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Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke. Larven und Lemuren. Es bilden sich Gruppen.
Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Venedig bombardiert! Schwere Niederlage der Italiena!
Ein Armeelieferant: Wenn Sie das Abendblatt gelesen hätten, würden Sie keinen Moment zweifeln.
Zweiter Armeelieferant: War es als authentische Nachricht?
Zweiter Zeitungsausrufer: Extraausgabee –!!00.000 tote Italiena bittee –!
Erster Armeelieferant: Wenn ich Ihnen sag, wörtlich: Kramer gastiert ab!. in Marienbad.
Dritter Zeitungsausrufer: Krakujefaz eropaat!
Zweiter Armeelieferant: Gottseidank, da bleibt meine Frau länger.
Erster: Die Göttergattin?
Vierter Zeitungsausrufer: zweate Oflagee vom Tagblaad! Teitscha Bericht!
Ein Offizier (zu drei anderen): Grüß dich Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny, also du – du bist ja politisch gebildet, also was sagst zu Rumänien?
Zweiter Offizier (mit Spazierstock): Weißt, ich sag, es is halt a Treubruch wie Italien.
Der Dritte: Weißt – also natürlich.
Der Vierte: Ganz meine Ansicht – gestern hab ich mullattiert –! habts das Bild vom Schönpflug gsehn, Klassikaner!
Ein Mäderl: Achttausend Russen für zehn Heller!
Ein Mädchen (sich in den Hüften wiegend, vor sich hin): Kroßa italienischa Ssick!
Ein Weib (puterrot, im Laufschritt): Fenädig pompatiert!
Der dritte Offizier: Was ruft die? Venedig –?
Der Zweite: Bin auch erschrocken – bist auch erschrocken – weißt es is nur das andere.
Der Dritte: Ah so.
Der Vierte: Geh hast denn glaubt, daß die Eigenen –
Der Zweite: Nein, ich hab glaubt italienische Flieger, no warum –
Der Erste: Bist halt a Hasenfuß. Denkts euch, gestern hab ich a Feldpostkarten kriegt!
Der Zweite: Gwiß vorn Fallota!
Der Dritte: Du was macht er, der Fallota, is er noch immer so ein Denker? Oder erlebt er schon was? No ich erleb jetzt auch viel im KM.
(Es treten auf zwei Verehrer der Reichspost.)
Der erste Verehrer der Reichspost: Wir haben uns mit den Forderungen, die Mars uns stellt, bereits abgefunden. Wir haben bisher seine Lasten tragen können und sind fest entschlossen, sie willig weiter zu tragen bis zum gedeihlichen Ende.
Der zweite Verehrer der Reichspost: Der Krieg hat auch seinen Segen. Er ist ein gar strenger Lehrmeister der Völker, über die er seine Zuchtrute schwingt.
Der Erste: Der Krieg ist auch ein Spender von Wohltaten, ein Erwecker edelster menschlicher Tugenden, ein prometheischer Erringer von Licht und Klarheit.
Der Zweite: Der Krieg ist ein wahrer Lebensspender und Lichtbringer, ein machtvoller Mahner, Wahrheitsverkündiger und Erzieher.
Der Erste: Welch einen Schatz von Tugenden, die wir schon im Sumpfe des Materialismus und Egoismus unseres Zeitalters erstickt glaubten, hat doch dieser Krieg schon gehoben.
Der Zweite: Hast schon Kriegsanleihe zeichnet?
Der Erste: Und du?
Beide: Wir haben uns mit den Forderungen, die Mars uns stellt, bereits abgefunden. (Ab.)
Ein alter Abonnent der Neuen Freien Presse (im Gespräch mit dem ältesten): Intressant steht heut in der Presse, die morgige Nummer des ungarischen Amtsblattes wird die Verleihung des Titels eines königlichen Rates an den Prokuristen von Ignaz Deutsch & Sohn in Budapest Emil Morgenstern verlautbaren.
Der älteste Abonnent: Was jetzt alles vorgeht! (Ab.)
Ein Krüppel (zwei Stümpfe und ein offener Mund, in der einen Hand Schuhbänder, in der andern Zeitungsblätter, mit dumpfem Trommelton): Extrrasgabee! Halb Serrbien ganz arrobat!
Der dritte Offizier: Ganz Serbien –?
Poldi Fesch (zu einem Begleiter): Ich sollte heut mit dem Sascha Kolowrat drahn, aber – (ab.)
Der Vierte: Das is noch gar nix, habts ghört, 100 000 tote Katzelmacher haben s' gfangen! (zwei Invalide humpeln vorbei.)
Der Zweite: Nix wie Tachinierer wo ma hinschaut, unsereins schämt sich schon, in Wien zu sein.
(Einrückende älteren Jahrgangs ziehen vorbei. Man hört den Gesang: In der Heimat, in der Heimat da gibts ein Wiedersehn –)
Der Dritte: Wißts was, gehmr zum Hopfner!
Der Vierte: Heut is stier. Immer dieselben Menscher –
Der Erste (indem sie abgeben): Weißt, mit Rumänien – das is dir also kein Gspaß – weißt, aber ich glaub halt, die Deutschen wern uns schon – (ab.)
Fünfter Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Ssick auf allen Linien! Der Vormarsch der Rumänen!
(Man hört die Fiakerstimme: Im Kriag kriag i's zehnfache)
(Verwandlung.)
Vor unseren Artilleriestellungen.
Die Schalek: Steht dort nicht ein einfacher Mann, der namenlos ist? Der wird mir mit schlichten Worten sagen können, was zur Psychologie des Krieges gehört. Seine Aufgabe ist es, den Spagat am Mörser anzuziehen – scheinbar nur eine einfache Dienstleistung und doch, welche unabsehbaren Folgen, für den übermütigen Feind sowohl wie für das Vaterland, knüpfen sich nicht an diesen Moment! Ob er sich dessen bewußt ist? Ob er auch seelisch auf der Höhe dieser Aufgabe steht? Freilich, die im Hinterland sitzen und von Spagat nichts weiter wissen als daß er auszugehen droht, sie ahnen auch nicht, zu welchen heroischen Möglichkeiten gerade der einfache Mann an der Front, der den Spagat am Mörser anzieht – (Sie wendet sich an einen Kanonier) Also sagen Sie, was für Empfindungen haben Sie, wenn Sie den Spagat anziehn?
(Der Kanonier blickt verwundert.)
Also was für Erkenntnisse haben Sie? Schaun Sie, Sie sind doch ein einfacher Mann, der namenlos ist, Sie müssen doch –
(Der Kanonier schweigt betroffen.)
Ich meine, Was Sie sich dabei denken, wenn Sie den Mörser abfeuern, Sie müssen sich doch etwas dabei denken, also was denken Sie sich dabei?
Der Kanonier (nach einer Pause, in der er die Schalek von Kopf zu Fuß mustert): Gar nix!
Die Schalek (sich enttäuscht abwendend): Und das nennt sich ein einfacher Mann! Ich werde den Mann einfach nicht nennen! (Sie geht weiter die Front ab.)
(Verwandlung.)
Isonzo-Front. Bei einem Kommando. Die Oberleutnants Fallota und Beinsteller treten auf.
Fallota (essend): Weißt, ich iß a Mehlspeis, magst a Stickl?
Beinsteller (nimmt): Ah, eine Spehlmeis, da gratulier ich. Du Genußspecht.
Fallota: Weißt, also da können s' sagen was' wolln, auf die Kunst geben s' obacht bei uns, daß einer Sehenswürdigkeit nichts gschicht, an Denkmal und so Raritäten. Da lies ich grad im Deutschen Volksblatt, schau her, aus dem Kriegspressequartier wird gemeldet: In der italienischen und französischen Presse wird die tendenziöse Unwahrheit verbreitet, daß unsere und deutsche Truppen in den besetzten russischen Gebieten griechisch-orthoxe – dodoxe Heiligtümer, wie Kirchen und Klöster, zu Restaurants, Cafés und Kinos umgestalten. Diese Behauptung ist eine frei erfundene Verleumdung. Es ist allbekannt, daß unsere Truppen – und dasselbe kann von unseren Verbündeten festgestellt werden – die Kirchen und Klöster im Feindesland immer mit der größten Pietät schonen. In unserer Armee ist die Achtung der religiösen Zwecken gewidmeten Stätten eine unumstößliche Tatsache, gegen die auch in diesem Kriege sich keiner unserer Soldaten vergangen hat. – No also, schwarz auf weiß.
Beinsteller: Da sieht man, wie im Krieg gelogen wird.
Fallota: Weißt, also da bin ich selbst Zeuge, also in Rußland war ich selbst einmal in ein Kino, was früher eine Kirchen war also ich sag dir, nix merkt man, keine Spur von einer Verwüstung, taarlos!
Beinsteller: No ja, paar jüdische Friedhöf – das hab ich gsehn – da war ein bißl ein Durcheinander, da hams die Grabsteiner mitgehn lassen. Aber wie's in Griechenland mit orthodoxe Heiligtümer is, da war ich nicht, das könnt ich nicht sagen.
Fallota: Weißt, wenns überall so haklich wärn auf die Kunstwerk, könntens sich gratulieren. Da lies ich in der Zeitung, schau her, die Redaktion des Journal de Geneve –
Beinsteller: Ganef. (Gelächter.)
Fallota: – sammelt also Unterschriften aller Schweizer Bürger auf einer Petition an Seine Majestät, worin an dessen Wohlwollen und Hochherzigkeit appelliert wird, um den Schutz der Kunstwerke –
Beinsteller: Schmutz der Kunstwerke. (Gelächter.)
Fallota: – in den von den verbündeten Truppen besetzten Gebieten Italiens zu erreichen. Dazu is a Anmerkung der Redaktion – du großartig schau her –: »Derartige Petitionen mögen berechtigt sein, wenn die Entente Gebiete besetzt. Bei uns sind sie überflüssig. Denn wir sind ein Kulturvolk.«
Beinsteller: Natürlich san mr a Kulturvolk, aber was nutzt das – wenn mas ihnen auch hundertmal sagt, deswegen plärren s' doch, mir sein die Barbaren.
Fallota: Weißt, mir wern s' ihnen schon einidippeln. Wenn mr nach Venedig einikommen mitn Spazierstöckl!
Beinsteller (singt):
In Venedig ziehn wir als Sieger ein, Wo die Gipsstatuen und Bilder sein. Mit den schönen Bildern feuern wir dann an, Und als Zeltblatt dient ein echter Tizian. Tschin! Krach! Tschindadra! Handgranaten her! |
Fallota: Was hast denn da für a Lied, das is ja großartig –
Beinsteller: Das kennst nicht? Das is doch das Offensivlied, was die Einjährigen Kaiserschützen singen. Da sind noch viele Strophen, eine schöner wie die andere, ich hab's wo, ich wer dirs abschreiben.
Fallota: Da revanchier ich mich. Kennst schon den Katzelmacher-Marsch?
Beinsteller: Hab davon ghört, in der Kriegszeitung der k. u. k. 10. Armee, gleich mit die Noten – aber die Nummer is leider vergriffen.
Fallota: Pomali, kann ich auswendig, hör zu. Weißt, was »Tschiff und tscheff« is?
Beinsteller: Aber ja, das bedeutet das Geräusch beim Repetieren –
Fallota: No und »tauch«?
Beinsteller: Das bedeutet die Schlußdetonation des Mannlicher-Gewehres.
Fallota: No wennst das eh weißt – also hör zu:
Tschiff, tscheff, tauch, der Wallisch liegt am Bauch, Tschiff, tscheff, tauch, der Wallisch liegt am Bauch. Wir habn sie guat getroff'n, Könnan nimma Katzl mach'n, Den AnnunzioAnnunzio – Gabriele d'Annunzio, ital. Dichter und Politiker, nahm aktiv am 1. Weltkrieg teil, † 1938 und Sonnino Den machma a no hino. Den Vittorio Emanuele, Nun werd'n sie fest gedroschen Und anstatt Trieste, Und im Land Tirol, Niente per Villaco Nun habn sie voll ihrn Hefn, Da liegn sie nun die Schurken, |
Beinsteller (der jede Strophe mit Gesten und Interjektionen begleitet hat, hingerissen): Tschiff, tscheff, tauch! Du das is aber schon großartig! Ah – ah – du – na hörst! Weißt, so eilt Humor das, is nur auf deutsch möglich, das ham s' nicht in inera dalkerten Sprach, das bringen s' nicht heraus!
Fallota: No und der Humor im Felde – in der Nummer – also das mußt lesen!
Beinsteller: Pomali – kennst das schon? Ich bin nämlich Sammler. (Zieht ein Notizbuch hervor) Du, das is aus der Kriegszeitung der Heeresgruppe Linsingen: »Ein Glücklicher.« Feldgrauer (dessen Angebetete seinen Heiratsantrag angenommen hat): Glaub mir, Geliebte, so glücklich hab ich mich nicht mehr gefühlt, seit ich entlaust worden bin.
Fallota (wälzt sich): No kennst schon das neue Büchl »Das Lausoleum«?
Beinsteller: Natürlich.
Fallota: Momenterl – kennst das schon? Ich bin nämlich Sammler. (zieht ein Notizbuch hervor) Du, das is aus der Kriegszeitung der 2. Armee: »Weitermachen!« Ein Rekrut, der erst seit wenigen Wochen im Felde ist, muß eine Notdurft verrichten –
Beinsteller: Der hats aber eilig, hätt nicht warten können, der Schweinkerl.
Fallota: Wart, der Witz kommt erst. Muß also eine Notdurft verrichten und geht auf eine Latrine, die sich unmittelbar an der Dorfstraße befindet. Da gehn zwei Leutnants vorbei. Unser Rekrut ist erst unschlüssig, was er machen soll. Schließlich steht er auf und erweist stramm die vorschriftsmäßige Ehrenbezeigung. Lachend erwidert da der eine Offizier: »Sitzenbleiben, weitermachen!« Du, das wär was für die Fannitant!
Beinsteller (wälzt sich): Momenterl – kennst das schon? Du, das is aus der Kriegszeitung der 10. Armee, weißt, mehr ein feiner Witz, Kinderrnund, aber gspassig. Alstern »Kindermund«. Ich trage einen Vollbart. Ich gehe nun eines Tages etwas spazieren und begegne dabei einem allerliebsten Knirps von etwa drei bis vier Jahren. Ich sehe mir den jungen Herrn an – er sieht mich an. Plötzlich streckt er die Hand aus: »Du Mann«, sagt er, »warum hast du so viel Haare im Gesicht?« Zois.
Fallota (wälzt sich): Ja der Zois, der hat halt einen Humor!
Beinsteller: Der redigiert dir die Kriegszeitung, daß' ein Vergnügen is. Schon sein Name is so gspassig – Baron Michelangelo Zois – Michelangelo –
Fallota: Weißt das is ein Maler, so a italienischer, weißt der Zois is aber nicht verwandt.
Beinsteller: Woher denn, mit an Katzelmacher!
(Verwandlung.)
In Jena. zwei Studenten der Philosophie begegnen einander.
Der erste Student der Philosophie: Ach Junge ich sage dir, das Leben ist doch schön, der Sieger vom Skagerrak ist Ehrendoktor unserer Fakultät!
Der Zweite: Offenbar wegen seiner Stellung zu Goethe.
Der Erste: Nanu?
Der Zweite: Ja Menschenskind weißt du denn nicht, er hat sich doch über das U-Boot-Gedicht von Goethe geäußert!
Der Erste: Wie, Goethe hat prophetisch erkannt –?
Der Zweite: Nee, nicht Goethe selbst, ich meine das berühmte Gedicht:
Unter allen Wassern ist – »U«.
Von Englands Flotte spürest du
Kaum einen Hauch ...
Mein Schiff ward versenkt, daß es knallte.
Warte nur, balde
R-U-hst du auch!
Der Erste: Gottvoll!
Der Zweite: Also scheinbar sagt das 'n englischer Kapitän, aber es ist doch eigentlich von Goethe, nicht?
Der Erste: Na und Scheer?
Der Zweite: Scheer hat sich darüber begeistert geäußert, er findet es famos und wünscht, daß die Befürchtung des englischen Kapitäns bald in Erfüllung gehen möge.
Der Erste: Hurra! Ja nun verstehe ich, warum gerade eine so klassische Fakultät wie unser Jena – das hätte Schillern gewiß gefreut. Unser Rektor hatte knapp vorher so 'nem faulen Friedensfatzke das Verbot des Generalkommandos vorgelesen, worin dem Kunden das Handwerk gelegt wird. Hast du die Rede gelesen, die unser Rektor auf der Lauterberger Weltanschauungswoche gehalten hat? Fein. Ich sage dir, es geht vorwärts. Wie sagt doch Kluck? Das Haupt der Feinde in das Herz zu treffen, ist unser Ziel! Ja, ja, nun ist also Scheer Doktor in Jena.
Der Zweite: Schiller war Feldscheer. Dafür hat Hindenburg leider gar keine Beziehung zur Schönwissenschaft.
Der Erste: Nee. Seitdem ihn damals Königsberg zum Doktor der Philosophie honoris causa gemacht hat, als er die Panjebrüder in die Tunke setzte – na ja, das mußte man anstandshalber, aber sonst? Nie hat man auch nur 'n Wort von ihm gehört –
Der Zweite: Na hin und wieder doch 'ne Sentenz wie »Immer feste druff!« oder »Vorwärts!«
Der Erste: Ach, das wird vielleicht nicht von ihm sein.
Der Zweite: Aber eben jetzt hat er das Wort geprägt: »Ich warne vor den Miesmachern.«
Der Erste: Da hätte höchstens die Universität Berlin – in dem Wort ist so gar kein deutscher Zug.
Der Zweite: Ja wie hätte er's denn sagen sollen?
Der Erste: Wie? Ganz einfach: Ein Hundsfott, wer 'n Miesmacher ist!
Der Zweite: Nun ja – es scheint tatsächlich nur die Marine in der Philosophie verankert zu sein.
Der Erste: Oder umgekehrt.
Der Zweite: Wieso?
Der Erste: Na – da sieh mal (er liest eine Zeitungsnotiz vor:) In Kiel hat zu Pfingsten die Schopenhauer-Gesellschaft getagt, die es sich zur Aufgabe gestellt hat, die Gedanken dieses großen, ebenso populären wie verkannten Philosophen zu verbreiten und im Bewußtsein der Menschen zu vertiefen. Den Abschluß der Tagung bildete der Besuch des Kriegshafens, wobei die kaiserliche Marine, vertreten durch Korvettenkapitän Schaper, die Teilnehmer durch Vortrag und unmittelbare Anschauung, einschließlich wiederholter Tauchungen, über die Geheimnisse eines U-Bootes größeren Typs unterrichtete.
Der Zweite: Ich wußte nicht, daß Schaper Schopenhauerianer ist.
(Verwandlung.)
Hermannstadt. Vor einem versperrten deutschen Buchladen.
Ein preußischer Musketier (schlägt an die Tür): Machen Se man uff, sonst schlagen mer Ihnen die Bude ein – wir Deutsche haben Hunger nach Büchern!
Der deutsche Buchhändler (öffnet): Aus Freude über diese Drohung, nicht aus Furcht gehorche ich ihr. Mein Ehrgeiz als deutscher Buchhändler ist es, recht viele deutsche Brüder mit deutschen Büchern versorgen zu können. Denn für uns Deutsche ist das Beste gerade gut genug. Was, da staunt ihr deutschen Brüder, so fern vom deutschen Vaterlande 'nen Laden voll guter deutscher Bücher zu finden! Stillen Se immer mang ungeniert Ihren echt deutschen Bildungshunger, während ich mich stracks hinsetzen will, um dem Börsenblatt für den deutschen Buchhandel dieses deutsche Erlebnis zu berichten.
(Verwandlung.)
In der Viktualienhandlung des Vinzenz Chramosta.
Chramosta (zu einer Frau): Der Schmierkas? zehn Deka vier Kronen! – Was, zu teuer? Auf d'Wochen kost er sechse, wanns Ihna net recht is, gehn S' um a Häusl weiter und kaufn S' Ihna an Dreck, der wird nacher bülliger sein. Schamsterdiener! – (Zu einem Mann) Wos wolln Sö? Kosten wolln Sö? Sö Herr Sö, was glaubn denn Sö? Jetzt is Kriag! Wann Ihna a Dreck besser schmeckt, probiern S' 'n! – (Zu einer Frau) Was stessen S' denn umanand, a jeder kummt dran! Wos wolln S'? A Gurken? Nach 'n Gwicht, aber dös sag i lhna glei, zwa Kronen die klanste! – (zu einem Mann) Wos? A Wurscht? Schaun S' daß weiter kummen Sö Tepp, wo solln mir denn jetzt a Wurscht hernehmen – was sich die Leut einbilden, wirklich großartig! – (Zu einer Frau) Wos schaun S' denn? Dös is guat gwogn, 's Papier wiegt aa! Jetzt is Kriag! Wann's Ihna net recht is, lassen S' es stehn, kummen S' mr aber net mehr unter die Augen, Sö blade Urschl, dös sag i Ihna! – (zu einem Mann) Sö, räsonniern S' da net allaweil herum, glauben S' i hörs net? Sö kriagn heut überhaupt nix – solche Kundschaften wia Sö aner san hob i scho gfressn, schaun S' daß außi kummen! – (zu einer Frau) Der Gmüssalat kost zwölf Kronen! – Wos? Angschriebn? Ja angschriebn san' acht Kronen, dös kann scho sein, aber kosten tuat er halt zwölfe. Dös san meine Höxtpreis, da wird net a luckerter Heller abghandelt! Wann S' ihn heut net wolln, kummen S' muring, da kost er vierzehne, habdjehre, Sö Drahdiwaberl, Sö – olstan, firti, varstanden? (Murren unter den Kunden.) Wos hör i do? Aufbegehren? Wann i no an Muckser hör, loß i olle wias do san einspirrn! War net schlecht! Für heut könnts gehn olle mitananda. Gfreut mi nimmer. So aner notigen Bagasch verkauf i überhaupt nix! (Die Anwesenden entfernen sich murrend. Ein Marktamtskommissär tritt ein.)
Der Marktamtskommisär: Revision!
Chramosta: Refision –?
Der Marktamtskommisär: Ich bitte um die Faktura vom Gemüsesalat.
Chramosta (sucht lange herum, überreicht sie zögernd): ja – dös is – aber net – maßgebend. I hob extra no zohla müassn, daß i 's überhaupt kriag!
Der Marktamtskommisär (notiert): Einkaufspreis 4 Kronen 50 Heller. Wie ist der Verkaufspreis?
Chramosta: No – acht! Können S' denn net lesen? Ja glauben denn Sö, unserans kriagt die Fiktualien gschenkt? Überhaupt – die Preise ham mir zu bestimmen, mirken S' Ihna dös! Do san mir kompatent! Wanns meinen Kunden recht is, gehts die Behörde an Schaß an! Jetzt is Kriag!
Der Marktamtskommisär: Hüten Sie sich, in diesem Ton fortzufahren! Ich mache die Anzeige wegen Preistreiberei!
Chramosta: Wos? Sö Hund Sö elendiger? S ö wolln mi umbringen? I bring Ihna um! (Er schleudert eine auf dem Verkaufspult stehende Porzellanschüssel mit Streichkäse im Gewichte von zwölf Kilogramm auf den Beamten, ohne ihn zu treffen.)
