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Tod und Leben

In der Kammer neben der großen Wohnstube lag jetzt die Afra aufgebahrt. Zwei Kerzen brannten ihr zu Häupten und konnten nicht aufkommen gegen das Sonnenlicht, das Sarg und Leichnam hell umspielte und dem Tod fast die Glaubwürdigkeit wie den Schrecken nahm.

Afras Hände hielten ein kleines schwarzes Kreuz. Viele tote Hände hatten das schon so gehalten auf dem Koglerhof, das letztemal die der Bäuerin, der Mutter des Franz. Denn sich also halten zu lassen, war die Aufgabe dieses Kreuzes. In den oft sehr langen Zwischenpausen lag es im Schrank, zusammen mit ein paar alten Kronentalern und einem Golddukaten, einem Stein vom Grabe des heiligen Antonius zu Padua, einer goldenen Taufdenkmünze und einer hoch aufgesteiften Biberpelzmütze absonderlichen Formats, wie sie vordem dortlands zum Sonntagsstaat der alten Bäuerinnen gehörte, und wartete unter diesen Raritäten auf den nächsten Toten. Und sonderbar: jedesmal, wenn erstarrte Hände also im Koglerhof das kleine Kreuz hielten und die Würflinger zu Gebet und Ehrung sich einfanden, äußerte irgendeiner der Besucher: um wieviel hundert-, ja tausendmal doch das Kreuz größer und schwerer gewesen sei, das der Tote durchs Leben getragen habe. So auch jetzt wieder die Thürmoserin, indem sie diese Meinung der Sanktjohannserin zuflüsterte. Und beide Frauen tunkten tief in die am Fußende des Sarges aufgestellte irdene Schüssel den daneben liegenden Buchsbaumzweig ein und besprengten so die Afra ausgiebig mit Weihwasser, auf daß sie in der Ewigkeit an Frieden nachbekomme, was ihr etwa daran in der Zeitlichkeit vorenthalten worden.

Es kam des weiteren die Wurzenhäuslerin mit ihrer bresthaften, zwölfjährigen Tochter, der die Afra noch erst kürzlich selber als Firmpatin sich angetragen hatte, damit das arme Hascherl, wie sie sagte, nicht lange nach einer Goden (Patin) zu suchen und etwa gar da und dort eine schmerzliche Ablehnung einzustecken brauche. Und beiden, Mutter und Tochter, liefen jetzt, wie sie so vor der Totenbahr standen, Tränen über die Wangen, indem sie, mehr im Gefühl als im Denken, die Barmherzigkeit der Afra und die Unbarmherzigkeit des Todes mit dem armen Häuslerkind dazwischen sich zusammenzureimen suchten. Und es kamen noch manch andere Frauen und Kinder, die einen aus Teilnahme, die andern aus Neugierde; denn dem Tod und seinem Werk haften mit der unbewußt andrängenden Frage nach dem Wohin die wohllüstigen Schauer des Geheimnisvollen an. Sogar von den benachbarten Dörfern kamen einzelne Leute, und hätte die Afra den Zulauf sehen können, sie hätte sich ordentlich ob des Aufsehens geniert.

Auch der alte Zausinger blieb nicht aus und reckte den langen, dürren Hals hierhin und dorthin und winkte, da er sie endlich erspähte, sehr pressiert, als versäume er weiß Gott was, die Nelly herbei: »Du, paß aus! Bei der Bäurin ihrem Tod hat jeder Ortsarme, der auf d' Nacht zum Rosenkranzbeten raufkommen is, a Zwanzgerl kriagt. Wia steht 's, wia geht 's: wird bei der Afra a was spendiert?«

»Denk scho, daß sie der Bauer da von euch Bettelleut nöt anschaun laßt.«

»Guat, sag i, guat. Und i dank dir schön. I kimm nacher auf d' Nacht. Is ja von wegen der Afra ihrem Seelenheil. Da laß mi i nämlich a nöt anschaun.« Und fort humpelte der alte Tagdieb und Lüdrian. Und die Nelly sah ihm nach und schüttelte den Kopf: »Der a no mit seim Gebet der Afra nachhelfen!«

Und es kam im Lauf des Tages zufällig auch auf den Koglerhof der Kapuzinerfrater Gabriel vom Kloster Vierleiten, der gerade terminierend, d. i. für sein Kloster milde Gaben sammelnd, die das Kloster wieder an die Armen weitergibt, den Würflinger See umkreiste. Nachdem sie ihm das herkömmliche Geldgeschenk gegeben hatte, erzählte ihm die Nelly von dem Todesfall.

