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V. Feindliche Minen.

»Ssssssssssssssssss ... ie wünschen, Madam?«

»Ist Mr. World zu sprechen?«

»Vievievievievievielleicht, vievievievievielleicht auch nicht.«

Jetzt streckte der brave Paddy die Hand gegen die Dame aus und fing aus vollem Halse zu lachen an.

»Hahahahahahahahahaha ...aben Madam vielleicht eine Karte bei sich?«

Ja, die Dame hatte eine Visitenkarte bei sich.

»Au-au-au-au-au-au-au-au-au-au-au-au-au-au ...Himmeldonnerwetter noch einmal! Au-au-au-au-au-au-au ... heute will's aber wieder einmal gar nicht gehen! Au-au-au-au-au ...« und nun ein kräftiges Stampfen mit dem Fuße, und die Granate krepierte, ... »augenblicklich werde ich Sie melden.«

Und Paddys krumme Beine marschierten durch die Nebentür.

Es war ein schönes Weib, welches in dem Vorzimmer von Mr. Worlds Kontor wartete. Schwarz wie die Nacht – das war der erste Eindruck, den man von ihr bekam. Eine Wucht von rabenschwarzen Haaren krönte den kleinen, stolz getragenen Kopf, auf der Oberlippe machte sich ein samtweicher, schwarzer Flaum bemerkbar, die nachtschwarzen, fast unheimlich großen Augen von hochgewölbten Brauen überschattet, welche über dem feinen Näschen fast zusammenstießen, und nun hierzu ein Gesicht so weiß wie Schnee.

Sie trug den Witwenschleier, war ganz schwarz gekleidet, wodurch ihre vollbusige Gestalt noch voller, ihre Taille noch schlanker und ihr Antlitz noch weißer erschien.

War dieser Witwenschleier daran schuld, daß ihr Auge so umflort, der ganze Gesichtsausdruck so teilnahmlos war? War in dieser jetzt so ruhig gehenden Brust ein übergroßer Schmerz siegreich niedergerungen worden?

Nein, der Menschenkenner wußte, daß diese schwarzen Augen noch immer in wilder Leidenschaft auflodern konnten, daß in diesem Busen noch immer ein Vulkan schlummerte, der nur eines Funkens bedurfte, um mit neuer Macht auszubrechen.

Ihr Alter war nicht zu schätzen. Es war ein gereiftes Weib, hatte aber wohl schwerlich schon die dreißig überschritten. Sie mußte den besten Klassen der Gesellschaft angehören.

Bei dem Gebaren des Stotterers hatte sie natürlich nicht gelächelt, war aber auch nicht stutzig geworden, nicht ängstlich, was bei einer Frau, die wohl manchmal an einen Betrunkenen glaubt, zu verzeihen ist. Sie war vollkommen teilnahmlos gewesen.

Paddy erschien wieder.

»Mimimimimimister World läßt bitten.«

Da, als sie der geöffneten Tür zuschritt, färbte plötzlich ein leises Rot ihre weißen Wangen, ihr Busen hob und senkte sich schneller, als ob gar viel von diesem Gange abhinge.

Sie war doch offenbar ganz fremd hier, und wenn sie den ersten Empfang durch den stotternden Paddy verfänglich gefunden hätte, so sollte sie in dem Kontor von dem Herrn Prinzipal erst recht etwas erleben.

Mr. World hatte sich kurz vorher ein rohes Ei in ein Glas Milch eingequirlt, ein zweites Ei lag noch auf dem Teller. Jetzt tänzelte er mit ausgestreckten Händen, im ganzen Gesicht lachend, auf die Dame zu.

»Na endlich, da sind Sie ja endlich wieder – Sie sind doch ein verfluchter Teufelskäfer, das haben Sie wieder famos gemacht!«

Wie gebannt war die Dame bei dieser Begrüßung an der Tür stehen geblieben, und man sah es ihr an, daß sie sich jetzt doch etwas zu fürchten begann.

»Mein Herr, Sie verkennen mich ...«

»I Gott bewahre, ich kenne doch mein Nobodychen, ich lasse mich nicht mehr veralbern – – na, da kommen Sie nur her, mein Nobodychen, setzen Sie sich ...«

Und er hatte die Dame um die Taille gepackt, drängte sie nach dem Sofa, drückte sie darauf nieder und setzte sich selbst daneben,

»Na, wie geht's Ihnen denn, mein Nobodychen?«

Und wuchtig schlug er mit der flachen Hand der Dame aufs Bein, daß es nur so klatschte, und dann griff er noch so mit den Fingern herzhaft nach, wie man es wohl bei einem guten Freunde macht.

»Donnerwetter, Sie sind aber dick geworden, Sie haben aber ein Paar Beine bekommen!«

»Aber um Gottes willen, Mr. World,« stöhnte die Dame, scheinbar einer Ohnmacht nahe. »Sie sind doch Mr. World? Sie erwähnen den Namen Nobody, wegen dessen ich hierherkomme – – hier muß ein Irrtum vorliegen!«

Jetzt wurde der alte Herr doch stutzig, er betrachtete sich das Gesicht der Dame genauer, nahm vom Seitentischchen eine Visitenkarte ...

»Sie sind ... Sie sind ... doch nicht etwa ... wirklich ... diese Madame Lenois?«

»Ja, die bin ich.«

»Aber ... aber ... i machen Sie doch keinen Spaß, Sie sind doch Mr. Nobody?« fragte Mr. World noch einmal mit ängstlicher Schalkhaftigkeit von der Seite.

»Ich versichere Sie, ich bin diese Dame – – ich weiß allerdings, woher dieser Irrtum rühren mag, deshalb verzeihe ich Ihnen, so unangenehm es mir auch ist ...«

»Nu aber mir erscht!!«

Mit diesen Worten sprang der alte Herr auf, steckte die Hände in die Hosentaschen und rannte mit geknickten Knien einige Male durchs Zimmer.

»Nee aber so etwas – – nee aber ich geniere mich – – und daran ist nur dieser verfluchte Kerl schuld, weil er mich immer so veralbert ... aber auch diese Aehnlichkeit mit Ihnen ...ganz genau dieselben Bein ... dieselben Bei ... Bei ... Beißzangen im Gesicht, wollte ich sagen ... nee, ich habe weiß Gott gar nischt gefühlt bei Ihnen ... und sagen Sie's nur um Gottes willen nicht meiner Tochter, daß ich Sie ... ehem!«

Die Dame hatte sich viel schneller wieder gefaßt.

»Es ist eben dieser Mr. Nobody, wegen dessen ich Sie um eine Unterredung bitten möchte.«

Diese Ruhe und der geschäftliche Ton gaben auch dem alten Herrn seine Fassung wieder. Er zog einen Stuhl herbei und ließ sich nieder.

» Well, ab! Mit was kann ich Ihnen dienen, Madam?«

Jetzt aber wurde sofort die Dame unruhig, sie wand das Spitzentuch in ihren weißen Händen.

»Mr. Nobody ist in letzter Zeit sehr bekannt geworden ...«

»Bekannt? Weltberühmt!«

»Aber sein eigentlicher Name ist das nicht.«

»Nein.«

»Wie ist sein eigentlicher Name?«

»Das weiß kein Mensch, also auch ich nicht.«

»Aus welchem Grunde verschweigt er seinen Namen?«

»Auch das ist nicht bekannt, das ist wiederum ein Geheimnis.«

»Können Sie mir nicht sagen, wo er sich gegenwärtig aufhält?«

»In London.«

»Darf ich die Adresse erfahren?«

»Hm ... ehem,« fing jetzt der alte Buchhändler wieder an. »Darf ich da erst fragen, wozu? Nobody ist nämlich gewissermaßen mein Kompagnon, und – ehem – man muß manchmal – ehem – sehr vorsichtig sein – ehem – wegen – ehem ...«

»Ich suche schon seit vielen Jahren in aller Welt eine mir teure Person,« sagte da die Dame mit einem unendlich bittenden Blicke.

»Und das ist dieser Mr. Nobody?«

»Ich glaube es, ich hoffe es.«

Jetzt fing Mr. World an sich zu interessieren. Er hatte ja ebenfalls noch keine Ahnung, wer sein Kompagnon eigentlich war, und er hätte es doch gar so gern gewußt.

»Woraus glauben Sie das schließen zu können?«

»Ich habe schon viel über ihn gelesen, und ... aus allem, was ich zu hören bekam ... es ist schwer zu beschreiben, was mich auf die Vermutung brachte ... ich kannte einst einen Jüngling, dessen höchstes Glück es war, mit seinem Leben zu spielen ...«

»Konnte der Jüngling eine Grimasse schneiden, daß er gerade wie ein alter Jude aussah?«

»Nein, das konnte er nicht.«

»Dann war es Nobody auch nicht,« sagte Mr. World mit Ueberzeugung. »Oder konnte der Jüngling ein ganz schiefes Maul nach links und eine ganze schiefe Nase nach rechts machen?«

»Nein, das habe ich nie von ihm gesehen.«

»Dann war dieser Jüngling auch Nobody nicht. Oder konnte der Jüngling in 14 Tagen 10 000 Dollar verhauen?«

»Verhauen?«

»Verludern ... verputzen, durchbringen wollte ich sagen.«

»Ich verstehe, was Sie meinen. Ja, er hatte immer eine sehr freigebige Hand, hatte aber selten etwas auszugeben, er wurde sehr kurz gehalten. Aber etwas anderes. Haben Sie diesen Nobody reiten sehen?«

»Reiten? Nee. Kann er reiten? Hat er bei mir nicht nötig. Ich kann auch nicht reiten und lebe doch.«

»Haben Sie ihn schießen sehen?«

»Bei mir hier wird nicht geschossen,« sagte Mr. World kurz und putzte sich die Nase, daß es knallte.

»Haben Sie ihn fechten sehen?«

»Nee, bei uns hier gibt es nichts zu fechten.«

»Haben Sie ihn schwimmen sehen?«

»Bei dieser Hundekälte? Nee. Warten Sie, nun will ich mal fragen. Hat dieser Jüngling vielleicht einmal eine große Erbschaft gemacht, so etwa zehn Millionen, und diese in zehn Jahren verlu ... verputzt wollte ich sagen?«

»Zehn Millionen? Dollar?«

»Gleichgültig was. Hat er?«

»Nein, er hat niemals eine Erbschaft gemacht, das Erbteil dieses Jünglings ist noch unberührt.«

»Wie lange ist denn dieser Jüngling schon verschollen?«

»Seit etwa zwölf Jahren.«

»War dieser Jüngling während dieser Zeit einmal acht Jahre in China oder sonstwo in Asien in einem Kerker eingesperrt gewesen?«

»War dies Mr. Nobody?«

»Sehr wahrscheinlich.«

»Nein, so etwas ist mir von meinem einstigen Freunde nicht bekannt, obschon es immerhin möglich sein könnte.«

»Sind Sie – ehem,« fing der alte Herr jetzt wieder zu knurksen an, denn er überlegte scharf, »sind Sie – ehem – verwandt mit diesem Jüngling?«

»Er war ... er war ... mein ... Bruder,« erklang es flüsternd, zögernd.

O, dieser alte Herr war nicht so dumm, wie er manchmal tat, wonach er auch gar nicht aussah, der wußte ganz genau, was er wollte.

»Dann, Madam, ist es ganz sicher nicht dieser Nobody.«

»Warum wissen Sie das mit einem Male so genau?«

»Weil hier auf dieser Karte einfach Madame Marguérite Lenois steht, und wenn Sie Mr. Nobodys Schwester wären, so müßte ich Sie Hoheit oder Durchlaucht, mindestens Mylady anreden, und so etwas wäre doch auch auf Ihrer Visitenkarte vermerkt,«

Wie von einer Natter gestochen fuhr die Dame empor, mit einem womöglich noch weißeren Gesicht.

»Hat er das gesagt, daß er aus ... einem deutschen Fürstenhaus stammt?« stieß sie atemlos hervor.

»Das ist das einzige, was er uns zugestanden hat,« sagte Mr. World, wieder um eine Kenntnis reicher.

Von einem ›deutschen‹ hatte Nobody gar nichts gesagt, aber es schien doch ganz so, als ob hier diese Dame auf einer richtigen Spur wäre.

»Alfred – dann ist er es!!« hauchte die schöne Dame und sank in die Polster zurück, und jetzt drohte jener Vulkan auszubrechen, jetzt wogte ihr Busen, jetzt loderten ihre Augen in unheimlicher Glut.

Mr. World ließ sie sich erst etwas beruhigen. Ein ganz eigentümliches Lächeln umspielte seine scharfen Lippen, während er sie beobachtete.

»Gestatten Sie mir eine Frage,« nahm er dann wieder das Wort.

»Bitte,« kam es atemlos von den schönen Lippen.

»Sie trauern gewiß um Ihren Gatten.«

»Woraus schließen Sie das?« klang es schroff zurück.

»So ... so ... nachdrucksvoll ... so ausgiebig kann eine Frau nur um ihren Gatten trauern.«

»Ja, Sie haben recht.«

»Ist Ihr seliger Gatte schon lange tot?«

Die roten Lippen des kleinen Mundes verzogen sich in einer unbeschreiblichen Weise, jedenfalls ganz unabsichtlich, aber doch die innersten Gedanken ausdrückend.

»Seit vier Wochen,« erklang es dann noch schroffer als zuvor.

»Na,« meinte der alte Herr jetzt mit väterlicher Gemütlichkeit, »nun gestehen Sie einmal, ich bin doch schon ein alter Mann, vor mir brauchen Sie sich nicht zu genieren ... Sie waren doch keine Schwester von jenem Jüngling, überhaupt keine Verwandte, und wenn Sie's waren, da steckte doch ein bißchen mehr als nur verwandtschaftliche Liebe dahinter, was, wie, he?«

Es erfolgte keine Antwort, und das war auch eine Antwort, und man sah es ihr ja überhaupt an, daß er das Richtige getroffen hatte.

