterbreitete, ins Gesicht gelacht. Das war ungezogen und tat mir hinterher leid. Aber ich fand den Gedanken, mit dem Mama ganz unvermittelt beim Lunch herausplatzte, so absurd, dass ich nicht an mich halten konnte. Sie blieb ganz ernst.

»Ich will jetzt keine Antwort, überleg es Dir!« sagte sie und sprach dann kein Wort mehr über die Sache. Sollte sie aber doch noch einmal davon anfangen, so werde ich ihr sagen, dass wir keine Kinder, sondern erwachsene Menschen sind, die wissen, was sie wollen.

Was sagt meine Aenne?

Herzlichst
Dein Peter.

 

Kurt von Zobel an Frau Geheimrat Reinhart.

Liebe Mama! Was brauchen wir Onkel Max' Vermittelung? Familieninterna soll man möglichst in seinen vier Wänden erledigen. Ich war eben bei Golf; Peter wird noch in dieser Woche seine Ernennung zum Regierungsreferendar in Südwest erhalten.

Ich betrachte diese Lösung, ganz abgesehen von dem damit verbundenen Zweck, für einen Glücksfall sondergleichen. Es bewerben sich jährlich Dutzende von jungen Referendaren um diesen Posten, der neben seinen dienstlichen Annehmlichkeiten als Ausgangspunkt für das höhere Kolonialamt besonders beliebt ist.

Einzig dem Zufall, dass Golf und ich alte Heidelberger Saxo-Borussen sind, dankt Peter die Ernennung, um die ihn Hunderte, die vielleicht mehr Anrecht darauf hätten, beneiden werden.

Wenn er bei seinen guten Anlagen nur halbwegs seine Pflicht tut, kann er nunmehr eine grosse Karriere machen. Er kann dem Mädel, ohne das es ja nie dahin gekommen wäre, also noch dankbar sein. Und diesen Dank werde ich damit abtragen, dass ich Deinem Wunsche gemäss bei der Trennung so rücksichtsvoll wie nur möglich verfahre.

Grüsse Peter und sag ihm, so'n Dusel war noch gar nicht! Wir werden das Ereignis heut abend bei Borchard mit Molls begiessen.

Herzlichen Gruss
Dein Kurt.

Ilse will auch noch schreiben.

Liebe Mama!

Ich gratuliere Dir herzlich und freue mich ganz besonders, dass diese für alle so glückliche Lösung durch Kurt erfolgt ist.

Wir werden alles tun, um Dich die Trennung von Peter nicht fühlen zu lassen. Denke doch an die englischen Mütter, die ihren Stolz darin sehen, ihre Söhne im Dienste fürs Vaterland »draussen« zu haben.

Peter wünsche ich alles Gute! Ein paar Kleinigkeiten, die ich ihm mit auf den Weg geben will, gehen heute ab.

Ich bin so froh, zu wissen, dass Du die dumme Sorge nun los bist. Aber Kurt hat gleich gesagt, Du nähmst das alles viel zu tragisch.

In Liebe
Deine Ilse.

 

Aenne Hoffmann an Peter Reinhart.

Peter! Die Selbstverständlichkeit und der Eifer, mit dem Du dem Vorschlag Deiner Familie entgegentrittst, beglückt mich. Denn es müsste mich kränken, unterwürfest Du Dich bedingungslos und leichten Herzens einer Forderung, die den Zweck hat, uns, wenn auch nur auf ein Jahr, zu trennen.

Noch vor vierzehn Tagen, ehe der erste Brief Deiner Mama mich traf, hätte ich in Deinen Protest und Deine Entrüstung mit eingestimmt.

Heute denke ich anders. Seit vierzehn Tagen habe ich aufgehört in allem, was uns angeht, ohne Ueberlegung nur nach dem Gefühl zu handeln. Heute denke ich weiter. Und ich beurteile die Dinge nicht mehr danach, ob sie für den Augenblick meinen Wünschen und Gefühlen entsprechen – sondern nach ihrer Wirkung auf unsere Zukunft. Und da komme ich denn nach reiflichem Erwägen zu dem Schluss, dass wir den Wunsch Deiner Familie erfüllen sollen.

Sieh! Man will unsere Liebe einer Prüfung unterziehen. So lächerlich uns das erscheint – ihnen, die nichts sonst von uns wissen, kann man es nicht einmal verdenken.

Sich dieser Prüfung widersetzen, müsste den Anschein erwecken, dass wir sie fürchten. Und auf der anderen Seite heisst, die Prüfung bestehen, jene überzeugen und ihren Widerstand brechen!

Darum dürfen wir froh über die uns gebotene Gelegenheit sein, doppelt froh, dass man unsere Liebe so niedrig einschätzt und sie einer Probe unterzieht, die eigentlich ihrer nicht würdig ist. Was bedeutet unserer Liebe, die ein Leben vor sich hat, ein Jahr? Sie vertrüge härtere Proben!

Nicht wahr, Peter, Du siehst das ein? Was da verlangt wird, geht nicht über unsere Kraft; wenn die Sehnsucht uns auch arg zausen wird – wir müssen dies Opfer, das uns manchen späteren Kampf ersparen wird, bringen. In Gedanken werden wir ja doch beieinander sein.

Deine Aenne.

 

Peter Reinhart an Aenne Hoffmann.

Meine Aenne!

Dank für Deine Zeilen! Es klingt ja gewiss alles verständig, was Du sagst; und ich will hoffen, dass die Wirklichkeit nicht anders ist! Ich werde die Zähne zusammenbeissen und glauben, dass Du stärker bist als ich.

Wenn ich das nicht wüsste und denken sollte, dass Du leidest, würde ich mich nie auf diese Probe einlassen. Ich habe Mama Deine Zeilen gezeigt. Sie war sehr ernst, und ich glaube, sie leidet selber, dass sie uns weh tun muss.

»In Gedanken werden wir ja doch beieinander sein,« schreibst Du. Ja! Das wollen wir und keinen Tag aus unserem Leben dürfen wir verlieren. Ich schicke Dir heute ein Buch mit vielen leeren Seiten! In das schreibe alles hinein, was Dich bewegt. Und wenn wir uns wiedersehen, dann gehen wir das Buch durch und erleben jeden Tag, den wir getrennt waren, noch einmal. Und wenn wir zu Ende sind, dann werden wir wissen, was wir gelitten haben. Dann werden wir hart sein gegen alles, was das Schicksal noch bringen wird. Lebe wohl! –

Hu! Wie pathetisch! Verzeihe! Aber mir ist hundeelend! Das alles kam so plötzlich und unerwartet! Aber ich will nicht schwächer sein als Du! will Dir und mir das Herz nicht schwerer machen. Das Jahr wird vergehen! Kopf hoch!

Dein Peter.

 

Frau Geheimrat Reinhart an ihre Tochter Ilse von Zobel.

Liebe Ilse!

Heute hat mir Peter das Versprechen gegeben. Für sich und seine Freundin. Und ich weiss, sie werden sich eher zu Tode grämen, ehe sie ihr Wort brechen.

Und ich frage mich immer wieder: hatte ich ein Recht dazu?

Grüsse Kurt! Sage ihm und sage ihm immer wieder, dass er milde mit ihr verfährt und dass, was er ihr tut, auf meinen Jungen zurückfällt.

In Liebe
Deine Mutter.


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