Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Drittes Kapitel

Schwänke

Wenn ich in dem vorigen Kapitel unter andern wesentlichen Dingen mitanzuführen gedachte, daß ich im Hause des Rabbi freien Tisch hatte, so war diese Großmuth bloß auf die Wochentage beschränkt. An Sabbaten und Festtagen aß ich Billette.Billette essen ist ein jüdischer Idiotismus, entstanden aus der in vielen Judengemeinden noch üblichen Sitte, den unbemittelten Fremden, Durchreisenden und fahrenden Schülern (vielleicht die passendste Bezeichnung für die jungen Talmuds-Candidaten) ein Billet zu ertheilen, worauf der Name eines bemittelten Familienvaters geschrieben. Die Wenigsten weisen dergleichen Einquartierungszettel zurück, weil sie wegen ihrer Kargheit und Hartherzigkeit dann in üblen Ruf kommen würden. Einige finden sich, um der den Hauspersonen Zwang auflegenden Anwesenheit eines Fremden vorzubeugen, mit diesem mittelst eines kleinen Geldgeschenkes ab, das der Beschenkte in der Regel mit dem Billetten-Ausspender zu theilen pflegt, und hierauf sich ein anderes Eßbillet ausfolgen läßt. Weil die Zahl der unbemittelten Fremden nie genau bestimmt werden kann, so hängt es von der Willkühr des Billettenspenders ab, diesen oder jenen Familienvater, auf welchen er einen Zahn hat, durch fleißiges Besteuern dieser Art zu necken. Wenn einige Hausväter es vorziehen, die Zudringlichkeiten mittelst eines Geldgeschenkes von sich abzuhalten, geschieht dies aus dreierley Ursachen, denn erstlich quält den Wirth die Besorgnis ab, daß der Gast morgen in der Stadt ausposaune, wie viele und welche Speisen auf den Tisch gekommen; dann fragt sich: Wird der Fremde nicht durch Unreinlichkeit den Hausgenossen Ekel erregen? Müssen diese nicht im Gespräche sich vielfachen Zwang auferlegen? u. s. w. Die Austheilung derselben war von den Gemeindevorstehern einem Manne, Namens Benjamin Ofner, anvertraut worden, welchen die Neider seiner Verdienste der gering geachteten Klasse der Käse-Rabbi'sEine gar komische, aber nicht unpassende Bezeichnung für die Rabbi's minorum gentium, welche gemiethet werden, für plötzlich erkrankte Personen in den Synagogen, durch Herplärren einer Anzahl Psalme, deren Gesundheit vom lieben Gott zu erflehen, oder das Geschäft eines Leichenbeters (siehe Anmerk. 2 und 3 des ersten Kapitels) und dgl. kleinliche Aufträge mehr zu übernehmen. Diese müssen, ihrer geringen Einkünfte halber, sich die Woche hindurch meist mit kalter Kost begnügen. Der Käse, eine gewöhnliche Speise dieser Menschengattung, mag, meinem Vermuthen zufolge, zu jenem schmeichelhaften Prädikate Veranlassung gegeben haben. zugesellten.

Benjamin, welchem ich aus dem hier angeführten Grunde wöchentlich einen Besuch abzustatten unerläßlich fand, schien an mir Wohlgefallen zu finden. Anfänglich bekundete sich dies in seiner Sorgfalt, mir stets nur solche Häuser zuzuweisen, von denen es notorisch war, daß daselbst gut gegessen wurde. Eines Tages, als die andern Billetten-Empfänger befriedigt seine Stube verlassen hatten, und nur ich noch meines Zettels harrte, fragte mich Benjamin in einem an ihm ungewohnten freundlichen Tone: »Nathl!Abkürzung von Nathan. wärst du nicht abgeneigt, bei mir in Condition zu treten? Du schreibst eine schöne Hand, bist im DeutschenDieses Wort wird häufig gebraucht, um alle Lehrgegenstände zu bezeichnen, welche eine Erfindung der Christen, aber wegen des geselligen Verkehrs mit ihnen den Juden unentbehrlich geworden, und daher von der jüngern Generation mehr beachtet werden, insbesondere seit Kaiser Joseph II., der ihnen eine eigene wohleingerichtete Hauptschule in Prag bauen ließ, den Schul-Unterricht auch unter ihnen einführte. Seitdem bedeutet die Redensart: »Er ist im Deutschen wie im Jüdischen gleich sehr zu Hause«, einen in weltlichen wie in geistlichen Gegenständen wohlunterrichteten Mann. wie im Jüdischen bewandert, kannst daher meine beiden Jungen in diesen Kenntnissen unterrichten, und es wird dein Schade nicht seyn. Du weißt, wie in meinem Hause gelebt wird, du hast deine gute Kost, brauchst dich an Sabbaten nicht mehr an fremden Tischen herum zu lagern, und sollst auch etwas Taschengeld haben.«

