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Aus alten Criminal-Akten.
Die Küsterwohnung der sächsischen Stadt *** war in einem jener alten und winkeligen Gebäude, wie man sie, besonders in kleineren Orten, heute noch häufig findet, gelegen. Der hochweise Stadtrath hatte in jedem Jahre soviel daran repariren lassen, um es vor dem Einstürzen zu bewahren; nur eine Generation nach der anderen war darauf bedacht, die Kosten eines Neubaues von sich abzuwenden und einem künftigen Geschlechte zu überlassen. Die Worte: »Eng und klein ist meine Hütte«, waren daher auch öfter auf den Lippen des Küsters Eberhard Anders, als bei einem anderen Menschen, und er sang jene Worte einem jeden vor, der ihn wegen seiner Wohnung bemitleidete oder sich über sie lustig machte. Die Treppen im Hause waren bereits vollständig entfernt worden, um Unglücksfällen vorzubeugen und die zahlreiche Familie des Küsters wohnte daher im Parterregeschoß des Hauses. Bei den Küstergeschäften wurde Anders von seiner erwachsenen Tochter Gertrud, nebst einem Kreuzträger, so genannt, weil er bei Begräbnissen das Kruzifix tragen mußte, unterstützt. Der Küster selbst hatte als getreuer Nachahmer der Geistlichen, seiner »Kollegen«, ein nach dem hinter dem Hause belegenen Garten führendes Zimmer, »Studierzimmer« getauft. Dasselbe war bescheiden möblirt. Unweit der Thür hingen traulich beisammen die großen Kirchenschlüssel, zwei Geigen mit gesprungenen Saiten und ein halbes Dutzend Tabakspfeifen.
Meister Eberhard Anders sitzt in einem großen Lehnstuhl, um die Kartoffelklöße seines Töchterchens Gertrud, welche ihm diese Mittags vorgesetzt hatte, zu verdauen, als sich diese nähert, und nicht gerade mit leisen Zephyrschritten, dem ruhenden Vater eine braune Kaffeekanne und eine geblümte Tasse so geräuschvoll auf den Tisch setzt, daß jener erwachte.
– Es ist gut, Vater, daß Ihr munter seid! sagte sie, in fünf Minuten schlägt es Drei.
– Dummes Ding, Du hast doch wieder den Zeiger vorgerückt.
– Es geschieht Alles zu Eurem Besten, Vater. Um drei Uhr sind gewöhnlich Taufen, und da zankt Ihr ja jedes Mal, wenn der Kaffee nicht vorher fertig ist.
– Was bringst Du? frug der Küster mürrisch. Hab' ich Dir nicht gesagt, ihn heute später zu besorgen, weil ich Besuch bekomme? – Doch lasse ihn nur hier und koche später frischen.
– Um des »schwarzen Hubert« willen nicht eine Bohne! Was habt Ihr nur immer mit diesem verdächtigen Menschen zu schaffen, der uns noch in ein übles Gerede bringen wird!
– Kümmert Dich nicht, Jungfer Naseweis! Er ist mein alter Kamerad. Und wenn Hubert bei mir ist, will ich von keiner Seele gestört sein.
– Aber wenn Hennig vom Herrn Superintendenten zurückkehrt? fragte Gertrud an der Thür stehen bleibend.
– Er ist der Einzige, den ich vorlasse. Uebrigens nimm Dich in Acht, daß er nicht einmal merkt, wie Du mit Deinem Vater sprichst! In seiner Gegenwart erstickst Du mich fast mit Zärtlichkeiten.
Gertrud lachte laut auf.
– Hab's von Euch gelernt, Vater! Wenn er da ist, flucht Ihr auch nicht! Ihrer Klugheit sich bewußt und den Kopf stolz in die Höhe werfend, tanzte sie zur Thür hinaus.
Der Küster hob sich brummend von seinem Stuhl, dehnte sich und schritt nach einem am Fenster stehenden Schrank. Er nahm ein Spiel Karten heraus und setzte sich mit diesen wieder auf seinen Platz und begann mit ernster Miene mannigfache Kunststücke mit ihnen zu machen, bei deren nicht seltenem Mißlingen er die Stirn kraus zog und manches nicht eben erbauliche Wörtchen zwischen den Zähnen murmelte. So traf ihn Meister Hubert, einer seiner ältesten Freunde und der vertrauteste von Allen.
Beide hatten in ihren Jünglingsjahren den ersten schlesischen Krieg bei den Oesterreichern mitgemacht; der Küster als Hornist, und der aus der Lehre gelaufene Hubert als Tambour. Verwandte Seelen finden sich stets. Sie hatten sich kennen gelernt und waren nach der Schlacht von Mollwitz mit einander desertirt; worauf der Eine seinem Vater in dem Küsteramte nachfolgte, und der Andere das verlassene Handwerk eines Buchbinders wieder ergriff, dasselbe später aber wieder aufgab. Der »schwarze Hubert« hatte sich erst vor etwa einem Jahr in *** niedergelassen, hatte am äußersten Ende der Stadt ein Haus käuflich erworben und lebte hier ziemlich gemächlich, obwohl Niemand recht wußte, woher seine Einnahmen flossen; nur mit seinem alten Kriegskameraden erneuerte er sogleich die Bekanntschaft.
Daß er übrigens in dem Herzen des Küsters besser als in dem seiner Tochter angeschrieben stand, ist nicht zu verwundern. Er war mehr wie doppelt so alt, als sie, und hatte eine wahre Spitzbubenphysiognomie. Sein dunkles Gesicht mit den kleinen, unruhigen und stechenden Augen, sein schwarzes struppiges Haupt- und Barthaar und seine dürre Gestalt mit den langen knöchernen Fingern waren keineswegs geeignet, die Liebe eines zwanzigjährigen Mädchens zu erwecken, das ganz andere Hoffnungen nährte.
Als er bei seinem Eintreten den Freund mit der Karte beschäftigt sah, klopfte er ihn freundlich auf die Schulter.
– So recht, Brüderchen! Uebung macht den Meister; und aus Dir kann noch etwas werden, denn Du bist ein gelehriger Schüler! Schlage einmal die Volte; die Blätter leichter und feiner angegriffen! So! Immer noch einmal! –
Nachdem er ihm etwa fünf Minuten aufmerksam zugeschaut hatte, nahm er gleichfalls am Tische Platz und zog aus der Rocktasche eine neue Karte, die er einige Augenblicke bedeutungsvoll in der Hand hielt.
– Siehe, Brüderchen, dies ist die Wünschelrute, die mir schon zu so manchem Schatz verholfen hat, und die mir ein arbeitsfreies und sorgenloses Leben sichert. Untersuche die Blätter einmal, aber wende Deinen ganzen Scharfsinn an, ob Du irgend etwas entdeckst!
Der Küster kam der Aufforderung nach, jedoch vergebens.
– Nun was steckt denn hinter dieser so einfachen Karte? Du erfährst Alles Brüderchen! Laß uns nur erst einige »Gänge« machen!
Darauf begannen sie zu spielen. Sie spielten wohl eine Stunde lang, und der Küster bekam fast stets schlechte Karten, besonders wenn sein Freund »am Geben« war; seine Marken wanderten unaufhörlich in Huberts Kästchen.
– Ist das Zufall, oder ist's Deine Teufelei? rief der Küster endlich unwillig und stand auf.
– Geschicklichkeit willst Du sagen, Brüderchen, Geschicklichkeit! Bleibe nur fein ruhig; das ist unerläßlich beim Spiele, wenn Du zu etwas kommen willst. Uebrigens offenbare ich Dir ja alle meine Geheimnisse!
