Manfred Kyber
Grotesken
Manfred Kyber

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Kapitaldeutsch

Thaddäus Schmachtvoll war ein deutscher Dichter und besaß demgemäß zwei Hemden, so daß er solche wechseln konnte. Er war überaus dankbar, daß er die Hemden wechseln konnte, denn sonst konnte er nichts wechseln, vor allem kein Geld, weil er solches nicht hatte. Denn der Beruf eines deutschen Dichters ist zumeist mit einem sozusagen kapitalfernen Dasein verbunden.

Thaddäus Schmachtvoll träumte davon, daß er einmal ein Kapitalist sein würde, nämlich wenn zu einem leider noch nicht genau zu bestimmenden Termin der zehnte Band seiner Lyrik in der hundertsten Auflage erscheinen würde. Das vorauszusagen, war nicht ohne Schwierigkeit, denn vorerst war der erste Band seiner Lyrik noch in keiner Auflage erschienen. Trotzdem wurde Thaddäus Schmachtvoll Kapitalist und zwar durch einen Gönner, einen Kunstmäzen und Trikotagenknöpfefabrikanten, der ihm eines abends nach dem Genuß der dritten Flasche Sekt und der siebenten Havanazigarre 100 Mark schenkte.

Thaddäus Schmachtvoll beschloß seinen Kapitalismus sozusagen festzulegen. Er ging auf eine Bank, wo er noch nie gewesen war, und eröffnete ein Konto von 100 Mark. Nach einer halben Stunde erschien er wieder und erhob, zum ersten Mal in seinem Leben, von seinem eigenen Konto 95 Mark 50 Pfennige. Den Rest ließ er stehen, damit er sich verzinse, denn von diesem ihm ungeläufigen Vorgang versprach sich Thaddäus Schmachtvoll ungeheuer viel. Er verband diese ihm noch unbekannte Erfahrung am Gelde intuitiv mit der Fruchtbarkeit eines Kaninchens. Den erhobenen Betrag verbrauchte er am gleichen Abend restlos in einem jähen Anfall von Lebensbejahung.

Am anderen Morgen erhielt er von der Bank das folgende Schreiben, von dem er bei Empfang des Briefes erst eine sensationelle Nachricht über seine Zinsen erwartet hatte.

»Betr. Ihr Konto No. 1081.

Sie zahlten bei uns Mark 100 ein, wofür wir Sie Wert 4 dieses erkannten, und erhoben bei uns Mark 95 auch 50 Pfennige, wofür wir Sie Wert 4 dieses belasteten, zuzüglich unserer Portospesen von 1 Mark auch 25 Pfennigen Wert 4 dieses, womit verbleibt ein Saldo zu Ihren Gunsten von 3 Mark auch 75 Pfennigen, wofür wir Sie Wert 4 dieses erkannt haben. Zu obigem Betreff bemerken wir, daß wir künftig anfallende Gebühren in gleicher Weise zu Ihren Lasten gehen lassen werden und verbleiben ohne mehr für heute

hochachtungsvoll.«

Thaddäus Schmachtvoll, der als deutscher Dichter bisher nur die deutsche Sprache gekannt hatte, bekam ein nebelähnliches Gefühl im Kopf, empfand aber einen Brief einer Bank als etwas Neuartiges und hatte das Gefühl, daß er in höflicher Form seinen Dank auszusprechen habe.

Er schrieb, nicht ohne wesentliche Mühe:

»Ihren Brief habe ich erhalten und habe zu obigem Betreff mit heißem Dank ersehen, daß Sie mich, obwohl belastet, doch nach so kurzer Bekanntschaft erkannt haben, und daß Sie Wert 4 dieses mit allen künftig anfallenden Gebühren ohne mehr für heute hochachtungsvoll verblieben sind, was ich ebenso herzlich erwidere.«

Nach dieser Arbeit oder, man kann vielleicht sagen, dieser Tat, bemerkte Thaddäus Schmachtvoll noch ein zweites Schreiben auf seinem Frühstückstisch oder auf dem Versuch eines solchen. Es war eine Benachrichtigung jener Behörde, die kurz und treffend mit dem Namen Einkommensteuerveranlagungskommission bezeichnet wird. Dieses Wort von siebenunddreißig Buchstaben war Thaddäus Schmachtvoll nicht unbekannt und er verband mit ihm keine tollen Hoffnungen auf Zinsen.

Vorerst ersah er, daß Steuern nicht erhoben, sondern gehoben werden, denn es handelte sich um die Steuerhebestelle. Diese Hebestelle hatte ein Band mit einer Nummer und eine Heberolle, während Thaddäus Schmachtvoll bloß ein Strumpfband ohne Nummer besaß und eine Heberolle oder andere Rolle überhaupt nicht in seinem Besitz hatte.

