Manfred Kyber
Grotesken
Manfred Kyber

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Die Ehe Niederbeuge

In Niederbiegen lebten Herr Niederbeuge und Frau Niederbeuge, geborene Krampf. Herr Niederbeuge und Frau Niederbeuge trugen ihren Namen mit Recht, und zwar Herr Niederbeuge in leidender Form und Frau Niederbeuge in tätiger Form. Das heißt, der Ausdruck ›tätige Form‹ war eigentlich kein erschöpfender für das, was Frau Niederbeuge war. Frau Niederbeuge war überhaupt nicht zu erschöpfen. Die Ehe von Herrn Niederbeuge und Frau Niederbeuge war insofern keine ganz glückliche, als die Knochen und die Haut des Herrn Niederbeuge auf die Dauer eine schwächere Konstitution zeigten als der Besenstiel von Frau Niederbeuge, ferner insofern, als die Ohren des Herrn Niederbeuge auch nach langen Jahren des Zusammenlebens mit Frau Niederbeuge immer noch einen peinvollen Rest von Schallempfindlichkeit besaßen.

An seinem fünfundzwanzigsten Hochzeitstage setzte sich Herr Niederbeuge in einen Sessel und sagte: »Ach, wenn mich doch der Teufel holte!«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, saß der Teufel vor ihm.

»Wer sind Sie?« fragte Herr Niederbeuge höflich. Er war den Anblick von Frau Niederbeuge, geborenen Krampf, gewohnt und hatte den Eindruck, einem angenehmen Herrn mit einnehmenden Gesichtszügen und einem gewinnenden Lächeln gegenüberzusitzen.

»Ich bin der Teufel,« sagte der Teufel und fletschte die Zähne.

»Ihr Lächeln hat etwas sehr Reizvolles,« sagte Herr Niederbeuge, »aber ich weiß nicht, wie ich zu der Ehre komme.«

»Sie haben mich doch eben gerufen,« sagte der Teufel, »und ich bin gekommen, Sie zu holen.«

»Fünfundzwanzig Jahre ist es mir nicht mehr passiert, daß jemand kam, wenn ich ihn rief,« sagte Herr Niederbeuge verträumt. »Nun kommt sogar allerhöchstselbst der Teufel, und ich habe dabei doch so gar nichts Faustisches an mir.«

»Nein, das haben Sie nicht,« sagte der Teufel, »Sie haben den Kopf einer Ziege, den Körper einer Spinne und den Gesichtsausdruck eines Idioten.«

»Fünfundzwanzig Jahre ist es her, daß jemand ein so freundliches Bild von mir entworfen hat,« sagte Herr Niederbeuge dankbar.

»Sie sind sehr anspruchslos,« sagte der Teufel, »offenbar sind Sie verheiratet.«

»Verheiratet ist kein Wort dafür,« sagte Herr Niederbeuge und lächelte so, als hätten sich eine Sphinx und zwanzig Märtyrer zusammengetan, um ein Lächeln für Herrn Niederbeuge herzustellen.

»Ihre Ehe scheint keine harmonische zu sein?« fragte der Teufel.

»Jedenfalls habe ich bisher diesen Eindruck nicht gewinnen können,« sagte Herr Niederbeuge, »das Schicksal hat mich für diese Ehe nicht in genügendem Maße ausgestattet. Es hätte mir das Innere eines Gletschers und das Aeußere eines Lindwurms geben sollen. Statt dessen habe ich das Innere eines Kaninchens und mein Aeußeres haben Sie ja eben erst, wenn auch in schmeichelhafter Uebertreibung, mit sehr treffenden Worten gekennzeichnet.«

»Es ist, wie ich sehe, die Schuld Ihrer Frau,« sagte der Teufel.

»Das wage ich nicht zu behaupten,« sagte Herr Niederbeuge, »ich kann nur feststellen, daß meine Knochen nach langjährigen Versuchen noch nicht die Härte von Holz besitzen und daß ich trotz fünfundzwanzigjähriger Ehe immer noch eine gewisse Tonempfindung in den Ohren nicht loswerden kann, so daß ich gegen das Organ meiner Frau eine vielleicht subjektive Voreingenommenheit habe und leider auch immer noch einen Bruchteil von dem verstehe, was sie sagt.«

»Das ist natürlich ein großer Fehler in der Ehe,« sagte der Teufel.