Der Marktamtskommisär: Die Folgen dieser Handlungsweise werden Sie sich selbst zuzuschreiben haben!
Chramosta: Wos? i –? Sö Herr – hab ich Ihna vielleicht beleidigt? No olstan! Liaber Herr, do müassen S' früher aufstehn! Wer san denn Sö? I wir Ihna schon zagn, wer i bin und wer Sö san! Mi wern S' net aufschreiben – mi nett! I hob Kriagsanleih zeachnet, wissen S' wos dös heißt? Überhaupt – wos wolln denn Sö bei mir hier herin? I bin Steuerzahler, daß S' es wissen! I scheiß Ihna wos! Dös hab i scho gfressen, wann aner do einakummt, in die Preis umanandstierln – so a urtanärer Mensch, schamen S' Ihna – wann S' net auf der Stöll mein Logal verlassen, bin i imstand und vergreif mi an Ihna! (Er ergreift zwei Messer.)
Der Marktamtskommisär: (zur Tür retirierend): Ich warne Sie!
Chramosta: Wos, warnen a no? Sö Amtsperson Sö! Sö Hungerleider! I bring Ihna um! (Wirft ihm einen Korb mit Haselnüssen nach.) A so a Beidl!
(Verwandlung.)
Zwei Kommerzialräte aus dem Hotel Imperial tretend. Ein Invalide humpelt vorbei.
Erster Kommerzialrat (sich umsehend): Is kein Wagen da? Schkandaal!
Beide (mit ihren Stöcken auf ein vorüberfahrendes Automobil zielend) Auto –!
Der Erste (einem Fiaker nachrufend): Sie – sind Sie frei?
Der Fiaker (achselzuckend): Bin bstöllt!
Der Zweite: Das einzige was ma noch hat, daß ma überhaupt noch was zum essen kriegt (sie werden von Bettlern aller Art umkreist) – Der junge Rothschild wird auch alt. Er kann doch höchstens – wie lang is das her, warten Sie –
Der Erste: No is das eine Stimmung in dem Wien? Wissen Sie, was die Leut sind? Ich wer Ihnen sagen, was die Leut sind. Kriegsmüde! Das sieht doch ein Blinder! (Ein blinder Soldat steht vor ihnen.) Schaun Sie schnell, wer is die was jetzt hereinkommt?
Der Zweite: Das wissen Sie nicht? – warten Sie – das is doch die – vorn Ballett, wie heißt sie – die Speisinger! wissen Sie, die mit dem roten Pollack! – Also richtig, was sagen Sie, der alte Biach hat Kriegspsychose!
Der Erste: Was Sie nicht sagen. Wieso zeigt sich das?
Der Zweite: Jedes zweite Wort von ihm is aus dem Leitartikel – überspannt!
Der Erste: Überspannt war er doch immer. Zerreißt sach für die Nibelungentreue. Schigan!
Der Zweite: Noja aber so wie jetzt? Er is aufgeregt, wenn man sich nicht gleich erinnert. Er redt sich ein, die Sticheleien der Entente sind auf ihm. Außerdem hat man Zeichen von Größenwahn konstatiert.
Der Erste: Wieso zeigt sich das?
Der Zweite: Er bildet sich ein, er is Er.
Der Erste: Das ist traurig.
Der Zweite: No was is, no ham Sie Ihren Buben in dem Dingsda – Kriegsarchiv untergebracht?
Der Erste: Ja, aber er hat doch einen Bruch, und da hoff ich, daß sie ihn bald wieder auslassen. Er will höher hinaus, Sie wissen doch, Ben Tiber will ihn als Dramaturg nehmen. Er hat einen Bruch.
Der Zweite: Mein jüngster hat Talent. Ich hoff auch – Aber jetzt zitter ich nur, daß mir das gelingt mit dem Leopold Salvator, morgen bin ich also in Audienz – meine Frau kriegt einen Breitschwanz.
(Eine Bettlerin mit einem Holzbein und einem Armstumpf steht vor ihnen)
Beide (mit ihren Stöcken auf ein vorüberfahrendes Automobil zielend): Auto –!
(Verwandlung.)
Der alte Biach erscheint sinnend.
Der alte Biach: Die Nase der Kleopatra war eine ihrer größten Schönheiten. Sibyl war die Tochter eines Arbeiters. (Sich vorsichtig umblickend) Tell sagt, jeder geht an sein Geschäft und meines ist der Mord. (Nach einer Pause, mit raschem Entschluß und heftiger Bewegung) Das erste muß jetzt sein, daß der Reisende die Fühlhörner ausstreckt und die Kundschaft abtastet. (Mit Genugtuung) Iwangorod röchelt bereits. (Mit schlecht verhohlener Schadenfreude) Poincaré ist erschüttert und Lloyd George gedemütigt. (Mit Gewure) Engländer und Deutsche werden sich in Stockholm begegnen. (Ab.)
(Verwandlung.)
Kriegsarchiv. Ein Hauptmann. Die Literaten.
Der Hauptmann: Sie da, Sie arbeiten mir also die Belobungsanträge aus, als Theaterkritiker vom Fremdenblatt wird Ihnen das ja nicht schwer fallen. – No und Sie, also Ihr Föleton über die franzesische Büldhauerin, Auguste, wie heißt sie nur, also so ähnlich wie Rodaun, sehr fesch war das gschriebn, also mit Ihrer Feder wird Ihnen das ja nicht schwer fallen, das Vorwort für unsere grundlegende Publikation »Unter Habsburgs Banner«, aber wissen S', was Packendes muß das sein, was halt ins Gemüt geht und daß S' mir also naturgemäß nicht auf Ihre kaiserliche Hoheit die durchlauchtigste Frau Erzherzogin Maria Josefa vergessen! – Und Sie, Müller Robert, was is denn mit Ihnen, mir entgeht nichts, Ihr Artikel damals übern Roosevelt war sehr frisch gschrieben, bißl zu viel Lob, schaun S' also daß Sie mir den Aufsatz »Was erwarten wir von unserem Kronprinzen?« bald abliefern! Sie haben sich ein bißl zu stark für die Ameriganer engagiert, aber das soll Ihnen weiter nicht schaden. – Sie, was is denn mit dem Doppelaar, is der noch nicht fertig? Lassen S' an frischen Wind durch die stählernen Schwingen des Doppelaars sausen! – Ja aber was is denn mit Ihnen mein Lieber? Seit Sie aus dem Hauptquartier zurück sind, legen Sie sich auf die faule Haut! Sie ham sich dort ein Leben angewöhnt! Ich will Ihnen aber was sagen. Daß Seine kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Friedrich von Ihren Kriegsgedichten begeistert ist, kann Ihnen genügen, mir genügt das noch lange nicht! Also schaun S' dazu, daß der Weihegesang an die verbündeten Heere bald abgliefert wird, sonst kommen S' mir zum Rapport! – Na, Werfel, was is denn mit 'n Aufruf für Görz? Nur net zu gschwolln, hören S'? Alles mit Maß! Sie haben viel z'viel Gfühl, das is mehr fürs Zivül. – Na ja Sie dort, selbstverständlich! Sie san ja ein Expressionist oder was, Sie müssen immer eine Extrawurscht haben. Aber das nutzt Ihnen nix, grad von Ihnen erwart ich, daß die Skizze »Bis zum letzten Hauch von Mann und Roß«, die ich Ihnen aufgegeben habe, endlich in Angriff genommen wird, fix Laudon! Der »Durchbruch bei Gorlice« is Ihnen ja nicht übel gelungen. (Zu einer Ordonnanz, die eben eintritt) Was is denn scho wieder? Ah richtig. (Er übernimmt Photographien) Sehr drastisch! Das sind nämlich die Aufnahmen von der Hinrichtung vom Battisti.Battisti – Cesare Battisti, Zeitungsherausgeber in (dem damals zu Österreich gehörendem) Trient, trat in die ital. Armee ein und wurde nach seiner Gefangennahme als Hochverräter gehängt Ah, ah, unser Scharfrichter Lang is aber zum Sprechen ähnlich getroffen! Also das is für Sie dort zum Einreihen! Beschreiben S' es und tun S' es zu die andern, zu die tschechischen Legionäre und die Ukrainer und so. – Und das? Ja wie soll man denn das rubrizieren? Das is nämlich das prächtige Gedicht über den Mullatschak bei Seiner kaiserlichen Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Max am Monte Faë, das is ein Fressen für unsere Lyriker, passen S' auf:
Am Faë der Kommandant
Hoheit freundlich und charmant.
Froh begrüßt er seine Gäste
Und bewirtet sie aufs beste.
Offen hält er Küch' und Keller.
Jeder sitzt vor seinem Teller.
Ujegerl aber nacher gehts schief. Da is dann die gspaßige Stelle, wie s' immer mehr aufladnen, bis einer also naturgemäß nicht mehr weiter kann –
Knöpft sich auf und macht sich los
Das Krawattl und die Hos'.
Na und am End wird also naturgemäß gspieben. Das is gspaßig! Und was da noch alles passiert!
Doch die Ordonnanz, schau, schau,
Hält er für 'ne Kammerfrau –
Kneift mit zärtlichem Verlangen
Ihr den Arm und die Wangen.
Doch darauf für alle Zeiten
Wollen wir den Mantel breiten.
Sehr gut! Am nächsten Tag wird dann also naturgemäß weitergsoffen.
Aus dem Faß der letzte Tropfen.
Was, den Magen sie zu stopfen,
Jeder sich aufs Brot geschmiert
Und an Fetten konsumiert –
no das kann man sich ja denken, also darüber versteht sich waren dann also naturgemäß die Köche sehr ärgerlich, aber die kaiserliche Hoheit hat a Freud ghabt. Na und wie s' nacher in ihre Stellungen zruckkommen, ujegerl –
Jeder hat mit seinem Affen
Eine schwere Last zu schaffen.
Ausgschaut hams! – Also, dieses Gedicht kommt schon deswegen für das Kriegsarchiv in Betracht, also naturgemäß nicht bloß wegen dem Humor im Felde und weil darin die Gastfreundlichkeit Seiner kaiserlichen Hoheit gefeiert wird, sondern auch deshalb, weil es eine Raridät is! Es is nämlich in der Frontdruckerei im schwersten Trommelfeuer gedruckt worn, da kriegt man einen Reschpekt, no und man muß zugeben, daß es ein sehr ein geschmackvoller Druck is. – Sie Korpral Dörmann, da nehmen S' sich ein Beispiel, geben S' Ihnerem Musenroß die Sporen, seit damals wo Sie die Russen und die Serben in Scherben ghaut ham, sind Sie schweigsam gworn. Was is denn? Das war doch so kräftig:
Und einen festen Rippenstoß
Kriegt England und der Herr Franzos.
Da waren S' der reine Dörmann in Eisen!
Wir werden 's euch schon geben.
Jetzt sollt ihr was erleben.
Das große Maul habt ihr allein,
Wir aber, wir, wir pfeffern drein.
Alstern – pfeffern S' drein! Was san S' denn so melankolisch? Na ja, ich kanns Ihnen nachfühlen, daß Sie sich also naturgemäß lieber draußen betätingern möchten als wie herint. Das is zwider.
Dörmann:
Ich neid es jedem, der da draußen fiel.
Die Pflicht allein trennt mich vom letzten Ziel!
Der Hauptmann: Das is brav, wie Sie mit gutem Beispiel vorangehn. – No und Sie Müller Hans, bei Ihnen braucht man keine Aufmunterung, Sie sind ja eh tüchtig. Haben S' wieder eine Fleißaufgabe gmacht? Da schau her, »Drei Falken über dem Lovcen«! Das is viel. Ich werde nicht verfehlen, über Sie mit dem Herrn Generalmajor zu sprechen.
Hans Müller: Wir haben die größere Süßigkeit der Pflicht erkannt, wir zerbrechen unter unsern Taktschritten ein unnützes Leben, das dem bunten Schein näher war als der Wirklichkeit.
Der Hauptmann: So is recht. Aber wissen S', was mich intressieret? Jetzt möcht ich einmal aus Ihrem eigenen Mund eine authentische Auskunft darüber, wie Sie bei Kriegsausbruch Ihren Mann gstellt hab'n. Also das wunderschöne Feuilleton vom Cassian im Krieg, also wie S' da das Ohrwaschel auf die russische Ebene legen, also das weiß man, das ham S' also naturgemäß in Wien g'schrieben, also da war' mr alle paff wie S' das troffen hab'n. Aber beim Kriegsausbruch – da waren S' doch persönlich zugegen, in Berlin? Da ham S' doch also naturgemäß die Verbündeten abpusselt – wissens S' da gibts aber Leut, die reden herum, daß Sie das auch in Wien tan hab'n, auf der Ringstraßen, der Fackelkraus und so, wissen S' die Leut ham halt eine böse Goschen. Jetzt sagen S' mir also, wie sich das verhaltet und ob Sie damals in Berlin oder nur in Wien waren – das is doch etwas, was also naturgemäß für das Kriegsarchiv wichtig is!
Hans Müller: Herr Hauptmann melde gehorsamst, männiglich weiß, daß ich den Kriegsausbruch effektiv in Berlin mitgemacht habe und daß es sich genau so verhält, wie ich es in meinem Feuilleton »Deutschland steht auf« am 25. August 1914 geschildert habe. Wir standen keines Überfalls gewärtig, an der Neustädtischen Kirchstraße, soeben war, ich sehe es vor mir, ein russischer Spion vom Rachen der Menge verschlungen worden – da sehe ich, wie sich ein Zug von einfachen Leuten, unsere gute schwarzgelbe Fahne vorantragend, stracks gegen das Brandenburger Tor bewegt. Sie singen unsere geliebte Volkshymne. Ich, nicht faul, singe mit. »Gott erhalte, Gott beschütze« singe ich laut zur nächsten Strophe. Da schaut ein Marschiernachbar mich eine Sekunde herzlich an, dann legt er seinen Arm unter den meinen, preßt ihn kameradschaftlich an sich –
Der Hauptmann: Aha, Schulter an Schulter.
Hans Müller: – und singt nun von meinen Lippen den gleichen Text ab, den ich selber singe. Diesen Wackeren – er war ein schnauzbärtiger Gesell, war nicht gerade schön und auch nicht das, was man hochelegant nennt – habe ich vor der österreichisch-ungarischen Botschaft auf den Mund geküßt.
Der Hauptmann: Hörn S' auf! Also wann das der Szögyeny vom Fenster gsehn hat, wird er a Freud ghabt hab'n.
Hans Müller: Wahrscheinlich klingt das in der Nacherzählung pathetisch –
Der Hauptmann: Ah woher denn.
Hans Müller: – und der Beifall der Ultraästheten dürfte mir dafür nicht beschieden sein – (Murren unter den Literaten, Oho-Rufe.)
Der Hauptmann: Stad sein!
Hans Müller: Aber ich weiß, daß, wenn die Gioconda dereinst selbst aus ihrem Rahmen stiege und mir das einzige Lächeln ihrer Lippen darböte, ihre Umarmung mich nicht so im Innersten beglücken und erschüttern würde, wie der Bruderkuß auf die Lippen dieses wunderbaren deutschen Mannes.
Der Hauptmann (gerührt): Das is brav von Ihnen! No und was ham S' in dera großen zeit sonst noch erlebt?
Hans Müller: Herr Hauptmann melde gehorsamst, ewig unvergeßbar wird mir die Sommermittagsstunde bleiben, da Männer und Frauen im königlichen Dom zum Altar traten, den Gott der deutschen Waffen anzurufen. Auf der Empore des Domes sitzt der Kaiser, aufrecht, den Helm in der Hand. zu seinen Füßen, ein schwarzes Meer –
Der Hauptmann: Aha, da war er schon in Konschtantinopel.
Hans Müller: – wogen die Gläubigen. Die Orgel braust gewaltig von oben herab, durch die Fenster bricht die Sonne und wie ein heiliger Schrei hebt sich –
Der Hauptmann: Is scho guat, wissen S' die Stimmungsmalerei intressiert mich weniger als was Sie damals persönlich geleistet hab'n.
Hans Müller: Frauen und Männer fassen sich an den Händen, die Orgel braust –
Der Hauptmann: Zur Sache!
Hans Müller: Zu Befehl. Ein heißes Würgen steigt mir in die Kehle, noch nehme ich mich fest zusammen, denn ich stehe inmitten von lauter tapferen, beherrschten Männern, und in diesen Tagen darf man sich nicht als Schwächling zeigen. Aber jetzt sehe ich auf den Kaiser Wilhelm, der wie in einem unbeschreiblichen Übermaß von Erregung den bleichen Kopf senkt, tief hinab, die erschütternden Klänge läßt er über seine Stirn hinziehen –
Der Hauptmann: Ah da schaurija!
Hans Müller: – mit einer inbrünstigen Gebärde preßt er den Helm dicht vor seine Brust. Da kann ich mich nicht mehr retten –
Der Hauptmann: Ja was is Ihnen denn gschehn?
Hans Müller: – ich schluchze laut hinaus –
Der Hauptmann: Gehst denn net.
Hans Müller: – und siehe, die tapferen Männer neben mir, grauhaarig und beherrscht, sie alle schluchzen ohne Scham mit mir mit. Wissen sie auch, was dem armen unmilitärischen Gast in ihrer Mitte das Herz aufwühlt? Durch den Schleier der jäh hervorstürzenden Tränen sehe ich neben ihrem edlen Herrn einen anderen stehen, meinen eigenen Kaiser, meinen ritterlichen, alten, gütigen Herrn –
Der Hauptmann: Net plaazen Müller!
Hans Müller: – und aus tiefster Seele mische ich jetzt mein Gebet brüderlich mit dem ihren: »O Gott, der du über den Sternen bist, segne in dieser Stunde auch Franz Joseph den Ersten, segne mein altes, teures Vaterland, daß es stark bleibe und blühe – für und für – segne meine Brüder, die jetzt für unsere Ehre hinausziehen zu Not und Tod, segne uns alle, unsere Zukunft, unsere Faust, unser Geschick – Herr und Gott, der du die Lose der Menschen und Völker in deinen Händen hältst, aus heißester, inbrünstigster Heimatliebe rufen wir alle, alle zu dir ...« – Herr Hauptmann, melde gehorsamst, das ist der Schluß vom Feuilleton.
Der Hauptmann: Da steckt noch eine echte Empfindung drin. Sag'n S', was zahlt jetzt die Presse für ein Gebet – ah – für a Feuilleton wollt ich sagen.
Hans Müller: Herr Hauptmann melde gehorsamst, 200 Kronen, aber wahrlich ich hätte es auch um Gottes Lohn getan! Hei.
Der Hauptmann: Nein, Sie hab'n ja mehr dafür kriegt, Ihnen is die höchste Ehre zuteil geworden, die einem Herrn von der Presse zuteil werden kann – der deutsche Kaiser hat Sie in der Wiener Hofburg empfangen, er is ein Verehrer Ihrer Muse, ich verrat Ihnen da kein Geheimnis, man munkelt sogar, daß Sie den Lauff ausgstochen haben. Ich benütze die Gelegenheit, Ihnen dazu meine Gratulation auszusprechen. Hörn S', wie waren die Begrüßungsworte Seiner Majestät, Sie hab'n das ja so schön beschrieben –
Hans Müller: Der Kaiser kommt mir bis an die Tür entgegen, er streckt mir die Hand hin, er blickt mich aus seinen großen, strahlenden Augen mit dem gütigsten Lächeln an und sagt: »Sie haben uns im Kriege eine so schöne Dichtung geschenkt was dürfen wir im Frieden von Ihnen erwarten?«
Der Hauptmann: Einen schweinischen Schwank – hätten S' sagen solln.
Hans Müller: Herr Hauptmann, melde gehorsamst, vor dieser Stimme schwindet sogleich jede Befangenheit – aber den Mut habe ich doch nicht aufgebracht, Herr Hauptmann!
Der Hauptmann: No ja, 's is a hakliche Situation. Sagen S' mir jetzt nur, was hat Ihnen denn den stärksten Eindruck am deutschen Kaiser gmacht?
Hans Müller: Herr Hauptmann melde gehorsamst – alles!
Der Hauptmann: Und sonst nix?
Hans Müller: Ich bin noch so erschüttert, daß ich nicht imstande wäre, die zaubervolle Macht der Persönlichkeit, diese ganze selbstverständliche Würde, die Leuchtkraft dieser Augen, die einen nicht loslassen und wie der Spiegel einer klaren, im tiefsten Sinne sittlichen Natur –
Der Hauptmann: Hörn S' auf! No also wissen S' daß der deutsche Kaiser auf einen Brünner Juden hereinfallt, das is schließlich also naturgemäß kein Wunder. Aber daß ein Brünner Jud auf den deutschen Kaiser hereinfallt – das ist unglaublich! (Eine Ordonnanz kommt und überbringt einen Brief.) Was is denn scho wieder? (Er liest.) Also da legst di nieder. Das betrifft Sie Müller. (Müller erschrickt.) Der Herr Generalmajor befiehlt, daß Sie sofort aus dem Kriegsarchiv zu entlassen sind. (Müller erbleicht.) Es ist ein Handschreiben Seiner Majestät des deutschen Kaisers eingelangt, worin er ersucht, daß man den Dichter der »Könige« nicht durch Verwendung im k. u. k. Kriegsarchiv seinem eigenen Schaffen entziehen möge. (Murren unter den Literaten.) Stad sein! – Leben S' wohl, Müller! Aber wissen S', was? (Mit Rührung) Die drei Falken über dem Lovcen – die schreiben S' uns noch fertig! Und wenn Sie dann wieder für sich arbeiten können, und sich also naturgemäß auf die Friedensproduktion einstelln – dann wern S' doch manchmal an die Stunden Ihrer Dienstzeit zurückdenken, dann wern S' sagen können: schön wars doch – und sich hoffentlich auch weiterhin mit dem Kriegsarchiv verbunden fühlen.
Hans Müller: Auf Gedeih und Verderb!
(Verwandlung.)
Ein chemisches Laboratorium in Berlin.
Der geheime Regierungsrat Professor Delbrück (Sinnend): Die englischen Zeitungen verbreiten seit einiger Zeit wieder mal allerlei Mitteilungen über den angeblich schlechten Ernährungszustand der deutschen Bevölkerung. Es spricht nicht gerade für die große Kriegsfreudigkeit unter dem englischen Volke, wenn seine Stimmung immer wieder durch die Verbreitung solcher Nachrichten gehoben werden muß, die allesamt mit den Tatsachen in direktem Widerspruch stehen. Ärztlicherseits wurde ausdrücklich die Bekömmlichkeit der gegenwärtigen Kriegskost festgestellt, der wir es zu verdanken haben, daß die Erkrankungen, bei Männern wie bei Frauen, in ständigem Rückgang begriffen sind. Von den Säuglingen gar nicht zu reden, für die in völlig ausreichender und vorbildlicher Weise gesorgt wird. Sogar das Wolffbüro muß zugeben, daß unsere Krankenhäuser im Kriege weit weniger belegt sind als in Friedenszeiten und daß die vereinfachte Lebensweise für viele Personen direkt gesundheitsfördernde Wirkungen gehabt hat. Und nun gedenke ich in der 66. Generalversammlung des Vereines der Spiritusfabrikanten Deutschlands auseinanderzusetzen, daß wir diesen Erfolg zuvörderst der Mineralnährhefe zu verdanken haben. (Stellt sich in die Positur des Redners.) Der Eiweißgehalt der Mineralnährhefe, der ihren Nährwert bestimmt, wird vorzugsweise durch die Verwendung von Harnstoff gewonnen. Meine Herrn! Wir erleben hier einen Triumph des reinen Geistes über die rohe Materie. Die Chemie hat das Wunder bewirkt! Eine schon 1915 begonnene Arbeitseinrichtung wurde aufs neue mit großem Erfolge aufgenommen: die Ersetzung des schwefelsauren Ammoniaks bei der Erzeugung der Hefe durch Harnstoff. Meine Herrn! Ist aber der Harnstoff so zu verwenden, so liegt auch die Möglichkeit vor, in derselben Richtung den Harn und die Jauche heranzuziehen. (Ab.)
