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»Ordonnanz!!«
Der gerufene Puttfarken klappte die Hacken zusammen, so weit das seine krummen Beine erlaubten.
»Herr Kapitän befehlen?«
»Bist du schon einmal hier in Port-Said gewesen?«
»Zu Befehl, Herr Kapitän, schon ixmal.«
»Aber noch nicht in Kairo.«
»Da war ich schon zweimal.«
»So? Was hast du Wasserratte denn so weit drin in Aegypten zu suchen gehabt?«
»Ich wurde zweimal in Port-Said abbezahlt, bekam die Tasche voll Geld. Port-Said, Suez und die anderen Hafennester kannte ich damals schon, und da dachte ich: willst dir doch einmal Kairo ansehen, wo's so schön sein soll – und da bin ich eben hingefahren und habe mein Geld verjuxt, der Konsul mußte mich auf Regimentsunkosten wieder hierherschicken – und gerade so machte ich es auch das zweitemal, aber da wollte der Konsul nichts mehr von mir wissen, da mußte ich zu Fuß wieder nach Port-Said latschen.«
»Aber kennst du Kairo auch gründlich?« examinierte Flederwisch nach diesem offenen Geständnis weiter.
»Wie meine Hosentasche, Herr Kapitän,« versicherte Zwergnase.
»Na na, renommiere mal nicht. Kennst du in Kairo die Muski?«
»Das ist die Hauptstraße.«
»Kennst du in Kairo das Hotel du Nil?«
Zwergnase blinzelte vergnügt mit den Schlitzaugen und schmunzelte, daß er sich beide Ohren hätte abbeißen können. Er merkte, wie ihm sein Kapitän auf den Zahn fühlen wollte, weil er ihm nicht ganz traute.
»Das ist ja eben in der Muski, vom Eskanderiah-Platz gleich die zweite Straße rechts, eine sehr enge Gasse, geht steil bergab, aber dann wird's fein, dann kommt erst der berühmte Palmengarten, in dem das Hotel du Nil liegt. Da habe ich nämlich die Köcksch zur Liebsten gehabt, das Weibsbild war ganz vernarrt in mich, und als ich dann ...«
»Schon gut, schon gut,« fiel ihm der Kapitän ins Wort; denn wenn Jochen Puttfarken von seinen Liebesabenteuern anfing, dann wurde er niemals fertig. »Hast du auch schon vom Mehemed-Kanal gehört?«
»Nu freilich, das ist doch der Süßwasser-Kanal, welcher Ismailia und den ganzen Suez-Kanal mit Kairo verbindet, und ich werde doch Ismailia kennen! Ich habe zwar nur einmal ein paar Stunden dort gelegen, aber gleich hatte sich so eine kleine hübsche Griechin in mich ...«
»Schon gut, schon gut, stopfe deiner Worte Schleusen ... auf gut deutsch ausgedrückt: halt's Maul! Kennst du den Ort, wo der Mehemed-Kanal in den Nil einmündet?«
»Gerade dort steht eine Wirtschaft, die gehört einem Deutschen, oder einem Oesterreicher. Alois Sterzel heißt, er.«
»Himmeldonnerwetter!« rief jetzt Kapitän Flederwisch in aufrichtiger Bewunderung, »Kerl, hast du aber eine Ortskenntnis in Kairo!«
»Nu, die Sterzels werd' ich doch kennen! Als ich kam, war die alte Frau Sterzel gleich ganz weg in mich, sie war mir nur ein bißchen zu dick, sonst hätten wir beide ...«
»Schon gut, schon gut. Ich sehe, Jochen, du hast deinen zweimaligen Aufenthalt gut angewendet, wenigstens für meinen Fall, worauf es jetzt bei mir ankommt. Nun fragt es sich bloß noch: kannst du Arabisch?«
»Arabisch? Nee, das ist das einzige in Kairo, was ich nicht kenne. Das hat man in Aegypten auch gar nicht nötig.«
»Ich weiß es. Es war auch nur eine Frage von mir. Arabisch hast du gar nicht nötig. Sonst bist du zu gebrauchen zu dem, was ich mit dir vorhabe, denn als intelligenten Burschen kenne ich dich schon. Die Sache ist also folgende: wenn die ›Wetterhexe‹ hier Kohlen und Frischwasser eingenommen hat, dampft sie sofort in den Suezkanal, aber vorläufig nur bis Ismailia, dort bleibt sie liegen, mitten im großen Bittersee, dort liegt sie sicher vor Anker, dann kann auch ich nach Kairo reisen, um mich zu amüsieren, und getrost ein paar von euch Burschen mitnehmen ...«
»He jü!!« rief Puttfarken, im ganzen Gesicht freudestrahlend.
Jochen Puttfarken war nämlich aus der Gegend von Danzig – ein ›Danzikmann‹, wie er sich mit Stolz selbst nannte – und als solcher fing er mit Vorliebe jeden Satz mit ›He jü‹ an, seinem Kapitän als Respektperson gegenüber allerdings nicht, nur wenn er sich vergaß.
»Halt's Maul und beiß' dir nicht die Ohren ab. Mit dir habe ich noch etwas ganz anderes vor. Du sollst jetzt sofort nach Kairo vorausreisen.«
»He jü! Als Quartiermacher?«
»Als Quartiermacher für mich und für die Leute der ›Wetterhexe‹? Nein du sollst in Kairo überhaupt nichts mit der ›Wetterhexe‹ zu tun haben, du reist auch nicht als Matrose, sondern als Gentleman mit Zylinder und weißer Kravatte.«
»Ich mit der Angströhre? He jü!« rief Zwergnase, aber jetzt noch freudestrahlender als zuvor. »Wozu denn das?«
»Das wirst du dann alles noch erfahren. Auch einen Diener wirst du mitnehmen.«
»Ich einen Diener?«
»Hier von Bord.«
»Wen denn? Den Klaus? Den Paul?
Flederwisch hob warnend den Finger und beugte sich etwas vor.
»Ich will es dir verraten – den Master – der begleitet dich als dein Diener.«
»Den – den – den – unseren Master?« stotterte Puttfarken.
»Jawohl, Mister Nobody, das ist dein Diener – und du selbst sollst in Kairo als Mister Nobody auftreten. Verstanden?«
Ja, jetzt hatte Puttfarken sofort verstanden, so dumm war er nicht, und er schmunzelte nicht schlecht. Nobody, sein eigentlicher Herr und Meister, wollte sich eben nach der langen Seereise wieder einmal amüsieren, hatte irgend einen Streich vor.
»Jetzt gehe dorthinein in sein Kontor,« schloß Flederwisch, auf eine Seitentür deutend, »du erhältst von ihm selbst ausführliche Instruktion.«
Nach diesem Vorspiel in Port-Said versetzen wir uns direkt nach Aegyptens Hauptstadt, nach Kairo, von der internationalen Lebewelt das afrikanische Paris genannt, und zwar auf den Hauptbahnhof.
Der von Alexandrien kommende Schnellzug lief in die Halle ein.
»Kairo! Caire! Medinet el Kahira! « riefen die Schaffner in drei Sprachen und rissen die Coupétüren auf.
Während die dritte Klasse ausschließlich Araber und arme Juden enthalten hatte, strömten aus der ersten und zweiten alle die eleganten Herren und Damen heraus, welche nur zum allergeringsten Teil des Geschäftes wegen nach Kairo kommen, sondern welche das afrikanische Paradies als Tummelplatz aller raffiniertesten Leidenschaften schon kennen oder erst kennen lernen wollen.
Draußen vor dem Hauptportal lauern die Eseljungen mit ihren Grautieren, und wehe dem Unglücklichen, der sich ihnen unkundig naht, um einen Esel auszusuchen. Im Nu ist er von Dutzenden der braunen, halbnackten Burschen umringt.
»Sieh, Herr, diesen Dampfwagen von einem Esel, wie ich ihn dir anbiete, und vergleiche mit ihm die übrigen, welche die anderen Knaben dir anpreisen. – – Nein, Herr, nimm meinen, alle anderen müssen mit dir zusammenbrechen, denn du bist ein starker Mann. – – Alle anderen sind erbärmliche Geschöpfe, aber der meine! mein Esel! er wird mit dir wie eine Gazelle davonlaufen. – – Doch der meine ist ein Kahiriner Esel, sein Großvater war ein Gazellenbock und seine Urgroßmutter ein Strauß der Wüste ...«
So schwirrt es dem Fremden von allen Seiten in die Ohren.
Nun, das ist doch ganz manierlich, diese Art von Anpreisung.
Ja, das ist aber auch erst die Einleitung!
Die poesievollen Knaben haben sich erst der arabischen Sprache bedient, dabei aber auch schon Brocken von sämtlichen Kultursprachen mit einfließen lassen, und nun haben sie es heraus, der Fremde ist ein Deutscher, und nun wird ein anderes Register in der Orgel gezogen.
»Herr Baron, mein Esel, hier, mein Esel!! – – Mein Esel, Herr Graf, mein Esel gutster Esel! – Herr Oberst-Leutnant, mein Esel Kaiser-Wilhelm-Esel, Achtung, prääääsentiert die Gewehr, maaaaaars! – – Mein Esel Bismarck-Esel, nickt mit die Kopf, nickt mit die Schwanz ...«
Wenn nun aber auch das nichts hilft, der Fremde in seiner Wahl noch immer schwankt – seinen Entschluß kann er überhaupt gar nicht ausführen – dann wird zugepackt, drei Dutzend schmutzige Hände krallen sich in seiner Kleidung fest, jeder zieht, jeder reißt, und wenn der elegante Fremdling endlich auf dem Rücken eines Esels sitzt, hat er sicher kaum noch das Hemd auf dem Leibe. Und da ist nichts zu machen, da gibt es keine Entschädigung oder so etwas.
Entweder man muß mit einem frischen Anlauf auf den nächsten Esel springen, oder besser noch wendet man sich an einen der mit Spazierstöcken bewaffneten ägyptischen Soldaten, welche bei jeder Eselstation stehen und auch die Rolle von Schutzleuten spielen.
Dies tat auch eine durch ihre Schönheit auffallende Dame. Wenn wir noch hinzufügen, daß sie noch durch ihre schwarze Witwentracht auffiel, so weiß der geneigte Leser, daß er nicht glauben darf, er habe etwa den als Dame verkleideten Nobody vor sich, sondern daß es Madame Lenois ist, welche Kairo erreicht hat.
Der angesprochene Soldat pfiff, wohl kamen die Eseljungen mit ihren Tieren in Sturmschritt angerannt, aber angesichts des Auges des Gesetzes ging hier alles mit Ruhe ab.
Die Dame schaute noch einmal um sich, sah zwei elegante Herren, welche sich gleichfalls auf diese Weise Esel verschafften, dann trat sie auf die untergehaltene Hand des Jungen, der diesen Ritterdienst mit Geschick ausführte – er hatte ja auch nichts weiter zu tun, als sich in so etwas zu üben – und schwang sich mit Grazie in den Sattel.
»Hotel du Nil.«
»Fliehe hin, du meine Gazelle, meine Schwalbe, o du mein Augapfel,« sagte der Eseltreiber und stach mit dem spitzen Stock seinem Augapfel ins Hinterteil.
Hierauf sagte die Schwalbe »hi – i – hi – i – hi – i – – aaaaaahhhhh!«, schlug einmal nach hinten aus, trat einem Soldaten und Schutzmann in den Bauch, und dann ging es fort wie ein Donnerwetter.
Denn diese ägyptischen Esel sind keine faulen, degenerierten Mülleresel. Ein guter Reitesel wird dort so hoch wie das beste Reitpferd bezahlt, denn er leistet auch ebensoviel.
Die Reiterin hatte das Gartenportal des Hotels erreicht.
»Ist eine Depesche aus New-York für mich angekommen – für Madame Lenois?« war ihre erste Frage, hastig an den Portier gestellt, noch ehe sie aus dem Sattel gestiegen war.
»Ich werde gleich nachsehen, Madam.«
Man sah ihr an, wie erzürnt sie war, daß der Mann dies nicht gleich aus dem Kopfe wußte.
Während der Portier in seiner Loge zwischen Briefen und Papieren kramte, kamen die beiden Herren angeritten, nach denen sich die Dame vorhin umgeschaut hatte. Auch jetzt wurde ein Blick gewechselt, Marguérite hob leise die Schultern, aber sonst taten die beiden Parteien, als ob sie einander nicht kennten. Die zwei Herren machten sich in dem Portal zu schaffen, studierten die Fahrpläne.
»Nein, Madam, es ist nichts für Sie da, weder Brief noch Depesche,« meldete der zurückkommende Portier.
Die Enttäuschung war in ihrem Gesicht noch deutlicher zu lesen, als vorher ihr Unmut. Der Portier mußte ihr nochmals versichern, daß wirklich nichts für sie eingetroffen sei.
Schließlich schien sie sich in das Unvermeidliche zu ergeben, sie stieg vom Esel.
»Bezahlen Sie den Jungen! Ich werde hier logieren. Hier sind die Gepäckscheine. Kann ich zwei Zimmer bekommen? Ein Schlafzimmer und einen Salon.«
Ein Kellner nahm sie ins Schlepptau, und dieser scharfblickende Geist ließ sich nicht dadurch beirren, daß die schöne Dame etwas verstaubt aussah, die hatte Geld im Beutel – er zeigte ihr in der Beletage die teuersten Zimmer, und in Preisen kann Hotel du Nil etwas leisten! Dieses Hotel rühmt sich, in seinem Fremdenbuch mehr Fürstlichkeiten und berühmte Persönlichkeiten verzeichnet zu haben, als jedes andere Hotel der Welt, Und das mit Recht. Für diese Fremdenbücher des Hotel du Nil sind von reichen Autographensammlern schon enorme Summen geboten worden.
»In diesen Zimmern hat zuletzt die Herzogin von Cleveland gewohnt,« erklärte der Kellner.
Hastig wandte sich ihm die Dame zu.
»Warum betonen Sie das so?!«
»Nun ... nun ... das macht unser Renommee aus, und es ist doch ein Unterschied, ob in einem Zimmer, welches man beziehen will, zuletzt Ihre Durchlaucht die Herzogin von Cleveland gewohnt hat oder der Totengräber von Trippsdrille.«
Marguérite hatte sich schnell wieder beruhigt.
»Ja, diese beiden Zimmer gefallen mir. Aber wohin führt hier diese Tür vom Salon aus?«
»In ein anderes Schlafkabinett.«
»Zeigen Sie mir dieses einmal!«
»Bedauere, das ist besetzt.«
Marguérite begab sich aus dem Salon in das Schlafzimmer zurück, und jetzt mit einem Male gefiel ihr auch dieses nicht mehr.
»Zeigen Sie mir zwei andere Zimmer.«
»In dieser Etage?«
»Ganz gleichgültig. Ein Schlafzimmer und einen Salon.«
Bei der nächsten Besichtigung stellte sie wieder dieselben Fragen, sie wollte auch das andere an den Salon grenzende Zimmer sehen, dieses war abermals besetzt – wieder nichts! – und als sie nun einem dritten Salon, an dem sie wahrhaftig nichts auszusetzen gehabt hatte, der aber nur mit einem einzigen Schlafkabinett in direkter Verbindung stand, gar keine Beachtung schenkte, da wußte der befrackte Geist, was es geschlagen hatte. Denn der kannte doch seine Pappenheimer, auch seine Pappenheimerinnen, und nun hier in Kairo, im Hotel du Nil!
»Wollen sich Madam in die nächste Etage hinaufbemühen?«
Der Salon, den er ihr oben zeigte, besaß wieder zwei Türen.
»Sie können von den beiden Schlafkabinetten wählen, welches Sie belieben, beide sind frei.«
Jetzt hatte die verwöhnte Dame ihre Wahl sofort getroffen – – und richtig, es kam alles ganz genau so, wie der Kellner es vorausgesehen hatte, beobachtete er doch auch, wie sich die Dame draußen beide Zimmernummern besehen hatte.
»Gut, ich werde dieses Kabinett hier links nehmen. Kann man jene andere Tür dort auch fest abschließen?«
Nu natürlich, bombensicher! Der Kellner zog gleich den Schlüssel ab und überreichte ihn ihr.
»Sie können auch noch von innen verriegeln,« sagte er, lächeln tat er freilich nicht dabei, über so etwas muß solch ein Kellner erhaben sein.
»Ich werde erst noch einmal hinab zum Portier gehen, vielleicht ist jetzt die Depesche eingetroffen.«
Jawohl, gehe nur zum Portier! Der Kellner ging einstweilen in das andere Schlafzimmer, rückte gleich eigenhändig das Bett von der Türe ab, damit das dann nicht erst der zu erwartende Gast zu tun brauchte.
Richtig, da kam er schon – sogar gleich zwei!
»Wir möchten ein Zimmer haben.«
»Bitte sehr, vielleicht gleich dieses hier?«
Komisch sah es aus, wie sich die beiden erst vergewisserten, was das angebotene Zimmer für eine Nummer habe – ob die Nummer, welche die wieder hinabgegangene Dame ihnen unten im Portal beim Vorbeigehen zugeflüstert hatte.
»Aber wir möchten zwei Betten haben.«
»Gewiß. Sie können auch drei hereinbekommen.«
»Nein, wir sind zu zweit. Wohin geht diese Tür hier?«
»In einen Salon, welchen eine Dame innehat, Madame Lenois. Die Tür ist gut verschlossen, die Herren können auch zuriegeln.«
Jetzt war die Sache arrangiert. Drüben die Dame, hüben die beiden Herren, und in der Mitte das neutrale Gebiet, der ›Treffpunkt aller Fremden‹.
Warum nicht? Never mind. Deshalb verzog von dem Hotelpersonal niemand eine Miene. Man war doch in Kairo. Amüsant war höchstens, wenn die da drin glaubten, sie hätten ihre Sache recht gut gemacht, niemand könne ahnen, was sie beabsichtigten.
Nur der jüngste Kellnerstift hatte daran etwas auszusetzen.
»Aber gleich zwee, das ist doch ein bißchen viel,« grinste er und erhielt dafür eine Backpfeife.
Ja, es war so, und doch irrte man sich vollkommen. Aber das war ja den Kellnern auch höchst gleichgültig.
In ihre Zimmer zurückgekehrt, verriegelte Marguérite die nach dem Korridor führenden Türen, dann lauschte sie an der dritten, dann ein ›Pst‹, sie schloß auf und befand sich ihren beiden Reisegefährten gegenüber, obgleich sie während der ganzen Reise nichts von ihnen hatte wissen wollen, Mr. Huxley nannte sich noch immer so, der von ihm in New-York Bob Angeredete hieß jetzt Mr. Wall.
»Mr. World hat mir noch keine Depesche geschickt,« begann Marguérite.
»Dann ist Nobody eben noch nicht da, hat an Mr. World also auch noch nicht telegraphieren können, oder ...«
Ein Klopfen an der Korridortür des Salons ließ alle zusammenschrecken. Schnell wurde die Barriere wiederhergestellt.
»Wer ist da?« rief Marguérite.
»Ein Gentleman bittet Madam, ihr seine Aufwartung machen zu dürfen,« erklang draußen des Kellners Stimme.
»Was für ein Gentleman?«
»Ein Gentleman aus London, ich habe seine Karte hier.«
»Einen Augenblick.«
Marguérite schlüpfte geräuschlos nach der Tür, schloß sie ganz leise auf, öffnete sie nur ein wenig, der Kellner steckte ihr sofort durch die Spalte die Karte zu.
»Lassen Sie den Herrn eintreten, ich will nur noch etwas Toilette machen.«
Der in den Salon Tretende war ein karrierter Engländer, wie er im Buche steht, wenn er auf Reisen ist. Das sagt schon genug. Nun braucht solch ein Engländer aber doch nicht gerade eine dürre Hopfenstange zu sein, es gibt auch dicke Engländer genug,
sogar sehr dicke – und solch ein sehr dicker Engländer von Mittelgröße war das hier, und trotzdem war es ein karrierter Engländer mit allem, was dazu gehört, also auch mit Bartkoteletten und mit einem grünen Nackenschleier um den hohen Strohhut.
Doch diesen Strohhut müssen wir uns etwas genauer ansehen. Er trug noch einen seltsamen Schmuck, er war nämlich ringsherum und überall mit langen, dünnen Nadeln gespickt, mit sogenannten Insektennadeln, und an jede, war eine Fliege gespießt – nicht etwa Käfer und Schmetterlinge, sondern nur Fliegen – Fliegen und nichts als Fliegen, freilich kleine und große, darunter auch ansehnliche Brummer, und keine einzige hatte den Kopf mehr.
Ferner muß noch eine andere Eigentümlichkeit dieses dickbäuchigen Engländers erwähnt werden – eine Eigentümlichkeit, welche nicht zu seiner Kleidung, sondern direkt zu seiner eigenen Person gehört.
Mit offenem Maule – – Pardon, mit offenem Munde war Mr. Cerberus Mojan in den Salon getreten, mit weit geöffnetem Munde blieb er stehen, mit weit geöffnetem Munde sah er sich nach einer Person um, und als er nun keine fand, da ... sperrte er seinen Mund noch etwas weiter auf.
Mr. Cerberus Mojan gehörte nämlich zu jenen seltenen Menschen, welche immer den Mund offen haben, mit Ausnahme wenn sie sprechen oder essen, und Mr. Cerberus Mojan hatte den Mund immer ganz besonders weit offen, etwa so weit, daß man bequem einen Kartoffelkloß hineinstecken konnte. Nun sind freilich Kartoffelklöße von sehr verschiedenem Kaliber, und so wollen wir sagen: einen von jenen Kartoffelklößen, von denen ein normaler Mensch mit normalem Appetit vier verspeisen kann. Genauer ist die Weite von Mr. Mojans chronischer Maulsperre auch in Nobodys Tagebuch nicht angegeben.
Ein Glück nur, daß der Mann wenigstens gute Zähne hatte.
Die Seitentür öffnete sich, Marguérite trat ein. Ihr sonst so bleiches Gesicht war etwas gerötet.
Nein, das kann er unmöglich sein!
Das war ihr erster Gedanke, und wieder prägte sich in ihrem schönen Antlitz Enttäuschung aus. Sie hatte geradezu geglaubt, es müsse Alfred sein, der sie besuchen wollte, und in einer unklaren Vorstellung mischte sich nur immer noch der Gedanke ein, daß er jetzt doch ein Verwandlungskünstler war, der sein Talent in Ernst und Scherz ständig verwendete.
Der karrierte Engländer machte seinen Mund mit einem hörbaren Klappen zu und neigte seine Gestalt etwas vornüber.
»Cerberus Mojan, Schmieröl Schwefel Schokolade,« sagte er dabei mit schnarrender Stimme, klappte seine Figur wieder in die Höhe und machte wieder den Mund möglichst weit auf.
Das Weib war für alles andere, was sich nicht mit ihrem einzigen Gedanken verbinden wollte, unempfänglich.
»Sehr angenehm. Was verschafft mir die ...«
Das Wort erstarb ihr im Munde. Da nämlich geschah etwas, was sie in der Erinnerung plötzlich nach New-York in das Kontor des alten Verlagsbuchhändlers zurückversetzte – drei Wochen später, hier im afrikanischen Kairo, sollte sie etwas ganz Aehnliches erleben, nur daß es hier nicht gar so weit kam wie damals.
Ueber das steife Gesicht des Engländers ging es plötzlich wie Sonnenschein, und, den Schmerbauch hin- und herwiegend, tänzelte er mit ausgestreckter Hand auf Marguérite zu.
»Endlich, Mr. Nobody, ich warte schon seit drei Tagen auf Sie!«
Marguérite prallte mit weitgeöffneten Augen zurück. Sie hatte nur ein Wort gehört.
»Aber, mein Herr, Sie verkennen mich, ich bin ...«
Dieser Engländer hier machte es viel kürzer, als Mr. World, er war leichter von einem Irrtum zu überzeugen.
»Sie sind nicht Mr. Nobody?«
»Nein doch, nein, aber ...«
Klapp, verschwunden war das sonnige Lächeln, das steife Gesicht war wieder da, Mr. Mojan machte wieder den Mund auf und griff in die Brusttasche, brachte ein dickes Notizbuch zum Vorschein.