»Was du nöt sagst! Ach gar! Die gute Afra! Hat mir alleweil so gern geben. Hab aber auch schon in aller Früh bet dafür.«

»Hamm S' ja doch no gar nöt gwußt, Frater Gabriel, daß d' Asra gstorben is!«

»Macht nix, Madl, macht nix. Schau, das ist bei mir so: in der Früh, wenn i aufsteh, bet i für die, die in der Nacht gstorben sind, und auf d' Nacht, bevor i mi niederleg, für die tagsüber Gestorbenen. Auf die Weis kommt mir keiner aus.« Und weil die Nelly schmunzelte, beteuerte es der Frater Gabriel auch noch: »Gwiß, Madl: mir is noch keiner auskommen und mir kommt keiner aus a. Und siehgst, dös macht mich glücklich und zufrieden.« Und damit ging der bescheidene Mann.

Und noch einer kam, ein ganz ein gspaßiger, wie die Bauern von einem sagen, der sich von der Regel durch sonderbares Wesen oder äußerliche Seltsamkeit abhebt. Schon gleich ein wenig windschief kam er daher in seiner Breitschultrigkeit, etwa so wie ein Hund, der trabend auf einen zukommt. Und wenn er da war, dann wußte er nicht, womit die Rede anfangen, obwohl er den ganzen Weg her darüber nachgedacht zu haben schien. So sinnierend nämlich ging er. Und wenn er doch endlich zu reden anfing, geriet es ihm ganz anders, als er sich vorgenommen hatte, also, daß er mit jähem Sprung und wie erschreckt zu seiner eigentlichen Absicht und Aufgabe zurück mußte und es den Anschein gewann, als habe er zunächst nur seine spröde, mißklingende Stimme mit einem kleinen Vorspiel etwas einexerzieren wollen. Und dann: menschenscheu war er, ein Eigener auf und auf, ein Selbstler durch und durch, und leichter, sagten die Bauern, gehe von einer gelten Kuh noch ein Kalb weg als vom Pfannamichl ein »Gute Nacht!« oder »Guten Morgen!« Denn der war er und paßte darum zum Zwerger-Hof mit seinem abseitigen Herrn wie ein Ei zum andern. Selbst sein Lebensalter war ein Problem; denn schätzten die einen ihn auf vierzig, so behaupteten andere hinwiederum, sogar den Sechziger habe er schon aus dem Buckel. Aber die Arbeit riß er jedenfalls wie ein Junger zusammen und fand keine Rast und keine Ruh, als bis sie war getan.

So ein Kampel wächst natürlich nicht in der Stuben her bei Kaffee und Zwetschgenbrüh, so ein Gewächs kann nur unter freiem Himmel werden, bei Hunger und Holzerschmarren und einer Nächstenlieb, die ihm wie der Bergwind entgegenbläst, der kein Erdreich an den Steinhängen duldet zum Wurzelschlagen für Gras und Kraut. Und so stammt denn auch der Pfannamichl von ganz hinten aus dem Tirol, wo es ihn eines Tags auf einer Alm, ohne daß er sich darum beworben hätte, als ein lediges Kind in die Welt hereinschneite. Schweine- und Kühhüten, verlaufene Almschafe suchen und dem Hopper-Naz, so einer Art Almtrottel, das Hafenbinden und Pfannenflicken abgucken, das waren die erzieherischen Einflüsse seiner Jugend, bis er eines Tags, ebenso mir nichts dir nichts, wie er angekommen war, wieder verschwand. Niemand suchte ihn, niemand hätte ihn auch gefunden. Weiteres berichtet er nicht über seinen damaligen Aufenthalt und Unterschlupf. Weil's gleich ist, sagt er. Dann aber – und es muß wohl ein schweres Seelenstück gewesen sein, das ihn zu diesem unsichern Stand bewog – ergab er sich auf einmal professionsmäßig der Hafenbinderei und der Pfannenflickerkunst und kam von der Landstraße nicht mehr weg, bis die ihn zufällig nach Würfling und auf den Zwergerhof gerade in dem Augenblick brachte, als beim Holzfällen ein Baum den Oberknecht erschlug. Aus der schnellbereiten Aushilfe des Pfannamichl wurde, weil der Witterung des Bauern der Pfannenflicker und der des Pfannenflickers der Bauer paßte, ein Dauer-, ja mit der Zeit ein so unzweifelhafter Vertrauensposten, daß der Pfannamichl sogar eigenhändig den Koglerbauern aus dem Zwergerhof hinausschmeißen durfte, als der Zwerger den Nachbarn unversehens in äußerst peinlicher Situation mit seinem Eheweib betraf.

