Isolde Kurz
Die Nacht im Teppichsaal
Isolde Kurz

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V
Die Dame von Forli

Mit dem Sturmwind, der in den Haaren der Verdammten wühlt, und dem Dichter, der zu ihren Füßen vor Erschütterung zu Boden geschlagen ist – come corpo morto cade –, ist das letzte Wachs abgeträufelt und die Schau zu Ende. Im Saal ist es dunkel geworden, und das ist gut. Die Teppichfolge zwischen den Türen der gegenüberliegenden Wand ist nur noch in den äußersten Umrissen zu erkennen. Mit ihrer Besichtigung hat es Zeit bis zur Morgensonne, die hier oben früh heraufsteigt.

Unterdessen können die Wellen sich legen, denn was der nächtliche Gast sich soeben selber erzählt hat, muß noch in ihm auszittern, bevor es einem neuen Eindruck Platz machen kann.

Er tritt ans Fenster und badet Gesicht und Brust in der reinen Bergluft. So prachtvoll, scheint ihm, war die blaue Seide des Nachthimmels noch nie mit Gold gestickt. Drunten sind die Lichter erloschen. Tiefe Stille herrscht im Tal, die nur zuweilen durch verlorenes Hundegebell aus irgendeinem Gehöft unterbrochen wird, und aus unbestimmten Räumen steigt jener geheimnisvolle summende Ton herauf, der als rings verbreitetes Schlummerlied den Gang der südlichen Nacht begleitet. Dazwischen ertönt in längeren gleichmäßigen Abständen wie der Schlag einer lebendigen Uhr das schwermütige und doch so ruhevolle »Kiuh« der Zwergohreule.

Lange steht er noch und trinkt in tiefen Zügen aus dem unerschöpflichen Kelch des Schönen, bevor er mit dem Taschenlämpchen sein Lager ertastet und sich zur Hälfte entkleidet niederstreckt. Mit dem bestimmten Willen, am 84 Morgen zeitig wach zu sein, gibt er sich selbst das Signal zum Einschlafen und entschlummert augenblicklich.

Aber nicht für lange. Der Vollmond, der goldgelb und riesig über der östlichen Kuppe aufgestiegen ist, gießt seine Erregung in den Schlaf des Wanderers und weckt ihn mit seinem auf die Südwand gerichteten Schein. Magisch geistert sein jenseitig-blasses Licht über die gewirkten Gestalten hin und füllt sie mit unheimlichem Leben. Ein leiser Luftzug hebt kaum wahrnehmbar die nur oben befestigten Gewebe und verstärkt den Eindruck gespenstischer Bewegung auf den Bildern. Unsagbar ist die Unruhe, die davon ausgeht. Es ist eine zusammenhängende, wenn auch durch die Türen unterbrochene Teppichreihe, worauf die gleichen Gestalten in verschiedenfachen Zusammenstellungen wiederkehren. Ohne Zweifel sind es diese, die das Zimmer in den Ruf des Unheimlichen gebracht haben; ihre Lebensnähe ist schon an sich beunruhigend, auch abgesehen vom Gegenstand, weil sie dem strengen Gesetz des Teppichstils widerspricht. Die Reihe beginnt von links nach rechts wie die Schrift eines Buches, gewebte Hieroglyphen, die augenscheinlich ein historisches Begebnis erzählen. Der erste Teppich zeigt abermals eine Belagerung und eine Frau, die von der Zinne herab zum Feinde spricht. Aber keine jugendliche Huldgestalt wie die Galiana, sondern eine Kriegerin von reifer dämonischer Weibesschönheit; wie mit Widerhaken hält sie den Beschauer fest, daß er nicht von ihr loskann. Diese wundervoll geschnittenen gebietenden Augen, die kühngebogene Nase, die vollen Lippen mit dem verwirrenden, sinnlich grausamen Zug, wem gehören sie? Das suchende Auge entdeckt in der oberen Ecke der Zierleiste ein Doppelwappen, die Viper der Sforza-Visconti und die Rose der Riario. Jetzt kennt er die Frau und er kennt auch die trotzige klotzige Festung 85 mit den vier stumpfen, oben abgeschlossenen Rundtürmen in den Ecken und dem wenig erhöhten Hauptturm, denn ganz so steht sie noch heute in der Ebene von Forli, die ehemalige Zwingburg dieser Stadt. Damit hat er den magischen Schlüssel in Händen, jetzt müssen ihm die Geister sprechen.

Die Frau ist keine andere als Caterina Sforza, regierende Gräfin von Forli und Imola, als Verteidigerin dieser Feste durch die Jahrhunderte berühmt. Die Frau mit dem unbezwinglichen Condottierenblut ihrer Vorfahren in den Adern und ebenso mit deren Kriegs- und Staatskunst. Die Amazone, die Waffen trägt wie ein Mann, Truppen aushebt und einübt, im Getümmel, wenn es not tut, selber mitficht. Und dabei für die schönste Frau Italiens gilt. Denn schön ist sie, niemand sage nein. Ihr erster Gatte wurde an ihrer Seite ermordet, der zweite ebenfalls. Beide Male hat sie grausige Rache genommen, hat ihr Forli in eine blutströmende Richtstatt verwandelt. Jetzt ist sie zum drittenmal Witwe und noch immer schön. Den Reiz ihrer Züge hat weder ihre Grausamkeit noch die Unersättlichkeit ihrer Sinne zu zerstören vermocht: beides verrät sich nur in den gespannten Nüstern und den geschwellten Lippen mit der kleinen schlimmen Falte in den Mundwinkeln.