Dieses Anerbieten dünkte mir viel zu anlockend, um es erst beschlafen zu müssen. Die keifende Sprinzel, von welcher ich längst schon los zu kommen wünschte, trat jetzt abschreckender als je vor mein geistiges Auge. Der Zwang im Hause des Rabbi war in der letzten Zeit mir gleichfalls fühlbarer geworden, und so trug ich nicht Bedenken, Benjamins Wünschen sogleich entgegen zu kommen. Bald jedoch erwies sich, daß ich bereits gewohnte Unannehmlichkeiten nur gegen andere bisher ungekannte vertauscht hatte. Die allenfalls schmackhaftere und nahrhaftere Kost in Benjamins Hause konnte mir weniger munden, sobald meine Blicke auf das stets schmuzige Tischtuch hingleiteten, oder ich bemerkte, wie der gute Benjamin, welcher zur Ehre des Sabbats dem für die Freitags-Abend-Mahlzeit bestimmten Karpfen selbst den Bauch aufschnitt, mit der Spitze jenes Messers in kleinen Zwischenpausen die unruhige Einwohnerschaft auf seinem Scheitel zur Ordnung und Eintracht verwies; oder wie die nur am Freitage ebenfalls zur Ehre des Sabbats ausnahmsweise mit dem Küchenwesen beschäftigte Hausfrau, welche an den übrigen Wochentagen ihrem Trödelkrame vorstand, mit ihren vor Krätze starrenden Fingern die Torte und die Sabbatbrode selbst zubereitete, knetete und buk.