In diesem Augenblick aber steht der Pfannamichl vor der Nelly, die eben den Hofraum zwischen Wohnhaus, Stall und Scheune zusammenkehrt, und ringt in seiner Art nach Worten. »A–a– du – a – Was sagst iatz du? Is dös not sonderbar: zwoa Bauernhöf voller Geld und Sach, daß schier nix mehr neigeht unters Dach als nur bloß a so a brennrote Feindschaft, daß si der Deifi no seine Krallen dran warmen kunnt ... A – du – Kreuzsaxen no amal, was sag i denn! Du, gell, der Bauer is heut furt? Ja?«

Die Nelly nickt.

»No natürli und selbstverständli. Sunst waar ja do i nöt da«, bezeugt sich der Michl selber. »Und enker neubachener Hochwürden?«

»Der Herr Franz, der is da. Gleich sag i 's eahm. Der wird schaugn! Vom Zwergerhof wer! A solche Rarität!« Und schon wollte sie weg.

»Na du! Wart a bißl! Weil 's gar a so a Triffauf is, daß i di alloa antriff. Du, paß auf! Woaßt no, was i vor zwoa Jahr zu dir gsagt han? Bist schier no a bißl z' jung gwen 's selbig Mal. Macht nix. Frag di dafür heut no amal. Waarst iatz grad recht.«

»Schwatzer!«

»Nix Schwatzer! Red 's ganz Jahr nöt fufzg Wort über dös naus, was sein muaß. Woaß scho bald nimmer, wia a lange Red tuat.«

»Was willst nacher, Zipfi?«

»Di.«

»Dös hast wenigstens kurz gsagt.«

»Wird glei länger wern. Paß auf! Nur bloß zwegen deiner hab i dö letzten fünf Jahr ausghalten z' Würfling da. Ja. Indem daß i sunst längst wieder weiter waar.« Die Nelly hatte mit dem Kehren aufgehört und stand aufmerksam da. »Denn mei Bauer, verstehst, wird alleweil heilloser mit seim Geiz, seitdem daß d' Mariann furt is, und dös is iatz so an dö sechs Jahrln her.«

»Jatz is s' ja wieder da, dö gschupft Gans!« bellt die Nelly auf.

»Bleibt aber nöt. Sunst waar 's eher zum Aushalten.« Die Nelly lacht höhnisch aus. Darob mustert sie der Pfannamichl mit überraschten Augen. Nach einer Weile fährt er fort: er habe hübsch ein Geld zusammengebracht die langen Jahre her und das müsse jetzt marschieren. Wohin? Ins Weitmoos hinein. Dort wolle er sich ein Stück Torfland kaufen, ein Häusel daraufstellen, Torf stechen, Torf verkaufen und dazwischen bei den Bauern herum taglöhnern. »Aber nur unter einer Bedingnis –«

»Und die wär?«

»Daß du mit mir ins Moos gehst.«

»I dank schön«, sagt die Nelly und mustert jetzt ihrerseits den Pfannamichl mit den überraschtesten Augen, was ihn jedoch nicht beirrt.

»Schau,« sagt er, »wennst a so nachdenkst: i bin a armer Deifi und du bist a armer Deifi, und gibt 's 'leicht a schönere Eh', als wann zwoa solchene zammheiratn?« Die Nelly schwieg, wie benommen von der Überrumplung.

Der Pfannamichl fuhr deshalb mit seinem Schönheitsbeweis fort: »I woaß nöt, woher i kömma bi, und du woaßt nöt, woher du kömma bist. Es is, als hätt uns alle zwoa der Wind in d' Welt einagwaht und z' Würfling da zammtragen. Und gibt 's 'leicht was Schöners als an solchenen Zammstand?« Und weil die Nelly immer noch keine Worte fand: »Oder hat 'leicht di a scho der Bauernhochmuat packt, Madl, und bildst du dir ein, du waarst z' guat für mi?«

»Z' guat nöt, aber z' jung. Indem daß du für mi z' alt bist.«

»Wann bist du geboren?«

»Genau kann i 's nöt sagen.«

»Siehgst, und i a nöt. Und scho wieder pass' ma zamm, wia zwoa Turteltauben.«

»I mag aber halt nöt.«

»Moanst, du kunntst was Bessers derwarten?«

»I moan gar nix, als daß 's mi nöt gfreut.«

»Nacher pfüat di Gott, Bauerndeanst, und pfüat di Gott, Weitmoos! Und pfüat di Gott, Würfling! I mach wieder an Pfannaflicker und geh wieder der Landstraß nach.«

»Du kannst hingehn, wo du magst, und i bleib, wo i bi.«

In diesem Augenblick rief im Haus drinnen eine helle, schallende Männerstimme: »Nelly! –Nell>!« Da warf das Mädel den Besen weg und lief ins Haus,so eilfertig und dienstbereit, daß ihr der Pfannamichl mit offenem Maul nachsah.