Dabei legte er dem Küster zwei Blätter zu nochmaliger Prüfung hin und rieth ihm, sie ein wenig zu biegen und mit den Fingerspitzen leise über die Oberfläche zu streichen. Mit großem Entzücken über seinen Scharfsinn bemerkte nun Herr Eberhard Anders, daß das eine Blatt, welches höheren Werth hatte, etwas steifer und rauher, das andere dagegen biegsamer und glatter war. –
– Siehe, Brüderchen, so wie dieses sind die besseren Karten, so wie das da alle schlechteren; und Du begreifst gewiß, daß eine solche Karte unserem Zwecke herrlich entspricht. Die Freude des habsüchtigen Küsters stieg noch höher, als der verschmitzte Gauner noch mehrere Mittel nannte, durch welche er das Gefühl seiner Finger bis zur höchsten Feinheit steigern könne. Mit der Karte machte er dem erfreuten Küster ein Geschenk, damit dieser sich täglich üben sollte. Als gelernter Buchbinder verfertigte der »schwarze Hubert« diese Werkzeuge seiner Betrügereien selbst und verkaufte sie sogar in den Wirthshäusern, in denen er seine Gaunereien trieb.
Er war aus zwei sehr wichtigen Gründen nach *** gezogen: erstens weil sein Thun und Treiben an seinem früheren Wohnorte endlich doch verdächtig geworden war; und zweitens, weil die Landleute in der Umgegend von *** als reiche Grundbesitzer und zugleich als leidenschaftliche Spieler bekannt waren.
– Wir wollen sie tüchtig schröpfen, Brüderchen, besonders wenn Du völlig in meine Kniffe eingeweiht bist und wir uns gegenseitig in die Hände arbeiten können!
– Aber sollte es dennoch nicht Gefahr bringen? warf der Küster ein.
– Geschieht alles bei verschlossenen Thüren, und die plumpen harten Bauernfinger werden nie etwas merken! Du selbst wärest ja nicht dahinter gekommen.
Der gierige Küster zitterte vor Verlangen und sah einer goldenen Zukunft entgegen.
– Uebe Dich nur fleißig; mahnte der »Schwarze«, aber vergiß auch nicht, eine Menge Anekdoten zu sammeln!
– Wozu das?
– Die erzählst Du, so oft Du die Karten mischest, damit Dir die Spieler nicht auf die Hände, sondern auf die Lippen sehen. Verstehst Du?
Der Unterricht wurde durch rasche Schritte unterbrochen, welche von der Treppe her sich hören ließen. Schnell verbarg der Küster die Karten. Ein junger Mann trat herein, in sichtbarer Erregung, aber mit heiter strahlendem Auge. Er grüßte den »schwarzen Hubert« flüchtig und neigte sich darauf zu dem Küster, um ihm einige Worte ins Ohr zu flüstern.
– Donner und Wetter, führ dieser vergessend empor, Herzensjunge ich gratuliere Dir! Wie wird sich Gertrud freuen! – Aber es konnte ja nicht anders kommen, denn wahrlich, bei meinem Kollegen, dem Herrn Superintendenten, ist eine Empfehlung des Küsters Eberhard Anders von Sankt Markus noch niemals vergeblich gewesen!
Der Jüngling bat, die Angelegenheit noch geheim zu halten, bis alle Hindernisse beseitigt wären, und entfernte sich wieder, ohne den »schwarzen Hubert« besonders zu beachten. Dieser ging im Zimmer auf und nieder, rieb sich die Hände und war eben im Begriff, seinem Aerger über den jungen Mann Luft zu machen, von dem er sich so oberflächlich behandelt sah, als der Küster eine maßlose Lobrede auf denselben begann.
– Gotthold Hennig ist in jeder Hinsicht ein Muster. Von Prima ist er abgegangen, weil die Mittel zum Studieren nicht vorhanden waren. Die Verhältnisse seiner Mutter sind Dir ja bekannt, da sie eine Mietherin von Dir ist. Aber unglaubliche Fortschritte hat Hennig durch Fleiß und Talent bei mir gemacht, daß er es noch weiter bringen wird. Und seine Zöglinge weiß er meisterhaft in Ordnung zu halten ohne Stock und Nachsitzen! – Jedenfalls, fuhr der Küster nach einer Pause fort, indem er seinem Freunde bei der Wanderung in der »Studierstube« begegnete, jedenfalls verringert sich in Kurzem der Aufwand in meinem Hause; Herr Hennig wird mein Trudchen heirathen, und ich freue mich herzlich auf diese Parthie.
Herr Eberhard Anders sprach die letzten Worte etwas leiser zu seinem Vertrauten; aber dieser fing laut zu lachen an, was den Küster nicht wenig überraschte. Er stellte sich kerzengerade vor ihn hin und sah ihm fragend ins Gesicht.
– Du hast die Rechnung ohne den Wirth gemacht, Brüderchen! erwiderte Hubert. Besuche mich morgen auf ein Stündchen und ich will Dir die Geliebte des jungen Laffen zeigen. Das schöne Fränzchen wird seine Frau, wenn er eine solche ernähren kann. Auf dem Schritte folgt er ihr, und ich denke, Deine Tochter wird sich auch eben keiner großen Begünstigungen von seiner Seite rühmen können. Du darfst mir's jedoch nicht übel nehmen, daß ich Dir so ein Wachsstöckchen anzünde!
– Was? entgegnete der Küster, aus dem Himmel seiner schönsten Hoffnungen gerissen. Ist das gewiß? Wozu hatte ich den Schlingel denn in mein Haus aufgenommen, das beste Kämmerchen ihm eingeräumt und so manches ihm zufließen lassen; er bat mich ja selbst darum, als jene Dirne zu seiner Mutter zog!
– Hilft alles nichts, Brüderchen! Sie haben Dich doch hinters Licht geführt. Uebrigens laß Dir die Sache nicht zu Herzen gehen. Ein so hochmüthiger Gelbschnabel paßt nicht in unsere Gesellschaft; und wenn Du nichts dagegen hast, nehme ich selber Dein schmuckes Töchterchen zum Weibe. Ein besseres Leben soll sie bei mir gewiß haben!
Herr Eberhard Anders vermied es auf diesen Antrag näher einzugehen. Eine solche Verbindung war doch nicht seinem Wunsche gemäß, und außerdem erweckten die Worte seines Freundes in ihm den Verdacht, Hubert möchte wohl aus Feindschaft, vielleicht gar aus Eigennutz und Eifersucht seinen »Famulus« verleumdet haben. Er rief also zur Thür hinaus nach Gertrud, um mit ihr geheimen Rath zu halten, und sein Lehrmeister, in der Meinung, daß seine Werbung besprochen werden sollte, griff nach Hut und Stock.
– Brüderchen, sprach er beim Abschied, die Feiertage sind nahe; da finden sich Abends mehrere Bekannte bei mir zum Spiele ein. Du kennst doch das Gesetz, an Sonn- und Festtagen nicht zu spielen, und deckst mich nöthigen Falls durch die Aussage, ich sei bei Dir gewesen. Und damit Du Dein zartes Gewissen durch Unwahrheiten nicht zu verletzen brauchst, werde ich stets gegen Abend ein Stündchen bei Dir vorsprechen. Von heute an theilen wir überhaupt den Gewinn. Verstehst Du?
Bereits war es dunkel geworden in der kleinen sauberen Stube der Wittwe Hennig.
– So bin ich doch fertig geworden! sprach sie und hielt das schnurrende Rädchen an und wendete sich nach ihrer Pflegetochter hin. Diese saß am anderen Fenster und legte auf die Mahnung der bejahrten Frau, ihre Augen zu schonen, die feine Näherei bei Seite, um den Strickstrumpf statt derselben zu ergreifen.
– Willst Du Dich denn während der Dämmerung gar nicht ein wenig erholen, liebe Franziska? Setze Dich zu mir, wir wollen ein wenig plaudern. Wir haben morgen den Gründonnerstag, und da bin ich immer mit meinem Heiland bis zum Tode betrübt. An diesem Tage erscheint er mir stets so göttlich erhaben und doch dabei so menschlich fühlend, daß ich in dem Gottessohne einen Bruder erblicke!
