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Hätte ich den Wink des Genius verstanden, so möchte es vielleicht gut gewesen sein, denn er erschien mir als Gespenst am hellen Tage, und obendrein in der Kirche.
Eines Sonntags in der letzten Zeit meiner Schuljahre wohnte ich dem Vormittagsgottesdienste bei, zu welchem wir Schüler regelmäßig erscheinen mußten, um Thema und Disposition der Predigt, womöglich auch einen Auszug aus derselben, nachzuschreiben. Wir hatten dieser Aufgabe eine Zeitlang in der für die Katholiken eingerichteten Kapelle obgelegen, weil dort viel kürzer und kurzweiliger gepredigt wurde, waren aber, nach einer Konnivenz von etlichen Wochen, wieder zur Kirche unserer Konfession herbeigezogen worden.
Der Prediger, der an diesem Sonntag auf die in dem großen Kirchenschiffe freistehende Kanzel trat, war keine der an dieser Stätte gewohnten Erscheinungen: eine jugendliche lange Gestalt mit totenbleichem Gesicht, glühenden Augen und wilden Locken. Er begann. Wir Knaben saßen mit aufgehobenem Bleistift da, um bei den bekannten hergebrachten Wendungen das Nötige für unsern Hausbedarf festzuhalten. Aber verlegen und immer verlegener sahen wir einander an; es kam kein Signalzeichen, und wir fuhren, vor uns und hinter uns Unendlichkeit, mit der Stange im Nebel herum, ohne etwas auf das Papier zu bringen. Die Sprache war deutsch, soviel verstanden wir, aber sonst faßten wir nichts davon.
Als wir unglückliche Berichterstatter am Montag in die Schule kamen und unsere Aufzeichnungen sehen lassen sollten, hatte keiner einen Buchstaben aufzuweisen. Der Lehrer aber ließ die Sache mit einem stummen vielsagenden Nicken und ohne den gefürchteten Verweis bewenden. Die biderben Bürger waren wütend über den jungen Prediger, und schwuren ihn von der Kanzel herabzureißen, wenn er noch einmal ihre Marienkirche zu verheidnigen wage. Er hatte, wie man sich heimlich in die Ohren sagte, Philosophie gepredigt. Dieser Jüngling, der meines Wissens nur das eine Mal, und zwar diesfalls invita Maria wie invita Minerva, persönlich an mir vorübergegangen ist, war Wilhelm Waiblinger, dessen Vater, ein Regierungsbeamter, in unserer Stadt ansässig war. Sein Schicksal führte ihn bald darauf nach Italien, von wo er nicht wieder in das Vaterland zurückkehren sollte.
Ungewarnt durch dieses Gesicht, eilte ich kurze Zeit hernach gleichfalls der Prophetenschule zu, um in verschiedenen mehr oder weniger heidnischen Fächern den Grund zum künftigen geistlichen »leider auch« zu legen.
Die Pflanzstätte, in die ich mit meinen Altersgenossen »eingeliefert« wurde, war das berühmte Kloster im Kraichgau, das aus dem mißverstandenen Mühlbrunnen, an dem es gegründet ist, den durch die nachträgliche Sage aufgeschmückten Mauleselnamen geschöpft hat. Es bot uns bei unserem Eintritte nicht wenige Gegenstände der Ehrfurcht und des Staunens dar. Die Kirche, deren Bauart damals noch byzantinisch hieß, war zwar gewöhnlich geschlossen, stand uns aber dessenungeachtet offen, da der Meßner, zugleich unser Hausschneider, uns mit seinem großen Schlüsselbunde allezeit hold und gewärtig war. Mit frommer Scheu betrachteten wir im Chor die steifen, von den Franzosen entnasten Steinbilder des Ritters, der das Kloster gestiftet, und des Bischofs, der es geweiht und begabt. Noch mehr als das Schnitzwerk der Stühle bewunderten wir die tiefen Kniespuren, welche die Andacht der alten Mönche in Holz und Stein hinterlassen hat. Die Grabsteine mit ihren Inschriften gaben Beschäftigung für Monate. Eine in der Seitenhalle des Schiffs am Boden liegende Steinplatte erzählte uns, wie man im zwölften Säkulo Wort und Eid vorteilhaft zu halten wußte, indem die Mönche, von den bösen Nachbarn beim Bau des Klosters betroffen und zum Schwur der Nichtvollendung gezwungen, den letzten Stein uneingemauert ließen und den verblüfften Räubern diesen Stein liegen zu lassen versprachen bis auf den jüngsten Tag. Zwei einander gegenüberstehende Kontroverskanzeln erinnerten an die Wandelbarkeit nicht bloß weltlicher, sondern auch geistlicher Dinge, an die Bewegungen der Reformation, die Religionsgespräche, die von den benachbarten Fürsten und ihren Theologen in Maulbronn gehalten wurden, und an die wiederholte Austreibung der hartnäckigen alten Konventualen. Noch flüsterte die Sage von den ungeheuren Schätzen, die sie bei ihrer Flucht vergraben haben sollten, und von geheimen, aber vergeblichen Anstrengungen sowohl der besitzenden als der vertriebenen Partei, dieser Schätze habhaft zu werden.