»Wissen Sie,« hob sie dann wieder mit fliegendem Atem an, »ob ... ob Mr. Nobody ... ob er ...«

»Verheiratet ist?« kam ihr der alte Herr zu Hilfe. »Der? Nee.«

»Oder ... oder ...«

»Ob er eine Liebe hat oder so etwas Aehnliches? Nu ja – manchmal ... wie's so kommt ... das heißt ... ach so, Sie meinen, ob er eine Braut oder so etwas Aehnliches hat? Nobody? Nee, der ist kalt wie ein nackjer Frosch.«

Aus der Sofaecke erscholl ein Seufzen.

»Und wollen Sie mir nicht seine jetzige Adresse geben?«

»An die Sie schreiben können?«

»Schreiben?!« erklang es heftig. »Sehen will ich ihn, muß ich ihn – nur einmal sehen! Schreiben hatte keinen Zweck.«

Wenn Mr. World Sorge gehabt hatte, daß die junge Witwe ihm seinen Kompagnon entführen, ihn in die Bande der faulen Häuslichkeit schlagen könnte, so war diese Sorge jetzt beseitigt. Nun konnte er auch offener sprechen, freilich war es noch wenig genug.

»Madam, die Geschichte ist die: gegenwärtig ist er in London; wir haben eine Postchiffre ausgemacht, unter der ich ihm die Briefe schicke. Aber seine eigentliche ›Adresse‹ weiß auch ich nicht. Der hat überhaupt keine Wohnung. Die ganze Welt ist seine Heimat. Herr ›Niemand‹ ist immer nirgendwo. Heute ist er hier, morgen ist er wer weiß wo. Da war er einmal wieder hier, logierte im Hotel Kalifornia ...«

»Im Hotel Kalifornia in der Wallstreet?« wurde er hastig unterbrochen.

»Jawohl.«

»Unter dem Namen Nobody?«

»Jawohl, er hatte Zimmer Nummer 228, gleich unterm Dach.«

»Zimmer Nummer 228, gleich unterm Dach,« murmelte das schöne Weib traumverloren.

»Und wie ich ihn einmal besuchen wollte, da ...«

Es klopfte, ein Kommis trat ein, Mr. World erhielt eine Depesche. Er erbrach sie sofort.

»Sehen Sie, da haben wir es schon wieder: Trete eine Reise um die Erde an, nächste Adresse von Kairo aus. – Die ist von Nobodyn. Diesmal ist es noch schlimmer, das vorige Mal blieb er doch wenigstens hübsch in Amerika, machte nur mit dem Blitzzug einen Abstecher nach Mexiko.«

Die Dame war aufgestanden.

»Nach Kairo?«

»Sie wollen hin?«

»Ich muß ihn sehen, ihn sprechen, ich muß! Denn brieflich ist er für mich unerreichbar. Wissen Sie schon die Chiffre, unter welcher er in Kairo seine Briefe abholen wird?«

»Nein, die telegraphiert er mir erst aus Kairo.«

»Mr. World, wollen Sie mir eine Bitte gewähren?«

»Ihnen allemal. Ach, Madam,« der alte Herr begann schmunzelnd von der Seite nach der schönen, jungen Witwe zu äugeln, »wenn ich Nobody wäre – oder wenn ich dreißig Jahre jünger wäre ...«

»Ich werde im Hotel du Nil wohnen – Madame Lenois – wollen Sie mir die Chiffre zutelegraphieren?«

»Hm, das ist eigentlich ein grober Vertrauensbruch und könnte mich unter Umständen sehr schädigen.«

»Mr. World, bitte, bitte ...«

Die schöne Frau hätte gar nicht so zu flehen und solche schmachtende Augen zu machen brauchen, der alte Mann hatte noch immer ein junges Herz.

»Hm, ehem ...«

»Verlangen Sie von mir, was Sie wollen.«

»Nu ... Nobody ist doch mein Kompagnon ... wir arbeiten doch auf halben Gewinn ... ach, Madam, wenn Sie mich vor dreißig Jahren gesehen hätten, wenn ich so mit der roten Nelke im Knopploch ...«

Er war näher getreten.

»Na, darf ich mal? Nur einen. Nobody ist ja mein Kompagnon. Und wenn Sie mich vor dreißig Jahren gesehen hätten ...«

Die schwarze Dame war gar nicht schwer von Begriffen, sie schloß die Augen und neigte den Kopf etwas zurück, und nun wußte auch der alte World, was es geschlagen hatte, er schlang den Arm um ihre Taille und preßte seine graubärtigen Lippen recht saftig auf die ihren, die sich ihm entgegenwölbten, und nun gleich noch einmal ...

»Sssssssssssssssssssss,« fing es da zu zischen an. » ... ie möchten doch so gut sein ...«

Madame Lenois saß plötzlich auf dem Sofa und putzte sich die Nase, und Mr. World griff mit einer Kaltblütigkeit, die man ihm nach dieser Szene gar nicht zugetraut hätte, in die Brusttasche und zog sein Zigarrenetui.

»Ja, mein lieber Nobody, das Küssen müssen Sie doch noch erst lernen, das braucht auch ein Detektiv, sonst taugt er nichts, und so, wie Sie es mir jetzt vormachten, das ist noch gar nichts. Da hätten Sie mich einmal vor dreißig Jahren sehen sollen, wenn ich da meine ... meine ... meine Frau küßte, die leckte allemal alle zehn Finger danach ab, oder jetzt meine Tochter ... rauchen Sie eine Zigarre?«

Und zu Paddy gewendet fuhr der alte Sünder fort: »Nun guck dir mal bloß den Mr. Nobody an, wie der sich wieder herausstaffiert hat. Sieht er nicht gerade wie eine Dame aus? Aber ich habe ihn sofort erkannt.«

Paddy ›guckte‹ die Dame an und machte dabei eines seiner dümmsten Gesichter. ›Nun, was gibt's?«

Der Kassenbote stattete Bericht ab und entfernte sich wieder.

»Himmelhund verfluchter!« brummte der alte Dun Juan ihm nach. Die Küßlust war ihm jetzt vergangen, er dachte an seine Tochter, vor deren sittlicher Strenge er eine Heidenangst hatte.

»Also Sie werden mir meine Bitte erfüllen?« begann die Dame wieder, welche viel weniger Verlegenheit zeigte, als man erwarten sollte.

»Sicherlich, mein Wort halte ich. Da vergessen Sie nur nicht, ein paar Billardbälle einzustecken.«

»Billardbälle? Wozu Billardbälle?« war die erstaunte Frage.

»Ja, sehen Sie, die Sache ist die. Ich will gleich von mir selbst sprechen. Ich habe nämlich dort auch einen ganzen Kasten voll Elfenbeinbälle, kosten mir ein schweres Geld, und jedesmal, wenn mich Nobody besucht, wird einer weniger. Denn ich selbst weiß ja noch gar nicht, wie Nobody eigentlich aussieht, er sieht immer anders aus, einmal kommt er so, und dann kommt er wieder so, als Droschkenkutscher oder als Dame, und wenn er nun wieder einmal kommt und will Geld haben, da weiß ich ja gar nicht, ob das wirklich der Nobody ist! Da muß er nun jedesmal so einen Billardball haben, den nimmt er so ... sehen Sie, so, denken Sie, das hier wäre ein Billardball ...«

Und der alte Herr nahm das rohe Ei in die linke Hand und holte mit der rechten Faust zum Schlage aus ...

»Und nun macht er immer so ... sehen Sie, so ... und dann mit einem Male ...bum!!!«

Es ›bumte‹ zwar nicht, aber der Erfolg ließ nichts zu wünschen übrig. Mr. World hatte vergessen, daß er keine elfenbeinerne Billardkugel, sondern ein rohes Ei in der Hand hielt, und das Eiweiß und Eigelb spritzte herum, daß es eine Lust war.

Die schwarze Dame hatte die Katastrophe vorausgesehen und sich schnell in gebückter Stellung retiriert, aber den Schläger selbst hatte es tüchtig ausgewischt, der konnte nicht aus den Augen sehen, und von seinem Rocke lief die weißgelbe Sauce herunter.

»Paddy! Paddy!« rief er im kläglichsten Tone, wie er so mit gespreizten Fingern dastand.

Paddy führte seinen blinden Herrn in die Garderobe und machte aus ihm wieder einen Menschen. Aber als World in sein Zimmer zurückkam, war die schöne Witwe bereits auf Nimmerwiedersehen verschwunden, und er hatte sie doch erst über Nobody ausforschen wollen, denn die wußte doch, wer er war, und jetzt war ihm nicht einmal ihre Wohnung bekannt. –

 

»Er ist es.«

Mehr sagte die in das Hotelzimmer Eintretende nicht zu der älteren Dame, die auf jene gewartet hatte.

Dann trat sie an das Fenster und blickte mit fest zusammengepreßten Lippen auf die belebte Geschäftsstraße hinab.

»Wollen Königliche Hoheit ...« begann die alte Dame nach einer Weile.

Eine herrische Handbewegung schnitt ihr das Wort ab.

»Marguérite Lenois ist mein Name, ich wünsche nur mit Frau, Missis oder Madam angeredet zu werden. – Fräulein von Simken, Sie sind mir in das Exil gefolgt, welches ich freiwillig auf mich nahm. Sie haben mich nach New-York begleitet. Ich danke Ihnen, Sie haben sich als eine treue Seele bewährt. Werden Sie mir jetzt nach Kairo folgen?«

»Nach Aegypten?« sagte die alte Dame zaghaft. »Da ist wieder so eine lange Seereise nötig ...«

»Und wenn Alfr ... Fräulein von Simken, und wenn ich nun bis ans Ende der Welt müßte, würden Sie mich begleiten?«

»Ach, Königlich ... Ach, Madam, geben Sie es doch lieber auf, auch ich kenne Prinz Alfred, Sie werden nichts bei ihm erreichen, nachdem Sie ihn einmal ver ...«

Mit dem Sprunge einer Tigerin stand das üppige Weib plötzlich vor der Erschrockenen und deutete mit zornsprühenden Augen nach der Tür.

»Gehen Sie, Sie undankbares, Sie abscheuliches Geschöpf! Sie sind entlassen! Hinaus!! – Halt!« sie mäßigte sich wieder etwas, »entlassen sind Sie, und das sofort, aber in diesem Zimmer können Sie noch bleiben.«

Sie drückte den Knopf der elektrischen Klingel, ein Kellner kam.

Marguérite hatte sich überraschend schnell wieder in der Gewalt oder aber, war ein überaus launenhafter, wankelmütiger Charakter, denn jetzt dachte sie offenbar an etwas anderes, an das, was sie zu tun beabsichtigte, und augenblicklich prägte sich dies auch auf ihrem schönen Antlitz und in ihren Augen aus: etwas wie schmachtende Sehnsucht.

»Mir gefällt dieses Zimmer in der ersten Etage nicht, das Lärmen der Straße stört mich.«

»Madam können Zimmer in einer höheren Etage bekommen,« entgegnete der befrackte Geist mit einer Höflichkeit, die man an amerikanischen Kellnern sonst gar nicht gewöhnt ist, »sie bieten denselben Komfort, und wir haben Fahrstuhl.«

»Ich habe jetzt die Zimmer Nummer 19 bis 21. Welche Nummern sind in der ... vierten Etage? Ich muß die Nummer nämlich gleich wissen, weil ich dann für einen Besuch meine Adresse anzugeben habe.«

»In der vierten Etage? Nummer 101 bis 130.«

»Wie hoch ist dieses Haus eigentlich?«

»Acht Etagen, gnädigste Madam,«

»Ist die achte Etage auch zum Bewohnen eingerichtet?«

Der Kellner verzog etwas den Mund. Das Hotelpersonal hatte schon herausgebracht, daß hinter dieser einfachen ›Madame Lenois‹ etwas anderes steckte, man hatte schon gehört, wie sie von ihrer Gesellschafterin ›Königliche Hoheit‹ oder manchmal kürzer ›Prinzeß‹ angeredet wurde, und gerade in dem freien, republikanischen Amerika hat man vor europäischen Titeln einen ganz gewaltigen Respekt. Und eine echte Prinzessin gehörte doch nicht in die Dachkammer! Sie hatte zwar hier unten gleich drei Zimmer genommen, jetzt aber zeigte sich, daß es mit ihrer Kasse schlecht bestellt war, die Zimmer waren ihr zu teuer; der Straßenlärm war doch nur ein Vorwand.

»Gewiß. Da sind die Zimmer Nummer 226 bis 232, aber das ist ja unterm Dach.«

»Das wäre mir gleichgültig, wenn ich nur Ruhe habe. Ist dort noch ein Zimmer frei?«

»Alle.«

»Dann werde ich auch alle nehmen, alle sechs oder sieben, das heißt, die ganze Etage. Ich will Ruhe um mich haben,«

Der Kellner bat die Prinzessin im stillen um Verzeihung.

»Warten Sie, ich komme sofort mit. Diese drei Zimmer hier bezahle ich nur noch bis morgen, dann mag diese Person, welche nicht mehr in meinen Diensten steht, darüber verfügen, wie sie will, ich bezahle nichts mehr.«

Schon in der Tür stehend, wandte sie sich noch einmal nach dem alten Fräulein um.

»Ihren rückständigen Gehalt bekommen Sie erst ausgezahlt, wenn sich mein gesamtes Gepäck in meinen Händen befindet, und vorausgesetzt, daß nichts daran fehlt.«

Nach diesen beleidigenden Worten folgte sie dem Kellner. Sie fuhr mit dem Fahrstuhl bis in die achte Etage hinauf, wo sie von einem anderen Kellner, der bereits durch das Sprachrohr unterrichtet worden war, in Empfang genommen wurde.

An den Dachzimmern war nichts auszusetzen, sie waren noch höchst komfortabel.

Sie besichtigte alle Zimmer und nahm die ganze Etage.

»Dies Zimmer hier gefällt mir am besten,« sagte sie, nachdem sie sich vorher überzeugt, daß es die Nummer 228 hatte.

