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Aus dem preußisch-österr. Kriege 1866.
Auf dem Marktplatze zu Neustadt an der Mettau standen mehrere Bürger beisammen und schüttelten bedenklich die Köpfe. Der Platz war seiner ganzen Ausdehnung entlang von Fußtruppen überdeckt, welche sich nicht von der Stelle rührten, indeß eine Kavallerie-Abtheilung, einem lebendigen Strome gleich sich durch die Infanterie-Reihen dahinwälzte. Alles eilte auf der Straße den Anhöhen von Hochdorf zu, woselbst dicht aufsteigende Staubwolken bereits das Vorhandensein von starken Kolonnen signalisirten.
Die genannten Bürger standen gedrängt um einen der Pfeiler herum, auf denen der Laubengang des Marktplatzes steht, in dessen Schatten sich's die Offiziere eines Jägerbataillons gemächlich machten, während das Bataillon selbst in langer dichtgedrängter Linie aufgestellt stand. Hier ruhten sie aus von dem angestrengten Eilmärsche, welcher durch volle drei Stunden gedauert hatte – denn die Straße mußte für die Wagen frei gehalten werden – und das Resultat davon war, daß sie hier bereits eine ganze Stunde lang zu warten hatten, bis die beiden Brigaden: Hertweg und Jonak in nicht enden wollendem Zuge das enge Stadtthor passirten, um dann todtmüde den Kampf mit den Preußen zu beginnen.
Die Offiziere fluchten aus vollem Halse über die Unordnung und die kopflose Taktik ihrer Führer, die nahestehenden Bürger aber hörten ihnen andächtig zu und senkten dabei traurig ihre Köpfe.
Einer aus diesen Bürgern faßte endlich den Muth, und wandte sich an die Offiziere mit den Worten:
– Ja, meine Herren Offiziere, so macht man es mit uns Allen!
– Verwundert sahen die Offiziere auf den Sprecher hin, der sich so urplötzlich in ihr Gespräch zu mischen wagte. Einige von ihnen machten ein finsteres Gesicht, andere lachten dazu, noch andere stimmten ihm bei.
– Wie meinen Sie das, mein Herr? fragte diesen der Major, welcher eine Mappe in den Händen hielt und den Bürger mit offenem Soldatenblicke musterte.
– Das ist nicht bloß meine Meinung, sondern auch die aller, welche hier an der Grenze wohnen. Das Ganze ist eben halt nicht so, wie es eigentlich sein könnte und sollte. Der erste und vorzüglichste Fehler war gleich von allem Anfang der, daß die hohen Herren ganz die Grenzen vergessen haben.
– Und was meinen Sie, was da hätt geschehen sollen? fragte der Major ungläubig lächelnd.
– Was sonst auch in den anderen Kriegen geschah, wie wir es in den alten Geschichten zu lesen bekommen. Man hätte in den Wäldern, besonders aber auf den Wegen Verhaue und Wälle errichten, an besonders wichtigen Punkten Gräben aufwerfen sollen; auch war es von Wichtigkeit, die Grenzen bereits viel früher als es geschah mit Militär zu besetzen, und nicht erst jetzt im letzten Augenblicke. Dann geht freilich alles über Hals und Kopf und eins überstürzt dann das andere.
Der Major lächelte ohne Unterlaß, doch nicht mehr in der vorigen Weise. Der Ausdruck seines Lächelns war jetzt ein bitteres, und unwillkürlich nickte er beipflichtend mit dem Kopfe.
– So z. B. meine Herren, fuhr der Alte fort, der nun mit einer Art von Selbstbewußtsein auf die Offiziere sah, deren Aufmerksamkeit nun ganz auf ihn gelenkt schien, war von unseren Soldaten kein einziger Mann bei der »Alten Pforte« (ein wichtiger Gebirgspaß) postirt, und doch ist dies einer der wichtigsten Zugänge von Preußen zu uns herüber, wo seiner Zeit schon – – –
– Aber ich bitt' Euch doch, Ihr Leute, unterbrach ein junger Hauptmann den Redner, was habt Ihr denn doch alle mit Eurer »alten Pforte«! Jeder weist nur auf diese hin, als ob von ihr das Heil der ganzen Welt abhängen würde. Dort also hätten wir den Feind erwarten und die Preußen vernichten sollen! Hätte dieser Ort, von welchem Ihr so schwärmt, auch nur die geringste strategische Bedeutung für sich, er stünde auf der Karte gewiß verzeichnet.«
– Aber aufhalten hätte man sie dort können – – – wollte der Alte erwidern, – aber der Hauptmann nahm ihm abermals das Wort:
– Der ganze Lärm um diesen gewiß ganz unbedeutenden Punkt, setzte er fort, rührt höchstwahrscheinlich nur davon her, daß sich dort einiges Gestripp und einige Steinhaufen vorfinden mögen, und Ihr kindischen Menschen glaubt, daß zur Vertheidigung und zum Schutze eines Ortes sonst weiter nichts mehr nothwendig ist. Von einem günstigen Terrain habt Ihr überhaupt keinen Begriff. So ein gewöhnlicher Mensch glaubt, daß der Wald bei einer Vertheidigung weiß Gott welchen Vortheil bietet aber niemandem fällt es ein, welch ein Nachtheil daraus entstehen kann, wenn der Feind glücklicherweise hinter die Bäume gelangt … Der ganze gepriesene Vortheil ist dann gleich – Null.
