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(Ein dichter Wald. Im Hintergrunde zwischen den Bäumen versteckt sich eine Hütte, von Zweigen geflochten. Es blitzt und donnert.)
Cora (mit ihrem Kinde auf dem Arm, athemlos keuchend, das Haar flattert wild um ihren Nacken).
Ich kann nicht mehr! – die Natur ist schwächer als die Liebe – mein Herz will fort – aber ich kann nicht mehr! – Du schlummerst, Kleiner? Ach! dein Vater schläft! – Du wirst erwachen, mein Alonzo nie! – Warum bin ich Mutter? – Warum kettet dieses Kind mich an das Leben? – Ich bin so elend, daß ich nicht einmal sterben darf! – Wo bin ich? – wohin trieb mich die Angst? Blitze erleuchten den dunkeln Wald, aber kein Fußpfad zeigt sich mir. Der Donner rollt in den Gebirgen, er übertönt meine schwache Stimme! – Ich kann nicht weiter – meine Füße tragen mich nicht mehr. – (Sie sinkt unter einen Baum.) Holder Knabe! du lächelst sorglos. Zischt, ihr Blitze! – brüllt, ihr Donner! die Unschuld ist im Mutterarm entschlummert. – Hier will ich dir ein Bett von Moos und Blättern bereiten – mit meinem Schleier will ich dich bedecken, und dann an deiner Seite sterben! – (Sie hat dem Knaben neben sich ein Lager zubereitet, ihren Schleier abgerissen und ihn darein gewickelt.) So lieg' und schlumm're, und möchtest du nie erwachen, um in der entseelten Brust deiner armen Mutter vergebens Nahrung zu suchen. – Wie ist mir – meine Sinne umzieht ein Nebel – jedes Glied ohnmächtig – jede Muskel abgespannt – ist das der Tod? – (Sie lehnt ihr Haupt kraftlos an den Baum.)
Alonzos Stimme (in einer weiten Entfernung). Cora!
Cora (erschrickt). Was ist das?
Alonzos Stimme. Cora!
Cora. Es ist der Widerhall des Donners in den Gebirgen.
Alonzos Stimme. Cora!
Cora. Horch! die Geister rufen.
Alonzos Stimme. Cora!
Cora (sich aufraffend). Betrüge mich nicht, mein Herz! es ist Alonzos Stimme.
Alonzo (noch immer in der Tiefe des Waldes). Cora!
Cora (sich einige Schritte von ihrem Kinde entfernend). Alonzo! wo?
Alonzo. Cora!
Cora (noch einige Schritte der Stimme folgend). Es ist seine Stimme! Alonzo!
Alonzo. Cora!
Cora (immer weiter gehend). Alonzo! – ha! welche neue Kraft belebt mich!
Alonzo (ein wenig näher). Cora! wo bist du?
Cora. Hier! hier! (Sie verschwindet hinter den Bäumen.)
Man hört Coras und Alonzos Stimme noch eine Zeitlang in der Ferne wechselweise rufen. Sie nähern sich einander, und ein Ausruf des Entzückens, den man schwach vernimmt, läßt endlich errathen, daß sie sich gefunden haben.)
Zwei spanische Soldaten (betrunken).
Der Eine. Bruder, wo führst du mich hin?
Der Andere. Wohin du willst, Bruder.
Erster. Weißt du wohl, daß wir uns verirrt haben?
Anderer. Verlaß dich auf mich. Wenn wir die Sonne linker Hand lassen –
Erster. Ja die Sonne, siehst du sie denn?
Anderer. Begreifst du nicht, Dummkopf, daß wir sie nicht sehen können, weil ein Donnerwetter davor steht?
Erster. Also wenn wir den Blitz linker Hand lassen –
Anderer. Richtig. Wir sind nicht weit vom Lager, ich hörte die Feldposten Cora rufen.
Erster. Muß wohl das Feldgeschrei sein.
Anderer. Nun so komm fort. (Sie stolpern beide fort, und stoßen auf das Kind.)
Erster. He da! Bruder! was ist das?
Anderer (hebt den Schleier auf). Das? das ist ein Kind.
Erster. Wie kommt das Kind hieher?
Anderer. Laß uns das überlegen.
Erster. Ei was geht es uns an! laß es liegen, es ist ein Heidenkind.
Anderer. Es schläft so süß. Ich habe auch einen zu Hause, ist gerade so alt wie der. Was meinst du Bruder, ich will ihn mitnehmen.