Auch die monatlichen Gagenzahlungen bekundeten in den folgenden Monaten meines Brodherrn Begriffe von Pünktlichkeit im Worthalten weniger, als ehedem, und so trat auch von meiner Seite merkliche Lauheit in den Dienstpflichten ein, die durch Gleichgültigkeitsbeweise aller Art kräftig unterstützt wurde. Eines Abends hatte ich das Schauspiel besucht. Wallensteins Tod war gegeben worden, welche Tragödie ihrer ungewöhnlichen Länge wegen über die gewöhnlichen Theaterstunden hinausspielt. Es war nahe an Mitternacht, als ich, vom langen Stehen ermüdet, meinem Hause zuwankte. Wie sehr erschrak ich, als ich auf mein unermüdetes Pochen an das Hausthor, statt eines befriedigenden Erfolges, die Stimme meines Brodherrn erkannte, der in sein Nachthabit gehüllt mir aus dem Fenster zurief, daß mein spätes Nachhausekommen mit dem Nichteinlaß bestraft werde. Mein Stolz verwarf jedes Mittel, welches die Noth mir zuflüsterte, und ich beschloß, die Gewalt mit List zu bekämpfen. Ich spazierte ein Stündchen hindurch die schwach beleuchtete Straße auf und ab, stellte mich dann abermals unter das Fenster, welches nach dem Schlafgemache Benjamins ging, und rief aus allen Kräften: »Rabbi Benjamin, Rabbi Benjamin! Eilig! Geschwind! Der reiche Meier ist gefährlich erkrankt, und seine Leute verlangen nach Euch, daß ihr für ihn in der AltneuschuleWenn ich nicht irre, gedenkt dieses merkwürdigen Gebäudes schon Seume in seiner »Reise nach Syrakus«. Nach dem jüdischen Volksglauben soll dieses Gotteshaus von den nach Böhmen eingewanderten Juden, welche der Tradition zufolge die ältesten Einwohner dieses Landes, schon als erbaut vorgefunden worden seyn. Allenfalls läßt die Bauart auf ein hohes Alterthum schließen, und wenn auch sehr zu zweifeln, daß, wie einige Fromme behaupten wollen, gleich nach der Zerstörung des Tempels zu Jerusalem die Engel sich an den Bau der Altneuschule gemacht, so kann es doch nimmermehr geleugnet werden, daß die gothische Form ihrer Bauart sie unter die allerältesten Stylproben jener Gattung classifiziren läßt. Ihren Namen führt diese Synagoge zum Unterschiede von der viel jüngern außerhalb des Judenbezirks im 15. Jahrhunderte von damals in Prag ansäßigen fränkischen Juden erbauten Altschule; denn daß die Altneuschule vor mehrern Jahrhunderten schon renovirt worden sey, bezeugt das Dach des Gebäudes, welches von dem altgothischen Styl des übrigen Theils der Synagoge sich sehr unterscheidet. Das Gebäude ist mehr in die Tiefe hinein gebaut und guckt nur verstohlen aus der Ecke hervor, so daß man beim Eintritte, nachdem man allenfalls eine kleine Treppe hinabgestiegen ist, doch immer noch über die außerordentlich hohe Decke des Hauses in Verwunderung geräth. Weil mehrmalige Versuche, an den Wänden kleine Reparaturen vorzunehmen, den Arbeitern das Leben kosteten, und in den ersten Jahren des gegenwärtigen Säkuli ein zu diesem Unternehmen sich meldender Wagehals, vom Schwindel ergriffen, beim ersten Anlegen des Werkzeuges von der Leiter herab, todt zur Erde fiel, so findet sich Niemand mehr, der ein solches Wagniß unternehmen möchte. Die Mauern werden als ein Heiligthum verehrt, die kein Werkzeug berühren darf, daher die vom Alter schwarz gefärbten Wände, an welchen die eingemeißelten unzähligen Bibelstellen aus dem hier angeführten Grunde von keinem Auge aus der Entfernung mehr bemerkt werden können. Vielleicht wird das Ueberfärben und Tünchen dieser heiligen Buchstaben von dem Volke für sträflich gehalten, denn gälte das Vorurtheil der Unantastbarkeit von dem ganzen Gebäude, woher sodann der einer spätern Baumanier angehörige Dachstuhl, der von den gothischen schmalen Fensterchen, geschnörkelten Portalen u. s. w. ganz absticht? Einen noch mehr überraschenden Eindruck bringt auf den Fremden der innere Theil des Hauses an einem Freitags- oder Festabend hervor, wenn die vielen hundert Kerzlichter in der schwarzen Halle wie Sternchen an der braunen Himmelsdecke flimmern. Diese Flämmchen bilden durch die seltsame altväterische Form der messingenen Hängelampen veranlaßt, (die aus dem unabsehbaren Dunkel herabzuschweben und ihre Lichtstrahlen erst unten auszugießen scheinen,) wegen der Zirkelform der vielen vom Stamme ausgehenden vier Arme oder Zweige bildenden Leuchter, unzählige kleine Feuerkreise.