»Aber so sagen Sie mir doch, mein Herr ...«
»Cerberus Mojan, früher in Firma Cerberus Mojan und Ko., Schmieröl Schwefel Schokolade. Sie kennen doch diese Londoner Firma, nicht wahr? Ja, da war ich früher drin, ich war der Hauptmacher, ich reiste. Vor einem Jahre bin ich ausgetreten, habe mich zur Ruhe gesetzt. Es war ein Fehler von mir. Ich reise noch immer für diese Firma. Gegen Provision, wissen Sie. Na, Madam, wie wär's denn mit etwas Schmieröl? Geben Sie mir einen Auftrag.«
Also schnarrte der Mann in abgerissenen Sätzen, dazwischen immer den Mund sperrangelweit aufmachend, und jetzt, wie er so dastand, Notizbuch und Bleistift in der Hand, verwandelte sich wiederum sein Gesicht. Mit vertraulichem Schmunzeln, ohne aber dabei den Mund zuzumachen, blickte er seitwärts nach der Dame, von welcher er den Auftrag erhoffte.
Marguérite wußte nicht, was sie davon denken sollte. Sie dachte überhaupt gar nichts. Sie hatte nur gehört, wie dieser Mann gesagt, er erwarte schon seit drei Tagen Mr. Nobody.
»Mein Herr, ich bitte Sie ...«
»O, Sie haben doch schon von Mojans patentiertem Schmieröl gehört!« tat Mr. Cerberus jetzt etwas beleidigt. »Der Hauptbestandteil ist Klauenfett. Haben Sie nicht eine Nähmaschine? Sie können es auch innerlich einnehmen. Es führt großartig ab. Ebenso dienlich ist es zum Befördern des Haarwuchses. Und einem Hottentotten habe ich einmal damit fünf Bandwürmer und achtundfünfzig lebendige Spulwürmer abgetrieben. Na, da bestellen Sie doch ein Tönnchen, Madam.«
»Ja, ...ja, ...« begann Marguérite zu stottern, »ja ...«
»Danke, Madam, danke sehr. Also eine Tonne Schmieröl ...« die Bestellung wurde notiert, » ... nicht wahr, Sie brauchen's recht bald? Gewiß, wird noch heute geliefert, frei ins Hotel. Ich habe nämlich ein großes Lager, führe es stets bei mir auf der Reise. – Na, Madam, wie wär's denn nun noch mit etwas Schwefel? Mojans patentierter Schwefel, Sie wissen doch. Weltberühmt! Ich würde Ihnen Schwefelblume anraten. Das ist bei uns gepulverter Schwefel, den können Sie essen, da ist keine Schwefelsäure drin. Sie scheinen überhaupt etwas skrofulös zu sein. – Na, Madam, ein Tönnchen Schwefel? Tun Sie es doch mir zu Gefallen. Es ist heute mein erstes Schwefelgeschäft. Also darf ich ein Tönnchen notieren?«
»Ja ... ich ... ich ... ja ...«
»Danke, Madam, danke sehr, also eine Tonne Schwefel ...«
Während er notierte und nicht sprach, hatte er natürlich wieder den Mund weit auf, und da bekam Marguérite etwas zu sehen, was sie mit Entsetzen erfüllte und ihr vollends den Glauben an den Verstand dieses Mannes raubte.
Plötzlich sah sie nämlich in dem Munde desselben eine große Fliege herumschwirren, und das war leicht begreiflich, daß sich die dahinein verirrt haben konnte – – klapp! ging es. Mr. Cerberus Mojan hatte nämlich den Mund zugeklappt, die Fliege war in der Falle gefangen, und der Engländer legte schnell das Notizbuch auf den Tisch, schlug den Rock etwas zurück, Marguérite sah ein ganzes Arsenal von dünnen Nadeln, er zog eine solche heraus, jetzt brachte er die Fingerspitze vor den Mund, die unglückliche Fliege wurde mit der Zungenspitze vorgeschoben und von den Fingern vorsichtig in Empfang genommen, ihr – Marguérite sah es ganz deutlich – der Kopf abgerissen, dann wurde sie auf die Nadel gespießt und als neue Jagdtrophäe an den Hut gesteckt.
Dies alles war aber viel schneller geschehen, als sich hier erzählen läßt. Mr. Mojan mußte schon eine außerordentliche Uebung darin besitzen – das sah man doch auch seinem Hute an.
Hiermit war er aber noch nicht fertig.
»Wieder eine,« schmunzelte er vergnügt, als er ein anderes Notizbuch aus der Tasche zog, »das war die ...? Die sechstausendzweihundertdreiundachtzigste. Wartet, ich will euch Geschmeiß schon noch die Lust vertreiben, meinen Mund als Asyl für Obdachlose zu betrachten. So, die war wieder notiert, – Nun, Madam,« er steckte dieses Notizbuch ein und nahm wieder das andere vom Tisch, »nun mache ich Sie noch auf meine appetitliche Schoko ...«
Er verstummte, er erstarrte, er lauschte.
»Moooooiiiaaaa,« erklang es unten im Hofe oder auf der Straße in singendem Tone, »Mooooiiiaaaa!«
»Das ist er, da kommt er, er ruft mich schon!!!«
Mit diesen Worten war Mr. Cerberus Mojan zur Tür hinausgestürzt, diese offen lassend, und Marguérite sah auf dem Korridor ihren Zimmerkellner stehen, oder vielmehr noch im Zurückprallen begriffen, denn er hatte jedenfalls an der Tür gelauscht oder durchs Schlüsselloch gespäht.
Nur von einem einzigen Gedanken beseelt, war Marguérite ebenfalls sofort nach der Tür gesprungen, jedenfalls, um den Flüchtling festzuhalten, mehr von ihm zu erfahren, aber der war schon fort, und sie traf mit dem Kellner zusammen.
»Wer war dieser Herr? Kommen Sie herein! Wer war dieser Herr?«
Der Kellner hatte Mühe, seine Würde zu wahren.
»Das war Mr. Mojan aus London. Er logiert seit drei Tagen hier, es ist ein sehr merkwürdiger Herr, jedem will er Schmieröl, Schwefel und Schokolade ...«
»Ich weiß, ich weiß, das ist mir gleichgültig. Er erwartet hier einen Herrn?«
»Ja, den Mr. Nobody. Haben Sie vielleicht schon von diesem Detektiv ...«
»Gewiß doch, gewiß doch,« drängte Marguérite, »ich meine, ob er ihn wirklich hier erwartet.«
»Es scheint so, und das Kuriose dabei ist, er hält zuerst jeden Menschen für den Erwarteten, fragt ihn, ob er Mr. Nobody ist, und es ist ja wahr, dieser Detektiv soll sich in die verschiedensten Gestalten verwandeln können, aber so, wie es dieser Engländer treibt – – es ist sogar schon passiert, daß er einen alten arabischen Bettler ohne Beine, der immer vor dem Hotel auf der Straße liegt, gefragt hat, ob er nicht ...«
»Ich meine,« unterbrach das immer aufgeregter werdende Weib den Kellner abermals, »ob dieser Mr. Mojan ihn wirklich hier zu treffen glaubt.«
»Er behauptet, Mr. Nobody habe ihn hierher nach Kairo in das Hotel du Nil zu einer Unterredung bestellt, und es muß wohl so sein, denn wenn auch Mr. Mojan sehr eigentümlich ist, sonst ist er gar nicht der Mann, sich ...«
Marguérite eilte schon die Treppe hinab.
Es war ein arabischer Wasserträger gewesen, welcher sich mit dem Rufe › moia ‹, welches auf deutsch ›Wasser‹ ist, in der engen zum Hotel du Nil hinabführenden Gasse angekündigt hatte.
In Kairo herrscht nämlich unter der arabischen Bevölkerung ständiger Wassermangel. Diese Leute wohnen nicht zur Miete, jeder hat sein eigenes Häuschen, und wenn es auch nur eine Lehmhütte ist, wie sich solche sogar noch in der glänzenden Muski finden – eine Wasserleitung, welche wohl vorhanden ist, lassen sich die doch nicht legen. Sämtliche Brunnen liefern salziges Wasser, welches wohl zum Waschen zu gebrauchen ist, aber nicht zum Trinken, und so wandern durch die Straßen von Kairo, wie schon vor Hunderten von Jahren, noch heute die Wasserträger, auf dem Rücken den gefüllten Ziegenschlauch, aus dem sie gegen ganz geringes Geld in den arabischen und griechischen Häusern die Wasserurnen füllen. Das heißt, als eine Wasserkalamität wird das dort nicht empfunden, die Leute sind es nicht anders gewöhnt, so gut wir uns Kohlen kaufen müssen, während in holzreichen Gegenden die Bauern sich ihr Feuerungsmaterial aus dem Walde holen.
Außerdem bedienen diese Wasserträger die Durstigen gleich direkt.
Es war ein riesenhafter Araber, nackt bis auf ein kurzes Höschen, der vor dem Hotel du Nil sein ›mooooiiiaaaa‹ sang.
Aus der Nebengasse kam ein junger Mann im seidenen Kaftan, unter dem einen Arm einige Bücher, mehr noch als durch diese durch den rotseidenen Sonnenschirm als arabischer Student ausgezeichnet, er ging auf den Wasserträger zu, gab ihm einen Piaster, 20 Pfennige, neigte den Kopf zurück, sperrte den Mund auf, der Riese hob das über seine Schulter hängende Rohrstück hoch empor, drückte mit der anderen Hand hinten auf das auf seinem Rücken hängende Ziegenfell, und in großem Bogen sprang das Wasser aus dem Rohre direkt in den offenen Mund und wurde so geschickt aufgefangen und geschluckt, daß auch nicht ein einziger Tropfen verloren ging. Freilich will dieses Auffangen und Schlucken gelernt sein.
Der Student ging weiter. Das war ein teurer Trunk gewesen. Sonst kostet von diesem filtrierten Nil-Wasser die große Urne voll, welche einen Haushalt für den ganzen Tag versorgt, nur zwei Pfennige, d. h. man gibt dem Träger immer nur die kleinste Kupfermünze. Aber der junge Student brauchte deshalb nicht verschwenderisch gewesen zu sein.
Ein Bettler nahte sich dem Wasserträger, ließ sich tränken und ging davon, ohne etwas bezahlt zu haben. Dann kam ein zerlumpter Judenjunge, von dem der Mann erst recht wußte, daß er nichts bekam, und doch blieb der Wasserträger sofort stehen und ließ das erquickende Naß dem Durstigen in hohem Bogen in die Gurgel laufen, und er hatte ein Werk der Barmherzigkeit getan, welches Gott wohlgefällig ist, nicht dem Gotte der Mohammedaner oder der Juden, sondern jenem Gotte, welcher es vom Himmel regnen läßt, auf daß die von ihm geschaffenen Wesen nicht dursten.
»Mooooiiiaaaa!«
»Hier bin ich, Cerberus Mojan,« erklang es da jauchzend. »Mr. Nobody, nicht wahr? Freut mich sehr.«
Der Riese blickte herab in das offene Maul, das sich ihm entgegensperrte, es gehörte einem Franken an, dem mußte er eine ganz besondere Ehre antun, also er hob das Wasserrohr noch etwas höher und drückte auf seinen Wassersack noch etwas kräftiger als sonst, und wohl spritzte der mächtige Wasserstrahl direkt in den offenen Mund, aber Mr. Cerberus Mojan verstand die Kunst dieses Trinkens nicht, er fing gleich an zu gurgeln und zu spucken, und da bekam er den kleinen Wolkenbruch in Form einer kalten Dusche erst ins Gesicht und dann über den ganzen Kopf.
»Aber ... aber ... Mr. Nobody ...« gurgelte der in- und auswendig Gebadete.
»Das ist nicht Mr. Nobody, das ist Ali der Wasserträger, ich kenne ihn doch,« erklärte der Portier, welcher die wenigen Schritte herbeigeeilt war.
»Sie sind wirklich nicht Mr. Nobody?« fragte der Engländer, und dann glotzte er wieder mit offenem Maule zu dem Riesen empor.
Der hatte mitleidig lächelnd auf den ungeschickten Franken herabgeblickt, und weil der ihm immer noch das offene Maul entgegenhielt, dachte er, der wolle es noch einmal probieren, und Ali war gutmütig – – klatsch, Mr. Cerberus Mojan bekam einen neuen Wolkenbruch in den Hals und ins Gesicht, noch einen ganz anderen als vorhin.
Als er wieder sehen konnte, war der Riese verschwunden.
»Es scheint doch nicht Mr. Nobody gewesen zu sein, sonst hätte der sich doch zu erkennen gegeben. Aber rief er mich nicht beim Namen?«
Der Portier erklärte ihm, daß Wasser auf arabisch moia hieß.
»So, so. Wo ist der Kerl? Er hatte doch einen Ziegenschlauch auf dem Rücken? Da könnte er vielleicht ein Tönnchen Schmieröl ge ...«
»Mein Herr, darf ich mit Ihnen noch ein Wort sprechen?«
»Aaah, Madame Lenois! Richtig, wir wurden unterbrochen, ich wollte Ihnen gerade eine Offerte in Schokolade machen. Einen Augenblick, gestatten Sie nur, daß ich mich etwas abtrockne.«
»Ich stehe Ihnen dann zu Diensten, bitte Sie jetzt nur um Beantwortung einer Frage. Sie erwarten hier Mr. Nobody?«
Mr. Mojan rumpelte sich mit dem Taschentuch im Gesicht herum. Schließlich war es ja nicht so schlimm gewesen, das genau abgemessene Quantum Wasser war nur für einen Durstigen berechnet gewesen, und ebenso war Mr. Cerberus Mojan gar kein so schlimmer Handlungsreisender, es ließ sich ganz gut mit ihm reden, nicht bloß von Schmieröl, Schwefel und Schokolade. Für einen Engländer war er sogar außerordentlich zuvorkommend und redselig.
»Ja, ich erwarte Mr. Nobody. Er hat mich hierherbestellt. Kennen Sie diesen berühmten, amerikanischen Detektiv?«
»Ich ... ich ... kannte ihn vor vielen Jahren.«
»Was?!!« fuhr da der Engländer empor. »Sie kannten ihn schon vor vielen Jahren?! Da wissen Sie auch, wer dieser Mann eigentlich ist?«
Mit Weiberschlauheit erkannte Marguérite sofort den gewonnenen Vorteil.
»Ja, ich weiß, wer er ist,« entgegnete sie, obgleich sie durchaus nicht daran dachte, sich jenem zu offenbaren.
»Kommen Sie, kommen Sie, wir setzen uns hier in die Laube. Das müssen Sie mir erzählen – weiß Gott, ich gebe Ihnen auch zehn Prozent Diskont.«
Sie setzten sich in eine der Lauben des Palmengartens.
»Ja, ich kann Ihnen ganz genaue Auskunft über diesen mysteriösen Mann geben,« begann Marguérite wieder, »aber erst müssen Sie mir eine Frage beantworten. Ich habe ein ganz besonderes Interesse daran, zu erfahren, ob Sie Mr. Nobody wirklich hier erwarten.«
»Wie ich Ihnen sage, er hat mich hierherbestellt.«
»Weswegen? Halten Sie mich nicht für unbescheiden oder neugierig, aber ...«
»Inwiefern? Das kann jeder erfahren. Er will mich den spiritistischen Apport lehren.«
»Den spiritistischen ... was?« staunte Marguérite.
»Den spiritistischen Apport. Wissen Sie nicht, was das ist?«
»Ja,« sagte Marguérite nach kurzer Ueberlegung, »so nennen die Spiritisten die Herbeischaffung von Gegenständen durch die unsichtbare Kraft des Mediums, oder kurz gesagt, durch Geisterhände.«
»Das ist's. Sind Sie Spiritistin?«
»Nein.«
»Schade! Sie müssen Spiritistin werden. Ich will Ihnen die ganze Geschichte des Spiritismus erklären, und ich bin überzeugt, ich werde aus Ihnen noch die treueste Anhängerin unseres Glaubens machen. Fangen wir mit den ersten Anfängen des Spiritismus an und gehen wir seine ganze Geschichte gewissenhaft durch. Schon etwa fünf- bis siebentausend Jahre vor Christi Geburt begegnen wir in Indien ...«
O weh, dachte Marguérite. Diese Sorte kannte sie.
»Das heißt,« sagte sie schnell, »ich glaube an
Geister, ich habe mich bisher nur noch keinem Vereine angeschlossen. Haben Sie schon einen spiritistischen Apport gesehen?«
»Ich? Nee. Sie?«
»Auch ich nicht. Kann ihn Nobody herbeiführen?«
Das in gewisser Beziehung sehr schlaue, jedenfalls sehr gewandte Weib hatte das Richtige getroffen, um den Mann wieder auf das Hauptthema zurückzubringen.
»Ja, der kann's. Kennen Sie den Sir Edward Clane, den Londoner Rechtsanwalt?«
Auch über diesen konnte Marguérite mitsprechen.
»Das ist mein spezieller Freund. Wir haben uns im Spiritisten-Klub kennen gelernt. Sie kennen doch den Fall, wie Nobody in London den Mörder von Deacon fand?«
Auch das war der Dame alles bekannt.
»An jenem Abend war ich bei Clane, um ihm zu gratulieren. Kurz zuvor war Nobody bei ihm gewesen, wegen jenes unschuldigen Japaners, das Gespräch war auf Spiritismus gekommen, und da hatte Nobody meinem Freunde einen spiritistischen Apport vorgemacht. Passen Sie auf, ich will Ihnen alles anschaulich schildern. Ich nehme hier diesen Ring ...«
Und der dicke Engländer erläuterte seine Handlungen, alles wurde durchgemacht, das Ziehen des Striches am Boden mit einem Stock und alles, so wie es früher ausführlich geschildert worden ist ... nur daß dann Mr. Cerberus Mojans Siegelring auf dem Stückchen Papier liegen blieb, ohne sich zu rühren – das war der einzige Unterschied dabei.
» ... schwubb, war der Ring in Nobodys Hand! So erzählte mir Sir Clane. Und Sie kennen doch Sir Clane. Ich kenne ihn vielleicht noch besser. Wenn aus Sir Clanes Mund je ein unwahres Wort gekommen ist, will ich sämtliches Schmieröl, welches die Firma Mojan und Ko. fernerhin fabriziert, selber saufen, obgleich ich an der Fettsucht leide. Dieser Nobody ist eben ein außergewöhnlich kräftiges Medium. Wissen Sie daß er acht Jahre lang in Indien gefangen gewesen ist?!«
»Ja, das habe ich in der Zeitung gelesen.«
Nobody hatte doch damals bei seinem ersten Interview nur von einem ›asiatischen‹ Machthaber gesprochen, und Mr. Law hatte daraus einen indischen gemacht.
»Sehen Sie. Mit einem indischen Fakir ist er zusammen acht Jahre lang eingesperrt gewesen. Von dem hat er es gelernt. Ich bin in Indien gewesen, habe Fakire experimentieren sehen. Großartig! Und Nobody hat gesagt, das könnte jeder lernen, jedes Kind. Ich glaube es. Ich weiß es. Es gibt in Indien auch Fakire genug, welche sich als Lehrer anbieten, sie wollen einem übernatürliche Kräfte beibringen, Gurus nennen sie sich, ich habe selbst ein Paar gehabt – – aber es geht nicht, es wird nichts draus. Es sind nicht etwa Betrüger, aber die Sache ist die: sie dürfen ihre Geheimnisse gar nicht verraten, sonst ist ihnen Nirvana verschlossen, und da führen sie die dummen Europäer, die sich als Schüler melden, nur an der Nase herum. Aber hier ist einmal ein Europäer. Na, kurz und gut, ich war außer mir, ich mußte diesen rätselhaften Mann kennen lernen ... happ!!«
Mr. Cerberus Mojan, welcher sehr abgerissen sprach und bei jeder Pause einmal den Mund aufmachte, hatte wieder eine Fliege gefangen, die sich in diesen verirrt hatte, und mit einer Geschwindigkeit, welche keine Hexerei ist, wurde diese Fliege ans Tageslicht befördert, enthauptet, an den Hut gespießt und als Nummer 6284 im Jagdbuche registriert.
Marguérite überwand ihr Grauen.
»Haben Sie ihn gesprochen?«
»Nein. Wo wäre er zu finden gewesen? Aber an jenem Tage, hatte ›Worlds Magazine‹ doch in London eine Filiale aufgemacht, und der Hauptmacher ist doch Nobody, dort mußte man seine Adresse wissen. Ich schrieb also einen Brief und trug ihn hin ...«
»Was schrieben Sie?«
»Was Nobody verlangte, wenn er mich den spiritistischen Apport lehre. Jawohl, ich will auch ein Medium werden. Das war schon lange mein Entschluß. Er sollte nur fordern, ich kann's bezahlen, ich hab's dazu. Ich habe vor zwanzig Jahren ganz klein mit Klauenfett angefangen, dann ging ich nach Südafrika und legte eine Faktorei an, kaufte Palmöl auf, und das war damals noch eine andere Zeit als heute, da ...«
»Hat Ihnen Mr. Nobody geantwortet?« führte Marguérite den Verirrten wieder auf den rechten Pfad zurück.
»Jawohl. Nach sechs Tagen bekam ich die Antwort. Gewiß, er wäre dazu bereit, mich in alle seine Geheimnisse einzuweihen, wegen einer Bezahlung sprächen wir persönlich, aber er müsse sofort abreisen, nach Aegypten, wenn ich Zeit hätte, solle ich nach Kairo kommen, wo er sich längere Zeit aufhalten wolle; hier, im Hotel du Nil wolle er logieren, nach Europa käme er nicht so bald wieder, und Zeit habe ich, ich kann es mir leisten ...«
»Wahrhaftig?!« rief Marguérite in der größten Erregung.
»Warum denn nicht? Freilich kann ich mir das leisten. Sehen Sie, Madame, ich habe vor zwanzig Jahren ganz klein mit Klauenfett angefangen, dann ...«
»Ich meine, er hat wirklich ausgemacht, sich mit Ihnen hier zu treffen?«
»Wie ich Ihnen sage.«
»Und Sie glauben zuversichtlich, daß er kommt?«
»Ob ich's glaube? Ei der Deiwel, wenn er's nicht täte, sein Wort nicht hielte, dann könnte er den Cerberus Mojan aber kennen lernen!« rief der Dicke erbost. »Aber der hält sein Wort, ich hab's doch schriftlich.«
»Haben Sie den Brief noch?«
»Den habe ich sogar bei mir.«
»Darf ich ihn einmal sehen? Bitte sehr, ich interessiere mich so sehr dafür, ich kenne auch seine Handschrift.«
»Gewiß, den Brief können Sie ...«
Der Engländer stockte im Wort und in der Bewegung nach seiner Brusttasche, während Marguérite erschrocken in die Höhe fuhr.
Plötzlich erscholl in ihrer Nähe, aber wahrscheinlich noch auf der Straße, ein Gebrüll – ein Gebrüll, wie es die beiden noch nicht gehört hatten! Es kam ihnen zwar bekannt vor, und dennoch glaubten sie, daß dieses trommelfellzerreißende und nervenzerstörende Gebrüll keinen irdischen Ursprung haben könnte, da mußte ein Tier der Unterwelt an die Erdoberfläche gekommen sein und seinen Gefühlen Luft machen.
Wir begeben uns nochmals auf den Bahnhof.
Wieder war ein Schnellzug eingelaufen, und zwar derjenige, welcher in Tanta die durchgehenden Wagen von Port Said aufnimmt.
Der Zug war gar nicht stark besetzt gewesen, vor der Halle standen noch genug Esel, und doch war keiner zu bekommen.
Wer von den Passagieren unbefangen auf die Straße trat, der merkte überhaupt gleich, daß hier etwas Außergewöhnliches vor sich ging. Die Eseljungen rannten mit und ohne ihre Grauschimmel hin und her, einige elegant gekleidete Herren schienen Geld unter sie zu verteilen, andere Gentlemen standen in Gruppen zusammen und lachten, aber gerade die wachestehenden Soldaten konnten keine Auskunft geben, was hier eigentlich vorlag. Diese Unruhe vor dem Portal war erst losgegangen, als der Zug eingelaufen war, als die ersten Passagiere herausgekommen waren.
»Es handelt sich um eine Wette von Engländern,« hörte man wohl einmal sagen, aber mehr erfuhr man nicht.
Am allerauffälligsten war es, daß von allen Seiten neue Eseljungen mit ihren Tieren herbeiströmten, sie sammelten sich um ein Zentrum, wie die Fliegen um das Aas, sie wurden von ihren Kollegen mit Johlen empfangen, erhielten von einigen Herren Geld und stellten sich mit ihren Eseln in einer Reihe auf. Hundert Esel waren mindestens schon da, und immer mehr strömten herbei, und immer lärmender und immer toller wurde dieses Treiben.
Wir wollen zur Erklärung das Gespräch zweier Freunde belauschen, von denen der eine mit diesem Zuge angekommen ist, der andere ihn vom Bahnhofe abgeholt hat. Eine lange Begrüßung war nicht nötig, es war nur eine kurze Trennung gewesen.