Erster. So pack' ihn auf, aber laß mich ungeschoren, wenn er dir zu schwer wird.
Anderer (den Knaben in seine Arme fassend). Das kleine Ding ist federleicht.
Erster. Dort hinter dem Busche wird es heller.
Anderer. Geh' nur voran. (Sie entfernen sich.)
Coras Stimme (von der andern Seite). Hieher, Alonzo, hier ließ ich ihn.
Zweiter Soldat (hinter der Scene). Laß mir die Zweige nicht so ins Gesicht schlagen.
Coras Stimme (näher). Mein Herz führt mich nicht irre, wir sind gleich da.
Soldat (mehr in der Entfernung). Linker Hand hinab seh' ich das Lager schimmern.
Cora und Alonzo.
Cora. Hier ist der Platz, und unter jenem Baume (sie läuft auf den Baum zu, findet den ledigen Schleier, und sinkt mit einem Schrei ohnmächtig zu Boden).
Alonzo (ihr nachstürzend). Cora! was ist dir?
Cora (sich aufrichtend). Er ist fort.
Alonzo (erschüttert wie Cora). Ewiger Gott!
Cora (kreischend). Er ist fort.
Alonzo. Laß uns suchen.
Cora. Mein Sohn!
Alonzo. Wo lag er?
Cora (stürzt auf die Stelle). Hier.
Alonzo. Er wird erwacht und einige Schritte weiter gekrochen sein.
Cora (rafft sich auf, und sucht in den Gesträuchen umher). Nirgends! ach! nirgends.
Alonzo. Sei ruhig, er wird sich finden.
Cora. Fernando! Fernando!
Alonzo. Er kann nicht weit sein.
Cora (als sie vergebens umher gesucht). Ach! er ist fort!
Alonzo. Kennst du auch gewiß die Stelle wieder?
Cora. Lag nicht der Schleier hier? (In Verzweiflung) Ein wildes Thier hat ihn zerrissen.
Alonzo. Denke nicht das Aergste.
Cora. Ich denke nichts! ich sehe mein blutiges Kind.
Alonzo. Um Gotteswillen –
Cora. Es ist kein Gott!
Alonzo. Cora! welch' ein gräßliches Wort!
Cora. Was hab' ich gethan, daß er diesen Jammer über mich häuft!
Alonzo. Cora, theu're Gattin! komm in meine Arme!
Cora (den Blick gen Himmel). Mein Kind oder den Tod!
Alonzo. Sieh dort zwischen den Bäumen ist eine Hütte.
Cora. Ha! dort wohnt der Räuber meines Kindes! (Sie eilt auf die Hütte zu.)
Alonzo (ihr nach). Cora! hüte dich! wenn Spanier dort wohnen –
Cora. Und wenn es eine Herberge der bösen Geister wäre! Holla! holla!
Alonzo. Laß mich voran geh'n.
Cora. Holla! holla!
Las Casas. Die Vorigen.
Las Cas. Wer klopft?
Cora. Gib mir mein Kind zurück!
Las Cas. Junges Weib, was willst du?
Alonzo. Gott, was seh' ich! Las Casas!
Las Cas. Alonzo, ich seh' dich wieder! (Sie sinken sich in die Arme.)
Alonzo. Mein Lehrer!
Las Cas. Mein Freund!
Cora. Wo hast du mein Kind verborgen?
Las Cas. Was ist das?
Alonzo. Ach! in welchem Augenblicke finden wir uns wieder!
Cora. Guter Greis! du scheinst menschliches Gefühl zu besitzen; erbarme dich einer armen Mutter!
Las Cas. Ich verstehe dich nicht.
Cora (sich zu seinen Füßen windend). Ich will dir bis an meinen Tod als Magd dienen, mein Sohn soll dein Sklave sein.
Las Cas. Ist sie wahnsinnig?
Alonzo. Sie ist mein Weib, wir verloren unser Kind.
Las Cas. Wo?
Alonzo. Unter jenem Baume verließ sie es schlummernd.
Las Gas. Sie verließ es?
Cora (sich wild aufraffend). Du hast Recht, ich bin eine Rabenmutter! ich habe mein Kind verlassen! die Strafe der Götter folgt mir nach.
Las Cas. Ach! daß ich Trost für dich hätte!
Alonzo. Hilf mir diesen Jammer tragen.
Cora (sinnlos). Seht die bunte Schlange, wie sie sich um den Leib des Knaben windet – jetzt zischt der giftige Wurm – jetzt fährt der Stachel in sein Herz.
