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Um elf Uhr vormittags hatte indessen Gregorow – dieser eifervolle Zelotenhund, der sich in den letzten drei Nächten nicht eine einzige Sekunde weder Rast noch Ruhe gegönnt hatte um seine Augen zu schließen – vielleicht gerade aus diesem Grunde mit Erfolg noch ein allerletztes Murren in seinem Innern überstanden. Und ward von da an immer munterer und alerter – nach außen, wie nach innen. – –
Dieses totale und naturwidrige Changement im Gemüt wie im Geblüt ging auf folgende Weise vor sich:
Schon zirka halb fünf des Morgens hatte die Armada ja entdeckt, mit Hilfe einiger aufgeschnappter Funkentelegramme, daß die äußersten Vorpostenspürhunde des Feindes in der Linie Quelpart-Gotoschima, uns beobachtet hatten und nun im Begriff waren, drahtlos kläffend Meldung über unsere Fahrt, unsern Kurs und unsere törichte Formation an Herrn Togo-Nimrod zu senden.
Eine halbe Stunde später (unmittelbar vor dem Kriegsrat des Kommandanten mit seinen Offizieren) kam dann unser eigener »Ural«, der einige Zeitlang auf eigene Faust herumgeschwänzelt hatte, atemlos im Galopp zu uns zurück und erzählte: daß vier Exemplare des genannten Großwildjägers Koppel jetzt weit voraus zu sehen seien – und, die Schnauzen in der blauen Wasserkante, uns von Steuerbord nach Backbord passierten: gestatten Sie daher, hochverehrter Herr Geschwaderchef – fragte Urals Führer weiter: daß ich mit meiner Funkenmaschine versuche, ihr Telegraphieren zu stören ... ein höchst einleuchtender und verständiger Vorschlag, auf den Roschdjèstwenskij indessen, der Teufel mag wissen warum, nur mit einem kategorischen Nein antwortete: was Gregorow und viele andere gelb vor Wut machte, und sie veranlaßte, ihre Zähne zornentbrannt aufeinanderzuknirschen.
Und gegen sieben Uhr, endlich, sahen wir alle zusammen die »Idzumi« diesen japanischen und widerhaarigen Köter, der auf sechzig Kabellängen draußen steuerbord bissig und lauernd vorwärtszuschleichen begann in einem irritierenden, langgestreckten Trab längs der rechten Flanke von uns, aus allen Ecken und Kanten dicke Funken stiebend.
Maxim Mikailowitsch war unter den ersten, die dies Ekel observierten.
Er vergaß augenblicklich die Schachmattigkeit in allen Nerven und Sinnen, die eine natürliche Folge der Wachsamkeit der vorhergehenden Tage und Nächte war, sträubte schäumend vor gewaltigem Eifer alle Borsten auf seinem Rücken in die Höhe, knurrte unheilverkündend, glotzte böse nach dem Gegner hinüber, alles Weiße in seinen Augen herauskehrend – und fragte sofort durch den Megaphon, ob man das Biest nicht mit einem Stein oder auch mit zweien morden solle ... und als auch das gestattet wurde, ja, als die Frage von Seiten des Admirals überhaupt nicht einmal beantwortet wurde: da geschah es, daß jene vorhin erwähnte allerletzte Verzweiflung und Bitterkeit Gregorows patriotisches und wirksames Herz erstickend überwältigte!
Geifernd vor Ärger über ein solches memmenhaftes Aufgeben von sehen des obersten Führers der Flotte, hatte er ein Gefühl als werde sein Busen in Hunderte von heulenden Fetzen und Stücken zerrissen.
Ein zähnehackendes Zittern befiel alle seine Glieder – ein brennendes Hagelwetter von Kummer raste durch seine Adern hinab.
Seine Stirn trieb vor eiskaltem Schweiß ...
Eine steife Stunde starrte er ununterbrochen – rastlos umherwandernd, nur mittels blauer Flüche und geschwefelter Eidschwüre atmend – bald oben von seiner Brücke herab, bald draußen vom Vordersteven aus, und bald oben von der Signalstation des Mars hernieder, hoffnungslos, gehässig, leise wimmernd, nach der »Idzumi« hinaus, die uns unermüdlich und gemütlichst am Rande des Horizonts das Geleite gab, ohne nur den Versuch zu machen, seinen buschigen Schwanz aus Qualm, der hoch in die Höhe stand, zu verbergen ... und ohne daß wir Erlaubnis hatten sie im allergeringsten zu genieren!
Ach Gregorow zog klagend die Luft durch seine Nasenlöcher hinein und stieß sie schnaubend wieder aus. Er verzerrte sein Maul, aus dem die Feuchtigkeit der Wut sickerte. Er zauste wild seinen alten, grauen Schnauzbart. Er schüttelte drohend seine dicken Vorderpfoten vor sich hin, donnerte auf das Geländer. Er sank auf einmal zusammen, verschwand in einem grausam bittern Untertauchen von Schmerz und Scham – kam plötzlich teilweise wieder nach oben, für einen Augenblick; schrie schäumend auf, stürzte sich wie ein Orkan über seine Leute ohne Grund, eilte dann von neuem auf seinen Observationsplatz hinauf, trabte schwül auf und nieder, laut knurrend:
Ach, er glotzte speichelnd und blutunterlaufen nach dem Admiralsschiff hinüber, das seinen Kurs ganz ruhig fortsetzte und die Flotte in dieser wahnsinnigen Formation beließ, wo die zween Kolonnen (obendrein mit den Transportschiffen mitten zwischen sich) nur erreichten, einander energisch an allem Möglichen zu verhindern: der Teufel fahr' da hinein, was soll ich doch nur machen, sieh, unaufhörlich troddelt die »Idzumi« da draußen, mit uns Schritt haltend, weiter; die Japaner behandeln uns, als wenn wir Kinder wären, Frauenzimmer alle miteinander, und sie haben recht, wozu soll ich doch nur einmal greifen ...
Er erreichte ein übermenschlich voll gerütteltes Maß kochenden Elends, mordlustigen Hasses, damals, als Roschdjèstwenskij ein wenig später, aus total unfaßlichen Ursachen, plötzlich seine Späherschiffe zurückrief, sie hinter sich anbrachte, und also blind in diesem Fahrwasser dahinsteuerte, wo doch alle Welt wußte, daß der Feind sein müßte ... ja, Gregorow riß wild seinen Revolver aus dem Gürtel, schwang ihn bein- und steinfluchend in der Luft, fing jäh an blutig damit zu feuern, geradewegs vor sich hin in die Atmosphäre hinein.
Und besser wurde es selbstredend nicht, als er, so um halb elf Uhr, die eine Schar nach der andern von diesen widerlichen, feindlichen Kreaturen aus dem nassen Nebel draußen an dem Backbordhorizont auftauchen und flott Schritt mit uns halten sah – nein, bei der Gelegenheit lehnte sich Maxim Mikailowitsch, blutrot im Kopf als sollte er platzen, zitternd, so daß er kaum auf den Beinen stehen konnte, krank vor Zorn und Folter, über das Geländer der Brücke: verdammt und verflucht, können wir denn den Admiral nicht totknallen, können wir ihn nicht über Bord werfen – so wie er übrigens neulich selber vorschlug, es mit einigen Offizieren zu machen, die ihm mißfielen! Können wir ihm nicht mit einem Fußtritt vor dem Steiß verabschieden und einen neuen Chef suchen, mein Gott, mein Gott, ist er denn ganz einfach obendrein ein Verräter, der Prachtidiot? ...
Ja, Herr Jesus, seit um sieben Uhr und bis fast elf hatten diese stinkenden, japanischen Tiere unangestastet Erlaubnis, uns zu verhöhnen und zu schädigen, greinend Kindermädchen für uns zu spielen, sich vor unserer Nase munter in der See herumzutummeln, um ununterbrochen Vater Togo jeden einzigen Schritt, den wir machten, weiterzuklatschen: und jedesmal, wenn wir den Admiral baten, ob wir sie nicht wegexpedieren dürften, hatte er nur ein »Halt's Maul« zur Antwort. Heiliger Georg, Jehova, haben wir ausgewachsenen Männer denn kein Recht mehr, für unser Land, unsere Ehre, unsere Schiffe, unser Leben zu kämpfen? Jetzt fange ich auf einmal an, gründlich zu verstehen, was sie da drüben in der Mandschurei empfunden haben müssen, wenn Kuropatkin unaufhörlich aus einer Stellung in die andere zurückkroch ohne Schwertschlag, bei Tag wie bei Nacht floh, sich immer und ewig aus dem Staub machte ohne jemals etwas anderes zu ernten, als Greinen, Prügel und Tod! Herr Jesus, hilf mir du meine Mutter Madonna! Soll ich mich auf der Stelle erschießen?
Ach-hah-hah, vollständig hilflos auf seinem Kasten dastehend, das Haar steif wie ein Kamm am Rückgrat entlang, also verbrauchte Gregorow die letzten Überreste der Kräfte seines Herzens, seines Gehirns, unter nutzlosen Protesten!
Er rief alles Böse millionenweise herab, über jeden Mann auf dem Schiff, über jedes einzelne Mitglied der Besatzung der ganzen Armada von oben bis unten, über jede einzelne Schiffsrippe, jeden Nagel, jedes Niet.
Er raste wie ein Berserker gegen sich selbst, weil er nicht längst unaufhörliches Aufheben über alles in der Flotte gemacht hatte: über die viel zu wenigen Übungen im Schießen und im Evolutionieren, über den schwindelnden Eigensinn des obersten Führers, über höchstdesselben wahnsinnige Angst der Selbständigkeit seiner Untergebenen auch nur den kleinsten Spielraum zu lassen, über sein imbezilles Sichdarananklammern, daß auch nicht das Geringste ohne seinen persönlichen Befehl geschehen durfte – der trotzdem regelmäßig ausblieb, wenn es so weit war ... ja, ja, ganz und gar Kuropatkins Unmöglichkeiten in erneuerter Auflage!
Er endete damit, sich selbst die Hauptschuld an dem Ganzen beizumessen: warum hatte er doch nicht beizeiten die sämtlichen andern Offiziere bewogen, allen Ernstes Einwendungen zu erheben? warum hatte er nicht eine Adresse in Umlauf gesetzt, warum hatte er nicht dafür gesorgt, daß der Schwächling abgesetzt wurde? und warum hatte er nicht im Namen aller Mann an den Zaren geschrieben, und um einen besseren Führer gebettelt, den Kaiser angefleht, unverzüglich Ja zu sagen zu Roschdjèstwenskijs Gesuch neulich, das Kommando auf Grund von »Krankheit« niederlegen zu dürfen, ja, ja, hörst du, Maxim Mikailowitsch: es ist hauptsächlich deine eigene Schuld! Je mehr du sahst, daß kein anderer protestieren wollte, um so mehr war es deine Pflicht, es zu tun! Über dein Haupt kommt das Ganze! ... Ja, unter dieser grenzenlosen Zugabe von Selbstverachtung hieb Gregorow, vollkommen todkrank von Qual, vernichtet von der eigenen Schande wie von der anderer, seine beiden Ellbogen auf das Geländer nieder, verbarg sein Antlitz in den Fäusten, fing an laut zu schluchzen wie ein Schulknabe, vor Verlassenheit und Elend – und vergaß dann, bebend vor Weinen und Unwiederbringlichkeit nach und nach alles um sich her.
Ja, ja, Herr du-hu-hu mein ewiger Hi-Himmel, er stand unnachweisbar lange dort oben, und fühlte alle seine Inwendigkeiten entschwinden.
Sein Herz gab total jegliche Form des Lebens auf.
Sein Kopf nahm Platz in einer Westentasche.
Er wurde ganz kaput.
Bankerott ...
Auf diese unerhörte Fasson ging es also zu, daß er in dem Maße jeder Fähigkeit zu gesunder Auffassung beraubt wurde – so daß schließlich, als die Oberleitung endlich zu guter Letzt so ganz allmählich begann sich genötigt zu fühlen ein ganz klein wenig zu unternehmen, er konsequent alles was geschah vollständig obenhinaus verkehrt beurteilte. Und so wirbelte er sich peu à peu unauflöslich in eine Schar von rein phantastisch überschätzten Beobachtungen hinein!
Verstehen Sie: als die Armada, etwa eine Stunde vor Mitternacht, sich wirklich endlich in Schlachtordnung formierte: mit der ersten Division unter Roschdjèstwenskij selbst an der Tete, die beiden anderen gepanzerten Abteilungen (die des längst entschlafenen Völkersahms und Nebogatoffs) gleich hinterdrein im Kielwasser der vorderen. Und die Transportschiffe plus Kreuzer ein wenig hinterdrein, steuerbord – – – ja, da erschien ihm sogar dies viel zu späte und viel zu unbestimmte Zeichen erwachender Bedachtsamkeit ein so überaus glückseliger Gegensatz zu der voraufgehenden Unwirksamkeit zu sein, daß sein verstorbener Verstand sich plötzlich einbildete: nun sei das Wunder geschehen, nun würden wir wahrhaftig schon siegen, nun war bei Gott alles gewonnen, hip, hip, halleluja!
Und als er weiter bald darauf beobachtete: erstens, daß der alte steifbeinige »Wladimir Monomach« seine so gut wie zahnlosen Gaumen schamlos entblößt, hinausgehetzt wurde, um die »Idzumi« mit einem quieksenden Gekläff wegzujagen; zweitens, daß jener Gegner (der in Wirklichkeit zu diesem Zeitpunkt längst fertig war mit seinen Observationen, so um elfeinviertel Uhr) augenblicklich den Schwanz zwischen die Beine nahm und verschwand, nur bei dem greulichen Anblick unseres sich nähernden apoplektischen Panzers; und drittens, daß sowohl die »Orel« als auch andere Kameraden ungefähr gleichzeitig anfingen mit Schuß auf Schuß um sich zu beißen – freilich vollständig planlos, aus einer viel zu großen Entfernung, wo kein Geschoß treffen konnte, und das Feuer nur infolge eines Mißverständnisses von Seiten ihrer Kommandanten eröffnend ... jawohl, jaha, ja, beim Anblick einer so gewaltigen, kriegerischen Entfaltung verlor unser Kapitän auf der Stelle die letzte übriggebliebene Bagatelle an Vernunft und Urteilskraft! er wurde kanonenberauscht von imbeziller Wonne, seine längst dreiviertel krepierten Nerven zappelten krampfhaft auf und nieder durch seinen hinsiechenden Korpus, er leckte sich selig die eingedörrten Lippen, schmatzte mit dem Mund voll Schleim, fand jede Unordnung in der wundervollsten Ordnung, und war von nun an so lieblich blind, daß er ausschließlich rosenrot sehen konnte!
Darum wurde er selbstredend auch nur noch froher bewegt, als Roschdjèstwenskij – schon eine Viertelstunde später, in erhabener Majestät von neuem alle möglichen Rücksichten auf den Feind aufgab, und statt dessen einen so bürgerlichen Befehl ergehen ließ, daß die Mannschaft unverzüglich ihr warmes Mittagessen haben sollte: lassen Sie absolut keine Minute über den gewohnten Glockenschlag vergehen, binden Sie ihnen sofort einen Kleckerlappen unter die Schnauze, und füttern Sie sie gehörig!