Gern folgte das fromme Mädchen den Worten der Alten und hörte aufmerksam ihre Worte von den schweren Lebensprüfungen. Auch Franziskas Lebensweg war dornenvoll gewesen. In ihrem vierzehnten Lebensjahr verlor sie den Vater und im verflossenen Herbst auch die Mutter; und hätte nicht die verwittwete Muhme Hennig, die nur zwei Söhne aber keine Tochter besaß, ihr in ihrer Wohnung ein Plätzchen eingeräumt, so würde Franziska jetzt völlig einsam in der Welt gestanden und unter fremden Menschen die Wunden ihrer Seele gewiß noch stärker bluten gefühlt haben. Sie erkannte das wohl und vergalt der alten Frau die freundliche Aufnahme durch sorgsame Pflege und innige Dankbarkeit. Franziska mußte nun auf den Wunsch der Muhme das herrliche Lied: »Befiehl Du Deine Wege«, derselben vorsingen.
O, daß doch dem Menschen, wenn er seine heiligsten Stunden feiert, so oft die erbärmlichste Gemeinheit entgegen tritt, und die heiligen Gefühle von der Rohheit niedergezogen werden.
Der »schwarze Hubert« hatte kaum den Gesang des jungen Mädchens vernommen, als er polternd die Treppe hinaufstürmte, mit Ungestüm die Thür aufriß und in die Stube hineintaumelte. Seine Schritte waren schwankend, und er stützte sich deshalb mit der Linken auf die Lehne. Franziska erschrak, aber noch mehr ihre alte Pflegemutter, welche im ersten Augenblick allen Muth verlor, so daß sie ihren Wirth nicht einmal nach seinem Verlangen fragte. Es war dies auch nicht nöthig, denn mit einem Fluch und einem Schlag auf den Tisch, erklärte der betrunkene Mensch, daß er solches Geplärr nun und nimmermehr in seinem Hause dulde; und als man ihm sagte, es handele sich hier um ein geistiges Lied, brach der Trunkene in Gotteslästerungen aus.
– Aber weshalb ich vorzüglich zu Euch kam, fuhr er mit spöttischem Grinsen fort, Geld will ich haben! In den nächsten Tagen fordere ich den Miethzins, denn es wird jetzt ein halbes Jahr, daß Ihr nicht bezahlt habt. Richtet Euch darnach! Sonst lasse ich nächstens Euch mit sammt Eurer Bettelwirthschaft auf die Gasse werfen!
Die arme Wittwe suchte bebend und mit thränenerstickter Stimme den Zorn des leidenschaftlichen Mannes zu besänftigen und bat um Nachsicht wegen der unverschuldeten Säumnis. Aber sie sah sich nur durch neue Schmähungen gekränkt. Da vermochte Franziska die Beleidigungen gegen ihre Wohlthäterin nicht länger zu ertragen, und verlangte von Hubert, daß er im Augenblick die Wohnung verlasse; aber sie hätte ihre Worte beinahe schwer gebüßt. Der ergrimmte Mann blickte sie zornglühend an und erhob die geballte Faust. Da plötzlich erschien zu rechter Zeit ein Helfer der Bedrängten, welchen der »schwarze Hubert« nicht erwartet hatte. Gotthold Hennig stand in der Thür. Er hatte die letzten Worte des rohen Menschen gehört, und ehe sich dieser dessen versah, fühlte er sich von des Jünglings kräftiger Hand gefaßt und ohne seinen Willen nicht eben höflich zum Sitzen genöthigt.
– Was giebt es hier? frug Gotthold und blickte dabei die bebende Mutter an. Der Wirth forderte fluchend den rückständigen Miethszins.
– Wie viel habt Ihr zu bezahlen, Mutter? Auf die Antwort, daß es acht Thaler wären, zog der Sohn eine gefüllte Börse aus der Tasche und zählte vor dem »Schwarzen« das Geld auf. Dieser strich es schweigend ein und sah sich nach dem Rückzuge um.
– Und nun hütet Euch, jemals diese Schwelle wieder zu überschreiten! zürnte der erregte Jüngling.
Mit der halblauten Versicherung, daß er dem Gelbschnabel schon noch einen Denkzettel geben werde, taumelte er zur Thür hinaus.
Nach so widerwärtigen Erlebnissen, besonders wenn sie sich unerwartet eindrängen in unsere friedlichen und glücklichen Augenblicke, folgt gewöhnlich ein längeres Stillschweigen. Das gepreßte Herz muß sich nach und nach erst wieder aufthun; der von Giftdämpfen angehauchte Spiegel der Seele muß erst wieder rein und hell werden.
Gotthold ging im Zimmer auf und nieder. Franziska reichte dann dem gereizten, noch immer erregten Jünglinge die Hand, während die gebeugte Mutter seufzend in ihrem Stuhle saß.
– Lieber Sohn, begann sie endlich, Du hast uns aus unsäglicher Noth gerettet; aber sage mir nur, von wem empfingst Du soviel Geld? Ich hörte Dich doch immer über Herrn Eberhard Anders' Kargheit klagen, und daß er Dir jede Gelegenheit entzieht, etwas zu verdienen?!
– Beruhige Dich, liebe Mutter; schon seit einem Jahr unterrichte ich die beiden Neffen des Sanitätsraths Jung, und heute Nachmittag, nachdem meine Lehrstunden vorüber waren, händigte mir derselbe das ganze Jahreshonorar, welches ich bei ihm stehen ließ, in Höhe von fünfundsiebzig Thalern aus. Alles, Alles, gute Mutter gehört Euch; und da Ihr bald dieses unheimliche Haus verlassen werdet, so mögt Ihr so gut sein, Manches für unsere neue Einrichtung anzuschaffen.
– Zusammenziehen? Neue Einrichtung! wiederholte die alte Frau kopfschüttelnd, und Gotthold fing nun an, mit frohem Herzen zu berichten, was ihm noch ferner an diesem Tage begegnet war. Der Superintendent Doktor Rückert, hatte ihn nämlich zu sich beschieden und ihm eröffnet, daß er bei der städtischen Schule als Lehrer angestellt werden solle.
– Schon in vierzehn Tagen mache ich mein Examen, ich bestehe es mit Leichtigkeit, das fühle ich, in vier Wochen soll ich schon mein Amt antreten, und dann lasse ich Dich liebe Mutter und Euch Fränzchen keine Minute länger in der Nähe dieses rohen Patrons!
Sahst Du schon bisweilen, wie der Sturm plötzlich den reinen Himmel mit finsteren, blitzenden Gewitterwolken umhüllte? Sind sie vorübergezogen, oft eben so schnell sieht die Natur wieder erheitert von glänzendem Sonnenschein darein.
Die gute Alte hörte auf jedes Wort; dann mußte sie, zitternd vor freudiger Rührung, sich niedersetzen. Sie sollte es noch erleben, daß ihr Gotthold ehrenvoll versorgt war. – Es giebt auf der ganzen Erde kein höheres und kein reineres Entzücken, als die Freude eines Mutterherzens über das Glück des geliebten Kindes.
– Fränzchen, Fränzchen! rief sie nach einer Pause.
– Laß sie, Mutter, entgegnete der Sohn, sie weiß bereits Alles!
Franziska war während dieser Mittheilung in das anstoßende Kämmerchen gegangen und kam jetzt völlig angekleidet, in die Stube zurück. Ihr Auge war noch immer von Thränen umschleiert, ihre Miene war traurig und sie erbat sich von der Muhme die Erlaubniß, eine Freundin in der Nachbarschaft auf kurze Zeit besuchen zu dürfen. Dies wurde gestattet und Mutter und Sohn beriethen sich nun in still heiterer Stimmung, über verschiedene Gegenstände, die noch angekauft werden sollten. So rückte die zehnte Abendstunde heran und Gotthold sah sich genöthigt, in seine Wohnung zum Küster Anders zurückzukehren, besonders da er für den Gottesdienst des nächsten Tages noch Mehreres zu besorgen hatte.
Vor dem Hause, in welchem Franziska sich bei ihrer Freundin befand, blieb er einige Minuten stehen; er hätte das Mädchen, dem er von ganzer Seele zugethan war, so gern noch gesprochen. In dem Augenblick betrat Franziska die Straße und Gotthold schritt auf sie zu.