Alonzo. Geliebte Cora! besinne dich!
Cora. Da flattert der grausame Vogel Cuntur hoch in der Luft, schießt herab auf die Beute, umkrallt das wehrlose Huhn – dort lauert ein blutdürstiger Tiger – ein Sprung hinter dem Gesträuche hervor – jetzt rieselt das Blut – (Sie wirft sich zu Boden) Hilfe! Hilfe!
Alonzo (zu ihr kniend). Mein Weib! mein Sohn!
Las Cas. Bis in diese Einöde verfolgen mich die Bilder des Jammers!
Alonzo. Gib uns Trost. Las Casas! du mein Lehrer! mein Wohlthäter! verlaß uns nicht in dieser schrecklichen Stunde!
Las Cas. Ich bleibe bei dir. Doch wir sind dem Lager der Spanier sehr nahe. Flieh' zu den Deinigen, ich begleite dich.
Alonzo. Wie sollen wir das ohnmächtige Geschöpf fortbringen?
Las Cas. Versuche sie aufzurichten.
Alonzo. Komm, liebe Cora, laß uns gehen.
Cora. Gehen? wohin?
Alonzo. Zurück zu den Unsrigen.
Cora. Ich diese Stelle verlassen! diese Stelle, wo mein Kind starb?
Alonzo. Der Feind ist uns so nahe.
Cora. Grausamer! soll ich nicht einmal die Knochen meines Kindes sammeln?
Alonzo. Dein Vater und Bruder sind im Lager angekommen.
Cora. Ich habe weder Vater noch Bruder! ich hatte nur Ein Kind!
Alonzo. Wir wollen es suchen.
Cora (schnell aufspringend). Suchen! suchen! wo! wo!
Alonzo. Dieser Greis wird uns helfen!
Cora. Hilf uns, guter Greis! hilf uns suchen!
Las Cas. Gern, liebe Cora, sei nur ruhig.
Cora. Hast du auch Kinder?
Las Cas. Nein.
Cora. So verzeih' ich dir diese Zumuthung. Gib mir mein Kind wieder, und lerne dann die Ruhe einer Mutter kennen! (Sie stürzt ab.)
Las Cas. (ihr nacheilend).. Suche sie mehr rechter Hand zu leiten.
Alonzo. Du warst mir die Erscheinung eines Engels!
(Aeußerste Grenze des Lagers.)
Rolla wird gebunden von einigen Soldaten herbeigeschleppt.
Ein Soldat. Hieher, Götzendiener.
Rolla. Pizarro hat mich freigelassen.
Soldat. Davon wissen wir nichts. Bei uns kömmt kein Heide mit dem Leben davon, vielweniger mit der Freiheit. Fort, zum Zelte des Feldherrn!
Der and. Soldat. Still, Bruder! der Feldherr kommt.
Piz. (tritt auf). Was ist das? seh' ich recht? Rolla?
Rolla (höhnisch). Freilich zum Erstaunen.
Piz. Und gebunden?
Rolla. So fest, daß du ganz ruhig sein darfst.
Piz. Wer hat sich unterstanden, den Retter meines Lebens so zu mißhandeln?
Soldat. Dieser Mann bekennt, daß er Heerführer unter seinem Volke ist; er wollte durch die Vorposten schleichen.
Rolla (verächtlich). Schleichen?
Soldat. Wir hielten ihn an, und Almagro befahl ihn zu fesseln.
Piz. Du hörst, daß ich unschuldig bin. Man bind' ihn los! (Es geschieht.) Es demüthigt mich, einen Helden, wie Rolla, unbewaffnet zu sehen. (Ueberreicht ihm ein Schwert). Lerne die Spanier besser kennen. Sie wissen Feindes Edelmuth zu würdigen.
Rolla (das Schwert nehmend). Und die Peruaner wissen Beleidigungen zu vergessen. Ich verzeihe dir.
Piz. Nun vergib, wenn ich nicht ernstlich auf meine Leute zürnen kann, weil ich diesem Zufall das Glück verdanke, dich noch einmal zu sehen.
Rolla. Schon genug der glatten Worte. Laß mich gehen.
Piz. Nach deinem Gefallen. Doch gönne mir die süße Hoffnung, daß dieser Zufall uns vielleicht einander näher bringen wird. Rolla und Pizarro sind nicht geschaffen, um ewig Feinde zu bleiben.
Rolla. Ich verspreche dir Freundschaft – sobald das Meer zwischen uns liegt.
