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Als Stoelping am nächsten Morgen nach Moabit fuhr, ließ er am Auswärtigen Amt sein Auto halten.
Er schickte dem Minister seine Karte mit einem kurzen Hinweis auf den Prozeß Hempel und wurde, ohne daß er warten mußte, vorgelassen.
Mit ein paar freundlichen Worten nahm der Minister der Unterredung den amtlichen Charakter.
Stoelping berichtete von der Verhaftung auf Grund des belastenden Briefwechsels, wobei er die Frage nach dem Ursprung der Briefe nicht ohne Absicht unerörtert ließ. Um so eingehender schilderte er die Psychologie seiner Beweisführung.
Und der Minister äußerte sich sehr befriedigt, versicherte ihn seines Vertrauens und stellte für den Fall, daß er die Untersuchung mit dem gleichen Takt und Erfolg zu Ende führe, seine Übernahme ins Auswärtige Amt in Aussicht.
Stoelping bekannte, daß sich sein Ehrgeiz immer in dieser Richtung bewegt habe, und daß er, ohne sich überheben zu wollen, glaube, einige Anlage für die diplomatische Karriere zu besitzen.
Dann sagte er ganz ungeniert:
»Gestatten Exzellenz mir eine rein persönliche Frage?«
»Ich bitte darum.«
»Würde eine Ehe mit einer Engländerin meiner Karriere hinderlich sein?«
Der Minister sah ihn groß an, zog die Stirn in Falten, dachte einen Augenblick nach und sagte:
»An sich nicht. Denn am Hofe Seiner Majestät ist der Großbritannische Botschafter akkreditiert; der unsere in London. Zwischen Oxford und Frankfurt besteht eine Austauschprofessur; englische und deutsche Schiffe, die sich auf den Meeren begegnen, hissen zum Gruß die Flagge, wenn« – er kniff die Augen zusammen und sah ihn scharf an –, »wenn,« sagte er noch einmal, »es unseren Schiffen nicht gelingt, rechtzeitig anderen Kurs zu nehmen.«
Eine Pause folgte. Nach einer Weile fuhr der Minister fort:
»Und in dieser Kunst, diesen anderen Kurs zu finden, sehen Sie, mein Lieber, darin liegt eben die Schwierigkeit; besonders, wenn's nur eine Straße und daher keine Möglichkeit gibt, auszuweichen.«
Stoelping verstand den Minister nur zu gut.
»Auch ich fürchte,« sagte er, ohne den Minister anzusehen, »daß es für mich kaum mehr ein Zurück gibt.«
»Ich wiederhole: wir leben mit England im Frieden, unsere Beziehungen sind normale; der diplomatische Verkehr vollzieht sich in den üblich höflichen Formen . . .«
»Ich darf demnach annehmen . . .«
»Es wäre unklug, also undiplomatisch,« fiel ihm der Minister ins Wort, »wollten wir unseren Diplomaten verbieten,« – er machte eine Pause nach diesem Worte, das er besonders betonte – »sich eine Engländerin zur Frau zu nehmen. Denken Sie, was zöge solch ein Verbot alles für Weiterungen nach sich! Die englische Regierung würde mit Recht darin einen unfreundlichen Akt erblicken; und Sie sind ein zu guter Diplomat, um nicht zu wissen, daß Höflichkeit und Unaufrichtigkeit die beiden Haupttugenden jedes Diplomaten sind.«
Stoelping, dem das alles – ging's ihm auch gegen den Strich – einleuchtete, nickte mit dem Kopf und sagte:
»Gewiß, das sehe ich ein!«
Der Minister stand auf, steckte die Hände in die Hosentaschen und ging im Zimmer umher.
»Zum Glück,« sagte er, »hat sich das Material unserer Diplomaten derart verbessert, daß ich in meinem Ressort – und das ist ja wohl der Wirkungskreis, den auch Sie sich wünschen – in den letzten fünf Jahren überhaupt kein Verbot mehr zu erlassen brauchte; denn die Herren besitzen ausnahmslos und in hohem Maße das, was sie befähigt, gute Diplomaten zu sein – nämlich Klugheit und Takt. Und sie wissen auch ohne Verbot, was sich mit ihrem Amt verträgt, was nicht.«
Stoelpings Enttäuschung, so sehr er sie zu verbergen suchte, war unverkennbar.