Die anderen Offiziere nickten beipflichtend dem Hauptmanne zu, und sahen dabei mitleidig lächelnd auf den Alten hin, welcher wie beschämt die Augen zu Boden schlug.
– Ueberhaupt ist in einem Walde an die Entwickelung eines ordentlichen Gefechtes gar nicht zu denken, fügte der Hauptmann noch hinzu.
– Wo liegt denn eigentlich diese »alte Pforte«? fragte nun der Major, und suchte dabei mit dem Finger auf der Stabskarte herum … aha, hier bei Doberin ist ein Platz.
– Ja, das ist er, versetzte der Alte, im Munde des Volkes unter dem Namen »alte Pforte« bekannt.
– Aber auf der Karte ist hier kein besonderer Vortheil ersichtlich gemacht, um dessen Willen man diesen Punkt eigentlich besetzen sollte, meinte der Major.
– Dafür haben es die Preußen herausgefunden, lächelte der Alte.
– Ja, sind denn die Preußen schon da? ließen sich einige Stimmen hören.
– Schon seit Mitternacht, entgegnete der Alte. Man sagt, daß sie ihre Kanonen bereits dort hinaus zum Kirchlein gebracht haben; o, von dort werden sie einen prächtigen Ueberblick auf die Umgebung haben!
Alle Anwesenden drehten ungläubig die Köpfe.
– Auf diese Art wären die Ortschaften Klen, Zerz und Schönau die Zielscheiben für ihre Kanonen?! versetzte der Major.
– Und dann liegt die schönste Ebene vor ihnen ausgebreitet, bis ganz nahe an Skalie, ergänzte der Alte.
– Nun, mögen sie dort sein, man wird ihnen bald das Handwerk legen. Der Ort muß einfach im Sturme genommen werden, koste es was es wolle; verschanzt sind sie dort nicht, und die Position ist durchaus nicht uneinnehmbar, meinte abermals jener Hauptmann, der erste Stratege im ganzen Bataillon.
– O, ja, das ginge schon, versetzte der Alte bedächtig und warf einen forschenden Blick auf die Karte. Da könnte man ihnen ganz gut in die Flanke kommen … hier über diesen Bergrücken hin, … da durch den Wald hindurch, … und gerade zu ihnen hin.
Der Hauptmann und noch mehrere Offiziere brachen bei den Worten des Alten in verächtliches Gelächter aus.
– Schon wiederum dieser Wald dazwischen! versetzte der Hauptmann ärgerlich, lassen Sie uns doch schon einmal mit dem Walde und Ihrer alten Pforte in Ruh – Sie haben ja nicht die blasseste Idee von der ganzen Sache! Glauben Sie denn, daß ein ganzes Bataillon nur so ganz mir nichts Dir nichts durch einen Wald laufen kann? –
– Achtung, Achtung! – lief inzwischen ein hagerer Lieutenant herbei, die Clam-Ulanen bewegen sich schon; jetzt kommt das Regiment Vasa, ihm nach das Regiment Govizutti und mit diesem ist die ganze Division des Prinzen von Holstein vorüber.
Sofort erhoben sich alle und eilten zu ihren Compagnien. In wenigen Minuten stand das ganze Bataillon in der schönsten Linie – marschbereit da.
Sie hatten zwar noch eine geraume Weile zu warten gehabt. Dem Regimente Gorizetti folgten noch die Regimenter »Prinz von Preußen« und »Kellner«, und erst diesem nach drängte sich das Jägerbataillon durch das enge Thor zur Stadt hinaus.
Der Morgen des 27. Juni 1866 war ein ungemein schwüler. Es war um die neunte Stunde herum. Die Brigade des Baron Waldstätten hatte von Klen aus den Kampf mit der preußischen Avantgarde begonnen, welche die Straße nach Hohenelbe besetzt hielt. Bis jetzt waren von preußischer Seite nur wenige Kanonenschüsse gefallen: auf der Straße selbst war vor Staub nichts zu sehen. Die sämmtlichen Kolonnen waren darin eingehüllt; zeitweise blitzte nur ein Bajonett oder Säbel durch die Staubwolken hindurch.
Bei dem Ausmarsche des Jägerbataillons aus Neustadt ritt der Major auf seinem Schimmel ganz langsam neben der ersten Kompagnie einher, begleitet von seinem Adjutanten und Bataillons-Hornisten. Seine Stirn war verdüstert wie die eines Menschen, welcher über etwas in Ungewißheit schwebt oder daran zweifelt. Er schien in Nachdenken versunken. Die Worte des »Alten« aus Neustadt waren bei ihm nicht ganz ohne Eindruck geblieben. Abermals sah er in die Karte hinein, und wirklich, der Rath des Alten schien ihm gar nicht so schlecht … aber es mußte ihm ein glücklicher Zufall zu Hilfe kommen.