Piz. Wie, wenn ein gemeinschaftlicher Zweck uns verbände? Du wurdest vorher unwillig, als ich von meinen Hoffnungen auf den Thron von Quito sprach. Ich entsage ihnen. Unterwerft euch dem spanischen Zepter, huldigt dem christlichen Glauben, und Fried' ist zwischen mir und euch.
Rolla. Sehr großmüthig.
Piz. An Pizarros Freundschaft hängt der Schutz eines mächtigen Monarchen und dieser Pizarro bietet dir selbst die Hand.
Rolla. Rolla ist kein Verräther.
Piz. Du wendest auf ein Mal allen Jammer von deinem Vaterlande.
Rolla. Ich bin dem Vaterlande mein Leben, nicht meine Ehre schuldig.
Piz. Du raubst einem schwachen König einen Platz, der ihm nicht gebührt.
Rolla. Attaliba schwach? – Doch wäre es auch! Ein König, der sein Reich beglückt, ist stark durch die Liebe seines Volkes.
Piz. Rathe dir selbst.
Rolla. Mein Gewissen hat vorlängst entschieden.
Piz. Bedenke, daß verschmähte Freundschaft heftig, wie verschmähte Liebe wüthet.
Rolla. Ha! da hab' ich dich schon längst erwartet. Warum quälst du dich selbst? wirf die Larve ab.
Piz. (seinen Grimm verbeißend). Rolla, verkenne mich nicht.
Rolla. Darf ich gehen?
Piz. (nach einigem Kampfe). Geh'!
Rolla. Wird nichts mich aufhalten?
Piz. Wenn nicht die Reue dich zurückbringt.
Rolla. Dank den Göttern! Rolla hat noch nie etwas bereuet.
Die beiden Soldaten (mit dem Kinde).
Der eine Soldat. Herr, wir haben ein Kind gefunden.
Piz. Was soll mir das? packt euch fort!
D. Soldat. Nicht fern vom Lager im Gesträuche.
Piz. So werft es in den ersten besten Graben.
Rolla. Götter! es ist Alonzos Kind!
Piz. (stutzend). Was?
Rolla (zu den Soldaten.) Gebt her!
Piz. (dazwischen tretend). Nicht so rasch! – Alonzos Kind, sagst du? vortrefflich! willkommen, kleine Puppe! du sollst mir als Geißel bürgen für deines Vaters Thorheiten.
Rolla. Führt Pizarro Krieg mit kleinen Kindern?
Piz. Das verstehst du nicht. Ich habe mit Alonzo noch eine alte Schuld abzuthun. Ich könnte diesem Kinde einen Dolch in die Brust stoßen, und hätte bezahlt – aber nur bezahlt – und Alonzo bliebe mir nichts schuldig.
Rolla. Du hast Recht, ich verstehe dich nicht.
Piz. Denke dir den kleinen runden Kopf auf der Spitze einer Lanze, und den Helden Alonzo, wie er eben mit gezücktem Schwert in den Feind bricht; wie er gleich einem reißenden Strome sich fortwälzt, den nichts aufzuhalten vermag als – ein Kinderkopf. Hu! da steht er versteinert, und läßt das Schwert sinken, und schaut gräßlich nach dem blutigen Panier, von welchem noch die Tropfen an der Lanze herunter rieseln. Ha! ha! ha!
Rolla. Mann! du bist ein Mensch?
Piz. Wenn er dann nach Hause kömmt zu der harrenden Mutter, die den Schwanenarm um seinen Nacken schlingt, und mit ihrem seid'nen Haar die Blutstropfen ihm von der Achsel wischt – nicht so hastig, schöne Dirne! du meinst, es sei Feindes Blut? – Ha! ha! ha! nein, es ist das Blut deines Kindes!
Rolla. Sieh, wie der Knabe lächelt. Könntest du diese lächelnde Unschuld ermorden?
Piz. Könntest du einer Taube den Hals umdreh'n?
Rolla. Willst du Lösegeld? ich sende dir Silber, zehn Mal so viel als der Knabe wiegt.
Piz. Laß ihm eine Bildsäule davon gießen, und setze sie auf sein Grab.
Rolla. Pizarro, du verdankest nur dein Leben, schenke mir dafür das Leben des Kindes.
Piz. Willst du mich durch eine so geringe Forderung demüthigen?
Rolla. Sende das Kind zurück, ich bin dein Gefangener.
Piz. Du bist frei.