»Was ist denn hier nur los? Es ist kein Esel zu bekommen.«
»Ich weiß es,« entgegnete der Angekommene, »und ich selbst gehöre mit zur Verschwörung. Laß dir erzählen: Wir sitzen zu viert im Coupé, das Gespräch kommt auf die allgemeine Eselei. Du weißt doch, daß in Kairo oder wohl in allen ägyptischen Städten auf der Straße nur Eselstuten oder Wallache erlaubt sind, keine Hengste.«
»Nein, das ist mir neu! Darauf habe ich noch gar nicht achtgegeben. Warum denn keine Hengste?«
»Weil da der Spektakel gar zu groß wäre. Die Eselinnen, die wir hier nur kennen, brüllen so schon genug, wenn aber nun einmal ein Hengst seine lockende Stimme auf der Straße hören lassen würde, na, da könntest du etwas erleben! Ganz Kairo würde mit yahn. Nun wirst du fragen: ja, wenn aber nun ein Wallach brüllt? Das ist es eben, wir sprachen von der verkannten Intelligenz des Esels, er muß sogar ein sehr musikalisches Gehör haben. Für uns ist yah ein yah, ein Esel brüllt wie der andere – aber der Esel unterscheidet feiner. Wenn ein Wallach singt, da fällt es keiner Eselin ein, mitzusingen. Dann zogen wir Vergleiche mit den italienischen und besonders mit den Gebirgseseln, wie deren Verhalten doch ein so ganz anderes ist. In den Alpen braucht eine ganze Reihe von Eseln nur einen einzigen Treiber, der muß allerdings als Leittier einen Hengst haben, dem folgen gehorsam alle anderen Esel, treten bei gefährlichen Stellen sogar in seine Hufspuren – und wie so ganz anders ist es doch in dem flachen Aegypten! Hier kümmert sich kein Esel um den anderen, jeder muß seinen eigenen Treiber haben, es ist ganz undenkbar, daß nur eine Eselin geritten würde und andere folgten ihr freiwillig nach ... so weit sind wir in unserer mit Schnurren gewürzten Unterhaltung gekommen, da tritt aus dem Nebenabteil zu uns ein Herr, ist sehr höflich, behauptet aber auch ganz energisch, was wir da sagten, sei nicht wahr. – Oho!!! – Gewiß, er wolle irgend eine Eselin besteigen – oder auch einen Wallach, ihm ganz gleich – und davonreiten, und alle hinter ihm in einer Reihe angestellten Esel würden seinem Tiere gehorsam folgen, freiwillig, die Treiber brauchten nicht an ihrer Seite zu sein. Wetten? Gut, wir wetten. Für jeden Esel, der ihm freiwillig folgt, bekommt er einen Schilling, wenn nicht, dann hat er uns so viel Schillinge zu zahlen, als er in seinem Uebermut Esel hinter sich angestellt hat. Und der verlierende Teil muß natürlich auch die gesamten Kosten tragen. – Na, das wird für den Herrn eine teure Geschichte, das sind jetzt doch schon wenigstens hundert Esel, und dort hinten kommen immer noch mehr! – Er hat sich verpflichtet, von hier bis zum Hotel du Nil zu reiten und rund um den Eskanderiah-Platz auch noch eine Polonäse aufzuführen. – Und nun, davon habe ich noch gar nicht gesprochen, nun mußt du dir das originelle Kerlchen ansehen! Er hat zwar einen ganz patenten Diener bei sich, aber ich halte ihn für nichts anderes als für einen Zirkusclown. Die sollen ja freilich auch schweres Geld verdienen. Da steht er.«
Ja, da stand er – stand mit olympischer Ruhe in
dem um ihn wogenden Gewimmel, wie der siegesbewußte Feldherr im Schlachtgetümmel.
Sie hatten ihn nicht schlecht herausstaffiert, unseren Jochen Puttfarken.
Der blanke Zylinder war nicht allzu hoch gewählt worden, dazu schwarzer Anzug, weiße Weste, hoher Stehkragen, in dem das Kinn verschwand, weiße Krawatte. Daß die Hose viel zu lang war und infolgedessen zahllose Querfalten schlug, das hatte nichts zu sagen, – nein, das mußte sogar so sein, das paßte zu der ganzen Figur.
Nicht auf das Aeußere kommt es an. Ob in Lumpen, ob in Purpur – der Cäsar bleibt ein Cäsar, er kann sich nicht verleugnen. Und wie der Jochen Puttfarken hier so dastand, mit unnachahmlicher Grazie den linken, mit einem quadratischen Lackschuh bekleideten Fuß etwas vorgesetzt, die rechte Hand im Schlitz der weißen Weste, wie er seine kleinen Aeuglein umherblitzen ließ und dabei mit den Elefantenohren wackelte – da war er eben der geborene Cäsar. Veni, vidi, vici.
Ein reich livrierter Diener mit einem hageren Jockeigesicht näherte sich ihm und blieb respektvoll vor ihm stehen.
»Es sind gerade 200 Esel, Sir.«
»Noch meeehr,« näselte der krummbeinige Feldherr, ohne sich sonst zu rühren.
Der Jockei ging, kam wieder.
»225 Esel, Sir.«
»Noch meeehr.«
Der Jockei eilte wieder nach hinten, erschien von neuem.«
»232 Esel, Sir.«
»Noch meeehr.«
»Es sind keine weiter da, Sir.«
» Very well. All right? «
» All right, Sir. «
Da endlich kam in den Feldherrn Leben, er wollte zum Angriff übergehen, trat auf das Straßenpflaster und besichtigte die Schlachtordnung.
In schier endloser Reihe zogen sich die Esel entlang, einer hinter dem anderen stehend, jeder neben sich seinen Treiber, der den Zügel hielt. Das letzte Paar war kaum noch zu erkennen.
Den Anfang bildete eine Urgroßmutter von einer Eselin, ein kleines, elendes Tierchen, aber durch mächtige Ohren ausgezeichnet. Auf dieses trat Puttfarken zu.
»Sobald ich mich in Bewegung setze und das Zeichen zum Abmarsch gebe, springen sämtliche Treiber von den Tieren zurück.«
» All right, Sir, ist den Jungen schon alles bekannt.«
» Very well. Aufgepaßt!«
Puttfarken hob nachlässig den linken Fuß, als hielte er es für ganz selbstverständlich, daß man ihn sofort verstand, und sein Eseljunge bückte sich denn auch sofort und setzte die Hand unter den quadratischen Lackschuh. So ließ sich der Feldherr langsam in den Sattel heben, langsam setzte er sich zurecht, endlich saß er wirklich drin.
»Stillgestanden!!!« kommandierte er mit Stentorstimme. »Richt' euch!!! Augen gerade – – aus!!! Abteilung – – marsch!!! Hi – i – hi – i – hi – i – hi – i ...«
Was nun geschah, läßt sich mit Worten gar nicht beschreiben!
Für denjenigen, welcher die höhere Eselei noch nicht genauer studiert hat, oder der am Ende noch gar keinen Esel gesehen und ihn nicht hat brüllen hören, sei nur eines erwähnt. Das Brüllen des Esels drückt man gewöhnlich mit den Buchstaben yyyyyyyah aus. Wer dieses Wort in der deutschen Rechtschreibung eingeführt hat, der hat niemals einen Esel brüllen hören, und alle Esel verachten ihn unsäglich.
Wenn du, geneigter Leser, Interesse für die Eselsprache hast – und das darf durchaus nicht lächerlich aufgefaßt werden, die Kenntnis der Eselsprache ist höchst wichtig und kann, wie Beispiel gleich lehren soll, sehr gewinnbringend sein – so stelle dich vor den Spiegel, sage das Wörtchen ›hi‹, aber indem du dabei die Luft einziehst, und um den richtigen Ton zu treffen, mußt du dabei auch mit einer energischen Bewegung den Bauch einziehen – dann reckst du den Bauch schnell wieder vor und sagst mit ausgestoßenem Atem den Buchstaben i, und wenn du das nun so abwechselnd tust – mit den Ohren dabei zu wackeln hast du nicht nötig, aber schön ist es, wenn man es kann – und wenn dir das keine Schwierigkeiten mehr bereitet, dann hast du dir den ersten, aber auch den schwersten Teil der Eselsprache angeeignet. Das nachfolgende aaaahhh ist ganz leicht zu lernen. Natürlich kann das nur eine kleine Anleitung sein; um alle Feinheiten des Eselgesanges zu beherrschen, dazu ist ein jahrelanges Studium unter einem vierbeinigen
Lehrmeister notwendig, und wer kein Talent dazu besitzt, der lernt es doch nie, und der mag denn bei dem ganz unnatürlichen Yyyyah bleiben.
Jochen Puttfarken aber war in alle grammatikalischen und stilistischen Feinheiten der Eselsprache eingedrungen.
»Hi – i – hi – i – hi – i – hi – i ...«
Die Eselurgroßmutter, auf der er saß, spitzte die Ohren. Sofort stimmte sie mit ein, sie gab den Ton an den nächsten Esel, jetzt fielen gleich zehn mit in die Ouvertüre ein, und die Urgroßmutter war noch bei dem Schlußakkord, bei dem melodischen ›aaaaahhhh‹, als weit hinten der zweihundertundzweiunddreißigste Esel mit seinem ›hi – i – – i – hi – i‹ einsetzte.
Der Spektakel ist nicht zu beschreiben, auch nicht sein Erfolg, der Erfolg der ganzen Harlekinade.
Wer nicht ganz starke Nerven hatte, der hielt sich die Ohren zu und rannte davon, und die anderen schienen Lust zu haben, vor Lachen sich auf dem Trottoir herumzuwälzen. Denn der lange Eselzug hatte sich in Bewegung gesetzt, und nun vorn auf dem ersten, kleinen Grauschimmel die göttliche Gestalt mit den krummen Beinen und dem Zylinderhute, wie die gravitätisch im Sattel saß – und nun immer wieder dieses erste lockende ›hi – i – hi – i – hi – i‹ und dann nach und nach das Einfallen von sämtlichen Eseln: ›hi – i – hi – i – aaaahhh – hi – i – aaaahhh – hi – aaaahh – i – aaaahh – hi – i – hi – i – hi – i« ... ein feister Pfaffe hatte einen Laternenpfahl gepackt und dachte wohl, es wäre ein Apfelbaum, so schüttelte er den eisernen Pfahl, und dabei rannen dem würdigen Manne vor Lachen die Tränen über die dicken Backen.
Nur ein Teil der Zuschauer lachte nicht mit. Das waren die Eseljungen. Sie waren, wie ihnen gesagt worden, sobald sich der erste Esel in Bewegung setzte, davongesprungen, jeder sein Tier freigebend ... und nun standen sie sprachlos vor Staunen da!
Diese Jungen kannten doch ihre Esel, jede Schwanzbewegung, jedes Ohrenwackeln – die kannten doch auch alle Gewohnheiten ihrer Tiere – und daß nun die freigelassenen Esel nicht sofort durcheinanderliefen oder jeder zu seinem Herrn eilte, daß sie alle in einer Reihe blieben, einer dem anderen gehorsam folgte, das ging über den Verstand dieser Jungen. Man muß eben die ägyptischen Esel kennen, um das richtig würdigen zu können. So etwas, in einer Reihe zu marschieren, das gibt es nicht bei dem ägyptischen Esel. Und auch dieses gehorsame Mitbrüllen war den Jungen ein unergründliches Rätsel! Die konnten die Stimme ihrer Lieblinge auch recht hübsch nachahmen, wohl kam es oft genug vor, daß ein und der andere Esel antwortete, aber so wie hier – – keine Spur!
Und in diesem Brüllen lag natürlich der Witz der ganzen Sache. Jochen Puttfarken hatte die Eselsprache gründlich studiert und seine Stimme auf dem hohen Konservatorium für sangesbegabte Esel ausgebildet. Er sang als männlicher Esel vor, und Frau und Fräulein Eselin sangen mit. Nun sagte sich jede: »Dort vorn ist dein Herr und Meister, die vor mir trabende Dame marschiert dem Herrn nach, also marschier' ich dieser Dame nach,« und wenn auch welche dazwischen waren, welche nicht zum schöneren Geschlecht gehörten, so fühlten sich diese doch auch nicht mehr als Männer, sie sangen und marschierten anstandshalber mit – und schließlich ist der Esel doch ein Herdentier, durch diesen Lockruf des vermeintlichen Leithengstes wurden sie wieder daran erinnert.
Von einer johlenden Menschenmenge begleitet, nicht nur von der Straßenjugend, sondern auch von Herren, und selbst von Damen, bewegte sich der endlose Zug durch die Straßen, dem Eskanderiah-Platz zu, vornweg gravitätisch Jochen Puttfarken.
Es war nicht nötig, daß er immer lockte, jetzt folgten ihm die Esel von ganz allein. Aber ab und zu mußte er doch seine Stimme ertönen lassen.
Die Polonäse auf dem Eskanderiah-Platz, wo die Lebewelt ihre Korsos abhält, hatte begonnen.
Hinter einer Baumgruppe tauchte im Gänsemarsch ein französisches Töchterpensionat auf. Erstaunt blieben Schülerinnen und Gouvernanten stehen und betrachteten die Eselschlange wie sie eine solche noch nie gesehen hatten.
»Hi – i – hi – i – hi – i,« fing da der menschliche Leithengst wieder zu locken an, und von neuem brach das furchtbare Konzert los, und was nicht kreischte, das lachte und schrie und brüllte mit.
Alle Fenster einer großen Fabrik waren mit männlichen und weiblichen Köpfen besetzt. Man hatte wohl von weitem ein entsetzliches Geschrei gehört, aber jetzt sah man den grauen Zug ganz ruhig daherkommen.
»Hi – i – hi – i – hi – i – hi – i,« fing Jochen Puttfarken wieder an und wackelte dabei mit den Ohren, und gehorsam wurde aus 232 Eselkehlen das Ständchen gebracht, gehorsam wackelten alle mit den Ohren.
Aber nicht nur 232 Esel brüllten, nach und nach brüllten sämtliche Esel der Stadt mit, auf der Straße und auf den nahen Feldern und in den Ställen, ganz Kairo und Umgebung stimmte mit ein in das Eselkonzert, und es blieb auch nicht bei den 232 Eseln des Zuges, denn welcher Reiter sein Tier nicht völlig in der Gewalt hatte, dem ging es durch, es schloß sich dem Zuge an oder drängte sich zwischen zwei andere Genossen, und den Treibern liefen die sonst so treuen Lieblinge davon, sie wollten die Polonäse auch mitmachen.
So rückte der sich immer mehr verlängernde Zug in die Muski ein, und es war die höchste Zeit, daß Puttfarken sein Ziel erreichte, denn die Polizeibehörde gab schon den Befehl, diesem Unfug ein Ende zu machen, der ganze Verkehr stockte.
Jetzt ritt Puttfarken in das enge Gäßchen ein.
»Hi – i – hi – i – hi – i,« kommandierte er, und das der Unterwelt entstiegene Ungetüm, welches an der Erdoberfläche seinen Gefühlen Luft machen wollte, antwortete mit entsetzlichem Gebrüll.
Der livrierte Diener mit dem Jockeigesicht, welcher nach dem Ausspruch jenes Herrn einen solch patenten Eindruck machte, hatte den Zug nicht begleitet, sondern eine der in Kairo seltenen Droschken genommen oder vielmehr eine der zweispännigen Mietsequipagen, und war in dieser mit zwei großen Koffern nach Hotel du Nil vorausgeeilt.
Hier verlangte er sofort den Hotelier oder dessen Stellvertreter zu sprechen, und der Direktor, in der Meinung, es handele sich um den Diener einer großen Herrschaft, leistete dem Rufe schleunigst Folge. Die Unterredung fand in einem Privatzimmer des Direktors statt.
»Kann ich drei oder auch nur zwei nebeneinanderliegende Zimmer bekommen?«
»Die sind frei. Für wen, wenn ich bitten darf?«
»Monsieur Bourget, Sie werden doch mein Inkognito wahren, wenn ich mich Ihnen anvertraue?« lächelte der Diener höflich.
Der Direktor stutzte natürlich sehr. Inkognito stiegen bei ihm ja hohe Persönlichkeiten genug ab, aber doch nicht als livrierte Diener verkleidet!
»Unbedingt!«
»Ehe ich mich Ihnen anvertraue, eine Frage: logiert hier ein Engländer Namens Cerberus Mojan?«
»Ach – – Mr. Nobody?« stieß der Hotelier in höchster Ueberraschung hervor.
»Ich bin's. Logiert dieser Herr also hier?«
Der Hotelier bejahte und gab in aller Kürze Aufschluß über den seltsamen Gast. Hierbei nun zeigte sich, daß Nobody den Cerberus Mojan schon recht gut kennen mußte, oder aber er hatte vorher die genauesten Erkundigungen über den Engländer eingezogen. Jedenfalls wußte Nobody noch mehr über ihn als der Hotelier.
»Er trägt eine Brille?«
»Nein.«
»Aber er ist sehr kurzsichtig.«
»Davon habe ich noch nicht das geringste bemerkt.«
»Dann sucht er das mit Energie zu verbergen, und das kann stimmen, denn er ist Junggeselle und dürfte infolgedessen sehr eitel sein, – Nun, Monsieur Bourget, ich habe mit diesem alten Sonderling einen Scherz vor und bitte Sie, mir den Spaß nicht zu verderben ...«
»Gewiß doch nicht, und wenn ich Ihnen dabei behilflich sein kann, so stehe ich ganz zu Ihren Diensten,« fing der joviale Hotelier schon zu lachen an.
»Ich habe einen Gentleman mitgebracht, eine köstliche Figur, der meine Rolle spielen soll. Es ist Mr. Puttfarken und bleibt Mr. Puttfarken, und nur einzig und allein Mr. Mojan soll der Meinung werden, er habe es mit Nobody zu tun. Das besorge ich dann durch eine Karte, ich arrangiere überhaupt alles. Nur um eins muß ich Sie bitten. Ich möchte als Hotelkellner auftreten, und Sie müssen dafür sorgen, daß, wenn in dem Zimmer, in welchem sich die beiden befinden, geklingelt wird, keiner Ihrer Kellner kommt, und daß nicht von anderer Seite bemerkt wird, wenn ich als Kellner jenes Zimmer betrete, wieder herauskomme, überhaupt als in diesem Hotel angestellter Kellner figuriere.«
»Da nehmen Sie einfach ein abgeschlossenes Appartement, in dem Sie ganz ungestört sind!« rief der Hotelier. »Es kommen doch oft genug Herrschaften hierher, welche sich nur von ihren eigenen Dienern aufwarten lassen.«
»Ah, das geht, das ist famos! Ich wußte nicht, daß Sie solche abgeschlossene Appartements haben. Dann ist alles übrige, um was ich Sie bitten wollte, überflüssig. Nur noch eins: ist da auch ein Zimmer mit einem großen, weichen Teppich?«
»Alles vorhanden. Bitte, kommen Sie mit!«
Das in der ersten Etage liegende Appartement bestand aus vier Zimmern, welche also einen eigenen Korridor hatten, so daß sie gar nicht mit dem Hotel zusammenhingen. Es war auch für diesen Korridor eine besondere Tür vorhanden.
Ein mit Holz getäfeltes Zimmer, dessen Boden vollkommen mit einem weichen Teppich bedeckt war, erklärte Nobody als das für seine Zwecke geeignetste.
»Wohin führt diese Tapetentür?« fragte er und drückte gegen die Wand.
»Welche Tapetentür?« meinte der Hotelier harmlos.
»Hier, diese.«
Nobody markierte an der getäfelten Wand die Umrisse einer Tür.
»Da ist keine Tapetentür.«
»Gewiß doch. Hier, sehen Sie nicht?«
Nein, der nähertretende Hotelier konnte nichts von einer Fuge bemerken, wie er auch seine Augen anstrengte.
»Na, Herr,« lachte er dann, »ich habe das Hotel du Nil zwar nicht gebaut, aber es ist doch schon länger als zwölf Jahre in meinem Besitz, ich muß doch wissen, daß hier keine Tapetentür ist. Wo soll denn die sein?«
»Na hier. Hier ist doch auch ein Knopf, der wird wohl –«
Nobody hatte gegen die Wand gedrückt, ein schmales Türchen sprang auf, in der Füllung zeigte sich wiederum eine Holzwand, aber etwas abstehend.
»Da scheint im anderen Zimmer ein Schrank davor zu stehen.«
Er ging durch die richtige Tür hinüber, rückte einen großen Schrank zur Seite und kam durch das Tapetentürchen wieder herein, untersuchte es genauer, wie es sich öffnete und tadellos wieder schloß.
»Prachtvoll, alles wie geschaffen zu meinem Vorhaben.«
Der Hotelier hatte gleich, als die Tapetentür unter Nobodys Hand aufsprang, große Augen gemacht, und so stand er noch immer da.
»Ja ... zum Donnerwetter ...« brachte er endlich hervor. »Woher wissen Sie denn das eigentlich? Mir ist von der Existenz dieser Tür nichts bekannt gewesen! Waren Sie denn schon hier? Oder haben Sie dieses Hotel denn gebaut?«
»Ich bin zum ersten Male hier!«
»Ja, aber woher wissen Sie denn da das?«
»Ich sah auf den ersten Blick, daß hier eine Tapetentür ist, ich bemerkte auch gleich hier die kleine Erhöhung.«
»Und seitdem ich dieses Hotel habe, wirtschaften in diesem Zimmer täglich Stubenmädchen, Kellner und Gäste, und noch keinem ist etwas aufgefallen, so wenig wie mir! Mann, müssen Sie aber Augen haben!!«
»Daher der Name Detektiv,« lächelte Nobody, »es mag bei mir auch etwas Instinkt sein. – Also, Monsieur Bourget, vor allen Dingen meine beiden Koffer! Die Zeit drängt, und ich habe noch manches zu arrangieren.«
Als ein Hausknecht die Koffer brachte, hatte Nobody bereits mit einer Schnelligkeit, wie sie kein in Akkord arbeitender Dekorateur entwickeln kann, die Tapetentür mit einer Portiere drapiert, und der Hotelier hätte wiederum nicht gewußt, woher er dieselbe genommen. Es war ein dünner Teppich, den er aus einem anderen Zimmer geholt hatte, und er hing diesen nicht direkt vor der Türe auf, sondern seitwärts, bildete eine Art von Verschlag, aber alles künstlerisch arrangiert.
Von den Arrangements oder Manipulationen, die er sonst noch in dem Zimmer vornahm, wollen wir nur eine einzige erwähnen.
Er trat hinter die neugeschaffene Portiere, spähte durch eine Spalte ins Zimmer, trat mit drei großen Schritten hervor, legte auf eine bestimmte Stelle des Teppichs einen weißen Papierschnitzel, einen Schritt entfernt davon ein Streichholz, rückte einen Tisch, einige Stühle, trat wieder hinter die Gardine und musterte sein Werk, dabei nach dem Papierschnitzel und dem Streichholz visierend, die Lage des letzteren dann um eine ganz geringe Kleinigkeit verändernd.
Grundlos war er bei diesen merkwürdigen Arrangements natürlich nicht so peinlich, und das war also nur das eine, er nahm noch andere solche seltsame Handlungen vor, ein Wandspiegel mußte eine Idee nach links schief hängen, und so weiter, und dies alles führte er mit einer fabelhaften Geschwindigkeit aus; wie ein Affe sprang er im Zimmer herum, gleichzeitig drei Handlungen ausführend; während das Auge die Wirkung des Spiegels prüfte, rückte die eine Hand die Stühle, mit der anderen Hand entkleidete er sich schon – dann ein Sprung nach dem Koffer, während er diesen aufschloß, zog er sich die Gamaschen aus – an dem Frack, den er hervorholte, waren Vorhemdchen und Manschetten angenäht – die eine Hand zog Lackschuhe an, die andere Hand vertauschte die Perücken – ein Sprung vor den Spiegel, mit den Fingern im Gesicht massierende Bewegungen gemacht – – und plötzlich stand da ein süßlich lächelnder Kellner, welcher mit dem hageren Jockei auch nicht die geringste Aehnlichkeit mehr hatte!
Doch das sollte man gar nicht beschreiben, denn die Beschreibung nimmt viel länger Zeit in Anspruch, als dieser Mann zu so einer Verwandlung nötig hatte.
Es war auch die höchste Zeit gewesen, denn da meldete sich schon Jochen Puttfarken mit seinem Gefolge an, obgleich er sich noch auf der Hauptstraße befand.
Wie nun, wenn Jochen Puttfarken jetzt gleich mit Mr. Mojan zusammentraf und von diesem – wenigstens versuchsweise – als Mr. Nobody angeredet wurde, ohne daß Nobody dabei war?
