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Dreizehntes Kapitel

Der alte Graf Hersberg ging unruhig in seinem Hotelzimmer auf und ab. Mit modernen, weißlackierten Möbeln, weißen Biedermeiervorhängen und einem Jagdstück in weißem Rahmen war es ein sehr sauberes, elegantes und helles, aber ungemütlich kühles Gemach. Das einzig Weiche, Behagliche darin war eine dunkelblau bezogene Chaiselongue, die Graf Stefan für den leidenden Vater mit Mühe nur vom Wirt erkämpft hatte. Was in den letzten Tagen Schlag auf Schlag über ihn und seinen Vater hereingebrochen war, hatte dessen Widerstandskraft gebrochen. Der Tod seines ältesten Sohnes, die persönliche Vernehmung durch den Untersuchungsrichter über seine Familienverhältnisse, vor allem der immer schwerer auf Stefan lastende Verdacht hatten seinen Stolz und sein Vatergefühl in gleicher Weise verletzt.

Er wartete jetzt in brennender Unruhe darauf, daß der Sohn von einer neuen Vernehmung, zu der er geladen worden war, heimkehrte. Wenn er überhaupt wiederkam! Ein ganzer Stoß von Morgenzeitungen lag auf einem kleinen Tische neben der Chaiselongue, unordentlich, ungefaltet hingeworfen. Alle waren voll von dem Verdacht gegen seinen Sohn, ein paar von den radikalsten Blättern forderten direkt seine Verhaftung, mahnten das Gericht, nicht vor dem Grafentitel Halt zu machen.

Längst war das Versprechen vergessen, das er dem Sohne gegeben hatte, sich zu schonen, ruhig liegen zu bleiben, bis die Vernehmung vorüber. Die warme Reisedecke, die Stefan vor seinem Fortgehen sorgsam über ihn gebreitet hatte, war sehr bald von ihm beiseite geworfen, und nun bewegte sich seine hohe, dunkle Gestalt rastlos hin und her, hin und her zwischen den weißen Möbeln des hellen Zimmers.

Aber neben Angst und Sorge waren es gute, nützliche Gefühle, die kraftvoll in ihm arbeiteten in dieser einsamen Stunde bangen Wartens. Er hielt ein strenges Gericht ab über sich selbst. Seinem ältesten Sohne war Unrecht von ihm geschehen in Leidenschaft und Heftigkeit, und er war nahe daran gewesen, ein gleiches Unrecht an Stefan zu begehen. Wenn es anders gekommen war, sein eigenes Verdienst war es nicht gewesen. Aber die Genugtuung über glücklich Verhütetes, der Schmerz über den schrecklichen Tod seines ältesten Sohnes, das mächtig in ihm erwachte Vatergefühl in der Nähe von Stefans liebenswürdiger Persönlichkeit, gepaart mit schwerer Angst um sein Geschick, – das alles hatte die Liebe zu diesem Sohne zu warmer, leuchtender Flamme werden lassen.

»Beschütze meinen Jungen, Gott!« murmelte der alte Mann mit bleichen, zuckenden Lippen, »beschütze meinen guten, lieben Stefan!«

Endlich öffnete sich die Tür, und in ihrem Rahmen erschien der junge Graf. Rasch wandte sein Vater sich um und ging auf ihn zu mit ausgestreckten Händen. »Du bist es, mein Junge, – wie schön, daß du wieder da bist.«

Der Sohn lachte leicht auf. Aber es war nicht ganz das gewohnte weiche Lachen, ein wenig von ihm fremder Bitterkeit wohnte darin. »Ja, sie haben mich wahrhaftig noch einmal wieder laufen lassen müssen. Sehr gegen ihren Willen allerdings. Die Kerle haben sich die menschenmöglichste Mühe gegeben, mir einen Strick zu drehen, womit sie mich zur Erbauung aller moralischen Gemüter an einen weithin sichtbaren Galgen hängen wollten. Aber die Sache gelang vorbei, – der Strick riß durch, ehe sie mich hinaufziehen konnten.«

»Komm, komm, erzähle!«

»Nur, wenn du dich ruhig wieder hinlegst, Vater. Du bist ein ungehorsames Kind gewesen.«