Rolla. Mensch! es ist nicht möglich, daß die Natur dich so ganz verwahrlost habe, es muß doch irgendwo in deinem Herzen noch ein menschliches Gefühl verborgen sein. Sieh mich zu deinen Füßen! mich, den Retter deines Lebens! mich, deinen Sklaven, wenn du mir das Kind auslieferst.
Piz. (ohne auf ihn zu achten). Das Kind bleibt hier.
Rolla. (wüthend). Pizarro! höre mich!
Piz. Ihr Spaniens Vasallen – oder dies Kind mein Gefangener.
Rolla. (aufspringend). Nun dann! (Er entreißt dem Soldaten das Kind, umklammert es mit dem linken Arm, und zieht mit seiner Rechten das Schwert.) Dies Kind ist mein! Ich erhielt dies Schwert nicht umsonst. Wer mir folgt, ist des Todes. (Eilt ab.)
Piz. Rasender! Tollkühner! – Eilt ihm nach. Bringt ihn, wo möglich, lebendig zurück.
(Die Soldaten eilen nach.)
Welcher Teufel beseelt diesen Menschen! Warum gab ich ihm ein Schwert! (Sieht hin.) Wie der Rasende sich vertheidigt – Er entfernt sich immer weiter – Bei Gott! er entkömmt ihnen. Fort, nach! man soll nicht weiter ihn schonen. Haut ihn nieder!
(Andere Soldaten eilen nach.)
Der Hügel verbirgt ihn meinem Auge – Gib nicht mir die Schuld deines Todes, Rasender! Gern hätt' ich dich erhalten; dir großmüthig meine Schuld abgetragen. (Man hört einige Schüsse fallen.)
– Fahre hin! Du warst eines edler'n Todes werth.– Nun?
Ein Soldat. Beruhige Dich, Herr, der Heide wird nicht weit laufen. Ich sah ihn stürzen. Die Kugel traf ihn, glaub' ich, in die rechte Seite.
Piz. Gern hätt' ich ihn lebendig wieder gehabt. Der Uebermüthige! hier im Lager mir Trotz zu bieten?
Soldat. Dein Befehl, ihn zu schonen, hat vier meiner Kameraden das Leben gekostet.
Ein anderer Soldat (tritt auf). Er hat sich durchgeschlagen, und die feindlichen Vorposten glücklich erreicht.
Piz. (mit dem Fuße stampfend). Verdammt!
Soldat. Aber dem Tode wird er nicht entlaufen, er war schwer verwundet.
Piz. Und doch durchgeschlagen!
Soldat. Herr, nie habe ich so kämpfen sehen. Uns're Ammenmährchen von mohrischen Rittern sind Spielwerk dagegen. Viere von uns fielen durch sein Schwert, die ihn lebendig sahen wollten. Ein Schuß stürzte ihn dann zu Boden, aber eben so schnell raffte er sich wieder auf, lehnte sich an einen Baum, legte das Kind neben sich, und hieb um sich wie der Engel mit dem Flammenschwert, bis wieder zwei von uns in's Gras gestreckt lagen, und drei and're nach ihren Feuerröhren griffen; da stürzte er wie ein Pfeil mit dem kreischenden Kinde davon, und wo er gestanden hatte, war die Erde blutig, und der Baum, an den er sich lehnte, und die Straße, die er lief, alles mit Blut bezeichnet. Die Wachen sandten ihm ihre Kugeln nach, aber er verschwand hinter dem Hügel.
Piz. Warum warft ihr euch nicht auf die Pferde?
Soldat. Sie grasen hinter dem Lager.
Piz. Ha! verdammter Heide! und doch kann ich ihm meine Bewunderung nicht versagen. Gebt mir tausend solche Männer, und ich erobere die Welt. (Er stürzt ab.)
(Ein freier Platz, der an das Lager der Peruaner stößt.)
Ataliba (mit verschränkten Armen, das Haupt auf die Brust gesenkt, tritt Gedankenvoll auf).
Der Feind hält sich ruhig – mein Heer schlummert – das Gewitter zog vorüber – kein Lüftchen säuselt in den Wipfeln der Bäume – rings umher tiefe Stille – überall Ruhe – nur hier nicht! (Auf sein Herz deutend.) Warum nur hier nicht! Soll ich es sein, den das Bild der Erschlagenen verfolgt? – Muß ich es sein, den das Röcheln der Sterbenden quält? – Zog ich nicht das Schwert für Gott und Vaterland? –
Cora (wahnsinnig auf die Bühne stürzend).