Man darf wohl glauben, daß dieser geborene Schauspieler und Regisseur, welcher die Stellen, auf den seine Puppen zu stehen hatten, mit Papierschnitzeln und Streichhölzern markierte, auch an so etwas gedacht hatte. Es hätte nichts geschadet. Zur eigentlichen Zusammenkunft wäre es doch nicht eher gekommen, als bis Nobody wieder die Leitung übernehmen konnte.
Doch zu dieser frühzeitigen Begegnung sollte es nicht kommen.
Jochen Puttfarken hatte an der Spitze seines vierbeinigen Gefolges das Gartentor mit der Portiersloge erreicht.
»Hat mein Diener, der Jockei, mich schon angemeldet?« fragte er von oben herab.
Es wäre gar nicht nötig gewesen, daß der Hotelier, von dem fürchterlichen Gebrüll herbeigelockt, zur Stelle war. Jetzt wußte er natürlich sofort alles. Er verbiß sein aufsteigendes Lachen und nahm den krummbeinigen Nasenkönig in Empfang.
Dieser verabschiedete sich gar nicht erst von seinen Eseln, kümmerte sich auch gar nicht um die Herren, mit denen er gewettet hatte, er überließ ihnen die Bezahlung der Eseljungen und alles andere, und das mit Recht, er ignorierte auch die Hotelgäste, welche herbeiströmten, um zu staunen und heimlich zu lachen – er folgte sofort dem Hotelier.
Als Mr. Mojan und Marguérite aus der ziemlich weit entfernten Laube herbeigeeilt kamen, um sich über das furchterweckende Gebrüll Aufklärung zu verschaffen, sahen sie nur noch die vielen Esel, konnten sich den ganzen Spaß erzählen und das originelle Kerlchen beschreiben lassen.
»Das war kein anderer als Mr. Nobody!!« rief Mr. Mojan sofort.
Die Hotelgäste kannten den alten Sonderling ja schon zur Genüge, und es mußte ein Neuling oder ein sehr beschränkter Mensch sein, der ihn noch ausdrücklich darauf aufmerksam machte, es wäre ein sehr, sehr kleiner Mann mit fürchterlich krummen Beinen gewesen.
»Warum soll Mr. Nobody nicht krumme Beine haben?«
»Er hatte kolossale Ohren und eine noch kolossalere Nase.«
»Warum soll Mr. Nobody nicht einmal kolossale Ohren und eine noch kolossalere Nase haben?« verteidigte Cerberus Mojan den, den er bewunderte.
»Jawohl, ich glaube auch, es war Mr. Nobody,« versicherten dagegen jene, welche wußten, daß ein Narr mehr fragen kann, als zehn Kluge zu beantworten wissen, und sie machten sich weiter über den merkwürdigen Kauz lustig.
Und Mr. Mojan sollte denn auch recht behalten – in seinem Glauben. Der Herr Hotelier selbst brachte ihm eine kuvertierte Karte, welche ihn an das Ziel seiner Wünsche führte, und der Hotelier selbst geleitete ihn auch zu dem sehnlichst Erwarteten.
Beim Betreten des Appartements nahm er diesmal sogar seinen Hut ab, hing ihn mit Nichtbeachtung aller seiner Jagdtrophäen auf dem Korridor an einen Nagel. Der gute Mann hatte einen triftigen Grund, daß er so ungern sein Haupt entblößte: dieses glänzte durch Abwesenheit sämtlicher Haare.
Jochen Puttfarken empfing den Bestellten wieder in seiner unnahbaren Cäsarenstellung, die wir schon einmal an ihm beobachtet haben – das krumme Bein mit dem quadratischen Lackschuh elegant vorgesetzt, die rechte Hand im Westenausschnitt.
»Mr. Mojan?« fragte er mit stolzer Herablassung.
»Cerberus Mojan, Schmieröl Schwefel Schokolade,« schnarrte der dicke Engländer gewohnheitsmäßig herunter. »Mr. Nobody?«
»Bin ich.«
Wieder war es seine unnachahmliche Bewegung, mit welcher das kleine Krummbein auf einen Stuhl deutete.
»Nehmen Sie Platz!«
Der Engländer tat es, Puttfarken setzte sich ihm gegenüber, und da der Stuhl für einen normalen Menschen berechnet war, so baumelten seine kurzen Beinchen in der Luft.
Eine Pause entstand. Mr. Cerberus Mojan war von Natur etwas spleenig veranlagt und hatte sich einmal in Afrika einen tüchtigen Sonnenstich weggeholt, aber dumm war er nicht etwa! Die Sache kam ihm nicht recht geheuer vor. Daß er wirklich sehr kurzsichtig war, hatte man vorhin gemerkt, als er die Karte gelesen hatte, aber diese krummen Beine, diese ungeheuren Ohren und vor allen Dingen diese gewaltige Nase seines Visavis konnten ihm nicht entgehen.
»Sie denken wohl, ich bin gar nicht der Nobody, weil Sie mich so mißtrauisch ankieken?« fing da dieses Visavis mit einem Male an.
»O, mein Herr ...«
»Sie denken wohl, weil ich eine so große Nase habe?«
»Allerdings, ich habe Sie auf Bildern schon in vielen Ihrer Charaktermasken gesehen, aber ich dachte, Sie veränderten Ihre Gesichtszüge nur immer in natürlicher Weise, ohne Kunstmittel zu Hilfe zu nehmen.«
»Kunstmittel?«
»Diese Nase ist doch von Wachs.«
»Wachs? Greifen Sie mal die Nase an, ob die von Wachs ist.«
Und Puttfarken beugte sich vor, Mr. Mojan beugte sich ebenfalls vor und nahm den dargebotenen Nasenzinken zwischen die Finger – und er wollte es nicht glauben, daß er wirklich Fleisch fühle, er brachte seine kurzsichtigen Augen ganz dicht daran ...
»Nee, nee, nee, nee,« rief Jochen erschrocken und zog seinen Nasenkolben schleunigst zurück, »anfühlen können Sie meine Nase, aber neinbeißen dürfen Sie nicht!«
Neben der Tapetentür hinter der Portiere stand Nobody und beobachtete alles.
Wir haben diesen Mann schon als einen sehr heiteren Charakter kennen gelernt, lachte er doch auch gern und dann aus vollem Herzen, auch er konnte lachen, daß ihm die Tränen über die Wangen rannen. Jetzt aber durfte er nicht lachen, um sich nicht zu verraten, und so zuckte in seinem Gesicht keine Muskel, aber was in ihm vorging, als er so sah, wie der Engländer die mächtige Nase betastete, und wie Puttfarken sein Eigentum so erschrocken zurückzog, weil er glaubte, jener wolle zur Probe hineinbeißen – das verriet er dadurch, wie er den Oberkörper leicht zusammenkrümmte. Das durfte er ja auch tun, dadurch wurde seine Anwesenheit nicht verraten.
»Das ist wirklich Fleisch?«
»Was dachten Sie denn sonst?«
Mr. Mojan schlug den Rock zurück und zeigte sein Arsenal von Insektennadeln.
»Darf ich wenigstens mal hineinstechen?«
»Nu nee! Nu nee!!« rief Puttfarken wieder erschrocken, schützend die Hand vor seinen Rüssel haltend.
»Tut denn das weh?«
»Na, ich will mal in Ihre Nase stechen, ob das nicht weh tut!«
»Aber das ist doch nicht Ihr eigenes Fleisch.«
»Nich? Na, denken Sie denn etwa, ich habe mir eine Schweinsroulade ins Gesicht gebunden?!« rief Puttfarken empört.
»Ja aber ... aber ... Sie haben doch sonst, wie ich auf Bildern gesehen habe, eigentlich eine kleine Nase, Sie zeigten sich doch auch oft als Dame ... wie machen Sie denn das da?«
»Wie ich das mache? Ganz einfach. Sie haben doch schon so einen kleinen Ballon gesehen, aus dünnem Kautschuk, man bläst ihn auf ...«
»Jawohl, und hinten ist eine Fiebe dran, und wenn man die Luft wieder herausläßt, dann fiebt's.«
»Ganz richtig. Sehen Sie, genau so kann ich auch meine Nase aufblasen und aus ihr dann wieder die Luft herauslassen ... nur daß es dabei nicht fiebt.«
»Was Sie nicht sagen!« rief Mr. Mojan, machte dabei aber ein sehr ungläubiges Gesicht.
»Sie glauben's wohl nicht?«
»Ach, bitte, machen Sie mir das doch einmal vor!«
»Das geht nicht. Das heißt jetzt nicht. Unter dieser Maske bin ich nach Kairo gekommen, und ich will sie beibehalten. Das geht nämlich nicht so schnell, dazu brauche ich fast einen Tag. Aber etwas anderes will ich Ihnen zeigen – hier, können Sie das auch?«
Puttfarken steckte die Zunge heraus, packte sie mit der Hand, zog sie weit heraus, noch etwas weiter, und ließ sie wieder zurückschnellen. Zehn Zentimeter weit hatte er sie mindestens herausgezogen, und das will etwas heißen.
»Sehen Sie, bei mir ist alles Kautschuk.«
Ja, Nobody hatte diesen Matrosen, den er einmal in einer fremden Hafenstadt zwischen Kollegen als Kautschukmann sich produzieren sah, nicht umsonst für seine Jacht engagiert, hatte es sich nicht umsonst viel Zeit und viel Geld kosten lassen, um Jochen Puttfarken, dessen Namen er aber noch gar nicht gekannt hatte, wieder aufzufinden, um ihn an sich zu fesseln.
Und dann krümmte sich der heimliche Beobachter wieder etwas, was er wohl anstatt des Lachens tat.
Wie gesagt, es ist sehr viel, wenn man die Zunge 10 Zentimeter weit aus dem Munde herausziehen kann, da könnte man gleich von einer Elle sprechen. Mr. Mojan war denn auch zuerst sprachlos vor Staunen, wie jener das Experiment mehrmals wiederholte, seine Zunge wie ein Gummiband hervorzog und mit einem hörbaren Schnappen zurückschnellen ließ.
»Alles Kautschuk, bei mir ist alles Kautschuk.«
Jetzt kam aus Mr. Mojans immer geöffnetem Rachen die rote Zunge zum Vorschein. Er packte an und zog daran ... es ging nicht.
»Bitte, Mr. Nobody, darf ich einmal an Ihrer Zunge ziehen?«
»Ja, aber sie nicht herausreißen,«
»O nein.«
»Und nicht hineinstechen und auch nicht hineinbeißen.«
Hinter der Portiere krümmte sich Nobody zu einem rechten Winkel zusammen, wie jetzt Puttfarken dem dicken Engländer die lange Zunge herausreckte, wie dieser sie vorsichtig anpackte und sie langsam herauszog, immer weiter und weiter aus dem Halse heraus ...
»Oäh – oäh – oäh,« machte Puttfarken, und da ließ Mr. Mojan die malträtierte Zunge wieder zurückschnellen.
»Na, hören Sie mal, Sie denken wohl, meine Zunge ist ein Bandwurm ohne Ende?«
»Ist das wirklich Ihre Zunge?«
»Wem seine denn sonst? Ich habe doch keinem anderen seine Zunge im Halse? Wollen Sie sonst noch einen Beweis, daß ich wirklich Nobody bin?«
»Ach ja, machen Sie mir doch das einmal vor, wie Sie einen Billardball mit einem Faustschlag zerschmettern.«
In diesem Augenblick hatte Nobody plötzlich drei verschieden gefärbte Billardkugeln in der Hand, und er schien noch mehr bei sich zu haben, er hatte noch die Hand in der Tasche.
»Wie Sie wünschen. Haben Sie gleich einen mitgebracht?«
»Nein, das habe ich nicht.«
Sofort verschwanden die drei Elfenbeinkugeln wieder in Nobodys Tasche, geräuschlos öffnete er die Tapetentür, blieb aber noch lauschend stehen.
»Dann lassen Sie einen[eine] vom Kellner besorgen oder mehrere, treffen Sie die Auswahl, damit Sie nicht etwa denken, ich habe den Kellner bestochen, klingeln Sie auch selbst, ich will gar nichts damit zu tun haben.«
»O, Mr. Nobody, daß Sie es können, ist doch schon zur Genüge bekannt, ich möchte es nur gern selbst einmal ...«
»Na, klingeln Sie nur, dort an der Tür ist die Klingel.«
Gut, Mr. Mojan stand auf und ging nach der Tür, klingelte und Nobody verschwand durch die Tapetentür.
Vom Korridor aus betrat er das Zimmer als der gerufene Kellner.
»Die Herren haben geklingelt?«
»Besorgen Sie mir eine elfenbeinerne Billardkugel,« sagte der Engländer.
»Sehr wohl, mein Herr.«
Da Nobody doch einige Minuten verstreichen lassen mußte, ging er einstweilen, den Weg natürlich durch den Korridor nehmend, wieder auf seinen Lauscherposten hinter die Portiere.
Besonderes zu hören gab es allerdings einstweilen nichts. Puttfarken war sehr genau instruiert, er fragte, wie lange Mr. Mojan sich schon hier in Kairo aufhalte, ob er schon früher in Aegypten gewesen sei – – und das währte ja auch nur zwei Minuten, so trat der Kellner wieder ein, einen Kasten mit drei Billardbällen bringend, unter dem Arm ein dickes Buch.
»Hier sind die drei französischen Billardbälle. – Bitte, mein Herr,« wandte er sich dann an Puttfarken, ihm das Buch auf den Tisch legend, auf welchem ein Schreibzeug stand, »wollen Sie sich gleich in das Fremdenbuch eintragen.«
Das war ein ganz raffinierter Kniff, selbst wenn er bei diesem leichtgläubigen Engländer ganz überflüssig war. Hierdurch legitimierte sich Nobody als ein in diesem Hotel angestellter Kellner, hierdurch wäre auch jeder andere getäuscht worden.
Doch bei Mr. Mojan war so etwas gar nicht nötig. Während Puttfarken sich und seinen Groom in das Buch – gleichgültig, ob dies nun das wirkliche Fremdenbuch war oder nicht – eintrug, nahm jener die drei Billardkugeln zur Hand. Sie waren alle weiß, nur durch schwarze Punkte markiert, und zwar waren es tadellose Elfenbeinbälle.
Der Kellner entfernte sich wieder mit dem Fremdenbuche und ... stand natürlich wieder auf seinem Posten hinter der Gardine.
»Nun, sind es wirklich Elfenbeinkugeln? Sie haben doch keine Sprünge? Das frage ich nämlich auch deshalb, weil ich bei einem Balle, der schon einen Sprung hat, leicht einmal meine Hand verletzen kann.«
So hielt Puttfarken den Engländer noch eine Minute hin, bis er genau wußte, daß er wieder seinen Herrn und Meister hinter sich hatte.
»Die sind noch ganz neu.«
»Welchen soll ich denn zerschmettern?«
»Irgend einen. Diesen hier.«
»Diesen? Gut. Stellen Sie sich etwas hier zur Seite, daß Sie nicht von den Splittern getroffen werden. Jawohl, dorthin.«
Puttfarken hatte den Engländer etwas zurückgedrängt, freilich nur ganz sanft, und dies war der Augenblick, in welchem Puttfarken den Ball, den er in der Hand hielt, mit einem anderen vertauschte.
Denn vertauscht mußte der Elfenbeinball mit einer präparierten Kugel werden! Trotz seiner sonstigen Kraft, und trotz seiner gewaltigen Fäuste konnte es Zwergnase nicht seinem Herrn nachtun, wie dieser einen Elfenbeinball mit einem Schlage zu zerschmettern.
Die Vertauschung geschah auf eine höchst einfache Weise. Aber nicht etwa, daß Puttfarken diesen Ball in die Tasche steckte und einen präparierten dafür aus dem Aermel oder sonstwoher rutschen ließ. Das wäre das allerplumpste Manöver gewesen ... oder aber das allerschwerste, was nur die geübte Hand des geschulten Taschenspielers fertig bringt. Soll einmal jemand auf diese Weise zwei Billardbälle vertauschen, ohne daß es der vor ihm Stehende merkt, mag dieser auch sehr kurzsichtig sein.
Nein, der Trick wurde in viel einfacherer Weise ausgeführt. Freilich, von der anderen Seite aus betrachtet, in einer ganz raffinierten Weise. Ein Mitspieler mußte doch ein Eskamoteur sein oder wenigstens eine besondere Geschicklichkeit besitzen.
Puttfarken stand dicht neben dem Diwan, der nach orientalischer Sitte mit vielen Kissen belegt war. Wie er nun mit der rechten Hand den Ort andeutete, wohin Mojan sich begeben sollte, und dieser sich ganz naturgemäß etwas nach der bezeichneten Richtung umdrehte, schob Puttfarkens linke Hand die Billardkugel unter solch ein Kissen, legte dieselbe Hand, die Finger etwas gekrümmt, auf den Rücken, und in demselben Augenblick kam hinter der Portiere hervor eine weiße Billardkugel geflogen und hatte sich zwischen Puttfarkens Finger festgeklemmt.
Wie gesagt, in einer einzigen Sekunde war der Austausch geschehen. Allerdings hatte dazu ein Mann gehört, welcher mit solch absoluter Sicherheit zu werfen verstand. Das Fangen war Nebensache, der Ball klemmte sich gleich zwischen den griffbereiten Fingern fest. Und wäre er nicht gefangen worden, so wäre er eben hinter Puttfarkens Rücken zu Boden gefallen, dann hätte er eben den Elfenbeinball fallen lassen, er hätte ihn wieder aufgehoben.
Nur auf diese Weise wäre der Austausch sogar geglückt, auch wenn Mojan seinen eigenen Billardball mitgebracht hätte. Denn Nobody hatte präparierte Bälle von allen Farben bei sich, und das andere ging so schnell, daß der Engländer gar keine Zeit fand, eine nochmalige Untersuchung anzustellen.
»Sehen Sie hier ...« Puttfarken ahmte die Bewegungen Nobodys nach, »eins – zwei – drei – bruch! Da haben Sie die Brühe zum Kloße!«
Die Kugel war zu Staub zermalmt. Gleichgültig, aus was für Substanz sie zusammengeleimt gewesen – der Engländer hätte die Splitterchen getrost untersuchen können, er wäre nicht auf den Verdacht gekommen, daß es nicht sein Elfenbeinball gewesen sein könne. Aber er dachte gar nicht an solch eine Untersuchung.
»Fabelhaft! Phänomenal!« staunte er.
»Nun, Mr. Mojan,« begann Zwergnase jetzt sofort mit erkünstelter Gleichgültigkeit, »Sie wollten also von mir den spiritistischen ... spiritistischen ... den spiritistischen ...«
Himmelsakra!! Bisher hatte er seine Sache so gut gemacht, dessen war sich Jochen wohlbewußt, und jetzt fiel ihm dieses Malefizwort nicht ein, obgleich es ihm der Master wohl hundertmal auf der Eisenbahn vorgesagt und er es nachgesprochen hatte.
» ... den spiritistischen ...«
Zwergnase fiel aus der Rolle, er warf nach der Portiere, hinter der er seinen Herrn und Meister wußte, einen ängstlichen, hilfeflehenden Blick – – und siehe da, da hatte er das gesuchte Wort auch sofort auf der Zunge!
»Sie wollten also von mir den spiritistischen Abtritt lernen?«
Der befrackte Kellner hinter der Portiere knickte etwas in den Kniekehlen zusammen.
Machte dieser unglückselige Kerl jetzt aus dem spiritistischen Apport einen spiritistischen Abtritt!! Und da hatte er ihn nun stundenlang instruiert! Himmel, hast du keine Flinte! »Einen ... was?« fragte denn auch Mr. Mojan erstaunt.
Jetzt aber wurde Jochen Puttfarken unangenehm! Erst hatte er so lange über das fehlende Wort nachgegrübelt, hatte sich dabei fast die Zunge abgebrochen, und nun wollte ihn dieser Mensch auch noch nicht einmal verstehen.
»Einen spiritistischen Abtritt!!« schnauzte er ihn an. »Wissen Sie nicht, was das ist?! Sie wissen wohl überhaupt gar nicht, weswegen Sie hierhergekommen sind?«
»Mr. Nobody meinen wohl den spiritistischen Apport?« lenkte der alte Engländer sehr höflich ein.
Möglich, daß Jochen Puttfarken den begangenen Fehler einsah und dachte, wenn er einmal A gesagt hatte, müsse er nun auch B sagen; möglich, daß er wirklich glaubte, recht zu haben, daß er der Sache eine ganz andere Bedeutung gab, daß er einen spiritistischen ›Apport‹ von einer anderen Seite betrachtete – jedenfalls wußte er sich auf eine feine Weise aus der Patsche wieder herauszuhelfen.
Zuerst setzte er das linke Säbelbein vor, dann steckte er die rechte Tatze in den Westenausschnitt, hierauf warf er den Kopf mit dem Elefantenrüssel zurück und sagte gelassen von oben herab:
»Meinetwegen nennen Sie es einen spiritistischen Abort – meinetwegen nennen Sie es ein spiritistisches Wasserklosett – ich nenne es einen spiritistischen Abtritt, und ich dächte, meine Bezeichnung wäre an dieser Stelle maßgebend. Was? Wie? He?«
Der Engländer war durch dieses Auftreten und dadurch, daß er gar nicht verstand, was jener eigentlich meinte, so bestürzt, daß er nicht wußte, was er sagen sollte.
»Na, was wollen Sie nun sehen,« nahm Puttfarken in gemütlicherem Tone wieder das Wort, »Ihren spiritistischen Abort oder meinen spiritistischen Abtritt?«
Hoffnungsfreudig blickte Mr. Mojan wieder auf.
»Genau so einen, wie Sie dem Sir Clane geliefert haben?«
»Ganz genau denselben.[«]
[»]Hier in diesem Zimmer?« fuhr der alte Spiritist immer freudiger fort.
»Na, wo denn sonst? Sie dachten wohl, ich ließe mir dazu erst eine große Kirche bauen?«
»Ach bitte, bitte, machen Sie mir das einmal vor, liefern Sie mir einen spiritistischen ...«
»Na ja, ich sag's doch, ich will's ja tun, Männchen, beruhigen Sie sich man bloß – aber, wohlverstanden, ich liefere Ihnen einen Abtritt und keinen Abort oder wie Sie es sonst nennen. Haben Sie 'nen Ring anstecken? Ziehn Sie'n ab! Und daß Sie nicht etwa denken, ich will Sie bemogeln. Das kann ich nicht vertragen. Ich bin hier zum ersten Male in diesem Hotel, kenne kein Luder. Hier,« Puttfarken nahm von der Wanddekoration eine lange Lanze herab, »hier haben Sie einen Spieß, stochern Sie damit unter die Schränke, und wenn Sie einen Kerl drunter finden, den stechen Sie in Gottes Namen tot, die Verantwortung übernehme ich!«
Mr. Mojan verzichtete aus Höflichkeit auf eine Untersuchung. Er hatte auch nichts gefunden, Nobody stand schon im Rahmen der Tapetentür.
Die Einleitung zu diesem Experiment war ganz genau dieselbe wie die, welche damals Nobody bei Sir Clane gebraucht hatte. Es kamen sogar sehr oft genau dieselben Fragen und Antworten dabei vor.
Puttfarken ließ sich von dem Engländer ein Stückchen Papier geben, hauchte dieses auf beiden Seiten an und legte es auf das Tischchen, welches zwischen den beiden Fenstern stand. Dann nahm er anstatt des hölzernen Lineals die Lanze, magnetisierte den Schaft durch streichende Bewegungen – wenigstens tat er so, aber der ihn scharf beobachtende Mojan stellte wirklich dieselbe Frage wie damals der Rechtsanwalt, und Puttfarken bestätigte natürlich immer, jawohl, jetzt magnetisiere er den Schaft – dann berührte er mit dem Ende desselben das Papier, fuhr über den Tisch bis an den Rand, am Tischbein hinab und dann weiter über den Teppich hinweg nach der Tür zu.
»Das ist der magnetisierte Weg, welchen der Ring nehmen wird?«
»Nu allemal.«
»Er kriecht diesen vorgeschriebenen Weg am Boden entlang?«
»Nu ganz sicher. Das heißt – manchmal kriecht er, manchmal fliegt er. Jetzt stelle ich mich also hierher und sage keinen Mucks mehr. Nun legen Sie Ihren Ring dort auf das Papier und kommen Sie ebenfalls hierher.«
Der Engländer tat es, legte seinen Siegelring auf das Papier und ging hin.