Auch wir stöberten fleißig nach Schätzen, aber nicht nach solchen, welche die Goldgier reizten. So oft wir's möglich machen konnten, trieben wir uns in dem Kreuzgang umher, aus dem man in das von Kirche und Kloster umgebene schattige Gärtchen blickt. Da schwelgten wir in der Schönheit der alten Bauformen, und hatten unsere besondere Lust an dem prächtigen Bacchus, der an einer der Säulen als tonsurierter Mönch, aber nicht im Mönchsgewande, sondern in der ungenähten Bacchustracht, auf einer Traube reitend und Trauben schmausend ausgehauen ist.
An den Kreuzgang stieß das Refektorium mit seinen Gemälden und seinem Wald von schlanken Säulen, alles mit schnödem Gerumpel erfüllt. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß bei einer Plattenlegung im Kreuzgang eine steinerne Mulde, vermutlich der Sarg eines alten Abtes, ausgegraben und aufrecht an das hohe Fenster des Refektoriums angelehnt wurde, so daß wir eine Art Freitreppe, aus einer Riefenstaffel bestehend, zum Einsteigen in die versperrte Halle hatten. Wir lernten sie bald auch in der entgegengesetzten Richtung benützen, um nächtliche Befreiungsflüge aus unserer Klausur zu machen. Es konnte uns nämlich nicht lang entgehen, daß vom großen Hörsaal eine steinerne Wendeltreppe in die herrliche Rumpelkammer hinabführte, aus welcher wir sodann mit Hilfe des Sarges ziemlich geräuschlos in den Kreuzgang gelangten, der mit dem einen Ende frei nach dem großen Platze mündete. Eine schadhafte Stelle in der Ringmauer hatte sich unserem Forschungseifer längst bei Tage dargeboten, und so glückte es uns, im Zwinger die Wasserleitung zu ersteigen, die vom See nach der Mühle ging. Hier ließen wir, »von allem Wissensqualm entladen«, das Kloster tief unter uns, um »auf Bergeshöhn mit Geistern zu schweben«, im Mondlicht durch die wundervollen Buchenwälder zu gehen, oder an den stillen Seen zu lagern, auf deren Spiegel die Gestirne ruhten.
Dieweil aber »zwei Seelen, ach!« in der Brust des sündigen Menschen wohnen, so wußte die zweite den nächtlichen Zauberflug der ersten nach ein paar Jahren paradiesischen Hausens an Wald und See immer mehr abzukürzen und nach einem Orte zu lenken, wo sie, die Doppelseele, »in derber Liebeslust«, »mit klammernden Organen«, einen schlanken Hals umspannen und entkorken konnte. Warum aber hatte auch Bischof Günther unsern heiligen Vorgängern die Villa Elfingen, Hof und Berg, vergabt, warum hatte Kaiser Rotbart lobesan dem Kloster dieses Reichslehen überlassen, auf welchem die Perle aller Schwabenweine, der milde und doch so geistreiche Elfinger, wächst!