Als sie gegen Hohenelbe kamen, breitete sich vor ihren Augen die ganze Gegend aus, woselbst tausende von Bajonetten einander gegenüberstarrten. Vor Hohenelbe zweigt sich die Straße nach zwei Seiten hinab; die eine von beiden führt nach Klen, die andere durch einen Wald nach Vrchovec. Letztere hielt der Feind stark besetzt und die Ketten der österreichischen Tirailleurs hatten nur dazu gedient, damit das Armeekorps Ramming sich hinter ihren Rücken vollständig entfalten konnte.
Der Major erhielt den Befehl, einen Versuch zu machen, die Straße nach rechts hin zu besetzen, die Ketten der Schützen zu verdreifachen, und den Kampf in den Wald hineinzudrängen. Er fluchte laut, als ihm eine Staffete diesen Befehl überbrachte, – doch er mußte gehorchen.
Als etwa nach einer halben Stunde die Ketten formirt waren, sagte er kurz vor sich hin: So dürfte es schwerlich gehen, hier heißt's ein wenig auf eigene Faust handeln! – Und ohne auf den Kugelregen zu achten, welcher vom Rande des Waldes her seinen Leuten entgegenkam, ritt er schnurstracks zur ersten Kompagnie und zum ältesten Hauptmann hin. Der Adjutant und der Hornist folgten ihm nach.
– Herr Hauptmann! ich übergebe Ihnen das Kommando des ganzen Bataillons! befahl der Major.
Der Hauptmann salutirte und sah ihn verwundert an; er konnte seine Absicht nicht begreifen.
– Ich habe etwas ganz Besonderes vor, fuhr er weiter fort, und muß mich darum vorerst mit meinen eigenen Augen überzeugen. In einer Stunde, längstens in anderthalb bin ich wiederum zurück; gelingt mein Plan, dann soll Ihnen das Bergstürmen unter dem Hagel der Zündnadeln erspart bleiben.
– Ah – weiß wohl schon alles, versetzte der Hauptmann – gewiß eine Schwenkung zur alten Pforte!
– Errathen! doch vorderhand allein, nur mit dem Adjutanten.
Diesem funkelten die Augen.
Die Zündnadeln schwirrten, die österreichischen Gewehre knatterten; die Preußen gaben häufige Salven. Immer traten einige Mann aus dem Walde heraus, feuerten und verschwanden wiederum im Walde. Ein derartiges Manöver war den Oesterreichern bis jetzt ganz fremd gewesen, aber sie hatten seine verheerende Wirkung zur Genüge fühlen gelernt. Die Ketten der Jäger konnten nicht von der Stelle. So oft sie sich daran machten, von der Flanke aus in den Wald hineinzubrechen, wurden sie jedesmal von den feindlichen Salven dezimirt, welche wie hohnlachend durch die Wälder hallten.
Inzwischen war der Major mit seinem Adjutanten verschwunden, weit weg von da, gegen Hohenelbe hin, woselbst ein steiler Waldweg unter dem Laubgewölbe der Bäume bergan führte.
Hier war es überall so schön, so ruhig und erquickend, daß jemand, der sich hierher verirrt, wohl niemals geglaubt hätte, sich in der Nähe dreier Armeekorps zu befinden, zweier österreichischen und eines preußischen. Zeitweise dröhnte zwar der Boden und vernahm man eine Art Echo dieser wilden Jagd, aber bald war dieses in dein Rauschen der Tannen und dem Gesange der Vögel verstummt.
Nun erklärte der Major mit halblauter Stimme dem Adjutanten seinen Plan, wobei er ununterbrochen auf die Karte zeigte:
– Von Neustadt gegen Hochdorf hin, sagte er, zieht sich ein sanftes Hügelland im Halbkreise hin, an dessen Ende Wenzelsdorf liegt. Der Rücken dieser Kette heißt Löwenfeld. Auf der anderen Seite des Abhanges, wohin wir eben jetzt hinaufreiten, fließt das unbedeutende Flüßchen Meltau gerade von Nachod gegen Neustadt zu. Meiner Ansicht nach dürfte es gar nicht so schwer sein, längs dem Flüßchen bis nach Wenzelsdorf zu gelangen, sich dann von der andern Seite her der Straße zu bemächtigen, um deren Besitz unser Bataillon sich wahrscheinlich vergebens abmüht – um dann mit Hilfe eines kleinen Sukkurses, der uns auf eine leichte Art hierher zugeschickt werden könnte, die furchtbare »Alte Pforte« in unsere Gewalt zu bekommen.
Der Adjutant gab keine Antwort.
Es war dies ein Mann von etwa 28 Jahren. Er hatte ein schwarzes ausdrucksvolles Auge, einen auf das sorgfältigste gepflegten Bart, trug eine große Frisur, deren Instandhaltung er selbst im Feldzuge nicht vergaß, und eine stets auf das allerreinste geputzte Uniform. Den Hut mit dem wallenden Federbusche hatte er tief in die Stirne gedrückt, zum Schutze gegen die Sonnenstrahlen, welche durch das Laubwerk der Bäume hindurchblendeten.
Der Major war ein schon ziemlich bejahrter Graukopf. Seiner Uniform und seinem verwilderten Barte hatte er schon durch mehrere Tage hindurch keine Aufmerksamkeit geschenkt. Ein echter Soldat: sauber und nett bei der Parade, vernachlässigt im Felde. Seine Adlernase und die großen Augen dazu drückten seinem Aeußeren eine Art von Strenge auf, so daß jeder, welcher zum erstenmale in seine Nähe kam, sich für den ersten Augenblick recht unbehaglich fühlte.