Und es war natürlich nur ein neues Extrapläsir für Gregorow, als dieselbe Exzellenz eine Weile später, ganz ebenso unvermutet, auf einmal zu der entgegengesetzten Äußerlichkeit überging, und, jäh erschrocken durch die Begegnung mit einer chinesischen Dschunke, sich einbildete, daß die sicher im Begriff sei Minen zu legen – und deswegen abermals die Formation änderte, sich weiter in die beiden ewigen Kolonnen verfügend, nur mit dem hervorragenden Unterschied: daß es diesmal Völkersahms Leiche, Nebogatoffs Blechtöpfe und Enkwists Kreuzer waren, die die linke Linie bildeten – während sein eigenes Geschwader die rechte einnahm!
Jahaha, ja, ach Gott, beschütze und bewahre mich, all dieser Unsinn und Trödel, und dies Hin und Her, das die Herzen von uns andern allen mit Schmerz, Scham und Verzweiflung erfüllte, das nahm Maxim Mikailowitsch dankbar und freudestrahlend für gute Ware, glaubte, es sei göttliche Weisheit, rieb sich aufgeräumt die Hände, gleichsam grinsend vor Zufriedenheit ... genau so wie die Herren Weronoff und Bobr es Peter Romanowitsch bald darauf berichteten.
Aber ferner geschah darauf folgendes: was Luschinskij indessen niemals zu wissen bekam: daß genau von dieser Minute an, um zwölfeinviertel präzise, Gregorows sinnverwirrter Humor beständig fortfuhr zu steigen.
Er wurde von Stunde zu Stunde höher und heller – er schwindelte meilenlang über alles hinauf, was er bisher jemals gekannt hatte.
Er schwankte sich unermeßlich über die Wolken empor, wo der Himmel ist immer blau.
Er konkurrierte mit der Sonne, in bezug auf Schein und Glut ...
Jedoch, ohne daß der Kommandant deswegen irgend etwas von seiner kostbaren Zeit vergeudet hätte.
Im Gegenteil.
Er hatte unaufhörlich außerordentlich viel zu tun – freilich auch das auf eine ganz andere Weise als jemals zuvor: nämlich indem er holdselig lächelnd auf und nieder wanderte auf der untersten, vordersten, so wohl geräumigen wie schönen Kommandobrücke seines stolzen Schiffes, seine kleinen, drallen Hände eckig und ultrazufrieden vor sich in der Luft hin und her bewegend, erzmunter auf den Füßen steppend in seliger Unwissenheit darüber, wie die Knie einmal über das andere einknixten und Kastagnetbegleitung unter ihm bildeten – und ohne das geringste davon zu ahnen, daß sein Gesicht, das infolge von Schlaflosigkeit und tödlicher Müdigkeit allmählich sonderbar bleichfett geworden war, grauenvoll gedunsen über dem Kragen seiner Uniform aufragte ... ne, dergleichen Kleinigkeiten observierte sein großer Sinn ganz und gar nicht, denn er war dahingegen in full speed mit nichts Geringerem als mit dem Austüfteln eines glänzenden Schlachtplanes, der ihm eingefallen war – mitten während der glücklichen und ehrenvollen Affäre vorhin zwischen dem Greis »Monomach« und dem Springinsfeld »Idzumi«.
Während der ersten Minuten dieser Erwägungen war er noch imstande gewesen, es sich einigermaßen klarzumachen: daß alle diese Planentwürfe sich ja nur darum drehten, was er getan haben würde, wenn er der Leiter der Flotte gewesen wäre – wenn er Roschdjèstwenskij, oder wenn Roschdjèstwenskij er gewesen wäre: ... aber selbstverständlich vergaß er schon ganz kurz darauf das unbedeutende kleine Wort wenn, und grübelte also entzündet weiter, von nun an ganz sicher davon ausgehend: daß natürlich die ganze Armada enormen Nutzen aus seinen tiefen Ausbrütungen würde ziehen können:
Meine Herren – entschloß er sich, in bezug hierauf bei Gelegenheit zu den zusammengerufenen Kommandanten der übrigen Schiffe, oder auf alle Fälle zu den Offizieren auf seinem eigenen, zu sagen; freilich ohne sofort seine Pläne zu verraten, die teils auf einer ungeheuren Kenntnis von Togos gewöhnlicher Taktik und teils auf dem Bewußtsein von unseren eigenen winzig kleinen Schwächen begründet waren – die aber im übrigen eine Überraschung für sämtliche Kameraden sein sollten, wenn der Kampf begonnen hatte:
Gentlemen – damit wollte er die Rede einleiten: lassen Sie uns an die Arbeit gehen, wir haben keine Minute Zeit zu vergeuden! Sie sehen, daß auch ich mich nicht schone. Wir haben noch ein paar Stunden bis zum Beginn der Schlacht, lassen Sie uns daher noch einmal alle Details nachsehen, sämtliche Kleinigkeiten, Karveelnägel, Ecken und Winkel, ob alles in der vorzüglichen Ordnung ist, wie ich es froh vermute! Ja, lassen Sie uns wieder einig sein, in dem Erinnern: daß je mehr wir zu besorgen auf uns nehmen – um so mehr bekommen wir auch wirklich ausgerichtet, nicht wahr?
Das ist meines Lebens Maxime!
Das ist sozusagen dieses Schiffes Maxime Mikailowitsch Gregorow, hahaha! ...
Er hielt kichernd in seinem Marsch inne, sah sich zwinkernd um mit seinen verrückten Augen, seine Beine bogen sich schlaff unter ihm – er hatte plötzlich ein unbestimmtes Gefühl in seinem rechten Ohr, als habe er laut geredet ... und beschloß aus dem Grunde, mit einem lächelnden Kopfschütteln über seinen eigenen großen Eifer, lieber seine Untergebenen jetzt zusammenzurufen, während man so herrlich in Feuer und Flammen war, wie?
Ergo räusperte er sich höflichst den Hals, strich sich sorgfältig über die Stirn, wunderte sich einen Augenblick darüber, daß seine Arme so merkwürdig schwer zu heben waren (waren es etwa ihre Kräfte, ihre unendliche Muskelfülle selbst, die sie so gewichtig machten, ja, wahrscheinlich!), klemmte den Mund resolut zusammen, zog die Winkel bestimmt und schneidig herunter, fuchtelte mit der Hand herum, ohne zu fühlen, daß er dabei seine Knöchel gegen eine scharfe Kante zerschlug, und memorierte von neuem, beständig zu den gedachten Zuhörern gewendet – selbst sowohl stolz, als auch ein wenig erstaunt über die Leichtigkeit, mit der er ihm ganz unwillkürlich, ein Strom von Worten aus dem Munde fiel, die er im Grunde gar nicht die Absicht gehabt hatte zu äußern: diable, welche oratorische Kraft ist auf einmal in mir geboren, nicht wahr, es ist die Macht der Verhältnisse, die mich stärkt!
»Meine Herren!
Der Admiral hat mich, wie gesagt, neulich beauftragt, Ihnen einzuschärfen, daß an der Munition gespart und wiederum gespart werden soll!
Ja, aber zum Teufel damit – denn er sagte noch sehr viel mehr: Dinge, die zu hören mir eine besondere Freude war. Er wies nämlich in hohem Grade darauf hin, wie militärisch und schlau er sich benommen habe, indem er den Feind mit dem falschen Glauben überfüllte: daß wir hier auf der Flotte alle wie ein Mann den Mut und den Kopf verloren hätten!
So habe er zum Beispiel vor einigen Tagen in einem gewöhnlichen Chiffretelegramm – das auch ganz richtig von dem Stab des ganzen Flaggschiffes gelesen war – den heiligen Zar um Erlaubnis ersucht, sich krank melden und das Kommando einem anderen überlassen zu dürfen: was natürlich Togo veranlassen wird, allerlei leichtsinnige Torheiten zu begehen, in der Überzeugung, auf diese Fasson von seinem ärgsten Gegner befreit geworden zu sein! Nun, aber weiter äußerte der Admiral zu uns Kommandanten, scheinbar privatim und im tiefsten Vertrauen, in Wirklichkeit aber offenbar darauf fußend, daß auch diese Mitteilung auf irgendeine Weise die Japaner erreichen würde: daß sich diese offenbar jetzt die neuen brisanten Sprengstoffe für ihre Geschosse angeschafft haben; sie sollen von unerhörter Gewaltsamkeit sein, bis zu der vierdoppelten Wirkung unserer eigenen: sie würden nur mittels eines einzigen glücklichen Treffers unsere Fahrzeuge in Grund und Boden bohren können – meinte mein Freund Rosch! und außerdem – fügte er hinzu: kann Togo gleichfalls, wahrscheinlicherweise, über ungefähr zwei Dutzend Unterseeboote verfügen, diese in hohem Grade gefährlichen, sowohl unsichtbaren als auch unhörbaren Wasserschurken, denen kein Schiff zu widerstehen vermag. Und wenn wir da hinzufügen – so schloß er: daß die Nipponesen kriegsgewohnt sind, daß ihr Schießen vorzüglich ist, ihre Kästen sich in der brillantesten Verfassung befinden, ihre Besatzungen ausgezeichnet trainiert und zusammengearbeitet sind, ja, dann werden Sie wohl begreifen, welcher Art die Aussichten sind!? ...
Hahaha, nicht wahr: dergestalt lauteten die Worte des Chefs an uns!
Kurz:
Der Admiral ließ uns auf diese feine Weise, wie er dies auch in seinem Tagesbefehl an die ganze Flotte angedeutet hatte, den glänzenden Plan erkennen, den er zweifelsohne geschmiedet hat – und von dem er übrigens meiner Meinung nach hin und wieder Bruchstücke verraten hat, vom ersten Anfang der Fahrt an; oder wenigstens seit der schlau arrangierten Affäre bei den Doggerbanks!
Und sein Dessin geht also darauf hinaus, nehme ich an: – den Feind vollständig in die wahnsinnige Vorstellung einzuhüllen, daß wir nervös, ängstlich, unsicher sein sollen ... alles natürlich nur, um ihn desto mehr konfus machen und erschrecken zu können, wenn er auf einmal unserer faktischen, eklatanten Kampfbereitschaft gegenübersteht! Ist das nicht formidabel? Und ich will bei dieser Gelegenheit noch erwähnen, daß auch ich, nach schwachen Kräften, eine nicht ganz unkluge Kriegslist ausfindig gemacht habe, die sich zum Teil auf dasselbe Prinzip begründet; ich habe mit anderen Wor ... na ... haha, st-st, warten wir noch ein wenig damit!
Meine Zuhö ...
Meine Herren! Der Ausfall der Schlacht kann folglich kaum bestreitbar sein!
Wir haben die Submariniers, wir haben Togo, wir haben den enormen Shimose gegen uns – aber wir haben den genialen und kampflustigen Admiral Roschdjèstwenskij; wir haben meinen persönlichen, auf genauen Observationen und eingehenden Studien von der Geschichte des Seekrieges begründeten Schlachtplan; wir haben außerdem die ganz minutiöse Ausbildung unserer Mannschaft, wir haben die erprobten Schiffe, wir haben den töricht sicheren Übermut des in komplett irreführende Begriffe gehüllten Feindes – und wir haben endlich auch den Geist mit uns! Die Kämpfe in der Mandschurei haben von neuem meines Dragomiroffs Satz bewiesen: daß der moderne Krieg keineswegs allein von der Fähigkeit des Höchstkommandierenden abhängt, sondern Gott sei Dank ebensoviel von dem privaten Mut der subalternen Führer, von ihrer moralischen Spannkraft, ihrem auf einmal robusten und erleuchteten Wesen! Und ich will Ihnen in dieser Veranlassung noch einmal wiederholen: daß die Tapferkeit, die ich früher immer bei Ihnen allen gespürt habe, die kann uns niemand nehmen, nein, die kann sicherlich ni ... die kann ... habe ich nicht recht? ... meine Herren ... meine ...«
Er entdeckte plötzlich, daß er sich – wie es nun zugegangen sein mochte – in sitzender Stellung auf dem Fußboden der Brücke gesunken befand, die Beine erstarrt durch das Gitterwerk gespreizt, den Kopf bleischwer gegen einen von den Strebepfeilern des Geländers gelehnt.
Eine Flocke des Kohlenrauchs, der pechschwarz aus dem Schornstein über ihm bullerte, saß wie ein Holzsplitter in seinem linken Auge.
Tief unter ihm zitterten die Wirbel der Schrauben.
Er kicherte verlegen, verbarg seine momentane Verwirrung hinter einem Husten und einem breiten Handballen, versuchte mit Erfolg wieder auf die Füße zu krabbeln, stützte sich besser mit den Armen – und fuhr dann fort, sich wiederum an die zahllose Schar unbezähmbar kampfeifriger Offiziere wendend, die er binnen kurzem um sich zu versammeln gedachte, um ihre fröhliche Neugier in bezug auf seine Absichten zu kitzeln:
»Well, wir haben, wie Sie sehen, nicht den geringsten Grund unserem Glauben den festen Boden verlieren zu lassen!
Im Gegenteil.
Weit davon entfernt.
Unsere Kräfte sind größer denn je. Wir sind Männer. Ich habe persönlich niemals meine Zeit vertrödelt, weder mit Redereien, Grübeleien, oder mit der Anbetung von Ideen. Und ergo habe ich zu handeln – welcher Pflicht ich, wie Sie bemerkt haben werden, mich auch auf keine Weise zu entziehen gedenke.
Und ebensowenig will ich mich über den Premierleutnant Bogduroff beklagen, dessen erst vor wenigen Stunden begangener Selbstmord außerdem heimlich gehalten werden muß, sowohl vor Ihnen, meine verehrten Kameraden, wie vor der Mannschaft ... nein, ich will am mindesten von allen, sage ich, diesem Helden irgendeinen Vorwurf machen – obwohl vielleicht niemand von Ihnen fassen wird, was ich empfand, als ich vor kurzem in seiner bespritzten Kammer stand, und in das knochenweiße Gesicht meines alten, vieljährigen Freundes und Kameraden starrte, in dem keine Hoffnung zurückgelassen war ... ach Gott, hören Sie: sein starres und bleiches Antlitz, in dem die Augen und die Schußwunde wie drei dunkelumrandete Brunnen saßen, die kohlschwarz tief, tief hineinführten, ganz hinein in meines eigenen Herzens tödliche Unruhe, ja, hinab in eine Hölle von Grausen ... haha ... offen gestanden ... nicht wahr, das heißt: mich beeinflußte der Anblick, hol' mich der Kuckuck, nicht die Bohne, ich bildete mir keineswegs ein, einen Zusammenhang zu erblicken zwischen Fedor Werowitschs Tod – und all dem Wahnsinn ... ich meine natürlich: all dem scheinbaren Wahnsinn (beachten Sie das wohl!) auf den der Admiral heute morgen verfiel! Nein, nein, meine geehrten Herren, ich bin in diesem Moment so frisch wie nur je zuvor, nie in meinem Leben ist mein Tatendurst so groß gewesen wie jetzt, das sehen Sie ja selbst! Tod und Teufel, Messieurs, Sie stehen hier und bummeln, scheint es mir fast: benutzen Sie die Zeit, rappeln Sie sich auf, lassen Sie uns das Schiff zu einer Burg aus Stahl machen, zu reiner Granate mit Schimose, wir zerschmettern den Feind mit unserer überlegenen Ruhe, mit einem Lächeln brechen wir ihn mitten durch: ich habe einen vorzüglichen Plan, – wenn ich es selber sagen darf!
Ich verspreche Ihnen Sieg!
Ich verspreche Ihnen unverwelklichen Ruhm!