Die Stallmagd, die gerade über den Hof kommend den Vorgang beobachtet, meint darum: »Dös gschwinde Auf und Davon geht dir, scheint 's, nöt recht ein, Michl. Aber woaßt – was man aus Liebe tut ...« Und damit schlägt sie ein wahres Geplärr von einem Lachen auf. Und so werden vermutlich die Teufel in der Hölle unten lachen, sooft auf der Welt heroben ein Dummer in ihre Fallstricke hineintappt.

»Wer hat ihr denn gruafa?« fragt der Michl.

»Da brauchst no lang fragen«, gackert das Stallmensch in ihr boshaftes Gelächter hinein. »Wer si halt nur bloß von ihr bedeanen lassen will – inser Herr Hochwürden natürli, Türkl, damischer.«

Da pfiff der Michl leise und langgezogen durch die Zähne, und wohl seit tausend Jahren und mehr mag ein Pfeifen dieser Art das Zeichen dafür sein, daß dem Bauern ein Licht aufgegangen ist, und das kein kleines. Sondern ein Licht, das ihn urplötzlich in dem Dämmer ringsum alles so zweifelsfrei erkennen läßt, daß für keine Wenn und Aber mehr Platz und höchstens nur noch zu sagen ist: wie schade, daß den Geschichtenschreibern die Ausdrucksmittel fehlen, einen solchen Seelenpfiff in natura aufs Papier zu bringen!

»A so steht dö Sach!« brummelt der Michl für sich hin, »a so!« und stiert den Boden an, »a so! a so! Drum also – drum –« Und die Stallmagd ist schon wieder fort, und der Michl steht immer noch so verloren da, und aus dem Haus ist der Franz herausgekommen, und der Michl starrt immer noch so zu, als sei der feste Hofboden vor ihm ein enteilender Bach und trage soeben einen, nein, seinen, des Pfannamichls, Traum zur Hofeinfahrt hinaus. Und soll dem einer etwa nicht nachschauen? Wenn doch Jahre dranhängen mit ihrem stillen, sänftigenden Einschlag in Lebensplage und Seelennot, ja sogar in Art und Wesen.

»Ja, Michl, du auf unserm Hof!« ruft der Franz aus, »grüaß di Gott!« und streckt ihm die Hand hin. Das scheucht den Michl aus seiner giftigen Betrachtung heraus. Doch er übersieht die hingestreckte Hand und wirft auf den Geistlichen einen feindseligen Blick und schweigt. »Was is 's?« fragt darum der Franz. »Kann ich dir mit etwas behilflich sein?«

»Du mir behilfli? I hab mir alleweil no selber gholfen. Und überhaupts, du waarst der Letzt, zu dem i kaam.«

»Oho! Seit wann denn a so, Michl?«

»No nöt lang. Hoaßt dös: leiden han i dö Schwarzröck meiner Lebtag nöt kinna; denn für scheinheilig han i s' alleweil scho ghalten.«

»A harts Wort, Michl, wenn man einen von Kind auf kennt. Aber ich weiß ja: bist alleweil schon anders gwesen als wie die andern, mir aber so, wie du bist, grad recht. Und drum sag jetzt: was willst denn?«

Da besinnt sich der Michl eine gute Weile und dann schaut er den jungen Geistlichen aus halb zugekniffenen Äuglein an und sagt: »Entweder du bist a ganz a Verdruckter ...«

»Oder?« fragt der Franz, da der andre stockt.

