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Im Blätterwald so für mich hinzugehen und nichts als Stilblüten zu suchen, ist längst nicht mein Pläsier. Ich möchte sagen, es ist eine Aufgabe, wie wenn man Wasser in ein – nun, wie sagte die ›Neue Freie Presse‹ kürzlich? »Wie wenn man Wasser in ein hohles Faß schöpfen wollte«.
Wir glauben noch immer, das Unmögliche sei nicht möglich. Aber neulich lasen wir in einem Blatte, das allerdings erst erscheint, wenns schon finster wird, ein Referat über einen Vortrag, das die folgende Stelle enthielt:
»... Und nun entwickelte der Vortragende eine Historie des Tanzes; man vernahm erstaunt, daß diese fröhliche graziöse Kunst ebenso eine Geschichte habe, wie eine andere Kunst und daß sie ebenfalls Gegenstand ernsten Studiums sein könne. Der erste Tanz, der sogenannte Promenadentanz, entstand zu Florenz im 15. Jahrhundert; es tanzte ein Paar durch den Saal, während die übrige Gesellschaft bewundernd zusah.«
Und wann wurde das Schreiben erfunden? Man wird erstaunt vernehmen, daß auch diese fröhliche graziöse Kunst ihre Geschichte habe, aber bedauern, daß sie nicht ebenfalls Gegenstand ernsten Studiums sei. Denn der erste Artikel, das sogenannte Feuilleton, entstand zu Wien im 19. Jahrhundert; ein Schmock schrieb, während das Publikum bewundernd zusah.
Einige Kabaret-Pensionisten haben in Graz gastiert. Sie nennen sich »Elf Scharfrichter«. Und da begab es sich:
» ... Das Galeriepublikum scheint den Charakter dieser Künstlervereinigungen mißverstanden zu haben und erwartete insbesondere das Erscheinen wirklicher Scharfrichter auf der Bühne. Da es sich enttäuscht sah, begann es seinem Unwillen Ausdruck zu geben, zunächst durch Murren. Als aber Hugo Wolf-Lieder vorgetragen wurden, begann die Galerie laut ›Pfui!‹ zu rufen ...«
Nun möchte ich ja gerne der Auffassung beipflichten, daß das Publikum empört war, weil Hugo Wolf-Lieder von Kabaretiers gesungen wurden, anstatt von Sängern. Aber sympathischer ist mir doch die andere Auffassung, daß nämlich das Publikum empört war, weil die Kabaretiers Hugo Wolf-Lieder sangen, anstatt eine Hinrichtung vorzunehmen. Man kann nicht genug Züge aus dem Leben des Publikums zusammentragen. Einst prügelte es den Schauspieler, der den Franz Moor spielte, jetzt prügelt es ihn, wenn er unter diesem Pseudonym Lieder singt. Als ich einmal mit meiner kleinen Nichte einer Vorstellung des Lustspiels »Goldfische« beiwohnte, hörte sie drei Akte lang mit gespannter Aufmerksamkeit zu, bis ihr endlich die Geduld riß und sie aus voller Kehle rief. »Wo sind die Goldfische?« Auf diesem Standpunkt steht heute das erwachsene Theaterpublikum. Seine Äußerungen gehören in die Rubrik »Aus Kindermund«. Immer ist es in teilnahmsvoller Spannung, und es verträgt nur nicht, daß man ihm Rätsel zu lösen gibt. Wenn ein Dramatiker zum Beispiel im ersten Akt 100 000 Gulden verschenken läßt und den ganzen Abend hindurch von dieser großmütigen Handlung nicht mehr die Rede ist, so wird man im verzweifelten Ringen um die Garderobe die bange Frage hören: »Ich möcht' nur wissen, was mit den 100 000 Gulden geschehen ist!« Wie kann die Theaterästhetik so herzlos sein, von den Direktoren immer wieder zu verlangen, daß sie Ibsen spielen! »Tus nicht!« rief ein braver Mann von der Galerie dem Tell zu, als er eben auf das Haupt des leiblichen Kindes anlegte. Als aber einmal auf der Bühne des Burgtheaters eine Person in einem französischen Sittenstück den Satz aussprach: »Es ist eine schöne Pflicht der großen Banken, notleidenden Kaufleuten beizustehen!«, rief eine Damenstimme aus einer Loge ein langgedehntes, inhaltsschweres »Bravo!«. Einen Kritiker, der gern in Bildern spricht, traf dieses Familienschicksal, das wie ein Operngucker ins Parkett fiel, direkt auf den Kopf.