Der Waldweg, welcher bis zum Hügelkamme hinaufführte, bog jetzt ein klein wenig nach links ab.
– Halt, sagte der Major, dahin dürfen wir auf keinen Fall, dieser Weg führt von da nach der Straße hin, und es sollte mich ungemein Wunder nehmen, wenn die Preußen dort ihre Patrouillen vergessen hätten. Wir müssen da zu dem Flüßchen hinab.
Der Major redete ohne Unterlaß von seinem Plane, Der Adjutant aber schwieg wie zuvor; und als er sich endlich mit einer direkten Frage an ihn wandte, antwortete dieser nur einsilbig und schwieg dann abermals.
– Sie scheinen Angst vor dieser Promenade zu haben! sagte endlich der Major in vorwurfsvollem überhebenden Tone.
Der Adjutant blickte ihn mit einem ganz sonderbaren Ausdrucke an. Diesen Ausdruck hatte der Major nicht verstanden.
– Sie sind ja ganz blaß und schwitzen fürchterlich! lachte er weiter, – und wozu eigentlich die Pistole in der Hand? Lassen Sie diese nur ganz ruhig im Sattel stecken – hier dürften wir schwerlich auf einen Preußen stoßen!
– Unmöglich aber wäre es dennoch nicht! gab der Adjutant zur Antwort, und riß dabei mißmuthig an dem Zügel seines Pferdes herum, so daß dieses dabei ganz possierliche Sprünge machte.
Der Major brummte etwas in den Bart hinein, was der Adjutant nicht verstand. Schmeichelhaftes war es aber gewiß nicht.
Sie ritten nun auf einem engen Fußwege bergab. Der üppige Unterwuchs und dichtes Laub und Mooswerk dämpften den Hufschlag ihrer Rosse.
– Uns ist hier wohler als den Kameraden beim Bataillon, meinte der Major lächelnd, und kehrte sich abermals nach dem Adjutanten um. – Ja, aber weshalb erschrecken Sie denn so? Ihr Blick ist ja heute ganz sonderbarer Art! – Und bei diesen Worten brach er in helllautes Gelächter aus. – Ach ich habe ja ganz vergessen! – Es ist heute der Tag Ihrer ersten Blut- und Feuertaufe! – Sie kommen zum erstenmale in's Feuer – und da bekommt jeder Neuling das Trema!
Die Stirn des Adjutanten verfinsterte sich.
– Nun, machen Sie sich nichts daraus, tröstete der Major, auch an das werden Sie sich gewöhnen. Meine Feuertaufe habe ich unten in Italien erhalten, aber das muß ich sagen, daß ich mich dabei ganz anders benommen habe als Sie!
Endlich waren Sie von dem Abhange herab. Die Mettau floß hier ganz ruhig, ja fast schläfrig, zwischen den niedrigen Ufern dahin. An vielen Stellen hinderte hohes Gestripp einen Ueberblick über den ruhigen Spiegel. Die Hufe der Rosse drückten sich ziemlich tief in den Boden ein und in der zurückgebliebenen Einsenkung erschien sogleich das Wasser.
– Zehn Uhr vorüber! sagte der Major, indem er auf seine Ankeruhr sah und die Gegend bedächtig musterte. Hier ist ein Terrain, wie man sich's zu einem Ueberfall gar nicht besser wünschen kann.
– Weshalb? fragte der Adjutant.
– Der Erdboden ist hier zu locker, um Kanonen und Kavallerie ertragen zu können, aber doch gut genug, um leichte Infanterie passieren zu lassen, welche hier noch überdies eine vortreffliche Deckung findet. Da sehen Sie sich nur einmal das hohe Schilf und Gestrippwerk an, ob es nicht fast die gleiche Farbe hat mit unserer Uniform? Wir verschwinden vollständig darin; – und dieser ruhige Lauf des Wassers! Für uns zwei wäre es besser, lieber auf härterem Boden ganz knapp am Fuße des Abhanges zu reiten.
Abermals ritten sie aus dem Schilfe zum Waldesrande hin, wo ein enger Fußweg sich hindurchschlängelte. Hier mußten sie einer hinter dem andern vor, anders ging es eben nicht. Voran ritt der Major, ihm nach der Adjutant.
Beide schwiegen. Der Major hörte nur, wie der Adjutant hinter ihm den Hahn seiner Pistole spannte.
Jetzt waren sie bei einer Krümmung des Flusses angelangt, ganz knapp an dem Rande des Waldes und dem Fuße des Berges. Ein schwarzer Sumpf breitete sich ihnen zur Seite aus, kaum einen Schritt weit vom Wege.
– Hier könnte ein Reiter mit sammt dem Rosse versinken! erwähnte der Major und zeigte nach dem Sumpfe.