»Vielleicht wäre meine Frau mit einer Lokomotive sehr glücklich geworden,« sagte Herr Niederbeuge bescheiden. »Man muß die Schuld nicht immer beim anderen Teile suchen.«

»Einer Lokomotive kann auch das Pfeifen vergehen unter Umständen,« sagte der Teufel, »und solche Umstände scheinen hier doch vorzuliegen.«

»Umstände ist gar kein Wort,« sagte Herr Niederbeuge, »da sind die Worte überhaupt sehr schwer zu finden. Zuerst dachte ich, ich könne bloß die Worte nicht finden, aber schließlich fand ich, daß die Sprache solche Worte gar nicht hat. Außerdem habe ich noch so etwas wie innere Organe.«

»Die darf man in der Ehe natürlich nicht haben,« sagte der Teufel, »außer den Organen des Stoffwechsels und der Fortpflanzung.«

»An Stoffwechsel hat es in meiner Ehe nie gefehlt,« sagte Herr Niederbeuge, »es kann auch sein, daß ich einmal ein Fortpflanzungsorgan gehabt habe. Frau Niederbeuge selbst hat sich aber nicht fortgepflanzt, und leider hat es auch kein anderer getan. Ich wäre ihm sehr dankbar gewesen.«

»Also, nun wollen Sie in die Hölle?« fragte der Teufel.

»Eigentlich hatte ich diese Absicht nicht. Fünfundzwanzig Jahre lang habe ich überhaupt keine Absichten mehr gehabt,« sagte Herr Niederbeuge, »ich habe Sie eigentlich nur so gerufen, aus einer freundlichen Stimmung heraus, aber da Sie nun davon sprechen, muß ich sagen, daß mir eine kleine Erholung eigentlich gut täte.«

Der Teufel machte Augen in der nicht unbeträchtlichen Größe eines Suppentellers.

»Halten Sie die Hölle für eine Erholungsanstalt?« fragte er.

»Ich denke sie mir recht angenehm,« sagte Herr Niederbeuge, »freilich möchte ich da keine Damen treffen. Ich habe allmählich so etwas wie eine Abneigung gegen das weibliche Geschlecht bekommen.«

»Eine Hölle ohne Damen gibt es nicht,« sagte der Teufel, »das sind doch unsere zahlreichsten Insassen, aber wir haben ganz nette darunter.«

»Das kann schon sein, aber bei mir ist das eine Art von Idiosynkrasie geworden,« sagte Herr Niederbeuge, »Sie kennen eben Frau Niederbeuge, geborene Krampf, nicht. Ich müßte schon die Garantie haben, daß keine der in Ihrem Erholungsheim anwesenden Damen eine Aehnlichkeit mit Frau Niederbeuge aufzuweisen hat. Ich habe den unbestimmten Eindruck, daß ich mich sonst nicht bei Ihnen erholen könnte.«

»Sie können sich ja mehr an die jungen Damen halten,« sagte der Teufel, »wie sieht denn Frau Niederbeuge aus? Können Sie sie mir beschreiben?«

»Ich habe kein Wort dafür,« sagte Herr Niederbeuge. »Aber vielleicht sagen Sie mir, welche Art von Damen Sie in Ihrem Sanatorium beherbergen.«

»Sie vergreifen sich immer wieder im Begriff,« sagte der Teufel, »die Hölle ist kein Sanatorium.«

»Ich vergreife mich nicht,« sagte Herr Niederbeuge, »Sie kennen Frau Niederbeuge nicht.«

»Also wir haben da zum Beispiel alle die netten Kurtisanen, die Sie sicher aus der Kulturgeschichte kennen,« sagte der Teufel, »ich kann Ihnen gerne einen stillen Kessel in diesem Saal anweisen.«

»Kurtisanen kenne ich aus der Kulturgeschichte, und zwar nur aus der Kulturgeschichte,« sagte Herr Niederbeuge, »trotz dieser leider rein theoretischen Vorstellung aber kann ich mit größter Bestimmtheit sagen, daß Frau Niederbeuge keinerlei Aehnlichkeit mit diesen Geschöpfen hat.«

»Sehen Sie,« sagte der Teufel freundlich, »den gleichen Eindruck habe ich durch unsere Unterhaltung auch gewonnen. Darum habe ich Ihnen gerade diesen allerdings etwas heißen Saal vorgeschlagen.«

»Heiß?« fragte Herr Niederbeuge.

»Sehr heiß, Sie braten, rösten und schmoren.«

»Kleinigkeit!« sagte Herr Niederbeuge.