Und der elegante Kavalier auf weißem Roß zwischen zwei Trompetern vor der Mauer – ist das der Feind, der die Anstalten zum Verderben der schönen Amazone befehligt? Er hält den Hut mit dem weißen Federbusch in höfischem Schwung weit von sich gestreckt und neigt sich voll Anmut; man könnte an einen Liebesritter denken, der um Einlaß wirbt. Wohl wirbt er um Einlaß, aber mit Liebe hat die Werbung nichts zu schaffen, sie kommt aus einem Herzen, das nie geliebt hat, dessen Eis nur zuweilen im Feuer des Hasses schmilzt. Denn diese schlanke, 86 geschmeidige Schönheit gehört dem Oberherrn der Dämonen, Cesare Borgia, an, bei dessen verfluchtem Namen den Schwachen das Blut gerinnt und Starke erblassen. In der Gesellschaft glänzt er als der vollendetste Tänzer und als spanischer Matador, der selbst in die Arena hinabsteigt, um mit einem Stoß den Stier zu fällen. Mit der gleichen Anmut umkreist er, mit derselben unfehlbaren Sicherheit fällt er seine menschlichen Opfer. Sein geschenktes französisches Herzogtum Valentinois, wonach er bei den Zeitgenossen der Valentino heißt, kann seinen Ehrgeiz nicht befriedigen, es kann ihm nur als Sprungbrett dienen. Darum ist er jetzt an der Spitze eines päpstlichen Söldnertrupps und unterstützt von einem erlesenen Kriegsheer, das ihm sein Gönner, der König von Frankreich, gestellt hat, in der Romagna eingebrochen und hat ohne Schwertstreich, durch den bloßen Klang seines fürchterlichen Namens alle die kleinen Tyrannen, von Rimini, von Urbino, von Pesaro, von ihren Stühlen gefegt. Wie Spreu sind sie bei seinem Kommen davongewirbelt, keiner hat an Standhalten oder Wiederkehren gedacht. So ist er ohne Gegenwehr bis Forli gekommen. Da stellt sich eine Frau in seinen Weg! Die kriegerische Herrin von Forli und Imola, sie ganz allein, ohne Schutzmacht noch Verbündete. Zwar riß auch ihre Stadt Forli bei seinem Herannahen die Tore weit auf und legte dem Gegner ihre Schlüssel zu Füßen, denn die Furcht vor dem Valentino ist noch größer als die vor Caterina, und Neigung hat sie ja ihren Völkern niemals eingeflößt. Er aber hat gar sänftlich sein Regiment begonnen; er kann auch so. Wo sie Folterwerkzeuge und Galgen aufrichtete, um den Gehorsam zu erhalten, da sitzt der Gefürchtete und hört jede Beschwerde leutselig an, entschuldigt, verspricht, gibt gute Worte. Und der schreckhafte Nimbus seines Namens macht die Gnade 87 noch gnädiger. Jedoch Caterina hat sich nicht mitergeben. Mit ihrem ganzen Hofstaat hat sie sich in die stark bemannte und wohlgerüstete Rocca geworfen, die sie schon frühere Male mit Glanz verteidigte, und richtet alsbald die Kanonen auf ihre abtrünnigen Untertanen. Mit Böllerschüssen, von denen die Häuser stürzen, begrüßt sie den Aufgang des neuen Jahrhunderts, das sich das sechzehnte schreibt. Die unglücklichen Forlivesen, zwischen zwei Feuer geraten, beten für den Sieg des Borgia, denn wehe ihnen, wenn er unverrichteter Sache abzöge. Ihm ist Forli nichts nütze, solange er die Rocca nicht hat, die Verderben in Stadt und Lager speit. Er ist wütend über den Widerstand, der seinen schnellen Siegeslauf aufhält, doppelt wütend, daß es ein Weib ist, das ihm angesichts der französischen Herren diese Schmach antut. Denn sie empfängt seine Unterhändler mit Hohn und schreibt im Übermut Spottworte auf die Kanonenkugeln, die sie in sein Lager sendet. Wie sie allmorgendlich auf dem Hauptturm erscheint, die weithin abgeholzte, im ersten Schnee liegende Ebene mit der Zeltstadt des Feindes zu überschauen, richten sich sogleich alle Feuerschlünde auf sie, und es ist ein Wunder, daß sie noch immer heil geblieben. Scharfsinnig wandert ihr Auge über die neugetroffenen Anstalten der Belagerer. Unerschüttert sieht sie ihre eigenen Bauern, wie sie auf Befehl des Borgia dabei sind, Lasten von Reisigbüscheln heranzuschleppen und vor der Feste aufzuschütten, um den Wassergraben durchquerbar zu machen. Dann verschwindet sie unterm Krachen der Geschütze und dem Prasseln der Steine, und gleich darauf geht sie rastlos wie zuvor von einem Befestigungswerk zum anderen, besichtigt das Arsenal, den Pulverturm, die Batterien, spricht mit jedem ihrer Hauptleute und stärkt durch ihre Unermüdlichkeit die sinkende Zuversicht der Besatzung, daß 88 ihre Leute spöttische Reden über die Mauer rufen. Die Soldaten des Valentino antworteten mit rohen Beschimpfungen und verlangen zu stürmen, aufgerafftes Gesindel, das nicht schnell genug ans Plündern kommen kann. Den Franzosen dagegen gefällt die stolze Frau, sie nennen sie »Dame Cathérine« oder die »Dame von Forli« und erzählen sich mit heimlicher Bewunderung ihre Bravourstücke. Das hindert aber nicht, daß auch sie ebenso wie die Päpstlichen und die Schweizer auf sie zielen, so oft die hohe schlanke Gestalt auf dem Turm erscheint. Sie behaupten, die Dame von Forli sei stich- und kugelfest. Aber das Geheimnis ihrer Unverwundbarkeit ist der feingeschmiedete Stahlpanzer, den sie auf dem Leibe trägt.

Der Borgia seinerseits ist kein Eisenfresser. Er geht lieber dem offenen Kampf aus dem Wege, der auch Opfer kostet, solange er hoffen kann, den Gegner durch falsches Paktieren und trügliche Verheißungen ins Garn zu locken. Mit seinen zwei Trompetern ist er bis hart vor den Graben geritten und hat die erlauchte Gräfin von Forli und Imola zur Unterhandlung gerufen. Der lautlose Schall der gelben Trompeten geht dem Beschauer durch Mark und Bein: die Gerufene ist erschienen. Jetzt – sei es die Magie des Mondlichts, sei es Spiel der überreizten Phantasie – jetzt sind die Gestalten kein Werk der Webkunst mehr, keine flachen farbigen Schatten, sie werden körperlich, sie bewegen sich, leben! Das gespannte Ohr vernimmt, wenn nicht den Stimmklang, doch den Sinn ihrer Rede.

Madonna, ruft der Reiter hinauf, wie lange wollt Ihr das gefährliche Spiel noch spielen? Von Tag zu Tag mehren sich Eure Verluste –

Die Euren auch, ruft es von oben herab.

Madonna, laßt Euch erweichen, ich bitte, ich beschwöre 89 Euch, hört auf die Stimme eines Mannes, der nur gezwungen Euer Gegner ist, der Euch bewundert und alles daran setzen möchte, Euch zu retten. Meine Leute dringen auf den Sturm, der Euer Untergang werden muß, die Franzosen, die Schweizer verlangen das gleiche, aber Eure Person ist mir heilig – ich würde mich für den unseligsten aller Menschen halten, wenn ich eine Handlung befehlen müßte, die Eure Sicherheit gefährdet.

Vom Turm kommt eine helle Lache.

Madonna, fährt der Herzog fort, Ihr habt den Ruhm, eine große Kriegerin und eine Kennerin des Kriegswesens zu sein. Als eine solche müßt Ihr einsehen, daß Eure Sache verzweifelt steht. Nicht weil Ihr ein Weib seid und gegen Männer kämpft – o nein, wir wissen es, daß Ihr an Tapferkeit und Kriegskunst keinem Manne nachsteht. Aber Ihr seid allein gegen drei Heere. Eure Bundesgenossen haben Euch verlassen, Eure Untertanen sind von Euch abgefallen –

Die Elenden! Meine Vergeltung wird sie zu treffen wissen, ruft es zurück.

Der Herzog von Mailand, Euer Oheim, von dem Ihr Entsatz hofftet, ist landflüchtig –

Aber meine Schwester sitzt neben dem edlen Maximilian auf dem Kaiserthron, ist die triumphierende Antwort.

Erlauchte Frau, gestattet mir zu bemerken, daß ich fürchte, Seine kaiserliche Majestät habe zur Zeit größere Sorgen als die um Ew. Herrlichkeit Wohlergehen.

Kommt zum Schluß, Herr Herzog, ich habe keine Zeit für müßiges Geplauder.

Ich komme zum Schluß und biete Euch ehrenvollen Abzug mit Eurer ganzen Besatzung und Eurem Hofstaat, mit allen Euren Waffen und Euren Juwelen. Seine Heiligkeit löst Euch vom Bann und verstattet Euch zu wohnen und Hof zu halten, wo es Euch beliebt. Eine jährliche 90 Rente wird Euch ausgeworfen, die nicht im Verhältnis zu unserer Armut, nur zu Euren Ansprüchen steht.

Versprechungen des Hauses Borgia, höhnt es von oben.

Madonna, ich unterdrücke das Gefühl gerechten Schmerzes über Euer Mißtrauen und stelle Euch Bürgen meines Wortes, die edelsten, die Ihr verlangen könnt. Es sind die besten Paladine Seiner Majestät des Allerchristlichsten Königs: hier der Herzog von Vendôme, mein sehr erlauchter Freund –

Ein vornehmer Reiter läßt sein Pferd um drei Schritte vorwärtsgehen und verbeugt sich tief mit abgezogenem Federhut, als wären sie bei Hofe, was von der Dame mit königlicher Anmut erwidert wird.