Meine Herren, nein ... was ich eben sagen wollte ... öddö ... ja: ich habe nimmer (so wie Fedor Werowitsch, Gott segne ihn und sei ihm gnädig, meinem Uralten Freund): ich habe niemals meine Amtspflichten meinen persönlichen Idealen geopfert! Denn wer das tut – der steht und fällt ganz einfach (wie ich so oft zu Bogduroff gesagt habe!) zusammen mit diesen seinen Götzen; er weiß es vielleicht selbst nicht; aber ich weiß es; denn es ist wahr!
Ja, aber ich, meine geehrten Kameraden, ich, Maxim Mikailowitsch Gregorow, ich wählte meiner Zeit den Beruf des Seeoffiziers – keineswegs, weil ich mir einbildete, daß es für Rußlands Wohl und Gedeihen geschehe, sondern kurz und gut: weil ich meinte, daß ich da hinein paßte! Da lagen hoffentlich meine Fähigkeiten – sintemal alle meine Wünsche und mein Sehnen nach der Richtung zeigten! Nun ja, ich will mich nicht über mein Schicksal beklagen, aber glauben Sie mir: allzu gemütlich ist meine Laufbahn als Militär keineswegs gewesen!
Geboren von einem subalternen, einem tapferen und braven, aber vollkommen mittellosen Offizier, bin ich beständig ohne eine Spur von Protektion dagestanden.
Ich habe Jahre hindurch gestritten und gelitten.
Auf meinen Fahrten mußte ich das meiste von meiner Seezulage zusammensparen; wenn ich nach Hause gekommen war, saß ich stundenlang in den Bibliotheken und studierte Kriegskunst, Mechanik, Maschinenlehre und Ballistik – und in meinen Mußestunden war ich Lehrer.
Ja, ich habe während meiner Lebenszeit in im ganzen sechzehn Mädchenschulen unterrichtet – das rechneten meine Frau und ich aus, ehe ich auf diese Fahrt hinausging.
Ich war dazu gezwungen, um existieren zu können.
Aber die Herren ahnen kaum, wie viel so eine Schar von wohlerzogenen Töchtern aus guten Familien einem Lehrer zu schaffen machen kann. Zum Beispiel vergesse ich es nicht leicht, als sie damals entdeckt hatten, daß ich in meinem Frühstückspacken mir ... ja, nun ja ... daß ich es in der Regel vorzog, Schmalzbrot zum Frühstück zu essen: und dann, den nächsten Tag hatten es diese Mädchen, bei meiner Seligkeit, in aller Heimlichkeit fertiggebracht, mein Wachstuch zu öffnen, und alles Brot mit länglichen, viereckigen Scheiben zu belegen, die sie (sehr zierlich übrigens, das läßt sich nicht leugnen) aus dem roten Lederbezug des Kathederstuhls herausgeschnitten hatten, ké, eh bien, haha, ohne Witz war das nicht, und etwas Böses hatten sie auch nicht damit bezweckt ... aber amüsant war es nun gerade nicht, als ich, sehr erfreut aber doch ein wenig bedenklich über diesen Luxus von Seiten meiner Frau, leckerhaft die Zähne in den ersten Mundvoll hineinhieb, und ihn absolut nicht durchgebissen kriegen konnte, jaha, Sie sehen selbst, daß ich über diese Geschichte lache; aber als die jungen Mädchen sie weitererzählten und sie schließlich der Vorsteherin zu Ohren kam – da verlor ich doch meine Anstellung an dieser Schule; das waren achtzehn Rubel im Monat, die dahintanzten, alias Zigaretten und das Bier am Abend und unser wöchentlicher Theaterabend, worauf ich für ein halbes Jahr Verzicht leisten mußte! Kurz und gut, mein Prinzip, diesen an und für sich wirklich sehr liebenswerten jungen Damen gegenüber, wurde schließlich das ganz Entgegengesetzte von dem, woran ich sonst immer festgehalten habe: nämlich, mich daran zu gewöhnen, nach irgendeiner Richtung hin irgend etwas von meinen Schülerinnen zu verlangen!
Ja, haha, aber was soll man sagen, ich bin wirklich gezwungen, etwas nebenher zu verdienen!
Und, meine Herren, ich erwähne das auf das Ausdrücklichste: meine gute Gattin hat mit treuem und opferwilligem Herzen meine Schickungen mit mir getragen, in Gutem wie in Bösem!
Wenn ich müde und überdrüssig war, weil ich nie eine Art von Anerkennung fand – dann hielt sie mich gar manches Mal aufrecht: arbeite du getreulich weiter, lieber Maxim Mikailowitsch – pflegte sie zu sagen: denn wer arbeitet, wird alle Sorgen vergessen und bekommt was zu essen; aber Dank allein gibt weder Brot noch Wein! ... Ja, so hat meine Frau oft zu mir geredet, wenn ich den Mut sinken ließ, und ich rühme mich dessen offen!
Mit kurzen Worten, meine geehrten Kameraden, ich stelle sicherlich keine Forderung als Hero, Leander oder als sonst ein Held betrachtet zu werden, das mag Gott wissen – aber ein Mann, der in seinem Leben etwas getan hat, daß weiß ich doch, daß ich bin, so gut wie nur einer!
Es ist keineswegs umsonst, daß ich noch heutigentags mit Ehren die Uniform als Kommandant in Seiner Heiligen Majestät Kaiser Nikolaus des Zweiten Marine trage!
Der Zar lebe hoch! ...«
Er stellte sich auf mit gespreizten Beinen, rieb sich sehr schnell über seine Augen mit seinem wollenen Ärmel. Er hatte die Mütze ganz hinten im Nacken; und das Kinn hielt er erhoben.
Dann sah er nach seiner Uhr mit einer fröhlichen Miene, stellte fest, daß es halb eins war; er nickte befriedigt und zustimmend. Fing dann an, sich lächelnd umzusehen, eine jede Beobachtung mit lustigen und sympathisierenden Kopfbewegungen begleitend:
Der dünne Nebel hatte sich noch ein wenig gelichtet.
Nur unten am Horizont ließ er See und Himmel im Dunst ganz zusammenwachsen.
Hin und wieder aber zerriß der Schleier vollständig für einen Augenblick: kurz, ein fast ideales Wetter für eine Flotte, die, wie die unsere, infolge geheimnisvoller und schlauer Pläne, sich gern unbemerkt direkt an den Feind heranschleichen will, um dadurch den Vorteil zu vernichten, in dem sich derselbe unverkennbar befindet, weil er im Besitz von besserem Geschütz, gründlicher ausgebildeter Artillerie, und neueren und stärkeren Sprengmitteln ist!
Die Sonne machte übrigens das Wasser hübsch blau; man zwinkerte vergnügt.
Die Wellen rollten kurz und steil – ihre weißen Kämme schäumten hastig auf, hier und da.
Der Wind flog aus Südwest vorüber, steif und kühl, ah, behaglich! Er kochte dumpf im Scheinwerfer, der einem zur Rechten in die Höhe ragte; er pfiff steigend und fallend in den Bardunen des Schornsteins gerade hier hinten; und es klang fein – oh, ein winzig schwacher, heimatlicher Ton wie vom Samowar – in der Mündung der Revolverkanone, ach, meine liebe Dosia, meine treue Gattin, freilich, wir haben uns im Grunde brillant durchgearbeitet, wir beide; ich hoffe ganz bestimmt, heute zu avancieren (wie ich dir ja auch neulich schon kritzelte, so weit ich mich entsinne, oder habe ich mich erst später dazu entschlossen?) ich habe die besten Aussichten von der Welt! ...
Er lehnte seine Unterarme schwer gegen die obere Stange des Geländers, und lauschte gewohnheitsmäßig dem Zittern der Maschinen dahin durch: ja, surr-surr-surr, vorzüglich, überhaupt ein glänzendes Schiff dies hier, von oben bis unten, wirklich exzellent, der reine Blödsinn, was sie seinerzeit daheim gesagt und geschrieben hatten, daß es kentern und untergehen würde, wenn es nur einen einzigen unglücklichen Schuß bekäme, Unsinn, da war, weiß Gott, nichts auszusetzen an dieser stattlichen Fregatte – abgesehen von der unbedeutenden, täglichen Reparatur der Steuermaschinen etcetera, an die man sich außerdem allmählich so gewöhnt hatte, daß man sie ungern entbehren möchte; und die einen obendrein gar nicht direkt angingen, sondern entweder den Oberingenieur, Herrn Politowskij oder unseren eigenen Levinsohn, nicht wahr?
Unter ihm staken die beiden vordersten 15,2-Zentimeter ihre körperdicken Rohre kolossal vor; blank und graubraun ragten sie aus dem massiven, rechtwinkligen Panzer heraus, der sie beide umgab wie ein zuverlässiger dreiflügeliger Stahlwandschirm mit einem Dach darüber; es zitterte ein bronzegoldener Streif von Sonnenlicht an dem Teil ihres Rückens entlang, der außerhalb des Schildes war. Er streckte den rechten Arm aus, eine Sekunde, und versuchte die vier Ellen hinunterzugelangen und die Kanone zu streicheln; ach, diese lieblichen Kerle aus Erz, wie, und von diesen Ungetümen haben wir nicht weniger als zwölf hier an Bord, paarweise auf beiden Flanken des braven Kastens aufgestellt, vorne, wie mittschiffs und achtern; ja, hier steht ihr stumm und gehorsam und wartet, bis ihr brüllend einen Zahn aus Eisen in den Feind hineinhacken könnt, haha, nicht wahr, ach Gott, ihr meine lieben Freunde, erst heute weiß ich plötzlich, wie innig ich euch liebe, ja, ja, bald kommt eure betörende Zeit voll Donner und Blitze!
Sein Blick wurde feucht, er mußte ihn abwenden – und er glitt blinzelnd an dem Fußboden der obersten Brücke entlang, der die Decke über seinem aktuellen Standpunkt bildete; dann passierte er vorüber an dem kyklopischen Turm mit den beiden ungeheuren, mehr als klafterbreiten 30,5-Zentimetres, zu denen er obendrein das Gegenstück drüben in der achteren Kuppel hatte; und gelangte endlich über die Rundung des Vorderstevens hinaus, über die hin und wieder ein silberweißer Wasserstreif aufspritzte und auf das Deck hinabrieselte – –: hoho, ja, dies ganze mächtige Schiff, das man mühsamlich hier herübergeführt hatte, durch Gefahren, Beschwerden, Dutzende von Stürmen, Hunderte von Schwierigkeiten, Millionen von Sturzseen; das man Tag und Nacht in seiner Hand getragen hatte, in seinem Sinn, meine Herren: hier drinnen in seinem Herzen!
Sehen Sie, Gott hat es mir und meiner Frau versagt, Kinder zu bekommen (leider, denke ich oft, wenn ich meine Dosia des Nachts schlaflos seufzen höre – obwohl ich wahrlich nicht ahne, woher ich das Geld hätte nehmen sollen, um sie zu ernähren, zu kleiden, ihnen einen standesgemäßen Unterricht zu verschaffen) nun ja, aber für mich ist dieses ansehnliche Schiff eine herzliebe Tochter, ein Lieblingskind, mein Täubchen, haha, wie beliebt, eine kraftvolle Dirne, wie, nun soll sie binnen ganz kurzem den Herren eine Probe davon geben, was sie und was ich wert bin, jaha, ich habe wie gesagt, einen Plan, ich entschleiere ihn noch nicht, erst in dem Augenblick, wo sich die Schlacht am allerschlimmsten gegen uns zu wenden scheint, erst im äußersten Moment der Gefahr werde ich zum Werke schreiten, aber dann sollen sie auch, hol' mich der Teufel, sehen, wie das Kindlein total ungeniert diesen Japanern zu Leibe rückt! So nahe, daß sie den Vorteil völlig einbüßen, den ihnen ihr verdammtes Schießen, ihre verfaulte Schimose einbringt, haha! Sie soll, frikassier mich der Deiwel, mit Wucht kokettieren und mit Blicken aus Feuer und Dynamit um sich werfen! Sie soll sie ganz und gar mit feurigen Sprüngen und sehnsuchtsvollen Gebärden blenden! Sie soll liebkosend ihre sämtlichen Knochen zu Farce zerkauen, zu Haché, sie soll ihnen das Mark eimerweise aussaugen wie Delila – während wir sie dazu anstellen, die Mühle unserer privaten Vorteile zu mahlen, bei meiner Seligkeit! Was bedeutet ihre alberne Schimose – auf die Schiffe selbst und ihre Mannschaft kommt es an, Gott sei ewig Lob und Dank dafür! Und mein Plan geht in aller Kürze darauf hinaus: ohne das Schießen des Feindes auf den größeren Entfernungen zu beantworten, ja, ohne es überhaupt im allergeringsten zu beachten, ganz stillschweigend und jemietlich auf ihn loszusegeln ... bis wir ihm quer vor dem Bauch liegen, und dann gehen wir auf einmal los, und siegen in einem Nu, denn einem russischen Angriff aus der Nähe kann niemand widerstehen, das hat Dragomiroff ja auch selbst gesagt – bitte schön, da haben Sie die ganze Bescherung!
Wie beliebt?
Und was sagen Sie nun?!
Nicht wahr, bei Gott und Gold und Golgatha! ...
Er versuchte, sich energisch an die Brust zu schlagen – fühlte sich aber merkwürdigerweise ein wenig matt in den Armen, so daß er es unterließ. Versuchte dann ein stürmisches Freudengelächter anzuschlagen – mußte aber auch das auf eine weniger strapazierende und mehr private Amüsementform beschränken. Tröstete sich damit, daß sogar seine Muskeln also rein instinktiv an Kräften sparten, offenbar, um sie für höhere Zwecke aufzubewahren, als um den Feind zu verhöhnen, der ja doch bald propper pulverisiert werden sollte:
»Ja, kurz, worauf, zum Satan, warten wir eigentlich, möchte es doch nur gleich anfangen! Die Uhr ist ja ... ja, die Uhr ist ja schon ... ja schon fast eins!
Meine Herren – vorläufig also nur noch wenige Bemerkungen:
Sie wissen, daß diese Fahrt unsere letzte Kraftanstrengung ist: diese Armada umfaßt so gut wie alles, was wir an Marine besitzen!
Kuropatkin flieht auf bloßen Füßen durch den Schnee in der Mandschurei, ihn friert. Port Arthurs Wälle sind in des Feindes Gewalt ... in des Feindes Macht, wollte ich sagen. Unsere einst so stolze Flotte dort hat die Ferne gefressen. Und das Geschwader in Wladiwostock hat ungefähr dasselbe finstere Geschick ereilt!
Die Armee hat mit diesen Worten nur uns, an die sie sich halten kann – heute muß es ergo geschehen!
Es gilt Russias Leben, um das wir auf diesen Wassern kämpfen, meine Herren!
Auf diesem Fleck siegt oder stirbt die russische Marine!
Meine geehrten Kameraden!
Ich brauche Sie selbstredend nicht daran zu erinnern, daß der Blick der ganzen Welt in dieser Stunde auf uns gerichtet ist – ja, aber noch weniger ist es nötig, daß ich meiner Überzeugung in bezug auf ein günstiges Ergebnis Ausdruck verleihe! Auf einen schönen Kampf – und einen glanzvollen Sieg! Ja, meine Herren Kollegen, wir Seeleute! Ich werfe mich vor Stolz in die Brust über den Ausdruck, den ich in Ihren Gesichtern lese wie in einem offenen Buch: ich sehe den Gang der Schlacht sich von Anfang bis zu Ende ruhmerleuchtet in Ihren Augen wiederspiegeln! Ich betrachte mit Entzücken, aber ohne Überraschung die Lorbeeren, die blank und schön Ihre Schläfen schmücken, ja, ja, lassen Sie uns diesen letzten Becher Champagner auf Viktoria leeren, Göttin der Männlichkeit, Braut des Helden! ...