Aber der kommt nicht mehr weiter mit seiner Red. Schaut vielmehr den Franz an, als müßte er die Vollendung seines halbfertigen Satzes zu tiefst aus ihm herauslesen, kommt aber auch damit nicht zurecht und schüttelt wie über einem vergeblichen Bemühen den Kopf. »I soll fragen,« sagt er endlich, indem er auf sein eigentliches Thema überspringt, »und nur bloß deswegen bin i da, ob d' Mariann kömma derf, zu der Afra, verstehst, weil halt grad bei enk heut – der Bauer not dahoam is.«

»Grad nöt dahoam is –« wiederholt sinnend der Franz. »So weit fehlt's zwischen unsere Höf, daß man einen Toten auch noch verstohlen besuchen muß!«

Und damit ist der Michl wieder einmal so weit, daß eine Entgleisung fällig wird, und schon ist sie da: »Dös geht aber fei nöt alloa«, sagt er, »auf dös selbige Nausschmeißen zruck, sondern d' Hauptfeindschaft, dö wo scho seit woaß Gott wann wia a ewigs Dunnerwöda zwischen dö zwoa Höf hin und her blitzt, dö schreibt si von der Schelchinsel her, mei Liaber. Hast ghört?«

Der Franz indes winkte mit beiden Händen ab. »Laß das! Nur davon nicht anfangen! Doch alles umsonst.«

»Aha! Und also?« Mit einem Blick voll Hohn maß der Dienstknecht den Priester. »So kloane Stoa', dö neamad im Weg san, kinnts ja vielleicht wegbringa; aber dö großen laßts halt a liegen. Und bei an Stuck wia dö Zwerger- und Koglerfeindschaft is 's überhaupts aus mit enkern Gwalt.«

»Michl, du mußt es schon unserm Herrgott überlassen, wann und wie er die zwei Familien wieder zusammenführen will. Der unglückselige Haß hat sich in der langen Zeit viel zu tief eingefressen, als daß ihn ein einzelner Mensch für sich allein ausrotten könnt. – Aber sag der Mariann: selbstverständlich kann sie herüberkommen. Das wär ja noch das Schönere, einen Toten nicht aufsuchen dürfen.«

Darauf dreht der Michl sich um und geht ohne Wort und Gruß. Bleibt aber in der Einfahrt doch noch einmal stehen und ruft zurück: »Es is dös fei a nur bloß a kloaner Stoa – dö großen, verstehst, dö kosten 's Leben.« Dann war er fort.

Und noch einen hat Afras Hinscheiden auf die Beine gebracht: den Totengräber, Martin Grabichler mit Namen, dessen Holzhäusel, vom Ende des Dorfes her, aus verzogenen Fenstern und unter windschiefem Dach voller Neid nach den saubern Bauernhöfen hinschielt, weil halt, wie der Totengräber den heruntergekommenen Zustand entschuldigt, bei der allzu gesunden Würflinger Luft viel zu wenig Leute sterben, als daß er die Reparaturkosten erschwingen könnte. Er schlägt aber nicht, wie man vielleicht erwarten dürfte, den Weg zum Friedhof ein, um etwa der Afra die Grube auszuheben, sondern schleicht, immer auf der Rückseite der Häuser, das Dorf ab. Wartet hier eine Weile, macht dort einen Verschnaufer, äugt und späht und wechselt, wenn ihm eine genehme Weibsperson in den Wurf kommt, geschwind ein paar heimliche Worte mit ihr und schleicht wieder weiter. Er sagt für den Abend ein: »Mei Alte hat heut nacht bei der Kogler-Afra dö Totenwacht. Wennst an scharfen hertanzen willst, Madl, nacher kimmst, so um Gebetläuten umanand, zum Staudigl-Wirt. Der Peterl kimmt aa und der Bergersepp und der Bründlmoser mit der Zither und der Fehrer Toni mit der Gitarr.«

Der Totengräber ist nämlich, wenngleich schon ein guter Fünfziger, immer noch der fescheste Tänzer des Dorfes, der freilich bedauerlicherweise nur in dem dank der Würflinger Lust so seltenen Fall der Totenwacht seiner Alten seine überragende Tanzkunst zu zeigen vermag, dann jedoch allerdings die ernste Pflicht seines Weibes mit einer Durchnacht der Lust ausgleicht. Und die lockeren Weibsleute reißen sich förmlich darum, in den Armen des Totengräbers um die ausgeräumte Gaststube des Kajetan Staudigl zu walzen, links herum, immer nur links herum, die Augen in Wonnen halb geschlossen, den einen Arm, mit dem des Tänzers vereint, wie eine Fahne der Sinnlichkeit ausgerichtet und im Ohr die einschmeichelndste Stimme, mit der dieser Diener einer andern Welt im Sechsschritt-Rhythmus singt:

»Wia ma auf Schweinau san kumma,
Ham ma d' Dudl a mitgnumma.
Geh mit der Dudl, tanz mit der Dudl
Bis auf Schweinau.«


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