»Wer kann denn liegen bei solcher Aufregung? Aber nun du wieder da bist, – sieh her, setzen will ich mich wenigstens.«

Er setzte sich wirklich auf die Chaiselongue, wehrte dem Sohn jedoch, als er ihm die Decke sorgsam wieder überbreiten wollte. »Nein, nein, laß mich, das engt mich zu sehr ein. Und nun sprich, erzähle.«

»Man muß ja gerecht sein,« sagte Stefan mit langsam wiederkehrendem heiterem Gleichmut, »irgend ein kleiner Teufel hat wirklich seine Hand im Spiel bei dieser Geschichte. Wenn sie nur nicht so gräßlich geschmacklos wäre. Mich, – ausgesucht mich als Brudermörder zu frisieren, das geht wahrhaftig über den Spaß.«

»Ach, unerhört ist es, unerhört infam!«

»Nein, Vater, der kleine Teufel zieht auch die hochwürdigen Herren vom Gericht an der Nase herum. Er hat ihnen so wunderhübsche Bausteine für das Gebäude meiner Schuld in die Hände gespielt, – sie konnten eigentlich wirklich nicht anders, als an meine Höllenschwärze glauben.«

»Das ist doch Unsinn.«

»Unsinn ist es natürlich, aber auch die größte Verrücktheit kann einmal glaublich scheinen. Da war Numero eins: niemand als ich konnte nach menschlichem Ermessen durch Bothos Tod gewinnen. Verzeih', wenn ich davon spreche – –«

»Sprich nur, sprich immerzu. Du kannst mir nichts weiter sagen, als was ich mir hundertmal selbst gesagt habe, während ich hier jetzt allein war. Ich habe reuevoll im Geist an meine Brust geschlagen und habe gerufen: › Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa!‹ Denn alles wäre nicht so gekommen, wenn dein alter, eigensinniger, heftiger Vater – jawohl, das war ich, will es aber nicht mehr sein, – dir nicht mit Kürzung deines Erbes gedroht hätte. Dann würde niemand behaupten können, daß du Vorteil hättest von unseres armen Botho Tod. Aber ich habe mich, wie damals bei ihm, durch mein leider noch immer jugendliches Temperament fortreißen lassen auch dir gegenüber. Und nun hat sich unser Herrgott als ungeheuer nützliche Lektion für mich diese Prüfung ausgedacht. Nur du solltest nicht mit unter ihr leiden müssen.«

»Ach, mir kann solch eine Lektion auch nicht schaden, Vater. Also das war Numero eins. Numero zwei war eine Weinflasche.«

»Ja, ja, die vergiftete. Davon kann ich schon gar nicht mehr hören.«

»Ausnahmsweise war diese nicht vergiftet. Um sich mir verständlich zu machen, hat mir der Herr Untersuchungsrichter etwas von den Gedanken und Vermutungen der hohen Behörde verraten müssen. Da Botho scheinbar wirklich im Pavillon der Villa Rainer vergiftet worden ist, in der dort gefundenen Flasche jedoch kein Gift hat festgestellt werden können, so nimmt man an, daß der Mörder die vergiftete Flasche mit einer anderen von harmlosem Inhalt vertauscht hat. Und ich allein konnte dieser schlaue Mörder sein. Ich war im Garten der Villa Rainer gewesen, als Hanna Rainer die Flasche dort in den Pavillon gestellt hatte, selbst aber nicht anwesend war. Das war die beste Gelegenheit für die Giftmischung. Ich war hinterher – um acht Uhr – noch einmal dort gewesen und hatte so den Flaschentausch wundervoll besorgen können, wobei die vergiftete Flasche mir leider aus dem Fenster fiel. Von den durch Doktor Glaritz gefundenen Scherben geben ja die Zeitungen heute schon die schönsten Beschreibungen, – ein Wunder, daß man sie nicht auch noch photographiert hat.«

»Ja, ja, da liegen die Zeitungen. Ich habe die Tollheiten alle gelesen, die darin stehen.«