Es war die durch das Streichholz markierte Stelle, auf die sich Puttfarken stellte, und den Engländer dirigierte er so, daß er auf dem kleinen Papierschnitzel zu stehen kam. Puttfarken wendete der Tür den Rücken, blickte also nach dem Tischchen mit dem Ringe, Mojan drehte diesem den Rücken zu. Demnach wurde es jetzt also anders, als Nobody es bei Sir Clane ausgeführt hatte. Der ganze Apport sollte überhaupt anders werden. Nobody hatte sich doch beide Hände festhalten lassen und hatte dann den Ring plötzlich in der Hand gehabt. Puttfarken erzielte einen anderen Erfolg, aber nicht minder verblüffend.
Puttfarken nahm, ohne seine Stellung zu verändern, mit ausgestrecktem Arm von einem Spiegelkonsol eine gläserne Urne, bedeutend größer als ein Wasserglas, oben mit weiter Oeffnung, und hielt diese mit beiden Händen in Brusthöhe vor sich hin.
»Legen Sie Ihre Hände ebenfalls an diese Urne.«
Mr. Mojan tat es, berührte ohne Aufforderung mit den Fingerspitzen Puttfarkens Hände.
»Jetzt stellen wir die magnetische Kette her, nicht wahr?«
»Nu allemal, das ist die magnetische Kette. Wollen Sie sich nun erst noch einmal umsehen, ob Ihr Ring auch wirklich noch auf dem Tische liegt?«
Ein jäher Schreck durchzuckte ihn! Schnell hatte sich Mojan umgedreht und war nach dem Tische geeilt!
Himmel Herrgott, wenn jetzt Nobody schon ...
Er war unnötig erschrocken. Allerdings hatte Nobody schon wieder hinter der Portiere gestanden, hinter welche Mojan, wenn er am Tisch stand, blicken konnte, aber Nobody war eben nicht der Mann, der sich überraschen ließ.
In dem Moment, da Mojan nur den Fuß zum ersten Schritte hob, war Nobody auch schon hinter der Tapetentür verschwunden!
Der kurzsichtige Engländer beachtete aber die Portiere überhaupt gar nicht, er ging nur an den Tisch, berührte fast mit der Nase den Ring und kam wieder zurück – und da befand sich auch Nobody schon wieder im Zimmer.
»Ist er noch da? Ja? Das freut mich. Nun passen Sie auf – packen Sie wieder den Glastopf an – so – so ist es recht – eins, zwei, drei – aller marcher hoppala!! «
Klirr – der Ring lag in der Glasurne. Er war von oben durch die Luft geflogen gekommen.
Mr. Mojan nahm ihn, brachte ihn dicht ans Auge, steckte ihn an den Finger – es war sein Ring! – und wie er an den Tisch eilte, konnte der Ring dann natürlich nicht mehr daliegen.
Wie das geschehen war, das bedarf wohl keiner näheren Erklärung. In dem Augenblick, als sich der Engländer wieder umdrehte und die Urne anfaßte, als Jochen zu zählen begann, hatte sich Nobody hinter der Gardine vorgebeugt, vom Tisch den Ring genommen und ihn mit einer ganz eigentümlichen, langsamen Handbewegung in großem Bogen über des Engländers Kopf hinweg direkt in die Urne geworfen.
Solch ein Werfen will freilich gelernt sein! Was dazu für eine Berechnung und sonst noch alles gehörte! Die Entfernung betrug mindestens vier Meter, und Nobody konnte die Urne überhaupt gar nicht sehen! Puttfarken mußte nur durch den gläsernen Boden nach einer bestimmten Stelle des gemusterten Teppichs visieren, daß sich die Urne genau über diesem Punkte befand. Alles andere besorgte dann sein unsichtbarer Hexenmeister.
Doch um eine derartige Gewandtheit und Berechnung zu beobachten, deshalb braucht man nicht nach China oder Indien zu gehen. Derartiges bringen unsere europäischen Jongleure auf der Bühne auch fertig.
Bewundernswerter war hierbei eigentlich diese ruhige Schnelligkeit und diese Zeitberechnung, mit welcher Nobody seine Manipulationen ausführte. Das mußte alles bis auf den Moment, bis auf den Bruchteil eines Momentes abgepaßt sein, wollte er der Möglichkeit vorbeugen, durch einen Zufall entlarvt zu werden.
Dieser Eskamoteur wußte ganz genau, was jener Mann in dem gegebenen Augenblick dachte – jetzt will er wieder die Urne anfassen, dieser Entschluß geht von seinem Gehirn aus, also kann er jetzt nicht daran denken, sich umzudrehen – und da hatte Nobody auch schon den Ring in seiner Hand und ließ ihn in hohem Bogen durch die Luft fliegen – und wie der Ring über den Köpfen der beiden schwebte, da war Nobody auch schon wieder verschwunden.
Nun dürfte mancher Leser fragen, und das mit Recht: ja, aber wer hat denn damals in dem Zimmer von Sir Clane Nobody den Ring in die Hand gespielt, welche doch auch noch von Sir Clanes Händen festgehalten wurde?
Das hatte Nobody eben wieder auf eine ganz andere Weise gemacht! Er hätte auch jetzt seinem Gehilfen den Ring auf eine ganz andere Weise zukommen lassen können, hätte den Ring ihm ebenfalls direkt in die geschlossene Hand praktizieren können!
Wir werden uns später noch einmal mit indischen und chinesischen Gauklern zu beschäftigen haben, und nur eines soll jetzt erwähnt werden: kein orientalischer Gaukler zeigt dem Publikum irgend ein Kunststück, welches er mit dem gleichen Endresultat nicht auf die ganz verschiedensten Weisen ausführen kann!
Das ist nämlich der Witz, wodurch diese orientalischen Gaukler so zu blenden verstehen, daß auch der nüchternste Zuschauer förmlich gezwungen wird, an eine übernatürliche Kraft des Experimentierenden zu glauben. So ein nackter Kerl macht einem etwas vor – man lächelt, man paßt auf – er führt dasselbe Kunststück zum zweiten Male aus – jetzt, denkt man, weiß man es, wie der Hokuspokus zustande kommt – da macht er es zum dritten Male, und man steht da wie vor den Kopf geschlagen, denn der Gaukler hat gerade das, worauf man gelauert hat, nicht getan!
Dann allerdings haben diese Gaukler noch ihre ganz besonderen Kniffe und Hilfsmittel – Hilfsmittel, welche sich nur in ihrer heißen Heimat bewähren, in kalten Gegenden versagen, weshalb auch ein indischer Fakir vergebens nach Europa kommen würde, um hier seine scheinbar übernatürlichen Künste zu zeigen. Doch davon also später mehr. –
Kurz und gut, das Experiment war geglückt, es wäre auch ohne die zufällig entdeckte Tapetentür geglückt, dann hätte Nobody eben ein anderes Mittel gefunden, um sich unsichtbar zu machen.
Mr. Mojan stand wie vom Donner gerührt da und sperrte – mit Respekt zu sagen – Maul und Nase auf, und das erstere sperrte er ja auch wirklich auf, und zwar ungewöhnlich weit. Ein Brummer hatte sich hinein verirrt und summte in dem Rachen herum, und der Fliegenjäger vergaß, ihn zu fangen. Ein Sperling hätte in dem aufgerissenen Munde sein Nest bauen können, und Mr. Mojan hätte es auch nicht gemerkt.
Jochen Puttfarken aber setzte das linke Säbelbein vor, steckte die rechte Pfote in den Westenausschnitt, warf den Kopf zurück und sagte gravitätisch:
»Sehen Sie, das war mein spiritistischer Abtritt! Nun machen Sie's mal nach.«
Da endlich kam wieder Leben in den Erstarrten.
»Wie machten Sie das? Wie erlangten Sie diese übernatürlichen Kräfte? Wie haben Sie sich dazu ausgebildet?« rief er außer sich.
»Das will ich Ihnen sagen. Wissen Sie, was ... was ... wissen Sie, was ...«
Himmeldonnerwetter, jetzt fiel ihm wieder so ein vermaledeites Fremdwort nicht ein, was sein Herr und Meister ihm beigebracht hatte, und das war jetzt unbedingt nötig!
Wieder warf er einen ängstlichen, hilfeflehenden Blick nach der Portiere, aber von dorther kam ihm keine Unterstützung.
»Wie meinen Sie, Mister Nobody?«
Halt, auf die ersten beiden Silben konnte er sich wenigstens ungefähr besinnen!
»Wissen Sie, was ... was ... Schoko ... Schokola ... nein, Schokolade war's nicht, aber so ungefähr klang's, wissen Sie, was ... was ... was Yokohama ist?« platzte der verzweifelte Jochen jetzt heraus.
»Ah, Sie meinen Yoga, das indische Yoga?!« rief Mr. Mojan erfreut.
»Jawohl, Yoga!« wiederholte Jochen Puttfarken nicht minder erfreut. »Wenn ich Yokohama sage, dann meine ich allemal Yoga. Wissen Sie, was das ist?«
»Gewiß. Yoga nennen die indischen Fakire die körperlichen Uebungen, durch welche sie ihre Willenskraft und seelischen Fähigkeiten ausbilden.«
»Ja, da haben Sie's! Hier, das ist Yoga.«
Und Jochen Puttfarken griff noch einmal in sein Maul, packte die Zunge, zog sie so weit hervor, daß er sie hätte über den Kopf legen können, und ließ sie mit einem hörbaren Schnappen wieder zurückschnellen.
»Können Sie das auch?«
Mr. Mojan probierte es nochmals, prüfte das eigene Geschmacks- und Leckorgan auf seine Dehnbarkeit, nahm sogar beide Hände zu Hilfe, wickelte sogar sein Taschentuch um die Zunge, allein sie wollte sich nicht herausziehen lassen.
»Na, sehen Sie. Das müssen Sie erst können, dann werden wir weiter über den spiritistischen Abtritt reden. Oder können Sie wenigstens das?«
Puttfarken zog sein rotes Taschentuch, nicht zu dem Zwecke, um sich die Nase zu putzen, aber da er gerade das Bedürfnis hatte, so tat er es, und das Bedürfnis war ein sehr großes gewesen, und das war doch keine irdische Nase, Puttfarken trompetete wie ein zum Zorne gereizter Elefant, trompetete noch einmal, daß die Fensterscheiben klirrten, und wie er sich ausgetrompetet hatte, warf er dieses Taschentuch an den Boden, stellte sich dahinter, aber den Rücken dem Tuche zu, daß es fast seine Hacken berührte, beugte sich hintenüber, immer tiefer und tiefer, bis sein Kopf die Hacken berührte und er mit dem Munde das Taschentuch aufhob.
Aber nicht genug hiermit – in dieser unnatürlichen Stellung begann der Schlangenmensch den Lappen auch noch aufzufressen, und er beharrte mit dem Kopfe am Boden, bis das große, rote Taschentuch vollständig in seinem Munde war.
Mit ehrfurchtsvollen Augen betrachtete Mr. Mojan diesen Vorgang.
»Ja, ich weiß, ich weiß,« murmelte er, »das ist das indische Yoga, auf diese Weise bildet man seine Seele bis zur höchsten Entwickelung aller Kräfte aus.«
Langsam hatte sich Puttfarken wieder aufgerichtet und brachte das delikate Taschentuch, mit dem er seine Seele ausgebildet hatte, aus dem Munde wieder zum Vorschein. Bei der langen Rückenbeuge hatte sich abermals das Bedürfnis des Schnäuzens eingestellt, und so benutzte er das Taschentuch zunächst nochmals zu dem Zwecke, zu welchem ein Taschentuch für gewöhnlich bestimmt ist – er trompetete wieder mit Macht.
»Na, können Sie das? Machen Sie's mal nach.«
Schön, Mr. Mojan war bereit dazu, er stellte sich breitbeinig in Positur, reckte den dicken Schmerbauch so weit wie möglich heraus ... aber weiter ging die Rückenbeuge nicht.
»Muß man das wirklich können, ehe man zum spiritistischen Apport ... zum spiritistischen Abtritt fähig ist, wollte ich sagen?«
»Nu freilich. Yoga, mein lieber Mann, Yoga, egal Yoga machen! Können Sie denn wenigstens das?«
Puttfarken kauerte sich nieder, stemmte die Hände gegen den Boden, hob die krummen Beine in die Luft und begann so im Zimmer herumzulaufen und andere Exerzitien anzustellen. Er konnte als Parterregymnastiker wirklich etwas leisten, ein Zirkus hätte ihn bei Bedarf sofort engagiert. Schon dieser Handstand aus der Kniebeuge ohne Abstoß ist eine schwere Sache, und nun kletterte er auch noch auf diese Weise auf einen Stuhl und von diesem auf den Tisch, spazierte auf diesem herum, tanzte auf den Händen und ging vom Tisch mit einem eleganten Sprung wieder ab und auf seine zwei Beine.
»Können Sie wenigstens auf den Händen laufen? Wenn Sie das können, dann können wir erst vom spiritistischen Abtritt sprechen.«
Mr. Mojan wollte es einmal probieren; also der dicke Kerl kauerte nieder, hob das eine Bein, quirlte damit in der Luft herum und stöhnte dabei.
»Höher, höher!« kommandierte Puttfarken.
Der schwitzende Engländer quirlte mit dem Beine noch höher in der Luft herum.
»Aber nun das andere Bein auch hoch!«
Gut. Mr. Cerberus Mojan stellte das eine Bein wieder hin und quirlte dafür mit dem anderen in der Luft herum.
Hinter der Portiere stand Nobody und krümmte sich wie ein Wurm.
»Nee, nee, so war das nicht gemeint,« sagte Puttfarken. »Alle beide Beine müssen hoch. Geben Sie sich mit dem linken einen kräftigen Abstoß!«
Mr. Cerberus befolgte die Anweisung, gab sich einen kräftigen Abstoß – wirklich, jetzt hatte er beide Beine vom Boden abbekommen ... plautz! da lag er auf dem Bauche und zappelte mit Armen und Beinen – gerade wie eine auf den Rücken gedrehte Riesenschildkröte.
Er stand wieder auf, was er ohne Hilfe konnte, nur daß er dabei längere Zeit auf einem Beine balanzieren mußte, bis er das Gleichgewicht wiederhatte, und wischte sich den triefenden Schweiß vom Gesicht.
»Ja, das nennt man Yoga,« ächzte er. »Mr. Nobody, Sie sind ein Guru.«
Weiß der liebe Himmel, was für eine Bedeutung Jochen Puttfarken diesem ihm fremden Worte ›Guru‹ gab.
Plötzlich reckte er den Kopf aus dem hohen Stehkragen weit hervor, immer weiter, auch dieser sonst so dicke, kurze Hals schien aus Kautschuk zu bestehen.
»Wuat?«
Der sein Gesicht abrumpelnde Engländer sah diese herausfordernde Gebärde und das drohende Gesicht nicht.
»Sie sind ein Guru,« wiederholte er seine vermeintliche Schmeichelei.
Jetzt aber wurde das kleine Krummbein falsch, es machte aus seinen fünfzinkigen Kohlenschippen zwei respektable Schmiedehämmer.
»Wuat?! Wuat bin ick? Ein Gu ... ein Gu ... einen Kuckuck nennt Ihr mich? Ei, nun schlage doch Gott den Deiwel tot!!!«
Erst als Puttfarken mit boxgerechten Fäusten auf ihn eindrang, merkte Mr. Mojan die ihm drohende Gefahr.
»Aber ... aber, mein Herr,« stotterte er, Schritt für Schritt vor den gefährlichen Schmiedehämmern zurückweichend, »ich habe Sie doch nur einen Guru genannt, und das ist doch ...«
Puttfarken hatte jedenfalls den Auftrag bekommen, sich des Engländers, wenn der Komödie genug war, zu entledigen, diesen Auftrag führte er nun aus, aber wohl schwerlich in dem Sinne, wie es Nobody beabsichtigt hatte.
Jochens Gesicht ward nur immer noch grimmiger, jetzt begannen sogar seine Augen wie bei einem Laubfrosch herauszuquellen.
»Wuat? Nicht einmal ein Kuckuck – – ein Gu ... Gu ... ein Guru soll ich sein. Na, nun hat's aber dreizehn geschlagen! Männicken, jetzt setz' dich mal zur Wehr ...«
Der erschrockene Engländer retirierte immer weiter nach der Tür.
»Aber ... aber ... Mr. Nobody ... ich ich ich ich ... ich wollte doch den spiritistischen Apport lernen ... und ich will's ja bezahlen ... und ich kann's bezahlen ... ich ich ich ich habe vor zwanzig Jahren ganz klein mit Klauenfett angefangen, dann ging ich nach Südafrika und legte mich ...«
Mr. Cerberus hatte mit dem Rücken die Tür erreicht, wollte sich daranlehnen, aber er fand keine Tür, diese war von unsichtbarer Hand geöffnet worden, dadurch verlor der dicke Herr die Balance und legte sich ... nicht in Südafrika auf den Palmölhandel, sondern sich selber draußen auf dem Korridor mit dem Rücken auf den Boden.
Statt seiner stand im Türrahmen plötzlich eine schwarzgekleidete Dame.
Der verdutzte Puttfarken gab seine Boxerstellung auf, er sah, wie die schöne, junge Dame auch noch die Tür hinter sich zuzog, was seine Bestürzung nur noch vermehrte.
»Ist Mr. Nobody zu sprechen?« kam es in großer Aufregung von den Lippen der Dame.
Dieses eine Wort gab dem Verwirrten all seine Ruhe wieder, sofort war er sich bewußt, was für eine Rolle er zu spielen hatte, und ein Nobody durfte nie verlegen werden, und er fühlte die Augen seines Herrn und Meisters auf sich ruhen ... und er setzte also das linke Säbelbein vor, steckte die Hand in den Westenausschnitt und warf den Elefantenrüssel zurück.
»Bin ich.«
»Ich meine Mister Nobody, den amerikanischen Detektiv und Berichterstatter von ›Worlds Magazine‹.«
Jochen warf sich noch etwas mehr in die Brust und wippte mit dem quadratischen Lackschuh.
» Yes. Bin ick!«
Marguérite, die etwas vorgetreten war, prallte mit ausgestreckten Händen einen Schritt zurück, den krummbeinigen Zwergnase mit entsetzten Augen wie ein Gespenst anstierend.
»Nein,« hauchte sie, »nein ... Alfred ... das bist du nicht ... das kannst du nicht sein!«
»Wie nennt die mich?« dachte Puttfarken. Aber er war beauftragt, Nobodys Rolle zu spielen, und nun war ihm alles egal.
»Nicht? Ich wäre nicht Nobody? Ich muß doch am besten wissen, wer ich bin. Aber wer sind denn Sie eigentlich, daß Sie hier so ...«
»Sie wünschen, Madam?« wurde er von einer sonoren Stimme unterbrochen, und im Zimmer stand der wirkliche Nobody, aber nicht als süßlich lächelnder Kellner, sondern als stolzer Mann mit jugendschönen, aristokratischen Zügen, und es war ja ein tadelloser Frackanzug, den er trug.
»Alfred!!« schrie die schöne Witwe beim Anblick dieses Mannes auf, und dann preßte sie beide Hände gegen den wogenden Busen und rang nach Fassung. Eine solche Begegnung hatte sie nicht erwartet. Sie sah ihn ja wieder vor sich, wie sie ihn vor langen, langen Jahren treulos verlassen hatte. Sie war unterdessen ein gereiftes Weib, eine Witwe geworden, und was hatte sie in diesen langen, langen Jahren nicht alles erlebt und erlitten – – an dem Jugendgeliebten aber schien die Zeit spurlos vorübergegangen zu sein.
Nicht mit feindseligen, nur mit forschenden Augen betrachtete Nobody die vor ihm Stehende, und er benutzte ihre Fassungslosigkeit, um sich erst noch einmal an Puttfarken zu wenden.
»Geh hinaus, ich höre Mr. Mojan noch auf dem Korridor, entlasse ihn höflich, entschuldige dich, und dann sorge dafür, daß nicht wieder eine fremde Person in dieses Appartement dringen kann.«
Puttfarken entfernte sich.
»Alfred,« begann da Marguérite mit fliegendem Atem, »kennst du mich noch?«
»Haben Sie nicht gehört, wie ich meinem Diener sagte, er solle dafür sorgen, daß nicht noch einmal eine fremde Person hier hereindränge?« war die kalte Gegenfrage. »Darf ich Sie um Auskunft bitten, Madam, wie Sie hier hereingekommen sind? Nein, ich bitte nicht darum, sondern ich fordere diese Auskunft von Ihnen!«
»Die Vorsaaltür war nur angelehnt. – Alfred, so empfängst du mich?! Ich weiß, was ich dir zugefügt habe, aber ich habe bereut – und ich will büßen – und ich komme hierher, um dich ...«
»Halt!« unterbrach Nobody die hastig mit flehender Stimme Sprechende. »Ehe wir weiter verhandeln können, muß ich unbedingt eins wissen: woher erfuhren Sie, daß sich hinter dem Namen Nobody ... jener Mann versteckt, den Sie kannten?«
Marguérite mußte ihm wohl ansehen, wie ungeheuer wichtig ihm die Beantwortung dieser Frage war, und sie wollte ihm ja entgegenkommen. So beherrschte sie ihre Leidenschaft.
»Ich hatte viel von diesem Detektiv gelesen, ich interessierte mich für ihn, und je mehr ich über ihn las, desto lauter fragte mich immer eine innere Stimme: ob dieser von Lebenskraft überschäumende Mann nicht der verschollene Alfred sein könnte? – Und ich fand keine Ruhe bei Tag und bei Nacht, ich schrieb nach New-York an ›Worlds Magazine‹. Meine Briefe blieben unbeantwortet – ich wollte ein Detektiv-Bureau beauftragen ... da mit einem Male waren meine Fesseln gebrochen, ich selbst reiste nach New-York, ging zu Mister World und erfuhr, daß du es wirklich bist. – Es war Vorsehung, meine innere Stimme hatte mich nicht getäuscht.«
»Was konnte Ihnen Mr. World sagen? Er weiß selbst nicht, wer ich bin.«
»Er offenbarte mir, daß du einem deutschen Fürstenhause entstammtest, das wußte er von seinem Berichterstatter, und das genügte mir. – Alfred, verzeihe mir, ich ...«
»Halt! Ich bin noch nicht zu Ende. Wie kommen Sie hierher nach Kairo? Und ich erkenne, daß Sie erst heute eine lange Reise gemacht haben. Hat Ihnen Mr. World auch gesagt, daß Sie mich hier treffen würden?«
»Ja, er sagte es mir auf meine Bitten,« gestand Marguérite nach kurzem Zögern.
Nobody senkte die Stirne. Dann blickte er schnell wieder auf.
»Haben Sie Mr. World gesagt, wer ich bin?«
»Nein, mit keinem Worte,« entgegnete Marguérite in einem Tone, dem man die Aufrichtigkeit sofort anhörte. »Unsere Unterhaltung wurde jählings unterbrochen, und da ich weiß, daß du unerkannt sein und bleiben willst, so hatte ich dein Geheimnis auch unter allen Umständen gewahrt.«
»Gut, ich danke Ihnen,« sagte Nobody mit sanfter Stimme, was sofort auf des Weibes Antlitz einen glücklichen Schein hervorzauberte.
»Aber noch mehr,« fuhr Nobody fort. »Wer weiß es sonst noch, daß Nobody dieser ...Prinz Alfred ist?«
»Das weiß kein anderer Mensch als ich!« rief Marguérite mit auffallender Hast, und dann errötete sie und wurde gleich darauf weiß wie Schnee unter den Blicken, die ihr entgegenblitzten.
»Madam, wie wollen Sie das behaupten, daß Sie allein die Wissende sind?« fragte er kalt, auch etwas spöttisch.
Wiederum stieg ein heißes Rot in dem weißen Antlitz auf.
»Ich meine, ich, ich selbst habe es keinem anderen Menschen verraten,« versicherte sie abermals mit ganz auffallender Hast, »ja, doch, einer einzigen Person, meiner Kammerdame, Fräulein von Simken, die mir nach New-York gefolgt war, aber die ist am anderen Tage im Hotel an einem Herzschlag verschieden.«
Nobody wollte diesen Fall näher beschrieben haben, und Marguérite erzählte bereitwilligst.
»Und sonst haben Sie wirklich keinem einzigen Menschen gesagt, wie Sie erfahren haben oder zu dem festen Glauben gekommen sind, daß Prinz Alfred und dieser Detektiv ein und dieselbe Person sind?« fragte Nobody nochmals aufs eindringlichste, und seine Augen, mit denen er das Weib fixierte, nahmen plötzlich einen ganz eigentümlich stechenden Blick an.
»Wenn er seine Augenlider niederschlägt, so ist es, als wenn ein zweischneidiges Schwert in die Scheide gesteckt würde,« hatte sich damals an Bord der ›Persepolis‹, da wir unseren Helden zum ersten Male kennen lernten, eine poetisch veranlagte Dame geäußert.
Jetzt aber wurde dieses zweischneidige Schwert entblößt!