Plötzlich krachte ein Schuß, und der Major stürzte vom Pferde, hinein in den bodenlosen Abgrund. – – –
Ein Waldsumpf im Sommer! Welch ein poetisch ergreifendes Gefühl! Ueberall Sonne und Glut, – hier unter den Schatten mächtiger Bäume kühlende Feuchte. Die Oberfläche des Sumpfes ist von der üppigsten Vegetation überdeckt, welche uns unwillkürlich an die Wunder eines brasilianischen Urwaldes erinnert. Nichts als Schlingpflanzen, Flechtwerk, Laub und gelbliche Blüten, und dazwischen das bunteste Leben von tausenden und abertausenden der geflügelten und kriechenden Thierwelt. An dem Rande des Sumpfes ragen mächtige Bäume aus dem Wasser empor – sie wachen schnell auf, um ebenso schnell wieder zu vergehen. Ihre Wurzeln sind bereits geschwärzt, faulen bald ab und der Baum stürzt in den Sumpf, welcher ihn gar bald zersetzt und vernichtet, öfter auch sofort verschlingt um sich dann über ihn auf immer zu schließen. Von solchen Sümpfen pflegt man für gewöhnlich zu sagen, daß sie bodenlos seien. Ihre Ufer sind locker, sie bieten keinen Halt, daß wir uns von ihrer Tiefe überzeugen könnten.
Auch der Einbug, in welchen der Major stürzte, war ein solcher Sumpf. Eine schwache Wasserschicht nur deckte seine unmeßbare Tiefe, und erst weiter drinnen über der größeren Tiefe hatte eine Vegetation sich entfaltet.
Bei seinem Sturze vom Pferde stieß der Major einen Schrei aus der Brust, wie Menschen überhaupt, wenn sie plötzlich vom Tode ereilt werden. Das erschreckte Pferd machte einen Satz, der Major fiel, jedoch nicht kopfüber, sondern nur mit den Füßen und dem halben Körper in den Sumpf. Der Kopf und die übrigen Körpertheile blieben auf dem festeren Rande. Die Hand der Majors klammerte sich krampfhaft an die Wurzel einer alten Weide. Der Adjutant sprang vom Pferde herab und lud abermals die Pistole.
Die Kühle des Wassers hatte den Unglücklichen nach seinem Sturze abermals zur Besinnung gebracht; mit weit aufgerissenen Augen starrte er den Adjutanten an.
Dieser beobachtete ihn kalt und mit höhnischem Lächeln.
– Warum hast Du nicht längst schon verendet!? rief er wüthend und drohend aus, und ein zweiter Schuß krachte aus der Pistole des Adjutanten.
Der Major fühlte stechenden Schmerz im Rücken, und das Blut begann ihm aus der Wunde zu rinnen. Diese befand sich auf der rechten Schulterplatte, bis wohin das Wasser nicht reichte.
– Mein Gott! mein Gott! stöhnte der Major.
– Gott verdamme Dich! rief ihm der Adjutant mit dumpfer Stimme entgegen, und schlug mit dem Schafte der Pistole den Major über die Hand, welcher sich damit an der Wurzel festhielt. Die Hand gab nach, ließ die Wurzel los, aber der Kopf ragte noch immer über dem Sumpfe.
Die brechenden Blicke des Majors starrten auf den Adjutanten hin. Dieser kreuzte die Arme und betrachtete ruhig sein Opfer.
– Warum …, zwang der Major aus sich …, warum morden Sie mich?
Der Adjutant brach in höhnisches Gelächter aus.
– Wie, Du willst nicht in den Sumpf hinein? – willst nicht ertrinken? – Du mußt!
– Warum?
– Weil Du mir im Wege stehst!
– Ich? – worin? – wo?
– In der Liebe!
– Ich? ein alter Mann?
– Ja, Du! und weil Du schon alt bist, mußt Du sterben, um anderen nicht das Leben zu verbittern!
– Ich?
– Ja, Du!
Beide schwiegen. Der Adjutant trat näher auf ihn zu, als wollte er ihn vom Ufer abstoßen, der Major aber wehrte mit der Hand, als wollte er ihn hindern daran.
– Warum tödtest Du mich? hauchte der Major.
– Du bist Soldat und sollst nicht fragen, weshalb man stirbt. Hast Du uns dieses nicht oft selbst gesagt?
Aber plötzlich zuckte ein neuer Gedanke durch des Adjutanten Gehirn: seine Augen funkelten – er selbst zitterte am ganzen Leibe.
– O, das wäre noch viel zu wenig für Dich! rief er aus. Sterben! – Was heißt sterben? – Leiden mußt Du zuerst! – Und bei diesen Worten setzte er sich an das Ufer hin, die Zügel seines Pferdes in der Hand haltend.
– So höre denn, setzte er fort, warum Du zuerst leiden und dann erst sterben mußt. Nur langsam sollst Du hinsterben und hören dabei, wie dumm Du gewesen, wie blind Du denen vertraut, die Dich am meisten hintergangen haben, – und wie viel Gutes Dein Tod im Gefolge haben wird!
– Du lügst! stöhnte der Major.
– Ich lüge nicht! Schweige still, oder ich reite sonst von da fort und lasse Dich langsam zu Tode quälen!
– Geh nur, gehe! – Mein Plan – –! Die Sache der Unseren wird verloren sein, – denk an das Blut, das dort bei der »Alten Pforte« fließen wird. – O gehe, entferne Dich! Tödte mich zuerst und führe sie dann an mir vorüber. – Alles verzeihe ich Dir, was Dich auch dazu bewogen haben mag, nur das thue!