(Verwandlung.)
Vereinssitzung der Cherusker in Krems.
Pogatschnigg, genannt Teut: – Wodan ist mein Schwurzeuge, nicht mehr fern sind die Tage, wo wieder Speise und Trank reichlich vorhanden sein werden, wo uns wieder vom feisten, knusperigen Schwein ein artig Lendenstücklein erfreuen wird, mit zartgebräunten Erdäpfeln, in wirklicher und wahrhaftiger Butter duftig gebraten, kleine zierliche Gurken, wie sie Znaims Wonnegefilden holdselig entsprießen, dazu ein dunkler Gerstensaft aus Kulmbachs bajuwarischen Gauen (Heil-Rufe. Es klingt wie »Hedl!«) – ein herzhaft Brot, aus Roggen schmackhaft geknetet und gebacken, und ein leckerer Salat! Stolze Vindobona am alten Nibelungenstrom, bis dahin heißt es durchhalten! (Rufe: Wacker!) Der herrliche Angriff auf die Welschen, der diese Abruzzenschufte aus Tirols ewigen Bergen hoffentlich für immerdar hinausbefördert, ist uns gelungen! (Rufe: Hedl!) Zuversichtlich erwarten wir, daß auch der moskowitische Bär mit blutenden Pranken weidwund heimschleicht! Und ihm nach die Knoblauchduftenden, unsere Kohnnationalen! Heil! (Rufe: Bravo! Hedl! Hoch Teut! Hoch Pogatschnigg!)
Eine Stimme: Jidelach! (Heiterkeit.)
Frau Pogatschnigg (ergreift das Wort): Nicht rasten und nicht rosten, lautet ein gutes deutsches Wort. Wie sagt doch Barbara Waschatko, die Deutscheste unter den Deutschen, in der Ostdeutschen Post: Strickend haben wir das alte Jahr beendet, strickend fangen wir das neue wieder an. Nie sind unsere Gedanken mehr bei denen draußen im Felde als jetzt, wo Schnee mit Regen und Glatteis abwechselt und wo wir uns fragen, was für unsere tapferen Krieger das Härteste ist: die rote Sonnenkugel, die Hornungs an einem kalten Himmel hängt, oder das Wasser, das unaufhörlich und trübselig in die Schützengräben rinnt – tuk tuk tuk. (Rufe:Hedl! Wacker!) Aber bei uns Frauen mischt sich nun einmal das Lächeln gern unter die Tränen, und selbst im Schmerz zeigen wir noch das Bedürfnis, schön zu sein. Schmückte sich nicht auch Kleopatra zum Sterben? (Rufe: So ist es! Wacker! Hedl Resitant!)
Winfried Hromatka i. a. B.: Ehrenfeste Bundesbrüder und Bundesschwestern! Als Vertreter der Jungmannschaft ist es nicht nur meine Pflicht, den Treuschwur zu erneuern, wonach wir den uns aufgezwungenen Kampf bis zum siegreichen Ende, scilicet bis zum letzten Hauch von Mann und Roß durchführen werden. (Rufe: Hedl!) Denn, Ehrenfeste, ein deutscher Friede ist, wie unser Altmeister Hindenburg so treffend gesagt hat, kein weicher Friede. (Rufe: Hurra!) Nein, es ist auch unsere Pflicht, unserer Walküren zu gedenken, welche den Helden trostreich beistehen und als deren vornehmste Vertreterin ich meine ehrenfeste Vorrednerin begrüßen möchte. (Hedl!) Dem Feinde Trutz, aber dem schönen Geschlechte Schutz! Die Resitant lebe hoch! (Rufe: Hurra! Hedl Resitant!)
Kasmader (erhebt sich): Meine ehrenfesten Bundesbrüder und Bundesschwestern! Wir haben heute wahrhaft zu Herzen gehende deutsche Worte vernommen. Als Vertreter der deutschen Postler möchte ich eine Anregung geben in den Belangen der Selbstbeschränkung, indem daß wir, eingekreist von britischem Neid, welschem Haß und slawischer Arglist, mehr denn je auf Selbstbefriedigung im deutschen Haushalt angewiesen sind. (Rufe: Wacker!) Ich möchte diesbezüglich den Vorschlag machen, durch Freigabe der weiblichen Bediensteten in deutschen Haushaltungen deutsche Kämpfer für das Heer frei zu bekommen und überdies noch Mittel für padriotische Scherflein zu gewinnen. Auch werden wohl alle deutschen Frauen und Mädchen die in Kriegszeiten innegehabten Stellen um so lieber den heimkehrenden Helden wieder überlassen, als dieselben ihnen für die Beschützung des deutschen Herdes diesbezüglich zu größtem Danke verpflichtet sind. (Rufe: Wacker! Hedl!) Erst wenn dieselben nicht ausreichen, ist in diesen Belangen auf die weiblichen Kräfte zu greifen. Dieselben aber würden den schönsten Lohn in dem erhebenden Gefühle finden, im Hinterlande auch ihr Scherflein zu der erreichten Errungenschaft beigetragen zu haben. Denn fürwahr, ein jedermann nimmt mit der größten Opferwilligkeit hier im Hinterlande an dem Kampfe teil. Und so schließe ich denn mit der Aufforderung zum Durchhalten, die ich in einem selbstverfaßten Gedichte niedergelegt habe. (Rufe: Hört! Hört!)
Gut ist, wenig Seife brauchen. (Rufe: Wacker! Bravo Kasmader!)
Besser noch ist, gar nicht rauchen. (Gelächter.)
Aber weite Kleider tragen (Rufe: Pfui!)
Öfter gar mit vielen Kragen,
Hohe Lederschuh' am Bein (Rufe: Pfui! Welsche Sitten!)
Das muß wahrlich auch nicht sein! (Rufe: Sehr richtig!)
Statt darauf das Geld zu wenden,
Soll dem Vaterland man's spenden. (Rufe: Hedl! Hedl! Redner wird beglückwünscht.)
Übelhör (erhebt sich und liest von einem Blatt):
Wenn ich mir etwas wünschen sollt,
Ich wüßt' schon lange, was ich wollt!
Ein Knödel müßt' es sein,
Aus Semmeln gut und fein! (Heiterkeit. Rufe: Wir auch! Hedl!Hedl!)
Homolatsch (erhebt sich, blickt durch seine goldene Brille starr vor sich hin und spricht mit erhobenem Zeigefinger):
Mein deitsches Weip – mein Heim – mein Kind
Mir das Liebste – auf Erden – sind.
(Setzt sich schnell nieder. Rufe: Hedl! Bravo Homolatsch! Hedl!)
(Verwandlung.)
Tanzunterhaltung in Hasenpoth. Baltischer Herr und baltische Dame im Gespräch.
Herr: Fräilen.
Dame: Was mäinen Se.
Herr: Se tanzen nich.
Dame: Näin.
Herr: Warum.
Dame: Tanz ich, so schwitz ich. Schwitz ich, so stink ich. Tanz ich nicht, schwitz ich nicht, stink ich nicht.
(Verwandlung.)
Revisionsverhandlung des Landgerichtes Heilbronn.
Der Staatsanwalt: – Im Juni dieses Jahres hat die Angeklagte ein Kind geboren, dessen Vater ein französischer Kriegsgefangener ist. Der Franzose, von Beruf Kellner, ist schon seit 1914 in Gefangenschaft geraten. Er war vom Ende 1914 bis 1917 auf dem Schloßgut. Hier wurde er mit den verschiedensten Arbeiten, vor allem mit Feld- und Gartenbestellung beschäftigt. An dieser Betätigung nahm die angeklagte Freiin selbst regelmäßig Anteil. In der Verhandlung vor der Strafkammer versuchte die Angeklagte, den französischen Vater ihres Kindes der Vergewaltigung zu beschuldigen. Damit fand sie beim Gericht allerdings keinen Glauben. Auffällig war, daß die Angeklagte diese Verteidigung zum erstenmal vorbrachte. Die Angabe war schon deshalb hinfällig, weil der gefangene Franzose nach dem Eintritt der Schwangerschaft noch volle sechs Monate auf dem Schloßgut beschäftigt blieb. So kam das Gericht zur Verurteilung der angeklagten Freiin. Sie erhielt eine Gefängnisstrafe von fünf Monaten. Wegen Fluchtverdachts wurde die sofortige Verhaftung der Angeklagten verfügt. In der Urteilsbegründung wurde betont, daß die bei der Verhandlung beliebte Art der Verteidigung (Beschuldigung des Gefangenen, er habe ein Verbrechen begangen) sowie die soziale Stellung und die Erziehung der Angeklagten erschwerend in Betracht komme, während ihre bisherige absolute Unbescholtenheit und ihre Unwissenheit in geschlechtlichen Dingen als Milderungsgrund angeführt wurden. – Hoher Gerichtshof! Angesichts der zum Himmel schreienden Milde dieses Urteils kann ich es mir ersparen, viel Worte zu machen. In materieller Beziehung ist der Tatbestand, der naturwidrige Verkehr mit einem Kriegsgefangenen, hinreichend klargestellt. Es erübrigt sich, die unmoralische Wirkung, die von einem so empörenden Beispiel ausgeht, zu kennzeichnen. Ich zweifle nicht, daß der hohe Gerichtshof mit mir das Gefühl teilen wird, vor einem Abgrund zu stehen, vor dem die beleidigte Sittlichkeit sich durch nichts retten kann als durch die Erkenntnis: Wo käme das Vaterland hin, wenn jede deutsche Hausfrau so tief sänke! (Bewegung.) In diesem Sinne bitte ich den hohen Gerichtshof, die Nichtigkeitsbeschwerde der Verteidigung zu verwerfen, dagegen die Strafe auf zwei Jahre zu erhöhen.
(Der Gerichtshof zieht sich zur Beratung zurück.)
Einer aus dem Auditorium (reicht einem Nachbarn die Zeitung): Kolossale Erfolge unserer Bombenflieger nordwestlich von Arras und hinter der Champagnefront. Insgesamt wurden während der letzten drei Tage und Nächte 25 823 Kilogramm Bomben abgeworfen.
Der Nachbar: Die moralische Wirkung war gewiß nicht geringer als die materielle.
(Verwandlung.)
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Die Entwicklung der Waffe bis zu Gas, Tank, Unterseeboot und 120 Kilometer-Kanone hat es so weit gebracht –
Der Nörgler: – daß die Armee wegen Feigheit vor dem Feind aus dem Armeeverband zu entlassen wäre. Aus dem militärischen Ehrbegriff heraus müßte die Welt für alle Zeit zum Frieden gelangen. Denn was die Eingebung eines Chemikers, die doch schon die Wissenschaft entehrt, mit der Tapferkeit zu tun haben soll und wie der Schlachtenruhm sich einer chlorreichen Offensive verdanken kann, ohne im eigenen Gas der Schande zu ersticken, das ist das einzige, was noch unerfindlich ist.
Der Optimist: Aber ist es denn nicht gleichgiltig, welche Waffe den Tod bringt? Bis wohin gehen Sie in der technischen Entwicklung der Waffe noch mit?
Der Nörgler: Keinen Schritt weit, aber wenn's denn sein muß, bis zur Armbrust. Natürlich ist es für eine Menschheit, die es fürs Leben unerläßlich findet, einander zu töten, gleichgiltig, wie sie's besorgt, und der Massenmord praktischer. Aber ihr romantisches Bedürfnis wird von der technischen Entwicklung enttäuscht. Es sucht seine Befriedigung doch nur in der Auseinandersetzung von Mann zu Mann. Der Mut, der dem Mann mit der Waffe zuwächst, mag auch der Quantität gewachsen sein; er entartet zur Feigheit, wenn der Mann für die Quantität nicht mehr sichtbar ist. Und er wird vollends zur Erbärmlichkeit, wenn auch für den Mann die Quantität nicht mehr sichtbar ist. So weit halten wir. Aber es wird, in jenem Ratschluß des Teufels, der in Laboratorien erforschlich ist, noch weiter kommen. Tanks und Gase werden, nachdem sich die Gegner darin einander unaufhörlich übertroffen haben, den Bakterien das Feld räumen und man wird dem erlösenden Gedanken nicht mehr wehren, die Seuchen statt wie bisher nur als Folgeerscheinungen des Kriegs gleich als Kriegsmittel zu verwenden. Da aber die Menschen selbst dann der romantischen Vorwände für ihre Schlechtigkeit nicht werden entraten können, so wird der Befehlshaber, dessen Pläne der Bakteriologe ins Werk setzt wie heute der Chemiker, noch immer eine Uniform tragen. Den Deutschen dürfte der Ruhm der Erfindung, den andern die Schurkerei der Vervollkommnung zuzuschreiben sein, oder auch umgekehrt – wie es Ihnen hoffnungsvoller scheint.
Der Optimist: Durch ihre hochentwickelte Kriegstechnik haben die Deutschen schließlich bewiesen –
Der Nörgler: – daß sich die Eroberungskriege und Siegeszüge Hindenburgs von denen Josuas doch vorteilhaft unterscheiden. Dem Zweck, die Feinde zu vernichten und auszurotten, ist die neuere Methode besser angepaßt und ein Durchbruch nach »Vergasung« von drei italienischen Brigaden übertrifft eine jener entscheidenden Wunderwaffentaten Jehovas.
Der Optimist: Sie wollen also eine Ähnlichkeit des neudeutschen und des alt-hebräischen Eroberungsdranges behaupten?
Der Nörgler: Bis auf die Gottähnlichkeit! Es sind unter den Völkern, die eine welthistorische Rolle gespielt haben, die beiden einzigen, die sich der Ehre eines Nationalgottes für würdig halten. Während heute alle einander gegenüberstehenden Völker dieser verrückten Erde nur die Verblendung gemeinsam haben, im Namen desselben Gottes siegen zu wollen, haben die Deutschen wie einst die Hebräer sich auch noch ihren Separatgott zugelegt, dem die furchtbarsten Schlachtopfer dargebracht werden. Das Privileg der Auserwähltheit scheint durchaus auf sie übergegangen und unter allen Nationen, denen die Vorstellung, eine Nation zu sein, das Hirn verbrannt hat, sind sie diejenige, die sich am häufigsten agnosziert, indem sie sich unaufhörlich selbst als die deutsche anspricht, ja »deutsch« für ein steigerungsfähiges Eigenschaftswort hält. Aber der Zusammenhang zwischen der alldeutschen und der hebräischen Lebensform und Expansionsrichtung auf Kosten der fremden Existenz ließe sich noch ausbauen und vertiefen. Nur daß die alten Hebräer doch wenigstens ihr »Du sollst nicht töten!« im Munde führten und zur höheren Ehre Gottes mit dem Sittengesetz Mosis in einen so grauenhaften, aber immer wieder gefühlten und bereuten Widerspruch gerieten, während die neuen Deutschen den Kant'schen kategorischen Imperativ frisch von der Leber weg als eine philosophische Rechtfertigung von »Immer feste druff!« reklamiert haben. In der preußischen Ideologie ist freilich auch der Herr der Heerscharen durch landesübliche Begriffsverknotung zum Allerobersten Kriegsherrn und Vorgesetzten Wilhelms II. ausgeartet.
Der Optimist: Er ist eigentlich nur sein Verbündeter. Wer aber außer Ihnen geriete auf den sonderbaren Einfall, einen geistigen Zusammenhang zwischen Hindenburg und Josua zu entdecken?
Der Nörgler: Schopenhauer: der die Institution des Separatgottes, welcher die Nachbarländer verschenkt oder »verheißt«, in deren Besitz man sich dann durch Rauben und Morden zu setzen hat, des Nationalgotts, dem die Lebensgüter anderer Völker geopfert werden müssen, schon als gemeinsam befunden hat. Kant: der die Anrufung des Herrn der Heerscharen durch den Sieger als eine gut israelitische Sitte getadelt hat und jenem Wilhelm, der den Gedanken hatte, in einem Atemzuge Kant und den Herrn der Heerscharen anzurufen, schon antizipando übers Maul gefahren ist. Ich werde eine Gegenüberstellung, wie dieser Kantianer sich auf seinen Verbündeten dort oben bombenfest verlassen will und wie Kant ihn ermahnt, von solchem Treiben, das mit der moralischen Idee des Vaters der Menschen so sehr in Widerspruch stehe, abzulassen und den Himmel lieber um Gnade für die große Versündigung durch die Barbarei des Kriegs anzurufen – ich werde diese vernichtende und geradezu ausrottende Kontrastwirkung demnächst und zwar unter dem Titel »Ein Kantianer und Kant« in einem Berliner Vortragssaal erproben.
Der Optimist: Da könnte es Ihnen passieren, als lästiger Ausländer ausgewiesen zu werden.
Der Nörgler: Der bleibe ich auch im Inland. Und bliebe bei der Überzeugung, daß nach allem, was wir erlebt haben, »unser Herrgott entschieden mit unserem deutschen Volke noch etwas vor hat«. Und bliebe dabei, daß sich die Wesensverwandtschaft der beiden »Völker Gottes« bis in die äußersten Lebenstatsachen, in welche der den beiden Kulturen eigentümliche Verbindungsgeist einer geldromantischen Weltansicht ausstrahlt, noch verfolgen ließe. Sozusagen bis ins dritte und vierte Glied. Denn hier und dort wirken sie an dem Gesamtkunstwerk einer Lebensanschauung, nach welcher das, was der Welt ist, von dem, was des Geistes ist, betrieben wird, so daß Kriege wie Geschäftsbücher geführt werden, nämlich »mit Gott«. Und die alttestamentarische Reglementsvorschrift des »Aug um Aug, Zahn um Zahn« ließe sich bis in ihre buchstäbliche Anwendung als das Leitmotiv neudeutscher Kriegführung nachweisen, und es ist gewiß kein Zufall, daß kürzlich in einer offiziellen Verlautbarung unseres Kriegspressequartiers, das so gelehrig ist wie der dumme August hinter dem Schulreiter, jene Formel zur Rechtfertigung von Fliegerangriffen dienen konnte. Sie bringt in Wahrheit den Begriff der »Repressalien« zur Geltung. Und wer außer Ihnen spürte nicht die echt biblische Monotonie, mit der dieser Vergeltungs- und Vernichtungsdrang in den täglichen Berichten von der Sinai-Front zum Ausdruck kommt?
Der Optimist: Sinai-Front? Von der liest man doch selten genug.
Der Nörgler: Täglich!
(Verwandlung.)
Eine protestantische Kirche.
Superintendent Falke: – Dieser Krieg ist eine von Gott über die Sünden der Völker verhängte Strafe, und wir Deutschen sind zusammen mit unsern Verbündeten die Vollstrecker des göttlichen Strafgerichts. Es ist zweifellos, daß das Reich Gottes durch diesen Krieg gewaltig gefördert und vertieft werden wird. Und man muß hier klar und bestimmt eingestehen: Jesus hat das Gebot »Liebet eure Feinde!« nur für den Verkehr zwischen den einzelnen Menschen gegeben, aber nicht für das Verhältnis der Völker zueinander. Im Streit der Nationen untereinander hat die Feindesliebe ein Ende. Hierbei hat der einzelne Soldat sich gar keine Gewissensbisse zu machen! Solange die Schlacht tobt, ist das Liebesgebot Jesu völlig aufgehoben! Es gilt nicht für die Stunde des Gefechtes. Das Gebot der Feindesliebe hat für uns auf dem Schlachtfelde gar keine Bedeutung mehr. Das Töten ist in diesem Falle keine Sünde, sondern Dienst am Vaterlande, eine christliche Pflicht, ja ein Gottesdienst! Es ist ein Gottesdienst und eine heilige Pflicht, alle unsre Gegner mit furchtbarer Gewalt zu strafen und wenn es sein muß, zu vernichten! Und so wiederhole ich euch, solange in diesem Weltkriege die Kanonen donnern, hat das Gebot Jesu »Liebet eure Feinde!« keine Geltung mehr! Fort mit allen Gewissensbedenken! Aber saget mir: Warum wurden so viele tausend Männer zu Krüppeln geschossen? Warum wurden so viele hundert Soldaten blind? Weil Gott dadurch ihre Seelen retten wollte! Schauet um euch und betet im Angesicht der Wunder des Herrn: Bring uns, Herr, ins Paradies!
(Verwandlung.)
Eine andere protestantische Kirche.
Konsistorialrat Rabe: – Darum mehr Stahl ins Blut! Und den Zaghaften sei gesagt: Es ist nicht nur das Recht, sondern unter Umständen sogar die Pflicht gegen die Nation, mit Kriegsbeginn Verträge und was es sonst auch sein mag, als Fetzen Papier zu betrachten, den man zerreißt und ins Feuer wirft, wenn man die Nation dadurch retten kann. Krieg ist eben die Ultima ratio, das letzte Mittel Gottes, die Völker durch Gewalt zur Raison zu bringen, wenn sie sich anders nicht mehr leiten und auf den gottgewollten Weg führen lassen wollen. Kriege sind Gottesgerichte und Gottesurteile in der Weltgeschichte. Darum ist es aber auch der Wille Gottes, daß die Völker im Kriege alle ihre Kräfte und Waffen, die er ihnen in die Hand gegeben hat, Gericht zu halten unter den Völkern, zur vollen Anwendung bringen sollen. Darum mehr Stahl ins Blut! Auch deutsche Frauen und Mütter gefallener Helden können eine sentimentale Betrachtungsweise des Krieges nicht mehr ertragen. Wo ihre Liebsten im Felde stehn oder gefallen sind, wollen auch sie keine jammerseligen Klagen hören. Gott will uns jetzt erziehen zu eiserner Willensenergie und äußerster Kraftentfaltung. Darum noch einmal – Mehr Stahl ins Blut!
(Verwandlung.)
Eine andere protestantische Kirche.