Mit prüfenden Blicken schaute sie um sich, am längsten verweilte ihr Auge auf dem Bett.

»Ja, dieses werde ich nehmen. Wer hat dieses Zimmer zuletzt bewohnt? Ich bin darin etwas sonderbar.«

»Eine englische Dame, eine sehr exquisite Dame,« entgegnete der Kellner, ob er nun log oder nicht.

Malte sich da auf den schönen Zügen nicht etwas wie Enttäuschung?

»So. Ach, da fällt mir ein ... hat in diesem Hotel nicht auch jener Nobody gewohnt, wissen Sie, als er vor etwa sechs bis acht Monaten im Atlantic-Garden als Verwandlungskünstler auftrat?«

»Allerdings, und zwar hat er zufälligerweise damals auch in diesem Zimmer hier logiert.«

»In diesem Bette hat er geschlafen?« erklang es wie erschrocken; die schöne, heikle Dame verzog den Mund dabei.

»O, Madame, bei uns herrscht doch Sauberkeit, die Bettwäsche wird alle Tage gewechselt ... oder Sie können ja auch ein anderes Zimmer nehmen ...«

»Es ist gut. Ich brauche nichts mehr.«

Als die Prinzessin allein war, schaute sie sich nochmals prüfend in dem Zimmer um, jetzt aber mit einem ganz anderen Gesichtsausdruck, sie preßte dabei die Hände gegen den wogenden Busen, dann schlich sie an das Bett, schlug die Oberdecke zurück und küßte mit innigster Zärtlichkeit das Kopfkissen!

Kann man denn mehr von der Liebe verlangen?

 

Die alte Hofdame hatte ihre Entlassung sehr ruhig hingenommen, man sah ihr an, wie willkommen ihr dieselbe war, aber die letzten Worte, die sie geradezu als Diebin verdächtigten, hatten sie natürlich äußerst beleidigt, und sie machte ihrem Zorn Luft.

»Du infame Kanaille! Eine Prinzessin willst du sein? Du beträgst dich wie eine Dirne und bist auch eine solche! Recht ist es gewesen, daß man dich und deine ganze Sippschaft aus dem Lande hinausgejagt hat! Nur Prinz Alfred war ein ganz anderer, der war auch so klug, gleich von vornherein auf alles zu verzichten, und ein Glück nur, daß du ihn damals betrogst, wodurch ihm gleich die Augen über deinen schändlichen Charakter aufgingen, sonst wäre der edle, junge Mann richtig in deine nichtswürdigen Schlingen gegangen, und du hattest ihn so unglücklich gemacht, wie es der Kronprinz gewesen ist. Und jetzt, da du deinen Mann endlich zu Tode gemartert hast, erwacht deine alte Liebe wieder?

Und du hast Prinz Alfred wiedergefunden? Und du denkst nun dein altes Spiel wieder anzufangen? Na, so dumm wird Alfred doch nicht sein! Und wenn er's wäre ...warte, ich werde auch seine Adresse erfahren, so gut wie du, und dann werde ich ihm schreiben, was du für ein niederträchtiges, tiefgesunkenes Weibsbild bist!«

Darauf begann die alte Dame die Sachen ihrer einstigen Herrin und ihre eigenen zu packen.

Ueber dieser Beschäftigung wurde es Abend, Fräulein von Simken hatte schon das Gepäck der Prinzessin hinaufbefördern lassen, als ein Kellner eintrat, hinter sich die Türe offen lassend.

»Ein Herr wünscht Sie zu sprechen, Miß.«

»Mich?« fragte die alte Dame, welche nur sehr mangelhaft Englisch sprach, zaghaft. »Ich kenne hier gar niemanden. Er will wahrscheinlich zu Madame Lenois.«

»Nein, Fräulein von Simken, mit Ihnen möchte ich einige Worte unter vier Augen sprechen,« erklang es da auf deutsch, und auf der Schwelle stand ein fremder Herr.

Er machte einen sehr eleganten Eindruck, aber die Abenteurerphysiognomie, in der Leidenschaften aller Art ihre Spuren hinterlassen hatten, konnte er nicht wegbringen, und ein Juwelenkenner wäre wohl gleich auf den Verdacht gekommen, daß die vielen Diamanten, die an seinen Fingern blitzten, kein reines Feuer ausstrahlten, wahrscheinlich war nicht einmal die dicke, goldene Uhrkette echt.

So bestimmt, wie er jene Worte gesprochen hatte, so unverschämt trat er gleich in das Zimmer, bedeutete dem Kellner, es zu verlassen, und schloß hinter diesem die Tür.

»Mein Name ist Huxley. Ich bitte Sie um eine kurze Unterredung,« wandte er sich an die hilflos Dastehende.

Wir wollen die beiden allein lassen, wir brauchen nur zu wissen, daß der fremde Herr eine Andeutung machte, er sei Kriminalbeamter, ohne es gerade direkt zu sagen, was aber schon genügte, um die alte Dame, welche erst seit einigen Tagen in Amerika war, sich so verlassen fühlte, nicht einmal die englische Sprache beherrschte, immer mehr ins Bockshorn zu jagen, und der fremde Herr erfuhr von ihr alles, was er wissen wollte, er examinierte sie wie der Richter den Angeklagten.

Nach einer Viertelstunde verließ der Herr das Zimmer wieder, benutzte den Fahrstuhl bis zur achten Etage und beauftragte den Zimmerkellner, ihn, Mr. Huxley, der Madame Lenois zu melden.

Der Kellner kam gleich wieder zurück.

»In welcher Angelegenheit der Herr die Dame zu sprechen wünsche.«

Mr. Huxley hatte bereits Bleistift und Visitenkarte in der Hand, schrieb nur eine Zeile und steckte die Karte in ein Kuvert, das er gleichfalls bei sich gehabt.

»Geben Sie dies der Dame, und sie wird mich sofort mit Vergnügen empfangen,« sagte er in hochtrabendem Tone.

»Mrs. Lenois läßt bitten,« meldete denn auch der zurückkommende Kellner und öffnete die Tür eines Wohnzimmers.

Marguérite hatte geschrieben, war aber jetzt aufgestanden und blickte mit nervöser Spannung dem Eintretenden entgegen. In der Hand hielt sie noch die Karte, auf welcher unter dem Namen Edward Huxley die Worte standen: ›kommt in Sachen des Mr. Nobody.‹

»Was wünschen Sie, mein Herr?« fragte sie mit vor Erregung zitternder Stimme.

Der Fremde hatte die Tür mit auffallender Sorgfalt hinter sich zugemacht, überzeugte sich auch, der Dame den Rücken wendend, nochmals, ob sie wirklich geschlossen sei, dann wandte er sich langsam um, die glühenden Augen musterten erst das Zimmer, und dann blickte er mit einem Lächeln, wie es dem Abenteurergesicht entsprach, so einem recht frechen Lächeln, die vor ihm stehende Dame an.

Dieses geheimnisvolle, affektierte Gebaren mußte deren Unruhe natürlich nur noch vermehren.

»Sind wir hier ganz ungestört, Königliche Hoheit?« begann er flüsternd, immer mit seinem widerlichen Grinsen.

»Ja, das sind wir. Warten Sie ...«

Sie vergewisserte sich, daß sich in den Nebenzimmern niemand befand, und verriegelte sogar die Türen. Eine etwaige Angst vor dem fremden Manne wurde durch die Spannung verdrängt, die sein geheimnisvolles Benehmen bei ihr hervorrief.

»Nun, mein Herr?«

»Ich darf wohl Platz nehmen in Gegenwart der Königlichen Hoheit?« fragte jener und hatte sich dabei, ohne erst die Erlaubnis abzuwarten, auf einen Stuhl gesetzt. Madame Lenois hatte sich ihm gegenüber niedergelassen, ganz von ihrer Erregung beherrscht, die dunklen Augen mit ängstlicher Erwartung auf den Fremden geheftet.

Jetzt hatte sie nur eins herausgehört.

»Woher ... wissen Sie, wer ich bin?« flüsterte sie atemlos.

Sie meinte, wie er dazu käme, sie Königliche Hoheit anzureden. Es war eine sehr naive Frage. Der Herr hätte deswegen keine Erkundigungen bei ihrem soeben entlassenen Kammerfräulein einzuziehen brauchen, alle Kellner wußten ja, daß es eine inkognito reisende, französische oder wahrscheinlich deutsche Fürstin war, sie wurde ja von ihrer Gesellschafterin demgemäß tituliert! Die Dame aber schien sich ihres Inkognitos sehr sicher zu sein, und an ihr Kammerfräulein mochte sie im Augenblick nicht denken, daß sie jetzt so stutzte.

Der Fremde aber machte sich dies zunutze, er setzte eine noch geheimnisvollere Miene auf, zeigte sich noch dreister.

»Wir wissen alles – alles! Königliche Hoheit haben also die feste Absicht, jetzt, da Ihr hoher Gemahl, der Kronprinz von ..., in Sommerset bei London gestorben ist, die Liebe Seiner Königlichen Hoheit, des Prinzen Alfred von ..., der sich jetzt Nobody nennt, und den Sie einst aus Ehrgeiz von sich gestoßen haben, wiederzugewinnen? Sie wollen sich jetzt nach Kairo begeben, um ihn dort persönlich zu sprechen, ihm Ihre Liebe abermals anzubieten?«

Der Mann sprach die hier nur mit Punkten angedeuteten Namen immer aus. Wir wollen sie nicht nennen, denn die betreffenden Personen leben noch, und jener Nobody hat sein geheimnisvolles Inkognito dennoch zu wahren gewußt.

Obgleich es so überaus nahe lag, woher der Fremde dies alles erfahren hatte – eben von der Hofdame, von der er doch direkt kam – wurde Madame Lenois förmlich von Entsetzen gepackt.

»Herr, wer sind Sie nur, daß Sie dies alles wissen?« hauchte sie mit bleichen Lippen.

»Ich werde mich Ihnen dann zu erkennen geben, und Königliche Hoheit werden noch überraschter sein als jetzt. Bitte, antworten Sie mir zunächst: Sie wollen sich dem Prinzen Alfred wieder nähern?«

»Ja,« erklang es jetzt entschlossen.

»Königliche Hoheit, damals Baronesse von Astern, waren mit Prinz Alfred schon so gut wie verlobt, da geschah das politische Unglück, Prinz Alfred war so verständig, sofort auf alle Ansprüche zu verzichten, das aber hatten Sie nicht erwartet, das paßte Ihnen nicht in Ihre Pläne, denn Sie waren maßlos ehrgeizig – nun aber machte eben zu dieser Zeit der Kronprinz, der schon längst ein Auge auf die schöne Baronesse Marguérite geworfen hatte, und der von Ihrer heimlichen Verlobung mit Prinz Alfred nichts wußte, einen Antrag – hier hatten Sie einen einfachen Privatmann, denn Prinz Alfred legte sofort seinen Titel ab – dort winkte Ihnen eine Königskrone – – also Sie gaben Ihrem heimlichen Verlobten, der Sie innig liebte, einen Korb ... nein, sagen wir doch lieber gleich: Sie gaben ihm einen Tritt – – und Sie denken, dieser jetzige Nobody wird nun der dreißigjährigen Witwe gleich mit offenen Armen entgegenfliegen? Das können Sie wirklich glauben? Hähähähähähä!!«

Es war nicht anders, als ob die schöne, blasse Frau von jedem dieser Worte wie von einem Keulenhieb getroffen worden wäre, und als der Fremde mit einem häßlichen, schadenfrohen Gelächter geendet hatte, saß sie zusammengebrochen da und stierte mit glanzlosen Augen auf ihre im Schoß verschlungenen Hände nieder.

»Und – ich – liebe – ihn – ja – dennoch!« kam es dann stockend von ihren farblos gewordenen Lippen, tonlos, und trotzdem war der furchtbare Seelenschmerz herauszuhören.

Mr. Huxley weidete sich mit sichtlichem Vergnügen an diesem Eindruck seiner Worte.

»Ja, ja, so geht's,« nahm er dann wieder in seinem unverschämten Tone das Wort. »Ich glaube schon, daß jetzt die alte Liebe wieder erwacht ist, aber nun ist es zu spät. Denken Sie doch ja nicht, daß sich dieser Nobody jetzt noch von Ihnen fesseln lassen wird, der hat unterdessen etwas in der Welt gelernt, der denkt über die Weiber jetzt ganz anders als vor zwölf Jahren als idealer, liebeschmachtender Jüngling. – Na,« lenkte der Sprecher dann ein, seinem gemeinen Gesichte und seiner Stimme einen wohlwollenden Ausdruck zu geben versuchend, »wenn Sie sich uns anvertrauen, dann ginge die Sache vielleicht noch zu arrangieren.«

Mit etwas Hoffnungsfreudigkeit blickte die schöne Witwe wieder auf.

»Sie glauben? Wie wäre das möglich? Was soll ich tun?«

Sie wußte gar nicht, wie sehr sie sich diesem Menschen, den sie noch gar nicht kannte, gleich auf Gnade und Ungnade auslieferte.

»Sie müssen sich uns anvertrauen,« grinste der Kerl im eleganten Anzug, aber mit falschen Brillanten und mit unechter Uhrkette.

»Fordern Sie von mir, was Sie wollen, wenn Sie nur ein Mittel wissen, mich wieder mit Prinz Alfred zu vereinigen.«

Sie mußte sehr wenig Hoffnung haben, dies durch eigene Kraft bewerkstelligen zu können, daß sie gleich auf das Hilfsangebot des ersten besten Menschen einging.

Freilich trug diese geheimnisvolle Annäherung viel mit dazu bei.