»Dann ist Numero drei dir vermutlich auch bereits bekannt. Ein alter Briefumschlag, den der Mörder als Gläsertuch benutzt haben soll. Auch wieder so fürchterlich geschmacklos. Man hat mir das rotgefleckte Papier sogar gezeigt, und ich habe nur sagen können, daß ich dies Ding meines Wissens vorher nie zu Gesicht bekommen habe. Die Adresse ist an mich und von Hanna Rainers Hand geschrieben, aber der zugehörige Brief ist offenbar niemals abgeschickt worden. Sie hat nämlich keine Marke darauf geklebt. Wie der Umschlag dann in des Mörders Hände gekommen ist, wissen die Götter, ist mir übrigens auch ziemlich gleichgiltig.«

Eine plötzliche Heiterkeit machte mit ihrem Lachen sein Gesicht hell. »Ach, ich habe mich im Grunde sehr darüber amüsiert, wie der Herr Germelmann die drei Steine seines verhängnisvollen Baukastens immer wieder hin und her schob und schließlich selber auf seinem Stuhle hin- und herzurutschen anfing. Die Steine wollten absolut nicht aneinander passen. Wie mir nach und nach klar wurde, mußte nämlich um halb acht Uhr des Mordabends irgend etwas passiert sein, was nicht stimmen wollte zu meinem Verbrechertum. Ich habe für diese Zeit ein so völlig unanfechtbares Alibi, daß dagegen kein Teufel und keiner von seiner Verwandtschaft – will sagen Untersuchungsrichter – aufkommt.«

»Aber du bist an dem Abende doch dort im Pavillon gewesen.«

»Freilich. Nur nicht um halb acht. Laß mich dir sagen, – es ist wirklich noch ganz etwas Neues passiert, wovon sogar den allwissenden Zeitungen bisher nichts bekannt ist. Als der Herr Germelmann schließlich einsah, daß es mit Strick und Galgen für mich absolut nichts war, wurde der edle Herr ganz gemütlich und erzählte mir allerlei. Daß auch um halb acht Uhr ein Lichtschein im Pavillon gesehen worden ist, wußte man ja schon. Aber nun hat ein funkelnagelneuer Detektiv – ein früherer Offizier nebenbei, den ich ganz gut kenne, – glücklich noch feststellen können, daß gleich nach halb acht ein Mann dem Rainerschen Garten gegenüber einen ganz einsamen Weg zum Fluß hinuntergegangen ist und etwas ins Wasser geworfen hat, was wie Glas geklirrt haben soll. Dieser Dunkelmann scheint nun dem Gerichte denn doch in allernächster Beziehung zu der vergifteten Flasche zu stehen, weil ich aber zum Glück dienstlich verhindert war, um halb acht Uhr am Flusse herumzulaufen, bin ich dir wiedergegeben, frei von Ketten und Banden, wenn auch vielleicht noch nicht ganz von meinem bekannten Leichtsinn.«

»Gott sei dank, daß ich dich wiederhabe. Nun wollen wir alles Vergangene vergangen sein lassen und sehen, daß wir ein recht, recht schönes Glück für dich miteinander aufbauen.«

»Mein Glück – das kann ich dir zeigen und nennen. Es heißt –«

»Hanna Rainer, nicht wahr?«

Stefan sprang auf, beugte sich über den Vater und küßte liebevoll des Alten Stirne. »Wie du klug bist, – wie du mich gut verstehst.«

»Ach, ich bin so begierig, diese Hanna Rainer endlich zu sehen. Du weißt ja, daß ich eigentlich andere Wünsche für dich hatte – –«

»Jawohl, jawohl. Adel zu Adel, feudal zu feudal, Grafenkrone zur Grafenkrone. Sehr stilvoll an sich, nur nicht verwendbar in diesem Falle. Mein Herz hat sich fürs Bürgertum entschieden.«

»Ich will auch nichts mehr dagegen sagen, will nicht in meinen alten Fehler verfallen und für meinen Sohn Geschick spielen. Aber ich möchte diese Hanna Rainer sehen. Ich hätte ja doch ohne mein dummes Unwohlsein ihr und ihrem Vater schon längst meinen Besuch gemacht. Aber – –«