»Sie werden hierdurch ersucht,« las er nicht ohne Bewunderung, »die laut Steuerzettel fälligen 6 Mark auch 86 Pfennige dem obigen Finanzamt einzuzahlen, widrigenfalls unverzüglich zur Pfändung geschritten wird. Ohne Aufhalt nachgenannter Schuldigkeit steht Ihnen das Rechtsmittel der Berufung zu, welche binnen einer Ausschlußfrist von 28 Tagen von dem auf die Zustellung dieser Benachrichtigung folgenden Tage ab bei der der Einkommensteuerveranlagungskommission übergeordneten Behörde, diesfallsig dem Herrn Justizminister, beizubringen ist. Sie werden des weiteren aufgefordert, den Nachweis zu erbringen, daß Sie kein anfälliges Kapital besitzen und keinerlei Nutznießungsrechte aus Liegenschaften herleiten. Eine nochmalige Zahlungsaufforderung findet nicht statt.«

Thaddäus Schmachtvoll bekam ein nebelähnliches Gefühl im Kopf. Auch hatte er den unbestimmten Eindruck einer gewissen Drohung, von der ihm das Schreiben der Behörde mit den siebenunddreißig Buchstaben nicht frei erschien. Doch klang der Schluß mit der Versicherung, daß keine weitere Zahlungsaufforderung erfolgen werde, so tröstlich, daß er beschloß, sich dafür in höflichster Weise erkenntlich zu zeigen.

Er schrieb, nicht ohne wesentliche Mühe:

»An das obige Finanzamt.

Ihr Schreiben mit Band und Heberolle, welche beide ich nicht besitze, habe ich erhalten und danke Ihnen herzlichst, daß eine weitere Zahlungsaufforderung nicht erfolgen soll. Daß Sie auf eine bei mir ja auch ganz erfolglose Pfändung verzichten, ersehe ich mit Freude auch daraus, daß Sie nur zu einer Pfändung schreiten, es also offenbar nicht zur Pfändung selbst kommen lassen wollen. Auf eine Berufung verzichte ich, denn man soll nichts berufen, darin bin ich abergläubisch und die nachgenannte Schuldigkeit kann ich nicht bezahlen, weil ich sie nicht habe, noch haben werde. Meine Liegenschaften sind zwei Hemden, so daß ich stets eins wechseln kann, aber ich habe keine Nutznießung außer dem Anziehen. Mein Kapital besteht aus 3 Mark auch 75 Pfennigen, womit ich nach Belastung erkannt worden bin Wert 4 dieses und wobei man ohne mehr für heute hochachtungsvoll verblieben ist. Ich fürchte, es wird auch ohne mehr für morgen und übermorgen sein. Anfällig ist mein Kapital nicht, es ist klein und schwach und fällt keinen an. Es ist froh, wenn man ihm selbst nichts tut. Diesfallsig habe ich zu obigem Betreff nichts mehr hinzuzufügen.«

Am anderen Tage schrieb die Bank, daß sie das Konto des Herrn Thaddäus Schmachtvoll gelöscht habe, da sie nicht gewohnt sei, sich von ihren Kunden bei Ausübung ihrer Geschäftsgebräuchlichkeit verhöhnen zu lassen. Sie übersandte ferner nach Abzug der anfälligen Gebühren, mittels obiger Ueberweisung durch fraglichen Postscheck an genannte Adresse den Restbetrag von 3 Mark auch 5 Pfennigen, ohne jedoch diesmal ohne mehr für heute hochachtungsvoll zu verbleiben.

Eine halbe Stunde darauf erschien ein tatkräftiger Beamter der Behörde mit den siebenunddreißig Buchstaben und schritt bei Herrn Thaddäus Schmachtvoll zur Pfändung, wobei er jedoch diesfallsig nichts weiter eruierte und auch beschlagnahmte, als das inzwischen durch fraglichen Postscheck obiger Ueberweisung an genannte Adresse angefallene Kapital von 3 Mark auch 5 Pfennigen.

Der Beamte kündigte ferner an, daß man nach geschrittener Pfändung ohne Aufhalt zu einem Strafverfahren wegen Beleidigung einer Behörde von siebenunddreißig Buchstaben schreiten werde.

Thaddäus Schmachtvoll fühlte sich schwer belastet und erkannte, daß er als deutscher Dichter mit einem Deutsch belastet war, das in seinem Vaterlande diesfallsig als solches nicht erkannt werde. Er verkaufte sein eines Hemd, erkannte sich mit dem anderen, belastete sich mit zehn Bänden seiner anfälligen Lyrik, und schritt zur Auswanderung mit einem Taschenmesser auch einer Zahnbürste nach Afrika, wo nachgenannte Schuldigkeit das vorgenannte Deutsch obengenannter Institutionen zu kennen keinesfallsig und in keinerlei Betreff bekannt ist. Und dort verblieb er, ohne mehr für heute.


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