»Nehmen wir einmal ein Beispiel an, wie so etwas zu ermöglichen ist, nämlich, daß ein Mann die größte Zuneigung zu einem Weibe fassen muß, ob er nun will oder nicht ...«

»Durch einen Liebestrank?« unterbrach ihn die Prinzeß, allerdings in sehr zweifelndem Tone. »Glauben Sie an so etwas?«

»Liebestrank? Unsinn!« knurrte Huxley. »Da gibt es etwas viel Einfacheres und absolut Sicherwirkendes, Sie werden mit Nobody in Kairo zusammenkommen, dafür werden wir schon sorgen, und wenn nicht dort, dann eben anderswo. Ueberall gibt es einsame, abgelegene Orte, wo nicht sogleich Hilfe zur Stelle ist, aber vielleicht eine Hütte ist in der Nähe, in die der Verunglückte schnell gebracht werden kann ...«

»Der Verunglückte?« wiederholte die Dame staunend. »Von wem sprechen Sie eigentlich, mein Herr?«

»Immer von Mr. Nobody, Wenn Sie in der Einsamkeit mit ihm allein sind, stürzen plötzlich einige maskierte Banditen aus dem Hinterhalt, Schüsse krachen – – bums, liegt der Herr Nobody da, eine Kugel hat mit unfehlbarer Sicherheit seinen Schenkelknochen zerschmettert ...wünschen Königliche Hoheit, daß die Kugel das Bein so trifft, daß es ihm abgenommen werden muß? Denn mit einem Beine läuft er Ihnen sicher nicht mehr davon, dann hat die Wanderlust ein Ende, dann bleibt er hübsch zu Hause bei seiner Frau und läßt sich von ihr den Bart krauen. Wünschen Sie das linke oder das rechte Bein? Verunstaltet ist er deswegen noch lange nicht, er trägt eben ein Gummibein, und die Hauptsache ist doch, daß Sie ihn zum Mann haben. Oder es braucht auch nicht das ganze Bein zu sein. Vielleicht nur so weit? Oder nur bis ans Knie? Länger aber würde ich ihm an Ihrer Stelle das Bein nicht lassen.«

Dieses Unikum von einem Gentleman hatte zum Ueberfluß auch noch einen Revolver aus der Tasche gezogen, setzte die Mündung hoch oben am Leib auf den Schenkel seines einen Beines, dann rutschte er mit dem Revolver immer etwas weiter nach unten, so markierend, wie weit Nobodys Bein abgenommen werden dürfte, bis er an seinem Knie Halt machte ... »Länger aber würde ich ihm an Ihrer Stelle das Bein nicht lassen.«

Mit entsetzten Augen blickte Marguérite auf den höhnisch grinsenden Bösewicht, der ihr einen solchen Vorschlag machte, dessen eigentlichen Zweck sie aber noch gar nicht verstand.

»Herr, wer sind Sie?« brachte sie endlich hervor.

»Ein Mann, welcher mit einem Kompagnon zusammen derartige Geschäfte macht,« war die kaltblütige Antwort. »O, wir beide haben schon die schwierigsten Sachen fertig gebracht. Erst kürzlich, da kam ein Gentleman zu uns – der hatte es auf ein Mädchen abgesehen – gar nicht daran zu denken, das Mädel war ein Prachtweib und steinreich, und er war ein Habenichts und ein häßlicher Kerl, grundhäßlich, hatte auch noch einen Ansatz zum Buckel. – Gut, wird gemacht, sagten wir. – Die Dame befand sich auf einem Jagdausflug, in ganz einsamer Gegend, da krachte ein Schuß, die Kugel, wie ein solches Kaliber der Bucklige nicht führte – verstanden? – ging der jungen Dame durch alle Röcke und gerade in das Fleisch des rechten Schenkels – – wie sie hilflos dalag, da kam der Buckel – – daß kein anderer von der Jagdgesellschaft zugegen war, dafür hatten wir gesorgt, alles war aufs trefflichste arrangiert – – also kein Arzt, kein Mensch in der Nähe – – nur der Buckel – – na, der mußte natürlich helfen, er hatte überhaupt etwas ärztliche Kenntnisse – – also der zieht die junge Dame aus, da hilft doch alles nichts, er verbindet die Wunde – schleppt die Verwundete bis ins nächste Haus, bleibt bei ihr, pflegt sie getreulich, wäscht und verbindet weiter ... na, da können Sie sich wohl denken, was daraus geworden ist. Das schöne Mädchen hat den buckligen Kerl dann geheiratet, mußte ihn ja geradezu heiraten, der hatte schon zuviel gesehen. Aber da war dann auch wirkliche Liebe dabei, das macht die aufopfernde Pflege – – wenn man so das Milchsüppchen bringt, hähähähä – – die beiden sind ein ganz glückliches Paar geworden. Dieses Kunststück hat uns 10 000 Dollar eingebracht,« setzte Mr. Huxley noch hinzu, »so etwas lassen wir uns natürlich gut bezahlen.« Die großen Augen der schönen Witwe blickten nur immer entsetzter auf den Mann, der das alles so gelassen hervorbrachte.

»Mensch, Herr, sind Sie denn ... der Teufel?!«

»Nicht selbst, der Teufel ist nur mein Berater, und ich bin ihm sehr dankbar, daß er mich auf diese geniale Idee brachte. Wie es in Ihrem Falle gehalten wird, wissen Sie doch nun. Auf die Weise, als treue Pflegerin des Verwundeten, den Sie wie Ihr kleines Kind oder auch wie Ihren Gatten ganz intim behandeln müssen, erwerben Sie seine Liebe mit absoluter Sicherheit. Oder aber, wenn Ihnen an einem zweibeinigen Gatten sehr gelegen ist, kann ich Ihnen auch noch einen anderen Vorschlag machen. Die Ausführung dieses Planes kostet freilich viel mehr Honorar, denn wir haben viel mehr Mühe damit. – Haben Königliche Hoheit schon einmal einen blinden Liebhaber gehabt?«

Die vornehme Dame war so mit anderen Gedanken beschäftigt, daß sie das Zynische dieser Frage gar nicht empfand.

»Einen blinden Liebhaber? Nein,« entgegnete sie, was wiederum ein sonderbares Licht auf ihren Charakter warf.

»O, das sollten Sie einmal probieren. Ich kann davon erzählen. Das heißt, bei mir war es natürlich ein blindes Mädchen. Sie wissen doch, daß sich beim Blinden alle Sinne im Gefühl konzentrieren. Großartig! Na, das können Sie auch haben, und das für immer. Sie selbst können das natürlich nicht besorgen, ihm etwa eine Flasche Vitriol in das Gesicht gießen oder ein ähnliches Experiment versuchen. Das muß von fremder Hand geschehen und zwar auf eine ganz raffinierte Weise, daß auf Sie auch nicht der geringste Verdacht fällt. Sonst wäre es mit der Liebe natürlich aus. Sein Gesicht braucht dabei auch gar nicht entstellt zu werden, wir stechen ihm nicht einmal die Augen aus. Wir blenden ihn. Das ist ganz einfach. Tut auch gar nicht weh. Nur ein kleiner, stechender Schmerz – – weg ist das Augenlicht. Das wird alles arrangiert, er fällt Räubern in die Hände, die hinter dem gefährlichen Nobody her sind, sie blenden ihn, verlassen ihn aus irgend einem Grunde, hilflos irrt der Blinde in der Einöde herum, vielleicht in einem wilden Gebirge, da erscheinen Sie. Sie haben ihn aus Räuberhand befreien wollen, ergreifen des Blinden Hand, leiten ihn, daß sein Fuß nicht strauchelt ... und Sie werden ihn fernerhin durch das Leben geleiten. Und nun geben Sie acht, was so ein blinder Ehemann, bei dem alles Abhängigkeit ist, für einen Spaß macht! ... Halt, einen Schuß ins Bein muß er doch bekommen, in den Schenkel, aber nur ins Fleisch. Sie müssen ihn auch so pflegen, und Not kennt kein Gebot ... Sie müssen ihn gleich von vornherein in einer Weise behandeln können, als wären Sie seine Ehefrau. Und dann haben Sie ihn mit absoluter Sicherheit ... und noch dazu so ein hübsches, blindes Männchen, mit dem man machen kann, was man will!«

Der Unhold hatte gesprochen. Die schöne Witwe saß in tiefem Sinnen da. Aber man sah, was in ihr vorging, wie ihr Busen wogte, wie es in ihren schwarzen Augen immer mehr zu glühen begann!

»Sind Sie ... befähigt dazu, so etwas fertig zu bringen?« erklang es dann mit etwas heiserer Stimme.

»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß dies mein Beruf ist. Und noch nie ist es mir mißglückt.«

»Es dürfte sich ... in Aegypten abspielen.«

»Ich bin in der ganzen Welt zu Hause, in Kairo so gut wie in New-York.«

»Und was ... kostet das?«

 

Doch wir können die beiden jetzt allein lassen.

Eine Stunde später traf sich dieser saubere Gentleman, welcher sich Mr. Huxley nannte, mit einem Spießgesellen in einer obskuren Wirtschaft.

»Das war ein Einfall von mir, Bob,« sagte er flüsternd, als beide allein in einem dunklen Winkel saßen, »daß ich mich an diese fremde Dame, die mir auf der Straße auffiel, heranmachte. Weißt du, wer das ist?«

Er nannte ihren eigentlichen Namen, ihren Titel, erzählte mehr von ihr.

»Was du sagst!« staunte der andere.

»Sie hatte sich gerade mit ihrem Kammerfräulein überworfen, das kam mir zustatten ...«

Und der Mann erzählte weiter. Das Staunen des anderen wurde immer größer.

»Und sie ging gleich wie eine Maus an den Speck. Es ist alles schon abgemacht, du bist mein Kompagnon, wir begleiten sie nach Kairo, wenn wir sie an Bord auch nicht kennen ... du, Bob, erster Kajüte nach Alexandrien! Und das ist erst der Anfang! Die wollen wir aber noch ausnehmen! Denn was meinst du wohl? Sie bedauerte, nur zwei Hundertdollarnoten bei sich zu haben, und kleineres Geld wollte ich nicht annehmen, ich mußte doch etwas vornehm tun. Hier sind sie. Und hier, was ist das? Ein Scheck auf 10 000 Dollar ... und der ist so gut wie Gold, morgen löse ich ihn ein ... und das ist erst die Anzahlung auf das zukünftige Geschäft, hähähäha!! So ein dummes, verliebtes, vertrauensseliges Frauenzimmer ist mir denn doch noch nicht vorgekommen, hähähähähä!! Bob, jetzt endlich fängt unser Weizen an zu blühen.«

Es wurde Champagner bestellt, die Pfropfen wallten.

»Ja aber,« begann dann Bob wieder, als sich sein Freudenrausch etwas gelegt hatte, und ehe der Champagnerrausch kam, »willst du denn das mit dem Blenden wirklich ausführen?«

»Nu warum denn nicht?! Du, Bob, das ist eben ein genialer Gedanke von mir gewesen, ich weiß selber gar nicht, wie ich mit einem Male auf den Einfall kam, dem verrückten Frauenzimmer so etwas vorzuschwatzen. Ich glaube, der Teufel muß mit mir im Bunde gewesen sein. Ja, aber warum soll denn das nicht gehen, so, wie ich es gesagt habe? Bob, weiß Gott, das machen wir einmal ... erst einen Anfang, dann sind wir drin in dieser Karriere, die ich erst geschaffen habe.«

Also nichts weiter, als zwei Gauner, Hochstapler, die im Trüben fischen, aber zu Verbrechern veranlagt. Und wahrhaftig, für einen Verbrecher war die Idee, die jener Mann so aus dem Stegreif entworfen hatte, wirklich genial.

»Daß du in Aegypten schon gewesen bist, weiß ich,« nahm Bob wieder das Wort. »Aber mit so etwas gerade bei Nobody anzufangen? Dieser Nobody ...«

»Ist auch nur ein Mensch,« fiel ihm der andere geringschätzend ins Wort, »Einmal muß der Anfang doch gemacht werden, tun wir es also bei ihm; bange machen gilt nicht. Wir werden diesen unsichtbaren Menschen schon zu sehen bekommen, jenes Weib erhalt nämlich die Chiffre, unter welcher er in Kairo seine Briefe abholen wird. Dann heften wir uns an seine Fersen, und uns soll er nicht entgehen, was Bob? Da haben wir schon andere Sachen fertig gebracht. Sollte trotzdem aus irgend einem Zufall nichts daraus werden ... diese Prinzessin wird uns nicht wieder los, darauf kannst du dich verlassen. Sie hat einmal A gesagt, jetzt muß sie nicht nur B, sondern das ganze Alphabet bis zum Z sagen. Die lassen wir nicht wieder aus unseren Fängen.«

Am anderen Morgen stellte sich Mr. Huxley wieder in dem Hotel ein und fand es in großer Aufregung, wenn man diese auch zu verbergen suchte. Von Madame Lewis erfuhr er den Grund. Heute morgen hatte man Fräulein von Simken tot im Bett gefunden, ein Herzschlag hatte ihrem Leben ein Ziel gesetzt. Ihre einstige Herrin schien sich wenig Vorwürfe zu machen, daß sie durch ihre gehässigen Vorwürfe den Tod der alten Dame herbeigeführt haben könnte. Sie wurde einmal von der Polizei vernommen, dann war sie noch so großmütig, die beträchtliche Summe zu deponieren, um die Leiche nach Deutschland transportieren zu lassen.

 

In New-York gibt es ein chinesisches Viertel, die Vereinigten Staaten stehen mit China in starker Handelsverbindung, deshalb ist China in New-York durch einen Konsul vertreten.

Dieser befand sich in seinem Bureau. Er hatte zwar noch einen Zopf, trug sich und benahm sich sonst aber ganz wie ein moderner Gentleman, und dasselbe gilt von allen in dem palastartigen Gebäude angestellten chinesischen Beamten, daher wollen wir die nachfolgende Unterhaltung auch nicht in chinesischer Ausdrucksweise wiedergeben – die höflichen Redensarten und Respektbezeugungen würden gar zu viel Platz wegnehmen.