– Und hier der Führer dieser tapferen Schar, Monseigneur d'Allègre, dessen ins Buch der Geschichte eingeschriebener Name Euch bekannt sein muß –

Auch der Haudegen macht seine Verbeugung, nachdem er zuerst den Schnauzbart aufgezwirbelt hat, und empfängt gebührenden Gegengruß.

Und hier, fährt der Herzog fort, mein ehrenwerter Freund, der Bailli von Dijon, dem die wackeren Schweizer untergeben sind – (die nämliche Zeremonie).

Sie alle sind Bürgen für die ehrenvollen Bedingungen, die Euch Seine Heiligkeit Alexander VI. durch meinen Mund bietet.

Wieder erschallt ein Lachen vom Turme.

Herr Herzog, der Löwe kann für den Fuchs nicht Bürge sein, denn er kennt seine Schliche nicht. Lassen wir die Flausen. Ich halte diese Burg als Vormünderin meines Sohnes, des Grafen Ottaviano Riario, Herrn von Forli und Imola, zu dessen Erbteil sie gehört, sie kann mir nur mit meinem Leben entrissen werden.

Hohe Frau, Euer Tun ist Wahnsinn, es gibt keine Herren mehr in diesem Land außer Eurem unterwürfigsten 91 Diener, der zu Euch spricht. Seine Heiligkeit will, daß fortan die ganze Romagna einem Zepter gehorche. Werft Euch nicht in die Räder des Schicksals, sie müßten über Euch hinweggehen.

Ich bitte Eure Hoheit, daß Ihr mir gestattet, mich zu entfernen. Meine militärischen Pflichten rufen mich.

Sie taucht unter und es wird stille. Das Mondlicht ist weitergewandert und alles Leben auf diesem Fleck erloschen; die gewebten Figuren stehen dämmernd und unbeweglich wie zuvor. Aber nun beginnt sichs auf dem nächsten Felde zu regen, das jetzt in Klarheit heraustritt.

Hier ist nochmals die Rocca, aber von einer anderen Sicht. Die Zugbrücke ist niedergelassen, die Dame bewegt sich sorglos außen auf dem beschneiten Wiesenplan an der Seite des Kavaliers. Diesmal kann er sich nicht über sie beklagen. Die Unerschrockene hat sich herausgewagt im Vertrauen auf sein fürstliches, im Angesichte des ganzen verbündeten Heeres gegebenes Wort, das er nicht durch eine Gewalttat brechen kann. Die Bewaffneten haben sich von der einen wie von der anderen Seite zurückgezogen, es ist ein beinahe friedliches Bild. Die Haltung beider ist von zeremoniöser lächelnder Verbindlichkeit, nicht anders würden sie sich in einem höfischen Prunksaal bewegen. »Dame Cathérine« hat noch einmal, aber ohne Schroffheit, die Übergabe abgelehnt. Der Herzog begleitet sie artig gegen die Rocca zurück. Caterina betritt die niedergelassene Brücke, ihre einladende Gebärde scheint noch ein letztes Wort des Gegners zu erwarten. Da fällt ihm ein junges Mädchen von seltsamer Schönheit in die Augen, das unter dem Tor zwischen zwei älteren Ehrendamen auf die Gebieterin wartet und ihm den Anlaß zu einer letzten Warnung gibt.

Habt Ihr auch bedacht, welchem Schicksal Ihr Eure Frauen 92 aussetzt, wenn Ihr uns zwingt zu stürmen –? will er noch fragen, und unüberlegt setzt er den Fuß auf die Zugbrücke. Ein Knirschen der Eisen, ein Zittern der Planken, er springt noch eben zurück, während mit Kettengerassel die Brücke hochgeht und was sich darauf befindet, Madama und die zwei aufgestellten Knechte mit hinüberreißt. Hölle und Teufel! Eine Falle! Sie wollte ihn fangen. Wahrlich eine gute Prise, der Sohn des Papstes, der künftige Herrscher Italiens! Eine Geisel, um die es sich lohnte! Aber nein, was Geisel? Es galt sein Leben. Sie hätte ihn über diese Brücke nicht lebend zurückgelassen. Töten wollte sie ihn, sein Haupt den Belagerern zuwerfen, wie sie es noch kürzlich mit den Geiseln von Imola getan, als diese Stadt sich seinen Waffen ergab. Ein abgefeimter Verrat, wie er selbst, der Sohn des Abgrunds, bisher noch keinen geübt hat, denn der Tag von Sinigaglia ruht noch im Schoße der Zukunft. An diesem Weibe hat er seinen Meister gefunden. Ohne seine flinken Tänzerfüße, was geschähe ihm in diesem Augenblick? Und wenn der Papst alle Blitze des Himmels losließe, er könnte ihm das Leben nicht wiedergeben. Sein Gesicht ist gelb wie eine Quitte und bekommt den ganzen Tag die natürliche Farbe nicht zurück. Aber er schweigt und schluckt seine zehrende Wut, bis die Feste sturmreif ist und die Rache beginnen kann.

Was ist das für eine verdächtige Gestalt, die aus dem Hintergrund an den Herzog heranschleicht? Ein Überläufer, der in der Nacht die Außenmauer überklettert und den Graben durchschwommen hat, wie es jetzt fast täglich welche gibt.

Allergnädigster Herr, gestattet ein Wort in Demut, das Euch nützen kann: es geht drinnen zu Ende, wie sehr auch Madama trotzt und pocht. Die Mannschaft gehorcht nicht mehr, sie fordern dringend die Übergabe. Nur 93 Madama selbst zwingt sie noch mit vorgehaltener Waffe zum Kämpfen. Aber sie hat schon zum zweitenmal den Kinderschrei gehört, da weiß sie, was die Glocke geschlagen hat.

Was hat das auf sich mit dem Kinderschrei? fragt der Herzog.

Hoher Herr, mischt sich Luffo Nummai, ein vornehmer Forlivese, in dessen Haus der Herzog abgestiegen ist, ein; als Madama, nach der Ermordung ihres ersten Gatten, des Grafen Riario, das furchtbare Blutbad unter den Verschworenen anstellte, ließ sie sogar die unschuldigen Kindlein in die Kellerschächte werfen, die von Spießen starren. Später, als sie aus dem Blutrausch wieder zu sich kam, bereute sie's. Und immer wenn ihr ein Unglück bevorsteht, hört sie des Nachts aus dem Keller der Rocca das gräßliche Schreien der Kinder.

Hören auch andere das Schreien? fragt der Herzog den Knecht.

Herr, niemand außer ihr. Sie erwacht daran, springt aus dem Bett, hält sich die Ohren zu und wirft sich auf die Knie, indem sie die Kinder bei Namen ruft und sie mit tausend Versprechungen anfleht, stille zu sein. Es soll grausig sein, niemand kann es mit ansehen.

Seit sie zum erstenmal den Schrei hörte, fügt Luffo hinzu, wagt sie nicht mehr allein zu schlafen.

Als ob sie je allein geschlafen hätte, grinst der Herzog.

Die beiden anderen beeilen sich, verständnisvoll mitzugrinsen.

Ihr Kastellan, Herr Johann von Casale, der jetzt die Ehre hat, kann etwas davon erzählen, dienert Luffo beflissen weiter.

Arme Madama, denkt bei sich der Knecht, als er die Miene des Herzogs sieht. Jetzt kommt der oberste der Teufel über dich. Zwar hat er selbst sie auch verraten, wie in den 94 nächsten Stunden noch mancher sie verraten wird. Aber sie erbarmt ihn doch, denn sie ist ihren Freunden hold und nur den Feinden tödlich, den Borgia aber haben die einen wie die anderen zu fürchten, und alle wissen es.