– Liebes Fränzchen, redete er sie entschlossen an, ich habe meine Neigung Dir offen gestanden. Laß mich nicht lange in peinlicher Ungewißheit über meine Zukunft und vollende, wenn ich Deiner Liebe nicht unwerth erscheine, mein Glück!
Die Jungfrau schwieg einige Zeit und ersuchte ihn dann, sich nochmals Alles recht ruhig zu überlegen, bevor er einen so wichtigen Beschluß fasse, und sein Leben an ein unbedeutendes armes Mädchen kette, das ihn bis jetzt wie einen Bruder angesehen habe. Aber der rasche feurige junge Mann drängte immer heftiger:
– Was hätte ich wohl noch zu überlegen! Dein ganzes Wesen ist meinem Auge so klar, wie ein silberhelles Bächlein, durch das ich hinabschaue bis in das Tiefste Deines Gemüthes. Und auch ich kann Dir nicht fremd sein; Du kennst meine guten und schlimmen Seiten und auch meine einzige Liebe, die ich bisher verschlossen in mir getragen habe!
Ohne daran zu denken, war Franziska Gottholds Begleiterin geworden, lauschend auf die warme Sprache seines Herzens und versunken in die fluthenden Gefühle ihrer eigenen Brust. – So kamen sie in die Nähe der Sankt Markuskirche.
– Entscheide über mich, liebes Fränzchen! Hier muß ich mich von Dir trennen, um in der Sakristei noch etliche Geschäfte zu besorgen. Du weinst? Kannst Du mir denn nicht ein einziges Hoffnung erweckendes Wort geben, daß ich, Dein Bild vor Augen, zu süßen Träumen entschlummere?
– Heute nicht, Gotthold, vielleicht morgen! Bevor ich mit Deiner Mutter gesprochen habe, darf ich Dir keine Antwort geben. Es wäre unrecht. Gute Nacht!
Wie ein gescheuchtes Reh flog die Jungfrau um die Kirche und der Wohnstätte wieder zu.
Vom Thurm des Sankt Markus wurde die zehnte Stunde verkündet. Franziska fühlte sich recht vereinsamt; da plötzlich vernahm sie Fußtritte. Sie blieb stehen und drückte sich ängstlich an eine Hausthür, denn aus dem heftigen Aufstoßen des Stockes auf das Pflaster, schloß sie, daß der »schwarze Hubert« es sein müsse, welcher des Weges daherkam. Der Mann ging eilig vorüber, ohne sie zu bemerken; aber es war seine Gestalt, und Franziska war fest überzeugt, ihren Wirth erkannt zu haben. Franziska sah sich nach ihm um und gewahrte, daß er von Kopf bis zu Fuß anders gekleidet war wie sonst; doch sein wankender Gang bestärkte sie in ihrer Vermuthung. Endlich schlug er die Richtung nach der Kirche ein und entschwand ihren Augen. Sie eilte weiter, aber bange Sorge erregte ihr Gemüth. So kam Franziska nach Hause. Sie fand die Pflegemutter noch munter, aber in sonderbarer Erregung, indes konnte sie das nach den Ereignissen des Tages kaum befremden.
– Es wird doch Gotthold kein Unglück passiert sein? unterbrach endlich Frau Hennig das Schweigen.
– Warum dies, liebe Muhme?
Darauf erzählte die Wittwe, sie habe eine beständige Unruhe seitdem Gotthold das Haus wieder verlassen und sie könne dieselbe sich nicht erklären. Franziska erschrak nicht wenig. Sie fragte deshalb besorgt, ob sich die Muhme vielleicht krank fühle und dann entdeckte sie derselben, was Gotthold am Abend zu ihr gesprochen habe.
– Er ist wohl etwas zu zeitig hervorgetreten mit seinem Wunsche; aber Du bist, mein liebes Kind, immer freundlich und sehr aufmerksam gewesen gegen meine Söhne. Ich gestehe Dir, daß mich Gottholds Wahl sehr erfreut und nur mit Schmerzen hätte ich Dich von mir gelassen, so lieb bist Du mir geworden!
– Sprecht nicht so, gute Muhme; denn ich bin der Liebe nicht werth: ich, habe Euch verschwiegen, daß ich Willy, als er vor vierzehn Tagen bei uns war, mein Wort gegeben, sein Weib zu werden. Verzeiht mir, wenn ich Euch dies verschwieg!
Willy war der älteste Sohn der Wittwe und Kantor in einem Kirchdorfe in der Umgegend von ***.
– Daß auch Gotthold mich liebe, anders, als ein Bruder, fuhr Franziska fort, habe ich nie geahnt!
– Beruhige Dich, Kind, Gott wird uns auch ferner beistehen.
Am Morgen des Gründonnerstages schritt der Superintendent Doktor Rückert in der Sakristei der Sankt Markuskirche auf und nieder. Plötzlich blieb sein Auge auf dem Gotteskasten haften, der ihm gegenüber stand. Voll Erstaunen bemerkte er, daß die Decke desselben eine weit schiefere Lage hatte als sonst. Er untersuchte die Sache und fand zu seinem nicht geringen Schrecken, daß an der Rückseite die eisernen Bänder gewaltsam entfernt, und das Vermögen der Kirche, wahrscheinlich von diebischer Hand angegriffen worden war. Sofort rief er den Küster Anders und fragte denselben, wer heute morgen zuerst die Kirche betreten habe. Anders erwiderte, daß er gegen acht Uhr morgens die Kirche selbst geöffnet habe und nichts bemerkt habe, was auf einen gewaltsamen Diebstahl schließen ließe. Auch meinte er, das Verbrechen müsse erst vor ganz kurzer Zeit verübt worden sein; denn am Dienstag war noch Alles in bester Ordnung.
Hierauf nahm Doktor Rückert den Küster mit sich in seine Wohnung, um die Aussagen sofort zu protokolliren, bevor er eine polizeiliche Anzeige machte.
– Wann sind Sie das letzte Mal in der Kirche zu Sankt Markus gewesen? frug der Superintendent nicht ohne Erregung.
– Am verflossenen Dienstage, Hochwürden, wie ich bereits sagte!
– Und wer hat gestern die Aufwartung für den heutigen Gottesdienst besorgt?
– Der Kreuzträger Gotthold Hennig, Hochwürden.
– Wo ist Hennig? Ich habe ihn heute noch nicht gesehen! forschte Rückert weiter.
Der Küster zuckte mit den Achseln.
– Hennig wohnt bei mir, wie Ew. Hochwürden bekannt ist, aber er ist in der letzten Nacht nicht nach Hause gekommen. Da er auch am heutigen Morgen nicht heim kam, schickte ich zu seiner Mutter, in der Voraussetzung, daß er sich vielleicht verspätet habe und bei ihr geblieben sei. Auch dort war er nicht zu finden.
Mit Betrübniß und sichtlicher innerer Erregung vernahm der Superintendent die Worte des Küsters.
– Hat Hennig die Kirchenschlüssel gehabt?
– Ja, Hochwürden; dieselben sind doppelt vorhanden.
– Unglücklicher Jüngling! klagte der fromme Mann. Ich will nicht fürchten, daß der böse Geist Dich verblendet und Deine Hand zu so abscheulicher That gelenkt hat. Aber von Leichtsinn und Gewissenlosigkeit scheint Deine Entfernung doch Zeugniß abzulegen. Gebe Gott, daß ich mich irre! Sagen Sie mir offen, Anders, da Sie Hennig am besten kennen müssen, haben Sie keine Vermuthung über die traurige Begebenheit; finden Sie keinen Grund für die Abwesenheit? Ueberall habe ich nur Gutes von ihm gehört; selbst der Sanitätsrath Jung ist voll des Lobes über ihn!