»Du wirst sie sehen.«

»Wann?«

»Heute.«

»Wahrhaftig?«

»Jawohl, sie wird hierher kommen. Sie telephonierte mir heute früh, scheinbar in großer Aufregung über den Scherbenträger Glaritz, und bat mich, in der Villa vorzusprechen, wenn meine Vernehmung vorüber. Ich habe sie dann aber telephonisch gebeten, lieber um zwölf Uhr hierher zu kommen, damit ich sie dir vorstellen kann.«

»Es ist gleich zwölf – –«

»Und eben klopft es, pünktlich auf die Minute. –«

Stefan ging mit elastisch-eiliger Bewegung zur Tür und nahm eine Meldung des draußenstehenden Kellners entgegen. Dann trat er auf den Korridor hinaus, und ein paar warme Begrüßungsworte seiner weichen Stimme klangen von dort herein. Gleich darauf erschien Hanna Rainer in der Tür, die Stefan hinter der Eintretenden schloß. Er legte den Arm liebevoll um ihre Schultern und sagte zu dem alten Grafen, der von seinem Sitz hastig aufgestanden war: »Sieh her, Vater, so sieht mein Glück aus.«

»Willkommen, willkommen!«

Der Alte streckte die Hand ihr entgegen, sie beugte sich darauf nieder und küßte sie, leise sagend: »Endlich darf ich Sie sehen.«

»Lassen Sie mich Sie anschauen. Stefan hat mir so viel Schönes und Gutes von Ihnen erzählt, – aber es ist eine schwere, schwere Zeit, in der wir uns kennen lernen, und Ihr blasses Gesicht sagt mir, wie sehr auch Sie darunter leiden.«

Sie hatte sich wieder aufgerichtet und stand ihm einen Augenblick stumm gegenüber. Ihre düstere Schönheit wirkte doppelt stark durch die gelbliche Blässe des Gesichtes, das unter dem dunklen Haar die Färbung alten, edlen Marmors trug.

»Eine schwere Zeit!« murmelte sie kaum verständlich, indem sie die Hand wie zur Kühlung auf die Stirne legte. Zugleich durchlief ein Beben und Schwanken ihren Körper, und sie wäre niedergesunken, wenn Stefan ihr nicht, sie stützend, eilig beigesprungen wäre.

»Um Gotteswillen, Hanna! Was ist, was ist?«

Sie hatte sich auf einen von Stefan herangezogenen Stuhl sinken lassen und machte noch einmal die hilflose Handbewegung nach der Stirn. »Verzeih, – einen Augenblick, – ich habe keine Minute geschlafen, – es war eine furchtbare Nacht.«

»Erhole dich, schone dich, halte dich ganz ruhig.«

Aber nun hatte sie die gewohnte Haltung schon zurückerlangt und richtete sich fest auf. »Es ist jetzt vorüber. Ich bin ja nicht von so schwacher Art. Aber es war einen Augenblick stärker als ich.«

Sie faßte Stefans Hand und erhob sich mit einer energischen Bewegung, als wenn von ihm neue Kraft in sie hinüberströmte.

»Wie töricht ich bin. Ich sehe dich wieder, halte dich wieder, – ach, Stefan, ich habe solche Todesangst um dich gehabt. Aber nun ist alles gut. Sie haben dir nichts anhaben können, haben dich nicht verhaftet – –«

»Nein, mit allerbestem Willen haben sie's nicht fertig bringen können. Ich bin vorläufig frei wie der Vogel in der Luft. Aber daß du dich darum so geängstigt hast, – solche Sachen können einen eigentlich doch nicht berühren, wenn man unschuldig ist.«

»Wenn man unschuldig ist.« Sie wiederholte die Worte leise, scheinbar mechanisch, ohne zu denken. Ihre Blicke flammten über ihn hin, über sein Gesicht, seine Gestalt. Sogar seines Vaters Anwesenheit schien sie vergessen zu haben.