Diese Worte hatte der Major mit der größten Anstrengung aus sich gebracht.
– Schweige! herrschte der Adjutant, ich bin nur froh, daß Deine dumme Ansicht von Pflicht Dir noch eine neue Marter bereitet. Hier werden die Uns'rigen niemals nach der Alten Pforte marschieren!
– Rette die Armee – rette den Kaiser! Die Preußen werden uns wie die Fliegen todtschlagen! … Mein Gott!
– Ruhig, sage ich Dir! Was liegt mir an der Armee, dem Kaiser, an der ganzen Welt! – – Du bist schon todt für diese Welt, die mir Dein Tod nun vollständig aufschließt.
– Mein Gott – was habe ich Dir denn gethan! …
– Das will ich Dir jetzt erzählen. Beruhige Dich nur, und lebe wenigstens so lange noch, bis ich damit zu Ende bin. – Leide, so lange es mir gefallen wird. – So merke denn Dir – ich wiederhole Dir Alles noch einmal: – Dein Traum von Auszeichnung und Kriegsruhm, – Dein Plan, welchen Du heute gefaßt, – Deine Absichten mit Deinem Weibe und Kinde, – und daß Du in die Hände Deines größten Feindes gerathen bist, und das auf eine so tölpelhafte Art wie nur möglich. Merke Dir wohl, daß Du eine Schlange an Deinem Herzen gepflegt, daß Dich jeder Deiner Diener hintergangen, ohne Ausnahme, – daß Dich Niemand geliebt – daß sie nicht einmal Deinen Leichnam finden werden – daß Du hier verenden wirst wie ein Hund, und kein Mensch wissen wird wie und wo!
– Du lügst! hauchte der Major.
– Ich will beweisen was nothwendig ist! entgegnete der Adjutant. Und als er sah, daß der Major tiefer in den Sumpf sank, zog er ihn ein wenig in die Höhe, und begann dann abermals mit der scheinbarsten Ruhe:
– Herr Major! Sie gehörten auf dieser Welt der Zahl jener nicht wenigen Offiziere an, welche bloß deshalb dienen, um zu dienen, – welche mit eigener Vorliebe in der beengten Uniform stecken, und mit Verachtung auf alle Menschen herabsehen, die keine Uniform tragen. Jede Unlust zum Militärstande, die doch fast allen Menschen, die nur halbwegs Verstand haben, angeboren ist, war Ihnen bis in die Seele zuwider. Solche Unglückliche, welche als Neulinge unter das Militär kamen, haben Sie seciert und verfolgt und Ihnen das Leben bitter gemacht. Man erzählte sich allgemein, daß Sie der strengste Major aus der ganzen Division, und manchen Unglücklichen zur Verzweiflung getrieben haben. Und deshalb wurden Sie auch von allen Soldaten ohne Unterschied gründlich gehaßt. Und wenn auch mancher unter den Generälen Sie zu loben bemüßigt war, glauben Sie mir, Herr Major, er hat es nur ungern gethan. Wir jüngeren Offiziere haben Sie unzähligemale verflucht, die armen Kommißköpfe knirschten nur mit den Zähnen nach Ihnen. Ihr ewiges unausstehliches Säbelregiment, Ihr ewiger Eifer um die Ehre des Bataillons haben Ihnen keine Lorbeeren gebracht. – Sie waren ein Tyrann! – Verstehen Sie mich, Herr Major, der Sie sich gar so gerne den Vater des Bataillons zu nennen pflegten?«
Der Major preßte nur unverständliche Laute aus sich heraus; er that eine Bewegung, wobei ihm das Blut aus der Wunde noch mehr floß und das schmutziggraue Wasser ringsum röthete.
– Sie besaßen ein eigenes Vermögen und haben dennoch gedient. Aber die Truppe genügte Ihnen nicht mehr, es fehlte die Veranlassung zum ewigen Lärmen und Fluchen, – und Sie mußten es ja doch den ganzen Tag. Da fielen Ihre Blicke auf ein armes Mädchen hin, das an Bildung und Schönheit alle anderen Mädchen überragte – und dieses haben Sie sich zum Gegenstände auserkoren, welcher dazu dienen sollte, um dereinst Ihren Launen zu dienen. Das Mädchen war mittellos, arm. Doch was kümmerte das den Major, der so viel Geld besitzt, um die Kaution für einen ganzen Harem erlegen zu können! Natürlich, – ob sie aber auch nur wollen wird! – Aber es giebt bei jungen Frauen eine Zeit, wo ihnen ein Greis in den besten Jahren – wie man zu sagen pflegt – besser gefällt als der schönste Jüngling selbst. Dies pflegen namentlich Damen von sogenannten Charakteren zu sein, in der Regel sind es aber auch eigene Charaktere. Charakter nennen sie ihre Ueberspanntheiten und Launen jeglicher Art, und wenn diese einmal vorüber sind, dann ist eine furchtbare Leere, ein schreckender Abgrund in ihren Herzen zurückgeblieben. Nicht wahr, Herr Major, ich verstehe zu philosophiren? Jedes Wort davon ein gewichtiger Lebenskern, gerade als wäre es für eine Sentenzensammlung bestimmt!«
Es war ein eigener Anblick auf diesen jungen Mann, in dessen Worten sich eine so eigenthümliche Satyre kundgab. Dabei lächelte er ohne Unterlaß und kalte Schweißtropfen standen ihm dabei auf der Stirne. – Die Hände, in denen er die Zügel seines Pferdes hielt zitterten. Das Rößlein selbst weidete behaglich im Schatten.