Der Unheimliche brütet seinen stummen satanischen Haß. Was hat ihn angewandelt, daß er ihr auf die Brücke folgte? Vielleicht jenes Gaukelspiel von spanischer Ritterlichkeit, worin er sich zuweilen den Damen gegenüber gefällt? – Laßt mich Eure Vorschläge noch überlegen, war ihr letztes Wort gewesen. Er traut ihren Überlegungen so wenig wie sie seinen Vorschlägen, und doch hat er seinen Fuß auf die Brücke gesetzt? Jenes unbegreiflich schöne Gesicht hat ihn seine Vorsicht vergessen lassen. Er zweifelt nicht, daß das Gesicht als Lockvogel aufgestellt war, vielleicht unwissend, um ihn in das höllische Garn zu ziehen und darin zu erdrosseln wie eine Schnepfe. Das sollte ihm die Teufelin bezahlen, wenn er sie in Händen hatte. Jede Schmach und Pein, die er ersinnen konnte, wollte er ihr antun und oh, er wollte erfinderisch sein. Entwürdigen, beschimpfen wollte er sie, wie nie ein Weib entwürdigt worden, ihren Ruhm zerbrechen und sie zu einem Spottlied machen für ganz Italien. Dabei vergißt er auch die junge Schönheit nicht, die ihr Einsatz war beim Spiel.

Wer ist das junge Mädchen unter den Damen der Gräfin, das bei der Brücke stand? fragt er den Knecht.

Euer Gnaden zu dienen, es ist ein griechisches Mädchen, Patenkind der Herrschaft, die sie aus der Taufe gehoben hat, da sie zum katholischen Glauben übertrat. Madama liebt sie aus der Maßen. Man sagt, sie könne sich keinen Tag von ihr trennen. Ione heißt sie.

Ione? – Er ist nicht ungelehrt, der Fürchterliche, er versteht die Sprache der Griechen, und es scheint seiner überfeinerten Sinnlichkeit, als verbreite sich bei diesem 95 Namen der Duft eines ganzen Veilchenbeets. Was er sich hinter seinen gerunzelten Brauen zusammendenkt, ist nicht zu erraten, aber er kann nichts denken, was er nicht mit seinen Gedanken beschmutzt.

Sie liebt also das Mädchen ganz ausnehmend?

Ja, Herr, mehr als alle ihre Ehrenfräulein zusammen. Mehr als die eigenen Kinder, heißt es. Die Griechin ist eigentlich das einzige, was Madama liebt. Aber sie verdient es, Herr. Sie ist ein gutes Mädchen, freundlich gegen den Geringsten. Jeder Mann der Besatzung ließe sich für sie in Stücke hauen.

Komm hernach in meine Wohnung, ich habe einen Auftrag für dich.

Zu seinen Offizieren sagt er:

Morgen stürmen wir. Ihr Herren Hauptleute, versammelt Euch heute abend bei mir, um die näheren Befehle entgegenzunehmen. Einen erteile ich schon jetzt. Es befindet sich in der Rocca eine blutjunge Griechin von ganz besonderer Schönheit, deren Ehre und Leben ich geschont wissen will. Ihr darf beim Stürmen kein Leid geschehen. Sagt es Euren Soldaten, Mann für Mann. Und tragt mir Sorge, sie auch vor unseren Gascognern und Schweizern zu behüten; Ihr haftet mir für ihre Sicherheit. Sobald Ihr ihrer habhaft seid, führt Ihr sie in meine Wohnung, ich werde ihren Retter freigebig lohnen. Denjenigen aber, der sie unehrerbietig berührt, werde ich zu treffen wissen. Ihr kennt mich. Geht.

– – Siehe da, auf dem nächsten Teppich hat man das Innere der Rocca vor Augen, das einen gänzlich unerwarteten Anblick bietet. Im Kreise ihrer Frauen sitzt die Dame von Forli, als gäbe es keine Belagerungsmaschinen, keine Kanonen und keinen Valentino auf der Welt. So tut sie immer, wenn ihre Kommandantenpflicht ihr eine kurze Atempause vergönnt. Die anderen sitzen nach 96 dem Brauch der Zeit am Boden, die Gebieterin nur wenig über sie erhöht. Sie hält eine kleine Waage in der Hand, womit sie Körner oder Pülverchen zu wägen scheint, während ihre Frauen beschäftigt sind, unverkennbare Dinge in Mörsern zu zerstampfen. Was machen sie nur? Mischen sie Gifte nach der Methode des Borgia, um sie unter die Belagerer zu feuern? Nein, ihre Beschäftigung ist die allerunschuldigste, sie bereiten Wundbalsam und die berühmten Geheimmittel zur Schönheitspflege nach Caterinas eigenen Rezepten, womit die eiserne Kriegerin ihrer zarten Haut den Jugendschmelz, ihrer Haarfülle den seidigen Glanz erhält. Denn auch unter den Schrecken und Nöten des Krieges behauptet die Weiblichkeit ihr Recht. Und die Soldaten lachen, wenn sie in den Pausen des Geschützfeuers das gewohnte Mörsergeräusch vernehmen. Sie sagen sich nicht: Die schönste Frau der Zeit will auch im Sterben noch schön sein. Sie sagen: Madama versteht mehr vom Krieg als der feige weichliche Spanier. Stünde es schlecht um uns, so würde sie nicht Salben reiben. Das gleiche denken ihre Frauen und bleiben guten Mutes, statt ihr durch vorzeitiges Jammern und Heulen den Kopf zu verwirren, der für das Ganze denkt.

Zu ihren Füßen am Boden sitzt das schöne Wesen, das dem Borgia auf der Zugbrücke erschien, und schmiegt sich enge an die Gewandfalten der Herrin. Die Geschichte weiß nichts von ihr, keine Chronik dieser wundersamen Begebenheiten gedenkt ihrer. Darum ist sie nicht minder wahr. Sie mußte sein, deshalb ward sie an dieser Stelle. Und Ione heißt sie.

Sie hat dunkle Haare, aber ihre Augen unter den schattenden Wimpern sind tiefblau, wie die griechischen Veilchen, von denen sie den Namen trägt. Ihr Vater ist der Dichter Marullo aus Byzanz, der unter den Soldaten Caterinas ficht, nicht der Löhnung wegen, wie seine Armut 97 vorgibt, sondern aus Liebe, aus heißer, unbändiger Liebe zu der Kriegsherrin, einer Liebe, die nicht ohne geheime Hoffnung ist, weiß man doch, daß sie schon mehr als einen Niedriggeborenen, wenn er schön und tapfer war, zu ihrem Buhlen erhöht hat. Der Marullo ist nicht schön, aber tapfer ist er, und statt eigener Schönheit dient ihm die Schönheit seiner Verse. Nur leider weiß die Amazone mit den Versen nichts anzufangen, denn Caterina Sforza, die von Jugend auf nichts Höheres kannte, als im Sattel zu sitzen und einen Soldatentrupp zu führen, unterscheidet sich von allen Fürstinnen ihrer Zeit durch ihre nahezu barbarische Gleichgültigkeit gegen alles was Dichtung heißt. Wenn er des Abends von der Kanone abgelöst wird, legt er ihr ein feingeschmiedetes Sonett, woran er Nacht und Tag im stillen gewerkelt hat, edler als der edelste Schmuck, zu Füßen. Die Frau, die von den Mühen solcher Schmiedekunst nicht die leiseste Ahnung hat, liest sie ohne Dank, wie irgendeinen anderen Zettel, und steckt sie achtlos ins Kaminfeuer. Er weiß es, aber gleichwohl wird er treuer bei ihr aushalten als Herr Johann von Casale, der Kastellan, der ihre Frauengunst genießt und doch im Augenblick der Entscheidung nur an sich selber denken wird.