Doch nicht allein in die Weite und Breite, auch in die steile Höhe sind unsere Entdeckungsfahrten gegangen. Nachdem wir alles Erforschbare im Kloster durchforscht – nicht zu vergessen der Schätze hinter der schweren eisernen Türe der Klosterbibliothek, besonders der Chronik Turpins, und des sechsten Buches Mosis, das wir aber bloß von weitem an der Kette zu sehen bekamen – verstiegen wir uns in jene luftigen Regionen, wo man sonst nur melancholische Kater wandeln sieht. Wir lernten nämlich einen Teil des Vierecks, das die Kirchen- und Klostergebäude bildeten, zu Dache begehen. Schon hielten wir uns für die ersten Entdecker einer neuen Welt, als eine sehr unerwartete Entdeckung, nämlich ein in dieser Höhe wohlverwahrter und mit einer Widmung an die Nachwelt begleiteter Bücherschatz, uns erzählte, daß andere vor uns an dieser Stelle gewesen seien. Uns war wie Reisenden zu Mute, die an einem fernen Strande, oder auf einer unzugänglich geglaubten Gebirgsspitze Spuren menschlicher Geschichte finden. Auch feierten wir das glorwürdige Ereignis nach Gebühr. Wir brachten die Stiftung, nachdem wir treulich von ihr Gebrauch gemacht hatten, mit anderen Büchern vermehrt und mit einer neuen Widmungsurkunde für die folgenden Generationen versehen an den alten Ort zurück, und begingen diese Handlung mit einem auserlesenen Stiftungsfeste. Die Kirche hat eine schöne Vorhalle mit sechs Portalen, Paradies genannt; auf dieser ruht, unter dem Frontispiz der Kirche, ein ziemlich flaches Dach. Hierher kamen wir vom Kloster herüber mit Geigen und Flöten gestiegen; ein anderer Teil stellte sich mit seinen Instrumenten unten auf dem vor dem Paradies gelegenen Turnplatze bei den breiten Linden auf, und so veranstalteten wir, in Wechselchören einander erwidernd, ein gewiß nicht oft dagewesenes Konzert.
Aber noch ein ganz anderer Fund sollte unsere Dachstudien krönen.
Oberhalb des Fensters, das unsern Operationen als Ausgangspunkt diente, erhoben sich die Dächer der Klostergebäude amphitheatralisch übereinander zu einem Labyrinth, das notwendig den Unternehmungsgeist reizen mußte. Kletternd und rutschend, einer vom anderen geschoben oder gezogen, strebten wir durch eine aufrechte Dachrinne zu unbekannten Höhen empor, und gingen dann in einer anderen wagrechten, zwischen einem hohen Dach und der Wand eines anstoßenden Gebäudes eingemauerten Rinne hintereinander hin. Da fesselte eine Öffnung in der Wand unsere Aufmerksamkeit. Wir wußten nicht, war es ein Fenster oder eine kleine Türe. Einer um den anderen sah hinein, aber unsere Blicke sanken haltlos in ägyptische Finsternis. Ebenso merkte der prüfende Fuß alsbald, daß es nicht sowohl hineinging, als vielmehr hinab. »Hinab also!« rief das Haupt der Schar, dem wir auf unserer Polarfahrt Gehorsam geschworen hatten.
Aber »wer wagt es, Rittersmann oder Knapp?« Das Gemäuer da konnte hohl sein bis auf die Grundmauern, und dann mochte der Sprung übel bekommen. Unser Anführer jedoch war nicht der Mann, sich von Bedenklichkeiten aufhalten zu lassen. Er verdiente seine Wahl. Hatte er doch erst gestern auf der höchsten der Linden, die den Turnplatz beschatten, sein Meisterstück gemacht: er hatte sie bis in den Wipfel erklettert; so schlank und leicht er war, so brach dennoch der dünne Wipfel mit ihm, aber in der Hälfte des Falls ergriff er gleichmütig einen Zweig, an dem er soeben vorüberschlug, hielt sich fest und kletterte noch einmal hinauf. Seine redlichen Gemütseigenschaften abgerechnet, konnte man ihn durchaus mit einer Katze vergleichen.
»Hinab!« rief er und war in der Nacht verschwunden; doch hörten wir zu gleicher Zeit, daß der Sprung nicht allzu tief gegangen war. »Höchstens sechs Schuh hoch!« rief er lachend herauf, und wie die Heruler oder die sieben Schwaben ins blühende Leinfeld, hüpften wir einer um den anderen nach. Wer ungeschickt aufsprang, der fiel – Verfasser dieses kann es bezeugen – auf weichen Schutt. Unsere schwarzen Kleider, die seit nicht allzulanger Zeit an die Stelle der protestantischen Klosterkutten getreten waren, mögen bei diesen archäologischen Bemühungen wohl auch zu Altertümern geworden sein.