– Hochwürden, antwortete der Küster, ich mag ihn weder anklagen noch vertheidigen, denn ich habe keine Beweise, daß er unredlich gewesen; aber er sollte angestellt werden und brauchte Geld und außerdem soll er in einem intimen Verhältniß zu einem gleichfalls ganz unbemittelten Mädchen stehen. Dasselbe ist bei seiner Mutter. Doch – ich will nichts Nachtheiliges gegen ihn gesagt haben. –
Es verging der Gründonnerstag, Charfreitag und der Sonnabend. – Gotthold Hennig blieb verschwunden. In der ganzen Stadt hatte sich die Nachricht von dem Kirchenraub und dem Verschwinden des Kreuzträgers Hennig wie ein Lauffeuer verbreitet. Auch der Sanitätsrath fing an, die Rechtlichkeit seines Schützlings zu bezweifeln.
Namenloser, unsäglicher Jammer war in das Haus der Mutter Hennigs gezogen. Franziska saß in einem Winkel des Zimmerchens und weinte unaufhörlich. Die arme Muhme hatte vor innerer Erregung keine Thränen.
Wie schnell verwandelt sich bisweilen in diesem dunkelen Erdenthal voll Wechsel und Unbestand der Tag des Glückes in die Nacht der Trübsal. Auf vulkanischem Boden wandelt des Menschen Fuß. Heute bauen wir fröhlich hoffend an dem Hause unseres Glückes und morgen bebt die Erde und verschlingt alles, was jahrelange Mühe hervorrief, und wir stürzen vielleicht selbst mit den Trümmern in die schwarze Tiefe.
Als am Ostermorgen die Glocken des Sankt Markus-Thurmes ihre ehernen Stimmen weit über die Stadt ertönen ließen, und die Gemeinde heiter geschmückt in das Gotteshaus eilte, ergriff auch die greise Wittwe den Arm ihres Pflegekindes.
– Komm, mein Kind, daß wir den Höchsten für seine Hilfe anflehen!
Auf der Straße blieben viele stehen und schauten der Wittwe mit ihrem Pflegekinde gar eigenthümlich nach. In der Kirche suchten beide ein verborgenes Plätzchen auf. Der Frühprediger, ein junger Mann, streifte auch kurz das Verbrechen. Da weinten die Muhme und das trostlose Fränzchen in ihrem Winkelchen. Die Muhme mußte mit Hilfe einiger Männer in ihre Wohnung gebracht werden. Eine Ohnmacht hatte sie ergriffen. Ein leiser Jammer des Mitgefühls zog durch die Reihen der Gläubigen.
Am dritten Osterfeiertag endlich erschien der älteste Sohn Willy bei seiner kranken Mutter. Welch' ein Wiedersehen statt der gehofften glücklichen Lage! Aber in solchen Stunden lernt der Mensch den Menschen kennen. In solchen Stunden wächst das Pflänzchen der Liebe vom Thau der Thränen und erstarkt zu einem starken Baume.
In dem »Kreisblatt« und in dem »Intelligenzblatt« machte die Polizei folgende Bekanntmachung:
»Einem Berichte des hohen Consistorii zufolge ist, vermuthlich in der Nacht vom 12. zum 13. April d. J., der Gotteskasten zu Sankt Markus von fremder Hand gewaltsam erbrochen und beraubt worden. Wir fordern daher alle Behörden und auch sonst Jedermann auf, zur Entdeckung des Thäters mitzuwirken und jeden Umstand, mag er noch so geringfügiger Natur erscheinen, bei der hiesigen Polizei-Verwaltung anzuzeigen. – Auch ist seit jener Nacht der Kreuzträger Gotthold Hennig von hier, auf unbegreifliche Weise verschwunden, und es ist bis dato keine Nachricht über seine Person und seinen jetzigen Aufenthalt zu erlangen gewesen. Es wird gebeten, den p. Hennig im Betretungsfalle festzunehmen und an die hiesige Gefängniß-Inspektion einzuliefern etc.«
Noch an demselben Morgen, da diese Bekanntmachung publizirt worden war, erschien ein Polizist bei Franziska und bestellte sie zu ihrer Vernehmung zum Kommissar. Der »schwarze Hubert« hatte nämlich angezeigt, daß Gotthold Hennig am 12. April Abends eine gefüllte Börse bei sich getragen und ihm den rückständigen sechsmonatlichen Miethszins entrichtet habe.
– Es ist der Wahrheit gemäß, antwortete Franziska auf die Frage des Kommissars. Sie finden die Börse nebst Inhalt, welchen Hennig behufs einiger Einkäufe zurückließ, in der Wohnung seiner Mutter. Das Geld aber habe Hennig von dem Sanitätsrath Jung als Jahreshonorar für ertheilten Unterricht an dessen beiden Neffen gezahlt erhalten.
Sofort sendete der Kommissar nach der Börse zur Wittwe Hennig. In derselben befanden sich noch genau siebenundsechzig Thaler, wie Hennig die Börse seiner Mutter übergeben hatte. Nunmehr wurde auch sofort der Sanitätsrath geladen. Derselbe bestätigte das, was Franziska ausgesagt; auch erkannte er die einzelnen Münzsorten als diejenigen an, welche er an Gotthold am 12. April gezahlt hatte.
– Ich, so äußerte sich der Rath, ich, als Münzensammler, sehe mir, ich möchte behaupten, fast jede Münze, die durch meine Hand geht, sehr genau an; fast jede Münze, Herr Kommissar, ich kenne Menschen und ihre Charaktere, den des Gotthold Hennig ziemlich gut: ich zweifle an der Unehrenhaftigkeit dieses jungen Mannes!
Beide wurden entlassen und die Angaben des »schwarzen Hubert« waren somit seinerseits ein flacher Schlag ins Wasser. Aber dennoch drückte das Unglück wie Zentnerlast auf die Betheiligten.
Am Sonntag nach Ostern sollte zu Sankt Markus eine Kirchenmusik ausgeführt werden. Zu diesem Zwecke wurden einige Musiker mehr als sonst üblich, engagiert. Die Posaunen, Cellis und andere Instrumente hatte die Kirche selbst und diese befanden sich auf dem sogenannten »Geigenboden«, der sich wiederum über dem letzten Chor befand. Der Kirchendiener wurde vom Dirigenten und Organisten beauftragt, diese Instrumente von dem »Geigenboden« herbeizuschaffen. Leichenblaß und am ganzen Körper zitternd kam der Kirchendiener ohne Instrumente in die Sakristei zum Organisten gestürzt und machte dem Letzteren die grausige Mittheilung, daß auf dem »Geigenboden« ein Erhängter sei; »es sei die Leiche des Gotthold Hennig!« so äußerte er sich. Anders, der auch zugegen war, begab sich mit dem Organisten, dem Kirchendiener und noch einem Manne nach dem »Geigenboden«, um die Instrumente herunterzuholen. Dann wurde beschlossen, die Angelegenheit bis nach Beendigung des Gottesdienstes, um Störungen zu vermeiden, geheim zu halten. Der »Geigenboden« aber wurde von Anders selbst verschlossen.
Der Superintendent empfing, sofort nach Beendigung seiner dienstlichen Funktion aus dem Munde des Küsters die Entdeckung der hängenden Leiche des Gotthold Hennig. Sofort wurde zur Polizei geschickt und gleich darauf erschien der Untersuchungsrichter, der Kommissar und eine Anzahl Polizisten. Ebenso war der Sanitätsrath sofort zur Stelle. Nachdem die Behörde sich von dem Selbstmorde überzeugt, und der Sanitätsrath Jung den Tod des Gotthold Hennig festgestellt hatte, schwand auch bei diesem das letzte Fünkchen Hoffnung an der Schuldlosigkeit des Unglücklichen, zumal in seinen Taschen verschiedene Münzsorten, die in dem Gotteskasten gelegen hatten, vorgefunden wurden.
Der Superintendent, ein frommer Mann, war untröstlich über die Entheiligung des Gotteshauses durch diese That und dennoch zweifelte er an der That von Seiten des Hennig, trotzdem die Kirchenschlüssel zu den Füßen des Erhängten gefunden wurden.