»Sie müssen am besten wissen, lieber Freund,« fuhr der Minister fort, »worauf Sie glauben eher verzichten zu können – ob der Ehrgeiz lauter spricht oder das Herz. Das sage ich Ihnen als Freund. Als Beamter wiederhole ich, und zwar mit aller Deutlichkeit, damit kein Mißverständnis aufkommen kann: der Ehe eines deutschen Diplomaten mit einer Engländerin steht an sich nichts im Wege. Ob im einzelnen aus Gründen, die in der Familie öder in der Person selbst liegen, Ausnahmen notwendig sind, kann natürlich nur von Fall zu Fall entschieden werden!«
Obgleich Stoelping wußte, daß das nur ein Vorwand war, so ging er doch darauf ein und sagte:
»Es handelt sich um die Tochter des bekannten Sportsmans Mr. Harrison, einen der angesehensten Kaufleute der London-City.«
»Ich kenne ihn,« erwiderte der Minister, »hat er nicht erst vor ein paar Wochen als erster Engländer seine Pferde bei uns laufen lassen?«
»Ganz richtig!« bestätigte Stoelping, »seine Stute ›Lori‹ hätte das große Jagdrennen mühelos gewonnen, wenn ich, der ich hinter ihr lag, sie nicht kurz vor dem Ziele angeritten hätte.«
»So, so!« sagte der Minister, »das ist gewiß sehr bedauerlich und verpflichtet Sie . . .«
»Das meine ich auch!« rief Stoelping so leidenschaftlich, daß der Minister ihn erstaunt ansah und fortfuhr:
»Ja, aber am Ende ließe sich ein verrittenes Rennen denn doch wohl noch auf eine andere Weise ausgleichen.«
»Wie meinen Exzellenz?« fragte Stoelping, der ihn nicht verstand.
»Ich meine, das Projekt dieser Ehe, das stützt sich doch gewiß auf gegenseitige Zuneigung – und ist nicht etwa sozusagen nur als Ausgleich für das verlorengegangene Rennen gedacht?«
»Aber nein!« fiel ihm Stoelping ins Wort, »als Genugtuung reite ich morgen im Kölner Jagdrennen für Mr. Harrison, und zwar dieselbe Stute, die ich damals um den Erfolg gebracht habe.«
»Das lasse ich mir gefallen,« erwiderte der Minister, »das ist eine faire Revanche!«
Und Stoelping freute sich, auf diese unauffällige und geschickte Art die Zustimmung des Ministers wenigstens für diesen Ritt erhalten zu haben – um so mehr, als damit auch der Widerspruch seines Vaters gebrochen war.
»Und mit der Ehe, nicht wahr, das lassen Sie sich noch einmal durch den Kopf gehen? – das paßt doch auch so ganz und gar nicht zu den Ansichten, die Sie sonst über England entwickelt haben.«
»Meine Gefühle England gegenüber bleiben darum dieselben!« versicherte Stoelping, »aber ich glaube, stark genug zu sein, um eine Frau, die ich liebhabe, meinem Empfinden so anzupassen, daß sie in allem fühlt wie ich.«
»Glauben Sie das nicht! die Rasse ist zäh, und gerade in Dingen des Gefühls grundverschieden von der unseren. Das sind Gegensätze, zu denen hinüber sich keine Brücke schlagen läßt. Weder Erziehung, noch Liebe bringen das fertig.«
»Das glaube ich schon! einfach ist das nicht,« erwiderte Stoelping.
»Wäre das anders, ich riete Ihnen nicht ab; der Karriere wegen schon gar nicht! Erst kommt der Mensch, dann sein Beruf. Und wenn man wie Sie materiell unabhängig ist, beginge man ein Verbrechen an sich selbst, wenn man einer anderen Stimme folgte als der des Herzens. Darum schalten Sie die Karriere ganz aus und prüfen Sie sich, ob nicht rein menschliche Erwägungen gegen eine solche Ehe sprechen. Ich bin der letzte, der Ihr Glück stören will. Aber denken Sie, wenn Sie eines Tages in Ihrem Sohne Eigenschaften wiederfinden, die Sie in Ihrer Frau glücklich bekämpft zu haben glauben.«
Stoelping, der durchaus anderer Ansicht war und auch in diesem Augenblick an nichts anderes als an seine Karriere dachte, stand auf und sagte:
»Exzellenz haben mich vollkommen überzeugt.«
Der Minister, der ihn für aufrichtig hielt und ihm glaubte, gab ihm die Hand und sagte:
»Das ist mir eine große Freude, wenn es mir gelungen ist, Sie zu überzeugen! – Und nun führen Sie den Prozeß zu einem guten Ende, damit ich Sie den Herren meines Ressorts bald als neuen Mitarbeiter vorstellen kann.«
Stoelping dankte, und als er die Treppen des Auswärtigen Amts hinunterstieg, hatte er das Gefühl, als wenn er schon hierher gehörte.