»Wahrhaftig nicht, ich schwöre es!« rief Marguérite und hob wirklich die rechte Hand zum Schwure empor, während sie die linke auf das Herz legte.
»Madam, sehen Sie mich an!!« sagte Nobody im schärfsten Tone.
Da klopfte es an der Tür.
»Wer ist da?« fragte Nobody.
»Es möchte Sie jemand sprechen, Sie kennen ihn,« entgegnete draußen Puttfarkens Stimme.
Nobody schritt an Marguérite vorüber – es war eine höchst eigentümliche Szene, die aber gleich ihre Aufklärung findet – und öffnete die Tür.
»Aahh, Kapitän Flederwisch! Das nenne ich eine Ueberraschung! Treten Sie ein, mein Lieber!«
Flederwisch folgte der Aufforderung, aber sehr zögernd, verdutzt, denn er sah da mitten im Zimmer, ihm den Rücken zudrehend, eine schwarzgekleidete Dame stehen, welche die rechte Hand mit zwei gestreckten Fingern erhoben hatte, und so in dieser einem Schwure angemessenen Stellung verharrte die Dame regungslos, auch bei des Kapitäns Eintritt.
»Sie sind schon da? Ich habe Sie noch gar nicht erwartet,« nahm Nobody im unbefangensten Konversationstone wieder das Wort, als er jenem die Hand geschüttelt hatte.
»Ja, wir wurden durch nichts aufgehalten,« entgegnete Flederwisch, immer noch zögernd, den Blick unsicher auf die ihm den Rücken kehrende Dame geheftet, »die ›Wetterhexe‹ liegt sicher im Bittersee ... auch die Bootsfahrt auf dem Mehemed-Kanal ging glatt vonstatten ... und ich ...ja, Mr. Nobody, wer ist denn das nur?« unterbrach er sich flüsternd.
»Das? Das ist die Dame, von welcher ich Ihnen erzählte, als ich mich Ihnen offenbarte,« erwiderte Nobody mit lauter Stimme. »Ihre Königliche Hoheit, Prinzessin Margarete, deren hoher Gemahl kürzlich in seinem englischen Exil gestorben ist. – Kommen Sie, betrachten Sie sich mal meine einstige Braut von vorn.«
Der junge Hüne wußte sonst ganz sicher nicht was Furcht ist, aber wie er jetzt dem Freunde folgte, da prägte sich in seinen gebräunten Zügen eine ängstliche Scheu vor dem rätselhaften Ueberirdischen, und so schlich er auf den Zehenspitzen um die Gestalt herum.
Marguérite stand also noch immer mit zum Schwure erhobener Hand da, die andere auf das Herz gelegt, aber sie blickte nicht mehr geradeaus, sondern ihre Augäpfel hatten sich ganz nach oben verdreht, so daß man nur noch das Weiße sah.
»Nobody – um Gott! – erklären Sie mir dieses Rätsel – was ist mit dieser Dame?!« flüsterte der Kapitän außer sich.
»Sie fragen auch noch?« lächelte Nobody. »Können Sie sich nicht mehr entsinnen, wie ich das Gespräch einmal auf den Hypnotismus brachte? Sie spotteten darüber, Sie hätten zwar schon hypnotischen Vorstellungen beigewohnt, aber die Personen, mit denen experimentiert wurde, seien bestochen gewesen, sich zu verstellen, und den wollten Sie einmal sehen, der Sie hypnotisieren könnte. – Ich schwieg, denn hätte ich einen von unseren Leuten hypnotisiert, so hätten Sie wiederum geglaubt, der Mann wäre mit mir im Bunde und simuliere nur, und hätte ich Sie selbst hypnotisiert, so hätten Sie das hinterher nicht gewußt, und die Leute konnten Ihnen dann viel erzählen. – Und Sie waren im Recht mit Ihrem Unglauben. Denn die in allen Fragen kompetente Pariser Akademie der Wissenschaften hatte im Jahre 1784 den Hypnotismus, damals noch Mesmerismus genannt, als einen Schwindel bezeichnet, im besten Sinne als eine Einbildung. – Und was kompetente Männer der Wissenschaft erklären, muß man als Tatsache anerkennen, das ist die Pflicht des Laien, sonst verfällt man dem Fluche der Lächerlichkeit. – Die Erde dreht sich um die Sonne. Woher weiß ich das? Meine gesunden Augen sagen mir gerade das Gegenteil, ich fühle auch nicht, daß ich mit einer ungeheuren Geschwindigkeit auf der Erde durch den Weltenraum sause und manchmal mit dem Kopfe nach unten hänge. Das kann ich mir nicht berechnen, das könnte mir auch kein Astronom mit Zahlen beweisen, auch Ihnen nicht, Herr Kapitän, obgleich Sie selbst zur Nautik eine große Portion Astronomie nötig haben. Denn dazu gehört eine ganz andere Art von Mathematik, die man nicht in ein paar Jahren auf der Schule eingetrichtert bekommen kann. Wir würden den Beweis der Astronomen gar nicht verstehen. Trotzdem nun glauben wir beide mit allen Menschen, welche auf das Wort ›Bildung‹ Anspruch machen oder machen wollen, an das Weltsystem des Kopernikus und des Galilei. Weshalb? Die meisten Menschen halten das für ganz selbstverständlich, daß sich die Erde um die Sonne bewegt – – weil eben die meisten Menschen gedankenlose Papageien sind, welche einfach nachschwatzen, was alle Welt schwatzt. Wir beide aber wollen unsere Unkenntnis offen eingestehen und sprechen: ich glaube, daß sich die Erde um die Sonne bewegt, weil dies Männer behaupten, welche mehr wissen als ich – Männer, welche sich zu diesem Beweise ein mühsames Studium zur Lebensaufgabe gemacht haben – darunter auch Männer, welche für ihre Ueberzeugung im Kerker geschmachtet und selbst auf dem Scheiterhaufen geendet haben, auf daß sie nicht die Sünde begingen, welche die einzige ist, die nie, nie verziehen werden kann, die Sünde gegen den heiligen Geist, welcher die Wahrheit ist – und deshalb glaube ich, was sie mit ihrer heiligsten Ueberzeugung behaupten!«
Mit einer Feierlichkeit, die man bei diesem Manne gar nicht vermutete, hatte Nobody gesprochen.
»Deshalb waren Sie berechtigt, den Hypnotismus bisher zu verspotten,« fuhr er dann in etwas leichterem Tone fort. »Aber jetzt muß das vorbei sein. Wir haben auf See keine Zeitungen zu sehen bekommen. Ich werde es Ihnen dann zeigen: jetzt, nach über 100 Jahren, hat die Pariser Akademie ihr damaliges Urteil zurückgenommen, sie hat den Hypnotismus als eine Tatsache anerkannt! – Und hier sehen Sie eine Person, welche sich in diesem Zustande befindet. Das ist der Hypnotismus, welcher in der Hand eines würdigen Arztes des Leibes und der Seele noch zum unaussprechlichen Segen der physisch und psychisch leidenden Menschheit werden wird – das ist der Hypnotismus, mit dem ein unmoralischer Mensch furchtbaren Mißbrauch treiben kann!«
»Wie haben Sie die Hypnose herbeigeführt?« fragte Flederwisch, jetzt mit staunendem Auge das Weib betrachtend, welches noch immer mit erhobenem Arm dastand, aber es war zu bemerken, wie dieser Arm nach und nach herabsank.
»Durch einen einzigen Blick. Nein, durch meine Willenskraft. Doch was bedeutet das Wort Hypnose und Hypnotismus? Es ist ein leerer Schall. Was ist unser Schlaf? Wir wissen es nicht. Der Hypnotismus ist uralt und jetzt erst wieder neu entdeckt worden. Aber die Indier haben ihn fort und fort gepflegt und benutzt, die indischen Fakire wissen ihn in allen Graden zu erzeugen. Sie sehen, wie ihr Arm erlahmt. Sie will ihn wohl hoch halten, aber sie vermag es nicht auf die Dauer. Jetzt erzeuge ich in diesem hypnotischen Schlafe noch eine andere Art von Hypnose – oder wie man es sonst nennen mag.«
Nobody trat hinter Marguérite, richtete ihren Arm wieder höher und griff gleichzeitig mit der freien Hand in ihren Nacken, und der Kapitän sah wohl, daß er durchaus nicht sanft zugriff, wie seine Finger sich in das weiße Fleisch gruben.
»Jetzt befindet sie sich in einem Zustande von Starrsucht,« sagte er, als er zurücktrat,[.] »Haben Sie gesehen, wenn ein Fakir oder Derwisch die Tierverwandlungen unter dem Korbe ausführt? Gewöhnlich beginnt er mit einem Hunde, und diesem Hund greift er jedesmal zuerst auf eine eigentümliche Art ins Kreuz. Dann kann sich der Hund nicht mehr bewegen, und er ist nicht nur von der Starrsucht befallen, sondern er ist tatsächlich hypnotisiert. Aber das Wort ›hypnotisiert‹ will nicht recht passen, weil wir unter Hypnose eigentlich etwas ganz anderes verstehen. Die Fakire wissen überhaupt selbst nichts über die Natur des ganzen Phänomens, sie kennen nur die dazu notwendige Manipulation und deren Erfolg.«
Nobody blickte nach der Uhr.
»Ich muß mich beeilen oder mich doch erst vergewissern, ob sie Zeit hat und nicht erwartet wird.«
Er trat einen Schritt vor sie hin und sah sie fest an. Es war zu bemerken, wie er seine Willenskraft konzentrierte.
»Margarete, hörst du mich?« fragte er in scharfem Tone.
»Ich höre dich,« klang es sofort fließend zurück.
Flederwisch hatte also hypnotischen Vorstellungen beigewohnt, wenn auch als ungläubiger Zuschauer, und da war ihm immer aufgefallen, wie sämtliche Hypnotisierte stets eine stockende, mühsame Sprache ›simulierten‹.
Das ist nun auch tatsächlich der Fall. Für gewöhnlich fällt dem Hypnotisierten das Sprechen sehr schwer, er ringt mit den Worten. Diese Frau aber sprach ganz fließend. Es war eben eine andere Art des hypnotischen Zustandes, und Nobody hätte wohl auch die natürliche Lage ihrer Augen wiederherstellen können.
»Du wirst mir der Wahrheit gemäß alles beantworten, was ich dich frage. Ich befehle es dir!«
»Ja.«
»Wann bist du nach Kairo gekommen?«
»Heute morgen um elf Uhr.«
»Bist du allein gekommen?«
»Nein.«
»Wer war noch bei dir?«
»Zwei Herren.«
»In deiner Begleitung?«
»Wo sind diese beiden Herren jetzt?«
»Sie sind nach der Post gegangen.«
»Wie heißen sie?«
»Monsieur Huxley und Monsieur Wall.«
»Sie wohnen auch in diesem Hotel?«
»Ja.«
»Woher kennst du sie?«
»Aus New-York,«
»Kanntest du sie schon von früherher?«
»Nein.«
»Wie machtest du ihre Bekanntschaft?«
»Sie boten sich mir an.«
»Wozu boten sie sich dir an?«
»Sie wollen Alfred blenden,« erklang es ohne Zögern.
»Blenden?« wiederholte Nobody.
»Ja.«
»Soll das heißen, sie wollen ihn ... blind machen?«
»Ja.«
»Sie wollen ihn des Augenlichtes berauben?« vergewisserte sich Nobody nochmals.
Und Nobody erfuhr alles. Von selbst erzählte die Hypnotisierte allerdings nicht, aber durch geschickte Fragen holte er alles aus ihr heraus, und er begann noch einmal von vorn. Er erfuhr, wie sie sich mit Fräulein von Simken überworfen hatte, wie sie an jenem Abend den geheimnisvollen Besuch des Fremden bekommen, was ihr dieser alles erzählt und ihr für einen Vorschlag gemacht hatte, worauf sie eingegangen war.
Zuerst wollte Marguérite in Güte versuchen, sich mit dem einstigen Geliebten zu versöhnen, das alte Verhältnis wieder anzuknüpfen. Aber die Hypnotisierte gestand ganz offen, wie wenig Hoffnung sie habe, daß ihr das gelingen würde.
Dann also waren ihre beiden Kumpane zur Stelle, um den Anschlag auszuführen. Die Absicht, ihm ein Bein abzunehmen, damit ihr das zukünftige Männchen nicht wieder ausreißen könne, hatte Marguérite aufgegeben. Sie wollte ein Männchen mit zwei gesunden Beinen haben. Nur im höchsten Notfalle, wenn dem Wildfang nicht beizukommen war und er bei der Prozedur des Blendens nicht stillhalten wollte, dann sollte doch noch zuerst der verhängnisvolle Schuß fallen, und dann allerdings sollte das Bein getroffen werden, das war doch kein edler Teil, aber es sollte womöglich auch nur ein kräftiger Fleischschuß sein.
Die Hauptsache aber war: blenden! Blind gemacht mußte er auf alle Fälle werden! Der Gauner hatte dem Weibe einen Floh ins Ohr gesetzt, sie mochte sich das Tag und Nacht ausgemalt haben, und das blinde Männchen, dessen Gesichtssinn sich fortan im Gefühl konzentrierte, hatte dem lüsternen Weibe immer mehr imponiert.
So erzählte die Hypnotisierte, durch entgegenkommende Fragen angeleitet, ganz offen. Bisher hatte sie den beiden Gaunern einen Vorschuß von etwa 11 000 Dollar gegeben, die Prämie bei Ablieferung des blinden Mannes betrug nicht weniger als 100 000 Dollar, und diese Prinzessin konnte sich das auch leisten.
Das Blenden geschah mittels eines glühenden Eisens, das dem Gefesselten dicht vor die Augen gehalten wurde. Wo der ›Trick‹ ausgeführt wurde, war noch nicht bestimmt. Jedenfalls mußte Nobody, vielleicht durch die Einladung eines englischen Großen zur Jagd, in eine einsame Gegend gelockt werden, womöglich in ein Gebirge, wozu sich das Geiergebirge in der Oase Fayum recht gut eignete. Denn dort sei Mr. Huxley vortrefflich orientiert, dort wüßte er gleich arabische Wüstenräuber zu engagieren, die sich zu so etwas eigneten. Dann mußte Madame Lenois von dem Anschlag gehört haben, sie eilte dem gegen sie so obstinaten Geliebten nach, wollte ihn warnen, kam zu spät, befreite ihn durch eigene Kraft aus den Händen der Wüstenräuber, die den Aermsten zur Erzwingung eines Lösegeldes schon geblendet hatten, und nun führte sie den Blinden aus dem Gebirge heraus und in ein neues Leben an ihrer Seite hinein. –
Während Nobody bei diesen Geständnissen ganz kaltblütig blieb, nur darauf achtend, daß er durch geschickte Fragen in möglichst kurzer Zeit von der Hypnotisierten alles erfuhr, was er wissen mußte, geriet Kapitän Flederwisch immer mehr außer sich, was er zuerst nur durch Gebärden ausgedrückt hatte.
»Mein Gott, mein Gott,« rief er zuletzt, »hält man denn solch eine Schlechtigkeit und Verworfenheit nur für möglich?! Sind denn das nur wirklich wahre Gedanken, welche dieses Weib da ausspricht?!«
»Gewiß, im Zustande der Hypnose gibt es keine Lüge und Verstellung, da hat man seine innersten und verborgensten Gedanken auf der Zunge. Und Sie halten das für eine so unerhörte Schlechtigkeit? Kapitän, da kennen Sie die Menschen noch nicht richtig. Und was dieses Weib anbetrifft, so will ich dann später mit Ihnen darüber sprechen. Wollen Sie jetzt hinter die Gardine treten und sich nicht bemerkbar machen, ich werde sie wecken, ich weiß genug, gar zu sehr soll sie dann die Dauer der verträumten Zeit nicht empfinden.«
Flederwisch gehorchte, er verbarg sich hinter der Portiere.
»Weißt du, Margarete, was wir jetzt gesprochen haben?«
»Ich weiß es.«
»Wenn ich jetzt zu dir sage: Erwache! – so wirst du erwachen und nichts mehr von dem wissen, was du mir jetzt gestanden hast.«
»Ich werde erwachen und nichts mehr von dem wissen, was ich dir jetzt gestanden habe,« wiederholte sie, wie immer, seine Worte.
Das war nur eine Vorsicht von Nobody. Der Hypnotisierte weiß überhaupt niemals nach dem Erwachen, was er getan und gesprochen hat.
»Ich befehle dir ferner, daß du dich von jetzt an von niemand anderem mehr hypnotisieren läßt.«
»Von niemand anderem.«
»Nur von mir.«
»Nur von dir.«
»Sobald ich zu dir die Zahl sage: zweihundert!! – bist du hypnotisiert.«
»Sobald du zu mir die Zahl zweihundert sagst, bin ich hypnotisiert.«
Staunend hatte Flederwisch diese Instruktionen vernommen, staunend wurde er Zeuge des weiteren Verlaufes, und sein Staunen wäre noch größer gewesen, hätte er gewußt, was dieser Hypnose vorausgegangen war, was das Weib gesprochen hatte, ehe es in diesen Zustand des Schlafwachens verfiel.
»Blicke mich an!« befahl Nobody.
Gehorsam rollten die Augäpfel, die ständig nach oben gerichtet gewesen waren, herab. Aber die Augen hatten einen seltsam starren Ausdruck, sie waren gebrochen wie die einer Leiche.
»Erwache!!!« rief Nobody im schärfsten Tone.
Flederwisch konnte zuerst gar keinen Erfolg dieses Befehls wahrnehmen. Sie blieb so stehen, wie sie gestanden hatte, den rechten Arm mit zwei ausgestreckten Fingern zum Schwure emporgehoben, die linke Hand auf dem Herzen. Der Beobachter stand zu weit entfernt, um sehen zu können, wie in ihr erloschenes Auge plötzlich das Leben zurückkehrte.
»Ich glaube Ihrem Schwure, Madam,« sagte Nobody.
Da sank der Arm herab – und Marguérite glaubte nicht anders, als sie habe soeben unter Schwur versichert, außer ihrer verstorbenen Kammerdame keinem einzigen Menschen verraten zu haben, daß sie wisse, wie Nobody und der ehemalige Prinz ein und dieselbe Person seien – alles andere, die ganze Viertelstunde, welche ihr hypnotischer Zustand in Anspruch genommen hatte, existierte nicht in ihrem Gedächtnis.
Es war kein falscher Schwur gewesen, sie hatte ja wirklich nichts zu Huxley gesagt, dieser hatte es bereits selbst gewußt – aber eine verwerfliche Handlung hatte sie dennoch begangen, denn sie wußte recht wohl, daß Nobody etwas ganz anderes gemeint hatte – ob sie noch eine Person wisse, der dies bekannt wäre.
»Alfred,« begann sie jetzt wieder in flehendem Tone, »wenn du wüßtest, was ich durchgemacht habe ...«
Zum ersten Male brach bei ihm etwas wie bitterer Spott hervor.
»Und wissen Königliche Hoheit, was der harmlose Jüngling damals durchgemacht hat, als Sie eine Krone seiner wahren Liebe vorzogen?«
»Alfred!« flehte sie von neuem mit erhobenen Händen.
»Ich habe meinen Schmerz schon längst überstanden,« unterbrach er sie kalt, »und ich dächte, Sie wären in den Jahren, da man gelernt haben muß, seine Leidenschaften zu bändigen.«
Da lag sie vor ihm auf den Knien.
»Alfred, verstoße mich nicht, laß mich nur bei dir bleiben als deine Magd, als deine ...«
»Geben Sie sich keine Mühe, Madam. Stehen Sie auf. Verlassen Sie mein Zimmer oder ich rufe meinen Diener.«
Sie sah sofort ein, daß dieser Mann, der mit über der Brust verschränkten Armen dastand, kein Mitleid kannte, nicht zu rühren war, und sie stand auf.
»So ... auf diese Weise stößt du mich von dir?!« kam es zischend über ihre Lippen, und doch wollten ihre Augen ihn noch in wilder Leidenschaft verschlingen.
»Es tut mir leid. Es ist das beste so. So kurz wie möglich.«
Diesem Manne gegenüber war jedes weitere Wort vergeudet.
»Gut ... ich gehe ... aber ... auf Wiedersehen ... nein, nicht auf Wiedersehen, sondern auf ... auf ... auf ... ja, doch auf Wiedersehen, Alfred! Ich verliere den Mut nicht, du wirst dennoch mein ... weil du mich und meine Liebe zu dir noch erkennen wirst.«
Nach diesen hastig und ruckweise hervorgestoßenen Worten, mit welchen sie ihren schändlichen Plan auch im wachen Zustande fast verraten hätte, eilte sie hinaus.
Nobody folgte ihr langsam, vergewisserte sich, daß sie wirklich das Appartement verlassen hatte und die Vorsaaltür geschlossen war, und kam zurück.
»Ich erkannte sofort, daß sie log, daß sie einen triftigen Grund hatte, mir etwas zu verheimlichen,« sagte er zu dem aus seinem Versteck hervortretenden Kapitän, »deshalb hypnotisierte ich sie schnell. Nette Geschichten, die wir da zu hören bekommen haben, was? Ja, die Weiber, die Weiber!«
Während Nobody so ganz gleichgültig sprach, rang der ehrliche Flederwisch noch immer mit seiner Erregung; solch eine Schlechtigkeit, die sich ihm da enthüllt hatte, brachte ihn ganz aus der Fassung,
»Und sie hat wirklich die Wahrheit gesprochen? Sie glauben, daß sie dieses Vorhaben wirklich ausführen wird?«
»Ganz sicher. Das heißt, sie wird es auszuführen versuchen, gelingen dürfte es ihr schwerlich.«
»Dann sofort sie festgenommen, und mit ihr die beiden Verbrecher, die ja im Hotel wohnen!!« rief Flederwisch.
»Ich werde mich hüten!« lachte Nobody sorglos.
»Was? Sie wollen es nicht tun?«
»Ich werde mir doch dieses famose Abenteuer nicht entgehen lassen. Und dann noch etwas anderes: der Hypnotismus ist jetzt von der Akademie der Wissenschaften als Tatsache anerkannt worden, aber in der Praxis hat das noch nicht viel zu bedeuten und dürfte auch in den nächsten Jahrzehnten keine Bedeutung finden, am wenigsten vor Gericht. Gehen Sie jetzt einmal nach der Polizei und sagen Sie: das Weib dort hat zwei Gauner engagiert, die sollen mich mit einem Stück glühenden Stahl blind machen, das habe ich aus ihr heraushypnotisiert, und in der Hypnose spricht sie die Wahrheit, die Pariser Akademie hat's auch gesagt, hier steht's in der Zeitung ... hahahaha, die würden Sie nicht schlecht auslachen! Beweise, lieber Freund, Beweise! In flagranti erwischen! Und das ist's ja eben, worauf ich mich freue. Hoffentlich erhalte ich die Einladung zur Jagd recht bald. Hei, wenn die mich blind machen wollen, dann werde ich ihnen etwas zeigen, daß ihnen die Augen übergehen sollen!«
Jetzt wunderte sich Flederwisch nicht mehr. Er kannte die verwegene Abenteurernatur seines Freundes, für den das Leben nur dazu da zu sein schien, es aufs Spiel zu setzen, nun schon zur Genüge.