Es ist erfreulich zu sehen, wie unbeirrbar – trotz einer »Chinesischen Mauer« – der Glaube des Publikums an die Mission der ›Fackel‹ sich zu meinem Schreibtisch Bahn bricht. Eine und dieselbe Post brachte mir: eine Beschwerdeschrift, unterzeichnet von mehreren Leuten, Lehrern, Beamten und sonstigen Standespersonen, über die Grobheit eines Försters, der dem Pintsch einer Dame in der Sommerfrische auf den Fuß trat, so daß die Dame aufschrie, worauf der Förster mit der Tötung des Hundes, der ihm überhaupt unsympathisch war, drohte, so daß die Dame in Ohnmacht fiel, so daß die Herren nicht wußten, was sie machen sollten, und den Beschluß faßten, es der ›Fackel‹ zu sagen. Ferner: die Zuschrift eines Bäckers, die mit den mir unvergeßlichen Worten beginnt: »Entschuldigen Sie meine Freiheit! Ich habe soeben in Erfahrung gebracht, daß Sie unerschrocken jede Wahrheit, welche das Publikum interessiert, vor die Öffentlichkeit bringen und erlaube mir...«, und die mit dem lockenden Versprechen schließt, daß »sehr viele Sachen ans Tageslicht kommen« werden. Dann: die Mahnung eines Ungeduldigen, es sei schon höchste Zeit, daß sich die ›Fackel‹ für den Kampf um den Direktorsposten bei der Kreditanstalt interessiere. Endlich: die Klage eines Luftschiffers: »Obwohl ich seit Erscheinen der ›Fackel‹ so ziemlich deren sämtliche Nummern gelesen und was noch mehr ist, gekauft habe, bin ich doch bisher nicht in der Lage, mir ein Urteil über Ihr aviatisches Glaubensbekenntnis zu bilden«... Nun, wenn ich die Erwartungen der Leser auch nicht immer zu erfüllen im Stande bin, so werde ich doch stets bereit sein, die Distanz, in der ich zurückbleibe, zu bekennen.
Ein deutschnationaler Professor ist – bitteres Los – genötigt, sich gegen den Verdacht der Bevorzugung von Ostjuden wie folgt zu wehren:
Aus Liebedienerei gegen die Studenten habe ich Einseitigkeiten nie begangen und werde sie auch nicht begehen, denn ich bin heute immer noch der Meinung, daß die Professoren die Studenten zu erziehen haben, sich aber nicht von den Studenten erst zu erziehen haben lassen ...
Ich stelle fest, daß während meines Dekanates keine schrankenlose Aufnahme von Ostjuden erfolgt ist und im Gegenteil die Aufnahme der Ostjuden in weitgehendster Weise und nach klar umrissenen einheitlichen Normen herabgedrückt wurde.
Das war insofern ein Fehler, als ich überzeugt bin, daß sich unter den Ostjuden manche finden, die mehr Gefühl für die deutsche Sprache haben als sämtliche Ostdeutschen. Daß die Aufnahme in weitgehendster Weise herabgedrückt wurde – was auch anstrengend sein muß – ist sehr bedauerlich. Aber was sollten die ostjüdischen Studenten schließlich ausrichten? Die deutschnationalen Professoren wissen ganz gut, daß sie sich nicht von ihnen zu erziehen haben lassen. Und wenn man sie fragte, ob sie sich nicht vielleicht, nämlich in der deutschen Sprache, haben erziehen zu lassen (oder erziehen zu lassen haben), so würden sie vermuten, daß man sie mit echt talmudischer Spitzfindigkeit hineinlegen will.
des Herrn Paul Goldmann:
Man kann den zweiten Teil des »Faust« wohl nur so verstehen, daß Faust, der im ersten Teil das Glück vergebens im Genießen gesucht hat, es nun im zweiten Teil durch Handeln zu finden sich bemüht, bis ihm endlich die tiefe Wahrheit aufgeht, daß das Genießen nicht zum Glücke führt und daß das Handeln zwar dem Glücke näher, aber doch auch nicht ans Ziel bringt, weil eben dieses ersehnte Ziel des Glückes überhaupt unerreichbar ist, weil der Mensch immer nur nach Glück zu streben, niemals glücklich zu werden oder vielmehr es nur dann zu werden vermag, wenn er, indem er durch tüchtiges Handeln glücklich zu werden strebt, bereits im Streben nach dem Glück das Glück findet.
Der Worte sind genug gewechselt – nichts zu handeln? Weil man, wenn man, indem man so etwas liest, unwillkürlich ins Genießen kommt, nicht genug bekommen kann, so besteht das Glück darin, daß man bloß danach strebt, es zu Ende zu lesen und bereits im Streben nach dem Ende das Ende findet, was aber vor allem für die Leute gilt, die nicht viel Zeit haben, weil sie, wenn sie, indem sie durch tüchtiges Handeln glücklich zu werden verstehen, Geschäftsleute sind, etwas besseres zu tun haben, während der Mensch, was kommt arm auf der Welt, ist besser man hackt ihm gleich den Kopf ab.