In Ione ist die Liebe des Marullo Fleisch und Bein geworden, sie betet die schöne Herrin an, von deren grausen Taten und bescholtenem Leben sie nichts weiß; – und möchte sie nie davon erfahren! Sie ist in dem zarten und schwärmerischen Alter, wo das der Mannesliebe noch unkundige Mädchenherz gerne einem hohen Frauenbild Altäre baut, um ihr durch feurige Hingabe zu dienen und an ihr zu wachsen. Solange sie in Caterinas Nähe sein darf, kennt sie keine Gefahr. Unter dem schon gewohnten Donner der Geschütze träumt sie mit leisen Griffen in ihr Saitenspiel und summt ein griechisches 98 Liedlein dazu. Aber ihres Vaters Dichtergeist tritt auf ihre Lippen, wenn sie zu derjenigen spricht, die ihr alles in einem ist: Mutter, Gebieterin, Göttin. Dann sind ihre Worte ein einziger Liebesgesang, der mit ungesuchtem Rhythmus aus dem Herzen des Kindes bricht. Du bist schön, meine Herrin, sagt sie ihr, was sollen dir Salben und Schönheitswasser? Aus dir selber kommt ja alle Schönheit, sie hat Anfang und Ende in dir. Wenn du des Morgens ins Frauengemach trittst, sei der Tag noch so trübe, so ist es, als bräche die Sonne durch. Dein kleines Veilchen harrt dir entgegen und wünscht sich nichts anderes, als nur immer in deinem Lichte zu leben. Schön bist du, Herrin, wen du anblickst, der ist für den ganzen Tag gesegnet.

Solcher Anbetung ist die gewaltige Frau von ihren eigenen Kindern nicht gewohnt. Diese kennen nur die Furcht und den widerwilligen Gehorsam. Aber Ione liebt. Und ihre vergötternde Liebe hat das Wunder vollbracht, das eiserne Herz der Kriegerin zu schmelzen. Caterina Sforza liebt wieder. In dem schönen Griechenkind erfährt sie zum erstenmal den Zauber jungfräulicher Unberührtheit und Unschuld, der ihrer eigenen Jugend gefehlt hat, weil man sie noch im Kindesalter einem lasterhaften Wüstling zur Ehe gab, der ihre Weiblichkeit, noch ehe sie gereift war, entweihte und alle Scham und Scheu aus ihrer Seele riß. In Ione hat sie ihr volles Widerspiel gefunden, ein lebendiges Heiligtum, dessen Gegenwart in dem waffenstarrenden Kastell mit mystischer Macht auch auf die rauhen Kriegsgesellen wirkt. Wie wenn sie aus dem Eisenschlund ihrer Geschütze eine schlanke weiße Blume von überirdischer Schönheit aufblühen sähen, die alles mit Duft erfüllt, so ist es den Verteidigern der Rocca zumute, wenn Ione vorübergeht. Sind es auch nur käufliche Söldner, die um der Löhnung willen ihre grobe Haut zu Markte 99 tragen –, daß sie dieses himmlische Wunder, das gar nichts von sich selber weiß, mitverteidigen, das stärkt den Besseren unter ihnen Mut und Treue. Doch die Tigerin ist selbstisch und grausam, auch wo sie liebt. Statt, wie sie es versprochen, das Patenkind mit einem schönen und edlen Jüngling zu verbinden, den sie mit dieser Hoffnung auf einem unerwünschten Schreiberposten festhält, und dann die Vermählten zu entfernen, wie sie ihre eigenen Kinder entfernte, bevor sich der Eisengürtel um die Rocca zwängte, hat sie Ione für sich behalten und läßt den Bewerber nicht in ihre Nähe. Eine seltsame Eifersucht hat sie dazu gezwungen. Sie kann sich Ione nicht in den Armen eines Mannes denken, auch nicht in denen des edelsten Gatten. So wie sie ist, duftend von Jugend und Unschuld, möchte sie sie immer um sich haben. Sie hält sie in strenger Aufsicht, daß keine Zudringlichkeit den Weg zu ihr finde und kein freches, schlüpfriges Wort ihre knospenhafte Seele entweihe. Und sie genießt es auch, sich in Iones Augen so schön zu sehen, wenn sie gleich weiß, daß das Bild mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Es steht ja bei ihr, für Ione in Wahrheit das zu sein, was das zarte Kind in ihr verehrt! So hat sie aus Selbstsucht die Frist der Entsendung verpaßt. Und schlimmer, sie hat mit falscher Berechnung das holde Geschöpf dem Valentino in den Weg gestellt, sie hat dem Feinde des Menschengeschlechts die Witterung einer solchen Beute gegeben.

Seitdem Ione den Borgia gesehen hat, ist sie wie verwandelt. Von seinem bloßen Anblick ist ihr Blut erstarrt. Sie bebt, sie zittert, sie sucht in den Kleiderfalten ihrer Herrin Schutz.

Das ist die Furcht vor dem Basilisken, die alle lähmt, beschwichtigt diese. Mich lähmt sie nicht. Ich habe ihn in Rom gekannt, als die Borgias sich noch tief vor den 100 Riarios neigten. Auch seine gerühmte Schlangenklugheit fürchte ich nicht. Hast du gesehen, wie er in die Falle ging? Hätte der Tölpel von Casale nicht zu frühe die Brücke aufgezogen, so läge er jetzt im untersten Verlies, und der Heilige Vater möchte zusehen, wie er seinen Abgott freibringt.

Aber sie hat gut reden. In der Frühe beim ersten Meßgang hat Ione einen Pfeil mit aufgespießtem Zettel zu ihren Füßen gefunden, worauf die Worte: »Ione hat einen Beschützer im Lager, einen mächtigen. Sie soll sich beim Sturmangriff ganz oben im Turm verbergen; sobald sie unter den Eindringenden den weißen Federbusch erkennt, übergebe sie sich unbedenklich seinen Leuten. Sie wird gerettet sein.«

Halb irrsinnig vor Angst hat Ione diese Zeilen gelesen. Sich ihm übergeben? Was will er von ihr, der Entsetzliche? Seine Gedanken, auf sie gerichtet, sengen aus der Ferne, als schmölze das Fleisch von ihren Knochen. O Herrin, schütze mich vor ihm! Wenn es so weit kommt, laß mich in deiner Nähe bleiben. Wo du bist, kann mir kein Leids geschehen.

Was in Caterina vorgeht, verbirgt sich hinter einer ehernen Stirn. Hartnäckig hat sie bis jetzt geglaubt, sich halten zu können, weil sie noch niemals unterlegen ist. Seit dem verfehlten Anschlag sieht sie ihr Kriegsglück wanken. Für sich selber fürchtet sie nicht, sie kann noch immer einen Ausfall ins Werk setzen, sie kann hoffen, sich durchzuschlagen, denn sie führt die Waffen wie ein Mann. Aber wohin soll sie das Kind retten? Wie soll sie Ione schützen? Sie ist wahrlich nicht feinfühlig im Punkte des Geschlechts, diese Frau, die einmal von eben dieser Rocca herab, als die Aufrührer sie berannten, jene unvergeßlich zynische Antwort gab, vor der die Mauern errötet sind. – Aber Ione in den Händen des Borgia! Das 101 ist mehr als sie ertragen kann, das brennt wie höllisches Feuer. Es darf nicht sein! Und es wird nicht sein.

Sei ruhig, ruhig, meine Taube, ich lasse dich nicht in den Händen des Aasgeiers, ich schwöre dir's. Und wenn ihm der Böse stürmen hilft, – ich weiß eine Zuflucht. Indessen geh du in die Turmkapelle und bete zu der heiligen Barbara, daß sie die Rocca schirmt, ihr ist es ein Leichtes.