Meine Herren, ich glaube nicht, daß ich mich mit jemand von Ihnen veruneinigt habe!
Ich habe nach schwachen Kräften Recht und Gerechtigkeit gezeigt, wo ich konnte; ich hoffe, daß meine Untergebenen es nie gemerkt haben werden, wie herbe ich selbst gegen diese dumpfe Taubheit von oben habe kämpfen müssen, die Sie wohl alle, wenigstens von Hörensagen, kennen ... vielleicht darf ich Sie dafür noch einmal an folgendes erinnern: daß ich auf der anderen Seite daran gewöhnt bin, alles von meinen Offizieren zu verlangen. Gottes Tod, wer heute nicht jede Sekunde seiner Zeit, jede Fiber seines Körpers und seiner Seele gebraucht, den lasse ich degradieren, den lasse ich niederschießen wie ein Schwein, den lasse ich lynchen, auf den Scheiterhaufen mit dem Verräter!
Sehen wir das, kk-kk, ich hoffe, Sie kennen mich zur Genüge!
Nicht wahr, das sollte ich meinen!
Messieurs, Herrgott, heute lebt oder stirbt die russische Marine! Ja, sogar meine Gattin schrieb mir in ihrem letzten Brief: »daß Russia ja nur noch uns hat, darum müßt Ihr ja siegen, wie teuer der Kampf Euch auch werden mag« ... sehen Sie hier ... sehen Sie, meine Herren, sehen Sie, wie meine Brust blutet vor Unruhe für Rußlands Ehre, mein Herz ist eine einzige Wunde, es glüht, es brennt, es tut so weh, mein Kopf ist schwer und taub wie Blei, ich bin todkrank vor Angst und Sorge, i ... bi ... i ...
Ja, aber wir wollen ... wir woll' ... wir wo' ...
Wi' woll' nich' w ... wei ... weinen:
Wir wollen ga' ei'fach siege' statt dess ...«
Er hieb die Hände vor sein Gesicht, schluchzend, bebend – – – aber als er den Schlag gegen seine Backenknochen empfand, erhob er erstaunt den Kopf, lächelte dann verschmitzt und blutig, sah sich lauernd um, schnob plötzlich tief, hickste ein paarmal, zog die Brauen entschlossen zusammen, wohlan, der Sieg näherte sich weiß Gott mit mörderlich schnellen Schritten, selbstredend, aber ist da nicht irgend etwas, was wir zu besorgen vergessen haben ... wie? ... es erscheint mir auf einmal ganz zweifellos; ist da nicht irgend etwas, was ich unterlassen habe, in meinem Plan in Betracht zu ziehen ...??
Er runzelte die Stirn noch mehr, sah an sich herab, strengte sich mit aller Kraft an, auszurechnen: was das doch für ein Ding sein konnte, dessen er sich nicht erinnerte – – aber dann gab er es auf; entschloß sich, noch immer ein wenig ungemütlich durch diese Vergeßlichkeit, auf alle Fälle den ganzen Kasten noch einmal durchzusehen, der Sicherheit halber! Ja, es eilt, jeder Mann muß sich gründlich anstrengen, da ist keine Zeit weder zu Grübeleien, Gefasel, Reden oder Anbeten von Ideen!
Er ließ also das Geländer los, sank dabei ein wenig in die Knie, ging schwankend zwei Schritt vorwärts, focht mit ein Paar sonderbaren wollenen Fausthandschuhen um sich, fühlte plötzlich seinen Schädel sich in einen mürben Granitstein verwandeln, der ihm mit einem Krachen in die Stirn hineinquetschte; es plumste ein ungeheures Gewicht durch seine Schenkel, er strauchelte über seine eigenen Füße – fiel platt vornüber, griff blind um sich, stützte die Hände auf den Fußboden, ließ die Arme schlaff werden, spürte die Rillen der eisigen Eisenplatte gegen sein Gesicht, fühlte wie sich seine Nase flach und kalt nach rechts hinüberbog, schloß die Augen ... und blieb so liegen ... beständig seinen letzten Gedanken murmelnd: daß da noch ve'schie'nes zu beso'gen ... so'gen wa' ... ja ... ve ... ve'schie ...
Dann schmetterte sich eine eiserne Klaue in seinen linken Ellenbogen hinein und zog ihn in die Höhe.
Er scharrte wild mit den Füßen, um festen Boden unter sich zu bekommen.
Eine Flamme durchzuckte ihn von oben bis unten.
Hol' mich der Teufel – dachte er.
Er erhob sich mühsam. Erkannte unbestimmt, daß es offenbar Premierleutnant Orloff war, der im Begriff war, ihm aufzuhelfen.
Gregorow ließ den Blick hastig über das Antlitz des Offiziers gleiten, aber es war Gott sei Dank durchaus kein sonderbarer Ausdruck darin, weder von Amüsement, Verachtung oder Verwunderung, nicht die Bohne.
Und also nickte der Kommandant galant, schlürfte seine Oberlippe auf den rechten Platz hinauf, trocknete den Speichel mit dem rechten Ärmel vom Kinn ab, rieb seine schiefe Nase, stiefelte ein paar Schritte vorwärts, richtete sich mächtig stramm in den Kniekehlen auf, schlug mit beiden Händen nach der Seite aus und begann überlaut die Situation mit wenig Worten zu erklären: ach, haben Sie vielen Dank, zum Teufel auch, danke, danke, sage ich, jetzt ist es gut, halten Sie nur Ihre Finger in Ruhe! Sie können doch wohl sehen, daß ich nur wie ein ungeschickter Tölpel über meine eigenen großen Wasserstiefeln gefallen war, umgepurzelt wie ein Schwein, haha! Aber was geht das an und für sich Sie an – ganz recht, es ist nur ein klein wenig Mangel an Schlaf ... das heißt, ich meine Mangel an Schlaflosigkeit, nicht wahr, nun ja, was stehen Sie da und glotzen! Ich habe es eilig, ich muß so schnell wie möglich hinunter – und auch Sie haben eventuell Ihre Pflichten, Herr Premierleutnant, das will ich sehr hoffen, ich bin gewohnt, von meinen Offizieren alles ..
Damit griff er mit zitternder Hand um das Geländer der Leiter, krabbelte hinab, sich noch mehr aufstrammend, diesmal mit einem Kichern – und fing dann greinend und verwirrt an, durch das ganze Schiff zu stöckern.
Überall, oben wie unten – unaufhörlich vorwärts getrieben von diesem dunklen und nebelhaften Gefühl, irgend etwas in seinen Plänen vergessen zu haben.
Überall.
Ohne es zu merken, wenn er wieder und wieder an dieselben Stellen kam.
Und jedesmal war er himmelhoch zufrieden, daß die Sachen, deren Ausführung er vor kurzem angeordnet hatte, entweder überhaupt nicht in Angriff genommen waren – oder daß sogar das Entgegengesetzte geschehen war.
Hier und da war wohl einer von den Offizieren, der ihn ein wenig erstaunt über seine plötzliche gute Laune anschielte; sie erinnerten sich unbestimmt, wie wutschnaubend er heute morgen über alle Roschdjèstwenskijs Unbegreiflichkeiten gewesen war; aber nach und nach fiel es ihnen ein, daß sie ihn ja schon vor ein paar Stunden zu ihrer Verwunderung so privatim hatten grinsen sehen: was zum Teufel auch war dem Alten nur in die Krone gefahren? Spekulierte er auf Avancement, dieser durchtriebene Kerl, war er betrunken oder toll ... und dann dachten sie nicht weiter über ihn nach.
Andere schielten beleidigt zu ihm hinüber, schäumten auf einmal vor Grimm bei seinem Anblick, ohne eigentlich zu wissen, warum: Herr Jesus, war er nun wieder da, wenn er sich doch nur für sich halten wollte, die Ameise! Nun hatte man eine ganze halbe Woche, weder bei Tage, noch bei Nacht Ruhe vor ihm gehabt, ich habe noch dazu heute so verdammte Kopfschmerzen, pyhh! Zum Henker auch: kann er es denn nicht lassen, uns zu stören in unsern fatalen Betrachtungen der häßlichen Prospekte, die selbstleuchtend vor uns liegen und in unserem Sinne beträchtlich mehr wiegen als sein Gefasel! Zur Hölle mit ihm: was ist das für eine perverse Albernheit, mit der er sich seit heute vormittag wichtig macht ...: jawohl, Herr Kapitän, ja, ja, es sind ja nicht mehr als fünf Minuten her, seit ich Ihnen persönlich zeigte, daß die Löschgerätschaften in Ordnung sind – soweit sie es sein können, uns fehlen ja eine Menge Schläuche, fast dreiviertel; aber die, die da sind, habe ich schon längst an die Hähne sorren lassen, alle ohne Ausnahme, verlassen Sie sich drauf ... und dann sanken sie in sich selbst zurück, glotzten zähneknirschend dem Kommandant nach, und brauchten noch eine ganze Reihe von Minuten, ehe sie so recht wieder zur Ruhe gekommen waren.
Wieder andere weder sahen noch hörten, antworteten nicht, wenn sie angeredet wurden; sie saßen in den Ecken und Winkeln versteckt drinnen bei der Dampfspille in einer Geschützwinde, mitten in einem Wirrwarr von blanken Stahltrossen, glänzenden Zahnrädern, schwarzen, fettigen Ketten – sich in Stummheit und Zigarettenrauch einhüllend. Oder auf der Lafette in dem breiten, niedrigen Raum eines Panzerturms, zirkelrund und dunkel, wo das Öl ranzig roch – den Kopf ganz unten zwischen den Knien. Oder sie standen dort bei den Geschützpforten, oder lehnten ihre viel zu heißen Schläfen gegen die eckigen Bolzen eines Bullauges, hinausstarrend auf das blaue, unendliche Meer – auf den großen Himmel, an dem die weißen Wolken durch die ganze Welt trieben. Oder sie erhoben sich plötzlich mit einem Ruck, fingen jäh an, den Matrosen etwas zuzubrüllen – die in der Nähe ihrer Kanonen standen oder lagen, mit weitgeöffneten, blinzelnden Augen, die mächtigen Fäuste rot auf dem Fußboden herumgrappelnd, krallend und hinterlistig wie Hummer ... Und ebenso schnell wie so ein Eifer die Offiziere befallen hatte, ganz ebenso geschwind verließ er sie wieder: sie zogen sich von neuem in sich selbst zurück, und wanderten zwecklos auf der Batterie auf und nieder, mit den Blicken hoffnungslos in Petersburg herumwühlend, oder in Riga oder Moskau, oder wo sonst auf der greulichen Erde ihre Verwandten und Freunde, ihre Geliebten wandelten.
Jaha, und nicht einer von ihnen allen bemerkte im Ernst etwas Sonderbares an Gregorow – sie waren ja mit Recht über die Zeit hinaus, wo die Umgebung sie allzu viel zu interessieren vermochte.
Aber das genierte selbstredend den Kommandanten nicht – denn er hatte ja seine fixe Idee.
Und darum stürmte er weiter.
Strauchelnd, hicksend, greinend, beständig mit verblümten Anspielungen auf den Schlachtplan, den er hatte, in den Worten stotternd, sich hin und wieder gegen alles anlehnend, was sich in der Nähe befand – so trabte er umher, ewig zufrieden mit dem Ganzen.
Längst hatte er vergessen – daß da etwas war, was er vergessen hatte ...
Die Uhr wurde ein viertel vor zwei.
Abermals war der Kommandant auf der Kommandobrücke angelangt.
Er umfing mit einem leutseligen Blick die ganze Armada – die noch immer in ihrer höchst seltsamen, kilometerlangen, schiefen Doppelreihe dahin wanderte: voran, rechts Roschdjèstwenskijs Division, die vier neuen Schlachtschiffe, worunter auch Gregorows eigenes, bezauberndes. Wohl eintausend Meter von dort, ein wenig nach achtern, auf Backbord, humpelte die linke Linie hinterdrein: Zuerst des Kadavers Völkersahm Abteilung, dann Nebogatoffs – welche ebenfalls beide aus je vier Panzern bestanden – und endlich Enkwists Kreuzer. Ungefähr in der Mitte zwischen uns allen schlenkerten die Transportschiffe, die Kohlendampfer, Hospital- und Werkstättenfahrzeuge in einer gewaltigen, gesammelten Schar dahin – in einem Haufen mit den Zerstörern und unserer Avantgarde, wohl an dreißig Stück alles in allem, von jeder erdenklichen Fasson, Modell, Armierung und Geschwindigkeit. Und ein wenig außerhalb der Linie, nach rechts, gingen »Schemtschug« und »Izumrud«, zwei schnelle Läufer, die uns während des Kampfes behilflich sein sollten, die paar Signale zu wiederholen, mit denen der Admiral die Schlacht zu lenken und den Sieg zu gewinnen gedachte – ohne anderen etwas von der Ehre überlassen zu brauchen.
Langsam, langsam schritt die Flotte vorwärts in der Sonne, kohlschwarz, gewaltig – den stinkenden Qualm aus sämtlichen Röhren.
Jaha, ausgezeichnet – dachte Gregorow, seelenvergnügt zu all diesem Unerklärlichen nickend:
Bravo, eine subtile, eine glänzende Formation – für den Plan, den er ausgeheckt hatte!
In allerhöchstem Grad geeignet, dem Feind die ungeheure Lüge aufzubinden, daß man hier an Bord verrückt, wie auch bestialisch war!
Nicht wahr, vorzüglich!
Wenn doch nur Togo bald kommen wollte, daß wir ihn recht bald in die Finger kriegen! Wo zum Teufel bleibt er nur aber, er muß, weiß Gott, hier in der Nähe sein – sintemal wir seine Vorpostenschiffe schon längst gesehen haben! Gucken wir mal ein klein wenig dahinüber, wo er sich zeigen muß! ...
Der Nebel war verschwunden.
Der Horizont spannte sich, veilchenblau, rings um den Zirkel des mächtigen Raumes.
Ja, und da draußen im Osten – über der gekräuselten See, in dem vergoldeten Schein der Sonne: da erblickte er die Japaner.
Siehe, da brassen sie heran, nördlich um Tsuschima – die lila Klippen liegen auf dem Wasserspiegel hinter ihnen, wie die lange, gezackte Flosse eines ungeheuren Meertieres, das da draußen lauert!
Jetzt kommt der Feind, ich hab' ihn gesehen!
Zum Kampf! ...
Plötzlich walzte eine sonderbar kalte Hand über Maxim Mikailowitschs Wange herab, er erstarrte darunter:
Ja!
Siehe!
Gleich einer entsetzenerregenden Fiebererscheinung von Giganten der Vergangenheit, mit dem dunkelgrauen Rauch als Atem, mit schneeweißem Schaum um Schnauze und Rachen, mit enormen Muskeleruptionen über Rücken und Flanken, vorne und hinten – wie Urmammuts, des Stahles fürchterliche Riesen, wackelten die japanischen Kolosse da drüben heran, den Ozean unter sich zermalmend!