»Sie scheinen wirklich sehr abgebrüht zu sein,« sagte der Teufel.

»Abgebrüht ist kein Wort,« sagte Herr Niederbeuge, »aber sagen Sie mal, Ihre Frau Großmutter lebt doch auch da. Hat sie nicht am Ende eine gewisse Aehnlichkeit mit Frau Niederbeuge? Verzeihen Sie, aber ich möchte bei einem Sanatorium, in dem ich mich erholen möchte und, wie ich wohl sagen darf, erholen muß, gerne sicher gehen.«

»Ich habe ein Bild meiner Großmutter bei mir,« sagte der Teufel und zog gefällig eine Photographie hervor, »es ist die letzte Aufnahme für die ›Höllenstimmen‹.«

Herr Niederbeuge warf einen Blick darauf.

»Eine Venus,« sagte er.

»Kommen Sie und sagen Sie ihr das selbst,« sagte der Teufel.

»Ich will nur noch meine Zahnbürste einpacken,« sagte Herr Niederbeuge, »es ist dies der einzige Gegenstand, der mir vollständig allein gehört und an dem ich mir zuweilen ein kapitalistisches Gefühl suggeriert habe.«

»Herr Niederbeuge,« sagte der Teufel, »Sie haben gesagt, daß meine Großmutter eine Venus sei. Ich will mich erkenntlich zeigen. Ich will nicht Sie, sondern Ihre Frau holen.«

»Hähä,« sagte Herr Niederbeuge, »Sie kennen Frau Niederbeuge nicht, sonst wüßten Sie, wie grotesk dieser Gedanke ist.«

»Grotesk oder nicht,« sagte der Teufel, »wenn ich sie nicht kenne, so werde ich sie kennen lernen. Schließlich bin ich der Teufel.«

»Ein Engel sind Sie,« sagte Herr Niederbeuge, »aber Frau Niederbeuge hat keine Angst vor Ihnen.«

Der Teufel rollte seine Augen in der für dieses Organ ungewöhnlichen Größe von Kompottschüsseln.

»Ich werde mich stark in Schwefel hüllen,« sagte der Teufel.

»Das tun Sie reichlich,« sagte Herr Niederbeuge.

Der Teufel spuckte Feuer und hüllte sich in Schwefeldämpfe, so daß Herrn Niederbeuge etwas übel wurde.

»Die Gardinen werden leiden,« sagte Herr Niederbeuge schwach.

»Wo ist Ihre Frau Gemahlin?« fragte der Teufel und wirbelte voller Unternehmungslust seinen schwarzen Schwanz.

»In der Küche,« sagte Herr Niederbeuge.

»Also ab durch den Rauchfang!« rief der Teufel.

Ein furchtbares Getöse erhob sich in der Küche, so daß Herrn Niederbeuge die Spinnenbeine zitterten vor Angst, der Teufel könne unterliegen.

Dann wurde es still, die Wohnung war leer und Herr Niederbeuge ging lächelnd von Zimmer zu Zimmer, um die Fenster zu öffnen und die Schwefeldämpfe auszulüften.

»Seligkeit ist kein Wort,« sagte Herr Niederbeuge und setzte sich.

Nach einer Viertelstunde klingelte es und ein Hilfsteufel gab ein gewaltiges Paket ab, das geradezu unsagbar verschnürt war. Dazu einen Zettel: »Anbei Frau Niederbeuge. Sie soll einen Gasometer heiraten. Vielleicht erstickt sie dran. Schwefeldampf resultatlos. Kommen Sie lieber selbst.«

Herr Niederbeuge schnürte nicht auf. Er rief eine Nachbarin und bat sie, ein interessantes Paket zu öffnen, das eben angekommen wäre. Er selbst nahm seine Zahnbürste und ging geradeswegs in die Hölle. Der Mensch muß sich einmal erholen.

Herr Niederbeuge saß bald im stillen Kessel des Kurtisanensaales, schmorte, briet und röstete und fand es ganz angenehm. Dazwischen spielte er mit des Teufels Großmutter Sechsundsechzig.

Frau Niederbeuge fand den Zettel des Teufels und heiratete einen Gasometer – nun gerade! Aber bereits nach drei Tagen entleibte sich der Gasometer durch eine geradezu entsetzliche Explosion.

»Explosion ist kein Wort dafür,« sagte Herr Niederbeuge, als er das hörte.


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