Unter dem Dachstuhle bewahrt man noch mehrere Reliquien aus dem Hausrathe ausgezeichneter Rabbiner einer frühern Zeit; worunter auch der Golam, (dieses Wort bedeutet nicht nur im Hebräischen, sondern auch in der persischen Sprache einen Diener) des Rabbi Liwa, vom Volke der hohe Rabbi Löw genannt. Dieser Fromme, ein Zeitgenosse Kaiser Rudolphs II. hatte als einer der nahmhaftesten Cabbalisten jenes Jahrhunderts den wie der Alchymie, auch andern geheimen Künsten sehr befreundeten Monarchen bald auf sich aufmerksam gemacht; und es ist factisch, daß Rudolph einmal während seines langen Aufenthaltes in Prag dem Rabbi in dessen bescheidener Wohnung, über deren Thüre noch jetzt ein in die Mauer eingemeißelter Löwe sichtbar ist, die Gegenvisite gemacht, wovon man sich erzählt, daß der Rabbi zu Ehren seines Gastes aus der Wand die kostbarsten Weine habe hervorquillen lassen. Der obenerwähnte Golam war ein Automat aus Lehm, welches sich der Rabbi selbst gebildet hatte, und in dessen Mund an jedem Abende ein anderer Talisman (Sem genannt) hinein practizirt wurde. Eines Freitags hatte der Cabbalist wie gewöhnlich sich zum Abendgebete in die Altneuschule verfügt, und die eingetretene Dämmerung bekundete den bereits eingefallenen Sabbat. Bei den Juden wird bekanntlich der Abend zum folgenden Tage gerechnet. Der Golam, welcher noch den Freitags-Sem im Munde hatte, glaubte sich durch die Vergeßlichkeit seines Herrn aller Subordination gegen den Meister enthoben, und begann furchtbaren Spuk zu treiben. Das ganze Gebäude wankte, und unfehlbar hätte das Ungethüm den Untergang der Stadt herbeigeführt, wäre der Cabbalist nicht allsogleich auf ein schlaues Aushülfsmittel verfallen. Man hatte den 92. Psalm in der Synagoge angestimmt gehabt, womit der Eingang des Sabbat bezeichnet wird, als der Golam eben der Autorität jenes Psalms vertrauend, die Zeit seiner Befreiung aus dem beschwerlichen Herrendienste herangerückt wähnte, und sein tolles Spiel begann. Da rief der Rabbi, welcher die Ursache von dem widerspenstigen Betragen seines sonst folgsamen Dieners schnell errieth, den im Gebete begriffenen Männern, die der Golam sehr erschreckt hatte, ein gebieterisches: »Haltet ein!« zu, denn mit der gebotenen Pause hielt er auf künstliche Weise den anrückenden Sabbat auf, welcher nur nach beendeten Abbeten des Psalms als eingetroffen erklärt werden konnte. Schnell begab er sich in die Wohnung zurück, holte den Sabbat-Sem, tauschte ihn gegen den vom Freitage aus, und augenblicklich erkannte der Golam die Uebermacht seines Meisters an, that wieder vernünftig und die Stadt war gerettet. Zum Andenken an jenes Ereigniß wird noch jetzt in der Altneuschule an Freitagsabenden der 92. Psalm doppelt abgesagt, und zwar durch Einschaltung einer viertelstündigen Pause, welche an die Zwischenzeit erinnern soll, deren der Rabbi bedurfte, seine Vergeßlichkeit gut zu machen. Man erzählt sich noch andere Sagen von jenem Cabbalisten, von welchen ich nur die bedeutendsten hier anzuführen mir erlaube.

Als einst eine Kinderseuche in der Prager Judenschaft arg wüthete, und der Rabbi die Ursache des göttlichen Zorns gern ermitteln wollte, gebot er dem Synagogendiener gegen Mitternacht sich nach dem der Altneuschule benachbarten Leichenfelde zu verfügen, wo er gewiß die jüngst gestorbenen Kinder bemerken werde, wie sie ihrer Gräbern entsteigend, die Todtenkleider von sich werfend, einen Ringeltanz beginnen würden. Eines dieser Todtenhemden sollte er wegstehlen und dem Rabbi überbringen. Der Bote that wie ihm geheißen, bemerkte Alles, worauf er von dem Cabbalisten vorbereitet worden, und überbrachte eines der Todtenhemdchen. Der kleine Eigenthümer desselben errieth, als er wieder in die Gruft steigen wollte, und es vermißte, sogleich dessen neuen Besitzer. Das gespenstische Kind rannte blitzschnell nach der Wohnung des Cabbalisten, der schon aus seinem Fenster schauend, den kleinen Schreier erwartet hatte, und rief hinauf: »Rabbi! gieb mir meine Thachrichim wieder.« – Der Rabbi aber erwiederte lächelnd: »Diese bekommst Du eher nicht, als bis ich erfahren, weshalb wir mit der Seuche heimgesucht werden?« Nun ergab es sich, daß der Scandal, welchen in der Belelesgasse zwei Ehemänner mit ihren Weibern trieben, indem sie jede Nacht ihre Lagergenossinnen austauschten, den Zorn des Himmels über die Prager Judenschaft gebracht hatte. Der Rabbi folgte dem kleinen Vielwisser das Seinige wieder aus, schickte jedoch sogleich in die bezeichneten Häuser, wo die beiden Liebespaare auf frischer That ertappt, und der verdienten Strafe überliefert wurden. Alsbald hörte die Pest auf, und zur Erinnerung an die beiden Sünderinnen, von denen die eine Bella, die Andere Ella hieß, ward die Gasse in der Folge nach Beiden genannt. Andere wollen den Namen jener Gasse, der sich bis jetzt erhalten hat, von dem hebräischen Worte: Beleila, was in der Uebersetzung: In der Nacht, lat, sub noctis tempore lauten wurde, deriviren.