In einer großen, schrägen Linie, einander auf den Fersen folgend, steuerten die zwölf Erzberge auf uns zu, mein Gott, beeilen wir uns und tun wir was wir vermögen! Wollen wir sofort schießen, was soll ich anfangen, Jesus, sieh': das ist Togos allesbesiegende Koppel aus Eisen! ...
Im selben Augenblick wehten von unserm eigenen »Knjàs Ssuworow« Signale, Kielwasserkolonne anordnend – – und diese verspätete Verhaltungsmaßregel war trotz allem imstande, Gregorows Gemüt für eine Sekunde zu erleichtern, er wußte selbst nicht, warum. Ohne es zu ahnen, erteilte er die nötigen Befehle: acht Striche nach Backbord!
Aber gleich darauf, als der Kasten unter beschleunigter Fahrt nach links zu vorwärts dampfte, und sein Blick von neuem den Feind streifte – da empfand er wieder diese unbegreifliche Unruhe tief drinnen in seinem Innern: hatte er vielleicht wirklich vergessen, irgend etwas in bezug auf seinen Plan in Betracht zu ziehen? War da etwas ziemlich Wichtiges, was er übersehen hatte, und worüber Klarheit zu erlangen sein Gehirn sich jetzt vergeblich bemühte? War da etwas ganz Schlimmes im Gange, etwas, das am Ende in Zusammenhang stand mit dem drohenden Anblick der Felsenreihe aus Flintstein und Granit da drüben? ... aber er fand nichts, keine Spur, das Ganze war deutlich genug; nur um Gottes willen das Schießen des Feindes nicht beachten, und ihm gleichzeitig direkt zu Leibe gehen, nichts weiter, da konnte weiß Gott nichts sein, was man vergessen oder worin man einen Rechenfehler machen konnte!
Er streckte lachend seine beiden Hände aus, und kam dadurch dazu, auf Nebogatoffs vier Blechpötte zu zeigen, die jetzt, nach der befohlenen Kielwasserformation, auf einmal die hintersten in der linken Kolonne geworden waren und, vielleicht aus dem Grunde, sogleich in eine noch vollkommenere Verwirrung denn je zuvor gerieten, unter waghalsigen Versuchen, dem Befehl nachzukommen: und je abnormer sie umherplätscherten, sich schwingend, drehend, stoppend, die Fahrt beschleunigend – je mehr auch Enkwists Geschwader und die Transportschiffe den Kopf verloren und nur mit dazu beitrugen, zu genieren; je mehr niemand weder sah noch hörte ... um so fröhlicher rieb sich Gregorow die schweißigen Handflächen, verlockte sich selbst, wieder und wieder, um die sonderbare Unsicherheit tief in seinem Innern herumzuschweben. Immer lauter greinte er, von dieser mysteriösen Auffassung ausgehend, daß alle diese Verwirrung in Wirklichkeit absichtlich vorgenommen wurde, mit voller Überlegung natürlich, oh yes, sieh, wie vorzüglich sich das Ganze anläßt, jaha, eminent schlau von der glorwürdigen Exzellenz, Chaos und Flucht zu fingieren, meisterlich, eine göttliche Art und Weise, dem Gegner grundfalsche Hoffnungen einzuflößen, ihn aufzufordern, sich ruhig zu nähern – bis er an die entscheidende Distanz gelangt, bis er, zu spät, erfährt, daß er in einen Hinterhalt gefallen ist, bis wir seine Kehle mit einem Knacks abbeißen!
Da capo!
Hurra-a-a!
Victo-oho-ohoria! ...
Und als einige von den Schiffen der Flotte, bald darauf, ungefähr fünf Minuten über zwei, auf das Signal des Admirals selbst, aus einer viel zu weiten Entfernung (fast zehn Kilometer) anfingen, das Feuer zu eröffnen: die Luft mit einem Gevatterklatsch von Gekrache erfüllend, das Meer mit Granaten zerpeitschend, und zu diesem Zweck unsere im voraus gar zu knappe Munition vergeuden; noch watend und tastend in einem einzigen Mischmasch, das weder Kielwasserorden noch sonst irgendeine andere bekannte Formation war, einander nach besten Kräften hindernd – – ja, da konnte Gregorow sich selbstredend ebensowenig im Zaum halten, wie Togo da drüben: nein, alle beide knurrten sie aufs äußerste angeregt und hoffnungsvoll, sie begriffen beide, daß ihnen der Sieg jetzt sicher war, sie zeigten privatim ihre Zahnreihen fröhlich für sich – und zogen beständig als echte Gourmands die Situation in die Länge, alle beide, bis der Augenblick kam, in dem sie wußten (freilich von ziemlich verschiedenen Voraussetzungen ausgehend), daß der Biß nicht nur erreichbar war – sondern auch todbringend sein würde! ...
Aber indessen vermochte Maxim Mikailowitsch sich nicht mehr in Ruhe zu halten.
Er mußte irgend etwas Großartiges unternehmen.
Und also folgte auch er schließlich dem Beispiel des übrigen Geschwaders, und ließ eifrig die Trommeln gehen, die Flöten pfeifen, das Spiel rühren zum Klar-Schiff-zum-Gefecht – und wich dabei keineswegs davor zurück, auch selbst Hand mit anzulegen, überall, wo die Verwirrung, die Blödsinnigkeit, das weiße Grauen ihm noch nicht groß genug erschienen.
Und nachher stand er drinnen im Kommandoturm und schwitzte aufgeräumt hinter dem Binokel – während er dem schweren Geschütz ins Telephon hineinkommandierte:
»Granaten!
Achttausend Meter!
Auf das Vorderschiff der ›Mikasa‹! ...«
Die Schüsse stürmten brüllend dahin, gruben blitzschnell ihre Malströme meilenlang in die Atmosphäre hinein.
Die zirkelrunde, kleine Stube aus Stahl – mit den vielen elektrischen Knöpfen, blanken Rohren, Glocken und weißen Porzellansignalplatten – sang krachend und klirrend im Lärm.
Die Luft zitterte und brannte.
Durch den schmalen Spalt, der an dem gewölbten Dach entlanglief, starrte er auf die blaue See hinaus.
Der Observationsoffizier meldete abermals die Entfernung durch sein Sprachrohr – und Gregorow, der plötzlich, beim Anblick des Niederschlagens der Geschosse, das sich noch immer als zu kurz erwies, von neuem eiskalt und bleischwer in seine geheime Angst verfallen war, gerade den entscheidenden Gesichtspunkt übersehen zu haben – wurde für einen Augenblick wieder angeregt, wie vorhin:
»Siebentausendfünfhundert Meter – ich danke Ihnen!« antwortete er, nickte in den spiegelnden Trichter hinein, tickte leise und aufmunternd mit einem Nagel auf die Messingkante – er zog die Brauen insinuant über den Augenrand des Triëderglases hinauf, und steckte leutselig den Kopf vor, alles, um die Unruhe tief drinnen in dem Busen zu betäuben:
»Siebentausendfünfhundert Meter sagen Sie, aha!
Um so besser, um so besser!
Schön, schön!«
Dann stieg da drüben auf der »Mikasa«, Togos Pegasus, ein Signal in die Höhe: fern über der wogenden See, in der goldenen Sonne flatterten die kleinen, bunten Flaggen in Wind und Fahrt mit ihren dreieckigen oder quadratischen Flächen aus Weiß, Blau, Rot oder Grün. Die Japaner änderten ihren Kurs, der bisher dem unseren entgegengesetzt gewesen war, machten Schiff auf Schiff eine Wendung nach Süden und Osten – so daß sie die See durchschnitten, wie ein Messer, fast parallel mit uns.
Und gleich darauf erhob Togo endlich seine Stimme – aber gründlich.
Denn sie sprang wie ein Vulkan ganz bis zum Himmel hinauf, sie war das Brüllen eines sieggewohnten Riesen, der sich mit einer Keule bis an die Wolken aufrichtet und dröhnend alles vor sich niederschlägt; sie war das Donnern eines Gottes aus Feuer ... selbst der greinende Gregorow wich erbleichend zurück bei ihrem Laut.
Ja, der Herr steh' uns bei, Togo erhob seine Stimme aus Erz, aus Untergang für andere: sie zertrümmerte die Weltenräume mit tausend Dampfhämmern aus Stahl, sie zerriß den Ozean bis er in beißendem Rauch aufbrauste! Togo zielte, zu Anfang, hauptsächlich auf die beiden vordersten Schiffe der Russen, die Fahrzeuge ihrer Führer, überschüttete sie wahnsinnig mit Blei und Schimose, mit Felsenblöcken aus Eisen und Pulver; er überwältigte sie von Minute zu Minute mit einer Kaskade aus Granit und Ecrasit, mit einem rasselnden Bergrutsch aus Flintstein und aus feuerroten Blitzen – er donnerte sie in einer Viertelstunde in Brand und Tod, Herr Jesus, was für ungeheure Geschosse die da drüben haben, ach Gott hörst du uns nicht mehr: Togo betrügt, er haut ins Gesicht, er hat einen Todschläger in der Hand, er stößt uns mit Willen zwischen die Beine, ich sterbe!
Jawohl, Lord Togo redete, mit nie zuvor gekanntem Nachdruck, er predigte feurig von seinem Willen zum Siege ...
Maxim Mikailowitsch merkte selber, daß er abwechselnd weiß und blutig im Gesicht wurde, er schwankte auf den Beinen, durch die längliche Fensterscheibe sah er, wie die anderen Panzer in Qualm und Dampf gehüllt wurden, das Meer erhob sich in Geyser, die Luft zerbarst brüllend unter dem Donnerunwetter aus Dynamit und Stahl, mein Gott, sieh, jetzt ragen schon gewaltige Rauchsäulen aus »Ssuworows« Deck auf, vorn wie achtern, jetzt bricht eine turmhohe Flamme aus der »Osljablja« heraus, mein Gott, das alles sieht ganz anders aus, als es mir aus allen anderen Seeschlachten hier im Kriege oder je zuvor erzählt worden ist, was geht doch hier nur einmal vor sich, warum ist das Ganze so entsetzlich zu hören und zu sehen, ist es wirklich nur der neue Sprengstoff der Japaner, der so grauenhaft gegen uns wirkt, oder ist es das personifizierte Asien, das seine gigantischen Zinnen, seinen Himalaja auf uns herunterschleudert – und was habe ich doch nur selbst in meinem Plan vergessen, Jesus, das Leben von tausend Männern liegt in meiner Hand, mein Gott, mein Gott, was soll ich nur tun, was habe ich übersehen ...
Er klemmte bebend die Hände gegen sein Gesicht, puffte mit seinen Ellbogen die Offiziere, die rings um ihn her standen.
»Fünf ... fünftau ... fünftausend Meter!« flüsterte Premierleutnant Ssemenoffs Stimme, langsam, lispelnd auf einmal, eine wildfremde Stimme – da drinnen, hinter der kleinen blanken Metallplatte, im Fernhörer des Telephons; auf der weißen Scheibe vor dem Gesicht des Kommandanten schwang die Nadel lautlos nach rechts, bis sie zitternd bei der schwarzen Ziffer halt machte, die die Zahl angab.
Und von neuem ging eine Erleichterung durch Maxim Mikailowitschs Sinn, als er hörte, daß wir jetzt doch näher herangekommen waren: war der Augenblick also bald nahe, wo wir anfangen konnten, auch eine Wirkung unseres Feuers zu spüren, ah, ja, noch sehe ich die Japaner da draußen, sonnenbeschienen, unberührt von all unserm rasenden Schießen, dahinsegelnd wie zu einem Galamanöver ... Er erhob die linke Hand, zitternd, zu dem Klingelknopf – mit gerunzelter Stirn, grübelnd:
»Panzergranaten! –
Salve!« rief er, ohne es zu wissen.
Und das Telephon echote hinterdrein: – »... anaten: salve!«
Der Schuß ging mit einem Gebrüll hinaus.
Das Schiff dröhnte und klang.
Und gleich darauf bullerte auch das nächste Krachen auf. Der Kommandant riß seine Mütze ab, warf sie schweißtriefend zu Boden, zerrte seinen Rock auf, fuhr sich mit der linken Faust über die Lippen, drehte sich zweimal herum, machte eine Bewegung mit der Rechten, öffnete den Mund und wollte etwas sagen, machte statt dessen kehrt, und lief strauchelnd die kleine Treppe im Hintergrunde hinauf, in die freie Luft hinaus, weg, auf die oberste Kommandobrücke hinauf – ohne auf die Offiziere zu hören, die ihn zurückhalten wollten.
Und da droben stehend, allein, auf dem exponiertesten Platz, mit einer stummen und unbestimmten Hoffnung in der Tiefe seines Herzens – das Haar klatschnaß im Winde flatternd, die graugelben Borsten des Bartes strotzend, während ein ganz winziges, kleines Lächeln langsam um seine mehlweißen Lippen aufsproßte – die Arme nach den Seiten gespreizt, beide Hände um das Geländer klemmend, zu der Sonne hinaufzwinkernd, beobachtete er Minute für Minute den Gang in des Feindes gewaltigem Angriff: wie sie nun, aus der ganzen langen, unstörbaren Reihe, die uns zierlich, Fuß für Fuß da draußen folgte – nicht weiter entfernt, als daß man fast meinte, die Menschen darauf als kleine, schwarze Punkte erkennen zu können – bereits ihr Feuer von unsern beiden führenden Schiffen »Ssuworow« und »Osljablja« abgewendet hatten, die alle beide, vollständig umwogt von Flammen und Rauch, da draußen rechts hilflos umhertrieben – und nun war Togo im Begriff, den übrigen Haufen unserer Panzer mit seinem Geschütz zu überschütten.
Der Himmel war ein einziges Treiben von schneeweißen Flocken, in denen die kolossalen Geschosse – von Manneshöhe, mit einem Gewicht von neunhundert Pfund – wie dunkle, wirbelnde Stöcke hoch oben in der Luft aussahen: und jedesmal, wenn Gregorow ein neues da oben gewahrte, durchzuckte es ihn schaudernd: wird das da uns etwa treffen, was wird es zertrümmern, wen wird es töten, wieviel würden von den drei Treffern zermalmt, die wir, gleich als der Kampf begann, bekamen? ...
Das ungeheure Gebuller stand gellend in der Atmosphäre, zerschlagend.
Der Detonationen unleidlicher Gestank kroch überall hervor.
Des Meeres Geifer ward sichtbar, bleich.
Die russischen Kreuzer erblickte man undeutlich, in weiter Ferne nach Süden zu, wo sie, getrennt von uns andern, kämpften, umzingelt von japanischen leichteren Divisionen, in Dampf und Nebel gehüllt. Die Kanonade von da her ertönte hier herüber, hin und wieder, in einer sekundenkurzen Pause, wie ein meilenfernes, riesengroßes Weinen.
Aber ganz nahe, nach links zu, jetzt nur noch drei-, viertausend Meter von hier entfernt, folgten Togos zwölf gepanzerte Kolosse unabschüttelbar Seite an Seite mit uns, kamen immer näher. Jetzt wurden sie eine Minute ganz von Rauch verhüllt; jetzt tauchte die »Mikasa« wieder an der Spitze der Reihe auf, wie zur Parade in der blitzenden Sonne, die uns die Augen blendete; aus den massiven Türmen vorne und achtern knallte der Pulverdampf hervor, mein Gott, mein Gott, zielen sie jetzt auf mein Schiff!?