Sie stockt, ihr Gesicht wird wächsern – – ein Schrei, ein gräßlicher, herzzerreißender, ein Kinderschrei, vielstimmig – ein lang hingezogenes, nicht endendes Schreien. Woher kommt es? Es kommt von nirgendsher, es schwillt nicht an und ab wie ein irdischer Laut, es ist da wie seit Uranfang, und nichts ist außer ihm auf der Welt, solange es dauert. Es durchschrillt auch mit jähem Riß die eben frisch einsetzende Kanonade und ist doch außer dem Bereich der Wirklichkeit. Denn nur eine vernimmt es. So erklang es an einem Tag, an den sie von allen Tagen ihres Lebens am wenigsten zurückdenken mag. So hat es in den letzten Tagen schon zweimal wieder geklungen. Nun weiß sie, daß das Gericht über ihr ist. Sie möchte davonstürzen, sich die Ohren zuhalten, sich unter den Erdboden verkriechen, aber sie bezwingt sich und streift nur mit einem Seitenblick ihre Damen, die auf das Geschützfeuer horchen, während Ione erschrocken über die verwandelte Miene der Gebieterin zur Kapelle eilt, für sie und sich den Schutz der Himmlischen anzurufen.

Da tritt Bernardino von Cremona, der Unterbefehlshaber der Rocca, herein und begehrt die Herrin allein zu sprechen.

Madama, haltet Euch oben im Turm. Der Valentino hat soeben der Besatzung durch einen Trompeter angesagt, daß er einen Preis auf Euren Kopf setzt, den jeder gewinnen kann, der Euch ausliefert. Gebt Eure Befehle vom Fenster aus, der Mannschaft ist nicht mehr zu trauen.

102 Die Gräfin zuckt die Achseln. Das übernatürliche Grauen ist verflogen, und menschliche Drohung hat Caterina Sforza noch niemals eingeschüchtert.

Wie hoch schätzt er mich ein?

Zehntausend Dukaten lebend, tot die Hälfte.

Ich laß ihm sagen, daß er ein Knicker sei. Ich setze auf den seinen das Doppelte.

Aber zum Tausch von Herausforderungen ist keine Zeit mehr. Die Feinde haben alle Geschütze zumal auf eine einzige Stelle gerichtet, die Außenmauer wankt, und – Herrgott, erbarme dich – da prasselt die halbe Curtine herunter! Die Trümmer füllen den äußeren Wassergraben auf und bilden schwankende Brücken für die Angreifer. In breiten Wellen überfluten Schweizer und Franzosen die Bresche, von der sich die Verteidiger, der Casale voran, hinter die inneren Gräben zurückziehen.

Haltet! Steht, ihr Feiglinge! schmettert die Stimme der Gräfin durch das offene Fenster, aber ihre Worte verhallen ungehört in dem Geschrei und Getümmel. Mit eins verstummen ihre Geschütze, die Kanoniere haben sie im Stich gelassen; nur ein kleines Häuflein Tapferer, darunter der Marullo, wehrt noch mit blanker Waffe den Zugang zum Turm. Der Großteil der Besatzung zerstreut sich kopflos, von einer Schanze zur anderen getrieben, um ohne Gegenstoß geworfen und gewürgt zu werden.

Caterina kann, was sie vor Augen sieht, nicht fassen. Galt nicht die Feste von Forli bei allen Sachverständigen für uneinnehmbar? Sie wäre es, wenn die Verteidiger die wilde Tapferkeit, den eisernen Siegeswillen der Kommandantin besäßen.

Waffenlos wie sie ist, will sie in ihrer Wut hinunterstürzen, aber der Cremona hält sie beschwörend auf. Da besinnt sie sich. Der Gedanke, der ihr vorhin aufgedämmert, kommt schnell zur Reife. Sie ruft den Cremona, der 103 auf seinen Posten will, zurück: Ein Wort für dich. Entgegne nichts. Wenn der Feind die letzte Schanze nimmt und sich mit dem Pack von Feiglingen zu einer Masse ballt, so begib dich in den Pulverturm und lege die Lunte an. Sobald ich dir Ione schicke mit der Botschaft: Es ist Zeit, so entzünde die Lunte und mach dich von hinnen.

Und die Griechin? fragt der Kommandant.

Zwei starre Augen geben eine tödliche Antwort, die er nicht zu verstehen wagt.

Und die Griechin? forscht er nochmals.

Sie öffnet zweimal den Mund, bevor sie herausbringt: Ione stirbt!

Dann faßt sie die plötzliche Wildheit, vor der ihre Untergebenen zittern, und schrecklich ist das leise Raunen ihrer zu Zorn gewordenen Verzweiflung: Was starrst du, Mensch? Geht es dich an, was mit Ione geschieht? Ich habe sie geliebt wie nichts auf der Welt. Ich bin's, die sie verliert. Was ich befehlen kann, wirst du vollstrecken können. Rein wie Gott sie mir anvertraut hat, soll er sie aus meiner Hand zurückempfangen. Spute dich, Knecht. Geh auf deinen Posten. Wenn die Festung fällt, muß Ione sterben.

Im Hof sind die Gascogner und Schweizer am Werk, sie töten, vernichten, was ihnen in den Wurf kommt. Da, ein Donnern, – das Jubelgeschrei der päpstlichen Söldner, die als Letzte einziehen. Die Gräfin starrt, sie traut ihren Augen nicht: auf der Zitadelle ist die weiße Fahne hochgegangen. Der Casale hat sie ohne ihr Wissen aufgezogen, der Verräter, der hundertmal geschworen hat, mit der Rocca zu stehen und zu fallen. Trotz dem Signal der Übergabe geht das Gemetzel weiter. Die Angreifer, mit den Fliehenden verknäuelt, wälzen sich über Tote und Verwundete, über prasselnde Schuttstücke und weggeworfenes Gewaffen immer näher der Stelle, wo im 104 verengten Raum der Cremona wartet. Inmitten der Päpstlichen, deren Überzahl die Verteidiger des Turmes erledigt, wird ein weißer Federbusch sichtbar. Er hat die Gräfin am Fenster erkannt und ruft ihr zu, sich mit ihren Frauen ihm persönlich zu ergeben, damit er für ihren Schutz sorgen könne.

Nun und nimmer! Sie eilt fliegenden Fußes nach der Kapelle:

Ione, mein Kind, lauf über den Wehrgang, der noch frei ist, lauf so schnell du kannst, sag dem Cremona, daß es Zeit sei. Er weiß meinen Befehl, er bringt dich in Sicherheit. Eile!

O meine Herrin, wohin soll ich ohne dich?

Der Cremona wird es dir sagen. Geh rasch, mein Kind, es ist not.

Ione gehorcht. Da hört sie hinter sich die Herrin tief aufstöhnen. Im Laufen kehrt das treue Kind noch einmal um, wirft sich vor Caterina nieder, umklammert ihre Knie, küßt ihre Hände:

Herrin, liebe Herrin, was wird aus dir?

Sorge nicht, mein Kind. Ruf deinen Schutzgeist an und eile dich.

Sie preßt noch einmal die zarte, erst keimende Brust des Kindes an ihre eigene eisenumschnürte und treibt sie von sich in ihr Schicksal.

Aufs neue ruft es von unten mit der Stimme des Borgia. Caterina tritt ans Fenster, da legt sich ein schwerer Eisenhandschuh auf ihren Arm:

Madama, ich nehme Euch gefangen.

An der Aussprache erkannte sie den Franzosen.

Wem dienst du, mein Freund?

Dem Seigneur Yves d'Allègre, des Allerchristlichsten Königs oberstem Feldhauptmann.