Wo führt ihr mich hin! – Wo ist das Grab meines Kindes! – (Den König erblickend.) Ha! du! Sohn der Sonne! Gib mir mein Kind zurück!
Atal. Cora! wo kommst du her?
Cora. Aus dem Grabe meines Sohnes – tief unter der Erde – da ist es kalt und feucht – Hu! mich friert! –
Atal. Welche Schreckensgestalt!
Alonzo und Las Casas (Cora nacheilend).
Alonzo. Unglückliche! wohin treibt dich dein Jammer!
Cora. Still, Alonzo, wir sind am Ziele. Hier steht der Sohn der Götter, die Sonne ist sein Vater, ihm kostet es nur ein Wort, und das Grab gibt seine Beute zurück. (Sie umklammert Atalibas Knie.) O mein König! sprich es aus, dies kräftige Wort! erbarme dich der mütterlichen Angst!
Atal. Götter! was ist das?
Alonzo. Sie verlor ihr Kind.
Atal. Arme Mutter! ich kann dir nicht helfen! ach! ich bin nur ein König!
Cora. Du kannst nicht? wer kann mir denn helfen? – wem haben die Götter unser Leben anvertraut? – warst du es nicht, der die Peruaner in die Schlacht führte? hat mein Alonzo nicht für dich gefochten? – Versagst du mir den einzigen Lohn seiner Thaten, das Leben eines Kindes, das einst auch für dich fechten sollte?
Atal. Zermalmt mich, ihr Götter, ich halte dem Schicksal still!
(aufspringend). Tirann! den mein angstvolles Winseln nicht rührt! ist deinem Ehrgeiz noch nicht Blut genug geflossen? Sieh! an jedem deiner Diamanten hängt ein Blutstropfen! Mußtest du auch noch Kinder von der Mutterbrust reißen, und den wilden Thieren vorschleudern? Ha! was kümmert mich dein Diadem! was kümmert eine Mutter der Thron von Quito! Herbei ihr Mütter, die der Sieg kinderlos machte! helft mir fluchen, daß unser Jammer zugleich mit dem Jauchzen dieses Barbaren gen Himmel steige! und wenn ihn dort der Schmerz nur Einer unglücklichen Mutter ewig quält, so ist er gestraft genug! (Sie sinkt erschöpft zu Boden.)
Alonzo (sie in seine Arme fassend, zu Ataliba), Verzeih' dem Wahnsinn einer Mutter.
Atal. (sich eine Thräne aus dem Auge wischend). Ach! der Thron hat keinen Ersatz für eine solche Thräne!
Cora (lächelnd). Alonzo, meine Brust schmerzt, reiche mir das Kind, daß es sauge. (Erschöpft.) Du bist grausam, Alonzo – du siehst, daß ich sterbe – und willst nicht, daß die Mutter sich noch ein Mal am Lächeln ihres Kindes ergötze.
Alonzo. Ach, diese Klage ist schrecklicher als ihre Wuth! wüthe, arme Mutter! du hast kein Kind mehr!
Cora (zurücksinkend). Arme Mutter! du hast kein Kind mehr!
Ein Peruaner. Rolla (gleich nachher).
Der Peruaner. Rolla kömmt!
Atal. und Alonzo. Rolla!
Rolla (wankt auf die Bühne, mit Todtenblässe bedeckt, in seiner Rechten das blutige Schwert, in seinem linken Arm das Kind).
Atal. Gott! was ist das! (Alle schaudern.)
Rolla (schwer verwundet, sinkt einige Mal in die Knie, ehe er sich der ohnmächtigen Cora nähern kann. Er ruft mit schwacher Stimme). Cora! – dein Kind! –
Cora (erwacht. Der Anblick ihres Kindes gibt ihr neue Kraft. Sie streckt die Arme darnach aus). Mein Kind! – mit Blut befleckt –
Rolla. Es ist mein Blut. (Er reicht ihr das Kind hin.)
Cora (schließt es in ihre Arme). Mein Kind! – Rolla! –
Rolla. Ich liebte dich – du thatest mir Unrecht – ich kann nicht mehr! – (Er sinkt nieder.)
Alonzo (sich auf ihn werfend). Rolla! du stirbst!
Rolla. Für Cora – (Er stirbt.)
Cora (schmerzhaft auf die Leiche herabblickend). O! wer hat geliebt wie dieser Mann! – Knabe! du bist theuer erkauft!
Alonzo. Las Casas! hilf mir an Gott glauben.
Las Casas. Seine Wege sind dunkel! Bete an und dulde.
(Der Vorhang fällt.)