Pastor Geier: – Und schauet um euch: Glänzende Leistungen des deutschen Tatengeistes reihten sich wie die Perlen einer schimmernden Schmuckkette aneinander. Er schuf sich das Wunderwerk des U-Bootes. Er stellte jenes märchenhafte Geschütz her, dessen Geschoß bis in die Ätherregionen des Luftmeeres aufsteigt und Verderben über mehr als hundert Kilometer in die Reihen des Feindes trägt! Aber nicht nur daß der deutsche Geist uns mit Waffen versorgt, er wird nicht müde, auch an der Schutz- und Trutzwehr des Gedankens zu schaffen. Wie ich euch heute mitteilen kann, arbeitet Schulze in Hamburg im Auftrage unseres Auswärtigen Amtes an einer grundlegenden wissenschaftlichen Arbeit über »Leichen- und Grabschändungen durch Engländer und Franzosen«, eine Arbeit, die zu internationalen Propagandazwecken verbreitet werden, die uns die Sympathien des neutralen Auslandes erobern soll und der wir nur vom Herzen einen Widerhall bei den noch zweifelsüchtigen Nachbarn wünschen müssen. Allüberall in deutschen Gauen erwachen die Geister, bereit, für unsere gerechte Sache zu werben, die Trägen zu ermuntern, die Abtrünnigen zu bekehren und uns neue Freunde zu gewinnen. Unsere Regierung hat in weiser Voraussicht erkannt, daß die Schweiz nicht nur als Durchgangsstation für unsere Bombentransporte in Betracht kommt, sondern auch dankbar dafür sein mag, in Wort und Bild der Erkenntnis der Methoden unserer Kriegführung teilhaft zu werden. Die Versenkung ungezählter Tonnen von Lebensmitteln durch unsere U-Boote, in Filmdarstellungen vorgeführt, ist von einer derart packenden Wirkung, daß das neutrale Publikum, zumal die Frauen, die ja für den Verlust solcher Schätze besonders empfänglich sind, ohnmächtig werden, und allmählich bricht sich die Einsicht Bahn, daß der Schaden, den wir unsern Feinden zufügen, nachgerade unermeßlich ist! Das deutsche Wort bleibt dabei keineswegs im Hintertreffen. »Champagneschlacht« ist der Titel einer vom Sekretariat sozialer Studentenarbeit in Stuttgart herausgegebenen Broschüre, die vornehmlich den Schweizer Intellektuellen zugedacht ist. Nehmet euch die Worte zu Herzen in dem herrlichen Gedicht, dem Soldatengebet, das ich in dieser trefflichen Propagandaschrift gefunden habe, welche unsre Regierung bereits nach dem neutralen Auslande versandt hat, um dort Aufklärung über deutsche Eigenart zu verbreiten, Verständnis für deutsches Wesen zu erwecken und so allmählich zum Abbau des Hasses, mit dem man uns verfolgt, beizutragen:
Hört ihr die Soldaten beten? Unser Gott ist unsre Pflicht! Aus den Schlünden der Kanonen Unsre stärkste Liebe spricht. Schießen wir ihm die Patronen- Vater-Unser durch den Lauf, Und ein Kreuz soll darauf thronen: »Bajonette pflanzet auf!« Kameraden, laßt Schrapnelle- Hängt die Kugel-Handgranaten- |
Und so schauet denn um euch und betet im Angesicht der Wunder des Herrn: Bring uns, Herr, ins Paradies!
(Verwandlung.)
Wallfahrtskirche.
Der Mesner: Hier sehen Sie ein interessantes Weihegeschenk für unsere Wallfahrtskirche, das zwei Soldaten aus Lana verehrt haben: einen Rosenkranz, dessen Korallen aus italienischen Schrapnellkugeln bestehen. Das Material für die Kettelung stammt von Drahtverhauen. Das Kreuz ist aus dem Führungsring einer geplatzten italienischen Granate geschnitten und hat drei italienische Gewehrkugeln als Anhängsel. Der Christus ist aus einer Schrapnellkugel gebildet. Auf der Rückseite des Kreuzes steht eingraviert: Aus Dankbarkeit. zur Erinnerung an den italienischen Krieg, Cima d' Oro, am 25. 7. 1917. A. St. und K. P. aus Lana. Dieser Rosenkranz wiegt mehr als ein Kilogramm, erfordert also für ein längeres Beten eine starke Hand. Wollen die Herrschaften vielleicht versuchen?
Der Fremde (versucht es): Uff! – Nee, nich zu machen.
(Die Glocke läutet.)
Der Mesner: Hören Sie! Zum letztenmal! Gleich wird sie abgenommen. Man macht aus Schnrapnellkugeln Rosenkränze und dafür aus Kirchenglocken Kanonen. Wir geben Gott, was des Kaisers, und dem Kaiser, was Gottes ist. Man hilft sich gegenseitig, wie man kann.
(Verwandlung.)
Konstantinopel. Eine Moschee. Man hört jenseits des Moscheevorhanges lautes Lachen.
Eine der Stimmen: Wat, die jroßen Strohschlappen solln wa überziehn? Nee Menschenskind, das is doch jottvoll!
Zweite Stimme: Ach sieh dir mal den Koranonkel an –
(Zwei junge Leute, Vertreter von Berliner Handelshäusern, treten geräuschvoll ein. Sie behalten die Hüte auf dem Kopf. Hinter ihnen, mit gesenktem Haupt, die Hände in seinen weiten Ärmeln versteckt, lautlos gleitend, der Imam.)
Der Erste: Siehste, so sieht 'ne Moschee aus – nu benimm dir Fritze und achte auf die Jebräuche! (Lachen.)
Der Zweite: Also, in 'ner Moschee wärn wa und 'n richtich gehender Imam is ooch dabei – jottvoll!
Der Erste: Famose Chose!
Der Zweite: Vadrehter Kram! (Die Hände in den Taschen, führen sie eine Art Schlitterpartie auf ihren Strohschlappen auf, sie verlieren diese beständig, worüber sie jedesmal in lautes Lachen ausbrechen.)
Der Erste: Weeßte, wenn wa hier mal erst festen Fuß fassen, wird schon 'ne tüchtje Ordnung in die schlappe Wirtschaft kommen – wir schaffen es! (Er stößt den andern) Fritze, falle nich –
Der Zweite: Na, stark besucht ist det Etablissemang nu jrade nich, Metro is voller. Weit und breit nur een Mensch und selbst der ist weiblichen Jeschlechts – (er zeigt auf eine Dame und stößt den andern) vorbeijelungen! – Aujust mit die langen Beene (Lachen.)
Der Erste (trällert): Ja so 'ne Fahrt am Bosporus is doch fürwahr 'n Hochjenuß –
Der Zweite (will losplatzen): Du ahnst es nicht – Ach Jottejottejottedoch – Mensch benimm dir!
Der Erste: Du, ist heut Vollmond oder Halbmond? (Beide platzen los.)
Der Zweite: Jemütliches Völkchen das – nur'n bisk'n schlapp, bisk'n schlapp – na wollen ihnen mal unter die Arme greifen und etwas Zucht beibringen. Verloren is da noch nischt. Wa wolln det Kind schon schaukeln. (Lautes Lachen. Er grüßt den Imam, der in einiger Entfernung steht, parodistisch) Tach!
Der Erste: Morjen! (Der Imam versucht öfter durch Pantomime, sie auf ihre Kopfbedeckungen aufmerksam zu machen.) Kick mal – was will denn der ulkje Kunde?
Der Zweite: Der Mann ist taubstumm – (sie lachen und stoßen einander.)
Der Imam (zu der Dame): Sage ihnen, sie seien im Hause des Gebets.
Die Dame (sich ihnen nähernd): Der Imam bittet mich, Ihnen zu sagen, Sie seien im Hause des Gebets; wollen Sie darum nicht Ihre Hüte abnehmen?
Der Erste: Aber jewiß doch, wenn's ihm Spaß macht – Morjen! (Sie grüßen und lachen.)
Die Dame: Ich würde Ihnen raten, etwas leiser zu sein; in einer Kirche würden Sie doch auch nicht so laut lachen.
Der Zweite (laut lachend): Ja aber was hat denn dieses hier mit 'ner Kirche zu tun?
Die Dame: Es ist eben ein Gotteshaus.
Der Erste: Gottvoll – diese varückte Bude hier?
Die Dame: So verletzen Sie wenigstens nicht die Gefühle derjenigen, denen es ihr Heiligstes ist!
Der Zweite: Ach, den KismetknöppeKismet – im Islam das den Menschen unabänderlich vorbestimmte Schicksal. Vgl. Prädestinationslehre ist ja doch alles wurscht. Na schön, Morjen! (Sie gehen laut lachend und polternd ab.)
Der Imam (zu der Dame): Gräme dich nicht um jener Kinder Torheit; so sicher, wie Gott über sie lächelt, lasse es auch uns tun.
Die Dame: Sie meinen es nicht böse.
Der Imam: Gott gab dem Europäer die Wissenschaft, dem Orientalen die Majestät. Jene sind nicht das, was einer wird, der im Schatten des Höchsten wandelt.
(Verwandlung.)
Redaktion in Berlin.
Alfred Kerr (an seinem Schreibtisch, ein Rumänenlied dichtend): Ich bin... fertig. Das heißt: mein Rum ... änenlied. (Er liest laut)
In den klainsten Winkelescu Fiel ein Russen-Trinkgeldescu, Fraidig ibten wir Verratul – Politescu schnappen Drahtul. Alle Velker staunerul, Gebrüllescu voll Triumphul Leider kriegen wir die Paitsche Aigentlich sind wir, waiß Gottul, |
Ku ... unst ist mir zugleich Mu ... use und versorgt mich mit Bu ... utter. Zu diesem Behu ... fe habe ich nie den Verdacht u ... ungewaschener Versfiße gescheut. Und so ist mein Ru ... hm und auch mein Rumänenlied entstanden.
Denn es dichtet Alfred Kerrul täglich was sich reimt für Scherul.Scherul, Mossul – die Berliner Zeitungsverleger August Scherl und Rudolf Mosse Doch er ist kein solches Rossul, sondern kerrt zurück zu Mossul. |
Ecco.
(Verwandlung.)
Ordinationszimmer in Berlin.
Professor Molenaar (zum Patienten): Ja, Sie sind herzkrank. Da haben Sie kaum Aussicht, für tauglich befunden zu werden. Ne' schöne Geschichte. Nu sehn Sie, das kommt vom Rauchen! Trotz aller Verbote des Oberkommandos in den Marken wird fortgeraucht. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß wir durch das unmäßige Rauchen im Allgemeinen und das vorzeitige Qualmen der Jugendlichen im Besonderen bis jetzt mindestens zwei Armeekorps in diesem Kriege eingebüßt haben. Es ist erschreckend, wie viele Männer in verhältnismäßig jungen Jahren herzkrank sind und dadurch dem Heeresdienste, der Ehe und der Fortpflanzung entzogen werden. Im Interesse unseres Heeresersatzes wäre ein Verbot des Rauchens bei uns dringend erwünscht. Ob der Tabak im Kriege selbst, etwa bei Sturmangriffen, mehr nützt als schadet, bleibe dahingestellt, so viel ist aber sicher, daß Hunderte, wenn nicht Tausende von Nichtrauchern die Strapazen des Felddienstes ebenso gut ausgehalten haben wie die Raucher. Hat man doch auch Jahrtausende lang Krieg geführt, ohne den Tabak zu kennen. Nu also, warum ist's denn damals gegangen? Was jetzt auf den Schlachtfeldern für'n Rauch ist, das ist nicht zu sagen! Muß das sein? Es ist bekannt, daß hervorragende Heerführer, wie der Graf v. Haeseler, Conrad v. Hötzendorf und Mackensen ausgesprochene Tabakgegner sind. Und haben sie die Strapazen des Felddienstes nicht ebenso gut ausgehalten wie die Raucher? Ich denke da an Falkenhayn, Boroevic und Hindenburg. Durch den Tod fürs Vaterland werden erfahrungsgemäß viele junge Leute dem Heeresdienste entzogen, weshalb es gerade im Interesse des Heeresersatzes wie der demselben dienenden Fortpflanzung sehr zu beklagen ist, daß die Unsitte des Rauchens ein Übriges tut. Sie junger Mann haben sich ein Herzleiden zugezogen, weshalb Sie kaum Aussicht haben dürften für tauglich befunden zu werden. Nehmen Sie sich das nicht zu Herzen. Es kann sich ja bessern. Kriege wirds immer geben. Freilich scheint auch ihre Lunge nicht in Ordnung zu sein. Atmen Sie auf! (Er horcht.) Nee, nich zu machen. Höchstens für die Etappe. 20 Em sind Sie schuldig.
(Verwandlung.)
Bureauzimmer bei einem Kommando.
Ein Generalstäbler (beim Telephon): – Servus, also hast den Bericht über PrzemyslPrzemysl – vgl. dazu II. Akt 16. Szene, dort geht es um den Verlust der Festung im März 1915, hier um die Wiedereroberung im Juni 1915 fertig? – Noch nicht? Ah, bist nicht ausgschlafen – Geh schau dazu, sonst kommst wieder zu spät zum Mullattieren – heut wird aber ja mullattiert – Also hörst du – Was, hast wieder alles vergessen? – Paß auf, Hauptgesichtspunkte: Während unsere Besatzung bekanntlich durch Hunger – jetzt ganz was andreas – der Feind unserer Gewalt gewichen – also keineswegs durch Hunger überwältigt, Feind hat nie gehungert! verstehst? nur wir! Russen hatten immer genug Proviant – konnten sich aber gegen den Elan unserer braven Truppen nicht halten, selbstverständlich – Gewalt unseres Angriffs – Ferner: Festung vollkommen intakt, unversehrt in unsern Besitz gelangt – modernste Geschütze – Wie? man kann nicht vergessen machen? altes Graffelwerk? Aber nein, jetzt nicht mehr natürlich! Alles kann man vergessen machen, lieber Freund! Also hör zu und mach kan Pallawatsch – modernste Festung – Österreichs alter Stolz – unversehrt zurückerobert. Nicht durch Gewalt, sondern durch Hunger, ah was red ich, nicht durch Hunger, sondern durch Gewalt! No wirst scho machen – wenns nur den Leuteln einleuchtet – jetzt is ja eh leicht – also servus! Schluß! (Ab.)
(Zwei alte Generale treten auf.)
Der Erste: Ja, die Deutschen! Jetzt hams den Falkenhayn zum Doktor gmacht! Sixt, unsereins kommt zu so was nicht.
Der Zweite: Erlaub du mir, der Borevitsch –
Der Erste: No ja, no ja, aber unsereins kommt zu so was nicht. (Ein Journalist geht vorbei.)
Der Erste: Hab die Ehre, Herr Doktor!
Der Journalist: Exellenz, gut daß ich Sie treff, ich brauch Sie wie einen Bissen Brot – was is mit Brody?
Der Erste: Brody? Was soll denn mit Brody sein?
Der Journalist: No wegen der Schlacht bei Brody?
Der Erste: Ah, a Schlacht is bei Brody? Hörst auf!
Der Zweite: Marandjosef!
Der Erste: Also eine Schlacht. Ah so was! No und da wollen S' halt wissen – (nach einigem Nachdenken) No wissen S' was? Wer' mr scho machen.
Der Journalist (hastig): Ich kann also melden, noch ist Brody in unserem Besitze –? Oder nein wissen Sie was, ich weiß schon ich wer' melden Brody is so gut wie entsetzt! (Ab.)
(Verwandlung.)
Hauptquartier.
Erzherzog Friedrich (ablesend): – Und so – schließe ich mit den Worten: Seine Majestät unser Oberster Kriegsherr lebe hoch hoch – (umblätternd) hoch. (Hochrufe. Nach einer Pause, in welcher er, feixend und die Zähne bleckend, die vor ihm stehende Reihe junger Offiziere mustert, an deren einem sein Blick haften bleibt) Ah – das is – der Buquoy! Der – hat schon – eine Auszeichnung! (Nach einer Pause, in der sein Blick weitergeht, um an einem andern haften zu bleiben) Und – das da – is auch – ein Buquoy! Der – hat auch eine Auszeichnung! (Pause des Nachdenkens) Jetzt – ham – zwei Buquoys – eine Auszeichnung!
Der Adjutant (geht auf den Armeeoberkommandanten zu und meldet): Kaiserliche Hoheit, der Rektor der Wiener Universität mit dem Dekan und Prodekan der philosophischen Fakultät warten untertänigst auf die Erlaubnis, Euer kaiserlichen Hoheit das Ehrendoktorat der philosophischen Fakultät verleihen zu dürfen.
(Verwandlung.)
Zwei Verehrer der Reichspost treten auf.
Der erste Verehrer der Reichspost: Hast schon das Buch glesen »Unsere Dynastie im Felde«? Da muß man tulli sagen! Es zeigt den unmittelbaren Anteil, den die Mitglieder unseres angestammten Herrscherhauses an diesem Kriege nehmen, in einer Reihe anmutiger Bilder führt es uns alle die fürstlichen Soldaten vor, die draußen im Felde mit dem einfachen Manne Mühsal und Gefahr kameradschaftlich teilen. Mit dem allerhöchsten Kriegsherrn fängt die Reihe an.
Der zweite Verehrer der Reichspost: Hörst net auf, Seine Majestät unser erhabener –?
Der Erste: Weilst mich nicht ausreden lassen tust. Wohl verbieten ihm Alter und gesundheitliche Rücksichten, hoch zu Roß bei seinen Feldgrauen zu weilen, wie er es in früheren Jahren so gern –
Der Zweite: Hörst net auf – wann denn?
Der Erste: Weilst mich nicht ausreden lassen tust. Wie er es in früheren Jahren so gern im Manöver tat. Aber inniger kann niemand mit diesem Kriege verwoben sein als dieser höchste und erste Soldat des Reiches, dessen Liebe und Sorge bei Tag und Nacht draußen im Feldlager weilt, bei seiner Armee, die in all ihrer Herrlichkeit und Schlagkraft vornehmlich seine Schöpfung ist. Von diesem Bewußtsein sind aber auch alle seine Soldaten, seine Braven, durchdrungen, mitten im Schlachtenbraus spüren sie die segnende Nähe seiner väterlichen Fürsorge. Also verstehst, also teilt er doch mit dem einfachen Manne draußen im Felde kameradschaftlich Mühsal und Gefahr? No bist vielleicht ein Tepp, daß d' das nicht verstehst?
Der Zweite: No und was is nacher mit'm Thronfolger? Was weiß der Verfasser von höchstdemselben zu berichten?
Der Erste: Überaus anziehende Episoden. Kaltblütig verweilte er auf einer vom Feuer der feindlichen Artillerie bestrichenen Anhöhe, lächelnd sprach er mit den Soldaten, studierte er die Karte.
Der Zweite: Sein Humor und seine gute Laune wirkt wie elektrisierend auf seine Umgebung.
Der Erste: In der Kriegsstimmung der Feuerlinie verzehnfacht sie sich. Ein Starkstrom, vor dem's keine Stimulanten gibt.
Der Zweite: Was is denn mit unserem Generalissimus Erzherzog Friedrich?
Der Erste: Der Schlachtendenker? der mit dem Generalstabschef Baron ConradConrad – Conrad von Hötzendorf, vgl. II. Akt 24. Szene lange Nächte über die Karten gebückt sitzt? Unbegrenztes Vertrauen haben die Truppen zu ihm. »Unser Feldmarschall wird's schon machen!« sagen sie.
Der Zweite: Natürlich, er wird's schon machen.
Der Erste: Weißt wie sie ihn nennen?
Der Zweite: Ihren SoIdatenvater nennen s' in halt, wie denn sonst?
Der Erste: So is. Der Verfasser des Buches »Unsere Dynastie im Felde« – du, der hat dir was erlebt! Ich stand zufällig in der Nähe, sagt er, in einer durch einen Hügel gedeckten kleinen Gruppe in Gesellschaft eines alten Rauhbarts, sagt er, aus der im Aussterben begriffenen Generation der in mehreren Feldzügen wetterhart gewordenen Veteranen, verstehst? Auch er beobachtete den Generalissimus in der Ferne. Ich bemerkte auf seinen harten Zügen –
Der Zweite: Du, das bitt ich mir aus –
Der Erste: Aber er hats doch bemerkt, nicht ich –
Der Zweite: No aber wer hat denn harte Züge?
Der Erste: No der alte Rauhbart!
Der Zweite: Ah so, der alte Rauhbart, das is was andreas.
Der Erste: Also der Verfasser des Buches »Unsere Dynastie im Felde« hat auf den harten Zügen des alten Rauhbarts eine Bewegung bemerkt, die er augenscheinlich zu unterdrücken suchte. Dann fuhr er mit seinem wetterfesten Kavalleristenhandschuh über die Augen, in welchen etwas Verdächtiges blinkte –
Der Zweite: Oha, Lichtsignale oder was, p. v. –!
Der Erste: Weilst mich nicht ausreden lassen tust – herstellt! Und sagte mit einer bei ihm vorher nie wahrgenommenen Rührung: »Der Soldatenvater ...« (Er schluchzt.)
Der Zweite (gleichfalls bewegt):No was is mit'n Josef Ferdinand?
Der Erste: Jedem seiner Soldaten gehört sein Herz und alle Soldatenherzen gehören ihm. Ein Feldherr von unvergleichlichem Ruhme und ein schlichter, treuer, abgöttisch geliebter Soldatenkamerad. So wird sein Bild weiterleben in der unvergänglichen Geschichte dieses Krieges.
Der Zweite: Das is schön. Und der Peter Ferdinand?
Der Erste: No also – kolossal. Wie er den Feind von den Höhen wirft, wie er im Schneesturm eiserne Wacht hält – also das sind Episoden von mitreißender Wucht und Größe.
Der Zweite: No und der Erzherzog Josef is nix?
Der Erste: Der Heldenhafte! Die Soldaten erzählen sich, er sei unverwundbar.
Der Zweite: Geh! – Noja, darum hat er glaubt, daß auch seine Soldaten unverwundbar sind, und hat sie halt bißl mit Maschinengewehren von hinten –
Der Erste: Halts Maul. Und alle beten ihn an, der Ungar wie der Schwab, der Rumäne, der Serbe – alle, wie s' da sind.
Der Zweite: Was, auch der Serbe?
Der Erste: No und ob! Herzzerreißende Szenen sollen sich abgspielt haben. Kaum angedeutet kann dies werden.
Der Zweite: No was is denn mit'n Eugen?
Der Erste: Der edle Ritter!
Der Zweite: No und der Max?
Der Erste: No halt ein Feschak!
Der Zweite: Und der Albrecht?
Der Erste: So jung wie er is, er teilt schon mit die Soldaten all die schweren Mühseligkeiten, kotige Wege, durchnäßte Kleider, schlechte Unterkunft, verdorbenes Brot, alles teilt er mit ihnen.
Der Zweite: Das sind die Helden der Tat. Was is mit den Helden der Barmherzigkeit?
Der Erste: Hier wird der unvergängliche Ruhm geschildert, den sich Erzherzog Franz Salvator durch seine organisatorische Riesenleistung für das Rote Kreuz errungen hat, hier wird das hehre Beispiel geschildert, mit dem die Erzherzoginnen Zita, Marie Valerie, Isabella, Blanka, Maria Josefa, Maria Theresia, Maria Annunziata und viele andere Mitglieder des angestammten Herrscherhauses der öffentlichen Wohltätigkeit vorangingen. Worte glühender Bewunderung sind dem segensreichen, aufopfernden und heldenhaften Walten der Erzherzogin Isabella Maria gewidmet.
Der Zweite: Was is denn mit'n Leopold Salvator?
Der Erste: Er hat sich verdient gemacht!
Der Zweite: Ein paar hast noch vergessen.
Der Erste: Erzherzog Karl Stephan entfaltet eine rastlose Tätigkeit, Erzherzog Heinrich Ferdinand verrichtet ermüdende Melderitte, Erzherzog Maximilian ist eingrückt und gleich den Erzherzogen Leo und Wilhelm, Franz Karl Salvator und Hubert Salvator zum Leutnant ernannt worden und alle sind unerschrocken.
Der Zweite: Fürwahr ein reicher Lorbeerstrauß.