Ah, und unsere eigenen verwirrten Blechpötte trieben machtlos dahin, taumelnd, wackelnd, schreiend, es war gar kein Kampf mehr, es war ein Abschlachten. Die Schornsteine sanken donnernd zusammen, die eisernen Masten wälzten mit Katarakten von Getöse, Geheul floß überall heraus. Jetzt stürmte knallend ein Krater von Flammen aus »Alexander III.«, es ward zu einer einzigen Riesenfackel, einem Waldbrand, der sich sausend zum Himmel aufschwang.
Das dumpfe Dröhnen schauderte nach allen Seiten empor, ohne Aufenthalt.
Die Sonne zitterte, rot hinter ihrem Schleier.
Des Rauches mächtige Schollen trieben ...
Die Geschosse begannen in Menge auf Gregorows eigenes Schiff herabzuhageln, vorne, achtern, gerade unter ihm. Des Anschlags blutiger Keim aus Feuer verpflanzte sich nach hundert Stellen. Der Explosionen breites Gestrüpp von Qualm wuchs blitzschnell von dort auf. Der Schimose herber Atem fuhr betäubend heraus ... Stahlplatten, Stangen barsten, die Farbe flammte auf in der verzehrenden Glut – als werde das Metall selbst angezündet. Pardunen sprangen mit singendem Paukenlaut. Das Schiff humpelte keuchend dahin unter dem verwildernden Alarm ... und immer wieder empfand Gregorow dies doppelte Gefühl: – eine siedendheiße Kälte, ein stinkender Schweiß, der überall aus seiner Haut hervorbrach und sein Herz todkrank vor Grausen machte – aber auf seinem Gesicht zitterte unaufhörlich das Lächeln auf und nieder: sehr wohl, daß sie unsere Kästen nur mit aller Macht aufputzen, damit sie zu Hause sehen können, daß der Sieg nicht allzu leicht war; brillant, ja, ja, aber was war es doch nur, was ich in meinem Plan zu erinnern vergessen habe ...
Er unterschied das Geheul, das gellend aus seinen Leuten herausplatzte, wenn ihre Leiber zu blutvollen, zitternden Fetzen zerrissen wurden, wenn der Stahl ihre Arme und Beine zerquetschte, wenn Eisensplitter ihre Bäuche neugierig zerspalteten, wenn sich ihre Eingeweide rauchend durch die klaffenden Risse hinausbeulten, über die die Feuersbrünste rings umher verkohlend hinsengten ... und ein jeder von all den tausend Kreischen raste gleich einer Egge über Gregorows Fleisch, ellentiefe Wunden in seinen Busen flensend – aber ohne Aufenthalt kam und ging die manische Freude auf seinem kreideweißen Antlitz, über die zitternden Lippen: jawohl, jaja, geradeso, wie ich es mir dachte, bald kommt also auch unsere Zeit, bisher haben wir den Japanern nur eingebildet, daß wir nicht um uns beißen können, mein Gott: wie wir sie doch dafür alle zu Tode peinigen wollen, wenn wir dazu gelangen ... aber was ist es doch nur, was ich übersehen habe ...
Er sah das Vorderdeck seines Schiffes sich zu einem klaftergroßen Loch, einem mächtigen Tor spalten, und Flammen prasselten dort heraus, rotgelb in der Sonne, mit Verbrämung von Schwarzgrau: er knickte hintenüber, der Atem ging ihm einen Augenblick aus, mitten in dem schallenden Lärm hörte er seines Herzens jagende Stiche ... und da kicherte er verlegen, preßte die Hand gegen seine Brust, und dachte auf einmal: daß er vielleicht einen Orden bekommen würde für all die Tapferkeit, die hier entfaltet war, jawohl, er erhielt vielleicht eine Dotation, so daß Dosia endlich 'mal ein neues, feines Klei ... aber was ist es doch nur, was ich verge ...
Er hörte und sah, eine Minute später, wie die beiden gewaltigen Kanonen da unten zu seinen Füßen, die eine nach der andern, getroffen, gesprengt wurden; sie stürzten hinab, ihre Bedienung unter sich zerquetschend; brüllend rammelten die Sprengstücke an allen Seiten an ihm vorüber, sein linker Ärmel ward zerfetzt, sein Stiefel zerschnitten, ein Hagelsturm aus Metall prasselte um ihn herum, hohl polternd wurde der Schornstein hinter seinem Rücken getroffen: und da schwankte er zur Veränderung vornüber, klemmte seine Nägel blutig, und schrie sich heiser in einem einzigen blinkkurzen Aufkreischen: aber gleich darauf gluckste er von neuem, das grützige Gesicht tränenfeucht aufwärts gewendet: jaha, ich schei-schei-scheiß auf das Ganze, wie groß wird nicht die Ehre sein, unter Verhältnissen, wie diese, zu siegen: ein Mirakel!
Er beobachtete darauf, eine Sekunde später, wie vier Krankenträger mit einer Bahre herbeigeeilt kamen, da unten, wo die zwei Kanonen umgestoßen waren, um die Verwundeten fortzuschaffen: ein hoffnungsloses Unterfangen, wie kommen sie nur auf den Einfall, hör', wie die Schüsse zu hunderten herabknallen, können sie denn nicht begreifen, daß es untunlich ist! Weg da unten! ... aber im selben Nu blies eine Rauchwolke heraus, eine Detonation sprang empor, und sie waren zu Mus und Grus zerschmettert, alle Mann, Herr Jesus, mein Gott, jaha, sieht man das: was ich voraussehe – das geschieht!
Das Gekrache wanderte enorm, sich in die Höhe wiegend, zum Himmel empor, machte die Sonne dunkel und trübe, fraß sie weg, hinterließ uns alle in Finsternis und Erdbeben, ward zu einer Wolke, ward zu Donner, stürmte alleszerschmetternd wieder herab.
Der Rauch wälzte sich erstickend herum, er bullerte in kohlschwarzen Säulen aus zehn, zwölf Stellen auf dem Schiffe auf, man krähte und schrie und starb im Qualm.
Die Schreie gellten lotrecht in die Höhe, mitten da hinein; wackelten hin und her, dort hoch oben – gezackt wie Blitze, sengend blau, brannten blutrot hervor, hier und da, rammelten herab, stengelten sich zähneknirschend von neuem empor.
Die Wellen kochten grün.
Die Luft pfiff, heiß und giftig.
Des Stahles Katapulte schwirrte seine glühenden Meteore überall hernieder ...
Die »Osljablja« richtete ihren Vordersteven einen Moment in die Höhe, umflackert von blutigen Flammen, in dunkelgrauen Rauch gehüllt – ganz dicht zur Rechten von Gregorows Panzer. Es stachelte sich ein wahnsinniges Geheul von dort empor. Das Meer ward schneeweiß zu Schaum. Es dröhnte eine riesengroße Explosion da drüben, der Qualm sauste eine Sekunde weg, das Deck war plötzlich mit Menschen angefüllt: und von allen den anderen Fahrzeugen aus sahen sie die »Osljablja« sich auf die Seite legen und untergehen. Sie beobachteten die Matrosen, die zu Hunderten hoffnungslos an dem Deck hinankrabbelten, das sich in die Höhe hob, lotrecht dastand – unterschieden, wie sie sich heulend mit Nägeln und Knien festklammerten, verrückt die steile Fläche hinaufkrochen, herunterglitten, wieder hinauf krabbelten, schluchzend, irrsinnig. Sie erblickten die Masten und Schornsteine, die mit gigantischem Lärm hinabstürzten, alles unter sich pulverisierend. Sie sahen, wie die Mannschaft zermalmt wurde, sahen sie sterben, zu einem treibenden Purpurteppich über dem zersplitterten Deck werden. Ja, sie gewahrten einen flüchtigen Augenblick den Tod selbst: er stand hünenhoch, laut lachend vor Amüsement da drüben, in Feuer und Blut gekleidet, Schreie statt der Augen und Mord statt des Mundes. Er tötete rechts und links, klaffend schlugen seine Kiefer auf und zu, die Speisenreste trieben ihm schleimrot, noch zappelnd an den Knöcheln herab. Und auf einem Sattheitgebrüll aus seinem Halse öffnete das Meer, geifernd, jetzt auch seinen bodenlosen Abgrund von Maul, kohlschwarz, und sog brüllend das Schiff da hinab, mein Gott, mein Gott: mit seinen achthundert Mann an Bord rutschte der Kasten auf den Grund, der Ozean verschlang sie alle miteinander, löschte jede Spur ihres Lebens und ihrer Qual mit seinem eiskalten Grauen aus, mit einem hinterlistigen Seidenlaken von Himmelblau und weiß, Herr Jesus, Hilfe, jetzt können wir andern auch nicht mehr! ...
Gregorow hatte das Geländer der Brücke losgelassen, während er dahinstarrte, auf die »Osljablja«!
Jetzt schnarrte ein kolossaler Raballer dicht neben ihm herunter; eine Nacht sprang daraus hervor, mitten darin wurde lärmend eine Sonne geboren, es zersprang irgend etwas in seinem Rücken, er schnappte blitzgeschwind die Knie bis zu der Brust hinauf, setzte die Füße wieder lautlos nieder, machte einen Sprung nach rechts, dann einen nach links, wieder in die Höhe, pirouettierte keuchend umher, fechtend, zappelnd, strampelnd – da oben auf der Brücke, deren Stangen sich bogen, zerschmettert wurden, zerbrochen unter den Schüssen, die unaufhörlich niederknatterten.
Er mazurkate umher, ohne innehalten zu können – in dem Qualm, der sich bullernd über seinem Kopf zusammenschloß.
Er machte, ohne es zu wollen, einen unbändigen Rundtanz aus Tollheit – hoch oben über der Kanonen dröhnenden Schollen von Getöse, über dem Schrei, der lakenweiß aufflatterte.
Er machte unwillkürlich einen zähneklappernden Hüpfer aus Krämpfen und Jammer.
Einen nervenzerrüttenden Walzer nach der Melodie von Krieg.
Ein Balfadera von Tod.
Bis ihn eine grenzenlose Mattigkeit auf einmal flach auf den Boden der Brücke niederschlug, und ihn von neuem in den Fleck festnagelte, den Oberkörper halb über das zerfetzte Geländer geworfen.
Und als er, daliegend, atemlos, stöhnend, mit einer Schar von heulenden Stichen durch sein Herz, seine Milz, mit einer gelbweißen Maske von Blasen um Mund und Kinn, wieder das Blut erblickte, das sich da unten auf dem abfallenden Deck ansammelte, von allen denen, die unter den beiden umgestürzten Kanonen zermalmt lagen ... da entdeckte er jäh, in einem Nu von unmenschlichem Grauen, was er in seinem Schlachtplan zu bedenken vergessen hatte.
Ja, als er das purpurleuchtende Blut seiner Leute erblickte, das in einem rauchenden Strom an der Schiffseite hinablief und dort verschwand: da erinnerte er sich plötzlich, naßkalt, mit einem Schwert durch seine Brust: daß es bei Gott nichts Geringeres war als das Feuer des Feindes, das er in Betracht zu ziehen unterlassen hatte! Kähä! Mein Gott! Ich bin also toll und verrückt gewesen. Ich habe vergessen, daran zu denken, daß das Geschütz der Japaner uns ja längst total zermalmt haben wird, lange ehe wir dazu gelangen, ihnen auf den Leib zu rücken! Herr Jesus!
Und in seinen aufgesperrten Augen, die vor Qual schimmerten, schwoll der rote Fluß im selben Nu dort unten unendlich an.
Ach, er kroch lodernd über das ganze Deck hin.
Er breitete sich dampfend über das Schiff aus, von vorn bis achtern, er flammte klagend über das Meer hinaus, er färbte schluchzend den Pulverrauch da draußen zu Zinnober, er machte heulend das ganze Geschwader zu einer einzigen treibenden Wunde in der Welt – zu einer ungeheuren Ader, die im Schöße des Lebens zersprungen war.
Und tief drinnen in diesem blutigen Weltenuntergang unterschied er auf einmal die winzig kleinen Bewegungen der Sterbenden unter ihm.
Der eine erhob ein Bein, unsagbar steif und lang, an dem zerfetzten Knöchel fehlte der Fuß, nur der Stumpf eines Knochens stach zersplittert, rottropfend heraus. An einem andern saß der Arm nach hinten gebeugt in einem wahnsinnigen Winkel, die Finger bewegten sich leise. Einer versuchte zappelnd sich aus dem sickernden Haufen herauszukrabbeln; aus seiner dunkelblauen Fratze quoll eine geschwollene Zunge heraus. Bei einem Vierten sah man, in einem blutigen Antlitz mit schwarzgebrannten Lippen und Kinn, den runden, weißen Kreis eines brechenden Auges ... und sieben, acht Schritte von dem ganzen Haufen aus Blut und Purpur entfernt, lagen die vier Krankenträger in einem einzigen Wirbel von bebendem Fleisch, von zersplitterten, gelben Tragstangen, von rotbespritztem Segeltuch. Aber rings umher standen ein paar Dutzend anderer Matrosen (woher waren sie gekommen, wer hatte sie hier hingestellt, was wollten sie doch eigentlich) mit aschgrauen Gesichtern, mit aufgesperrten Mündern, herabhängenden Schultern, die Kameraden anglotzend, die da vor ihnen lagen – ohne sich zu rühren, unter der unaufhörlichen Stange aus Getöse, die bammelnd vom Himmel herabhing. Doch: einer von ihnen schlug auf einmal mit beiden Händen nach der Seite aus, und purzelte um. Und zwei andere schielten einen Moment zu ihm nieder, den Nacken hintenüberwerfend: er war von einem Eisensplitter in die Fratze getroffen; der ragte lang aus seinem Auge und seiner Wange heraus, noch zitternd von dem Anschlag, silbergrau an der obersten kleinen Bruchfläche.
Und oben über dem gewölbten Dach des Turmes drunten raste ein Orkanraballer empor. Wolkenbälle mit Feuer bullerten auf, ein verzehrendes Geheul von Martern ... Struïn schritt langsam hinaus, durch eine klaffende, rauchgefüllte Bresche in der Panzerwand: in seinem rechten Arm trug er Kadett Owen, der schlotterig und röchelnd an seiner Brust hing, mit einem hellblauen Erstickungsgesicht – und über der Linken hatte der Premierleutnant einen gelblichweißen, zusammengefilzten Haufen, wie einen ellenlangen Wurm, der bleich und rauchend aus seinem Bauch herausstach, wo Kleider und Fleisch weggerissen waren. Da galoppierte von neuem ein Donnern über das Deck hin, ein Wirbel von Explosion – Struins rechter Ärmel wurde zerfetzt, ein Springbrunnen von Blut fuhr heraus. Er blieb einen Nu stehen, keuchend, fahl, mit wilden Augen, schwankend, war nahe daran, den Kadetten fallen zu lassen, starrte unentschlossen um sich – aber dann ließ er die Last sinken, die über dem andern Arm lag, lagerte leise Owen da hinüber, es bebte ein seltsames Lächeln um seine Lippen, er warf den Kopf in den Nacken, und schlingerte wieder weiter ... plötzlich mit einem grauenvollen Hicksen aus dem Halse heraus, im ganzen Körper einknickend. Bei jedem Schritt baumelten träge gegen seine Knie die weißlichen, glatten Windungen, die von seinem Leib herabhingen.
Der Kommandant richtete sich plötzlich von dem Boden da oben auf der Brücke auf.
Er hatte eine Empfindung, als sei er erst jetzt er selber geworden, ganz und gar.
Und jäh grub er beide Fäuste wild in seinen Busen hinein.
Plötzlich krähend vor Elend.