Auch in diesem furchtbaren Augenblick ist Caterinas 105 Geist völlig wach und gegenwärtig. Sie war gefaßt, zu sterben. Nun sieht sie unerwartet einen Weg, der in die Freiheit führt.

Gut, mein Freund. Ich ergebe mich dem Seigneur d'Allègre und seinem Allerchristlichsten Oberherrn, dem König von Frankreich.

Da ist auch schon der Valentino in Begleitung der französischen Herren durch den vom Geschützfeuer beschädigten Eingang heraufgedrungen.

Madama, Ihr seid meine Gefangene.

Nicht die Eurige. Hier dieser wackere französische Kriegsmann hat mich gefangengenommen. Seinem Allerchristlichsten König hab ich mich ergeben. Mein Herr d'Allègre, ist es wahr, daß nach französischem Gesetz keine Frau Kriegsgefangene sein kann?

Blitz! Das ist so wahr wie meine Ehre.

So empfehle ich mich Eurer Ehre und dem französischen Kriegsgesetz und Eurem Allerchristlichsten König, dessen Ritterlichkeit mir die Freiheit verbürgt.

Madama, Ihr seid frei. Befehlt, wohin Ihr gebracht sein wollt, ich werde mir's zur Ehre schätzen, Euch zu geleiten.

Der Valentino lächelt tückisch.

Verzeihung, mein Herr d'Allègre, wenn ich Euch erinnere, daß Eure Zeit für Frauendienst zu kostbar ist. Ein heute eingetroffener Befehl der Allerchristlichsten Majestät heißt Euch augenblicklich weitermarschieren, sobald die Rocca genommen ist. Hier die edle Gefangene nehme ich selbst in Obhut und werde ihr an Eurer Stelle alle die Ehren erweisen, an die sie Anspruch hat.

Die Gefangene schreit auf:

Herr d'Allègre –

Ein furchtbarer Knall zerreißt ihr das Wort im Munde. Die Erde bebt und die Mauern wanken von der Gewalt 106 des Sprengschlags, der die ganze Rocca in undurchdringliche, nicht zu atmende Rauchschwaden hüllt. Der Pulverturm ist aufgeflogen. Wenn der Rauch sich verzieht, wird man Freund und Feind zu Hunderten in Stücke zerrissen am Boden sehen. Als wenn der Schlag sie selber getroffen hätte, ist die Heldin von Forli getaumelt und wäre zum Erstaunen der Herren zu Boden geschlagen wie irgendein schwaches Weib, hätte nicht Herr Yves d'Allègre sie aufgefangen.

– Ione, Geliebte, du bist gerettet, denkt ihre Verzweiflung. Wäre auch ich's!

So endete die Verteidigung der Rocca von Forli, die den Namen Caterina Sforza unsterblich gemacht hat.

Auf dem Teppichfeld, das den ruhmreichen Fall der Feste darstellt, zeigt die untere ausgesparte Ecke den letzten Vorgang im Kleinen: die Rocca in Flammen und die Dame von Forli, wie sie über Trümmerbrocken und angelegte Notleitern, halb ohnmächtig, von dem französischen Feldhauptmann und dem Valentino mehr getragen als gestützt, ihren Auszug aus den brechenden Mauern hält.

Und Ione? Niemand hat sie wiedergesehen. Die alles durchschnüffelnde Meute des Borgia kommt um ihren Lohn, und ein edler Jüngling hat auf der Suche nach ihr, die nichts von ihm wußte, unter der entfesselten Soldateska den Tod gefunden. Nur die Herrin von Forli und der Kommandant, der sich gerettet hat, wissen um ihr Ende. Und ihr Schutzgeist weiß es, der sie beim ersten Feuerschein des Sprengschlags auf seinen Armen emportrug, dahin wo keines Valentino Macht sie erreichen kann.

Was nach ihrer Gefangennahme mit der Gräfin von Forli geschah, davon schweigen die Teppichbilder. Aber die Geschichte redet – und hier die aufgestörten Geister, die 107 noch nicht zur Ruhe sind; ihr zorniger Widerstreit erfüllt lautlos aber spürbar den Raum. Der Borgia hat das Wort gebrochen, das er dem Herrn d'Allègre gab, die hohe Frau in ehrenvoller Haft zu halten, bis der König von Frankreich ihr Geschick entschieden habe. Um so mehr denkt er den vor sich selbst getanen Schwur zu halten und seine Rache an der Gefangenen grenzenlos zu kühlen. Er hat sie nach dem Abmarsch ihres Beschützers mit roher Gewalt von ihren Frauen losreißen und in sein eigenes Schlafgemach schleppen lassen, wo er sie Tag und Nacht verschlossen hält. Vergebens erheben die anderen Führer Einspruch und mahnen an das gegebene Wort.

Eine Männin, die Festungen kommandiert und den Harnisch auf dem Leibe trägt, ist keine Frau im Sinne des französischen Kriegsrechts, antwortet der Valentino.

Aus ist es mit dem Blendwerk der Ritterlichkeit, die Brutalität des Siegers zeigt ihre Teufelsfratze. Ihre Schönheit und Hilflosigkeit reizt die Gehässigkeit seiner verderbten Sinne, sie zu peinigen und mit Schmach zu besudeln. Nicht mehr die Heldin von Forli soll sie heißen, sondern die Sklavin, die Metze des Borgia. Sie speit ihm ins Gesicht, aber der Unhold, der den Stier in der Arena fällt, ist der Stärkere. Immer wieder fragt er:

Wo habt Ihr das griechische Mädchen versteckt?

Sie antwortet: Ich hab es dir zehnmal gesagt, sie ist da, wo du Gottvergessener niemals sein wirst.

Selbst der Luffo Nummai, in dessen Haus diese Greuel geschehen, wagt die verblümte Mahnung, daß es den Sieger ziere, den besiegten tapferen Feldherrn zu ehren.

Ich ehre sie ja, ist die diabolische Antwort: Noch immer war es die Ehre des gefangenen Feldherrn, das Zelt des Siegers zu teilen. So will es die Rittersitte. Verhüte Gott, daß ich sie breche.

Der Herzog sagt es in warnendem Ton, sein Aug wirft 108 böse Strahlen. Niemand wagt noch eine Erwiderung. Beim Aufbruch setzt er die Gefangene aufs Pferd und führt sie durch die Straßen von Forli, damit ihre ehemaligen Untertanen sich an ihrer Entwürdigung weiden. Aber kein Spottwort fällt über die gestürzte Größe, er sieht nur niedergeschlagene Augen, die sich trauernd abwenden. Ihre Missetaten sind verziehen, ihre Fehler sind vergessen, das Volk gedenkt nur ihrer Heldengröße, die drei Heeren standgehalten hat, und ihres Unglücks. So schleppt er sie landaus landein durch alle Etappen seines Eroberungszuges, immer enge an seine Person gebunden, daß ihre Schmach vor der ganzen Welt offenkundig sei, bis er festlich in Rom als Herzog von Romagna einzieht, die Dame von Forli wie ein gefangenes böses Tier im Schaugepränge mit sich führend.

Und jetzt hat noch einmal die Webekunst das Wort. Am Ende der Wand ist noch ein Teppich übrig, nur dem Eingeweihten deutbar. Hier steht noch einmal der Herr d'Allègre, und zwar mitten im päpstlichen Gemach vor Sohn und Vater Borgia. Aber nicht mit gebeugten Knien, sondern soldatisch breitspurig und selbstbewußt, den Schnauzbart aufgezwirbelt, als Herr der Lage. Was hat ihn hergeführt? Was schafft er ganz allein in der Höhle des Löwen?