Der Konsul wurde im Gespräch mit einem Sekretär von einem Kawassen gestört, der einzige Chinese, welcher im chinesischen Konsulatsgebäude wirklich in chinesischer Tracht ging.

›Kawaß‹ ist eigentlich ein türkischer Polizeisoldat, doch ist dies der Name aller Konsulatsdiener im Auslande geworden, welche im Vorzimmer Wache halten. Die Konsuln wählen dazu die schönsten Männer ihrer Nation aus und treiben mit ihnen immer einen großen Luxus. Dieser Kawaß hier zeichnete sich durch einen enormen Bauch aus, was in China bekanntlich als sehr schön gilt.

»Was gibt es?«

Nachdem der Chinese, der einen kleinen, schmutzigen Ballen in der Hand trug, den ganzen Vorrat von Titeln erschöpft hatte, welche diesem hohen Würdenträger zukamen, stattete er Bericht ab.

Seit heute früh würde das Vorzimmer von einem chinesischen Kuli belagert, welcher seinem Konsul ein großes Geheimnis zu verkünden habe. Der Kawaß kannte den verhungerten und zerlumpten Kerl, er kam erst heute von Sing-Sing, der Strafinsel, wo er wegen eines Diebstahls ein halbes Jahr hatte Baumwolle spinnen müssen, für diesen Mann eine um so furchtbarere Strafe, weil er dem Opiumgenuß ergeben war, und dem hatte er während seiner Gefangenschaft doch nicht frönen können, er zitterte deshalb an allen Gliedern. Der Kawaß hatte den Kerl, der doch nur betteln wollte, um sich Opium zu kaufen, hinausgeworfen, aber Lan Tschu war draußen auf der Steintreppe sitzen geblieben, immer noch von seinem ›großen Geheimnis‹ schwatzend, und der Kawaß war dadurch stutzig geworden, daß jener noch nicht ging, auch als ihm schon einige begüterte Landsleute, die aus dem Konsulat gekommen waren, Geld gegeben hatten.

»Jetzt schickt dir, o glanzvoller Stern des himmlischen Reiches, Lan Tschu diesen Brief.«

Mit diesen Worten wollte der Kawaß seinem Herrn das Bündel überreichen, einen zusammengeknoteten Fetzen Zeug von entsetzlicher Schmutzigkeit, im Rinnstein aufgelesen.

Aber der Herr Konsul wollte den sonderbaren Brief nicht annehmen.

»Was ist da drin?«

»Lan Tschu hat einen geschriebenen Zettel hineingelegt.«

Also das Bündel war nur das Kuvert.

»Knüpfe es auf!«

Der Kawaß tat es. Wirklich, der abgerissene, ehemals weiße Rand einer Zeitung kam zum Vorschein, auf diesen Zettel waren mittels Schlamm und der Fingerspitze Worte geschrieben. Der Konsul nahm das Papier mit einer Schere und las.

In deutscher Uebersetzung lauteten die Worte:

»Der Perlenmacher lebt noch, welcher vor zwei Jahren dem Taotai von Hangtscheu entsprang, und Lan Tschu weiß, wo er sich befindet.«

Der Konsul wurde plötzlich von einer Aufregung befallen, welche eines echten Chinesen eigentlich ganz unwürdig ist. Hastig begab er sich in sein Privatkontor, jetzt den schmutzigen Wisch gleich zwischen den Fingern mitnehmend.

Ja, er wußte, was hiermit gemeint war, er kannte den ganzen Fall.

Zehn Jahre war es nun schon her. Da war es den Juwelenhändlern und anderen daran Interessierten aufgefallen, daß in Hangtscheu, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, außergewöhnlich viel echte Perlen auf den Markt kamen, von einer Größe und Schönheit, wie die chinesischen Gewässer sie nicht liefern, und dabei auch noch zu einem ungewöhnlich billigen Preise.

Man forschte weiter und fand schließlich als letzte Quelle, von der all diese Perlen ausgingen, einen Chinesen Namens Tsin Hei, ein Mann aus der verachteten Kaste der Gaukler, der aber einst in hohen Ehren gestanden hatte, denn er war vor vielen Jahren der unübertreffliche Hofgaukler des Kaisers gewesen.

Jetzt war das Rätsel gelöst, und die ganze Provinz Hangtscheu wurde von einer Art Fieber ergriffen, das sich bis an den Hof von Peking erstreckte.

Dieser alte Gaukler hatte schon immer, ehe er am Hofe in Ungnade gefallen war und einen Kopf kürzer gemacht werden sollte, welcher unangenehmen Prozedur er aber durch Flucht aus dem Wege ging, sich mit Experimenten beschäftigt, echte Perlen auf künstliche Weise herzustellen, die Seemuscheln zu zwingen, Perlen zu liefern.

Das geht nämlich. Besonders die Chinesen haben es hierin weit gebracht. Sie setzen in die geeignete Muschel, wenn sie sich geöffnet hat, einen scharfen Gegenstand, etwa ein Quarzkörnchen, ein, welches die Schleimhaut der Muschel reizt, diese hüllt das unangenehme Objekt mit Schleim ein, und nach längerer oder kürzerer Zeit ist die Perle fertig.

Aber das liest sich viel leichter auf dem Papiere, als es in Wirklichkeit auszuführen ist. Man soll's nur einmal probieren. Das ist geradeso wie mit der Austernzucht. Mit dieser sind auch schon ungezählte Vermögen verpulvert worden.

Allerdings, es geht, aber vor allen Dingen scheint chinesische Geduld dazu zu gehören, und eine Perle, welche wie ein milcherner Tautropfen über die Handfläche rollt, wird es auch niemals. Eine solche Perle auf künstliche Weise zu erzeugen, das ist bis heute noch nicht gelungen. Wir wissen ja überhaupt noch gar nicht, wie die Muschel die Perle eigentlich bildet. Ein die Schleimhaut reizender Kern scheint gar nicht nötig zu sein, denn die meisten Perlen sind massiv und enthalten auch keinen mikroskopisch wahrnehmbaren Kern, auch kein Infusor, wie oft behauptet worden ist. Die Chinesen treiben denn auch mit diesen künstlich erzeugten Perlen mehr einen religiösen Hokuspokus; hauptsächlich bringen sie in die Muscheln winzige Figürchen aus Zinn, welche buddhistische Götzen darstellen, diese lassen sie mit Schleim umhüllen, das sind dann zauberkräftige Talismane, aber als Schmuck haben sie gar keinen Wert.

Doch was noch nicht gelungen ist, kann noch geschehen, und dem alten Gaukler, der schon ein Menschenalter an dem Problem experimentiert hatte, schien die Lösung endlich geglückt zu sein.

Der Taotai von Hangtscheu ließ ihn sofort festnehmen und einsperren. Tsin Hei war nicht allein gewesen, er hatte einen Kompagnon bei sich gehabt, seltsamerweise einen jungen, blondhaarigen Europäer. Der wurde natürlich ebenfalls in den Kerker geworfen, und beim hochnotpeinlichen Verhör zeigte es sich denn auch, daß man ganz recht gehabt hatte, ihn nicht laufen zu lassen.

Nach chinesischer Sitte hatten die beiden, wenn sie ihr Geheimnis nicht gestanden, welches selbstverständlich gleich ein kaiserliches Monopol geworden wäre, die Folter zu erwarten. Aber so weit ließen es die beiden nicht kommen, sie gestanden sofort, daß sie tatsächlich künstliche Perlen erzeugen könnten. Also auch der junge Europäer war in das Geheimnis eingeweiht.

Sie konnten die echten Perlmuscheln zwar zwingen, ›gefrorene Tautropfen‹ zu erzeugen, doch sonst mußte dies auf ganz natürliche Weise vor sich gehen, und zwar erforderte dies eine lange, lange Zeit, wie lange, das könne man gar nicht voraussagen, das hinge ganz von den Verhältnissen ab. Zu der großen Anzahl Perlen, die sie nach und nach verkauft, und wie man solche auch noch bei ihnen vorfand, prachtvolle Exemplare, von echten gar nicht zu unterscheiden, hätten sie drei Jahre gebraucht, sie hätten sie auf einer einsamen Insel erzeugt, von wo sie aber durch Seeräuber vertrieben worden wären.

Es handelte sich also nicht um eine chemische Herstellung von echten Perlen, sondern um eine künstliche Zucht von ertragsreichen Perlmuscheln, und das war schon ungeheuer viel wert. Wenn man bedenkt, wie begehrt im ganzen Orient die Perlen sind, welche Summen jährlich für sie ausgegeben werden, so konnte dieses Monopol dem chinesischen Reiche eine ganz andere finanzielle Lage geben.

Die Sache wurde nach Peking berichtet; ein kaiserlicher Befehl schützte das Leben der beiden – – gut, sie sollten haben, was sie wünschten, wenn sie nur echte Perlen lieferten.

So, wie es die beiden wollten, ging es nun freilich nicht. Sie hatten verlangt, auf einer einsamen Insel ihr Laboratorium einzurichten. Daraus wurde nichts, denn daß die beiden die erste Gelegenheit zur Flucht ergriffen, das war doch ganz klar. Aber eine Insel erhielten sie doch, nur eine solche in der Bucht von Hangtscheu, ganz nahe am Land, auf ihr befand sich ein starkes Fort, und in dieses wurden die beiden unter schärfster Bewachung eingesperrt. Sonst erhielten sie alles, was sie forderten. Zur Zucht der Perlmuscheln brauchten sie doch immer frisches Meerwasser, sie mußten es nach Belieben in besondere Bassins ab- und zuleiten können – und ein Jahr allein verging schon damit, um in die Felsen Bassins, Schleusen und dergleichen zu meißeln, wozu ihnen so viel Menschenhände zur Verfügung standen, wie sie nur wünschten.

Kurz, nicht weniger als 8 Jahre wußten die beiden die Sache hinzuhalten, immer wieder neue Entschuldigungen für die Resultatlosigkeit ihrer Experimente zu finden und ihren schatzgierigen Wächtern dennoch immer wieder neue Hoffnung auf ein endliches Gelingen zu machen. Daran ist gar nichts Unglaubliches. Wenn man bedenkt, daß im 18. Jahrhundert der Goldmacher Böttger den Kurfürsten von Sachsen 5 Jahre lang an der Nase herumführte, so darf man wohl glauben, daß im 19. Jahrhundert so ein raffinierter Gaukler, der am Hofe gewesen ist und alle Schliche kennt, einen chinesischen Statthalter 8 Jahre an der Nase herumführen kann. Denn in China kam noch religiöser Humbug in Betracht, von dem das Gelingen der künstlichen Perlenzucht abhängig war, die heiligen Drachenfeste, die Stellung der Gestirne usw.!

Es war aber wirklich etwas dabei, was die Hoffnung des Statthalters und des kaiserlichen Hofes immer wieder nährte.

Die Perlen wollten in den Bassins nicht ›wachsen‹. Wenn aber den chinesischen Herren endlich die Geduld ausging, wenn den beiden schon das Messer an der Kehle oder das Henkersschwert im Genick saß, dann untersuchten sie jedesmal die in den Bassins befindlichen Muscheln genau, und ... wahrhaftig, da wurde jedesmal mindestens eine Muschel gefunden, welche eine prachtvolle, außergewöhnlich große Perle enthielt. Die ging dann immer an den kaiserlichen Hof, und dann war alles wieder gut; man ließ die beiden weiter experimentieren, man mußte sich eben in Geduld fassen.

Der geneigte Leser wird sofort auf den Verdacht kommen, daß die beiden noch von früherher echte Perlen bei sich hatten und, wenn es ihr Leben zu retten galt, immer eine solche in eine Muschel einschmuggelten. Aber so schlau, um auf diesen Verdacht zu kommen, sind die Chinesen auch. Die Gefangenen waren gleich im Anfang einer gründlichen Untersuchung im Adamskostüm unterworfen worden, mit Brech- und Laxiermitteln hatte man auch ihren inneren Menschen umgekehrt, und nichts war bei ihnen gefunden worden.

Nein, man mußte ihnen Glauben schenken, man mußte warten.

Da, nach 8 Jahren starb Tsin Hei plötzlich an Altersschwäche, und der ›weiße Teufel‹, sein Gefährte – jeder Europäer ist in China ein ›weißer Teufel‹, und einen anderen Namen hatte des Gauklers junger Leidensgefährte, dem aber die Gefangenschaft recht gut bekam, niemals erhalten – stand abermals in Gefahr, sein Leben durch Henkershand zu verlieren. Denn war der eine tot, mochte auch der andere draufgehen, man hatte die langweilige Geschichte endlich satt bekommen.

Aber der schlaue ›weiße Teufel‹ wußte wiederum sein Leben zu retten, sich wenigstens eine Gnadenfrist auszuwirken.

Der alte Gaukler habe ihn gezwungen, das Geheimnis zu wahren, die Wächter immer zu täuschen, sonst wäre es ihm ans Leben gegangen. Jetzt sei der Mann, vor dem er sich so gefürchtet habe, tot – und wenn er nicht innerhalb von vier Wochen echte Perlen in Hülle und Fülle liefere, so wolle er seinen Kopf verwirkt haben.

Gut, diese vier Wochen Frist konnte man dem ›weißen Teufel‹ noch gewähren.

Es vergingen nur drei Wochen, da ... fanden die Wächter den weißen Vogel eines Morgens ausgeflogen. Staunend betrachteten die Chinesen die kolossale Arbeit, welche der Flüchtling, jetzt offen vor ihren Augen, hinterlassen hatte. Einen Tunnel von etwa 40 Meter Länge hatte er durch den massiven Felsen gemeißelt, bis er das offene Meer erreicht, in welches hinab er noch einen Todessprung hatte ausführen müssen. Diesen Fluchtweg hatte er sich natürlich nicht in den letzten drei Wochen gebahnt, daran hatten die beiden die ganzen acht Jahre gearbeitet; der alte Gaukler war nur kurz vor der Vollendung gestorben.