Der Erste: Das Buch, das keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, wird seinen Ehrenplatz in der Literatur dieses Krieges behaupten.
Der Zweite (schluchzt).
Der Erste: Was hast denn?
Der Zweite: Ich denk an das Prothesenspital.
Der Erste: No deshalb mußt doch nicht weinen, Krieg is Krieg mei Liaber –
Der Zweite: Das weiß ich doch – es is auch nicht destwegen, es is wegen –
Der Erste: No was denn? Was hast denn?
Der Zweite (weinend): Weilst mich nicht ausreden lassen tust. Ich denk halt allaweil an die Erzherzogin Zita im Prothesenspital! Einen Freudentag, der so manche Stunde des Schmerzes aufwiegt, brachte den Verwundeten der 8. Mai. Oft klang es an mein Ohr: »Wenn nur Erzherzogin Zita einmal käme!« – »Könnte ich doch Erzherzogin Zita sehen!« Endlich brach der ersehnte Tag an. Freudige Erregung vibrierte durch das ganze große lichte Haus. Um ¾ 10 Uhr vormittags fuhr das kaiserliche Auto vor, dem die Erzherzogin entstieg. Es war soeben ein neuer Transport Verwundeter angekommen (er schluchzt).
Der Erste: No aber deshalb mußt doch nicht – Krieg is Krieg, mei Liaber –
Der Zweite: Das weiß ich – es is doch nur wegen der Zita – Also – Mit unvergleichlicher Anmut richtete die junge Erzherzogin an jeden der Neuankömmlinge das Wort. Es strahlte und leuchtete auf in diesen wettergebräunten Gesichtern, in welchen das Leid und der Schmerz so manche Furche gezogen. Deutsche und Ungarn, Polen und Tschechen, Rumänen und Ruthenen fühlten sich wieder inniger verkettet durch ein neues Band.
Der Erste: No ja schön is schon mit die Prothesen –
Der Zweite: Die gleiche Freude machte ihre Herzen rascher schlagen. Jedem einzelnen brachte die hohe Frau, in der sie die gemeinsame Landesmutter erkannten, warmes Interesse entgegen, und wenn Patienten vorgeführt wurden, denen beide Füße durch künstliche ersetzt waren, mit denen sie sich flott vorwärts bewegten – (er weint.)
Der Erste: Hör auf, Krieg is Krieg!
Der Zweite: Aber das weiß ich doch – es is ja wegen der Zita! Also wie sie sich flott vorwärtsbewegten, folgte der Erzherzogin Blick ihnen und man sah Freude in ihren Augen schimmern. Und alle vergaßen ihre Schmerzen, ihr Leid, es war der Frühling, das Hoffen, die Freude eingezogen. Als Erzherzogin Zita das Spital gegen 1 Uhr mittags verließ, blieb das Leuchten und Strahlen noch auf den Gesichtern, stolze Freude in den Herzen.
Der Erste: Das kann ich ihnen nachfühlen. So ein Krieg is doch eine Passion. Wann einer das Glück hat und er kommt ins Prothesenspital und es trifft sich grad, daß ihm die kaiserliche Hoheit –
Der Zweite: Ja so einer kann von Glück sagen – aber weißt, es is und bleibt doch eine halberte Gschicht. Denn wanns einen nicht vergunnt is, für das angestammte Herrscherhaus zu sterben –!
Der Erste: Ja, mei Liaber, das wird nicht jedermann zuteil! Man darf nicht unbescheiden sein. Was soll denn unsereins sagen?
(Verwandlung.)
Vor dem Kriegsministerium.
Ein junger Mann: Servus! Wo gehst hin?
Zweiter: Hinauf.
Erster: Wozu?
Zweiter: Mirs richten. Und du?
Erster: Ich auch.
Zweiter: Gehn mr halt mitanander. (Ab.)
(Verwandlung.)
Ringstraße.
Fünfzig Drückeberger (treten auf, die alle mit Fingern auf einander zeigen): Der sollte genommen wern!
(Verwandlung.)
Vor dem Kriegsministerium.
Ein junger Mann: Servus! Wo gehst hin?
Zweiter: Hinauf.
Erster: Wozu?
Zweiter: Einfuhr. Und du?
Erster: Ausfuhr.
Zweiter: Gehn mr halt mitanander. (Ab.)
(Verwandlung.)
Landesverteidigungsministerium. Ein Hauptmann sitzt an einem Schreibtisch. Vor ihm steht ein Zivilist.
Der Hauptmann: Alstern ob Sie enthoben wern können oder nicht, das können S' am einfachsten aus der Verordnung sehn, ich will Ihnen da entgegenkommen, daß Sie sich selber überzeugen, alstern hörn S' zu: »Das k. k. Ministerium für Landesverteidigung fand mit Erlaß vom 12. Juli 1915, Nr. 863/XIV, im Einverständnis mit dem k. u. k. Kriegsministerium zu verfügen, daß im Hinblick auf den dermaligen Kriegszustand – in gleicher Weise, wie bereits seinerzeit mit dem Erlaß des genannten k. k. Ministeriums vom 13. Jänner 1915, Dep. XIV. Nr. 1596 ex 1914, h. o. Erlaß vom 18. Jänner 1915, Zl. 1068, hinsichtlich der Begünstigung nach § 31 und 32 W.-G. (als Familienerhalter) angeordnet – auch der nach § 109 I, 1. Abs. § 118 I und § 121 I W.-V. I., im Juni 1915 zu erbringende Nachweis des Fortbestandes der die Begünstigungen nach § 30, § 32 (als Landwirt) und § 82 W.-G. (§ 32 W.-G. von 1889) begründenden Verhältnisse bis auf weiteres aufgehoben wird, wobei die bezeichneten Begünstigungen einstweilen – die Begünstigungen nach § 30 und nach § 32 mit der gemäß § 108 I, zweiter Absatz W.-V. I, dem termingemäß erbrachten Fortbestandsnachweis zukommenden Wirkung – als fortbestehend anzusehen sind.« No alstern – jetzt wern S' mich aber entschuldigen, andere wollen auch drankommen, nicht wahr? Also djehre, djehre – (Der Zivilist verbeugt sich und geht ab.)
(Verwandlung.)
Innsbruck. Ein Restaurant. An einem Tisch drei Damen, die schwedisch sprechen. Von einem Nebentisch stürzt ein Oberst mit zorngerötetem Kopf auf sie los.
Der Oberst: Ich verbiete Ihnen, hier englisch zu sprechen! (Seine Gattin will ihn auf den Sessel zurückziehen.) Erlaube mir – ich als Schwager des Generalstabschefs –
Die Oberstensgattin: Aber sie sprechen ja nur schwedisch!
Der Oberst: Ah so – (er setzt sich.)
(Verwandlung.)
Marktplatz in Grodno. Die Bevölkerung ist versammelt, voran eine Schar von Mädchen.
Ein Beamter der Stadthauptmannschaft(verkündet): Einem auf einen von dem Herrn Oberbefehlshaber der XII. Armee ausgesprochenen Wunsch unter Bezugnahme auf dessen Verfügung vom 29. April 1916, Zahl 61o6 ergangenen Ersuchen des Chefs der deutschen Verwaltung zufolge erläßt der Stadthauptmann den Befehl, daß die Mädchen angeleitet werden, die deutschen Offiziere und Beamten sowie auch die einheimischen Respektpersonen durch Knicksen zu begrüßen. (Die Mädchen knicksen. Respektpersonen geben vorbei) Knicksen! (Die Mädchen knicksen. Deutsche Beamte gehen vorbei) Tiefer knicksen! (Die Mädchen knicksen tiefer. Deutsche Offiziere kommen) Jetzt am tiefsten knicksen! (Die Mädchen knicksen am tiefsten.)
(Verwandlung.)
Briefzensur bei einem deutschen Frontabschnitt.
Der Zensuroffizier: Nee, heute ist aber mächtich viel zu tun! Ich habe seit neun Uhr 1286 Karten und 519 Briefe zensuriert und die meisten waren an Otto Ernst. Wer noch heute drankommen will, möge mirs ohne An- und Unterschrift vorlesen. Meine Sehkraft ist alle. (Sie lesen der Reihe nach vor und erhalten den Zensurstempel.)
Ein Hauptmann: Eine Gnade Gottes, ein unschätzbarer Segen sind Ihre Werke für uns Deutsche in dieser schweren Zeit! Sie sind für mich die Bestätigung, die Verkörperung des männlich-deutschen Glaubens der Gegenwart. Darum kann ich nicht anders, ich muß Ihnen, gerade Ihnen mein Herz ausschütten.
Ein Flieger: Ohne Phrasen dreschen zu wollen: Ihr Buch war mit das Schönste, Tiefste und Erhebendste, was ich seit Jahren gelesen habe.
Ein Vizefeldwebel: Innigen Dank für den »Gewittersegen«, der mich erfrischt und erquickt hat. Der Teufel hole alle Flaumacher und Nörgler! Wie hat das Buch mir und allen in Feldgrau aus der Seele gesprochen!
Ein Unteroffizier: Heute haben wir Ostersonntag. Am Nachmittage wollen uns benachbarte Unterstände besuchen, und zur Feier des Tages wird Ihr »Sonntag eines Deutschen« vorgelesen. Das soll uns die schönste Osterfeier ersetzen!
Ein Landsturmmann: In den Freistunden findet ein richtiges Wettlesen statt. Jeder möchte zuerst dieses oder jenes Ihrer Bücher lesen, und da wir bisher drei Stück erhielten, muß hübsch gewartet werden, bis ein Kamerad das Buch zu Ende hat.
Bedienung der 9-cm-Geschütze, genannt »Die Sturmkolonne« (unisono): Unser Dienst läßt es nicht immer zu, daß alle daran teilnehmen, und so lesen wir Ihren Roman doch lieber einzeln.
Sechzehn Kraftfahrer: Sechzehn Kraftfahrer der 10. Armee haben mit Entzücken Ihren »Offenen Brief an Annunzio« gelesen – er drückt in Worten unsere Gefühle aus!
Ein Oberleutnant: Jede tapfere Zeile zündet wie eine pünktlich krepierende Granate.
Ein Fliegerbeobachter: Gerade Sie, der Sie sich als Lebensbejaher erwiesen, sind ein Erlöser in diesem Stumpfsinn des täglichen Einerlei.
Ein Leutnant: Ich habe wieder mal herzliche Freude über Ihren Humor und hoffe, daß die Wirkung auch im Granatfeuer nicht nachläßt.
Ein Militärmusiker: Über die Zeit der Trennung sollen meiner lieben, armen, unglücklichen Braut Ihre so wunderbar heilkräftigen, tröstlichen Werke hinweghelfen.
Ein Gefreiter: Sie können mit Ihrer von Gott gesegneten Feder unserm Vaterlande mehr nützen als mit dem Bajonett.
Ein Soldat: Ihre jedes brave Herz erhebenden Gedichte werden bestehen, solange die Welt deutsche Treue und englische Falschheit kennt.
Ein Stabsarzt: Ich las Ihren offenen Brief an d' Annunzio. Mir aus dem Herzen gesprochen! Ich kämpfe mit dem Messer, Sie mit der Feder, jeder nach seinen Kräften. Die Hauptsache ist, daß wir durchdringen. Gott strafe England!
Ein Kanonier: Ich habe mir den Kopf zerbrochen, wie ich Ihnen durch Taten Dank abstatten könnte.
Ein Kompagnieführer: Ihr ausgezeichneter Humor half uns über manche trübe Stimmung hinweg und förderte den Unternehmungsgeist.
Ein Offizier-Stellvertreter: Wir lagen im Schützengraben. Ob noch ein Angriff zu erwarten sei, konnte niemand sagen; doch übten wir die größte Wachsamkeit. Um unsere Nerven, die wieder einmal ihr Teil erhalten hatten, etwas zu beruhigen, krochen wir in den Unterstand, wo ich, um uns auf andere Gedanken zu bringen, etwas vorlesen mußte. Ich wählte Ihre Plauderei »An die Zeitknicker«, die auch viel Anerkennung fand. Eben wollte ich die »Anna Menzel« beginnen, als wir zu unsern Zügen gerufen wurden mit der Meldung: am Waldrande habe man feindliche Schützen erkannt. Der Tanz begann. Immer mehr Angreifer kommen aus dem Walde hervor. Unser Maschinengewehr, welches sich zwischen meinem und dem ersten Zug befand, fängt nun auch an mitzuwirken. Ebenso war unsere Artillerie auf der Hut gewesen und sandte nun gruppenweise ihre Schrapnells auf den Gegner. Mir fiel die Unruhe meiner Leute auf; der Gegner hatte schon teilweise den Drahtverhau erreicht. Unter meinen Leuten waren sehr viel junge Krieger, die heute zum erstenmal im Feuer standen. Was konnte ich als Zugsführer anderes tun als ihnen zurufen, ruhig zu feuern? In diesem Augenblick dachte ich an die Worte aus der Mahnung an die Zeitknicker: »Ruuuhig, nur immm-mer ruuuhig!« Gebückt von Mann zu Mann, von Gruppe zu Gruppe kriechend, rief ich ihnen zu. Die Wirkung war bald zu merken. Die Feinde, die schon im Begriff waren, unsern Drahtverhau zu überwinden, wurden von den nun sichtbar ruhig feuernden Schützen niedergeknallt. Der Angriff war glatt abgewiesen; wir hatten nur wenig Verluste. So ist es uns geglückt, dem Gegner wieder mal eins auf die Nase zu geben dank unserer Wachsamkeit und dem ruhigen Feuern der Schützen, das ich wiederum in erster Linie Ihrer Erzählung verdanke. Sie hat eine ungeahnte Wirkung gehabt!
Ein Pionier: Von der Walstatt aus entbiete ich Ihnen, großer Meister und Freund der Jugend, meine herzlichsten Grüße! Möge es uns bald vergönnt sein, den schon aus vielen Wunden blutenden Feind röchelnd zu unseren Füßen zu sehen. Heil dem Künstler, dessen Feuergeist für seines Volkes Ehre ficht!
Ein Kriegsfreiwilliger: In der Telephonbude liegt ein Buch von Otto Ernst. Die Sonnenflecke spielen über die Seiten. Ich hab' so 'ne Freud' an Ihnen gehabt,' so 'ne Freud' überhaupt bekommen am Morgen, daß ich ein Ventil haben muß für all den Frühlingsübermut in mir. Fortlaufen, durch den Wald laufen, in die Welt laufen möcht' ich! Verflucht, das möchte ich, wenn ich nicht meinen Posten hätt'! Was denn dann tun? Singen! Jawohl, das hilft immer! Gleich will mir nicht einfallen, was nun am besten zu schmettern wär'. Husch – da ist der Gedankenblitz – schwupp, da liegt der Befehlsblock! Raus mit dem Bleistift – Otto Ernst soll einen Gruß haben! Guten Morgen, Otto Ernst. Wissen Sie auch, daß Sie ein ganz alter Bekannter von mir sind? Jawohl, Sempersjung, das sind Sie!
(Ein Generalmajor erscheint.)
Der Zensuroffizier: Ah, auch Herr General?
Der Generalmajor (liest): Gestern habe ich mich an Ihrer »Weihnachtsfeier« erquickt. Leider habe ich in Ihren Büchern nicht finden können, ob Sie – wenn Sie sich mal zur Arbeit stärken müssen – dies mit Rot- oder Weißwein tun. (Lachen.) Bei Ihren prächtigen Charaktereigenschaften und Ihrem Humor würde ich (als Mecklenburger!!) auf Rotwein schließen. Eins aber weiß ich: sollte es im Himmel Sofaplätze geben, dann bekommen Sie einen solchen!
(immer neue Offiziere und Soldaten aller Waffengattungen erscheinen.)
Der Zensuroffizier: Nee Kinder, morjen ist auch 'n Tach!
(Verwandlung.)
Eine stille Poetenklause im steirischen Wald.
Ein Kernstock-Verehrer: Pst – leise – da sitzt er, ganz versunken –
Ein zweiter Kernstock-Verehrer: Von hier aus sendet er seine Lieder ins Land, Lieder von kraftvoller, dabei doch sinniger und oft unbeschreiblich zarter Eigenart, Lieder –
Der Erste: Ei, es sollte mich wundern, wenn er nicht eben –
Der Zweite: So scheint es. Still! Alle seine Hörer werden, entflammt an seiner Flamme, das Empfangene dereinst als Lehrer tausendfältig weitergeben und in die Herzen einer neuen Jugend wird versenkt werden, was dieser eine Mann auf seiner waldumrauschten, einsamen Burg in jahrzehntelanger Arbeit ergründete.
Der Erste: Fürwahr, der Pfarrherr von der Festenburg ist ein Mann, der mit feuriger, begnadeter Zunge alle lebendigen Schönheiten der Gotteswelt zu preisen versteht. Still!
Der Zweite: Pst – es scheint über ihn gekommen zu sein. Wird es ein Gedicht oder ein Gebet?
Kernstock (murmelt):
Bedrängt und hart geängstigt ist
Dein Volk von fremden Horden,
Durch Übermut und Hinterlist
Mit Sengen und mit Morden.
Der Erste: Ei das kenne ich schon. Das ist ja das Gebet vor der Hunnenschlacht.
Kernstock (murmelt):
O Herr, der uns am Kreuz erlöst,
Erlös' uns von der Hunnenpest!
Kyrie eleison!
Der Zweite: Kein Wunder, daß er die Berufung nach Wien angenommen hat. Geadelt durch seinen Priesterberuf, muß er auch als Mensch die allertiefste und nachhaltigste Wirkung auf seine jugendlichen Zuhörer ausüben.
Kernstock (murmelt):
Mit uns sind die himmlischen Scharen all,
Sankt Michel ist unser Feldmarschall.
Der Erste: Einen Augenblick lang wird ja der Pfarrherr von der Festenburg gezögert haben, seine verträumte, stille Poetenklause im steirischen Wald mit dem Lärm der Großstadt zu vertauschen. Einen Augenblick lang nur –
Kernstock (murmelt):
Da winkte Gott – der Rächer kam,
Das Racheschwert zu zücken
Und, was dem Schwert entrann, im Schlamm
Der Sümpfe zu ersticken.
Der Zweite: Dann aber wird wohl die Erkenntnis in ihm gesiegt haben, welch hoher Beruf sich ihm hier erschließt, welch neue Möglichkeiten ethischer, künstlerischer, kulturfördernder Betätigung sich ihm in Wien bieten. Und die Stimme dieser Erkenntnis wird bald die Oberhand gewonnen haben über das verlockende Rauschen der Tannenforste um die Festenburg.
Beide: Still!
Kernstock (wie überwältigt):
Steirische Holzer, holzt mir gut
Mit Büchsenkolben die Serbenbrut!
Steirische Jäger, trefft mir glatt
Den russischen Zottelbären aufs Blatt!
Steirische Winzer, preßt mir fein
Aus Welschlandfrüchtchen blutroten Wein!
Der Erste: Es ist nichts Neues, aber es reißt immer von Neuem fort. Der Augenblick ist da. Wenn wir ihn jetzt beim Wort nehmen und ihm als schwärmerische Jünglinge unsere Stammbücher hinhalten, so wär's eine Erinnerung fürs Leben.
Der Zweite: Fürwahr, das wollen wir!
(Verwandlung.)
Bei einem Abschnittskommando.
Die Schalek: Als wir vom Kriegspressequartier gestern in die Stellungen kamen, erlebte ich etwas Seltsames. Allnächtlich marschieren die alten Arbeiter mit ihren Tragtieren durch die Feuerlinie, um den Proviant zu den Stellungen zu bringen. Ich war gerade in diesen Anblick versunken. Da unterbrach der Kommandant meine andächtige Bewunderung durch den kräftigen Zuruf: »Ihr Hornviecher, ihr gottverdammten! Werds auseinanderrücken! Müßt ihr von einer Granate alle gleichzeitig hin werden?« Das alt natürlich nicht uns vom Kriegspressequartier, sondern den alten Arbeitern, und er entschuldigte sich auch gleich darauf, denn er begrüßte uns lachend mit den Worten: »Entschuldigen Sie den temperamentvollen Empfang!« Ich kann nur bei allem Mitleid mit jenen armen alten Helden konstatieren, daß ich der Schneid und der Liebenswürdigkeit der Offiziere meine Anerkennung nicht versagen kann. Ein unvergeßliches Bild bot sich uns. Alle Herren waren zu unserem Empfange versammelt. Sonst hockt jeder wohlgedeckt oder er schläft, jedenfalls hütet er sich sehr, hier offen spazieren zu gehen. Aber weil der erste Kriegsberichterstatter angekündigt worden ist, sitzen die Herren gemütlich wie im Rathauskeller beisammen und erwarten uns. Mehr als das. Man hatte mit der Beschießung gewartet, bis wir oben angelangt waren, weil sonst das Vergeltungsschießen uns den Weg recht unangenehm hätte gestalten können. Dieses Verfahren hatte also nicht nur für uns von der Presse, sondern auch für die Offiziere die Annehmlichkeit, daß sie sich einmal im Freien zeigen konnten, und es hätte schließlich auch den armen alten Arbeitern einen gefahrlosen Marsch gesichert, wenn sie gleichen Schritt mit dem Kriegspressequartier gehalten hätten und mit dem Proviant nicht später angekommen wären als wir. Ich kann aber daraus den Schluß ziehen, daß es ihnen bei einiger Einteilung ganz gut ginge, nämlich wenn jeden Tag Pressebesuch bei den Stellungen wäre, und daß dann die Gefahren der Kriegführung für die Offiziere, für die Mitglieder des Kriegspressequartiers und last not least für den einfachen Mann wesentlich abgeschwächt wären.
(Verwandlung.)
Berlin, Tiergarten. Ein Austauschprofessor und ein nationalliberaler Abgeordneter treten auf.
Der Austauschprofessor: Wir führen einen Verteidigungskrieg. MoltkeMoltke – Helmuth Graf von Moltke, es gibt zwei Personen dieses Namens. a) preuß. Generalfeldmarschall, † 1891. b) dt. Generalstabschef bis 1914, † 1916 hat zu 'nem amerikanischen Aushorcher gesagt, daß unser Generalstab niemals irgendwelche raubgierige militärische Eroberungspläne gehegt hat, von denen unsere Feinde immerzu schwatzen. Wie hätten wir einen Krieg gegen so überlegene Kräfte, sagte er, wie diejenigen unserer mächtigsten Militär- und Seenachbarn es sind, in frivoler Weise herbeiwünschen können!
Der nationalliberale Abgeordnete: Sehr richtig, und wir haben den festen Willen, herauszuholen aus diesem Kriege, was unsere Heere und was unsere blauen Jungens herausholen können, und nicht zu ruhen, bis Englands Weltmachtsdünkel vollständig niedergebeugt ist. Heute ist der Moment gekommen, wo das Ergebnis des Krieges nur der Friede sein kann, der uns eine Erweiterung unsrer Grenzen in Ost und West und Übersee bringt, wo deutsche Weltpolitik das Gebot der Stunde sein muß.
Der Austauschprofessor: Sehr richtig, der englische Weltmachtsdünkel muß gebrochen werden und wer an unserer Friedfertigkeit zweifelt, der soll uns von einer andern Seite kennen lernen! Der Deutsche hat keine andere Sehnsucht, als im Lande zu bleiben und sich redlich von seinen Kolonien zu nähren. Dafür geben wir doch der Welt unsre Bildung!