»Du hast mir gestern schon telephoniert, hast mich sprechen wollen, wie meine Wirtin mir sagt, – –«

Sie nickte. »Leider war es vergeblich. Ich hatte bis gegen Abend noch keine Ahnung, daß etwas Neues geschehen war. Mein Vater sagt, er hätte nicht sprechen wollen über den Fund meines Vetters in unserem Garten, bis das Gericht von ihm gewußt hätte. Spät am Nachmittag erst hat er mir davon erzählt, hat mir gesagt, welche Folgerungen gegen dich man wahrscheinlich daraus ziehen würde. Da hat mich die Todesangst um dich überfallen, ich habe versucht, ob ich dich nicht am Abend noch sprechen könnte, habe telephoniert, – einmal, – zweimal, – dreimal, – immer vergeblich.«

»Leider bin ich gestern spät nach Hause gekommen.«

»Und nun heute deine neue Vernehmung, – und sitzen müssen, warten, warten und nichts tun können, – es war furchtbar!«

»Ich habe das erfahren wie Sie, liebe Hanna,« sagte der alte Graf. »Ich habe hier in Todesängsten gesessen, wie Sie zu Haus, – in gleicher Weise haben wir beide gebangt um unseren großen, lieben Schlingel hier.«

»Gott sei Dank, das ist jetzt vorüber!« Sie faßte nach Stefans Hand und sprach weiter, sie fest in der ihren haltend. »Es war mir, als wenn ich nicht mehr denken könnte, so tobte das Blut in meinem Gehirn. Angst und Verzweiflung war alles, was ich fühlte. Nun ist mir's, als wenn ein Schleier fortgezogen würde, so daß ich wieder sehen kann, was ist. Aber du, Stefan, – ist wirklich keine Gefahr mehr für dich?«

»Nach menschlichem Ermessen keine.«

»Dann ist alles gut. Und ich bringe noch etwas Neues mit, was auch vielleicht gut ist, – ich hatte nur kein Gefühl dafür in der Todesangst.«

»Was ist es?« fragte der alte Graf. Stefan hatte nur Blick und Gedanken für Hanna, wie sie für ihn.

»Ach, wenn man von all diesen Häßlichkeiten doch nicht mehr zu hören und nicht mehr zu sprechen brauchte. Von Gift und Mord und, – aber Sie wollen wissen, was ich Neues bringe. Um unseren Diener handelt sich's und um die Flaschen, die nach des Gerichtes Glauben sollten vertauscht worden sein im Pavillon. Es gab ein endloses Fragen, wieviel Flaschen von der Weinhandlung waren geliefert worden und wieviele fehlten. Hundert hatten wir bekommen, das war sicher. Ich selbst hatte nur eine davon genommen, aber beim Nachzählen waren achtundneunzig nur vorhanden, es fehlten also zwei. Die Vertauschung der Flaschen schien sicher. Da nahm ich unseren Diener noch einmal ganz für mich energisch ins Gebet. Es ist ein junger, naschhafter Bursche, – nun, er hat mir endlich eingestanden, daß er die zweite Flasche heimlich ausgetrunken hat.«

»Bravo, bravo!« rief Stefan. »Für dies Geständnis bekommt er von mir noch eine dazu.«

»Dafür ist er von mir schon fürstlich belohnt worden.«

»Ja, das ist für euer ganzes Haus ungeheuer angenehm. So kann doch der Teufel, der im Pavillon sein Wesen getrieben hat, seine Ware nicht aus eurem Keller bezogen haben.«

»Ich habe nicht an uns gedacht bei dem allen, Stefan, – immer nur an dich! – Immer nur an dich! Ach, ich habe ja keinen anderen Gedanken mehr. Du hast eine Gewalt über mich, der ich willenlos gehorchen muß. Ich tue für dich, was ich nie tun würde sonst; – ich schreibe fremden Menschen, gehe zu fremden Menschen, ohne nur zu fragen, ob es klug und schicklich ist. Wenn es dein Wohl erforderte, Stefan, ich würde Heldentaten und Verbrechen für dich begehen und würde nicht einmal wissen, ob es Heldentat oder Verbrechen ist. Mit Leib und Seele bin ich dir verfallen, – du bist mein ganzes, einziges Glück, und ich fühle, sehe, denke nichts anderes, als dich allein!«

Liebevoll sich an ihn schmiegend stand sie, vom Gefühl überwältigt, einen Augenblick wortlos. Dann wandte sie sich mit einem demütigen Lächeln, das ihrem ernsten Gesicht eine bittende Kindlichkeit gab, an Stefans Vater. »Seien Sie nicht böse, Graf, daß ich immer nur mit ihm, von ihm, über ihn spreche. Sonst bin ich auch vernünftiger und ruhiger, aber die letzte Nacht mit ihrer Todesangst hatte mir jeden Halt genommen.«