Jetzt erfuhr man auch, wie es kam, daß sich die von ihnen gepflegten Muscheln in den Bassins so zusehends vermehrt hatten. Dem war gar nicht so. Die Arbeitenden hatten das herausgemeißelte Gestein immer in die Bassins geworfen und die vorher abgenommenen Muscheln wieder daraufgelegt.

Die chinesischen Wächter hatten nicht lange Zeit, zu staunen und zu grübeln, sie mußten sämtlich den Weg zur Richtstätte gehen, und der erste, dem der Kopf von den Schultern geschlagen wurde, war der Taotai von Hangtscheu.

Doch diese Strafe brachte den Flüchtling nicht wieder. Uebrigens glaubte man nicht, daß er den Todessprung vom himmelhohen Felsen ins Meer hinab überstanden hatte, er mußte auf den Klippen zerschellt sein, wenn man seine Leiche auch nicht fand.

 

Dies alles war also dem chinesischen Konsul bekannt.

Und jetzt wollte jemand behaupten, daß jener Flüchtling noch am Leben sei, wollte seinen Aufenthalt kennen.

Der ausgemergelte Kerl, der sich das Geld für ein paar Pfeifen Opium verdienen wollte, wurde vorgeführt.

Ja, er, Lan Tschu, sei dabeigewesen, wie damals in der Provinz Hangtscheu der alte Gaukler und sein weißer Gefährte festgenommen wurden, und zehn Jahre später habe er, wie er im Atlantic-Garden als Fensterputzer angestellt war, den letzteren wiedergesehen.

Der weiße Teufel führe jetzt den Namen Nobody. –

»Und du weißt das ganz genau, Lan Tschu?« fragte der Konsul.

Lau Tschu versicherte es mit pompösen Redensarten.

»Und du denkst, das ist mir nicht schon längst bekannt?«

Ach, dieses enttäuschte Gesicht des armen Schluckers! Doch der chinesische Konsul war ein großmütiger Mann. Er hatte schon vorher aus einer Schublade seines Schreibtisches etwas Großes, Glänzendes genommen – Lan Tschu hatte es wohl beobachtet – und es aus irgend einem Grunde in Papier gewickelt.

»Da dein Lohn! Kaufe dir Opium dafür!«

Mit diesen Worten warf der Konsul das schwere Papier etwas hinter den Mann. Dieser drehte sich schnell um, bückte sich – ebenso schnell hatte der Konsul von seinem Schreibtisch einen großen, weit ausgespannten Zirkel genommen, und wie Lan Tschu noch so gebückt dastand, setzte ihm der Konsul die spitzen Enden des Zirkels mit ziemlichem Nachdruck auf sein Hinterteil.

Ein Schrei, und wie ein Blitz war der Gestochene zur Tür hinaus.

Draußen stand der dicke Kawaß.

»Hat er dich auch ... ?« fragte dieser, aber gar nicht schadenfroh, sondern in einem recht kläglichen Tone, und dabei hatte er, ebenso wie der andere, die Hände schützend auf sein Hinterteil gelegt.

Der wußte aus eigener Erfahrung wozu der ›Stern des himmlischen Reiches‹ immer den ausgespannten Zirkel handbereit liegen hatte.

Doch Lau Tschu hatte ja den goldenen Lohn im Papier, er wickelte dieses auf und ... fand einen großen Hosenknopf aus Messing.

 

Wir versetzen uns wieder nach London zurück an Bord der ›Wetterhexe‹.

Es war Abend. Kapitän Flederwisch saß rauchend in seiner Kajüte und machte sich Sorge über das Ausbleiben seines Freundes, der nun schon seit sechs Tagen nichts mehr von sich hatte hören lassen, als hastig die Schiebetür aufging und ein fremder Herr eintrat.

»Was macht Keigo Kiyotaki?« war die erste Frage des Fremden.

Mehr noch als aus dieser Frage merkte Flederwisch, daß er nur Nobody vor sich haben könnte, daraus, weil ein Fremder von den Matrosen überhaupt nicht an Bord gelassen worden wäre, ohne daß man den Kapitän vorher benachrichtigt hätte.

Flederwisch war freudig von seinem Sitze aufgeschnellt.

»Hallo, Master, das nenne ich eine Ueberraschung! Ich war wirklich schon besorgt um Sie ...«

»Lassen wir das jetzt, ich erzähle Ihnen dann alles,« fiel ihm Nobody schnell ins Wort. »Ich habe es nicht umsonst so eilig mit meiner Frage: was macht Keigo Kiyotaki?«

»Er ist an Bord und befindet sich wohlauf.«

»Ist während meiner Abwesenheit ein fremder Japaner an Bord gewesen und hat Sie sprechen wollen?«

»Kein einziger.«

»Haben Sie keinen Brief wegen Keigos empfangen?«

»Nein. Wie wäre denn das möglich?« stutzte der Kapitän. »Sollte es denn bekannt geworden sein, daß er ...«

»Es könnte doch sein, daß er einmal an Deck gesehen worden ist oder nur sein Gesicht an einem Fenster. Kurzum, in London lebende Japaner haben eine Witterung von der ›Wetterhexe‹ bekommen. Eben jetzt, als ich mich in der Dunkelheit der Jacht näherte, sah ich zwei Männer auf dem Quai stehen, ich konnte mich unbemerkt ziemlich nahe an sie heranschleichen, sie flüsterten japanisch zusammen, waren im Zweifel, ob beide an Bord gehen sollten oder nur einer. Was können sie anders wollen als ... da kommen sie schon!«

Ein Matrose trat ein und meldete, ein Herr wünsche den Kapitän der ›Wetterhexe‹ zu sprechen.

»Es ist ein Japaner, aber er spricht ganz gut Englisch.«

»Sage dem Herrn im Namen des Kapitäns, er möchte einen Augenblick warten,« entschied Nobody, wandte sich schnell wieder an Flederwisch und erteilte ihm einige Instruktionen, so daß dieser den Japaner ebensogut empfangen konnte, wie Nobody selbst.

Als der Erwartete eintrat, sah er sich in der Kajüte nur dem Kapitän gegenüber.

Es war ein kleiner Mann mit ältlichen Gesichtszügen. Man kann jedem Japaner ansehen, zu welcher Kaste er gehört. Die eigentliche Kraft des Volkes bildet die 7. Kaste, das sind die kleinen Kaufleute und die Handwerker, und noch mehr die 8. und letzte Kaste, die Schiffer, Fischer und Bauern, und hier kann man wirklich von der Kraft des Volkes reden, denn die Männer dieser beiden Kasten, zwar auch klein von Gestalt, zeichnen sich durchweg durch eine kolossale Muskulatur aus.

Kapitän Flederwisch wußte hiervon genug, um schon aus dem dicken, von Adern und Sehnen starrenden Halse, auf dem das magere Gesicht mit den schwarzen, glühenden Augen saß, zu erkennen, mit wem er es zu tun hatte, und ferner sagte ihm jede Bewegung, daß er einen Seemann vor sich habe, also einen Vertreter der letzten Kaste. Deswegen aber konnte das vielleicht ein schwerreicher Schiffsreeder sein, den nur seine Geburt verhinderte, zur vornehmen Kaste der Großkaufleute zu gehören. Er war denn auch wie ein Gentleman gekleidet und benahm sich wie ein solcher, und dann kam noch etwas hinzu, was einem Manne steht: ein selbstbewußtes Auftreten, erzeugt durch das Vertrauen auf seine Kraft und Kühnheit.

»Jeriko ist mein Name,« begann der Japaner ohne Umschweife, die kleinen, funkelnden Augen fest auf den jungen Hünen gerichtet.

»Sehr angenehm! Kapitän Flederwisch, Besitzer dieser Jacht. Womit kann ich Ihnen dienen? Bitte, wollen Sie Platz nehmen.«

»Ich ziehe vor, stehen zu bleiben.«

Oho!! Daher auch die so feindselig funkelnden Augen! Nun, dem Kapitän Flederwisch gefiel ein solch offenes Auftreten, da weiß man doch gleich, woran man ist. Er richtete seine hohe Gestalt noch etwas höher auf und drehte lächelnd seinen Schnurrbart.

»Sie scheinen mich ja in recht feindlicher Stimmung zu besuchen.«

»Nicht in feindlicher Stimmung, aber in kampfbereiter, und ich setze mich nicht eher, als bis wir einen gütlichen Frieden geschlossen haben!«

»So befänden wir beide uns bereits im Kriege?«

»Allerdings.«

»Nicht daß ich wüßte. Was wollen Sie eigentlich von mir, Mr. Jeriko?«

»An Bord Ihrer Jacht befindet sich ein Japaner Namens Keigo Kiyotaki.«

»Woher wissen Sie das?«

»Ich weiß es. Er ist an Deck gesehen worden.«

»Ja, das stimmt, er befindet sich bei mir. Nun, und?«

»Ich bitte Sie, mir diesen Mann auszuliefern.«

»Wozu?«

»Damit er bestraft wird.«

»Weswegen soll er denn bestraft werden? Sie wissen doch, daß er an Loftus Deacons Ermordung unschuldig ist, und der arme Kerl hat schon genug durchgemacht.«

»Sie wissen ganz genau, was ich meine, und wenn ich so offen spreche, ist es eines Mannes unwürdig, mich mit solchen Redensarten hinzuhalten.«

Kapitän Flederwisch zuckte etwas zusammen. Er hätte den Mann, der an Bord seines Schiffes so auftrat, gleich hinauswerfen können, aber er beherrschte sich.

»Gut, wenn Sie's wollen, können Sie auch gleich meine offene Meinung zu hören bekommen. Grob brauche ich deswegen nicht zu werden, obgleich Sie sich mir gegenüber nicht gerade sehr höflich benehmen. – Sie denken, ich liefere Ihnen diesen Keigo Kiyotaki aus, weil er in Japan irgend etwas begangen hat, was Sie für ein großes Verbrechen erachten? – Nein. Keigo Kiyotaki steht unter meinem Schutze. Genug!«

Jetzt versuchte der erst so stolz und herrisch auftretende Japaner doch etwas einzulenken.

»Herr Kapitän! Lassen Sie mich ein vergleichendes Beispiel heranziehen, damit Sie besser verstehen, um was es sich handelt. Ich nehme an, Sie sind Engländer. Sie haben hier in England das Grab eines Vaters, eines Bruders, oder das Grab eines Fürsten, den Sie hoch verehren. Da wird dieses Ihnen teure Grab von einer schändenden Hand erbrochen; sie entwendet daraus ein Heiligtum; diese Hand gehört einem Engländer, den Sie kennen, er flieht nach Japan, und Ihre heiligste Pflicht ist es, dieses Heiligtum wieder herbeizuschaffen und den Grabschänder zu bestrafen ...«

»Ist dies Ihre heilige Pflicht?« unterbrach den Sprecher der junge Kapitän etwas unwirsch, denn er wußte wohl, wo dieser hinaus wollte, und er konnte ihm nicht ganz Unrecht geben.

»Allerdings.«

»Es war auch die heiligste Pflicht des Sohnes, dem toten Vater das verlorene Katana wieder ins Grab zu legen.«

»Das geht mich nichts an. Nun weiter! Jener Engländer, den Sie verfolgen, hat sich in den Schutz eines Japaners begeben, der mächtig genug ist oder sich mächtig genug glaubt, den Mann wirklich zu schützen. Von seinem Verbrechen weiß er aber nichts. Der von Ihnen Verfolgte hat jenem durch irgend welche Vorspiegelungen das Wort abgelockt, ihn in Schutz gegen Sie zu nehmen. Da kommen Sie selbst, Sie erzählen dem Japaner, was für ein Verbrechen jener begangen hat, fordern seine Herausgabe. Ich bemerke gleich, daß Sie vergebens die Hilfe der japanischen Behörden anrufen würden ...«

»Das glaube ich auch.«

» ... so wenig es einen Zweck hätte, wollte ich mich hier wegen Auslieferung des Grabschänders an die englischen Behörden wenden. Deswegen will ich nicht an eine Ungerechtigkeit glauben. So etwas könnte diplomatische Verwicklungen nach sich ziehen, und diese müssen gerade jetzt vermieden werden. Ein ganzes Volk darf nicht für einen einzelnen büßen. Aber wenn Sie nun mit jenem Japaner gesprochen haben, so wird dieser Ihnen den Mann sofort ausliefern, darauf können Sie sich verlassen.«

»Weshalb?«

»Weil das japanische Gerechtigkeit ist.«

»Er würde ihn ausliefern, auch wenn er ihn vorher als Gast aufgenommen und ihm sein Wort gegeben hat, ihn gegen jeden Feind zu beschützen?«

»Ja, auch dann, das ist japanische Gerechtigkeit,« wiederholte Jeriko nochmals mit Stolz.

»So, das ist japanische Gerechtigkeit,« wiederholte auch Kapitän Flederwisch, aber in spöttischem Tone. »Nun, Mr. Jeriko, haben Sie schon einmal etwas von germanischer Gastfreundschaft gehört?«

»Germanische Gastfreundschaft? Nein, was ist das?«

»Sehen Sie, jetzt habe ich Sie gefangen!« konnte Flederwisch mit Recht triumphieren. »Aber wenn Sie nicht wissen, was Gastfreundschaft ist, dieses Wort noch gar nicht gehört haben, so würde ich vergeblich versuchen, Ihnen die Bedeutung dieses Begriffes klarzumachen. So wenig ich als Germane verstehe, wieso es japanische Gerechtigkeit sein soll, wenn man einen Verfolgten, dem man Schutz versprochen hat, seinem Feinde dennoch ausliefert, so wenig können Sie als Japaner verstehen, wie ein Germane, dem die Gastfreundschaft heilig ist, gerade das Gegenteil tut, nämlich den Verfolgten unter allen Umständen vor seinem Feinde schützt. Kurzum: ich habe Keigo Kiyotaki als meinen Gastfreund an Bord meines Schiffes genommen, und ich liefere ihn keiner Behörde aus, nicht Ihnen, keinem Menschen und keiner Macht der Erde!«

Der junge Kapitän hatte in einem Tone gesprochen, daß dem Japaner kein Zweifel übrigblieb, hier sei alles vergeblich. Das mochte er nicht erwartet haben, und wenn er auch äußerlich ruhig blieb, so sah man es doch seinen zornfunkelnden Augen an, wie enttäuscht er war, und seiner Stimmung gab er auch noch einmal durch Worte Ausdruck.