Der nationalliberale Abgeordnete: Ja, für unsere kulturelle Eigenart hat die Welt bisher zu wenig Verständnis gehabt und das wollen wir ihr jetzt mal gründlich einbläuen.
Der Austauschprofessor: Bis dahin wird's leider noch lange Weile haben, und daran ist ausschließlich Amerika schuld. Moltke hat zu jenem Amerikaner gesagt, der Krieg werde so lange dauern, bis Amerika aufhören werde, Waffen und Munition für unsere Feinde zu liefern. Moltke gibt ja zu, daß diese Lieferungen das Werk eines Privatkonzerns seien, aber er ist überrascht, daß so viele Amerikaner wegen materieller Vorteile einen unneutralen Handel zu treiben gewillt sind und daß die Regierung dem kein Ende bereitet. Daß die deutschen Waffenfabriken selbst, im Frieden, an unsre Feinde geliefert haben, sei ja etwas ganz anderes. Das tut die Waffenindustrie allerorten.Hier muß man nachtragen, daß die Fa. Krupp während des ganzen Krieges mit Erlaubnis der Reichsregierung Kanonen nach Frankreich geliefert hat Wir waren also in derselben Lage wie unsere Gegner, der Unterschied liegt nur darin, daß wir, sagt Moltke, gezwungen waren, uns selbst zu helfen, während für unsre Feinde außer unseren Waffenfabrikanten noch die amerikanische Industrie einsprang.
Der nationalliberale Abgeordnete: Ja, das habe ich gelesen. In der gleichen Zeitungsnummer wird auch von der sogenannten »Enthüllung« des »World« Notiz genommen, daß wir gleichfalls Versuche gemacht hätten, aus Amerika Munition zu bekommen. Und das nennen die naiven Leutchen 'ne Enthüllung! Gottvoll! Als ob das nicht selbstverständlich wäre.
Der Austauschprofessor: Jewiß doch, und da wir nichts bekommen haben, haben wir wohl ein heiliges Recht, uns wenigstens über Neutralitätsbruch zu beklagen!
Der nationalliberale Abgeordnete: Jewiß doch, und umsomehr, als keiner vorliegt. Denn sehen Sie, die Vereinigten Staaten erklären ausdrücklich, es liege im Wesen ihrer Neutralität, daß sie uns ebenso gern Waffen und Munition verkaufen würden wie unsern Feinden. Und warum sollten wir von dieser Neutralität nicht Gebrauch machen, wenn uns die Fabriken liefern wollten? Das ist auch der Gedankengang der »Frankfurter Zeitung«, die die famose Enthüllung des »World« bespricht. Bedauerlich ist dabei eben nur, daß wir die Munition, die wir aus Amerika haben wollen, nicht von den dortigen deutschen Fabriken, weder von den deutsch-amerikanischen noch von den reichsdeutschen Fabriken beziehen können, die an unsre Feinde liefern.
Der Austauschprofessor: Wie? Deutsche, reichsdeutsche Unternehmungen sind das? Nicht englische?
Der nationalliberale Abgeordnete: I wo, von den englischen sollen es etliche verweigert haben. Na, vermutlich würden die uns auch nichts liefern. Das ist eben das Pech, die feindlichen liefern uns nichts und die deutschen haben sich schon an unsre Feinde vergeben. Nun ja, eine Fabrik als solche muß ja nicht das Neutralitätsprinzip wahren. Die deutschen Fabrikanten verletzen es doch gewiß nicht, wenn sie Waffen an unsere Feinde liefern!
Der Austauschprofessor: Nee. Aber – ja – doch – ach is das 'n Wirrwarr! Man vertauscht in diesem Kriege alle Begriffe. Wenn nur schon Friede wäre, da könnte man sich wenigstens selbst wieder vertauschen lassen und alles wäre in Ordnung.
Der nationalliberale Abgeordnete: Na beruhigen Sie sich. Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nich in den Himmel wachsen. Die Debatte dürfte bald überholt sein. Zum Glück wird ja Amerika in den Krieg eintreten, und da werden unsere Landsleute drüben wohl oder übel sich besinnen müssen und werden statt an unsre Feinde an Amerika Waffen liefern.
Der Austauschprofessor: So muß es kommen!
(Verwandlung.)
Berliner Vortragssaal.
Der Dichter:
– Und ob jeder Schritt über Fleischfetzen steigt, Kartätschen und Stacheldraht: Die befohlene Linie wird erreicht – Schwatzt nicht von Heldentat! Wir tun unsre Pflicht, das genügt. (Rufe: Jawoll!) – Über Kampfbefehle, jäh belebende, Schmettern die Geschütze ihre schwebende Sphärenmusik. (Rufe: So ist es!) – Marsch marsch, ruft Gott, schützt euer Land, Schützt eurer Kinder Vaterland! (Lebhafter Beifall.) – Unsre grauen Kähne Haben weiße Zähne. Die blitzen los auf jeden Schuft, Der nach des Kaisers Flagge pufft, Unterm deutschen Himmel. (Stürmischer Beifall. Bravo-Rufe.) Der Kaiser, der die Flotte schuf, Der steht mit Gott im Bunde – (Rufe: So ist es!) Denn das ist Deutschlands Weltberuf: Es duckt die Teufelshunde. Unsre blauen Jungen Haben rote Zungen; Die zischen durchs Kanonenrohr, Dann fliegt der Feind durchs Höllentor Unterm deutschen Himmel. (Stürmischer Beifall.) – Sprung! Vorwärts marsch! Heraus aus dem Bau! Durch! Durch! Knirscht's, knattert's im Drahtverhau, Und Lerchenjubel im Blauen. Nur hurra, hurra! schweig, Wehgekreisch! Marsch marsch, blankes Eisen, ins Feindesfleisch! Und Lerchenjubel im Blauen. (Donnernder Beifall.) – Kriegsgenossen, laßt uns singen: Sei geheiligt, Graus auf Erden! |
(Nicht endenwollender Beifall. Rufe: Hoch Dehmel!)
(Verwandlung.)
Wiener Vortragssaal
Der Nörgler: (Mit der Uhr in der Hand.) »Eines unserer Unterseeboote hat am 17. September im Mittelmeer einen vollbesetzten feindlichen Truppentransportdampfer versenkt. Das Schiff sank innerhalb 43 Sekunden.«
Dies ist das Aug in Aug der Technik mit dem Tod. Will Tapferkeit noch Anteil an der Macht? Hier läuft die Uhr ab, aller Tag wird Nacht. Du mutiger Schlachtengott, errett uns aus der Not! Nicht dir, der du da dumpf aus der Maschine kamst, Dort ist ein Mörser. Ihm entrinnt der arme Mann, Geht schlafen, überschlaft's. Gebt Gnade euch und Ruh. Wie viel war's an der Zeit, als jenes jetzt geschah? Entwickelt es sich so mit kunterbunten Scherzen – |
Ein Zuhörer (zu seiner Gattin): Man kann sagen auf ihm was man will – eine Feder hat er!
(Verwandlung.)
Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.
Der Patriot: Kein Badezimmer in Downing Street! Also was sagen Sie!
Der Abonnent: Was soll ich sagen, es rieselt im Gemäuer.
Der Patriot: Kein Badezimmer in Downing Street!
Der Abonnent: No und wem haben wir diese befremdliche Entdeckung zu verdanken? Ihm!
Der Patriot: Natürlich, aber eigentlich hat Frau Lloyd George diese befremdliche Entdeckung gemacht, das muß man zugeben.
Der Abonnent: No ja, aber er hat gebracht!
Der Patriot: No und wissen Sie, was daraus mit zwingender Logik folgt?
Der Abonnent: Er schreibt ja ausdrücklich, die britischen Premierminister, die seit hundert und mehr Jahren in Downing Street residieren, haben also auf den Luxus eines Bades entweder verzichtet oder eine öffentliche Badeanstalt aufsuchen müssen.
Der Patriot: Recht geschiehts ihnen, denen Schmutzianen, ich hab a Freid.
Der Abonnent: Und bitte, nicht wie bei uns, wegen dem Krieg – nein, über hundert Jahr haben sie dort die Schweinerei anstehn lassen!
Der Patriot: Asquith hat dort mit seiner Familie neun Jahre lang verlebt.
Der Abonnent: So hat er also neun Jahr nicht gebadet, er und die ganze Familie.
Der Patriot: No, das kann man nicht sagen. Vielleicht ham sie eine öffentliche Badeanstalt besucht.
Der Abonnent: Bitte, das wurde nie gemeldet! Oder ham Sie je gelesen –
Der Patriot: Nicht daß ich mich erinner.
Der Abonnent: No also!
Der Patriot: Aber wissen Sie was doch möglich is? Gut, es is kein Badezimmer in Downing Street. Gut, es is nachgewiesen, sie sind auch nie in eine öffentliche Badeanstalt gegangen – aber daraus folgt doch noch nicht, daß sie überhaupt nicht gebadet haben seit hundert Jahr?
Der Abonnent: Wieso? Mir scheint Sie sind etwas e Skeptiker!
Der Patriot: Schaun Sie her, die Lloyd George hat es entdeckt, schreibt er, wie sie eingezogen sind. No wenn sie so etwas entdeckt – was wird sie tun künftig?
Der Abonnent: Weiß ich? Mei Sorg!
Der Patriot: Sie wird tun, vermutlich, was höchstwahrscheinlich auch die Asquith getan hat –
Der Abonnent: No was hat sie getan?
Der Patriot: Was sie getan hat? Sie hat getan, vermut ich, was höchstwahrscheinlich alle getan haben was dort gewohnt haben seit hundert Jahr.
Der Abonnent: No was ham sie getan?
Der Patriot: Was sie getan ham? No is in Schönbrunn ein Badezimmer?
Der Abonnent: Was denn is dort?!
Der Patriot: No – ich hab mir sagen lassen – also ich will ja nichts gesagt haben – aber nehmen wir an – also hat sich der Kaiser seit hundert Jahr nicht gebadet oder glauben Sie, daß er ins Zentralbad geht?
Der Abonnent: Schöner Patriot was Sie sind! Aber wie kommt das zu dem, sagen Sie lieber was sie in Downing Street getan haben.
Der Patriot: Was sie getan haben? Schon der einfache Laie muß das erkennen – sie harn der Schickse geschafft, daß sie ihnen Wasser holt und ham sie geschickt um e Schaff und dadarin ham sie sich gebadet!
Der Abonnent (hält sich die Ohren zu): Ich kann so etwas nicht hören! Sie nehmen einem die letzte Illusion!
Der Patriot: Bitte, das is nur eine Vermutung. Ich glaub ja auch eher, daß er recht hat – daß sie also entweder überhaupt nicht gebadet haben oder gezwungen waren, eine öffentliche Badeanstalt aufzusuchen.
Der Abonnent: Und ich sag Ihnen, sie ham überhaupt nicht gebadet! Punktum. Poincaré ist erschüttert und Lloyd George gedemütigt. Engländer und Deutsche werden sich in Stockholm begegnen.
Der Patriot: Was heißt das? Wie kommt das zu dem? Sie kommen mir schon vor wie Biach.
Der Abonnent: Sie, das sollten Sie aber ja wissen, so schließt doch ein Leitartikel!
Der Patriot: Natürlich – ich weiß doch! Wissen Sie was ich glaub? Es rieselt im Gemäuer.
Der Abonnent: Wem sagen Sie das! Aber nicht von der Wasserleitung! In der ganzen Entente hörich is kein Badezimmer.
Der Patriot: No das is übertrieben, haben Sie nicht gelesen die Zarin in der Badewanne?
Der Abonnent: No ja, aber sie hat sie bekanntlich mit RasputinRasputin – russischer Schwindler (Mönch), gewann über die Zarin großen Einfluß auf die Politik, 1916 von Adligen ermordet teilen müssen!
Der Patriot: Wissen Sie, worauf ich gespannt bin?
Der Abonnent: Worauf? ich bin gespannt.
Der Patriot: Ob in Downing Street ein Klosett is! Oder ob sie seit hundert Jahren gezwungen waren, entweder auf den Luxus zu verzichten oder eine öffentliche Bedürfnisanstalt aufzusuchen. Gott strafe England.
Der Abonnent: Ma werd doch da sehn. (Ab.)
(Verwandlung.)
In einem Coupé.
Ein Geschäftsreisender: Köstlich ist die neue Operette »Ich hatt einen Kameraden«.
Zweiter Geschäftsreisender: Kenne ich. Vertrete den Honigfliegenfänger »Hindenburg«. Marke: »Einen bessern findst du nicht«. Und Sie?
Der Erste: Diana-Kriegs-Schokolade. Aufmachung mit den Bildern unsrer Heerführer. Verkosten Sie mal – (Öffnet den Musterkoffer.) Vordem war ich Verkaufskanone bei verschiedenen Branchen.
Der Zweite: Ich bin so frei. (Er ißt.) Außerordentlich wohlschmeckend. Nährmittelpräparate vertrete ich übrigens auch. Zum Beispiel Hygiama –
Der Erste: Was, Sie vertreten Hygiama? Allerlei Hochachtung!
Der Zweite (öffnet den Musterkoffer): Verkosten Sie mal –
Der Erste: Ich greife zu. Ach, mit 'ner Gebrauchsanweisung. (Er ißt und liest):
Verfolgst du kämpfend den Franzosen,
So gib ihm tüchtig auf die Hosen,
Begegnest du dem Söldner-Britten,
So regaliere ihn mit Tritten,
Siehst du von weitem schon den Ruß,
So vorbereite dich zum Schuß.
(Zu große Nähe mußt du meiden,
Weil Mitbewohner ihn begleiten.)
Gelungen!
Doch ist zu diesen Heldentaten
Vorherige Kräftigung anzuraten.
Stockt einmal Zufuhr von Proviant,
Bewahr als eisernen Bestand
Hier diese Schachtel mit Tabletten,
Die dich vor dem Verhungern retten.
Gebrauche sie nur in der Not,
Verzehre sie nicht wie das Brot,
Laß langsam sie im Mund zerfließen,
Du stärkst dich und kannst dabei schießen.
Sie stillen Hunger dir und Durst,
Ersetzen Fleisch und Brot und Wurst,
Genieße sparsam Stück für Stück,
Kehr siegreich und gesund zurück.
Wir wären dir zu Dank verpflichtet,
Schriebst du uns, was du ausgerichtet.
Dr. Theinhardts Nährmittel-Gesellschaft
Stuttgart-Cannstatt.
Die Verse sind nicht weniger bekömmlich als die Ware. Famose Aufmachung! Wir Deutsche sind nu mal das Volk der Dichter, nee da könn' se nischt dawider.
Der Zweite: Nicht wahr? Ja, das solln se uns nachmachen mit ihrem britischen Krämergeist! Das ist made in Germany, auch wenns just nicht drauf steht. 's ist alles da, in zugkräftiger Verbindung. Fürs Vaterland und fürs Geschäft, und wenn es mal uffs Janze geht, auch die Kunst im Dienst des Kaufmanns steht! Sehn Se, da mach ich fix selbst nen Keim druff.
Der Erste: Sollten die köstlichen Verse von Ihnen sein?
Der Zweite: Ach nee, meine Firma beschäftigt nur erstklassige Dichter. Augenblicklich bin ich nicht mal in der Lage, Ihnen Bescheid zu geben.
Der Erste: Darf man auf Presber raten oder etwa auf Bewer?
Der Zweite: Ich kann's wahrhaftich nich sagen. Jedenfalls freut es unsre Feldgrauen. Wenn der Deutsche Ernst macht, dann darf auch der Humor in seine Rechte treten. Schießt sich leichter und erhält gesund. Is von Ihrer Firma schon einer geiallen?
Der Erste: Gewiß, unser jüngerer Scheff hat den Heldentod fürs Vaterland erlitten. Da haben Sie die Anzeige.
Der Zweite (liest): »– Sein weiter kaufmännischer Blick ließ ihn früh die großen Karnpfesziele erkennen und freudig zog er hinaus pro gloria er patria. Nun hat ihm die Norn die Wege verlegt, die treue Liebe in rastloser Arbeit für ihn geebnet«. Donnerwetter! Aufmachung imposant!
(Verwandlung.)
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Worüber denken Sie nach? Über ein Sprachproblem?
Der Nörgler: Jawohl. Ich habe heute gelesen, daß die Deutschen die feindlichen Vorstellungen genommen haben. Da fiel mir eben ein, daß sie auch die eigenen genommen haben und vollständig unbrauchbar gemacht. Es sind noch Trichter da.
Der Optimist: Wie meinen Sie das? Sachlich oder wörtlich?
Der Nörgler: So und so, also wörtlich. Ich glaube, Schopenhauer hätte über die Welt als Wille zur Macht und deutsche Vorstellung nachgedacht.
Der Optimist: Na aber Nietzsche?
Der Nörgler: Hätte den Willen zur Macht mit Bedauern als falsche Vorstellung zurückgezogen.
(Verwandlung.)
Das deutsche Bad Groß-Salze. Vorn ein Kinderspielplatz. Ausblick in eine Allee, vor deren Eingang rechts eine Tafel: »Macht Soldaten frei!«, links eine Tafel: »Für Verwundete kein Zutritt.«
Links die Villa Wahnschaffe, ein mit Zacken, Zinnen und Türmchen verziertes Gebäude, von dessen Giebel eine schwarzrotgoldene und eine schwarzweißrote Fahne flattern. Unterhalb des Giebels in einer Nische die Büste Wilhelms II. Über dem Eingang eine Inschrift mit den Worten: »Mit Herz und Hand für Gott, Kaiser und Vaterland!« Ein karges Vorgärtchen, in welchem Figuren von Rehen und Gnomen aufgestellt sind, mitten unter ihnen eine alte Ritterrüstung. Vor dem Eingang, rechts und links zwei Modelle von Mörsergeschossen, das eine mit der Inschrift: »Immer feste druff!«, das andere mit: »Durchhalten!« Die Spitzbogenfenster an der Front haben Butzenscheiben.
Kommerzienrat Ottomar Wilhelm Wahnschaffe tritt aus der Villa und singt das folgende Couplet, dessen musikalisches Nachspiel zu jeder Strophe von einem unsichtbaren Chor mitgesungen wird, der das Gelächter des Auslands vorstellt.
Ob unter See, ob in der Luft, wen Kampf nicht freut, der ist ein Schuft. Doch weil das Schuften ich gewohnt, so schuft' ich nicht bloß an der Front, ich kämpf' auch schneidig und gewandt und halte durch im Hinterland, ich schufte früh, ich schufte spat, die Schufte das erbittert hat. Nur feste druff! Ich bin ein Deutscher! Im Frieden schon war ich ein Knecht, Ich scheue keine Müh' und Plag', Ich geb' mein deutsches Ehrenwort: Krieg dient uns, damit Waffen sind, In solchem Leipziger Allerlei Für dies Prinzip, und es ist gut, Steht unsre Sache mal so so, Der Hungerplan wird ausgelacht, Und wenn die Welt voll Teufel wär' Wir preisen Gott auf unsre Weise Das eine aber weiß ich nur, Deutsch ist das Herz, deutsch der Verstand, Wir sagen stolz: Viel Feind, viel Ehr! Noch lieber laßt uns als den Feind Es geht uns doch nur um die Ehr'. Nur weil man etwas Sonne braucht, Schon brennt die Erde lichterloh Nach'm Krieg wird noch mehr Arbeet sein Wir woll'n die Wehrpflicht dann verschärfen, Und wenn die Welt voll Teufel wär', |
Nachdem er abgegangen ist, erscheint seine Gattin, Frau Kommerzienat Auguste Wahnschaffe mit ihren Kindern, die sich sogleich auf dem Spielplatz verlieren, um sich mit einem Kriegsspiel zu beschäftigen.
Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Ich habe nur zwei Kinder, die leider noch nicht militärtauglich sind, umsoweniger als das eine zu unserem Leidwesen ein Mädchen ist. So muß ich mir mit 'nem Ersatz behelfen, indem ich mich der Vorstellung hingebe, daß mein Junge schon an der Front war, aber selbstverständlich bereits den Heldentod gefunden hat, ich müßte mich ja in Grund und Boden schämen, wenn's anders der Fall, wenn er mir etwa unverwundet heimgekehrt wäre. Keinesfalls dürfte er mir in der Etappe sein, wiewohl sich ja auch dorthin eine Kugel leicht verirrt. Diese Vorstellung, die mit der beste Trost ist, den ich habe, und die ich gegen jeden Zweifel behaupte, indem ich den Zweifel mühelos abweise, diese Vorstellung befestige ich in der Zeit, die Ottomarchen zu schaffen hat. Ich bin also eigentlich immer beschäftigt, bis auf die halbe Stunde, die sich Männe, der soeben schaffen gegangen ist, zum Essen Zeit nimmt. Was nun dieses Essen anlangt, so behelfe ich mir als tüchtige Hausfrau auch hier mit Vorstellungen. Heut waren wir in diesem Punkte gut versorgt. Es gab allerlei. Wir hatten da eine bekömmliche Brühe aus Hindenburg-Kakao-Sahne-Suppenwürfel »Exzelsior«, einen schmackhaften Falschen Hasen-Ersatz mit Wrucken-Ersatz, Kartoffelpuffer aus Paraffin und 'nen Musbrei nach Hausmannsart, versteht sich alles auf der Bratpfanne »Obu« bereitet, und zum Schlusse Schillerlockenersatz, der uns trefflich gemundet hat. Eine deutsche Hausfrau weiß, was sie ihrem Gatten in dieser ernsten, aber großen Zeit schuldig ist. Zwar Männe machte Männchen, weil er seine leckern Hausmacher-Eiernudeln nicht bekam. Is nich; so mußte er sich dreinfinden. Was uns anfangs sehr abging, war Margarineersatz, aber da wir Obu haben, so fehlt es uns jetzt an nichts mehr. In der Hausfrauenvereinigung haben wir neulich einstimmig beschlossen, daß die Mineralnährhefe, deren Eiweißgehalt vorzugsweise durch die Verwendung von Harnstoff gewonnen wird, in Bezug auf Nährwert der Brauereihefe gleichkommt und darum nicht mehr ausschließlich an die Volksküchen verteilt werden dürfe. Es ist heute Mode, den breiten Schichten der Bevölkerung entgegenzukommen. Diese einseitige Bevorzugung muß ein Ende haben. Die bürgerlichen Kreise wollen auch leben. Die Miesmacher, die selbst hier was dawider haben, wenden ein, daß das Ding einen Heringsgeruch und einen Petroleumgeschmack habe und dadurch imstande sei, Ekel zu erregen. Wir deutschen Hausfrauen wissen aber Bescheid und wir hoffen, daß sich diese Eigentümlichkeiten beim Kochen vollständig verlieren werden, ja wir sind überzeugt, daß die Mineralnährhefe den Speisen einen feinen Wohlgeschmack verleiht. Ist das Mittachbrot vorbei, so kommt wieder die Sorge um's Amdbrot. Zum Amdbrot gibts heut wie immer Eintopfgericht, zur Abwechslung aber Leberwurst aus Stärkekleister und rotgefärbtem Gemüse und als Käseersatz Berliner Quark mit Paprikaersatz, auch erproben wir heute das vielgerühmte Alldarin mit Eiersatz Dottofix aus Schlemmkreide mit Backpulver und etwas Salatfix, ein köstlicher Zusatz, den ich dem Salatin wie dem Salatol beiweitem vorziehe. Denn für den deutschen Familientisch ist das Beste gerade gut genug und es ist alles da, nich so wie bei arme Leute. Zur Vesper versuchten wir gestern Deutschers Teefix mit Rumaroma und waren recht angenehm überrascht. Zwar die Kinderchen machten Radau, weil sie ihre Rumgranaten Marke »Unsern Kriegern stets das Beste« nicht hatten. Männe bekam sein Eichelwasser, das beinahe so schmackhaft ist wie Tutti-Gusti-Kaffe Marke Schützengraben, der ja nun alle ist. Leider aber mußten wir uns ohne Süßstoffwasserersatz behelfen, so daß die Spritze leer neben jestanden hat. Ich wollte, einer raschen Eingebung folgend, sie mit Wasserstoffersatz füllen, um Männe die Vorstellung zu erhalten; es hieße aber den Gatten betrügen und wenn mal ein Schritt vom Wege getan ist, so folgt bald der zweite nach. So tat ich's denn nicht. Die schönen Zeiten sind nu mal vorbei, wo man's noch bequem hatte und einfach zu spritzen brauchte, um den Kriegs-Kaffee-Ersatz zu versüßen. Da man aber sonst überhaupt nicht wüßte, daß es jetzt durchzuhalten gilt, so nehmen wir solch kleine Entbehrungen gern in Kauf. Umso lieber, als man ja anderes jetzt gar nicht in Kauf nehmen kann, so daß wir das viele Geld, das Männe verdient, glatt zurücklegen können. Der faule Friede kommt früh genug, wo man's wieder für Tand ausgibt. Hoffentlich aber wird der Krieg noch lange genug dauern, daß auch darin ein Wandel zum Bessern eintritt. In der letzten Tagung der Vaterlandspartei hat Männe beantracht, daß der Krieg, den britischer Neid, französischer Revangschedurst und russische Raubgier uns aufjezwungen haben, auch nach Friedensschluß fortgesetzt werden soll, und mit diesem Antrach 'ne erdrückende Mehrheit erzielt. Nun heißt es durchhalten und je länger je lieber. Wir schaffen es. Kein Tag, der nicht 'ne Nachricht brächte, die das Herz lauter schlagen ließe. Wie sagt doch Emmi Lewald? »Dreitausend tote Engländer vor der Front! Keine Symphonie klänge mir jetzt schöner! Wie das angenehm durch die Nerven rinnt, fröhlich, hoffnungerweckend. Dreitausend tote Engländer vor der Front! – bis in die Träume klingt es nach und surrt wie eine schmeichelnde Melodie ums Haupt.« Bei Velhagen & Klasing ruft sie es aus. Ich fühle auch so. Und wie liebe ich die wundervolle Anny Wothe, die ihre prächtige Soldatenfrau dem Manne die Geburt eines gesunden Jungen mitteilen läßt: »Jott sei Dank wieder een Soldat! Der Junge soll Willem heißen, er soll einmal so fest werden wie unser Kaiser und druffschlagen, dat de Stücken man so fliegen. Die andern Jungen aber, sie beten alle Dage, du solltest recht ville Franzosen dotschlagen. lk bete ooch, aber nicht um dein Leben. Der steht bei Gott. Ik beet, det du ordentlich deine Pflicht tust, det du nicht zuckst, wenn die Kugel kommt, un der du ruhig stirbst, wenn et sein muß, vor unser Vaterland, un unsern Kaiser, un nich an uns denkst. Und wenn du vor deinen Hauptmann sterben kannst, so denke ooch nicht an uns. Die fünfe grüßen dir mit mir. Bei der Taufe von Willem wollen sie Heil dir im Siegerkranz singen, womit ik verbleibe deine treue Jattin!« – Ach weiß Jott, der einzige Grund, warum ich meinem Jatten nicht auch so schreiben kann, ist, daß er leider nicht im Felde ist, weil er zum Glück unabkömmlich ist, und ferner, daß ich nur einen Sohn habe, denn das jüngste ist wie gesagt leider 'n Mädchen. Für das Opfer, fürs Vaterland kein Opfer bringen zu können, müssen einen die geschäftlichen Erfolge entschädigen. Wahnschaffe hat soeben eine wirklich interessante Kriegsneuheit geschaffen, die schon in Deutschland und in dem mit uns Schulter an Schulter kämpfenden Östreich-Ungarn patentamtlich geschützt ist und deren Vertrieb an tüchtige Herren gegen hohe Provision vergeben wird. Es ist »Heldengrab im Hause«, zugleich Reliquienkästchen und Photographieständer und bietet somit nicht nur'n artiges Schmückedeinheim, sondern auch religiöse Erhebung. Es berührt mich wehmütig, daß wir selbst leider für so zeitgemäßen Totenkult im Zimmer keine Verwendung haben. Meine Kinder, nicht alt genug, um schon für den Kaiser sterben oder sich sonst für das Vaterland opfern zu können, haben aber leider auch den Nachteil, daß sie nicht erst nach Kriegsausbruch zur Welt gekommen sind. Sonst sollte mir der Junge Warschau heißen und das Mädchen Wilna oder er Hindenburg und sie Zeppeline! Denn daß der Junge Willem heißt, hat sich auch vor dem Krieg von selbst verstanden, ich sehe darin keine besondere patriotische Huldigung. Ach, da kommen sie ja gelaufen, die niedlichen Jöhren! Was is'n los? Spielt ihr denn nich Weltkrieg?
Willichen (weinend): Muttelchen, Mariechen will nich dot sein!
Mariechen: Wir haben Einkreisung jespielt, denn Weltkrieg, und nu –
Willichen (weinend): Ich wollte doch nur 'nen Platz an der Sonne, da –
Mariechen: Er lügt!
Willichen: Ich hab ihren Punkt erfolgreich mit Bomben belegt und nu will se nich dot sein!
Mariechen (weinend): Nee, is nich, is ne feindliche Lüge, echt Reuter! Zuerst hat er meine Vorstellung genommen und nu kommt er von der Flanke! Ich habe den Angriff mühelos abjewiesen und nu sagt er –
Willichen: Mariechen lügt! Ihr Gegenangriff ist in unserem Feuer zusammengebrochen. Jetzt sind übahaupt die letzten Engländernester gesäubert. Fünf der Unsrigen sind nicht zurückgekehrt.
Mariechen: Bei Smorgon erhöhte Gefechtstätigkeit.
Willichen: Wir haben Gefangene gemacht.
Mariechen: Wir haben eine gewisse Anzahl Gefangener eingebracht. Die in unserem Feuer gebrochenen Angriffswogen mußten, viele Leichen auf unserem Gelände zurücklassend, in Unordnung zurückfluten.
Willichen: Das ist die schonungslose Methode der Russen, die bei ihren Offensiven die Massen vorwärtstreiben. Die Stellungen blieben in unseren Händen. Wir haben Volltreffer erzielt.
Mariechen: Ich bin zur Offensive übergegangen.
Willichen: Ich bereite mich auf einen dritten Winterfeldzug vor.
Mariechen: 's ist ja gottvoll! Fatzke!
Willichen: Na wart, ik kämpfe bis zum Weißbluten!
Mariechen: Du farbiger Engländer und Franzose du!
Willichen: Es gelang dem Russen, in unseren Gräben erster Linie Fuß zu fassen, aber ein von uns bei Tagesanbruch ausgeführter Gegenangriff –
Mariechen: – warf ihn wieder hinaus.
Willichen: Mehrere Gegenangriffe, die der Feind im Laufe des Nachmittags versuchte –
Mariechen: – wurden durch einen kühnen Handstreich vereitelt. (Sie schlägt ihn.)
Willichen: Sie lügt! Das sind übrigens die typischen Anfangserfolge jeder Offensive. (Er schlägt sie.)
Mariechen: Man hüte sich, die optimistischen Voraussichten über die Offensive zu übertreiben.
Willichen: Beim letzten Luftangriff auf die Festung London –
Mariechen: – habe ich sogleich Repressalien geübt! Karlsruhe –
Willichen: Ja, drei Zivilisten sind tot, darunter ein Kind. Der militärische Schade ist unbedeutend. Es ist immer dasselbe.
Mariechen: Na und du? Zwei Zivilisten und eine Frau! Der militärische Schade ist unbedeutend. Es ist immer dasselbe.
Willichen: Sie hat die Flagge des Roten Kreuzes nicht respektiert! Es ist immer dasselbe.
Mariechen: Er auch nicht! Es ist immer dasselbe.
Willichen: Wer hat angefangen?
Mariechen: Ich auch nicht!
Frau Kommerzienrat Wahnschaffe (die bis jetzt leuchtenden Auges zugehört hat): Mariechen, sei du man ganz stille, Vater sagte, ihr dürftet Weltkrieg spielen, aber die Grenzen der Humanität müßtet ihr einhalten. Willichen kann keiner Fliege 'n Haar krümmen, er schützt seinen Besitzstand so gut er kann. Er führt einen heiligen Verteidigungskrieg.
Willichen (weinend): Ich habe es nicht gewollt.
Mariechen: Wer denn?
Willichen: Immer feste druff! (Er schlägt sie.) Ich habe einen Volltreffer erzielt.
Mariechen (schlägt ihn): Komm nur in meine Riegelstellung!
Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Laß doch Puppe!
Willichen: Wart man, ik hol meinen Flammenwerfer!
Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Kinderchen spielt, aber haltet die Grenzen ein! Wenn Willichen weiter so brav ist, bringt ihm Papelchen das Eiserne Kreuz aus dem Kontor mit.
Willichen: Hurra! Da haste mein belgisches Faustpfand! (Er stürzt sich auf Mariechen und verprügelt sie. Mariechen weint.)
Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Willichen, immer human! Vergiß deine gute Erziehung nicht! (Sie geht mit einem Taschentuch auf Mariechen zu.)
Nu, Kinder, nu geht in die Stellung zurück,
Doch zuvor putz ich dir noch die Nase.
Mariechen (weinend):
Der Bengel beschießt meine Zuckerfabrik
Und verwendet giftige Gase!
(Sie erhebt sich und schlägt Willichen in die Flucht.)
Willichen: Der Rückzug ist nur strategisch. (Im Laufen) In Erwartung dieses Angriffes war die Räumung des der beiderseitigen Umfassung ausgesetzten Bogens seit Jahren ins Auge gefaßt und seit Tagen eingeleitet worden. Wir kämpften den Kampf daher nicht bis zur Entscheidung durch und führten die beabsichtigten Bewegungen aus. Der Feind konnte sie nicht hindern. (Aus der Entfernung) Hurra, ich nehme die Siegfriedstellung ein! (Zwei Invaliden humpeln vorbei, in die Richtung zur Allee.)
Frau Kommerzienrat Wahnschaffe: Nun muß ich aber zum Rechten sehn. Wir scheuern heute mit dem Seifenersatzpräparat »Kriegskind«. (Sie erblickt die Invaliden.) Schon wieder! Das ist denn doch zu lästich! Wenn die jetzt die Tafel nicht wahrnehmen, mache ich die Anzeige beim Ortsvorsteher.
(Die beiden bleiben vor der Tafel stehen und kehren um.)
Der Eine: Also wohin?
Der Andere: Zurück ins Feld. Dahin lassen sie einen. (Sie humpeln ab.)
(Eine Bonne kommt mit einem dreijährigen Knaben, der in der Nase bohrt.)
Die Bonne: Fritze, schämst du dich nicht? Na wart, das sag ich Hindenburch!
(Fritze zieht erschrocken den Finger zurück.)
(Hänschen begegnet Trudchen.)
Hänschen: Gott strafe England!
Trudchen (ihn fest anschauend): Er strafe es!
(Sie gehen Schulter an Schulter ab, indem sie Lissauers Haßgesang anstimmen.)
(Hans Adalbert, 3 Jahre, begegnet Annemariechen, 2 ½ Jahre.)
Hans Adalbert: Ich höre, du hast Kriegsanleihe gezeichnet.
Annemariechen: Gewiß, ich hielt mich für verpflichtet. Den Gesprächen der Erwachsenen entnahm ich die ganze Größe der Bedeutung der Kriegsanleihe, und nun bestand ich darauf (sie stampft und geslikuliert heftig) Kriegsanleihezeichnung nicht etwa nur zu spielen, sondern mit ihr auch Ernst zu machen. Auf meinen dringenden Wunsch entnahmen die Eltern meiner Sparbüchse den ganzen Inhalt, 657 M, und –
Hans Adalbert: Mit oder ohne Lombardierung?
Annemariechen: Natürlich mit!
Hans Adalbert: Donnerwetter!
Annemariechen: Es soll dir und jedermann ein Beispiel sein.
Hans Adalbert: Ein Hundsfott, wer anders denkt! (Ab.)
(August und Guste treten auf.)
Guste: In zwei Monaten ist England auf die Knie gezwungen.
August: Glaubst du? Ich bin kein Flaumacher, aber was sagst du zu Amerika?
Guste: Na die Kunden kenn' wa doch!
August: Unsre Stimmung ist ernst, aber –
Guste: – zuversichtlich! (Ab.)
(Eine Bonne kommt mit einem dreijährigen Mädchen, das in der Nase bohrt.)
Die Bonne: Mieze – wart, wenn das der jroße Jeneralstab sieht!
(Mieze zieht erschrocken den Finger zurück.)
(Klaus begegnet Dolly.)
Klaus: Wir waren einjekreist, das erkennt doch heute schon jedes Kind.
Dolly: Britischer Neid, französischer Revangschedurst und russische Raubgier – da weiß man doch Bescheid. Die Frage nach der Kriegsschuld beantwortet sich von selbst. Deutschland wollte 'nen Platz an der Sonne.
Klaus: Europa war ein Pulverfaß.
Dolly: Der belgische Vertrag war ein Fetzen Papier. (Ab.)
(Walter begegnet Marga.)
Marga: Mein Vater hat den Protest der 93 Intellektuellen unterschrieben. Er sagte aber, er habe ihn nicht gelesen, er wolle blind unterschreiben. Und dein Vater?
Walter: Mein Vater hat ihn gelesen.
Marga: Und was sagte er?
Walter: Er unterschreibe doch. (Ab.)
(Paulchen begegnet Paulinchen.)
Paulchen: Bethmann Hollweg ist offenbar für 'nen Verzichtfrieden zu haben.
Paulinchen: Das kann TirpitzTirpitz – Alfred von T., Stabschef der dt. Kriegsmarine, forcierte den Aufbau einer Kriegsflotte, forderte den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, † 1930 pipe sein.
Paulchen: Mir auch. Und du?
Paulinchen: Ausjeschlossen! Ist ja zum Schießen! (Ab.)
(Jochen und Suse treten auf.)
Jochen: Was wir vor allem brauchen, ist Übasee. Ich sage dir, wenn wir mit dem Welthandel nicht vorwärtskommen, hat Deutschland in diesem Krieg schlecht abjeschnitten.
Suse: Olle Kamellen. Wir müssen Festland annektieren. Wir brauchen Belgien als Fliegerbasis und etwa noch das Erzbecken von Briey, sonst –
Jochen: Du sprichst vom Minimum. (Ab.)
(Eine Mutter mit ihrem Töchterchen, neben ihr ein Herr.)
Die Mutter: Na Elsbeth, willst du nich spielen?
Das Töchterchen: Nee.
Die Mutter: Na spiel doch Kind.
Das Töchterchen: Nee.
Die Mutter: Was das Kind für 'ne komische Mentalität hat! Warum nur nicht?
Das Töchterchen: Das haben wir eben vor den Engländern voraus und darum sind sie neidisch auf uns.
Die Mutter: Ach hören Sie nur – was denn Kinding? warum sind denn die Engländer neidisch auf uns – na sag das mal dem Onkel, Elsbethchen!
Das Töchterchen: Die Engländer sind neidisch auf uns, weil wir im Begriffe sind, aufwärts zu steigen, sie aber abwärts. Das kommt daher, weil die Deutschen nach der Arbeit noch weiter arbeiten, die Engländer sich aber an Spiel und Sport erfreuen.
Die Mutter: Goldene Worte, Elsbeth. Nee, du mußt wirklich nicht mehr spielen, Elsbeth. So 'n Kind beschämt einen.
Der Herr: Kindermund.
Die Mutter: Das will ich der B. Z. mitteilen!
Der Herr: Nee, besser für die Sammlung »Das Kind und der Krieg«, Kinderaussprüche, Aufsätze, Schilderungen und Zeichnungen. (Ab.)
(Ein Vater mit seinem Söhnchen.)
Sohn: Vata, im B. T. Steht 'ne W.T.B.-Meldung, daß durch den Krieg eine sehr erfreuliche Abnahme der Säuglingssterblichkeit stattjehabt hat, wenigstens in den deutschen Städten, für das offene Land lägen entsprechende Statistiken noch nicht vor, na und daß dort die Verhältnisse noch günstjer liegen, kann man sich ja denken. Der Krieg sei überhaupt 'ne Quelle der Verjüngung jeworden. Vata, ik begreife, daß durch den Krieg die Säuglinge nich alle jeworden sind, da sie ja noch nicht in dem Alter sind, um sich dem Vaterlande nützlich zu machen, aber erkläre mir Vata, wie es kommt, daß der Krieg die Säuglingssterblichkeit geradezu herabsetzt?
Vater: Der durch den Krieg bedingte Ausfall in den Geburtenziffern –
Sohn: Ach quatsche nich, da müßten ja eher weniger, Säuglinge als mehr –
Vater: Halte die Schnute. Der durch den Krieg bedingte Ausfall in den Geburtenziffern wurde jedenfalls durch die bessere Erhaltung des Aufwuchses wenigstens teilweise ausgeglichen.
Sohn: Ach Unsinn, im Krieg herrscht doch 'ne Lausewirtschaft, wie sollte denn da der Aufwuchs besser erhalten werden als im Frieden? Wo nehmt ihr denn die Milch her?
Vater: Willste man stille sein, du Dreikäsehoch!
Sohn: Is nich! So kannste mich nich mehr nennen –
Vater: Willste gleich – warum denn nich?
Sohn: Drei Käse! Ja Menschenskind, ik bin alt genug, um schon vajessen zu haben, wie hoch 'n einziger ist!
(Der Vater gibt ihm eine Maulschelle. Ab.)
(Ein anderer Vater mit seinem Söhnchen.)
Vater: Jawoll mein Junge, immer feste – wie sagt doch Schiller, ans Vaterland ans teure schließ dir an!
Sohn: Vata –
Vater: Nanu?
Sohn: Vata, is denn det Vataland jetzt auch teurer jeworden?
Vater: Unerschwinglich, Junge, unerschwinglich!
(Verwandlung.)
Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Optimist: Die Neue Freie Presse hebt mit Recht hervor wie vornehm es vom Grafen Berchtold ist, daß er nun selbst an die Front abgeht, um mit dem Säbel in der Hand jenem Erbfeind, der seiner Politik die größten Schwierigkeiten bereitet hat, Aug in Aug gegenüberzutreten.
Der Nörgler: Sie meinen den treulosen Bundesgenossen, den der Conrad schon seit Jahren überfallen wollte? Was aber den Berchtold anlangt, so ist es wirklich fair von ihm und jetzt kann in der Tat eine Wendung zu unsern Gunsten eintreten, wiewohl ich, wie Sie wissen, über die Möglichkeit der Verwendung von Säbeln in diesem Krieg sehr pessimistisch denke. Sollte aber der Berchtold wider Erwarten keine Gelegenheit und den Erbfeind nicht zu Gesicht bekommen, weil derselbe den Stabsfressereien der k. u. k. Armee nicht zugezogen wird, so hat unser ehemaliger Minister des Äußeren jedenfalls seine Pflicht erfüllt; denn er hat sich ja gestellt.
Der Optimist: Ich sehe, Sie bleiben Ihrer Gewohnheit, alles niederzureißen, selbst vor den heroischen Vorbildern unserer kriegerischen Epoche treu. Hier haben Sie es in der »Woche«, den Grafen Berchtold in feldmäßiger Adjustierung. Dieses Bild –
Der Nörgler: – ist der Kriegsgrund.
Der Optimist: Wieso? Die Photographie wurde doch später als das Ultimatum –
Der Nörgler: Gewiß, ein andres österreichisches Antlitz, eh sie geschehn, ein anderes zeigt die vollbrachte Tat; und doch sind beide identisch. Die Serben konnten das Ultimatum nicht annehmen, weil ihnen die Photographie vorgeschwebt hat. Die Furcht Österreichs, daß sie es vielleicht doch annehmen würden, war ganz grundlos. Auch an eine »Lokalisierung« des Kriegs, die Österreich erhofft hatte, weil es ungestört von der Welt Serbien trischacken wollte, war nicht zu denken, denn die Welt sah dieses Antlitz im Traum.
Der Optimist: Ich verstehe Sie wieder einmal nicht.
Der Nörgler: Da tun Sie recht daran. Aber das Plateau von Doberdo.Plateau von Doberto – wichtige österr. Stellung bei Triest, 1916 von den Italienern erobert wo hunderttausend Leben verwelkt und verwest sind, ist trotzdem eine Freudenau!
Der Optimist: Ich verstehe Sie nicht. Diese Photographie sagt Ihnen also –
Der Nörgler: – daß ein Renngigerl die Weit in den Tod geführt hat!
Der Optimist: Nun beginne ich Sie zu verstehen. Aber das hat er doch nicht mit vollem Bewußtsein getan!
Der Nörgler: Nein, sonst wäre er keines und sonst hätte er's nicht getan. Das Niederschmetternde ist, daß er nicht bei vollem Bewußtsein war. Und daß dieses Argument ein Milderungsgrund für Staatsmänner ist und für Staatsoberhäupter, die doch schon von Gesetzeswegen für ihre Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden können. Sie waren alle nicht bei vollem Bewußtsein. Österreich kann nichts dafür! Es hat sich bloß von Deutschland Mut machen lassen, dieses in den Krieg zu zerren. Und Deutschland hat Österreich in jenen Krieg getrieben, den es nicht gewollt hat. Die dort sind die verfolgende Unschuld, und mir san eh die reinen Lamperln. Beide können nichts dafür.
Der Optimist: Dieses Gesicht spricht wirklich für ein gutes Gewissen.
Der Nörgler: Das ein sanftes Ruhekissen abgeben würde, wenn im Stabsquartier nicht ohnehin ein solches vorhanden wäre. Aber man ist vor dieser schlichten Uniform überzeugt,daß der Mann auch im Schützengraben vorlieb nehmen würde. Ein schlichter, wenngleich beherzter Zugsführer, ein Wiener Biz, der mit den Händen an den Hüften, zwinkernd »Schau mir ins Augee!« zum Erbfeind sagt, der nur herkommen soll, wann er sich traut. Der einfache Staatsmann an der Front, ohne Ohrringeln, aber mit Armbanduhr, statt des Säbels eventuell ein Spazierstöckl statt der Virginier das goldene Vließ, das aber wie gesagt vom reinen Lamperl bezogen ist. Er meint's nicht so, aber er stellt, wenn's sein muß, seinen Mann, und dank seiner eigenen Entschließung vom August 1914 muß es bekanntlich sein. Alles in allem, weit entfernt von Hochmut und von Schwäche, weiter als von der Front; kein Tachinierer, aber ein Feschak.