– Ein solcher Charakter war auch Emilie in ihrem achtzehnten Lebensjahre. Ihr imponirte die prahlerische gekünstelte Sprache des Herrn Majors, seine scheinbar gerade soldatische Haltung, unter welcher sie seine Brutalität nicht ahnte. Sie, Herr Major, waren um volle dreißig Jahre älter als sie, sahen dabei stets wie ein Herkules aus, wenn auch ein wenig klein und untersetzt dabei. Aber auch das hat etwas an sich. Ihre Gemeinheit und Roheit sah sie für Ritterlichkeit an. Sie hätten sie auch mit dem Fuße stoßen mögen, und sie hätte das eines echten Soldaten ganz würdig gefunden, ja sie hätte Sie dafür noch belobt. Aber Liebe hat sie nie zu Ihnen gefühlt. Sie achtete Sie, und freute sich wie ein Kind auf den Moment, einmal Frau Majorin zu heißen, und wie wir jüngeren Offiziere dann zu ihr wie zu ihrer Herrin und Gebieterin aufblicken würden. Das endlich bewog sie dazu, Ihre Gattin zu werden. Doch that sie es nur ihrer Versorgung halber; – soweit kenne ich sie wenigstens zu genau.
– Sie!? hauchte der Major.
– Ja, Herr Major, ich, Ihr Adjutant! Aber Acht geben, daß Sie mir nicht ganz in dem Sumpfe versinken, bevor ich noch mit meiner Erzählung zu Ende bin.
Der Major hatte mit Anstrengung der letzten Kräfte auch wirklich einen Ruck gemacht, als ob er von dem Sumpfe verschlungen werden wollte. Der Adjutant aber zog ihn abermals ein wenig in die Höhe.
– Ich werde mir dabei noch die Finger schmutzig machen, und das Ihretwegen, lachte er spöttisch.!
– Weiter, nur weiter, flüsterte der Major.
– Weiter also; denn ich will noch Vormittags beim Bataillon zurück sein. Weiter also: die Frau Majorin war aber von dem Glanze und der Liebe bald übersatt, als sie dahinter kam, was alles hinter der glänzenden Uniform ihres Gatten verborgen steckte; und mit der Achtung war es bei ihr vorbei. An Ihrer Seite war sie in Gesellschaften eingeführt, wo ihre Anschauungen sich klärten. die Welt sich vor ihren Augen aufthat, und mit Ihnen Herr Major war es nun für immer aus, – bis auf das einzige Band noch, das kein Mensch zwar lösen soll, – ich aber habe es heute gethan. – Damals hat man mir die Ehre angethan und mich zu Ihrem Adjutanten gemacht. Sofort hatte ich den Entschluß gefaßt, mich zu erschießen; aber ich hatte einen guten Freund, welcher damals zu mir sagte: Werde Adjutant auch bei der Frau Majorin und Du hast vollständigen Ersatz dafür! – Nun, wozu noch weiter sprechen! Seit jeher bin ich gewohnt, stets nett einherzugehen, halte etwas auf mich, bin gut erzogen, und die Welt sagt, ich sei gebildet. Ihre Frau hatte in mir – was sie mir oft gestand – das Ideal eines Offiziers gesehen.
Der Adjutant fuhr sich jetzt mit der Hand über die Stirn, und fuhr fort:
– Sie verliebte sich in mich, ich in sie desgleichen. – Jetzt verfluchte ich Sie, den Tag Ihrer Trauung und auch Ihr Kind – und sie hatte nicht ein einziges Wort der Entschuldigung für Sie, ihren Gatten. Aber Verrath hat sie niemals an Ihnen geübt; nur ein einzigesmal war es zum Kusse gekommen, doch gleich darauf riß sie sich los aus meinen Armen, und seitdem hat sie mir solches nie wieder erlaubt. Ein so tugendhaftes Weib haben Sie gehabt, Herr Major, und müssen nun von ihr auf ewig Abschied nehmen! »So lange er,« – das heißt Sie – »lebt, niemals! Ich kenne meine Pflichten eben so gut, wie er die seinigen kennt.« Und das, Herr Major, war der einzige Beweggrund für mich, sie zu schonen.
Der Major athmete tief auf. Es war furchtbar für ihn, was er da alles hören mußte. Also alle hatten ihn hintergangen, ja selbst auch die, denen er das größte Zutrauen geschenkt hatte; und selbst auch sein Pferd war davon gesprungen und wieherte im Walde! – –
Seine Wunde fing nun schmerzlich zu brennen an. Ganze Schwärme von Fliegen hatten sich bereits an ihr niedergelassen. Ein Henkersknecht war's und kein Offizier, der ihn auf diese Weise zu martern vermochte.