»Ja freilich,« sagte er im höhnischsten Tone, »Sie haben in diesem Falle einen guten Grund, mit Ihrer sogenannten germanischen Gastfreundschaft zu prahlen, denn Sie haben doch natürlich schon von dem Goto-Schatze gehört ...«

Eine drohende Bewegung, die nicht mißdeutet werden konnte, ließ ihn mitten im Worte verstummen. Des Kapitäns erhobene Hand wies nach der Türe.

»Hinaus!!«

Noch einmal versuchte der Japaner einzulenken.

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Haben Sie nicht verstanden, was ich sagte? Hinaus!!!«

Da wandte sich der Japaner sofort zum Gehen.

In der Tür aber blieb er noch einmal stehen und sagte, drohend die erhobene Faust schüttelnd:

»Ich gehe jetzt – aber ich komme wieder! Sie werden den gelben Drachen noch kennen lernen!!«

Dann war er verschwunden.

»Bravo, das haben Sie gut gemacht!« erklang es da, und hinter der Portiere, welche einen Nebenraum abschloß, trat Nobody hervor, aber nicht allein, sondern in Begleitung Keigo Kiyotakis.

Flederwisch hatte gar nicht gewußt, daß auch dieser seiner Unterredung heimlich beigewohnt hatte, Nobody mußte ihn schnell herbeigeholt haben. Doch jetzt beschäftigte den Kapitän ein anderer Gedanke.

»Womit drohte der Kerl da zuletzt noch?« fragte er verwundert. »Mit dem gelben Drachen? Meinte er damit vielleicht seine Schwiegermutter?«

Nobody lachte aus vollem Halse, dann gab er seine Erklärung, und der junge Japaner mußte ihm in allem beipflichten; er als Priesterzögling der alten Religion wußte darin sogar sehr gut Bescheid, aber Nobody war in diesen Verhältnissen nicht minder bewandert.

Die Japaner sind nicht reine Mongolen, sondern haben auch viel malaiisches Blut in ihren Adern, was man ihnen überhaupt sofort ansieht. Nun gibt es auf der Erde keinen glühenderen Rassenhaß, als zwischen Japanern und Chinesen, besonders die letzteren werden von den Japanern wegen ihrer Unreinlichkeit unsäglich verachtet. ›Rattenfressendes Schwein‹ ist noch der gelindeste Ausdruck, mit dem der Japaner seinen langzöpfigen Nachbar belegt. Aber dieser Rassenhaß schwindet sofort, wenn es sich darum handelt, die weißen Teufel, also die Europäer, aus dem Lande zu treiben, besonders auch die christlichen Missionare. Dann sind sich Chinesen und Japaner stets einig – d. h., die Japaner, welche mit der bestehenden Regierung unzufrieden sind, weil diese Neuerungen einführen will, die bisherige Abschließung Japans aufgegeben hat, christliche Missionare und überhaupt Europäer bei sich duldet usw.

Die Führer dieser Bewegung gehören zum Geheimbunde des gelben Drachen. Das Losungswort desselben ist: Japan den Japanern – – und dann freilich setzen sie noch hinzu: und ganz China, ganz Asien uns Japanern. Und dazu sind sie auch berechtigt. Denn man wird immer sehen, daß, sobald es einmal darauf ankommt, der Chinese sich dem Japaner freiwillig unterordnet, weil er dessen Ueberlegenheit anerkennt. So ist doch bekannt, daß sich jetzt im russisch-japanischen Kriege schon chinesische Regimenter bilden, um tätig in den Kampf einzugreifen, und an der Spitze dieser Regimenter stehen ausschließlich japanische Offiziere unter dem Prinzen Ma. Das kann aber doch weder mit Billigung der japanischen, noch der chinesischen Regierung geschehen. Das alles geht eben von der geheimen Gesellschaft des gelben Drachen aus, der so viele Prinzen, Offiziere und Großkaufleute angehören wie einfache Arbeiter. Auch der Aufstand der Boxer wurde vom gelben Drachen geleitet.

Ferner kommen die chinesischen Seeräuber in Betracht.

Bis zum Jahre 1850 zahlte die chinesische Regierung dieser wohlorganisierten Piratenbande alljährlich einen enormen Tribut, so ohnmächtig war sie ihr gegenüber. Dann, also im Jahre 1850, veranstaltete einmal eine englische Kriegsflotte eine Razzia gegen diese chinesischen Seeräuber und sprengte sie auseinander; für einige Zeit wenigstens hatte man Ruhe. Aber was half's? Sie sammelten sich wieder. Unterdessen ist China ein Land geworden, welches von den europäischen Mächten als Zankapfel betrachtet wird, und so wagt niemand mehr, sich in die chinesischen Verhältnisse zu mischen – und die Piraten treiben ihr Wesen nach wie vor.

Was diese chinesischen Piraten für eine Macht bilden, erhellt daraus, daß, als die Russen einige Hafenfestungen räumten, von dorther sofort der Hilfeschrei erscholl: helft uns, die chinesischen Riffpiraten kommen! Ohne Garnison sind wir verloren!!

Allerdings ist noch heute kein europäisches Segelschiff bei Windstille vor diesen Räubern sicher, deshalb sind sie auch alle stark armiert, in der Hauptsache aber richten die bezopften Piraten ihre Angriffe doch auf die Dschonken ihrer eigenen Landsleute, und zwar nicht nur deshalb, weil sie mit diesen leichteres Spiel haben.

»Die jetzige chinesische Regierung ist nicht fähig, die fremden Eindringlinge aus dem Lande zu jagen, sie muß gestürzt werden, und deshalb schädigen wir sie, soviel wir können, um sie zu stürzen.«

Die chinesischen Piraten führen also einen offenen Krieg gegen die chinesische Regierung, und geleitet werden sie vom gelben Drachen, daher auch ihre treffliche und straffe Organisation.

Der Hauptsitz der Piraten ist die große, von zahllosen Felseneilanden und Riffen umgebene Insel Formosa. Dort sind sie absolut unangreifbar. Formosa hat keinen einzigen Hafen, in den ein Kriegsschiff einlaufen könnte, sonst wäre es der Schlüssel von China, und zwischen den Riffen sind die Piraten erst recht gesichert. Kein anderes Fahrzeug kann ihren flachgehenden Dschonken folgen, stets wissen sie es zwischen die Klippen zu locken, in ein richtiges Labyrinth, aus dem es keinen Ausweg gibt. Die Verfolger finden in dieser trostlosen Felseneinöde nichts zu essen, das in Zisternen gesammelte Regenwasser wird von den Piraten regelmäßig vergiftet, und außerdem stehen diese notorischen Vaterlandshasser als Republikaner, von denen man eine bessere Zukunft erhofft, nicht allein unter dem speziellen Schütze aller Fischer und Bauern von Formosa, die ihnen jegliche Hilfe gewähren, sondern auch die Offiziere der chinesischen Kriegsschiffe gehören vielleicht selbst mit zum Geheimbund des gelben Drachen.

 

So hatte Nobody erklärt, und alles war von Keigo bestätigt worden.

»Das beste ist dabei,« setzte Nobody lachend hinzu, »daß uns dieser Mann mit dem gelben Drachen gedroht hat, gerade, da wir beabsichtigten, uns direkt in die Höhle dieses gelben Drachen zu begeben!«

»Wohin?« stutzte Keigo.

Nobody breitete auf dem Tisch eine Seekarte der chinesischen Gewässer aus und deutete auf einen bestimmten Punkt in der Nähe der Insel Formusa.

»Hier diese kleine Felseninsel ist unser nächstes Ziel.«

»Das ist der Sitz der Riffpiraten.«

»Ich weiß es, nichtsdestoweniger dampfen wir noch heute nacht dahin ab.«

»Was willst du dort?«

Nobody wandte sich wieder dem Japaner zu, der ihn mit großen Augen betrachtete.

»Solltest du in deiner Heimat, auch wenn du in einem einsamen Kloster erzogen worden bist, niemals von einem chinesischen Gaukler Namens Tsin Hei gehört haben, welcher vor zehn Jahren von dem Taotai von Hangtscheu eingekerkert wurde ...«

»Weil er den Seemuscheln echte Perlen abgewinnen konnte?« fiel der junge Japaner, dessen Augen immer starrer auf den Sprecher gerichtet waren, hastig ein.

»Du sagst es.«

»Tsin Hei starb nach acht Jahren im Kerker.«

»Ganz richtig, aber er hatte noch einen Mann bei sich, einen jungen Europäer.«

»Ich weiß es, und dieser entsprang einige Wochen später.«

»Der war ich.«

Das Staunen des Japaners war grenzenlos. Er wollte mehr erfahren.

»So konntet ihr wirklich Perlen machen?«

»Gott bewahre!« lachte Nobody. »Wenn ich das könnte, dann würde ich jetzt nicht nach China fahren!«

»Aber ihr liefertet doch ab und zu eine Perle von wunderbarer Größe und Schönheit ab.«

»Wir hatten eben noch welche bei uns, und das waren wirklich echte. Als wir festgenommen wurden und unser Schicksal voraussahen, ließ Tsin Hei noch schnell so viel wie möglich verschwinden, er verschluckte sie, versteckte sie im Mund oder in seinem Kropf oder Gott weiß wo – wozu ist man denn ein Gaukler, wenn man so etwas nicht kann – jedenfalls gab es kein Mittel, die Perlen bei ihm wieder zum Vorschein zu bringen, wenn er nicht wollte. Das war unsere Rettung, auf diese Weise hielten wir unsere perlengierigen Wächter immer hin, acht ganze Jahre lang, bis wir uns den Fluchtweg gebahnt hatten, den Tsin Hei freilich nicht mehr benutzen konnte. Der Sprung, den ich dann hoch oben vom Felsen noch ins Meer hinab zu machen hatte, wäre dem alten Manne wohl auch schwerlich gut bekommen.«

»Wo aber hattet ihr denn die vielen Perlen her, die ihr in der Provinz Hangtscheu verkauftet?«

»Eben von hier,« entgegnete Nobody, wieder auf den betreffenden Punkt der Seekarte neben der Insel Formosa deutend. »Es ist nicht wahr, daß die chinesischen Gewässer nicht ebenso gute Perlen hervorbringen könnten wie z. B. die indischen bei Ceylon. Allerdings mag es nur wenige Stellen geben, wo alle Bedingungen zum günstigen Gedeihen der Perlmuscheln vorhanden sind, aber auch bei Ceylon ist doch verhältnismäßig nur ein äußerst kleines Terrain vorhanden.

»Jener Tsin Hei hatte sich tatsächlich seit seiner frühesten Jugend mit der Zucht von Perlmuscheln beschäftigt, nicht aber mit fruchtlosen Experimenten, echte Perlen auf künstliche Weise herzustellen.

»Hier dieses kleine Felseneiland bei Formosa hielt er für den günstigsten Platz, indische Perlmuscheln auszusäen, weil hier die geeignete Ebbe und Flut und alle anderen Bedingungen zusammentrafen, unter denen die Perlmuscheln nur gedeihen und köstliche Ausbeute liefern können, und Tsin Hei, der ehemalige Hofgaukler, mußte diese Gegend am allerbesten kennen, denn der war von Haus aus selbst ein Riffpirat.

»Als er dann als Gaukler, ein alter Mann schon, am Hofe in Ungnade fiel und sich der Todesstrafe durch Flucht entzog, erinnerte er sich wieder der Perlmuscheln, die er in seiner Jugendzeit ausgesät hatte. Ohne von einem etwaigen Erfolge etwas zu wissen, machte er sich auf den Weg.

»Auch ich befand mich zu jener Zeit in dieser Gegend, aus keinem anderen Grunde, als um Abenteuer zu erleben. Eines Tages befreite ich einen alten Chinesen aus den Händen von Riffpiraten. Es war Tsin Hei. Er weihte mich in sein Geheimnis ein, nahm mich mit.

»Wir fanden die kleine Felseninsel. Wir sondierten, und die Ernte der einstigen Aussaat übertraf alle Erwartungen, Die wenigen ins Wasser gesetzten Muscheln hatten sich in etwa zwanzig Jahren ins Ungeheure vermehrt, bedeckten den Meeresgrund kilometerweit. Und ebenso günstig war die Ausbeute an Perlen. In einigen Muscheln fanden wir bis zu drei Dutzend, und in denen, welche nur einzelne bargen, manchmal Riesenexemplare.

»Schon am zweiten Tage wurde meine Taucherei beendet. Piraten hatten unsere Anwesenheit bemerkt und fahndeten auf uns. Wir entkamen ihnen mit knapper Not, aber doch auch so, daß sie nicht bemerkt hatten, was wir dort getrieben, dafür hatten wir gesorgt. Wir konnten mit unserer Beute zufrieden sein, wir nahmen einen ganzen Sack voll der prächtigsten Perlen mit. Außerdem hatte dies überhaupt nur ein Versuch sein sollen. Perlmuscheln können nicht mit Schleppnetzen und dergleichen Apparaten gefischt werden, sonst würde man das doch auch bei Ceylon tun, sie müssen getaucht und abgerissen werden, und wäre ich nicht wie ein Seehund im Wasser zu Hause, so hätte ich es nicht einmal den einen Tag ausgehalten, denn die Tiefe dort ist eine ganz beträchtliche, die letzten Male, wenn ich wieder an die Oberfläche kam, schoß mir schon das Blut aus der Nase.