In seiner Eigenschaft als Seelsorger hielt es Doktor Rückert für seine Pflicht, zu der gebeugten Mutter zu gehen, um derselben mit größter Schonung von dem Entdeckten Mittheilung zu machen. Hier traf er auch Willy und mit milden Worten bemerkte Rückert, daß das erwachte Gewissen den Gotthold jedenfalls in den Tod getrieben habe.
– Und dennoch fehlt mir der Glaube an seine Schuld! Diese Worte waren für Alle ein wahrer Herzensbalsam.
Der Superintendent gab Willy den Rath sofort um einen längeren Urlaub einzukommen, um bei der Untersuchung Hilfe zu leisten und so geschah es denn auch.
In der Nacht schafften zwei Scharfrichterknechte die Leiche des Selbstmörders nach dem Kirchhofe, und hätte nicht Superintendent Rückert ein gewichtiges Wort gesprochen, so wären die Gebeine des Selbstmörders unter dem Hochgericht eingescharrt worden. An einem entfernten Theil an der Kirchhofsmauer wurde die Leiche bestattet. Aber als die Leiche verscharrt war, und kein Laut sich regte, und nur der Wind klagend durch die Trauerweiden der Grüfte strich, da wankte eine zitternde Gestalt zwischen den weißen Leichensteinen daher und warf sich nieder auf das frische Grab und weinte und betete, die Arme zum dunkeln Himmel emporgestreckt:
– Sie haben den Unschuldigen gebettet unter die Missethäter! Herr, der Du wohnest in ewigem Lichte, laß es hell werden in dieser grauenvollen Finsterniß!
Erst spät kam Franziska nach Hause.
Zwei Tage nach der Beerdigung Gottholds war der »schwarze Hubert«, den die Polizei schon lange als einen verdächtigen Menschen beobachtet hatte, gefänglich eingezogen. Durch die Festnahme desselben gerieth Herr Eberhard Anders in nicht geringe Aufregung; denn bis jetzt hatte er sich eifrig bemüht, seine Verbindung mit dem Inhaftirten geheim zu halten. Was sollte Anders jetzt thun? Seine Achtung hatte er bei dem Superintendenten eingebüßt und was Gertrud befürchtet hatte, der »schwarze Hubert« werde noch einmal Unglück über ihr Haus bringen, war eingetroffen, zumal derselbe im »Studierzimmer« des Küsters verhaftet worden war, als er eben wieder Kartenkunststückchen produzirte.
Der Sohn eines begüterten Landmannes in der Nachbarschaft von *** gehörte nämlich zu der Spielergesellschaft, die der »Schwarze« zu bestimmten Zeiten um sich versammelte. Sein Haus, ganz am Ende der Stadt gelegen, war zu diesem Zwecke sehr geeignet. Am vergangenen Charfreitage nun hatte sich der Spiel-Klub ebenfalls in der Wohnung des Hauptgauners eingefunden gehabt. Jener junge Mann hatte ganz bedeutende Verluste gehabt, und um seinen Unmuth über den Verlust zu unterdrücken, hatte er sich tüchtig berauscht. So trat er am Morgen, als es noch finster war, in seiner Trunkenheit den Rückweg an. Unfern seines Dorfes war ein großer Steinbruch. Er verfehlte den Weg, stürzte in die Tiefe hinab und brach ein Bein. Am Sonnabend fanden Marktleute den entsetzlich Wimmernden. Die Hilfe kam zu spät. Der hinzugetretene kalte Brand machte schon nach einigen Tagen dem Leben des leichtsinnigen jungen Mannes ein Ende. Vor seinem Tode jedoch machte er seinem Vater ein Geständniß von seiner Verirrung und entdeckte ihm zugleich den Verführer. Der Landmann, seines einzigen Sohnes beraubt, trat nun klägerisch gegen den »schwarzen Hubert« auf. Dieser leugnete indeß mit großer Ruhe und Frechheit einfach Alles ab, und versicherte, daß er niemals um Geld spiele, und daß er jenen jungen Menschen überhaupt gar nicht gekannt habe. Doch damit begnügte sich der Untersuchungsrichter nicht; er verlangte das Alibi darüber, wo Hubert sich in der Nacht vom Charfreitag bis Sonnabend befunden habe. Dieser erwiderte, daß er bei seinem ehemaligen Kriegskameraden Anders die Zeit verplaudert habe; die Begebenheiten aus dem Kriege hätten sie sich gegenseitig erzählt u. s. w. So wähnte er dem Schicksal eine andere Wendung gegeben zu haben, denn auf seinen Bundesgenossen, dessen Bestätigung man gewiß Glauben schenken werde, setzte er volles Vertrauen.
Die Verhaftung Huberts machte auf Franziska einen tiefen Eindruck; dies neue Ereigniß kam ihr wie eine Offenbarung der allwaltenden Gerechtigkeit vor. Sie theilte daher Willy das Erlebte vom Abend vor dem Gründonnerstag mit. Sie erzählte, wie Hubert gegen zehn Uhr Abends in anderen Kleidern als sonst die Straße nach der Kirche zu passierte etc. etc.
Willy war durch diese Erzählung in große Unruhe gerathen, überdachte nochmals Franziskas Bericht. Er drückte Franziska an sein Herz und küßte sie.
– Können wir auch den armen Bruder nicht aus dem Grabe zurückrufen; vielleicht gelingt es uns, seinen Namen wieder herzustellen, dazu verhelfe uns Gott! Dann machte er sich auf den Weg zu dem Superintendenten.
Hier angekommen, wiederholte er demselben genau Franziskas Worte und bat ihn um seinen Rath. Die Liebe selbst, wie Doktor Rückert war, wurde Willy freundlich angehört, und seine Versicherung von der Unschuld des Bruders, blieb nicht ohne Eindruck auf den alten, an Erfahrung und Menschenkenntniß reichen Mann.
– Lieber Kantor, entgegnete der Superintendent, ich habe nie an die Schuld Ihres Bruders geglaubt und am allerwenigsten jetzt, nachdem Sie mir diese Wahrnehmung der Jungfer Franziska erzählt haben. Der Verbrecher arbeitet oft sehr schlau, um den Schein der Ruchlosigkeit von sich zu lenken. Mit Hilfe eines tüchtigen Rechtsgelehrten wird entschieden Licht in die Sache gelangen. Gotthold stand vor seiner Anstellung. Von dem Sanitätsrath Jung hatte er beinahe hundert Thaler erhalten. Noch an seinem Todestage sagte ich ihm persönlich, daß er auf meine Hilfe rechnen könne, und so oft ich mir die Sache überdacht habe, ich komme immer mehr zu der Ueberzeugung, daß hier Raub und Mord oder vielmehr Mord und Raub vorliegt. An dem Unglücklichen ist eine That begangen, die zum Himmel schreit!
Willy hätte seinem greisen Vorgesetzten um den Hals fallen mögen. Er eilte in die Wohnung zurück und freudestrahlend erzählte er nur Franziska von der Unterredung mit dem Superintendenten. Frau Hennig hatte sich ein wenig erholt und konnte ihre Lagerstätte wieder verlassen.
Der Untersuchungsrichter ließ infolge der Aussage des »schwarzen Hubert« den Küster Eberhard Anders vor sich laden. Anders erschien und das Verhör wurde in Gegenwart des von Willy angenommenen Rechtsgelehrten, sowie von dem Polizei-Kommissar vorgenommen:
– Wann war Hubert das letzte Mal bei Ihnen, d. h. an welchem Sonn- oder Festtage? inquirirte der Untersuchungsrichter.
– Am Charfreitage und den beiden Osterfesttagen! gab Anders sehr ruhig zur Antwort. Es verging überhaupt kein Sonn- und Festtag, wo er nicht bei mir vorsprach.
– Wo waren Sie, fuhr der Richter fort, am Mittwoch Abend vor dem Gründonnerstag? Waren Sie nicht an diesem Abend in der Konferenz, die im Schulgebäude wegen des Abschiedes der diesjährigen Konfirmanden daselbst stattfand?