– Sie haben keinen Begriff, Herr Major, was ich Ihretwegen alles gelitten habe! setzte der Adjutant höhnisch fort. Ich liebe Ihre Gattin so wahnsinnig, daß ich um sie oft wie ein Kind geweint habe. Damals wollte ich Sie schon erschießen – aber rechtzeitig noch fiel mir ein, daß sie für mich dann erst recht verloren wäre. Auch hätte sie mir dieses Verbrechen niemals verziehen, und so mußte ich denn nun vorsichtiger zu Werke gehen. Endlich war mir das Glück und der Augenblick günstig, nicht wahr, Herr Major? Beweise mir doch nun jemand, daß ich Ihr Mörder bin! Er soll nun Ihren Leichnam bringen, der bald in diesem Sumpfe auf ewig versinken wird! – Ja, ja, Herr Major, – gleich und gleich gesellt sich gern – das ganze wird einfach auf die Preußen geschoben – ich werde mit Ihrem Weibe in Glück und Wonne leben, sie herzen und küssen, kurz alles thun, was sonst nur Ihnen Vergnügen verschaffte – sie wird nun ganz mein Eigen werden. – – – Das Bataillon werde ich auf die Alte Pforte führen, werde Ihre eigene Idee selbst durchführen, jetzt, allsogleich, – den für Sie bestimmten Lorbeerkranz werde ich in Empfang nehmen, und … O, wie schmerzlich muß es doch sein, wenn unser größter Feind sich unserer Schätze bemächtigt, und wir dahinsterben müssen mit dem Gedanken, daß kein Hund mehr sich unser erinnert!
– Elender! Mörder! – – stöhnte der Major.
– O, das hört niemand, und darum beleidigst Du mich nicht: übrigens will ich mir sogleich Satisfaktion verschaffen! – Und nun stürzte der Adjutant gleich einer wüthenden Bestie auf den Sterbenden los, hob diesen hoch in die Höhe, schüttelte ihn wie die Katze eine Maus und warf ihn weit in den schwarzen Sumpf hinein.
Eine nur dünne Wasserschicht spritzte über den Spiegel, der Sumpf schaukelte und zog sich wieder zusammen. Gleich daraus regte sich´s abermals an derselben Stelle – der Major rang verzweifelt mit dem Tode; aber umsonst: er mußte sterben, – der Adjutant wollte es so, und stand mit gezogenem Hahne bereit, die Leiden des Sterbenden abzukürzen, falls der Todeskampf sich noch weiter in die Länge ziehen sollte. – Thränen stürzten ihm aus den Augen, das Herz wollte ihm zerspringen – aber er bereute nicht. –
Der Sumpf wurde ruhig, die Leiche des Majors war jedoch an der Oberfläche geblieben. Ein Arm und eine Seite seines Gesichtes ragten über die Wasserfläche hinaus, der Rücken mit der blutenden Wunde war dem Adjutanten zugewendet. Große schwarze Egeln, welche nur in stehenden Gewässern leben, hingen bereits an der Wunde. Es war ein schrecklicher, abscheulicher Anblick.
Die Pistole war der Hand des Adjutanten entschlüpft, mit gekreuzten Armen stand er da und sah stumm auf das furchtbare Schauspiel hin, dessen Urheber er war. Er dachte an die Zukunft. Schon sah er sich an der Seite des geliebten Weibes stehen, um dessen Willen er das alles vollbrachte. Allmählich kehrte der Glanz wieder in seine Augen zurück und gleich einem Träumer blickte er nach der Ferne … Jetzt öffnete er den Waffenrock, zog ein kleines Medaillon mit einem Bilde hervor und bedeckte es mit glühenden Küssen.
*
Aber in demselben Augenblicke fühlte er sich von einigen Armen erfaßt und zu Boden geworfen. Unwillkürlich schloß er die Augen zu und wehrte sich nicht.
Als er zur Besinnung kam, sah er sich von preußischen Jägern umzingelt. Es war dies eine Patrouille, welche ein alter Hauptmann befehligte. Dieser sah nach dem Leichnam in dem Sumpfe hin und brummte:
– Ein österreichischer Major! – Sein Adjutant!
Hierauf hob er das Medaillon mit dem Bilde von dem Erdboden auf, besichtigte es näher und brummte weiter:
– Alte Bekannte, alte Historie. Wir wollen da ein unerwartetes Ende machen, – etwas tragisch zwar … gerade wie auf dem Theater. Mir ist als ob ich mich selbst rächte, falls ein ähnliches Schicksal mich treffen sollte. – Mein junges Weib ist allein, verlassen. – – – –
Und zu den Soldaten sich wendend kommandierte er kurz und gefaßt:
– Knüpft ihn da an dem nächsten Aste auf!
Der Adjutant erbebte. – Sein Verbrechen war also umsonst verübt?! – Verrathen? – Unmöglich! – –
Fünf Minuten später und er baumelte an einem Aste gerade über dem Sumpfe.
– Bis der Strick ein bischen abgefault ist und zerreißt, sagte der Hauptmann, dann wird er gerade in den Sumpf hineinfallen. – Beiden wird darin ein gleiches, gemeinschaftliches Grab werden. – – Vorwärts Kinder!
Die Patrouille zog ab, Todtenstille trat ein – der Adjutant schaukelte über dem Sumpfe. – – – – –
Der Ausgang der Schlacht bei Skalitz ist wohl bekannt. Die »Alte Pforte« hatte furchtbare Rache an den Oesterreichern genommen.