Während des Rabbinats jenes Cabbalisten in Prag hatte noch eine, und zwar bedeutendere Seuche, die jedes Alter ergriff, die Stadt heimgesucht. Rabbi Liwa entschloß sich mit einigen Gewählten auf das Leichenfeld zu gehen, und daselbst für die Erhaltung der Lebenden Gebete zum Himmel zu schicken. Weil er jedoch die schädliche Ausdünstung so vieler in kurzer Zeit dort aufgehäuften Leichen, als seiner und der Begleiter Gesundheit nachtheilig, befürchtete, nahm er den Weg nach einem noch unbenutzten Theile des (ebenfalls von Seume gedachten) Leichenackers, und zwar durch ein Hinterpförtchen in der Nähe der Pinkas-Synagoge. Als er einzutreten im Begriffe war, trat ihm ein finstrer Mann mit einem überaus langen Zettel entgegen, welchen Rabbi Liwa sogleich für den Tod erkannte. Mit kühner Entschlossenheit riß er dem Fremden das Papier aus der Hand, und las zu seinem nicht geringere Schrecken seinen und seiner Begleiter Namen als proscribirte, dem Grabe verfallene Personen, welche noch an demselben Tage als Opfer dem Unersättlichen fallen sollten. Der Tod lachte und sprach: Diesmal Rabbi warst du der Klügere. Hättest du das Papier mir nicht entrissen, wärest du und diese Männer hier noch heute meine Speise geworden. In der That verstand es der Cabbalist durch seine geheimen Künste den Tod, so oft er ihm nahe treten wollte, in die gebührenden Gränzen zurückzuweisen; und der Rabbi wäre vielleicht noch jetzt am Leben, hätte Meister Tod nicht zur List seine Zuflucht genommen und sich in eine Rose verwandelt, welche unklugerweise die Frau oder Tochter des Cabbalisten (welche von beiden es war, ist ungewiß geblieben) dem Rabbi an einem Freitagsabend zum Präsente gereicht. Als der Greis daran gerochen, starb er alsogleich, und so hatte ihn der Tod dennoch bei der Nase erwischt. Bemerkenswert bleibt es, daß die Juden, weil der mosaischen Erzählung zufolge durch Eva der Tod in die Welt gekommen, dem Menschenwürger bei seinem Geschäfte meist die Weiber als Vermittlerinnen und Helferinnen gebrauchen lassen. Dies ergiebt sich schon aus dem Verbote, bei Leichenzügen Personen des andern Geschlechtes anwesend seyn zu lassen; und ich habe es oft beobachtet, wie bei feierlichen Leichenbegängnissen den aus ihren Fenstern auf das Volksgewühl herabgaffenden Weibern und Mädchen durch Zeloten mit drohender Miene schnell von den Fenstern zu weichen geboten wurde, und zwar, weil man besorgte, daß die Gegenwart einer Evenstochter den Tod herbeilocken könnte, welcher sich unfehlbar unter den Begleitern der Leiche einige frische Opfer aussuchen würde. Daher ist es unter den Juden nicht Sitte, daß der weibliche Theil der Leidtragenden sich den Begleitern derselben anschließen; jedoch ist es den Frauen gestattet, an den Jahrestagen das Grab eines geliebten Verwandten zu besuchen, und für dessen Ruhe zu beten.

Thilim (Psalma) sagen möchtet.« Hierauf postirte ich mich rasch hinter die Hausthüre, welche, wie ich wohl vermuthet hatte, von dem geitzigen Benjamin, der keinen Verdienst gern aus seinen Händen ließ, um durch kein unnöthiges Geräusch die schlafenden Nachbarn zu wecken, langsam aufgesperrt wurde, und mir demnach Zeit genug einräumte, um in das Haus zu schlüpfen, bevor die Riegel wieder in das Schloß einklappten. Benjamin hatte, weil er das Bethaus geschlossen fand, sich nur zu bald überzeugt, daß ihm von mir ein Schwank gespielt worden sey.