– Jawohl!
– War auch Hubert an diesem Abend bei Ihnen?
– Gewiß, Herr Richter!
– Nun, wie reimt sich dies zusammen? Sie sind in der Konferenz und wollen behaupten, zu Hause in ihrer Wohnung sitzt der Freund, mit dem sie sonst eifrig zu plaudern haben?!
– Wenn ich mich nicht irre, traf ich ihn bei meiner Heimkehr noch an.
– Sie sind Ihrer Sache nicht gewiß und dabei sind seitdem noch nicht einmal zwei Wochen verstrichen. Das finde ich sonderbar! sagte der Untersuchungsrichter mit finsterer Miene. Ich werde Ihre Frau sofort laden lassen und sie vernehmen. Sie werden so lange hier Platz nehmen.
Ein Gerichtsdiener wurde zu Frau Anders gesandt und schon nach einer halben Stunde war dieselbe zur Stelle. Sie bekundete, daß Hubert, da er ihren Mann nicht angetroffen, sich gleich wieder entfernt habe, weil sie und ihre Tochter Gertrud mit dem unheimlichen Menschen nicht gern etwas zu schaffen hatten.
Der Richter äußerte sein Befremden, daß ein Mann in solcher Stellung mit einem so bös beleumundeten Menschen, als Hubert sei, habe Verkehr unterhalten. Dann entließ er die Zeugen.
In dem Wesen des Küsters war eine merkliche Aenderung eingetreten. Auf den Arm seiner Frau gestützt, verließ er das Gericht.
Der »schwarze Hubert« hatte sehnlichst auf seine Entlassung gerechnet. Es war ihm unerträglich, statt der früheren unsteten Lebensweise sich zwischen den düsteren Gefängnißmauern eingesperrt zu sehen. Da wird er plötzlich wieder zum Verhör geführt, und zwar, worüber er sehr in Wuth gerieth, mit Handfesseln. Er ahnte daraus sogleich, daß der Küster an ihm zum Verräther geworden war, und weil er nun keinen Ausweg mehr fand, erklärte er sich des Spieles am Charfreitag für schuldig und gestand noch, daß er am Mittwoch vor dem Gründonnerstag sich bei Anders nur einige Augenblicke aufgehalten habe. Es konnte ihn dieses Geständniß nur auf kurze Zeit in das Gefängniß bringen; und war die Strafe verbüßt, dann sollte auch Anders seine Rache fühlen.
Damit jedoch war die Sache nicht beendet. Es waren bei dem Untersuchungsrichter zwei Gesuche eingelaufen, welche auf die strengste Untersuchung wegen Kirchenraubes und wegen Ermordung des Gotthold Hennig gegen den verdächtigen »schwarzen Hubert« drangen. Die eine Schrift war vom Konsistorium infolge Doktor Rückerts Bericht an dasselbe; die andere von dem Advokaten, welchen Willy und Franziska um Rath und Beistand angesprochen hatten. Bei dieser Nachricht fuhr der »Schwarze« wie von einem Dolchstoß getroffen, zusammen. Es war ihm, als habe eine unsichtbare Gewalt ihn ergriffen, um ihn rettungslos zu zermalmen, und er brachte zu seiner Rechtfertigung nur Folgendes vor: »Zu der Kleidung, die ich trug, es war eine schlechtere als sonst, veranlaßte mich die späte Abendstunde und zu dem schweren Stock veranlaßte mich mein nicht ganz nüchterner Zustand. Im Uebrigen war es mir unbekannt, daß der Gotthold Hennig mit mir auf einem Wege war. Auf Raub und Mord bin ich nicht ausgegangen! Das wäre für mich, einem jungen kräftigen Manne gegenüber, wahrlich gewagt gewesen. Ich hatte die Absicht zu dem Küster Anders zu gehen.
– Und warum wurde diese Absicht nicht ausgeführt?
– In seiner Stube gewahrte ich kein Licht, und daher kehrte ich wieder um und ging nach Hause. Mein Weg führte mich an der Sankt Markuskirche vorüber, und in dem Augenblick hörte ich, daß die Thüren zugeschlossen wurden. Es war Anders selber, der die Stufen herabkam. Ich rief ihn an, aber er eilte mit raschen Schritten weiter, ohne sich umzusehen und ohne mich hören zu wollen, denn ich war ihm nahe genug, und mein wiederholter Ruf war auch laut genug. Wenn also Jemand mit Hennig zusammengetroffen ist, so muß es der Küster gewesen sein!
Der Richter hielt diese Worte für eine schlaue, böswillige Verleumdung, von der Rachsucht eingegeben, und nachdem Anders versichert hatte, daß er an jenem Tage die Kirche gar nicht betreten habe, wurde auf die Aussage eines Betrunkenen gar nicht weiter Rücksicht genommen. Bald darauf wurde der »schwarze Hubert« an Händen und Füßen gefesselt per Wagen nach seiner früheren Wohnung im Hessischen transportirt. Er sollte daselbst zum Geständniß mehrerer Diebstähle und Betrügereien gebracht werden, während die Polizei Haussuchung abhielt. Vom Volke wurde er bereits als der Mörder des unglücklichen Gotthold Hennig angesehen, und der Pöbel, schnell zur Rache bereit, warf ihn mit Koth und Steinen. Herzlich froh über die Festnahme des »Schwarzen« war der Küster Eberhard Anders. –
Gertrud Anders war vom Wochenmarkte nach Hause zurückgekehrt und warf dem Vater ärgerlich zwei große Geldstücke auf den Tisch.
– Nun kann ich noch einmal laufen; kein Mensch will die Dinger kennen und nehmen, und ich habe mich umsonst auf das schöne Kleid gefreut!
– Nur ruhig, mein Töchterchen, sagte Anders zu der ärgerlichen Tochter. Da ist ja leicht Rath geschafft. Ich habe noch von alter Zeit her nutzlose alte Silbersachen, die magst Du einmal zum Goldschmied tragen. Der wird sie Dir abnehmen, und dann kannst Du Dir Deine Sachen kaufen.
Eine Stunde später breitet Gertrud alle die schönen Sachen vor ihrem Vater auf dem Tische auseinander, welche sie für den Erlös aus den alten Silbersachen gekauft hatte. –
Der Goldschmied Grahl war schon im Begriff, die von Gertrud Anders erhandelten Gegenstände unter das alte Silber zum Einschmelzen zu werfen. Da fiel ihm ein, daß vielleicht die beiden Thaler bei einem Münzsammler und Kenner vortheilhaft zu verkaufen wären. Deshalb begab er sich zu dem Sanitätsrath Jung, den er als Numismatiker und Münzsammler kannte.
– Ja, lieber Herr Grahl, antwortete dieser als er die Münzen betrachtet hatte, sie sind werthvoll, und das Drollige an der Sache ist, ich habe sie selbst einmal besessen. Nur besinne ich mich augenblicklich nicht, wo ich sie seiner Zeit hingegeben habe. Aber es wird mir wohl noch einfallen!
Es waren zwei Doppelthaler, welche die Stadt Augsburg zur Erinnerung an Gustav Adolf, König von Schweden, 1633 prägen ließ.
– Jetzt entsinne ich mich bestimmt, wohin ich diese prächtigen Münzen gegeben habe, warf der Rath plötzlich ein, und es ist mir von höchster Wichtigkeit, mein lieber Herr Grahl, zu erfahren, wie Sie in den Besitz derselben gelangt sind!
Ohne Umstände erzählte Meister Grahl dem Sanitätsrath die Art der Erwerbung der Münzen. Dieser ging an sein Cylinderbureau, nahm Geld heraus und erwarb die beiden Doppelthaler. Meister Grahl strich den Verdienst ein und empfahl sich.
Abermals wurde Anders vor den Untersuchungsrichter geladen. Nicht ohne Sorge und große Erregung ging er dahin, weil er fürchtete, mit dem »Schwarzen« konfrontirt zu werden, den man kürzlich wieder hierher transportirt hatte. Er erblickte ihn jedoch nicht, und die Beklommenheit löste sich von seiner Brust. Nur fiel es Anders auf, heute mehrere Untersuchungsrichter anzutreffen. Ebenso war Willys Advokat und der Polizei-Kommissar auch wieder anwesend.