Ein neuer Krieg hat sich entzündet und Monseigneur d'Allègre hat nach Jahresfrist zum zweitenmal sein Heer über die Alpen geführt. Er soll für Ludwig XII. im Einverständnis mit dem Papst das Königreich Neapel erobern. Unbekannt ist ihm das Los seiner ehemaligen Gefangenen. Aber kaum daß er italienischen Boden betritt, da erreichen ihn Fetzen eines Klagegesanges auf die Dame von Forli. Denn nicht ein Spottlied ist sie geworden, sondern die Heldin einer trauervollen Romanze, die von Ort zu Ort durch ganz Italien wandert. Die 109 Soldaten, denen der Heldenmut und die Schönheit der »Dame Cathérine« unvergeßlich geblieben, hören mit Unwillen, daß ihr Leid und Schimpf widerfahren ist, denn wohin sie kommen, da empfängt sie derselbe Kehrreim:

Schaut auf diese jammervolle
Caterina von Forlivi!

Der Feldherr stutzt und forscht und gerät außer sich: so hat der Valentino Wort gehalten! Aber erst in Viterbo, wo er rasten muß, erfährt er von einem Diener der Sforza die volle Wahrheit: daß die Heldin von Forli seit Jahr und Tag im Keller der Engelsburg schmachtet und daß ihr Leben an einem Faden hängt, denn all seine anderen Gegner, deren er habhaft geworden, hat der Borgia bereits in der Stille verschwinden lassen. Da sieht der Herr d'Allègre die äußerste Gefahr im Verzug. Das Heer marschiert ihm viel zu langsam. Er wirft sich bewaffnet aufs Pferd, mit nur drei Knechten jagt er spornstreichs nach Rom und unmittelbar vor das Tor des Vatikans. Mit dem Namen seines Königs auf den Lippen schiebt er ohne Umstände die päpstlichen Wachen zur Seite, eilt staubig und schweißbedeckt wie er ist die Stufen hinauf, und an den sprachlosen Kämmerlingen vorüber betritt er unangemeldet das innerste Gemach Seiner Heiligkeit:

Wo ist die Dame von Forli?

Cesare will aufbegehren, aber er fügt sich auf einen Blick des rasch gefaßten Papstes. Die französische Freundschaft ist zu kostbar, um sie an der Rauheit eines ungeschlachten Kriegsmanns scheitern zu lassen. Man gibt ihm gute Worte und sucht Zeit zu gewinnen, aber er läßt sich auf keine Ausflüchte ein.

Ich kann nicht mehr vor meinen königlichen Herrn treten, wenn ich ihm sagen muß, daß sein geheiligter Name entweiht und seine Ehre verletzt ist. Meine Soldaten glühen 110 vor Empörung. Sie folgen mir auf dem Fuße. Ich weiß nicht, ob ich sie werde zügeln können, wenn ich ihnen nicht unseres Königs Schutzbefohlene frei und wohlbehalten vor Augen stelle.

Argwöhnisch hält er, indes er spricht, die beiden im Auge, ob nicht etwa hinter dem Wandbehang Don Michelotto, Cesares Busenfreund und Henker, auf einen heimlichen Wink warte, um die Angelegenheit rasch in der Stille abzutun. Er weiß, von der Engelsburg ist nur ein Schritt zum Tiber, der schon manchen als Leiche aufnahm, der dem neugebackenen Herzog der Romagna unbequem war. Man erbietet sich, die Gefangene vor ihn zu führen. Nichts da! Er muß selbst zu ihr, und zwar auf der Stelle, er begehrt keine Umstände und Zeremonien, er begehrt nur den Einlaß.

Es bleibt keine Wahl, als ihm zu willfahren, soll nicht das Bündnis mit Frankreich und der Plan auf Neapel zuschanden werden. Atemlos, daß keine ruchlose Hand ihm zuvorkomme, sprengt er nach der Engelsburg.

Unterhalb des Gemachs der Borgia in der rechten Ecke des Bildes öffnet sich eine Durchsicht auf den Koloß des Hadrian. Da sieht man unter dem Burgtor in perspektivischer Verkleinerung den Herrn d'Allègre, wie er die Gerettete am Arm herausführt mit der theatralischen Geste des Franzosen, der bei seinem Tun vor allem sich selbst genießt. Aber wie ist die stolze Dame von Forli verwandelt!

Abgezehrt, in schwarzem, nonnenhaftem Gewand, das Haar schneeweiß geworden, so tritt die Schwergeprüfte an der Seite ihres Retters in die Freiheit. Viele Jahre scheinen hinter ihr zu liegen, seit sie zuletzt das Sonnenlicht sah, jeder Tag der aufging, konnte ihr letzter sein, denn noch immer war sie dem Herzog im Wege. Da hat sie krank und fiebernd, im engen sonnenlosen Raum, Gericht 111 über sich selber gehalten und hat ihre Vergehen für schwerer erkannt als ihre Strafe. Aber was ihr nach oben gerichteter Blick ausdrücken will, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Sucht sie, schon nahe dem Grab, über goldenen Wolken die Gnade, die die Büßerin sich erhofft? Oder ahnt sie noch einmal irdischen Glanz – die Krone von Toskana auf dem Haupt eines Enkels, durch den einmal Blut von ihrem Blute in allen Herrscherhäusern Europas fließen wird?

Es ist nicht gefahrlos, Geister zu rufen, auch nicht für den Eingeweihten. Damit sie erscheinen, muß er ihnen von seinem Blute zu trinken geben, das mißbrauchen sie und lassen ihn erschöpft und blutleer zurück. Daß er die zwei feuerspeienden Drachen mit seinem Blute genährt hat, nimmt dem Rufer für den Rest der Nacht die Ruhe. Ihr wildbrausendes Leben hat sich ja nicht wie eine mattgewordene Welle am Ufer niedergelegt; solche Wellen unbändigen Lebenswillens umlaufen die Erde, weiß Gott, wie viele Male, ehe sie auf den Lebenden treffen, an dem sie sich brechen und ihren Inhalt ausgießen können. Dann treiben sie's noch einmal aus dem Vollen wie im stürmischen Ablauf ihrer eigenen Tage; ihre Bilder sind nicht mehr bloße Bilder, zweidimensionale Schemen, sie werden ihnen zum neuen Lebensraum für ihre ungestillten Triebe. Dem Wanderer klopft das Herz zum Zerspringen, das Zimmer ist für ihn noch ganz voll von dem geschauten Spuk. Am liebsten stiege er durchs Fenster hinunter und über die Parkmauer, um in die balsamische Nacht hinauszuwandern. Aber für einen Sprung ist es hier oben zu hoch, und zum Hinunterklettern fehlen im Mondschein die sicheren Tritte. So bleibt nichts übrig, als sich wieder zu Bette zu legen, wo ein aufgeregter Halbschlaf ihn in unzuverlässigen Armen herumwälzt. So oft es in ihm stille werden will, bewegt sich die Drachin von der Wand, 112 um sich männergierig auf ihn zu stürzen; es hat ihr wohl zu lange an Liebesabenteuern gefehlt, ganze vier Jahrhunderte und mehr. Einmal da ihn ein stärkerer Luftzug vom Fenster her traf, spürte er schon ihren stählernen Panzer auf seiner nackten Brust. Dann wieder sah er in einer Ecke des Saales die rührende Ione stehen, mit pulvergeschwärztem Gesicht und todestraurigen Augen, seine Ione, die er liebt wie der Künstler sein Werk, denn er, nicht der Marullo, hat sie gezeugt. Und das Leid um sie würgt ihn im Halse. Er hätte um sie weinen können – warum? Weil er sie hat sterben lassen müssen? Oder weil sie nie gelebt hat? Er weiß es nicht, aber ein stilles Heimweih nach ihr, in der seine zärtlichsten Träume Gestalt geworden waren, wird ihn in den wachsten Tag hinüberbegleiten. 113

 


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