»Ich habe auch noch verschiedene andere Gründe, daß ich diesem Weibe und seiner Sippschaft nicht sofort das Handwerk lege,« fuhr Nobody fort, mit auf dem Rücken verschränkten Armen im Zimmer hin- und hergehend. »Der Wille ist schon die Tat. So steht's in der Bibel. Aber ich denke hierüber anders. Schon mancher hat sein geplantes Vorhaben nicht ausgeführt, und soll er dann bestraft werden? Nein, sie müssen zur Tat schreiten, und dann heißt es, ihnen zuvorkommen. Gegen das Weib habe ich überhaupt gar nichts. Marguérite ist entschuldbar ...«
»Ist entschuldbar?« wiederholte der junge Kapitän staunend. »Obgleich sie entschlossen ist, Sie des Augenlichtes zu berauben?!«
»Jawohl. Ich habe hierüber meine eigenen Ansichten. Marguérite liebt mich. Das ist ein Faktum. Mag es nur eine augenblickliche, neu erwachte, zügellose Leidenschaft sein – gleichgültig, sie liebt mich. Und das Weib, welches liebt, ist zu allem fähig, ist zu jedem Opfer bereit – und wenn man das im guten Sinne anerkennt, so muß man das auch im schlechten Sinne anerkennen, das fordert die Gerechtigkeit – und mag also das Weib in seiner leidenschaftlichen Liebe auch ein noch so ungeheures Verbrechen begehen – es ist zu entschuldigen.«
So konnte eben nur dieser Mann sprechen! Er setzte aber auch noch gleich etwas anderes hinzu:
»Das ist auch schon seit alters bis auf den heutigen Tag vom Gericht anerkannt worden – instinktiv, möchte ich sagen. Wenn ein Weib eine Nebenbuhlerin mit ihrem Manne oder nur mit dem Geliebten in flagranti erwischt und die Nebenbuhlerin sofort tötet, so wird das Weib fast immer freigesprochen. Unzurechnungsfähig! Und hätten wir weibliche Richter, so würden Frauen noch viel öfter freigesprochen werden – nicht etwa aus Parteilichkeit, auch nicht aus falscher Weichherzigkeit, sondern aus Einsicht, aus Erkenntnis der wahren Ursache. Unzurechnungsfähig! Wenn eine Mutter für ihr hungerndes Kind stiehlt, so ist das etwas total anderes, als wenn ein Mann, als wenn der Vater dasselbe für sein Kind tut. Der Mann weiß, daß er stiehlt; dem Weibe, welches für das Kind sorgt, geht im Augenblicke der Tat das Bewußtsein ganz ab. Aber das können wir gar nicht verstehen. Man muß ein Weib sein, um ein Weib be- und verurteilen zu können. – Ein Weib bin ich nun nicht. So weit, daß ich mir jener zuliebe die Augen ausstechen lasse, geht meine Gutmütigkeit nicht. Ich muß mich schützen. Ich wüßte ein sehr einfaches Mittel.«
»Welches?«
»Haben Sie schon von dem sogenannten posthypnotischen Befehl gehört?«
Ja, gehört hatte der Kapitän schon davon, aber noch weniger daran geglaubt, als er bisher überhaupt an den ganzen Hypnotismus geglaubt hatte.
»Es geht. Auch der posthypnotische Befehl ist eine Tatsache. Sie hörten doch, wie ich zu der Frau sagte, sobald ich ihr das Wort ›zweihundert‹ zurufe, solle sie sofort wieder in hypnotischen Schlaf fallen?«
»Und Sie meinen, das würde wirklich geschehen?!« fragte Flederwisch ungläubig.
»Das meine ich nicht nur, sondern das weiß ich ganz bestimmt! Hätten Sie ungläubiger Thomas sich etwas mehr um Hypnotismus gekümmert, so würden Sie wissen, daß dieses Geben eines Stichwortes, bei welchem ein schon einmal Hypnotisierter sofort und mit unbedingter Sicherheit wieder in schlafwachen Zustand fällt, der allereinfachste posthypnotische Befehl ist. Ein komischer Zufall ist nur, daß meine alte Bekannte mit der Zahl zweihundert gerade das Hundert vollgemacht hat.«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Flederwisch.
»Nun, das ist nicht etwa die erste Person, der ich so ein Stichwort gebe. Ich bin so menschenfreundlich, die betreffende Person durch meinen Befehl davor zu schützen, daß sie fernerhin von keinem anderen hypnotisiert werden kann, und meine Willenskraft nimmt es mit der von jedem anderen Hypnotiseur auf, und darauf kommt es nämlich an, ich habe schon manchen Hypnotiseur von der Bühne herunterhypnotisiert – aber ich bin auch so egoistisch, mir selbst meinen einmal gewonnenen Vorteil zu wahren. Ich bediene mich als Stichwörter ganz einfach der Zahlen. Jeder, den ich einmal hypnotisiert habe, bekommt eine Nummer, und wenn ich diese nenne, nur so oberflächlich im Gespräch, muß er sofort einschlafen. Aber ich habe gleich mit Nummer einhunderteins begonnen, denn die kleineren Zahlen kommen doch häufig im Laufe des Gespräches vor, und da kann es passieren, daß so ein Kerl mitten in der Gesellschaft die Augen zu verdrehen anfängt und wie eine Statue dasitzt, und das wäre für mich doch unangenehm. Buch darüber brauche ich nicht zu führen, ich habe die Nummern alle im Kopf. Keigo hat Nummer hundertsechsundsiebzig.«
»Keigo?! Den haben Sie auch schon hypnotisiert?!«
»Damals, als ich ihn mit Sir Clane im Untersuchungsgefängnis besuchte. Verstehen Sie denn immer noch nicht, wie ich das machte? Erst hypnotisierte ich den Japaner, er mußte mir alles beichten – hallo, sagte ich mir, also er hat für das Masamune ein Monikono gegeben. Ja, wo ist aber nun dieses Monikono? Jetzt erst, nämlich erst an dem Abend des Tages, an dem ich vor Gericht dem Japaner auf den Kopf zusagte, daß er dem Loftus Deacon ein Monikono gegeben, drang ich in das Mordhaus und fand denn auch richtig das zweite Schwert in dem ehernen Götzen – und den verhungerten Mörder dazu.«
Kapitän Flederwisch glaubte, seinen Freund doch nun schon zu kennen, und jeder Tag belehrte ihn, daß dies noch gar nicht der Fall war. Jeden Tag brachte ihm dieser Mann neue Rätsel, dieser ganze Mann war selbst ein unergründliches Rätsel.
»Ja, da war aber doch Sir Clane dabei, und der schien dann doch gar nicht begreifen zu können, woher Sie das alles plötzlich wußten?«
»Der Rechtsanwalt konnte auch gar nichts davon wissen, denn den hatte ich gleichfalls hypnotisiert.«
»Was, in der Zelle des Untersuchungsgefangenen gleichzeitig mit diesem?« rief Flederwisch förmlich bestürzt.
»Alle beide gleichzeitig,« bestätigte Nobody. »Dazu bedarf es nur eines einzigen Blickes. Keigo mußte mir beichten, der Rechtsanwalt durfte nichts davon hören, und dann wußten alle beide nicht, was in der Gefängniszelle passiert war.«
Das war schon mehr Entsetzen als nur Staunen, mit welchem der Kapitän auf diesen Mann blickte, der auf seine Mitmenschen eine solch furchtbare Macht ausüben konnte.
»Mit jenem Weibe bin ich fertig,« nahm Nobody wieder das Wort. »Sie tut mir leid, sehr leid, ich kann mich recht lebhaft in ihre Lage versetzen, aber aus Gefälligkeit ihr Liebe zu heucheln, so weit geht meine Weichherzigkeit eben nicht. Wie soll ich sie nun von ihrer Leidenschaft zu mir kurieren? Ich könnte ihr einen posthypnotischen Befehl suggerieren mit dem Inhalte: Laß ab von mir, ich bin dir von jetzt an ganz gleichgültig!! Aber ich habe ein Gewissen, und ich halte auf ein reines Gewissen. Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg' auch keinem andern zu. Das ist in Sachen des Gewissens mein Glaubensbekenntnis. Gesetzt den Fall, ich wäre ein Schuft, ich verbärge in meinem Innersten irgend ein verbrecherisches Geheimnis, und es kommt jemand, dessen Willenskraft stärker ist als die meine, und er hypnotisiert mich, um dieses mein verbrecherisches Geheimnis mir zu entlocken, zum Nutzen für sich, zum Nutzen anderer, vielleicht der ganzen Menschheit – so ist das ganz recht von ihm gehandelt, und eben deswegen tue auch ich so. Aber wenn ich daran denke, es könne mir jemand einen posthypnotischen Befehl geben, der mich unbewußt zum Sklaven seines Willens macht, und wenn er mir auch ein noch so gutes, noch so edles Vorhaben suggerierte, das ich ausführen soll – nein, nein, das ist für mich ein entsetzlicher Gedanke, der Willenssklave eines anderen Menschen zu sein – frei soll der Mensch sein!!! – und wenn es auch der gemeinste Bösewicht ist, er muß frei über seine Handlungen bestimmen können! – und deshalb werde auch ich nie, niemals einen posthypnotischen Befehl anwenden! Verstehen Sie, Kapitän, was ich hiermit meine?«
»Ja, ich verstehe,« entgegnete Flederwisch mit einem tiefernsten Gesicht. »Erlauben Sie mir noch eine Frage. Sie hatten doch von vornherein die Absicht, von Keigo Kiyotaki zu erfahren, was es mit dem Goto-Schatze für eine Bewandtnis habe?«
»Gewiß, daran dachte ich, als ich den aus dem Gefängnis Entlassenen bewog, sich an Bord meiner Jacht unter meinen Schutz zu begeben,« gestand Nobody ganz offen. »Das heißt, ich hätte den von aller Welt Ausgestoßenen sowieso bei mir aufgenommen, auch wenn er keinen Schatz zu hüten gehabt hätte, das war ich dem Unglücklichen doch schuldig. Aber daß er im Besitze eines geldbringenden Geheimnisses war, war doch eine sehr angenehme Mitgift. Warum fragen Sie das, Kapitän?«
»Sie hatten den Japaner durch Hypnose doch schon einmal in Ihrer Gewalt.«
»In meiner völligen Gewalt.«
»Sie hätten doch sofort aus ihm herausbringen können, was es mit dem Goto-Schatze für eine Bewandtnis habe.«
»Natürlich, das hätte ich können. Keigo hätte mir alles gestehen müssen und hätte hinterher nicht einmal etwas davon gewußt.«
»Und Sie taten es nicht?«
»Kapitän, halten Sie mich denn für einen Schuft?
Doch ich weiß, was Sie meinen. Das ist es eben, was ich niemals tue. Ich mißbrauche diese geheimnisvolle Kraft nicht, die mir durch Veranlagung gegeben worden ist, und die ich immer weiter ausgebildet habe. Ich wäre vielleicht imstande gewesen, diesen Japaner mit der Pistole zu zwingen, mir sein Geheimnis zu offenbaren – ja, ihn sogar deswegen zu foltern – deswegen lasse ich ihm doch noch immer seine Willensfreiheit, er kann wie ein Mann sterben, er kann sich stumm zu Tode martern lassen – – aber jemandem in seiner Willenlosigkeit sein Geheimnis, durch welches ich mich bereichern will, hinterlistig zu entreißen – – nein, niemals, niemals! Ein verfluchter Schuft, ein Hundsfott, wer so etwas tut!«
Der junge Kapitän machte plötzlich ein ganz merkwürdiges Gesicht, als er jenem die Hand hinhielt, seine Stimme zitterte wohl sogar etwas.
»Mr. Nobody, erst jetzt lerne ich Sie richtig kennen! Meine Hochachtung vor Ihnen! Ich habe Sie schon immer ob Ihrer außerordentlichen Fähigkeiten bewundert, als einen kraftvollen und kühnen, als einen tüchtigen Mann – nein, als einen tüchtigen Kerl! – jetzt bewundere ich auch Ihren Charakter. Nobody, Sie sind ein edler Mensch! Ich schätze mich glücklich, von Ihnen Freund genannt zu werden.«
»Na, lassen wir das,« meinte Nobody leichthin, desto kräftiger aber dem Kapitän die Hand drückend. »Dadurch aber bin ich noch nicht aus der Kalamität heraus. Sie können sich gar nicht denken, wie peinlich es mir ist, hinter mir ein Weib zu wissen, welches mich leidenschaftlich liebt, welches sich in Gedanken ständig mit mir beschäftigt, und welches mir ganz gleichgültig ist. Das irritiert mich. Und wie gesagt, Margarete tut mir aufrichtig leid. In dieser Hinsicht bin ich eben wirklich ein Gemütsmensch. Ich muß sie auf irgend eine Weise von dieser aussichtslosen Liebe kurieren. Aber wie?«
Nobody ging wieder sinnend im Zimmer auf und ab.
»Ja, jetzt weiß ich, wie ich es mache,« begann da Nobody wieder. »Ich fange sie in ihrer eigenen Schlinge. Doch lassen wir das jetzt, ich teile Ihnen den Plan ausführlich mit, wenn er in meinem Kopfe fix und fertig ist. Sie müssen auch in der Komödie mitspielen. – Jetzt will ich Ihnen erst etwas anderes erzählen.«
Und er begann sein Erlebnis mit Mr. Cerberus Mojan zu schildern.
Nobody hatte in London richtig den Brief erhalten, in welchem der spleenige Engländer bat, daß jener ihn den spiritistischen Apport lehren möchte, und wenn Nobody auch von vornherein beabsichtigte, mit Mr. Cerberus Mojan, dessen seltsamen Charakter er schon aus diesem Briefe erkannte, sich ein Späßchen zu machen, so doch nicht jetzt, er wollte ja nach China dampfen, allerdings in Kairo einen Aufenthalt nehmen – und um nun den alten Spiritisten einstweilen loszuwerden, ohne ihn direkt abzuweisen, schrieb er ihm, er solle nach Kairo kommen, im Hotel du Nil könne er ihn treffen.
Nobody hatte also keine Ahnung gehabt, daß der wiß- und lernbegierige Spiritist wirklich gleich seine Koffer packen und nach Kairo reisen würde.
Es ist schon wiederholt gesagt worden, daß unser Held seinen Beruf als Detektiv und Berichterstatter nur als Nebensache betrachtete. Die Hauptsache war ihm: das Leben zu genießen – und da ein jedes Tierchen sein eigenes Pläsierchen hat, so war das Pläsier dieses kraftvollen Mannes: Abenteuer zu bestehen. Aber während er so das Leben nach seinem Geschmacke genoß, versäumte er dabei niemals seine Pflicht, hatte trotzdem immer seine gewinnbringenden Geschäfte im Auge.
Diese Art von Lebensauffassung ist eine sehr gesunde, vielleicht die gesündeste. Freilich will dieses Verbinden von lebensfreudigem Genuß mit nüchterner Tätigkeit gelernt sein – wenn dies nicht eine köstliche Gabe ist, die überhaupt niemals gelernt werden kann.
So war die ›Wetterhexe‹ während der Fahrt nach dem Suezkanal schon einmal in Lissabon und in Gibraltar vor Anker gegangen, weil Nobody mit seinem Freunde wieder einmal ein Abenteuerchen erleben wollte.
Sie hatten es denn auch erlebt, viele sogar, aber wir brauchen sie nicht zu erzählen.
Durch diesen Aufenthalt war es gekommen, daß auch Marguérite von Amerika aus eher in Aegypten eintraf, als Nobody mit seiner schnellen Jacht, und daß er auch von Mr. Mojan überholt worden war.
In Aegypten nun wollte Nobody sich einen Jux mit seiner krummbeinigen Ordonnanz machen. Zwergnase sollte in Kairo als Nobody auftreten, er selbst spielte den Diener; außerdem hatte Nobody mit Zwergnase noch anderes vor, er wollte ihn einmal – wie man sagt – in die Patsche bringen und dann als › deus ex machina ‹ erscheinen – kurz und gut, es handelte sich wieder einmal um eine regelrecht ausgearbeitete Komödie.
Diese ist denn auch noch aufgeführt worden, und wird dies auch noch später erzählt werden.
In Tanta hörte Nobody in dem Hotelgarten den Namen ›Cerberus Mojan‹ nennen, er stutzte, erkundigte sich weiter und erfuhr, daß vor drei Tagen ein spleeniger Engländer Namens Cerberus Mojan hier gewesen war, der von dem bekannten Detektiv Nobody nach Kairo ins Hotel du Nil bestellt worden sein wollte, um dort den spiritistischen Apport zu lernen.
Na, nun freilich wurde der Plan geändert. Solch eine Gelegenheit ließ sich Nobody doch nicht entgehen!
Nobody begann nun zu schildern, zuerst wie er Puttfarken instruierte, wie dieser den Engländer empfing, wie er sich die Zunge aus dem Halse zog, wie er fürchtete, Mr. Mojan wolle ihm in die Nase beißen.
Flederwisch lachte gleich von vornherein aus vollem Halse.
»Ach, warum haben Sie nicht noch etwas gewartet, da hätte ich dabeisein mögen!!«
»Ein Glück, daß Sie's nicht waren.«
»Weshalb ein Glück?«
»Sie haben aber eine schöne Hose an!« sagte Nobody plötzlich, beugte sich im Stuhle vor und befühlte prüfend den Stoff von Flederwischs Beinkleidern.
Der Kapitän war nicht im blauen Seemannsanzuge gekommen, er trug ein modernes Kostüm.
Flederwisch war von dieser Zwischenfrage natürlich sehr überrascht.
»Das ist echter Nanking. Was in aller Welt aber hat denn meine Hose mit dieser Geschichte zu tun?!«
»Na, es wäre schade um diese schöne Hose gewesen; denn die hätten Sie nicht mehr anziehen können. Die wäre hin gewesen.«
Für Flederwisch genügte diese zarte Andeutung, und er lachte nur noch stärker.
Nobody machte ihm alle die Szenen vor, und jetzt zeigte sich einmal der geborene Schauspieler in seiner ganzen Genialität.
Er hatte keine zweite Person nötig, er spielte den krummbeinigen Puttfarken und den dicken Engländer mit dem offenen Munde zugleich, und Kapitän Flederwisch lag auf dem Sofa und drohte vor Lachen zu ersticken.
»Hören Sie auf, hören Sie auf, oder ich sterbe!!«
Es klopfte, Puttfarken trat ein.
»Da draußen ist ein Mann, der will Mr. Nobody sprechen.«
Noch ehe Nobody ihm die Visitenkarte abnahm, wechselte er schon mit dem Kapitän, dem das Lachen plötzlich erstarb, einen bedeutsamen Blick.
»Aah, richtig, Mr. Louis Wall! Da kommt er schon, um mich zu der Jagd im Geiergebirge einzuladen! Donnerwetter, die haben es aber eilig! – Hast du den Herrn gesehen? Kam er persönlich?«
»Ja, aber ich machte ihm nicht auf, ich ließ ihn draußen brüllen, daß er Mr. Nobody sprechen wolle, und ich brüllte durch die geschlossene Tür zurück, er solle sich durch einen Kellner anmelden lassen, so wie sich's gehörte. Denn der Kerl durfte mich doch nicht sehen, ich bin doch selber der Nobody.«
»Das war sehr weise von dir gehandelt,« lobte ihn sein Herr, »ich erkenne diese deine Vorsicht an, aber sie war unnötig, denn ich selbst muß als Nobody diesen Mann empfangen. Ich erwarte ihn.«
Mit einem etwas griesgrämlichen Gesicht entfernte sich Zwergnase, um den Auftrag auszuführen. Da war er also wieder degradiert worden, und das paßte ihm nicht. Als Diener wollte er sich aber deswegen immer noch nicht ausgeben.
Flederwisch mußte sich hinter die Portiere stellen, und sehr bald trat der Erwartete ein.
Mr. Louis Wall, wie er sich nannte, war ein noch junger Mann. Wenn sein Freund und Kompagnon ein Gauner war, so war es dieser doch auch, aber die Abenteurerphysiognomie fehlte ihm, er hatte sogar recht einnehmende Züge, einnehmend wenigstens für gewisse Leute, vielleicht besonders für Frauen, denn es waren auffallend sanfte, weiche Züge, es war ein Weibergesicht, daran konnte der starke, sorgsam gepflegte Schnurrbart nichts ändern, und ebenso sanft blickten auch die von Ringen umränderten Augen.
»Pfui Deiwel,« dachte Nobody sofort, »das ist so eine Physiognomie, die ich für den Tod nicht leiden kann! Da ist mir ein richtiges Verbrechergesicht doch tausendmal lieber. Ich brauchte nicht schon zu wissen, was dieser semmelblonde Adonis von mir will – dem traute ich keinen Schritt über den Weg.
»Sie wünschen, Mr. Wall?«
»Habe ich die Ehre, Mr. Nobody zu sprechen?«
»Ja, ich bin es. Woher aber weiß denn der Herr, daß ich Nobody sein könnte?«
Mr. Wall erklärte es. Mojan hatte unten im Hotel gleich erzählt, was er gesehen und erlebt habe, und wenn sein Nobody auch krumme Beine und eine riesige Nase gehabt habe – Mr. Wall ahnte sofort, daß der spleenige Engländer nur mystifiziert sein könne, aber der echte Nobody müsse dennoch im Hotel anwesend sein.
Das war die Einleitung, dann nannte sich Mr. Wall einen Hilfsbedürftigen, welcher die Dienste des berühmten amerikanischen Privat-Detektivs in einer heiklen und diskreten Angelegenheit in Anspruch zu nehmen wünsche, selbstverständlich gegen reichliches Honorar.
»Sie werden gewiß schon von dem Falle der Komtesse Cécile de Bauvaignon gehört haben, welche kürzlich in Paris auf eine geheimnisvolle Weise verschwunden ist?« fragte Mister Wall mit sichtlichem Zögern.
Obgleich Nobody den Fall kannte, verneinte er die Frage, jener mußte ihm die ganze Geschichte erzählen.
Diese kann mit kurzen Worten abgetan werden: die Komtesse, ein sehr schönes Mädchen, noch nicht 15 Jahre alt, hatte vor etwa vier Wochen eine Freundin besucht und war von diesem Besuche nicht wieder nach Hause zurückgekehrt. Jede Spur von ihr fehlte. Die Eltern setzten Himmel und Hölle in Bewegung, die ganze französische Polizei ward aufgeboten – – alles vergebens, Komtesse Cécile war und blieb verschwunden.
»Nun, und?«
So fragte Nobody ruhig, und dabei wußte er schon ganz genau, wo dieser Mann hinauswollte.
»Mein Herr, jetzt muß ich Sie erst, bevor ich mich Ihnen rückhaltlos anvertraue, um Ihre strengste Diskretion bitten. Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß Sie mich nicht ...«
»Unsinn! Sie haben das minderjährige Mädchen entführt!«
Anscheinend von einem Todesschreck gepackt, fuhr der Herr zurück.
»Woher ... woher ... wissen Sie ...« brachte er stammelnd hervor und konnte dabei sogar seine Lippen zittern lassen.
»Ei bist du ein raffinierter Schuft,« dachte Nobody grimmig. »Dieses arme Mädchen, welches viele Juwelen trug, ist ganz sicher einem Raubmorde zum Opfer gefallen, dieser Ueberzeugung bist auch du, und eben weil auch du ganz bestimmt glaubst, daß der Leichnam der Unglücklichen in der Seine oder in einer Pariser Kloake liegt, benutzt du jetzt ihren Namen, um mich ins Gebirge zu locken. Ei, bist du ein Halunke! Aber warte, dir will ich einen Denkzettel anhängen!!!«
So dachte Nobody, und laut sagte er:
»Na, nach Ihrer Einleitung und nach Ihrem ganzen Benehmen muß ich doch sofort wissen, was es geschlagen hat, sonst wäre ich ein verdammt schlechter Detektiv. Also Sie haben das minderjährige Mädchen entführt.«
»Sie werden mich doch nicht der Polizei anzeigen?«
»Hören Sie, mein Herr,« sagte Nobody schroff, »wenn Sie so anfangen, dann verlassen Sie mich lieber gleich! Was kümmert mich denn die Polizei? Ich bin ein Privat-Detektiv, ich mache dem Staate Konkurrenz. Also?«
Der Mann tat, als ob er erleichtert aufatme, und er gestand, er erzählte sein fein ausgesonnenes Märlein.
Er hieß in Wirklichkeit gar nicht Louis Wall, war auch gar kein Engländer, sondern ein Franzose, Baron de Lasage.
Ja, er hatte die Komtesse Cécile de Bauvaignon vor vier Wochen entführt. Eine wahnsinnige Leidenschaft für das schöne, noch so jugendliche Mädchen, welches aber kein Kind mehr war, die heißblütige Südfranzösin erwiderte die Liebe – der dumme, um nicht zu sagen schlechte Streich wurde verabredet und ausgeführt. Die beiden flohen.
Das Pärchen ging nach Aegypten. Die Oase Fayum ist ein irdisches Paradies, und im Paradiese wollten die beiden leben – sie wandten sich also dorthin, wo ihre Entdeckung nicht so leicht zu befürchten war. Sie schwelgten in ihrer seligen Liebe, und es schadete nichts, daß man leider auch im Paradiese Geld braucht – Baron de Lasage hatte es im Ueberfluß.
Zwei Stunden von Medinet el Fayum entfernt, der Hauptstadt dieser zwei Quadratmeilen großen Oase, liegen an dem Salzsee Birket el Kerun die Trümmerreste der ältesten Pyramiden, überhaupt der ältesten Bauwerke der Welt, desgleichen die Ruinen des Labyrinthes von Möris, oder einfach das ägyptische genannt, und wenn man einmal in der Oase Fayum ist, so muß man doch auch solche Sehenswürdigkeiten besichtigen, und selbst ein durchgebranntes Liebespärchen kann sich doch nicht fortwährend küssen.
Gut, die beiden brachen mit Führer und Eseln, welche Proviant und auch ein Zelt trugen, nach dem einsamen Wüstensee auf.
»Haben Sie schon von Jussuf el Fanit gehört?« fragte der Erzähler.