Der Optimist: Diese Photographie –
Der Nörgler: – ist dem Verbrecheralbum der Weltgeschichte entnommen und wird bei der Verhandlung vor dem Weltgericht bei der Agnoszierung der Kriegsurheber gute Dienste tun. Das Original wird natürlich wegen Unverantwortlichkeit oder verminderter Zurechnungsfähigkeit freigesprochen werden.
Der Optimist: Wie wird sich die erweisen lassen?
Der Nörgler: Es wird unter anderm festgestellt werden, daß ein harmloser Rennstallbesitzer das Grey'sche Angebot an die österreichisch-ungarische Monarchie, zur Erlangung der von ihr angeblich gewünschten Genugtuung Belgrad und noch etliche serbische Orte zu besetzen, zwischen seinen Rennprogrammen versteckt hatte. Denn England wollte wirklich die »Lokalisierung«, die sich Österreich auf andere Weise erhofft hat, weshalb es den einzigen Ehrenmann dieses Kriegs den »Lügen-Grey« nennen ließ. Die Photographie wird zur Entlastung des Täters beitragen, aber zur Überführung seiner sämtlichen Landsleute. Sie rechtfertigt in ihrer vollkommenen Schamlosigkeit die aggressiven Absichten unserer Feinde für den Fall, daß wir wirklich einen heiligen Verteidigungskrieg geführt haben sollten. Denn wenn es selbst bewiesen wäre, daß wir ein Recht hatten, uns an Serbien zu vergreifen, weil die ungarischen Schweine den serbischen den Markt gesperrt hatten, so würde noch immer dieses Dokument aufstehn und gegen uns zeugen!
Der Optimist: Ich bitte Sie – eine Photographie! Eine zufällige Aufnahme! Da haben wir im Krieg noch ganz andere Bilder zu sehen bekommen.
Der Nörgler: Sie meinen alle die andern, die im Weltkrieg gelächelt haben. Die Heerführer, die vor den Wunden ihrer Mannschaft verbindlich gelächelt haben. Ach, dieses Lächeln im Krieg war erschütternder als das Weinen! Der Photograph mußte sie nicht erst bitten, ein freundliches Gesicht zu machen, sie fanden ohnehin die Welt in Ordnung. Der Erzherzog Friedrich, harmlos, als ob er nicht bis drei Galgen zählen könnte; Karl Franz Josef, der Frontlächler, der dem Heldentod nicht gram sein kann und dem die große Zeit wie ein Walzertraum vergeht; der deutsche Kronprinz, weit und breit beliebt als der »lächelnde Mosquito«, und alle die andern Lächler. Schreibtafel her, ich muß mirs niederschreiben, daß einer lächeln kann, und immer lächeln, und doch ein General sein! Und dann die Damen dieser Feldredoute! Zum Beispiel die Erzherzogin Augusta, die Soldatenmutter, die, nachdem der Soldatenvater seine Söhne mit Maschinengewehren vorgetrieben hat, den Menschen rasch noch vor dem Heldentod antritt und ihm als ein Symbol hingebender Vaterlandsliebe vorschwebt. Gegen diese Verschärfung der Pflicht, für die ungarische Sache zu sterben, gibt es keinen Schutz und es ist ein Schauspiel, von dem sich der Genius der Menschheit, wenn's noch einen solchen gibt, zwar abwendet, aber die Ansichtskartenindustrie profitiert.
Der Optimist: Die aufopfernde Tätigkeit der Rote Kreuz-Schwestern dient doch in erster Linie dem Zweck, vor der Operation eines Schwerverwundeten –
Der Nörgler: – sich mit ihm photographieren zu lassen.
Der Optimist: Solche Photographien sind gestellt!
Der Nörgler: Dann ist die Verächtlichkeit umso besser getroffen. Auch die Photographie Berchtolds ist nur gestellt, um die abgründige Leere dieser Visage sinnfällig zu machen – die Leere, in die wir alle gestürzt sind und die uns verschlungen hat.
Der Optimist: Sie übertreiben. Ich gebe zu, daß diese Photographie uns zwar nicht schmeichelt –
Der Nörgler: Ausgestellt vor den Leichenfeldern, deren Hintergrund das sympathische Modell selbst beigestellt hat, trifft sie uns tödlich. Ich denke sie mir als einziges Lichtbild in diesen unsäglichen Finsternissen und habe die tröstende Gewißheit, daß diese Züge des österreichischen Antlitzes seine letzten sind. Wie wär's, wenn wir es mit dem Bilde jener ungezählten Märtyrer konfrontierten, die in Sibirien warten oder in französischen Munitionsfabriken geschunden werden, die auf Asinara leben oder die vom Todeszug aus der serbischen Gefangenschaft in die italienische am Straßenrand verwest sind. Einer steht schon als Skelett da und öffnet noch den Mund wie ein verhungerter Vogel. Dies Bild hat ein Menschenauge geschaut und ich schaue es wieder. Wie wär's, wenn wir es diesem lächelnden Berchtold vorführten und alles Grausen einer Evakuation und alle lebendig Begrabenen und lebendig Verbrannten, die Schändungen halbmassakrierter Frauen, die von mitleidigeren Mördern erschossen werden! Ward nichts dergleichen für Welt und Haus photographiert? Und Berchtold, lächelnd, ward aufgenommen, als er's mit dem Feind aufnehmen wollte!
Der Optimist: Aber bedenken Sie, er ist doch nicht verantwortlich –
Der Nörgler: Nein, nur wir sind es, die es ermöglicht haben, daß solche Buben nicht verantwortlich sind für ihr Spiel. Wir sind es, daß wir in einer Welt zu atmen ertragen haben, welche Kriege führt, für die sie niemanden verantwortlich machen kann. Verantwortlich für das einzige, was wirklich verantwortet werden muß: die Verfügung über Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Besitz und Glück des Nebenmenschen. Größere Kretins als unsere Staatsmänner sind doch –
Der Optimist: – die unserer Feinde?
Der Nörgler: Nein, wir selbst. Mt unseren Feinden haben wir nur die Dummheit gemeinsam, einen und denselben Gott für den Ausgang des Kriegs verantwortlich zu machen, statt uns selbst für den Entschluß, ihn zu führen. Was die Staatsmänner der Feind betrifft, so können sie nicht dümmer sein als die unseren weil es das in der Natur nicht gibt.
Der Optimist: An den unseren läßt sich allerdings die Wahrnehmung machen –
Der Nörgler: – daß wir uns die Kriege ersparen würden, wenn wir sie an die Front schickten, also dorthin, wohin der Berchtold oder seinesgleichen nie gelangen wird. Noch weiter aber als diese von der Front sind wir von einer Einrichtung des Staatslebens, wie sie die Spartaner gekannt haben, die bekanntlich auch solche Durch- und Durchhalter waren wie wir. Sie setzten ihre Kretins auf dem Taygetus aus, während wir sie an die Spitze des Staats und auf die verantwortlichen diplomatischen Posten stellen.
Der Optimist: Dort sind sie dann freilich in manchen Fällen
Der Nörgler: – nicht verantwortlich!
(Verwandlung.)
Während der Somme-Schlacht.Somme-Schlacht – im Gebiet des nordfranz. Somme-Flusses fand 1916 eine der blutigsten Materialschlachten statt. 1,25 Millionen Tote und Verletzte. Parktor vor einer Villa. Eine Kompagnie, mit todesgefaßten Mienen, marschiert vorbei, in die vordersten Gräben.
Der Kronprinz (am Parktor, Tennisanzug, winkt ihnen mit dem Rakett zu): Machts brav!
(Verwandlung.)
Kriegsministerium. Ein Zimmer an der Ringstraßenfront. Ein Hauptmann sitzt an einem Schreibtisch. Vor ihm steht ein Zivilist in tiefer Trauer.
Der Hauptmann: Alstern was wolln S' denn noch? Eine Evidenzhaltung is in solchen Fällen ein Ding der Unmöglichkeit. Wir können doch net wissen, ob einer tot is oder verwundet in Gefangenschaft geraten? Da müssen S' ins italienische Kriegsministerium gehn mein Lieber! Na alstern! Was sollen wir denn noch alles tun? Es ist doch einfach unglaublich, was die Leut von uns verlangen!
Der Zivilist: Ja – aber –
Der Hauptmann: Lieber Herr, ich kann Ihnen nicht mehr sagen. Außerdem is gleich drei Uhr, da muß doch ein Einsehn sein, die Amtsstunden sind beendet. Das is doch wirklich großartig. – No alstern, was is denn? – Alstern schaun S', privat kann ich Ihnen das eine sagen: Sie ham jetzt sechs Wochen von Ihrem Sohn nix ghört, nehmen Sie also getrost an, daß er tot is.
Der Zivilist: Ja – aber –
Der Hauptmann: Da gibts kein Aber. Wo kämen wir hin, wenn wir in solchen Fällen – Sie können sich doch denken, daß so etwas tausendmal vorkommt! Jetzt is Krieg, mein lieber Herr! Da muß der Staatsbürger schon auch ein bißl was dazu tun! Schaun S' uns an, die wir hier sitzen! Wir stehen hier auf unserem Posten! Und außerdem, lieber Herr – also Sie werden doch wohl wissen – aber das sag ich Ihnen wieder privat und ganz unverbindlich –, daß es für einen Soldaten keinen höheren Ehrgeiz und keinen schöneren Lohn geben kann als für das Vaterland zu sterben. Also djehre djehre –
(Der Zivilist verbeugt sich und geht ab.)
(Verwandlung.)
Kastelruth. Nachts nach einem Abschiedsfest der Offiziere einer Maschinengewehrabteilung. Einige liegen unter dem Tisch.
Leutnant Hellwig: Noch – was – zum essen! Wein her!
Die Kellnerin: Es geht schon auf zwei, Herr Leutnant, die Küche –
Leutnant Hellwig: Wein her – sag ich!
Die Kellnerin: Is schon Schluß, Herr Leutnant – nix mehr da!
Leutnant Hellwig: Du – Fähnrich –! (Er entreißt dem dienstbabenden Fähnrich die Dienstpistole und erschießt die Kellnerin.)
Die Kellnerin: Jesus Maria! (Sie stürzt hin.)
Ein anderer Leutnant: Aber Helwig – was machst denn? Is der Mensch unvorsichtig! Dafür kannst Zimmerarrest kriegen!
(Verwandlung.)
Ein Wiener Nachtlokal. In der Nacht nach der Zweiten Einnahme von Czernowitz durch die Russen. Offiziere, Buffetdamen, Lebemänner, Herren vom Roten Kreuz, polnische Legionäre, Personal, Mitwirkende. Die Salonkapelle Nechwatal und die Zigeunerkapelle Miskolczy Jancsi.
Rolf Rolf, der Stegreifdichter (ist soeben, halb singend, mit der Konzeption eines Gedichtes beschäftigt, das sich auf hingeworfene klassische Zitate und Huldigungen für anwesende Truppengattungen aufbaut):
– – – – –
Die Legionäre haben viel geleistet –
Das liegt schon so in der Natur.
(Rufe: Bravo! Bravo!)
Und sehn Sie – wenn ich das betrachte –
So fällt mir vom Herzen eine Last –
Wenn ich sage – zu der Dame dorten –
Du doch Diamanten und Perlen hast!
Und hier – zu diesem deutschen Soldaten
Sag ich: Es zogen nach Frankreich zwei Grenadier'.
Heut aber – das muß ich schon sagen –
Ist es – fürwahr – doch sehr – stier!
(Gelächter. Rufe: Oho! Bravo! Bravo! Beim Eintreten Zweier Offiziere intoniert die Salonkapelle: Wir sind vom k. u. k. Infanterie-Regiment Hoch- und Deutschmeister Nr. 4. Alles singt mit.)
Frieda Morelli, die Sängerin (tritt auf und singt, die Hände abwechselnd vom Busen in die Richtung zum Publikum führend):
Ja, mein Herz gehört nur Wien!
Doch sehr schön ist auch Berlin!
Denn sehn Sie, so ein Leudenant –
(die Oberlippe streichend)
So indresant und auch charmant,
Ich geb ihm gern ein Rangdewu,
Doch noch lieber – hab ich Ruh.
Denn ach, denn ach, denn ach,
Man wird so leicht ja schwach.
Ja drum sag ich, mein Herz gehört Wien,
Doch sehr schön ist auch Berlin!
(Rufe: Bravo! Bravo!)
Eine Stimme: Rosa, wir fahren nach Lodz!
(Die Musik intoniert diese Melodie, um nach einiger Zeit in die Melodie: »Der guate alte Herr in Schönbrunn« überzugehen.)
Ein ungarischer Viehhändler (zum Besitzer des Nachtlokals): Ober dos is jo glänzend wos hier olles geboten wird!
Der Besitzer des Nachtlokals: Ja, ich schmeichle mir ein erstklassiges Ensemble zu haben. Jeder Besucher meiner Lokalitäten wird zugeben müssen, daß die Bezeichnung »42-Mörser-Programm« auf dem Plakat nicht zu viel versprochen hat.
Der Viehhändler: Ober nain, 42 Mörser is Kinderspiel gegen so ein Programm!
Der Besitzer: Der Feind selbst müßte zugeben, es is ein Bombenerfolg.
Der Viehhändler: Wos Bomben! Bomben sind Krepierln gegen solche Schloger!
Der Besitzer: Herr Kommerzialrat, zum Dank für die so schmeichelhafte Anerkennung werde ich mir sogleich erlauben, eine separate Huldigung darzubringen.
(Die Musik intoniert den Rakoczy-Marsch, um, nachdem der Viehhändler eine Champagnerflasche zerschlagen hat, in den Radetzky-Marsch überzugehen, während dessen einer der Offiziere eine Champagnerflasche zerschlägt, worauf der Prinz Eugen-Marsch intoniert wird, um in die Volkshymne überzugehen. Sämtliche Gäste und Animiermädchen erheben sich von ihren Plätzen und bleiben auch während des sich anschließenden »Heil dir im Siegerkranz« und der abschließenden »Wacht am Rhein« stehen. Das Garderobepersonal und die Toilettefrau sind im Saal erschienen und nehmen an der Huldigung teil.)
Ein Getreidehändler (ruft in den Saal): Es lebe die Nibelungentreie!
Alle: Hurra! Hurra! Hurra!
Der Besitzer (zu einem Stammgast): Ist Ihnen der Herr bekannt, was jetzt gerufen hat?
Der Stammgast: Selbstredend, das is doch der Kammerrat Knöpfelmacher!
(Der Besitzer stürzt auf die Zigeunerkapelle los, die nunmehr »Ich hatt' einen Kameraden« intoniert.)
Ein betrunkener Funktionär des Roten Kreuzes: Sie – bringen Sie noch einen Whisky mit Soda und eine Tra – Trabucco mit Spitz. Du – (Aufstoßen.)
Ein Kollege: Geh, was hast denn?
Der Funktionär: Dort siech ich einen Verwundeten von uns – den Mann schick ich morgen nach Neuhaus – den Mann schick ich morgen zur Konschtatierung –
Der Andere: Geh laß'n gehen!
Der Funktionär: Erlaube mir – das gibts nicht – den schick ich an die – (Aufstoßen) Front!
Ein Offizier (zu einem zweiten): Was steht heut im Bericht?
Der Zweite: Nix Neues.
Der Erste: No ja, aber Czernowitz!
Der Zweite: No das is doch nix Neues.
Ein Regimentsarzt (zu einem andern): Oiweh, da schau her, der dort in der zweiten Loge. Dem hab ich gestern einen C-Befund gegeben. Heut draht er schon. Mieser Baldower, aber so viel Zehner möcht ich haben, wie dem sein Alter Tausender.
Der Kollege: Ich versteh dich nicht, da bin ich ganz anders. Von mir kommt keiner zur Konschtatierung. Ausnahmen kann man ja machen. Aber im allgemeinen, das is doch einmal ein Gefühl, das man hat, wenn man die Burschen so vor sich zittern sieht. Wie einer anfängt zu zittern, ruf ich schon »Tauglich!« Da kann er Gift drauf nehmen. Umsornehr, wo wir doch jetzt nicht unter 50 % gehn dürfen, da wird das eo ipso erschwert mit den Ausnahmen. Besonders bei der Neunerkommission von der K-Musterung.
Der Regimentsarzt: Du, was ich dir erzählen wollte. Gestern war eine Hetz im Spital! Die Schwester Adele hat nämlich noch immer eine kolossale Angst vor mir und laßt dir die Leibschüssel fallen von einem Bosniaken mit Beckenschuß. Hättest die Freud sehn solln, was die andern ghabt haben. Das war dir ein Gekicher! No, bis ich aber dazwischen gefahren bin! Man muß den Weibern imponieren. Gestern war überhaupt ein Tag bei uns –
Der Kollege: Bei uns is das auch so. Der Ehrgeiz von so einer Aristokratin is mir unverständlich. Die andern machen Wäschekammer, Servieren und so. Die aber reißen sich förmlich um die Leibschüsseln.
Der Regimentsarzt: Ich muß gestehn, im Anfang hat mich das gereizt, so zu sehn, wie so feine Mädeln – aber man wird auch gegen das abgestumpft. Ich hab nachgedacht – warum tun sie das? No ja, sie wolln sich betätigen – Patriotismus und so. Wo hab ich nur gelesen, daß gerade wir Ärzte dagegen sein müßten, wegen dem Chok, den das weibliche Nervensystem bekommt, und weil sie für die Ehe verdorben wern! Probleme! Meschugge wird man sein und sich um Probleme kümmern im Krieg. Wir Praktiker –
Der Kollege: Was ich sagen wollte, gestern war ein Tag bei uns, wo man wirklich geglaubt hätt, man is in kan Spital, sondern in an Narrenhaus. Postarbeit! Fünf Fälle mit Zitterneurose hab ich an die Front gschickt.
Der Regimentsarzt: No und ich fünf Darmverwachsungen und drei Tabes. Ich sag jedem ins Gesicht: Schwindel!l Er kann doch keine Antwort geben, also ist der Schwindel so gut wie bewiesen. (Die Salonkapelle intoniert den Prinz-Eugen-Marsch.)
Der Kollege: Jetzt fang ich mir noch andere, da sind vor allem die typischen Schußverletzungen der linken Hand – ich wüßt auch wirklich nicht, wie man es anders machen sollt, wenn einem der Oberstabsarzt fortwährend am Gnack sitzt und dem der TeisingerTeisinger – Verantwortlicher für die Rekrutierungen, seine rücksichtslosen Methoden waren berüchtigt auf dem Puckel.
Der Regimentsarzt: Ja, es is ein Kreuz. Gestern hab ich einer wunderschönen Nephritis mit akuter Herzschwäche einen A-Befund gegeben. No also daß sie singend in den Krieg ziehn, davon hab ich bisher wirklich nicht viel bemerkt. Sehr animiert is heut das Lokal –
Der Kollege: Es geht. Es is unglaublich, wie man verroht. Man kommt faktisch, gar nicht mehr dazu, human zu sein.
Der Regimentsarzt: Ein guter Arzt, hat es immer geheißen für den, der zu Füßen Nothnagels gesessen is, hat vor allem ein guter Mensch zu sein. Ja, das verlernt man gründlich, ich gesteh es offen, und das ist das erste was man im Krieg verlernt. Konträr, ein guter Militärarzt darf gar kein guter Mensch sein, sonst kann er schaun, wie er vorwärts kommt, das heißt in den Schützengraben. No über mich wird sich der Teisinger in dem Monat nicht beschweren können. Ich liefer ihm, ohne daß er bestellt. Von mir aus!
Der Kollege: Bitt dich, wenn ma oben paar hundert Ruthenen so an einem Vormittag hat baumeln gsehn und unten paar hundert Serben wie ich, gwöhnt sich der Mensch an alles. Was is das einzelne Menschenleben wert? Du kennst doch den Fall, einer schreibt an seine Eltern, sie sollen unbesorgt sein, für den Notfall hat er ein weißes Tuch immer bei sich – der Brief kommt an mit dem Vermerk –
Der Regimentsarzt: Ich weiß: Absender standrechtlich erschossen. Bei uns is Ärgeres vorgekommen.
Der Kollege: Und bei uns? Ich schau nicht rechts, ich schau nicht links, ich schau vorwärts! Man müßt sich umbringen. Man will aber leben.
(Alles ist aufgestanden. Die Salonkapelle spielt »O du mein Österreich«, um sodann in die Melodie »Da habts mein letztes Kranl« überzugehen.)
Der Regimentsarzt: Sehr animiert is heut das Lokal.
Der Kollege: Ja, wahrscheinlich wegen Czernowitz.
Der Regimentsarzt: Wieso? Weil die Russen –
Der Kollege: Ja so – nein – oder doch. Oder – ich versteh das nicht – Schau die Paula an, bei dem Deutschmeisteroberleutnant. Die assentieret ich sofort.
Der Regimentsarzt: Du fliegst auf die?
(Rufe: Tango! Gegenrufe: Pfui! Nieder mit Tango! Walzer! Das is ein deutsches Lokal! Einer ruft: Wonstep! Antwort: Tepp!)
Ein Betrunkener: Gott – strafe – spielts Walzer, Scheißkerln, mir san in Wean!
Der Besitzer (auf den Stammgast einsprechend): Wissen Sie, wer der Fähnrich is, der jetzt hereingekommen is? Sehn Sie, das wissen Sie nicht. Das is der, von dem man doch gelesen hat, russische Soldaten haben ihn mit Strickleitern aus einem Sumpf gerettet. Jetzt kommt er jede Nacht zu uns!
(Verwandlung.)
Nacht. Der Graben. Es regnet. Menschenleer. Vor der Pestsäule. Man kann in eine Seitengasse blicken.
Der Nörgler (tritt auf):
So merk' ich wieder, wie's von unten regnet.
Aus Schlaf und Schlamm die alte Schlamperei,
sie spricht den schlaff zerlassenen Dialekt
des letzten Wieners, der ein Pallawatsch
aus einem Wiener ist und einem Juden.
Hier ist das Herz von Wien und in dem Herzen
von Wien ist eine Pestsäule errichtet.
(Er bleibt vor der Pestsäule stehen.)
Dies Wiener Herz, es ist aus purem Gold,
drum möchte ich es gern für Eisen geben!
O ausgestorbene Welt, das ist die Nacht,
der nichts mehr als der jüngste Tag kann folgen.
Verschlungen ist der Mißton dieses Mordens
vom ewigen Gleichmaß sphärischer Musik.
Der letzte Wiener röchelt noch im Takt
und läßt die Seele irdischen Behagens
rauschend, den letzten Regen dieser Welt
durchdringend, auf das nasse Pflaster fließen.
(Er blickt in die Seitengasse und gewahrt dort einen Betrunkenen, der mitten auf der Straße ein Bedürfnis verrichtet.)
Hier steht er, eine Säule seiner selbst,
in riesenhafter Unzerstörbarkeit!
Er kann nicht untergehn, es überlebt
dies Wahrzeichen der staubgebornen Lüge
das Ende aller Schöpfung und er weiß,
nur er allein ist von dem allen übrig,
das Sterben geht ihn einen Schmarren an,
sein innerstes Bedürfnis muß er stillen,
es bleibt die Spur von seinen Erdentagen,
und dieses ist der Weisheit letzter Schluß.
Und gierig lausch' ich seinem letzten Willen,
er hat dem Kosmos noch etwas zu sagen –
Der Betrunkene (steht unverändert da und spricht in rhythmischer Begleitung, immer wiederholend): Ein Genuß! – Ein Genuß! – Ein Genuß!