»Sprechen Sie nur, sprechen Sie nur, wie Sie's getan haben. Sie gewinnen damit mein Herz, haben es bereits gewonnen. Ich habe ja doch nur noch diesen einen Jungen, – all meine Liebe gilt jetzt ihm allein. Und wer ihn auch lieb hat, – sehen Sie, das ist ein festes Band zwischen Ihnen und mir, liebe Hanna.«

»Dank, Dank, – Sie machen mich sehr glücklich.«

»Und nun wollen wir gemeinsam unseren Stefan glücklich zu machen suchen. Er läßt sich's nicht anmerken, aber gelitten hat er auch unter dem häßlichen, schändlichen Verdacht. Wir wollen –«

Er kam nicht weiter. Ein kurzes, hartes Klopfen, fast einem Hammerschlag ähnlich, erklang an der Tür, und sie wurde schon geöffnet, bevor noch Graf Hersberg »Herein!« hatte rufen können. Kriminalkommissar Bauer trat über die Schwelle, hinter ihm blieb ein Schutzmann stehen im Halblichte des Korridors.

Hanna fuhr zusammen bei diesem Anblick und klammerte sich fester an Stefan. Der alte Graf aber fragte mit einem nervösen Zucken seiner Lippen: »Was wünschen Sie? Weshalb dringen Sie hier ein?«

»Ich bitte dafür um Entschuldigung, aber ich wußte, daß diese Dame hier war, und ich durfte sie nicht aus den Augen lassen.«

»Warum, – weshalb?« Es war Stefan, der die Frage rief. Bleich, mit krampfhaft geschlossenen Händen stand er da.

»Fräulein Hanna Rainer, ich habe den Auftrag, Sie zu verhaften wegen dringenden Verdachtes, den Giftmord an Xaver Stieler begangen zu haben.«

»Mich, – mich verhaften?« Leise, fast unverständlich stammelte sie die Worte.

»Das muß ein Irrtum sein, – das ist ja Wahnsinn!« rief Stefan. »Sie haben sich mit Ihrem Verdacht auf mich getäuscht, Sie täuschen sich auch jetzt.«

»Auf Erörterungen irgendwelcher Art kann ich mich nicht einlassen. Ich muß meinen Auftrag ausführen und Fräulein Rainer bitten, mir zu folgen.«

»Aber Herr Kommissar, – Sie sind ja doch ein vernünftiger, verständiger Mann, – sagen Sie mir wenigstens, wie dies kommt, wie dies möglich ist. Sie selbst haben Fräulein Rainer schon ein paarmal vernommen und haben keinen Verdacht auf sie gehabt – –«

»Näheres kann und darf ich darüber nicht sagen. Das eine nur mögen Sie wissen, daß diese Verhaftung die Folge von einer persönlich erstatteten Anzeige der Frau des ermordeten Xaver Stieler, der Kinoschauspielerin Afra Baratta, bei dem Herrn Untersuchungsrichter ist. Und nun muß ich bitten, Fräulein Rainer.«

Eine steinerne Ruhe war über Hanna gekommen. Sie nahm des alten Grafen Hand und küßte sie, dann wandte sie sich zu Stefan. »Ich muß gehen, leb wohl. Daß es mich trifft, ist gut. Kommen Sie, Herr Kommissar.«

»Du sollst nicht gehen, ich will es nicht leiden, daß man dich mißhandelt!« rief Stefan verzweifelt hinter der Hinausgehenden her. Der alte Graf legte beruhigend seine Hand auf Stefans Arm, die Tür fiel zu.

Gebeugt, mit herabhängenden Händen, auf der Unterlippe nagenden Zähnen und rasch auf- und niederbewegten Augenlidern stand Stefan ein paar Sekunden, in stummes Grübeln versunken. Dann aber sich hoch aufrichtend rief er aus: »Von der Baratta kommt uns das Unheil, – dies Weib soll mir Rede stehen!«


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