Isolde Kurz
Aus meinem Jugendland
Isolde Kurz

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Vorwort

Die vorliegenden Blätter danken ihr Entstehen zunächst einer Anregung der »Neuen Freien Presse«, die einen großen Teil davon zuerst in Einzelfeuilletons veröffentlicht hat. Erst die freundliche Aufnahme, die sie in Leserkreisen fanden, veranlaßte die Abfassung des ganzen Buches. Dieses bildet gewissermaßen eine Fortsetzung und Ergänzung der Lebensgeschichte meines VatersHermann Kurz. Ein Beitrag zu seiner Lebensgeschichte. München 1906, bei Georg Müller. Jetzt Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt. und die Überleitung zu den Florentinischen Erinnerungen,Florentinische Erinnerungen. München 1910, bei Georg Müller. 2. Aufl. Jetzt Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt. in denen ich die Charakterbilder meiner verstorbenen Brüder einzeln gezeichnet habe. Da ich bei Niederschrift der genannten Bücher nicht daran dachte, auch einmal die eigene Entwicklung zu erzählen, sind in beiden gelegentlich Dinge vorweggenommen, die hier mit größerer Ausführlichkeit behandelt sein wollten. Die Art des Entstehens dieser Aufzeichnungen bedingte ihre Einteilung in geschlossene Kapitel, die nicht streng chronologisch, sondern nach der inneren Ordnung gegliedert sind. Doch bin ich hierin nur dem Gesetz des Gedächtnisses gefolgt, das gleichfalls die Ereignisse nicht am langen Faden aufreiht, sondern das Zusammengehörige, auch wenn es zeitlich getrennt ist, aneinanderknüpft.

Natürlich kann das Bild, das ich von meiner damaligen Umwelt gebe, kein vollständiges sein. Es haben wertvolle Menschen meinen Jugendweg gekreuzt, deren hier keine oder nur flüchtige Erwähnung geschieht, weil ich sonst von der vorgesetzten Richtung zu weit abgelenkt würde. Die Wahl der eingeführten Personen bestimmt sich einzig nach ihrem Einfluß auf meinen Werdegang. Und ein solcher Einfluß hängt 8 ja weit weniger von der wirklichen Bedeutung einer Persönlichkeit ab als von dem Zeitpunkt, wo unsere Lebenswege sich schneiden.

Auch wundere man sich nicht, wenn man in meinen Erinnerungen Größtes und Kleinstes, Völkergeschicke und Jugendeseleien, große Männer und kleine Mädchen bunt beisammen findet. In meinem Jugendgarten wuchsen alle Gewächse Gottes, große und kleine, einheimische und fremde, wild durcheinander. Da gab es himmelstrebende Zedern, wundersame Orchideen, seltene Rosenarten, daneben lustige Bauernblumen und allerhand blühendes Unkraut. Ich pflücke mit vollen Händen, was ich noch erraffen kann. Freilich mußte ich manche lockende Blume nachträglich wieder aus dem Strauß werfen, weil mir die Rücksicht auf Lebende oder Verstorbene Zurückhaltung auferlegt. Und was die großen Männer betrifft, so nehmen sie die Nähe der kleinen Mädchen nicht übel; ja sie hätten, als sie lebten, die Welt ohne diese Nähe um vieles weniger anziehend gefunden.

Vielleicht erscheint es manchem als eine Vermessenheit, daß ich überhaupt inmitten des Weltkrieges von den Freuden und Leiden meiner eigenen Jugend erzähle. Zu meiner Rechtfertigung diene die Erwägung, daß die große Sintflut, aus der sich allmählich eine neue Welt emporzuringen beginnt, in Bälde vollends die letzten Spuren jener idyllischen Tage mit ihren Reizen und ihren unerträglichen Hemmungen hinweggefegt haben wird. Dann mag ein neues Geschlecht sich durch die verschönernde Zeitenferne hindurch vielleicht an ihrem Anblick behagen. Auch spiegeln sich ja in jedem Menschenleben immer unzählige andere, in denen die gleichen Ansätze enthalten sind und die nicht ungern im fremden Gesicht das eigene wiedererkennen.

Buoch i. R., im Sommer 1918

Isolde Kurz

 


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