Durch eine schmale Luke fiel ein Streifen vom Tageslicht auf eine Stelle an der Wand, und in dem Lichtschimmer erschien – ein dunkelroter Flecken. »Salve, Fauste!« ertönte es im Chor, und ein dumpfer Widerhall antwortete von den Wänden. Wir wußten nämlich wo wir waren.
Daß wir uns in unserem Kloster auf klassischem Boden der Faustsage befanden, hatte uns die dort fortlebende Überlieferung längst gesagt. Nur eine Stunde von hier geboren, wenn die Angabe richtig ist, wurde Faust (der aber halbwegs Sabel geheißen zu haben scheint, wovon an seinem Ort das Weitere) vom Abt Entenfuß, einem Jugendfreunde, aus seinem fahrenden Scholastenleben erlöst und in das Kloster aufgenommen, wo er ein Gemach zu seinem Laboratorium angewiesen erhielt. Der Gastfreundschaft soll jedoch einiger Eigennutz beigemischt gewesen sein, sofern der von einem starken Baugeist besessene und deshalb in steter Geldklemme schwebende Prälat auf die Goldküche seines Gastes gerechnet habe. Jedenfalls vergalt ihm der Doktor Drudenfuß sein Vertrauen mit großem Gestank, denn er beging die Unanständigkeit, sich mitten im Kloster vom Teufel holen zu lassen, worauf sein hoch würdiger Freund sich auch nicht länger halten konnte, sondern »wegen üblen Hausens« den Krummstab niederlegen mußte.
Dieses Teufelholen scheint beiläufig, in Betracht der Örtlichkeit, nicht so einfach gewesen zu sein, wie man vielleicht im täglichen Handel und Wandel meint: denn abgesehen von den anatomischen Weitläufigkeiten, die es der Sage nach den Teufel kostete, bis er dem Doktor seine arme Seele ausgerupft hatte, wie muß er sich nur abgearbeitet haben, ihn durch die enge Fensterluke hindurchzubringen, um ihn, was doch vermutlich im Kloster nicht erlaubt war, in den Lüften herumzuwirbeln und zu zerreißen. Die Gelehrten des sechzehnten Jahrhunderts müssen sehr mager gewesen sein: ein Marder von nur einigermaßen günstiger Lebensstellung fände wohl den Ausgang zu schmal. Auch muß ihn der Kopf gehindert haben, da er sich, sowohl nach der Sage als nach dem Augenschein, bemüßigt fand, denselben vorher an der Wand zu zerschmettern. Von dieser Maßregel nämlich rührt der dunkle Flecken her, welcher, ebenfalls der Überlieferung zufolge, sich unvertilgbar bis auf den heutigen Tag erhalten hat.
Das Wahrzeichen schlug jeden Zweifel nieder: wir standen in Doktor Fausti Gemach! Die Dämmerung, in welche sich die Nacht allmählich für unsere Augen verwandelt hatte, ließ uns in der öden, nicht sehr geräumigen Zelle nur nackte verfallene Wände und über uns ein flaches Gewölbe erkennen. Was die Augen nicht unterscheiden konnten, das fühlten wir um so deutlicher unter den Füßen, nämlich einen unebenen, reichlich mit Schutt bedeckten Boden.
Dennoch war gerade dieser dunkelste Teil des Orts bestimmt, uns zu neuen Entdeckungen zu leiten. Mit Schrecken bemerkte einer in der Mitte des Gemachs ein viereckig ausgemauertes Loch, in das er beinahe hineingetreten wäre. Er kniete nieder und streckte den Kopf hinab, ob in dem Abgrund etwas zu erspähen sei. Auch dort, tief unter uns, hatten ein paar verlorene Strahlen vom Tageslicht irgend woher Zutritt gefunden, und schienen unschlüssig in der Finsternis umherzuhuschen.
Eine Weile hatte unser Forscher seiner Untersuchung obgelegen, da sprang er plötzlich auf, holte tief Atem und beobachtete ein rätselhaftes Stillschweigen. Neugierig kauerte ein anderer nieder, stieß aber bald einen Schrei aus und fuhr mit Entsetzen auf. »Totenköpfe!« rief er: »ein ganzer Haufen gebleichter Totenköpfe liegt da unten!« Einer um den anderen drängte sich jetzt herzu und jeder sah die Totenköpfe.