Ja, Nobody hatte schon genug von diesem Wüstenräuber gehört, hatte sich immer lebhaft für diesen Beduinen-Scheikh interessiert, über den die abenteuerlichsten Sagen gingen. Aber wiederum verneinte er. Er wollte wissen, wie weit sich dieser Pseudo-Baron orientiert hatte, ehe er zu lügen anfing.
Nun, er war recht gut beschlagen.
Seit etwa drei Jahren machte Jussuf el Fanit mit seiner Bande die lybische Wüste unsicher, brandschatzte die von Fayum in das Innere von Afrika gehenden Salzkarawanen, aber noch lieber fing er die zurückkommenden ab, wenn sie das Salz schon gegen Goldstaub vertauscht hatten.
Doch er wollte nicht etwa als Räuber gelten. Nein, er nannte sich den Herrn der Wüste, und als solcher hatte er das Recht, von den durch sein Gebiet ziehenden Karawanen Tribut zu fordern, und zwar verlangte er den zehnten Teil der Waren, und gab man ihm den, so geleitete Jussuf el Fanit die Karawane sicher bis an die äußerste Grenze seines Gebietes, bis nach dem quellenreichen Tihbu oder dem waldigen Wadai.
Aber der Wüstenräuber machte zwischen den Karawanen einen Unterschied. Der Mann, dessen Gesicht noch kein Mensch gesehen, mußte einen glühenden Haß gegen die Engländer haben, denn nur diejenigen Karawanen hielt er an und machte bei Weigerung des Tributes die Begleitmannschaft nieder oder führte sie als Gefangene fort, welche mit englischem Gelde ausgerüstet waren und handelten, die auf Rechnung von Franzosen und Arabern gehenden ließ er in Ruhe, gab ihnen sogar durch unsicheres Gebiet freiwillig kostenloses Geleit. Nun aber liegt der von Fayum ausgehende Salzhandel zum größten Teil in englischen Händen, Jussuf el Fanit machte also das beste Geschäft, und es entging ihm keine einzige Karawane, und es nützte nichts, daß die englische Karawane unter – wie der Seemann sagt – unter falscher Flagge segelte, das sei das Salz und der Goldstaub eines französischen oder arabischen Händlers – der Wüstenräuber war ganz genau orientiert, der Beduine mußte geradezu wie in Medinet el Fayum, so auch sogar in den Londoner Bureaus seine Spione haben, er ließ sich weder durch Schwüre, noch durch Papiere beirren – er forderte seinen Tribut, und wenn man nur etwas zögerte, so kam es zum Kampf, und Jussuf nahm alles, und niemals hatte er sich getäuscht – wirklich waren es stets englische Waren gewesen.
Schon dieses eine, wie dieser Wüstenräuber, seinem Auftreten nach ein echter Beduine, so in den kaufmännischen Bureaus zu Hause war, mußte auf ihn ein rätselhaftes Licht werfen. Wer war das eigentlich? Man hielt ihn für einen vornehmen Araber, der eine gute Erziehung genossen, dem die Engländer ein Leid zugefügt hatten, und der dann unter die Beduinen gegangen war, um sich an jenen zu rächen.
Aber warum enthüllte er niemals sein Gesicht? Und dann führte er eine ganz eigentümliche Waffe, die man in der Wüste, in ganz Afrika sonst gar nicht kennt.
›Fan‹ heißt auf deutsch die Schlinge, el Fanit ist der Schlingenwerfer. Die Endsilbe ›it‹ ist die Kontraktion eines arabischen Wortes, welches ›werfen, schleudern‹ bedeutet. So ist ›dscherr‹ im Arabischen der Speer, und den Ehrennamen el Dscherrit, das ist also der Speerschleuderer, führt unter den Beduinen ein ganzes Geschlecht.
Aber einen el Fanit hatte es bisher noch nicht gegeben. Es war ein lederner Lasso, den dieser Wüstenräuber mit staunenswerter Geschicklichkeit handhabte, und die Beduinen, welche so etwas gar nicht kannten, konnten nicht genug von der Furchtbarkeit dieser ›stummen‹, so unschuldig aussehenden Waffe erzählen. Wenn nur das Wort ›Fan‹ genannt wurde, so bekreuzigten sie sich nach ihrer Weise.
Nun kam noch hinzu, mit welcher Kühnheit Jussuf auftrat, wie er sich mitten in dem stark bevölkerten Medinet el Fayum zeigte, um mit den Kaufleuten zu verhandeln, um der Wüstenpolizei und den Zollbeamten gleich in ihren Kasernen Vorschriften zu machen, wie er den ihm gestellten Fallen stets entging, wie er plötzlich verschwand, um an einer ganz anderen Stelle ebenso plötzlich wieder aufzutauchen – nun seine zahllosen Abenteuer, die von Mund zu Munde gingen, seine List, seine Kühnheit, seine Großmut, die er bei Gelegenheit zeigte – – kurz und gut, in jener Gegend war Jussuf el Fanit der Held des Tages, umgeben von einem Sagenkranz, ein moderner Rinaldo Rinaldini der Wüste, und es blieb den englischen Kaufleuten nichts anderes übrig, als ihm den geforderten Tribut gutwillig zu zahlen.
Nun darf der Leser mit Recht verwundert fragen: Wie ist denn so etwas am Ende des 19. Jahrhunderts möglich!?
Man muß noch dazu wissen, daß England in Aegypten eine ansehnliche Streitmacht hat, in der Oase Fayum selbst liegen drei Schwadronen englischer Dragoner, abgesehen von dem ägyptischen Militär, auf Kamelen beritten, eben zum Schütze des Salzhandels dort in der einsamen Oase stationiert.
Und dieses Militär, dessen Soldaten auch so halbe Beduinen und in der Wüste zu Haus sind, können solch einer lumpigen Räuberbande nicht das Handwerk legen?
Es ist ein gottloser Wunsch, aber interessant wäre es, wenn es zwischen den Beduinen der lybischen Wüste und einer europäischen Macht einmal zu einem Kriege käme. Dieser Fall würde eintreten, wenn Aegypten als Vasallenstaat der Türkei von einer Kriegsmacht angegriffen würde. Die Beduinen der lybischen Wüste, welche noch zu Aegypten gehört, bilden – ganz den russischen Kosaken entsprechend – im Kriegsfall die irreguläre Reiterei, und zwar sollen sie etwa 50 000 Lanzen und 15 000 Gewehre stellen können. Dieser Gehorsam beim Kriegsaufgebot ist kein erzwungener, hat auch nicht viel mit Patriotismus zu tun, sondern das hängt mit der Religion zusammen. Der Sultan ist zugleich der mohammedanische Papst, die Beduinen sind strenggläubige Muselmänner, der Vize-König von Aegypten ist des Sultans Vasall, also gehen die Beduinen für diesen, der die heilige Fahne trägt, auch durch Feuer und Wasser.
Gerade die letzte Zeit hat viele Beweise geliefert, daß die moderne Kriegstaktik nur im eigenen Lande wirksam ist, im Auslande versagt, und daß es nichts mit der Prophezeiung ist, die furchtbare Bewaffnung unseres heutigen Militärs würde einen Krieg im Gegensatz zu früher auf ein Minimum abkürzen. Der englische Burenkrieg, der Kampf auf den Philippinen, der Herero-Aufstand, der russisch-japanische Krieg – immer sind alle menschlichen Berechnungen in die Brüche gegangen, alle prophetischen Kriegspolitiker haben sich blamiert!
Und wer nun die Wüstenverhältnisse von Aegypten kennt, der kann schwer begreifen, wie man den Beduinen eigentlich etwas anhaben will. Die brechen sengend und mordend in das Niltal ein und verschwinden wieder in der Wüste. Und nun soll ihnen einmal europäische Kavallerie folgen! Da ist niemand zu sehen. Da gibt es keinen Hafer, kein Heu, kein Wasser, Brunnen waren, wohl vorhanden, aber die sind verschüttet worden, und selbst die besten Kundschafter, die hier zu Hause sind, vermögen sie in der eintönigen Sandebene nicht wiederzufinden, da versagt auch die sonst unfehlbare Witterung der Pferde auf Wasser, denn die Beduinen verstehen eine Gegenwitterung zu legen – und wenn Menschen und Tiere verschmachtet im Sande liegen, dann sind die Beduinen auf ihren schnellen Rossen, die wie ihre Herren nur eine Handvoll Datteln brauchen, über ihnen, und hinter ihnen fallen sie von neuem in das Niltal ein, um von neuem spurlos zu verschwinden.
Nein, so lange die Wüste eine Wüste ist, ist den Beduinen nichts anzuhaben, und genau so stand es mit jener Räuberbande. Man mußte ihr Tribut zahlen und geduldig warten, bis einmal eine innere Zwistigkeit diesem Unwesen ein Ende machte. Denn auf eine Unterstützung durch einen anderen Beduinenstamm durfte man nicht hoffen. Gerade die Umgebung der paradiesischen Oase Fayum ist die denkbar ödeste, dort haust der winzige Stamm der Beni Sidis, auf jeden Menschen kommen dort zehn Quadratmeilen, und die Beni Sidis steckten mit den Räubern jedenfalls unter einer Decke. Ein anderer Beduinenstamm aber, den man gegen die Räuber zu Hilfe rief, hätte hier auch nichts ausrichten können, fremde Beduinen waren hier eben fremd, auch sie hätten die Brunnen nicht gefunden.
Bisher hatte man dem kühnen Jussuf el Fanit noch keinen eigentlichen Raub vorwerfen können. Jetzt sollte er zum Mädchenräuber geworden sein.
Der Zufall konnte ja eintreten, daß die kleine Eselkarawane der Räuberbande begegnete, aber man wußte doch ganz bestimmt, daß harmlose Reisende nichts zu fürchten hatten. Man hatte sich geirrt.
Als sie ein Tal des Geiergebirges, welches den Birket el Kerun im Westen begrenzt, passierten, stießen sie mit Beduinen zusammen.
Baron de Lasage erzählte oder log ganz ausführlich. Wir brauchen ihn nicht anzuhören.
»Ich bin Jussuf el Fanit, der König der Wüste, dieses Mädchen, welches du da bei dir hast, erregt mein Wohlgefallen, es gehört mir!«
So hatte der auf prachtvollem Rosse sitzende Beduine gesprochen, der um seine Hüften eine lange Lederschnur gewickelt trug, und hinter dessen Gesichtstuch die glühenden Augen so unheimlich funkelten.
So hatte der Räuber gesprochen und dem Herrn Baron die jammernde Komtesse ganz einfach weggenommen.
»Hm,« brummte Nobody, »hat er Ihnen denn nicht wenigstens etwas anderes dafür angeboten, das ist doch sonst Beduinensitte, wenn auch nur die Gerechtigkeit gewahrt werden soll.«
»Freilich, ich sollte mir unter den Weibern seines Stammes das schönste auswählen.«
»Hatte er denn Weiber mit?«
»Eine ganze Menge! Ich habe doch auch sein Zeltlager gesehen, ganz verborgen in einem Felsenkessel mit Pferden und Kamelen und Windhunden und Weibern und Kindern.«
Daß die Räuberbande, wenn sie sich so nahe an die Oase heranwagte keine Frauen und Kinder bei sich hatte, war ganz selbstverständlich. Aber Nobody hütete sich, dem Manne zu widersprechen.
»Haben Sie kein Lösegeld angeboten?«
»Alles habe ich versprochen – Gold und Gewehre und alles, ich hätte doch gern mein ganzes Vermögen geopfert – nein, brauchte er nicht, das alles hätte er selbst im Ueberfluß, er wollte das weiße Mädchen haben.«
»Und da rückten Sie also solo wieder ab,« konnte sich Nobody jetzt nicht enthalten, mit einigem Spott zu bemerken.
Der saubere Baron, der gar nicht zu fühlen schien, in was für ein jämmerliches Licht er selbst sich setzte, hob nur die Schultern und versuchte ein möglichst schmerzensreiches Gesicht zu machen.
»Du lieber Gott, was sollte ich denn tun?« meinte er weinerlich.
»Es waren wenigstens 50 Beduinen, alle bis an die Zähne bewaffnet, gegen die konnte ich den Kampf doch nicht allein aufnehmen, meine beiden Eseljungen waren mir ja auch noch ausgerissen. Aber,« setzte er etwas freudiger hinzu, »Cécile weiß doch ganz bestimmt, daß ich sie nicht im Stiche lassen werde, und diese ihre Zuversicht tröstet mich etwas.«
»Was taten Sie nun?«
»Ich ritt schnell wieder nach Medinet zurück. Aber was sollte ich hier? Ich war ganz fremd, kann nicht Arabisch. Und ich durfte den Vorfall nicht einmal melden, ich hätte den Namen der Geraubten nennen müssen, und das darf ich doch nicht, ich kann mich doch nicht kompromittieren. Außerdem hätte ich in der Stadt keinen einzigen Menschen gefunden, den ich zu einer Verfolgung des Räubers hätte bewegen können, die fürchteten sich ja alle vor Jussuf wie vor dem Teufel.«
Kompromittieren – was für ein hübscher, eleganter Ausdruck!
»Da fiel mir glücklicherweise ein,« fuhr der Baron fort, »daß ich ja in Kairo einen Freund habe. Es ist ein gewisser Mr. Huxley, ein Engländer, der schon viele Jahre in Aegypten ist und daher alle Verhältnisse kennt. Ich also schnell hierher nach Kairo und meinen Freund aufgesucht ...«
»Wann ist denn das eigentlich geschehen?«
»Als mir meine Braut geraubt wurde? Erst gestern – jawohl, gestern früh war es, als ich mit dem Räuber im Geiergebirge zusammenstieß. Gegen Mittag war ich wieder in Medinet, bis hierher fährt man mit dem Schnellzug nur sieben Stunden, gestern abend war ich also in Kairo, heute früh traf ich meinen Freund, – na, das stimmt doch alles?«
Jawohl, es stimmte alles!
»Was sagte denn nun Mister Huxley?«
»Ja, da ist schwer etwas zu machen. Das einzige wäre, dem Räuber etwas zu bieten, was ihn noch mehr reizt, als Gold und ein schönes Mädchen. Man muß mit dem Charakter eines Beduinen rechnen. Etwa kostbare Waffen – oder ein prächtiges Pferdegeschirr – oder – oder – Feuerwerk, das dürfte so einem Beduinen auch gewaltig imponieren! Meinen Sie nicht?«
»Jawohl, Feuerwerk,« bestätigte Nobody, »Frösche und bengalische Zündhölzer. O, ich verstehe recht gut, was Sie meinen.«
Und nun wußte der scharfsinnige Detektiv auch gleich, was jetzt weiter kommen würde.
»Mein Freund ist jetzt auf der Suche nach solchen Sachen, welche das Herz eines Wüstenräubers erfreuen könnten,« fuhr der Pseudo-Baron fort. »Wir hatten uns hier im Hotel du Nil getroffen, und da hörte ich auf einmal, daß sich der berühmte amerikanische Detektiv hier befindet. Es war mir, als ob ich eine Himmelsbotschaft vernähme. Wenn jemand imstande ist, das unglückliche Mädchen aus der Hand des Räubers zu befreien, dann sind Sie es!«
»Wie sollte ich denn das machen? Es ist wahr, ich kann Arabisch, ich habe es gelernt, aber nicht an Ort und Stelle, ich bin noch nie in Aegypten gewesen.«
O, das hatte nichts zu sagen, nicht einmal arabisch wäre nötig. Jussuf el Fanit sprach auch Englisch und Französisch, das war bekannt, und Baron de Lasage entwickelte seinen schnell gefaßten Plan ausführlich.
Da das Renkontre erst gestern stattgefunden hatte, so war zu erwarten, daß der Räuber mit seiner Bande noch in jenem Felsentale lagere, und das um so mehr, weil sie eben dabei gewesen wären, einen Brunnen zu graben – zu bohren, wie sich der Baron ausdrückte.
Nobody sollte also den Wüstenräuber aufsuchen und ihm zuerst durch seine Gauklerkunststücke imponieren, die doch auch den gebildetsten Menschen fesselten, um wie viel mehr solch einen Mann der freien Wüste, um nicht zu sagen der Wildnis, der Kraft und Gewandtheit ganz besonders hochachtet und vor allem, was er nicht begreift, eine heilige Scheu empfindet.
Hatte sich der fremde Gast auf diese Weise die Hochachtung des Räubers erworben, so mußte er den gewonnenen Einfluß dazu benutzen, jenen zu bewegen, daß er die Gefangene freiwillig wieder ziehen ließ. Gelang dies nicht, oder war gar keine Aussicht vorhanden, daß dies glücken würde, dann mußte Nobody eben List und Gewalt anwenden, die Gefangene zu befreien, er entführte sie wieder dem Räuber. –
Das war der ganze Plan, im Grunde genommen sehr einfach, aber von der anderen Seite betrachtet, äußerst raffiniert.
Man muß bedenken, daß ›Worlds Magazine‹ ständig Erzählungen von und über Nobody brachte, er berichtete mit eigener Feder seine Erlebnisse, ein anderer Mitarbeiter schilderte ein neues Taschenspielerkunststück, welches dieser Allerweltskerl irgendwo ausgeführt hatte, und immer und immer klang aus allem der Abenteurercharakter dieses rätselhaften Mannes hervor.
Hieraus nun war der ganze Plan aufgebaut.
Ob er der Jagdeinladung irgend eines Engländers, den er gar nicht kannte, gefolgt wäre, das war sehr die Frage. Aber sich auf gut Glück unter eine bekannte Räuberbande zu begeben, verwegene Abenteuer zu bestehen, ein gefangenes Mädchen den Wüstenräubern aus den Zähnen zu rücken – so etwas ließ sich dieser Mann auf keinen Fall entgehen, da gab er Reise und alles auf, was er sonst vorhatte.
Jetzt hieß es nur, den Gauner nicht erst durch vorsichtige Fragen mißtrauisch zu machen.
»Gut, ich will es riskieren. Was zahlen Sie mir dafür?«
»Fordern Sie.«
»100 000 Francs.«
Der Gauner, für den solch eine Summe noch einen ganz besonderen Klang hatte, schnellte erschrocken vom Stuhle empor.
»100 000 Francs?! Sie sind wohl nicht recht ...«
»Was bin ich?« fragte Nobody scharf, als jener noch rechtzeitig stockte.
»Herr, Sie sind teuer!«
»Billig bin ich freilich nicht, ich will verdienen, besonders wenn ich erwarten kann, massakriert zu werden. Und ich denke, Herr, Sie sind bereit, für die Befreiung der Komtesse Ihr ganzes Vermögen zu opfern?«
Der falsche Baron sah ein, daß er nicht so knausrig sein durfte – zumal es ja nicht aus seiner Tasche ging.
»Gut, Sie erhalten 100 000 Francs, sobald Sie meine Braut befreit haben.«
»Darauf lasse ich mich nicht ein, ich verlange die 100 000 Francs sofort im voraus, ob ich das Mädchen bringe oder nicht. Aber ich kann Ihnen versichern, daß ich es, wenn es noch lebt, auch befreien werde.«
Nach kurzer Ueberlegung erklärte sich der Baron mit allem einverstanden, nur müsse er erst sehen, ob er die große Summe sofort herbeischaffen könne, und er verließ das Zimmer.
»Das nennt man ein Geschäft,« schmunzelte Nobody, als der Kapitän wieder hinter der Portiere hervortreten durfte, »jetzt muß die Prinzessin die Gauner bezahlen und mich noch extra, und ich werde die 100 000 Francs ohne Gewissensbisse einstecken, da kann man manches Gute damit tun. Wissen Sie, wo jetzt der andere ist, der Mr. Huxley, oder was er jetzt sogleich tun wird? Der kauft nicht etwa jetzt Schwärmer und bengalisches Feuerwerk ein, sondern der muß jetzt sofort nach Fayum vorausreisen und arabische Banditen engagieren, mit deren Hilfe ich gefangen und geblendet werden soll, das ist der Hauptmacher. Die Hypnotisierte hat uns ja verraten, daß er schon in Aegypten gewesen ist und auch die Oase Fayum gut kennt, so hat er ihr gegenüber wenigstens behauptet, und ich glaube ihm auch.«
»Und Sie wollen sich wirklich in dieses gefährliche Abenteuer einlassen, so wie es die beiden Gauner projektiert haben?« fragte Flederwisch mit sorgenvollem Gesicht.
»Ja. Ich gehe scheinbar in die Falle, lasse mich fangen und fesseln und sehe zu, wie man das Eisen glühend macht. Weiter sehe ich freilich nicht mit zu, dann greife ich selbst mit handelnd ein.«
»Mann – wenn Sie es aber so weit kommen lassen wollen, daß man schon Vorbereitungen dazu trifft, um Sie zu blenden – was für einer furchtbaren Gefahr setzen Sie sich aus, wenn nur eine einzige Ihrer Berechnungen, die Sie doch machen müssen, falsch ist?«
Nobody stopfte bedächtig seine kurze Meerschaumpfeife und brannte sie an.
»Freilich, ein großes Risiko ist vorhanden. Aber, lieber Freund, wenn keine Gefahr dabei wäre, dann wäre es auch nichts für mich, dann würde ich mich auf den ganzen Schwindel gar nicht einlassen. Und wissen Sie, was ich dann mit den beiden Gaunern machen werde?«
»Sie auspeitschen.«
»Das vielleicht auch. Jedenfalls liefere ich sie zur Bestrafung aus.«
»Der Justiz?«
»Ja, der Justiz, aber nicht den gesetzmäßigen Richtern. Ich übergebe sie dem Jussuf el Fanit und sage ihm, wie sie ihn schlecht gemacht haben, daß er ein junges Mädchen geraubt haben soll, und der mag sie dann nach dem Wüstenrecht bestrafen; gelinde wird die Strafe nicht sein, aber das geht mich nichts an.«
»Glauben Sie denn, daß sich der Wüstenräuber wirklich dort bei der Oase aufhält?«
»Nein. Das wäre nur ein großer Zufall. Die ganze Geschichte ist doch nur aus der Luft gegriffen. Aber wo Jussuf el Fanit auch sein mag – ich, Detektiv Nobody, werde ihn zu finden wissen, und ich werde es sein, der das Rätsel lösen wird, wer sich hinter diesem Wüstenräuber, der niemals sein Gesicht enthüllt, eigentlich versteckt!«
Nobody, noch immer mit seiner Pfeife beschäftigt, hatte ganz gleichgültig gesprochen, aber gerade diese sichere Ruhe machte auf den jungen Kapitän einen gewaltigen Eindruck.
»Der geheimnisvolle Beduine wird den Schleier nicht freiwillig lüften.«
»Dann muß es mit Gewalt geschehen, dann kommt es zwischen uns zum Kampf.«
»Dieser Kampf würde in der Wüste stattfinden, und Ihr Gegner ist ein Sohn dieser Wüste!«
»Nun, ich bin in derselben auch etwas zu Hause, vielleicht werde ich Ihnen das noch beweisen können, denn auch Sie werden mich begleiten, allerdings nicht direkt als Gesellschafter. – Hahaha, wenn die wüßten, was sie für einen Streich begehen, daß sie mich gerade im Geiergebirge stellen wollen! Gerade dort habe ich nämlich meine Wüstenstudien gemacht, ich habe einst ein halbes Jahr am Birket el Kerun auf Hyänen und Wildschweine gejagt, habe dort ein richtiges, einsames Jägerleben geführt, und ich lernte in einem halben Jahre, was mancher in seinem ganzen Leben nicht lernt.« –
Wir brauchen nur noch zu wissen, daß eine Stunde später Nobody die 100 000 Francs in bar erhielt – nicht aus den Händen des Mr. Wall, dazu war Marguérite zu vorsichtig, der wäre mit einer solchen Summe wahrscheinlich durchgebrannt – sondern durch einen Bankbeamten.
Noch am Abend desselben Tages begab sich Nobody mit dem Baron nach dem Bahnhof.
Der Freund, Mr. Huxley, war noch nicht wieder in das Hotel zurückgekommen, und der Baron wollte nicht mehr auf ihn warten, der sei jetzt doch überflüssig geworden – und Nobody war ganz damit einverstanden, denn der würde doch überhaupt niemals wiederkommen, der befand sich bereits unterwegs nach Fayum.
Sie fuhren in fünf Stunden bis nach der Station Beni Suef, nach dem dort hausenden Beduinenstamm benannt, von da zweigt sich die Bahn rechts nach der Oase Fayum ab, wobei sie durch das ausgetrocknete Bett des ehemaligen Josephs-Kanals führt, der jetzt ein fruchtbares Defilee bildet. Die aufgehende Sonne beleuchtete das reizende Oasenstädtchen Medinet el Fayum.