»Also wir brachten den größten Teil unseres Schatzes in Sicherheit, verbargen ihn in einem Versteck, den kleinsten Teil machten wir zu barem Geld, um uns dann Taucherapparate zu kaufen, Waffen nicht zu vergessen, gleich ein mit Kanonen armiertes Boot, um uns der Piraten zu erwehren. Wir waren so unklug, die Perlen sofort in China zu verkaufen. Dabei wurden wir gefaßt. Das andere weißt du.«

Aufmerksam hatte der junge Japaner zugehört.

»Und nun willst du wieder nach jener Insel und Perlmuscheln fischen?«

»Gewiß. Der ganze Schatz muß heraus aus dem Meere. Gelegenheit, das auszuführen, was ich jetzt tun will, hätte ich allerdings schon seit zwei Jahren gehabt; denn, wie ich schon sagte, den größten Teil der Perlen hatten wir doch versteckt, und den holte ich mir zuerst und verkaufte ihn gegen eine enorme Summe, freilich nicht wieder in China. Ich hätte mir sofort ein Schiff wie dieses mit Kanonen, um allen Piraten Trotz zu bieten, kaufen können.«

»Warum tatest du es nicht schon vor zwei Jahren, wenn du aus dem Erlöse der Perlen das Geld dazu hattest?«

»Ja, mein lieber Freund,« lächelte Nobody, »sei du einmal wie ich, acht Jahre lang zwischen Kerkermauern eingesperrt, und ich bin nicht etwa ein asketischer Mönch, der Gefallen an so etwas hat. Als mir die Sonne wieder lachte, wollte ich mitlachen – ich stürzte mich ins Meer hinab und stürzte mich hinein ins lustige Leben – und hörte nicht eher wieder auf, als bis ich die letzte Dollarnote glücklich an den Mann gebracht hatte. Aber mir tut das nichts. In kurzer Zeit habe ich alles das wieder zusammengebracht, was ich brauche, um jenen Schatz vom chinesischen Meeresgrunde zu heben, und jetzt werde ich es tun.«

Das Gesicht des Japaners drückte die größte Besorgnis aus.

»Du wirst es nicht tun.«

»Weswegen nicht?«

»Ich habe dir gesagt, wer der Japaner war, der mich von euch zur Bestrafung forderte. Er heißt wirklich Jeriko, er scheut sich nicht, unter seinem wahren Namen im Auslande zu spionieren, welche Schiffe und mit was für Fracht nach China gehen, nämlich, um zu wissen, ob es sich lohnt, sie abzufangen – es ist Jeriko, der Seeräuber, einer der Hauptanführer des gelben Drachen!«

»Und du meinst, weil dieser Jeriko nun weiß, daß du bei uns an Bord bist, und weil er es nun auf die Wetterhexe abgesehen hat, wir werden uns scheuen, uns deshalb in das Gebiet zu begeben, in welchem dieser Seeräuber herrscht?! Da kennst du mich, da kennst du den Kapitän Flederwisch schlecht! Die Hauptsache ist für uns: wir brauchen Geld!«

»Nein, du brauchst kein Geld.«

»Oho!« lachte Nobody. »Weißt du das besser als ich? Und ich sage dir: wir brauchen sogar sehr viel Geld, denn ich und mein Freund hier, wir haben noch viel Pläne und Gründungen vor, mit denen wir die Welt überraschen wollen.«

»Aber dazu ist nicht nötig,« beharrte der Japaner, »daß du dich in solche Gefahren begibst, dir die Schätze aus dem chinesischen Meere holst.«

»Nicht? Weißt du einen anderen verborgenen Schatz, den man auf bequemere Weise heben kann, als erst auf den Grund des Meeres hinabzutauchen?«

Es hatte etwas Lauerndes in dieser Frage gelegen, wenn auch nicht äußerlich ausgedrückt. Kapitän Flederwisch, der bisher stillschweigend im Hintergründe zugehört hatte, ward plötzlich unruhig, und als der Japaner auf jene Frage Antwort geben wollte, trat der Kapitän hastig einen Schritt mit erhobener Hand gegen Keigo vor und stellte sich zwischen diesen und Nobody.

»Halt, Keigo Kiyotaki! Halten Sie ein, Mister Nobody!« rief er mit fast befehlender Stimme. »Jener Mann, Namens Jeriko, hat mich gehöhnt, wir hätten guten Grund, auf die uns heilige Sitte der germanischen Gastfreundschaft zu pochen, denn wir wüßten doch, daß unser Schützling im Besitze eines Geheimnisses sei, welches wir ihm natürlich ablocken wollten ...«

Allein der einstige Schmuggler-Kapitän, der hiermit seinen edlen Charakter bewies, wurde von Keigo unterbrochen.

»Dieser Mann hat mir das Leben gerettet, er hat mich dem Leben erhalten, mein Leben gehört ihm,« rief er schnell, dabei auf Nobody deutend. »So gehört auch das ihm, was ich besitze, und das ist der Goto-Schatz. Ich besitze das Rezept des Ambras! Das ist das Geheimnis der Goto-Familie, das ist der Goto-Schatz, ich bin sein letzter Hüter, und ich lege ihn nun in eure Hände!«

Der eine von den beiden, welche diese Worte vernahmen, war ein Seemann, der schon selbst Ambra gefischt und verkauft hatte, und auch der andere, Nobody, kannte die Bedeutung des Wortes ›Ambra‹.

Ambra ist eine feste, dem Bernstein ähnliche Substanz, welche man in kleinen, aber auch bis zu 100 Pfund schweren Stücken frei auf dem Meere umherschwimmend, findet, allerdings sehr selten, am häufigsten in der Nähe von Madagaskar, Surinam, Java und Japan.

Glücklich der Matrose, welcher zufällig ein Stückchen Ambra, sei es auch noch so klein, auf dem Meere treiben sieht und es auffischen kann. In jedem Hafen der Welt sind Ambrahändler, und diese bezahlen für die Unze Ambra – die allgemein übliche Rechnungsart für diesen kostbaren Stoff – 120 Mark. 16 Unzen sind ein Pfund, also kostet das Pfund Ambra rund 2000 Mark und hat demnach den doppelten Wert von gediegenem Golde – und die Zwischenhändler wollen doch natürlich auch daran verdienen.

Der Wert des Ambras kommt von seiner Seltenheit und von der starken Nachfrage. Dem ganzen Orient, wie China und Japan ist Ambra ein förmliches Lebensbedürfnis.

Ohne den Moschus, der hauptsächlich aus einer Drüse des asiatischen Moschustieres gewonnen wird, ist unsere heutige Parfümfabrikation nicht denkbar. Es gibt zahllose Menschen, welche den Moschusgeruch hassen, sich vor ihm ekeln – jedes andere Parfüm, nur nicht Moschus! – und sie wissen nicht, daß es kein Parfüm gibt, welches nicht Moschus enthält. Die Parfümfabrikation braucht ihn, um das andere Odeur, sei es nun Veilchen oder Reseda oder sonst etwas, erst ›zu binden‹, wie es in der Kunstsprache heißt.

Ebenso ist es mit dem Ambra in bezug auf das ganze Arzneiwesen des Orients, Chinas, Japans usw. Seit alter Zeit hat dort in der Medizin das Ambra immer die Hauptrolle gespielt. Jede Arznei muß Ambra enthalten, ferner gilt es als Lebensverjüngungselixier, es ist tatsächlich ein starkes Aphrodisiacum, das heißt, ein Liebeerweckungsmittel – und zwar im realistischen Sinne gemeint! – in den orientalischen Harems werden ungeheure Mengen von Ambra in Form von Konfitüren genascht, und dasselbe gilt für Frankreich und alle anderen Länder. Gewisse Sorten Schokolade, Pastillen, Tinkturen, die besseren Zahnpulver – alles, alles enthält Ambra, und da darf man wohl glauben, daß mit dem Ambra jährlich nicht nur Millionen umgesetzt, sondern Millionen daran verdient werden.

Was ist Ambra eigentlich? Bis vor kurzem gingen über seine Entstehung noch die abenteuerlichsten Fabeln ... Erst der neuesten Forschung ist es vorbehalten gewesen, das Rätsel des frei auf dem Meere schwimmenden Ambras zu lösen: es ist der krankhafte Auswurf eines Walfisches, des Potwals, es ist eine Art von Blasenstein, welcher nur dem Potwal eigentümlich ist. Der Potwal wird immer seltener, deshalb steigt auch der Wert des Ambras immer mehr. –

Dies alles wußten beide Männer. Nobody aber sah noch etwas weiter.

Wie nun, wenn jetzt jemand verstand, diese so überaus wertvolle Substanz auf künstlichem Wege darzustellen?

Das ist z. B. beim Moschus der Fall. Es ist noch gar nicht so lange her, daß ein deutscher Chemiker durch Zufall die Herstellung des Moschus in der Retorte entdeckte, es ist ganz der echte Moschus, sogar noch viel besser, weil viel reiner als der aus der Stinkdrüse des tibetanischen Moschustieres. Wenn der Moschus dadurch nur wenig im Preise gesunken ist, so kommt das nur daher, weil eine Aktiengesellschaft das Rezept gleich kaufte und dieses als Geheimnis bewahrt, aber das konnte nichts daran ändern, daß der ganze Moschushandel, der bisher ausschließlich in chinesischen Händen lag, dadurch vollkommen ruiniert war. In noch viel stärkerem Maße ist das mit dem Chinin der Fall. Früher wurde dieses fieberstillende, weiße Pulver mit Gold aufgewogen, jetzt kostet das Gramm nur ein paar Pfennige, alle Spekulanten in Chinarinde machten bankrott, die südamerikanischen Pflanzer konnten ihre kostbaren Bäume als Brennholz verwerten.

»Du weißt wirklich, wie man echtes Ambra auf künstlichem Wege herstellen kann?« fragte Nobody nochmals.

»In einer Stunde so viel du willst, in jeder Menge, und die Mittel dazu sind überall so gut wie umsonst zu haben. Dies ist das Rezept.«

Der Japaner sagte eine Formel mit Zahlen und Worten her, aber obgleich Nobody doch auch vollkommen Japanisch zu verstehen glaubte, so gut wie Englisch, und Keigo sich auch des Englischen zu bedienen schien, indem er die Zahlen englisch aussprach, waren es für Nobody doch gänzlich fremde Worte.

Bei solchen Rezepten gehört eben mehr dazu, als nur die Umgangssprache zu beherrschen, da kommen technische Ausdrücke in Betracht. Nur die Worte ›Kampfer‹ und ›Benzoe‹ hatte Nobody herausgehört.

Noch war der Japaner mit dem Herbeten der Formel nicht fertig, als es an die Tür klopfte.

»Herein!« rief Flederwisch.

Zwergnase trat ein, einen Brief in der Hand.

»Ein Brief für den Herrn Kapitän. Ein mir unbekannter Mann hat ihn mir gegeben, er wartet auf Antwort.«

Es war nicht das erstemal, daß der Kapitän einen Brief durch Boten erhielt.

»Wo ist der Mann?« fragte Flederwisch, während er nach dem Papiermesser griff.

»Er wartet auf dem Quai.«

Das Papiermesser schlitzte das Kuvert auf ... da, in den Händen des Kapitäns ein greller Feuerschein, begleitet von einer furchtbaren Detonation, Flederwisch lag plötzlich in zusammengekauerter Stellung unter dem Schreibtisch und Keigo platt am Boden, Nobody wurde gegen die Wand geschleudert, und Jochen Puttfarken stak im Papierkorb und reckte die krummen Beine zum Himmel empor. Er war auch der erste, welcher nach einigen Minuten Todesstille zuerst Worte fand.

»So'n Lumich, hat der eine Kanone in das Kuvert hineingesteckt und mir dadermit meinen ganzen Schnurrbart weggeschossen!« heulte er.

»Knallquecksilber!!« schrie dagegen Nobody und stürzte zur Tür hinaus, ihm nach Jochen Puttfarken, dieser aber in ganz krummer Stellung, denn sein respektables Hinterteil war noch immer in den engen Papierkorb geklemmt!

Schon nach einer Minute kehrte Nobody wieder zurück. Er hatte den Ueberbringer des Briefes natürlich nicht mehr vorgefunden, und eine Verfolgung wäre fruchtlos gewesen.

»Ist jemand verwundet, verbrannt?«

Flederwisch, obgleich in dessen Härchen doch der mit Knallquecksilber imprägnierte Brief explodierte, war vollkommen unverletzt, ein Wunder war es nur, wie der riesenhafte Mann in die enge Höhlung unter den Schreibtisch hineingepreßt worden war, er hatte Mühe, wieder herauszukommen, so gewaltig war der Luftdruck gewesen. Auch Nobody war gänzlich unverletzt, und dem Zwergnase war nur der Schnurrbart verbrannt – das heißt, so behauptete Puttfarken, der Kerl hatte überhaupt noch nie einen Schnurrbart gehabt.

Am schlimmsten war Keigo Kiyotaki davongekommen, er hatte im Gesicht bedeutende Brandwunden, glücklicherweise aber waren seine Augen verschont geblieben.

»Das war der gelbe Drache!!« stöhnte er, als man ihn aufrichtete.

Nobodys grimmiges Lachen antwortete ihm.

»Ja, das war der gelbe Drache, der dieses stinkende Feuer ausspie, und wir wollen ... weißt du, was das für eine Insel ist, wo jener Gaukler einst die Perlmuscheln aussäte? Das ist die heilige Insel des gelben Drachen. Vorwärts, Kapitän, Dampf auf!! Wir wollen diesen gelben Drachen in seiner eigenen Höhle besuchen und ihn ausräuchern, nun erst recht!!!«

 

Noch in derselben Nacht verließ die ›Wetterhexe‹ den Hafen von London. Sie dampfte dem Reiche des gelben Drachen zu.

Nobody aber hatte nur die hinterlistige Macht dieses einen Feindes kennen gelernt. Er wußte noch nicht, daß er unterdessen als jener Mann erkannt worden war, welcher vor zwei Jahren aus einem chinesischen Kerker ausgebrochen war, und dann hatte er jetzt auch ein Weib hinter sich, welches zu allem fähig war!


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