Der Untersuchungsrichter drückte seine Verwunderung darüber aus, daß Hubert bei der Versicherung beharre, er habe den Küster am Mittwoch vor Ostern aus der Sankt Markuskirche kommen sehen. Anders entgegnete ruhig:
– Es wird Ihnen einleuchten, hohe Richter, daß Hubert einiger Aussagen wegen, welche ich gegen ihn gethan, auf mich erbittert und darauf bedacht ist, sich an mir zu rächen und gleich den Verdacht, der auf ihm selber ruht, abzuwenden. Uebrigens räumt er seine dermalige Betrunkenheit selbst ein, und ich habe bereits versichert und bleibe dabei, daß ich jenen Tag über die Kirche nicht betreten habe.
– Aber vielleicht Abends oder Nachts? warf der Inquirent ein.
– So lange nicht als es Mittwoch heißt, und auch am Donnerstag bis früh gegen acht Uhr nicht! erwiderte Anders etwas spöttisch.
– Und es ist Ihnen auch jetzt noch nicht ein Verdacht aufgestiegen, wer den Gotteskasten erbrochen hat?
– Gänzlich unbekannt, wenn der Verdacht nicht begründet, der gegen den »schwarzen Hubert« vorliegt, und den selbst der Herr Superintendent mit mir theilt.
Der Polizei-Kommissar übergab nun dem Untersuchungsrichter ein kleines Päckchen, welches dieser öffnete und zu Anders gewandt sagte:
– So betrachten Sie einmal diese beiden Doppelthaler hier und sagen Sie uns, ob Ihnen dieselben auch fremd sind!
Alle Anwesenden hatten Anders scharf ins Auge gefaßt. Dem Küster aber wollte der Schreck die Brust zusammenschnüren, er zwang sich indeß zur Besonnenheit.
– Es scheint mir fast so, als wären mir 'mal ähnliche vorgekommen, doch ich kann mich irren!
– Ich will Ihrem Gedächtniß zu Hilfe kommen. Sind es nicht dieselben, welche Ihre Tochter an den Goldschmied Grahl verkaufte?
– Das kann ich nicht behaupten. Ich gab ihr zwar vor kurzem nebst anderen alten Silbersachen ein paar ungangbare Thaler, die ich aus dem Feldzuge mitgebracht und aufbewahrt hatte. Vielleicht finden sich sogar noch einzelne dergleichen alte Münzen in meiner Wohnung.
– Herr Sanitätsrath Jung, hob hierauf der Untersuchungsrichter an, wollen Sie die Güte haben und Ihre Aussage noch einmal wiederholen!
Dieser stand auf, trat an den Richtertisch und sagte:
– Die beiden Doppelthaler, welche Sie hier sehen, waren am Sonnabend vor acht Wochen noch mein Eigenthum. Sie wissen es, meine Herren, und die halbe Stadt weiß es, daß ich ein leidenschaftlicher Sammler denkwürdiger Münzen bin. Diese beiden Münzen habe ich in Staniol abgeschlagen und hier lege ich Ihnen die Kopie vor, und Sie werden sich überzeugen, daß dieselben mit den Originalen, welche Sie, Herr Untersuchungsrichter in der Hand haben, genau übereinstimmen. Es sind sehr werthvolle Münzen. Nun hören Sie gefälligst weiter. Ich war ziemlich lange krank. Nach meiner völligen Genesung machte ich unserer Sankt Markuskirche mit diesen Münzen, die zur Erinnerung des christlichen Königs geprägt wurden, ein Geschenk, und dasselbe legt man selbstverständlich in den Gotteskasten. Ich versichere nochmals, daß die Münzen mit den von mir der Kirche geschenkten identisch sind.
– Nun, Herr Küster, begann der Richter von Neuem, weisen Sie uns nach, auf welche Weise diese Münzen aus dem Gotteskasten in Ihren Besitz gelangten; oder weigern Sie sich nicht länger, ein offenes Geständniß abzulegen?
Anders, bestürzt und niedergeschmettert, starrte bald die Richter, bald den Sanitätsrath an, aber er blieb auf jede Frage die Antwort schuldig.
Nun wandte sich der Richter an den Kommissar:
– Herr Kommissar, verhaften Sie den Küster Eberhard Anders und legen Sie denselben fest!
Im Nu war Anders an Händen und Füßen »schwer« gefesselt und zwei Gendarmen führten ihn zum Untersuchungs-Arrest.
Hier besuchte ihn Doktor Rückert, und schon nach seinen ersten Worten:
– Meinst Du, daß sich jemand so heimlich verbergen könne, daß der Herr ihn nicht sehe? gestand ihm der Küster Eberhard Anders Alles, wie es geschehen war:
Habsucht und Geiz, aufgestachelt durch den Umgang mit dem »schwarzen Hubert«, den er seinen bösen Feind nannte, hatten ihn schon früher einmal zum Kirchenräuber werden lassen. Er hatte indes stets nur geringere Summen entwendet und die eisernen Bänder des Gotteskastens wieder befestigt, daß eine Entdeckung nicht zu fürchten war. Ein böses Verhängniß führte an jenem Mittwoch Abend zu ungewöhnlich später Stunde seinen Famulus Gotthold Hennig in die Kirche, da Anders gerade bei seiner Diebesarbeit begriffen war. Als er die Schritte des nahenden Jünglings hörte, löschte er schnell seine Laterne aus. Hennig öffnete sorglos die Thür der Sakristei und ging nach dem Fenster, wo ein Feuerzeug stand, um Licht anzuzünden. Schon hielt er den brennenden Schwefelfaden in der Hand, und es ward hell ringsum. Der Küster sah sich verrathen. Er sprang auf Hennig, der ihm den Rücken zukehrte, los, und ein Schlag mit dem größten der Kirchenschlüssel geführt, traf das Haupt des ahnungslosen Jünglings und streckte ihn zu Boden. Vielleicht war er nur ohnmächtig, aber die Furcht vor Entdeckung machte den Räuber auch noch zum Mörder; und um den Schein der Verruchtheit auf sein Opfer fallen zu lassen, füllte er die Taschen des Ermordeten mit Geld aus dem Gotteskasten und dann knüpfte er ihn auf dem »Geigenboden« auf. Dann ging er in die Sakristei zurück und stahl eine größere Summe auf Hennigs Rechnung und ließ den Gotteskasten geöffnet stehen.
Die beiden ehemaligen Freunde Eberhard Anders und der »schwarze Hubert«, befanden sich nur noch eine kurze Zeit in unmittelbarer Nachbarschaft. Der Eine lachte und fluchte, während der Andere still blieb und über sein selbstverschuldetes Schicksal hinbrütete. Er hatte seine Greuelthat bekannt und sah nun das Schaffot sich erheben und im günstigsten Falle das Richtschwert blinken. Er entzog sich der öffentlichen Schande und entschloß sich sein verwirktes Leben von sich zu werfen. Als der neue Tag anbrach, fand ihn der Kerkermeister todt, an dem Eisengitter des Fensters erhängt. Kurz darauf verließ auch der »schwarze Hubert« das Gefängniß, um es mit mehreren Jahren Zuchthaus zu vertauschen.
Der Superintendent war, nachdem er über Anders' Geständniß Bericht erstattet hatte, noch an demselben Tage zu den trauernden Angehörigen des Gotthold Hennig geeilt, um sie von dem Geständniß des Küsters und der Unschuld des Gemordeten zu unterrichten. Einige Tage später wurde die Leiche des Unglücklichen exhumirt und ehrenvoll, unter dem Gefolge der ganzen Einwohner, feierlichst bestattet. Die Wittwe aber erhielt eine Lebensrente von dem Konsistorium und Franziska und Willy wurden nach einem Jahr von dem Superintendenten ehelich eingesegnet.