Schweißtriefend.
Eiskalt:
Denn er begriff auf einmal alles, was in Wirklichkeit hier vor sich ging, auf seinem eigenen Schiff und auf den andern!
Er verstand auf einmal und zwar gründlich: daß aller Lärm hier rings umher, und die Fahrt der Fahrzeuge hier durch das Wasser, ihre Manöver, und die Signale, das Schießen: das alles bedeutete, daß rings umher auf jedem einzelnen Schiff Hunderte waren, die trotz Qual und Tod doch kämpften und stritten wie Männer – während er selber hier gelegen und sich aus Zorn und Wahnsinn von Sinn und Verstand gewimmert hatte!
Ja, ja, überall gaben seine Leute ihre Kräfte, ihre Glieder und ihr Leben hin in ihrer Pflicht: überall, oben und unten, in den erstickenden Stahlhöhlen der Panzertürme, wo die erhitzten Kanonen die Luft zu Feuer machen! Und da unten in den dunklen, treibenden, feuchten Kammern, wohin kein Laut und kein Licht dringt, tief unten am Kiel des Schiffes, wo sich die Ausstoßröhre der Unterseetorpedos befinden! Drinnen in den engen Elevatorschachten, wo die krummen Schalen an dem Paternosterwerk die mächtigen Geschütze aufhissen, in klappernder Eile! Unten in des tötlichen Heizraumes irrsinniger Glut, ja, ja, überall! Aber er selbst, er lag hier bebend ohne Rat und Tat, wußte weder aus noch ein, ließ seine Vorgesetzten, wie seine Matrosen im Stich! Mein Gott, ich begreife es nicht, was ist nur einmal mit meinem Sinn geschehen, ich bin doch niemals feige gewesen, ist denn all meine Stärke, all mein Mut verbraucht, warum kann ich mich wenigstens nicht so benehmen wie alle die andern, die doch tun was sie können! Bin ich plötzlich eine Memme geworden, oder bin ich ein Schlingel? ...
Er starrte noch einmal krank um sich – und sah die ganze Niederlage, die schon jetzt, nach nur einer Stunde des Kampfes, jedem offenbar war: da draußen rechts trieb noch immer die »Knjas Ssuworow«, Roschdjèstwenskijs Flaggenschiff, sich schwer auf die Seite neigend, mit Rauch überall aus dem Deck, aus allen Pforten heraus; und dicht dabei auch »Alexander III.« noch schlimmer zugerichtet, mit gestürzten Schornsteinen, aus denen der Qualm hervorkuppelte ... und hier rings umher alle die andern: »Navàrin« – war das Wrack da wirklich die »Navàrin«? und »Sissoi Weliki«, »Orel«, »Nachimoff«, »Apraxin«, alle zusammen zerlumpt, zerrissen, ein Wirrwarr aus zersplitterten Masten, durchlöcherten Rümpfen – geschwärzt, schwerfällig und sterbend in dem schäumenden Ozean stampfend; die »Osljablja« aber lag da unten in der Tiefe, Jehova, das Ganze ist also wirklich vorbei, alles ist aus, Russias Sache ist zu Ende! Herr Jesus, heilige Madonna! taugen denn unsere Schiffe und ihre Kanonen nichts, oder ist unser elendes Schießen und Manövrieren schuld daran? Sind es die Mannschaft und die Offiziere, die nichts anderes kennen als Zweifel und Haß? Ist es die Untüchtigkeit und Blindheit des Admirals, oder sind es die Schlingelstreiche und Diebstähle des Marineministeriums, ist denn alles daheim verkehrt – oder ist es nur meine Schuld, daß das Ganze so grauenhaft schlecht gegangen ist, ach Gott, mein Gott, laß mich denn zur Strafe sterben, zermalme mich unter der Ferse deines Zornes, ich kann es nicht aushalten ... Gregorow schritt, ohne es zu wissen, jammernd, über ein Gewirr von Stahltrossen und Rahen dahin, die auf die schwankende Brücke herabgestürzt waren, er weinte und schrie, bekam plötzlich einen donnernden Schlag in den Rücken, strauchelte atemlos vornüber, stieß die Stirn gegen den Scheinwerferträger, der geknickt mitten über der Passage lag und ihm den Weg versperrte; hinter ihm rammelte noch ein polterndes Gekrache in die Höhe, die Luft fuhr brüllend vorbei, er kam keuchend auf die Beine, machte Kehrt, sah den Schornstein da drüben auf einmal zusammenknixen, hintenüberstürzen, lärmend, Lawinen, Bergrutsche, ein markerschütternder Schrei, und pechschwarz schlug der Kohlenrauch auf Brücke und Deck herab, erstickte sein Weinen in einem messerscharfen Husten ... und da war es ihm auf einmal, als werde er abermals zu einem andern, als sinke er von neuem widerstandslos hinab in eine sausende Finsternis, eine verwirrende und bullernde Nacht – die er nun so gut wiedererkannte, von vorhin: kehé, sehr wohl, ach so, der Schornstein schmolz herunter, um so besser: die Kriegslist soll Togo wohl sicher machen, bald kommt also die Reihe an uns ...
Er kletterte sinnenbetäubt über noch ein Wirrwarr von Eisen und gesprengten Pardunen, von silberweißem Stahl, von schwarz gebrannten Stangen mit geknickten Bolzen, und in ein paar Sprüngen erreichte er die Leiter: aber die eine Seite der Stiege war total weggerissen, die verrenkten Sprossen staken aus der übriggebliebenen Kante hervor wie ein zerstörter Kamm. Gerade unter ihm torkelte ein Gebrüll in die Höhe, der Fußboden hob sich, Flammen schlugen heraus – er stürzte zurück, nach dem anderen Ende der Brücke hinüber, ergriff ohne es zu wissen die Stange des zerbrochenen Geländers, die herabhing, schwang sich daran entlang hinab, und stand plötzlich auf Deck, ohne zu ahnen wie, einige wenige Schritte vom Abstieg in die Batterie ...
Gerade vor ihm war Luschinskij im Begriff sich zu bemühen, wieder auf die Füße zu kommen – nach seinem Fall und seiner Ohnmacht vor etwa einer Viertelstunde; sein Gesicht war wild, in seiner Schläfe und seinem Haar saß ein großer, dunkelbrauner Klecks; und Blut trieb ihm dick aus Kinn und Hals.
Hinter Peter Romanowitsch sah Gregorow zwei Offiziere, die auf der Schwelle der Abstiegluke lagen; jetzt erhob der einen seinen Kopf, auf eine sonderbar gewohnheitsmäßige Weise, und schnappte weit hinein in die Luft mit seinen Zähnen, sank darauf wieder zurück, erhob gleich darauf von neuem sein Gesicht; seine Lippen saßen in flachen Zotteln, breit über der Nasenspitze und den Wangen; das linke Auge eine dampfende Blase von Feuchtigkeit, von schorfigem Fleisch.
Der Kommandant stieß ein Hicksen aus und wich zurück, wieder überkam ihn dieses Gefühl, halbwegs aufzuwachen, seltsam mitten zwischen Wirklichkeit und Traum, eine erstickende, sonnenuntergangsglühende Dämmerung:
Praxin! Hier! Wie sah er nur einmal aus:
»Siehe!« rief er dann, im selben Augenblick:
»Sehen Sie!
Wie beliebt, na!
Können Sie es nun alles zusammen sehen, zum Teufel!
Was sagen Sie nun zu Admiral Roschdjèstwenskijs Plänen, zu seiner Art und Weise die Schlacht zu leiten, zu seinen Fähigkeiten, wie beliebt? Oder wie denken Sie über die Granaten, die die Japaner hier herüber werfen, wie, ist es nicht verzeihlich genug, insofern, daß wir alle zusammen komplett vergessen haben, sie in Betracht zu ziehen, wer hat jemals etwas Ähnliches gesehen!
Begreifen Sie nun, endlich, daß all dies hier weder Zufall ist, noch Unglück oder Lüge! Es ist die reine und pure Wahrheit, ja, ich danke: es ist die Wahrheit über Russia, verstehen Sie wohl! Hier hat an und für sich kein einzelner Mann die Schuld, weder viel noch wenig – denn das Ganze sind nämlich die Ergebnisse von alle dem, was daheim vor sich geht! Jetzt ernten wir wohlverdient, was wir gesäet haben! All dieser Tod ist, kurz und gut, Rußlands Zukunft – ehrlich geboren von unserer Vergangenheit als Metze und unserer Gegenwart als Alfons.
Wie!
Nicht wahr!
Habe ich recht oder nicht, Sie können Gift drauf nehmen: Ja!
Wissen Sie, ob Togo wohl endlich Roschdjèstwenskij totgeschossen hat – denn dann ist da doch noch eine Hoffnung für uns andere!« – schrie er geifernd, inwendig beständig schwankend zwischen vollkommener Unbewußtheit und einigen sonderbaren, roten Blitzen momentanen Erkennens – plötzlich sich zu Luschinskij hinüberbeugend, der weder hörte noch sah: »Wir können nicht!
Wir können nicht, hören Sie!
Wir KÖNNEN nicht, und wenn uns auch der Teufel frikassiert!
Wir können nicht das Geringste tun – das sind die Früchte, die Herrn Roschdjèstwenskijs Weihnachtsbaum uns allen geschenkt hat!
Alles ist vorbei, verstehen Sie das! Auch Sie haben wohl schon längst bemerkt, daß nicht ein einziger von unseren Schüssen auch nur eine Spur von Wirkung da drüben hat, sie marschieren dort wie zu einer Revue im Sonnenschein auf – aber hier ist alles genial zermalmt! Ich notiere, daß eine von meinen Rauchpfeifen vor Erstaunen auf den Hintern geplumst ist, wie beliebt, sehen Sie etwa auch die Flammen da hinter Ihnen!
Der Admiral hatte, kurz gesagt, recht: wir müssen wirklich unsere Schüsse sparen – denn sie nützen uns doch nicht, und Togo genieren sie nicht.
Lang lebe der Admiral!
Alles ist aus –« und ohne das unerträgliche Donnern der Geschütze noch zu hören, ohne auch nur nach den Stahlzentnern hinüberzuschielen, die tiefschallend niederfuhren, oder nach den schwirrenden und knurrenden Splittern aus Metall – drehte sich Gregorow schäumend und greinend auf dem Absatz herum, schlingerte kichernd ein paar Schritte weiter, mit blutunterlaufenen Augen, mager wie ein Skelett, livide und macaber. Er winkte drauf mit beiden Händen hinüber nach dem Haufen der Getöteten und Verkrüppelten, die neben den gesprengten Kanonen lagen:
»Über Bord mit ihnen, bei meiner Seligkeit!« gellte er, durch den gongartigen Lärm den Matrosen zu, die rings um den Klumpen standen – »Über Bord mit ihnen, zum Satan auch, alle ohne Ausnahme, ich will sie nicht mehr vor meinen Augen sehen! Ich stehe ja hier und bin nahe daran, mir die Seele aus dem Leibe herauszubrechen, über den Geruch von ihnen, diese Schweine, weg mit ihnen allen! Mit den Toten wie mit den Verwundeten! Verdammt und verflucht, wir kennen hier keinen Rangunterschied! Na, wird's bald – helfen können wir ihnen ja doch nicht! Mein Plan ist in die Binsen gegangen – das heißt vorläufig, nur vorläufig! Ich hatte ganz einfach den Feind vergessen, aber Schwamm darüber, er ist selbst so freundlich gewesen, mich auf diesen kleinen Formfehler aufmerksam zu machen: und von diesem Moment an ist da also wiederum mehr als Hoffnung! Aber jedem, der liegt und faulenzt, dem entziehe ich jeglichen Anspruch und Anteil an der Siegesbeute! Also rappelt euch, über Bord mit den faulen Eseln, die da herumlungern und uns für sich arbeiten lassen! Im Lazarett ist auch kein Platz mehr! Das Lazarett ist bis an den Hals voll – von Memmen und Faulpelzen, haha!
Über Bord mit ihnen, sage ich, das Pack!
Versteht ihr mich jetzt!
Ich befehle es – oder ich stehe euch nicht mehr für den Sieg ein!« er krähte noch einmal auf, in einem heulenden, meilenlangen Schrei – die Knochen bleich aus seinem Gesicht herausscheinend. Er schlug sich aus aller Macht mit den geballten Fäusten in die Brust ... und lief dann, schluchzend, greinend, strauchelnd, wieder nach der Kommandobrücke hin, ergriff die Geländerstange, fing an hinaufzukrabbeln – dann ward er jäh von einer gelbweißen Wolke, einer krachenden Detonation verhüllt.
»Übe ... über B ... über Bord mit ihnen!« wiederholte Luschinskij, ohne es zu wissen, hinüberzwinkernd nach dem gigantischen Gerammel der Kanonade, hin und wieder unwillkürlich weiterrückend unter dem Knallen eines Schusses, oder unter dem Strom von sengendem Rauch, der vorbeifuhr – aber im übrigen ganz davon in Anspruch genommen, auszurechnen, was im Grunde geschehen war, seit er von der Batterie da unten heraufkam.
Vor ganz kurzem hatte er ja freilich entdeckt, daß er hier oben auf dem obersten Deck am Boden lag: dort, nur ein paar Schritt von der Stelle, wo er jetzt stand. Ja, aber wie war er dazu gekommen, da zu liegen? – daraus konnte er nicht klug werden. Er hatte nur eine unbestimmte Erinnerung, daß er und Iwan sich nun doch endlich ausgesprochen hatten, Gott sei Dank! Jawohl: da unten vor der Kammer hatte der Bursche, mit Hilfe von irgend etwas vollkommen Unerinnerlichem, das dort vorgegangen war, ihm ganz deutlich zugerufen: Peter Romanowitsch solle nur möglichst schleunig auf Deck hinaufgehen, dann würde von anderer Seite schon für das Übrige gesorgt werden ... jaha, der Herr sei gelobt, jetzt war die Schuld offenbar ehrlich bezahlt – oder, vielmehr: sie sollte gerade in diesem Augenblick amortisiert werden, die Götter mochten wissen wie, übrigens; was?
Nun, und mit einem gut Teil Anstrengung war es ihm dann gelungen, sich aufzurichten, von den schwer schaukelnden Planken. Und er hatte zur selben Zeit bemerkt: daß er wahrscheinlicherweise das Unglück gehabt hatte, sich irgend etwas zu zerschlagen, damals als er hier umgetründelt war: unten an seinem Kinn offenbar! Die Haut war da auf alle Fälle fühlbar steif bis weit unten am Halse, und es tat nicht so wenig weh im ganzen Gesicht: im übrigen aber in einer mystischen, nicht gar zu sehr genierenden Weise: eigentlich als wenn es nicht sein Backenknochen sei, mit dem etwas im Wege war, sondern zum Beispiel der eines recht guten Kameraden, eines behaglichen und geliebten Freundes, jemandes, der hier stand und umständlich davon erzählte: Jawohl, sieh hier, lieber Peter Romanowitsch: ich hab' mir, weiß Gott, ein verdammtes Loch zugelegt, hier, da gleich an der linken Seite des Kiefernzeugs, pfui Deubel, es ist ein Gefühl, als stünde da ununterbrochen ein Schlingel und drösche mir direkt in einen hohlen Backenzahn hinein mit dem Ende einer blanken, eisernen Stange, mit einem Wurfspieß, einer spitzen Lanze, tju-tju-tjammm ...