Das war nun freilich eine schauerliche Entdeckung, aber eben darum nicht ohne Reiz. Wir mußten uns um jeden Preis Gewißheit verschaffen, und selbst der Gedanke, die Schätze der alten Mönche in dem Verließ zu finden, hätte uns schwerlich mehr beschäftigen können, als die Anwesenheit der Totenköpfe. Der Behendeste von uns kroch den Rückweg an, um eine Laterne und eine lange Schnur zu holen, während die anderen ahnungsvoll zur Stelle blieben.
Als er zurück war, wurde mit zitternder Ungeduld Licht gemacht und die Laterne in den geheimnisvollen Schlund hinabgelassen. Anfangs beleuchtete sie einen Mantel von schönen Quadern, dann schwebte sie in der unendlichen Nacht, unkenntliche Mitteldinge zwischen Sein und Nichts tauchten in ihrem flackernden Schimmer auf, endlich erreichte sie den Grund und blieb unbefangen auf dem Hügel stehen, den wir für einen Haufen Totenköpfe gehalten hatten, und der sich jetzt, durch das Licht der Wahrheit auf natürliche Gestalt und richtiges Maß des Daseins zurückgeführt, in ein Lager von frischen, kerngesunden Krauthäuptern verwandelte.
Ein das Gewölbe erschütterndes Gelächter brach los, das eine ohnehin schon schmerzlich gestörte Kolonie von Fledermäusen vollends zur Verzweiflung brachte. Bald aber kam die Reihe der Bestürzung an uns selbst, denn auf einmal wurden in dem Verließe unter uns Stimmen laut, und wir glaubten sogar einen herzhaften Fluch zu vernehmen. Eilig zogen wir die Laterne herauf, die uns nun einen zuvor nicht geahnten Ausweg zeigte, nämlich eine steinerne Wendelstiege, dergleichen in alten Gebäuden so manche zu finden sind.
Mit freudigem Gepolter salvierten wir uns hinab, aber die Freude endete samt dem Rettungsweg an einer vermauerten Türe. So leise als möglich, denn die Stimmen schienen immer näher zu kommen, schlichen wir in das verwünschte Mauerloch zurück, wo wir uns zur geordneten Flucht entschließen mußten, die trotz alles Herzklopfens nur langsam zu bewerkstelligen war. Vor der mannshohen Öffnung, durch die wir hereingesprungen waren, mußte sich der längste aufstellen; an diesem kletterte der Turnmeister hinaus, und nun konnte den anderen von außen und von innen Hilfe geleistet werden, bis auf den letzten, der mit vereinten Kräften heraufgezogen werden mußte. Alles lief glücklich ab, wir hörten nichts mehr, verfolgten unseren Katzenweg nach dem Dorment zurück und verhielten uns mäuschenstill.
Den anderen Tag war am Tore, dem einzigen, das in die damals noch ungebrochenen Klostermauern führte, ein Plakat angeschlagen, besagend, daß gestern durch eine Rotte Banditen ein ausgezeichnet frecher Einbruch im Keller des Oberrichters versucht worden sei; bei Annäherung der Hausgenossen seien die Diebe auf unbegreifliche Weise verschwunden, und da man sonach vermuten müsse, daß der Keller einen geheimen Zugang habe, so werde hiemit ein Preis von X Gulden auf die Entdeckung gesetzt.
Die Totenköpfe drohten uns unsere eigenen zu kosten. In unseren Ringmauern hatten nämlich außer den Klosterangehörigen auch die Gerichts-, Verwaltungs- und Rechnungsbehörden des Amtes ihren Sitz, und einige der Klostergebäude waren ihnen eingeräumt. Unser Justizmann aber war ein strenger dicker Potentat aus der alten inquisitorischen Schule, an dem es gewiß nicht lag, wenn die Tortur nicht wieder hergestellt wurde. Er war so dick, daß, wenn er sich ins Fenster legte, ihm das Umdrehen beschwerlich fiel. Wurde also in einem solchen Augenblicke ein Delinquent vor ihn oder vielmehr hinter ihn gebracht, so sprach er seine Rolle mit dem Rücken gegen das Gericht zum Fenster heraus, und da dieses auf den Platz ging, so konnte man hier der Untersuchung anwohnen und aus der hörbaren Hälfte des Protokolls den ganzen Gang der Verhandlung erraten. Er war somit gegen seinen Willen ein Vorbote der Öffentlichkeit und Mündlichkeit. »In den Hosenträger mit dem Kerl!« das war gleichsam sein Feldgeschrei. »Ach was!« hörten wir ihn manchmal sagen, vermutlich auf eine Entschuldigung, die besonders den Delinquentinnen geläufig ist: »Dummheit ist die größte Sünde!« Mit der Romantik wäre ihm wohl noch weniger beizukommen gewesen.