Wutherfüllt stürzte er seiner Wohnung zu, und als er das Hausthor aufzusperren beflissen, mühte er sich nur vergeblich ab, denn ich hatte von innen einen Span durch das Schlüsselloch gezogen. Benjamin legte sich demnach aufs Pochen, worauf ich seine Stelle am Fenster einnehmend, ihm gleichfalls zurief: »Nachtschwärmer werden für ihr spätes Nachhausekommen mit dem Nichteinlaß bestraft.«

Mein Brodherr hatte große Lust, weil ich in der That ein Stündchen hindurch sein Wüthen in der kalten Nachtluft hatte abkühlen lassen, bevor ich die Thüre wieder aufsperrbar machte, mich kommenden Tages in optima forma aus dem Hause zu jagen; allein er besorgte nicht ohne Grund, daß ich sodann die Ursache unseres Zwistes bekannt machen, und er ein Spott der Nachbarn werden könnte. Doch, vermag der Sterbliche die Beschlüsse des Schicksals zu vereiteln? Das unbegreifliche und unerbittliche Fatum hatte es über mich verhängt, daß ich durch einen neuen Schwank, meinem Brodherrn gespielt, meines Dienstes verlustig werden sollte, und so hieß es nun: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Benjamin pflegte eine Woche vor Eintritt des Passahfestes eine seinem Wirkungskreise angemessene Beschäftigung vorzunehmen, die so viel abwarf, daß sie nicht nur die bedeutenden Kosten einbrachte, welche das Passahfest seiner achttägigen Dauer halber verursacht, sondern noch einen reichlichen Gewinn herbeiführte. Diese Arbeit wird, weil die des Jahres über gebrauchten metallenen Speisegeräthe und Küchengeschirre, um an jenem Feste benutzt werden zu dürfen, über Kohlenfeuer gehalten und ausgeglühet werden müssen, (von Koscher oder Kascher, reinigen), das Kaschern im verdorbenen Judendeutsch genannt. Zu diesem Behufe hatte Benjamin an seinen Fensterladen einen Zettel folgenden Inhalts angeheftet: »Allhier wird gekaschert zu den billigsten Preisen bei Rabbi Benjamin Ofner.« In der nächstfolgenden Nacht benutzte ich die tiefe Dunkelheit, welche der mit Wolken ganz umflorte Himmel verbreitet hatte, um den Zettel von den Fensterladen behutsam abzulösen. Nach verrichteter Sache eilte ich mit meinem Spolium über den Dreibrunnenplatz bis zu der seit Kaiser Joseph II. cassirten Niclaskirche (mit welcher ehedem ein von den Jesuiten bewohntes Kloster verbunden gewesen, die gegenwärtig aber theilweise als Heumagazin für die garnisonirenden Kürassiere, theilweise zu einem Gesellschafts-Theater verwendet wird). An der Mauer dieses einstigen Andachtsortes, welcher den Judenbezirk von der Altstadt abtheilt, ist ein Bordell: »Zur weißen Rose« genannt, angebaut worden. An die zur Nacht geschlossenen Fensterladen heftete ich die von ihrem früheren Orte abgelöste Kascherungs-Anzeige. Die keuschen Bewohnerinnen jenes der Göttin Cypria geweihten Tempels bedürfen ihrer nächtlichen Anstrengungen halber mehr als andere Sterbliche des erquickenden Morgenschlummers, und so blieben die Fensterladen noch lange geschlossen, zum nicht geringen Ergötzen der Vorübergehenden, welche, meist Juden, über die nun doppelsinnig gewordene Anzeige, die sie wohl errathen konnten, in ein nicht zu stillendes Gelächter ausbrachen. Der andere Theil des Gassenpublikums ließ sich von den Kundigen die Bedeutung jenes Spaßes erklären, und so wuchs der gaffende und lachende Pöbelhaufe zusehends wie ein Schneeball an, so daß, von dem Gesumme der Menschenmenge aus dem süßen Morgenschlummer geweckt, die holden Schläferinnen neugierig aus der Hausthüre traten, und, die seltene Bescherung ebenfalls gewahrend, wüthend nach dem Zettel griffen, dessen Vernichtung sie kaum beschließend, auch schon ausgeführt hatten. Ich, der ungekannte Urheber jenes Schwankes, war lange ein stiller Zeuge desselben gewesen, bis ich es jedoch für zeitgemäß erachtete, mich aus der Menge wegzustehlen, denn es war zu erwarten, daß mein Brodherr von dem auf seine Kosten ausgeführten Hauptspaße bald unterrichtet werden, und sich in eigener Person nach diesem Platze verfügen könnte, wo er, wäre ich noch daselbst anwesend gefunden worden, unbedenklich eine empfindliche Selbstrache sich erlaubt haben dürfte. Ich hielt es nicht räthlich, seine Schwelle wieder zu betreten, und hielt mich mehrere Wochen bei einem mir befreundeten jungen Wundarzte in der von Juden zahlreich bewohnten Vorstadt Smichow verborgen.


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