So weit war Luschinskij gelangt, in seinen Erwägungen nach der Ohnmacht – als er eben neulich Gregorow vor sich stehen sah, unablässig aus dem Maulwerk herausrabbelnd, mit den Händen krampfend, mitten in einer enormen Kanonade, oder in einem verheerenden Donnertyphon.
Peter Romanowitsch hatte unter solchen Umständen freilich nicht das Allergeringste von dem gehört, worüber der Chef so gebrüllt hatte – bewahrte aber doch eine dunkle Erinnerung an das Wort »über Bord«: hatte etwa Iwan darüber geredet? Oder war es nicht vielmehr des Kommandanten zweifelhafte Stentorstimme? hatte der einem kurz Order gegeben, hier noch immer zu stehen und das Kommando zu rufen? Wie?
Ja, vermutlich!
Gut:
»Über Bord!« murmelte Luschinskij ergo von neuem, schwankend, der Kopf schwer wie ein Granitstein.
Bei jedem Krachen der Schüsse – die wieder und wieder um ihn herum niederschlugen – zuckte es tief drinnen in seiner Brust und seinem Bauch, ohne daß er es merkte.
Ihm war nämlich plötzlich Mugin da unten eingefallen: war da nicht irgend jemand, der ganz kürzlich etwas vom Lazarett gesagt hatte, wie?
Gewiß!
Ja, im höchsten Grad!
Es war ja gerade Mugin selbst, der erzählt hatte, daß man dort hinuntergehen müsse. Jawohl, das hatte er wahrhaftig gesagt, das Wurm. Aber man solle sich beeilen, denn da sei bald kein Platz mehr – nein, kein Platz mehr im Lazarett: diesen Satz konnte er noch förmlich ganz deutlich in seinem Ohr hören. Und man sollte ja auch in geraumer Zeit zusammen mit seinem Freund Starck und mit dem Helden Bogduroff nach Rußland heimwandern, zu Eudoxia-der-Einzigen-in-der-Welt, nicht wahr ...
»Über ... über B ... über Bord mit ihnen!« sagte er wieder, stotternd, erschrocken darüber, daß er diese Echopflicht solange versäumt hatte; und dabei lächelte er ein ganz klein wenig – teils beim Gedanken an Eudoxia und teils bei der Erinnerung daran, wie Mugin da unten geflennt hatte.
Im selben Nu fuhr ein merkwürdig dröhnendes Kreischen an seiner Wange vorüber, und sein linker Fuß wurde von einem sonderbar trockenen, harten Schlag getroffen – er erwachte infolgedessen für eine kurze Weile zu einer teilweisen Beurteilung der Umgebung und begriff, daß er da dem Tode wohl ziemlich nahe gewesen war, in Form von ein paar Sprengstücken: gut, sehen wir uns also so schnell wie möglich sorgfältig rund um, nach rechts und nach links, um uns einen Platz auszusuchen, wo wir uns treffen lassen können – um dann in das schußsichere Lazarett hinuntergebracht zu werden, nicht wahr?
Er hustete einen Augenblick heftig, infolge eines dichten, funkenstiebenden, bittern Rauches, der ein Dutzend Schritte von ihm durch das aufgerissene Deck jäh aufpuffte; er hörte auch das Prasseln der Flammen da unten, wie es ihm schien: da wollte er also nicht liegen, nein, nein, auf keine erdenkliche Weise – aber es mußte doch hier in der Nähe sein, denn hier irgendwo war die Luke, durch die sie ihn hinabtransportieren sollten.
Er duckte sich unter noch einem donnernden Pfiff, einem Bombardement von Knallen, einem Schrei – und ging darauf fünf, sechs Schritte vorwärts.
Dabei strich sein Blick über den Haufen der Zermalmten und Sterbenden. Zu oberst lag einer ohne Kopf; der Hals war mitten durchgefeilt, das Blut sickerte langsam heraus, ein feuerrotes Tor. Luschinskij schauderte, und erinnerte sich plötzlich, tief in seinem Innern, an irgend etwas, das sich vor kurzem in seiner Kammer zugetragen hatte:
»Über Bord mit ihnen!« schrie er wieder, zu den Matrosen hinüber, die da standen: es war ihm auf einmal, als habe er zum erstenmal einen schwachen Schimmer von Verständnis für diese Worte: es war auf alle Fälle gleichsam eine Erleichterung, sie zu sagen ...: war das etwa nur, weil es ja seine Pflicht war, so zu rufen? War es also ganz einfach die Annehmlichkeit, die letzte militärische Aufgabe genau auszuführen, ehe die Ruhe kam? Oder war es vielleicht weil dieser Befehl auf rätselhafte Weise mit Iwans Plänen zusammenhing?
Eine Barrikade von Lärm wälzte sich im selben Augenblick heran – sein Knie brach dadurch vornüber.
Das rote Feuer klaffte hervor, einen Moment; klafterbreit.
Ein Todeskreischen raste heraus.
Ein Fauchen von Eisen.
Krrr. –
Jawohl, dachte Peter Romanowitsch, blitzgeschwind, indem er sanft umsank: wenn er nun richtig aufpaßte, mußte es ihm ja gelingen, diesmal getroffen zu werden. Denn es eilte ja ...
Die Matrosen erwachten gleichsam, infolge des kolossalen Spektakels.
Und das Kommando, das sowohl der Chef als auch der Premierleutnant so häufig geschrien hatten, wurde jäh in ihr zerschlagenes Bewußtsein mit hineingedonnert: jawohl, über ... über B ... über Bord mit ihnen, den Verwundeten und Sterbenden und Toten! Alle zusammen! Über Bord! Hinunter in das kühle und freie Meer! Herr Jesus und Gott, schenken wir unsern jammernden Kameraden den sehnsuchtsvoll erwarteten Mittagsschlummer!
Schnell liefen sie, alle Mann, auf den Haufen von Krampfenden und Getöteten zu.
Je zu zweien beugten sie sich hinab und griffen zu.
Ohne hören oder sehen zu können.
Das Stöhnen der Verletzten fühlten sie nur, ohne zu verstehen was es war, als schwaches, zitterndes Beben in ihren eigenen Händen und Armen.
Das Wasser barst lautlos, es flog blitzend auf in weißen Spritzen – jedesmal, wenn ein Neuer die Wellen da draußen traf.
Die Fäuste der Leute trieben von Rot; Fetzen von Haut, Fleisch und Kleidern klebten sich zwischen ihre Finger hinein. Ihre Gesichter schwollen auf.
87 blieb einen Augenblick an der Reeling stehen, nachdem er seinen Mann hinausgeschmissen hatte. Er richtete den Nacken mit einem Ruck auf, sah sich mit ein Paar maßlos großen, runden, nassen Augen um, lachte ein wenig, hicksend. Eine seltsame Weiße befiel seinen Mund, ein langer Seufzer wand sich aus seiner Kehle. Er streckte die beiden Arme in die Höhe, ließ sich hintenüberschlingern, taumelte über die Schiffswand, rücklings, überschlug sich unterwegs ein paarmal in der Luft – aber in der Sekunde, wo ihn die See eiskalt zu sich nahm, ihr hellgrüner Rachen von Glas über ihm zuklemmte, da entrang sich seinem Halse ein gurgelndes Geheul.
Ein Geschoß schlug gleich darauf genau an der Stelle nieder, wo ein paar andere Matrosen standen, und im Begriff waren, einen Sterbenden über Bord zu werfen. Die Granate donnerte sie einige Ellen weg, alle drei, ihre Gliedmaßen klatschten grauenvoll gegen die Planken, wo sie niederfielen – aber augenblicklich eilten neue Kameraden herzu, packten sie und schleuderten sie hinaus.
Sie fuhren fort, blind und taub, mit einem bebenden Greinen auf ihren gedunsenen Gesichtern, ohne ein Wort.
Den einen nach dem andern warfen sie über Bord – hinab ins Meer, das sich hier und da in turmhohen Säulen aufbäumte, wenn ein Schuß niedersplitterte.
Und dann war der ganze Haufen weg.
Verschwunden.
Da war nur ein großer, nasser Fleck übriggeblieben, ein Laken aus Purpur und Schleim. Mitten darin lag ein Arm mit seinem blauen Ärmel; die Hand war ganz gelb, die dicken Finger saßen ins Deck hineingekrümmt, kéké, ja, er ha' ... ha' ... ha'te sich offenbar festgeklam't, der Halunke, um nicht übe' Bor' geschmissen zu werden, so ein Kerl!
Gemeiner 217 zog seine Hosen mit den Ellenbogen in die Höhe, so daß der feuchte untere Rand ihm über die nackten Knöchel schlenkerte, jedesmal einen rosenfarbenen, gefranzten Stempel darauf drückend. Er ging vor, beugte sich hinab, und nahm diese Faust auf. Er wendete und drehte sie. Da brach plötzlich ein Kichern aus seinem Gesicht – und gleich darauf warf er den Kopf hintenüber, balzend, aufschluchzend:
»Da is' ... da is' ... da is' Dmitrij sein Arm! den kenn' ich an 'm weißen Tr ... Trauring!
Da is' ...
Da is' Dmitrij seiner!
Wir habe' unse'n Dmitrij über ... über B ... über Bord geworfen!«
Ein anderer von den Leuten, die sich an der Arbeit beteiligt hatten, stand eine Strecke entfernt, vornüber gebeugt, die Mundwinkel voll Galle und Geifer, grün und weiß: und rieb sein rechtes Handgelenk: es war eine kleine gekrümmte Reihe von blutenden Löchern darin, also du beißt, du Vieh, na' wa', also du hast mich gebissen, wa', ja, das hast du getan, du Frosch, wa', ja ...
Die übrigen standen einen Augenblick still und sahen sich um.
Ihre Gesichter waren bibbernd und rot geworden – als hätten sie auch die benutzt, um die Verwundeten über Bord zu werfen. Es sauste dumpf in ihren Köpfen: ach Gott, wäre' da nicht noch einige, die ma' über Bord werfen konnte, jetzt wo man so gut in Gang gekommen war; man vergaß sich selbst so angenehm, wenn ma' was zu tun hatte, waren da nich' noch ein klein paar Stück hier oder da, bloß noch ein einziger, wie?
»Hier!« rief 706, plötzlich kichernd und schwankend – während das Gekrach herabhämmerte, während die Detonationen rasend bullerten, und Säulen von Rauch unter den Überrest der Kommandobrücke hineinknickten und irgendwo wiegend entwichen – er beugte sich über Luschinskij hinab, der mit zugeklemmten Augen dalag, wartend:
»Kommt her!
Hier ist noch einer mehr!
Der soll auch runter in die Tiefe zu den anderen, nicht wahr, da versammeln sich all unsere Ka'raden, nicht wahr?
Mein Gott, mein Gott, versprich mir, daß auch ich in kurzer Zeit meinen Frieden finden werde, nicht wahr: i' ka' nich' meh' ...!« er schob mühsam, stöhnend, seine geschwollenen Finger unter Peter Romanowitschs breite Schultern.
Ein anderer lief herbei und ergriff behutsam die Füße des Premierleutnants. Beide zitterten sie an den Händen, so daß sie nahe daran waren, ihn fallen zu lassen, ein- oder zweimal.
Luschinskij riß die Augen auf, und lächelte.
Er hatte ein Gefühl als erwache er jetzt, endlich und entscheidend, von irgend etwas Schlimmem, Grauenvollem – von etwas, das sehr lange Zeit gewährt hatte, von etwas Entsetzlichem, etwas Wildem und Bitterem und Angstvollem, etwas, das ihn ganz in Schwindel und Grauen geschlagen hatte vor langer Zeit, vielleicht schon vor mehreren Monaten, nicht wahr:
»Ja!« sagte er, halblaut und sanft, gleichsam mit einer ganz neuen Stimme – als sie ihn vom Deck aufhoben – »ja, seit den Doggerbanks ...
Begreift ihr, Brüderchen! Beeilen wir uns alle zusammen, wir wollen nach Hause! Sie sehnt sich so sehr nach mir – und ich habe versprochen, zu kommen!
Iwan! –:
Jetzt!«
Strauchelnd und schwankend fingen die Matrosen an, ihn an die Reeling zu tragen.
Peter Romanowitsch fuhr fort, ihnen zuzulächeln.
Er lag, wie in einer Hängematte, die Schultern ganz bis zu den Ohren hinauf, das linke Abzeichen kratzte ihn ein klein wenig an der Seite des Kinns. Die Arme saßen krumm, die Ellenbogen stachen nach beiden Seiten hinaus – der Rock und die Hosen trennten sich in der Mitte seines Körpers, das Hemd beulte sich blendend weiß heraus. Die Sonne schien. Sein Gehirn füllte sich in einem einzigen Zucken mit einer Menge von Dingen an – von Marfa Alexandrownas breitem und mildem Schoß, von der Exzellenz milchbleichen, weichen Händen, von Eudoxias großen und kühlen Brüsten, ihren blauen Augen, ihrem goldenen Haar.
Er empfand mit Bestimmtheit, daß jetzt alle Unruhe für ewig vorbei war.
Sein Herz stieg mit Wonne bis in seine Kehle hinauf:
»Beeilt euch!« flüsterte er schnell den Leuten zu, die ihn hin und her schlenkerten, um Fahrt zum Hinabschleudern zu bekommen. – »Liebste Kinder! Es eilt ja! Iwan wartet! Ich seh-seh-sehne mich!
Eudoxia, ich komme!
Eud ...«
Die Matrosen ließen ihn los.
Luschinskij fiel, in einem langen und hohen Bogen, mit Armen und Beinen schlingernd, durch die blaue, feine Luft aus Lenz und Salz, wirbelnd, taumelnd ... hinab in den Ozean, der durchsichtig und blitzend in der Sonne war. Hier und da stiegen die silberblanken Geyser auf, von den Stahlkolossen, die da draußen zersprangen.
Er spürte eine schwellende und wogende Kühle, die ihn in einem Nu mit ihrer Frische umgab: hatte er sich denn schon an Eudoxias Busen zurechtgelegt? Denn nun hörte er ja auch ihr leises Lachen, das ihm so frisch und voll ins Ohr, in den Mund, in die Nase gluckste – ein lindernder Quell.
Und gleichzeitig verstand er das alles total: Ja, ja, Gott der Herr sei gepriesen, jetzt war er ja wirklich allen Ernstes heimgekehrt, für immer, durch Zeit und Raum! Jetzt saß er glücklich wieder in der Droschke neben ihr, an jenem allerersten Abend seines Lebens, auf dem Wege nach Hause aus dem Varieté« ... jawohl, Eudoxia, mein Lieb, du weißt nicht wie gut es ist, daß du mich batest, heute abend zu kommen, sieh, sieh hier, auch ich habe ja ...
Hoch oben über seinem Antlitz gewahrte er den Himmel nach allen Seiten, märchenhaft blau und grün, so kühl; und es standen Hunderte von funkelnden Sonnen daran, überall. Er ward ganz und gar erfüllt von einem schwindelnden und seligen Schaudern, fühlte den erfrischenden Kuß ihrer Lippen. Er breitete hastig die Arme aus, zog sie noch näher zu sich heran, ganz zu sich – schloß ihre seidenkühle Haut ganz in sein Umfangen ein. Er preßte seinen Mund auf den ihren.
Sein Herz schrie laut vor Wonne – sein Atem stockte vor Lust und vor Glück.
Er hatte sie wieder an seiner Brust: du einzige!
Meine Geliebte, ja, ja, in Ewigkeit!
Eudoxia!
* * *