Ein Charakter von so gedrungenem Korn ließ nicht mit sich scherzen. Ohnehin konnte ein scharfsinniger Kommentator wittern, die »Banditenrotte« sei bereits auf die Studenten gemünzt. Wir machten uns zum Tor hinaus und eilten in den Wald, wo wir uns eine gar zierliche Hütte erbaut hatten, in der wir die karge Stunde der sogenannten Rekreation zubrachten. Dort lachten wir ins Fäustchen, und als das Kampusglöcklein uns mit seinen weitgellenden Tönen ins Kloster zurückrief, schritten wir ehrbarlich wieder durch das Tor, und wagten dem Proskriptionsdekret nur flüchtig im Vorübergehen zuzublinzeln.
Einige Zeit hernach fiel der Besitzer der Totenköpfe in eine Krankheit und starb. Wir sangen ihm vierstimmig am Grabe und erhielten diese Ehrenbezeugung durch eine große Amphora seines edlen Weins erwidert, dessen Geister unsere unschuldige Laterne in ihrer Ruhe gestört hatte. Jetzt fanden wir auch den Mut wieder, unsere Dachreisen zu erneuern und das Faustianum, wie wir das Gelaß benannt hatten, aufmerksam zu besuchen. Die vermauerte Türe ließ uns durch ein Loch in einen Holzstall blicken, in welchem wir sofort einen Teil des Rebentals erkannten, zur Bestätigung, daß wir unsere Entdeckung richtig getauft hatten; denn die Sage beharrt darauf, daß das Laboratorium des Höllendoktors an den Speisesaal der Mönche gestoßen habe. Vielleicht ist ihnen aus seiner magischen Küche eins und das andere jener Gerichte zugeflossen, die zu seiner Zeit oft so sonderbar von fürstlichen Tafeln verschwunden sein sollen.
Das Wahrzeichen, das wir nun mit der Laterne näher zu beleuchten wagten, war ein großer, dunkler, braunroter, rostiger Flecken, der einen Teil der Wand bedeckte. Wir beschäftigten uns lang damit, seine Entstehung zu erklären, und wurden endlich eins, daß er entweder vom Doktor Faustus herrühre oder nicht. Im letzteren Falle, beschlossen wir, sei der Gegenstand nicht weiter zu verfolgen; im ersteren erkannten wir das Wandgemälde für eine der interessantesten Visitenkarten im Geschmack des sechzehnten Jahrhunderts, besagend nämlich: »u. A. z. n.«
Daß dem Kloster, dem ein solches Zerebrum hinterlassen worden, unter allen unseren Prophetenschulen der erste Rang gebühre, stand für uns fest. Den Keller ließen wir fortan unbehelligt, doch wandelten wir nicht allzu knapp die Pfade des Gesetzes; denn wenn mich meine Erinnerung nicht gänzlich trügt, so hat die Zelle des Magus manchen verbotenen Duft geatmet, nach der Weise: »Knaster den gelben hat uns Apollo präpariert.«
Unsere Wiederentdeckung der Faustküche aber ist seit dem großen Spuk von 1659, wo der Teufel leibhaftig im Kloster umging, »vornen niederträchtig wie ein Katz, hinten aber hoch und dick wie ein zottiger Hund«, das größte dämonologische Ereignis daselbst gewesen. Wir wagten nach und nach unser Geheimnis weiter zu verbreiten, und die Kunde davon drang zuletzt selbst in die Kreise der ehrwürdigen Sagenforschung ein, die sodann in rechtsgültiger Form seitdem das gute Kloster in sein halbvergessenes Anrecht auf den Lieblingshelden der deutschen Zaubersage wieder eingesetzt hat.
Und im Hinblick auf dieses löbliche Vollbringen, wovon ich ein kleiner Teil gewesen bin, will ich mich's doch lieber nicht gereuen lassen, in die Prophetenschule gegangen zu sein.