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IV.
Die letzte Stunde eines Börsenmannes.


Sobald der Regen ein wenig nachließ, der nebelartig herab rieselte, eilte ich dem langgestreckten Laubgang im prinzlichen Schloßgarten zu, wo man unter hochgewölbter Decke, zwischen dichten Rankenwänden wandeln, ruhen und auf den See hinausblicken kann. Dieser liegt zwar heute früh gar trübselig da, – grau und grün gestreift, und die herrlichen Bergzüge verstecken sich bis auf den Fuß herab unter ziehenden Nebelwolken: doch läßt man sich bei solcher Witterung wenigstens Luft und Bewegung gefallen, bis man auch wieder bei Sonnenschein lieblichen Schatten, Blumenduft und paradiesischen Ausblick dazu bekommt.

Eine einzige Frau hatte sich hier eingefunden, und saß, ein paar spielende Kinder überwachend, auf einer der grünen Ruhebänke. Ich kannte sie aus dem Gasthofe, wo wir uns von verschiedenen Gebäuden her auf verbindender Gallerie unter überhangendem Schweizerdach täglich begegneten. Ich kannte sie als eine sinnige Frau von einfacher Herzensbildung und wohlwollender Lebensauffassung.

Die Wohlthat des Gartens, deren wir eben Beide froh waren, führte uns von der Klage über das ungünstige Wetter sogleich auf die freundliche Gunst des Fürsten, der seine Gärten dem Mitgenuß des Publikums offen läßt. Nur eine Warnung vor dem Abbrechen der Blumen war in's erste Beet gesteckt, und an den Eingängen in den Laubgang war in drei Sprachen das Rauchen verboten, – am umständlichsten deutsch, am artigsten französisch und am kürzesten englisch, – » No smoking permitted in the arbour or the garden.«

Meine Nachbarin kannte den Platz. Sie erzählte mir vom Schloß und von dessen Besitzer. Diese weitläufigen Gebäude waren einst noch ausgedehnter und ein Benediktiner-Convent gewesen, nachmals aber durch Verkauf in Privathände und in den Besitz des verstorbenen Königs Max gekommen, dessen zweiter Sohn es dann ererbt hatte und im Sommer zu bewohnen pflegte. Zwei Töchter und Schwiegersöhne mit ihren Kindern waren eben zum Besuch anwesend. – »Eine Freude für den alten Herrn«, setzte sie hinzu, »die leider durch Kummer und Sorge um das organische Halsleiden einer der Enkelinnen, eines begabten Kindes, nicht ungetrübt ist; wie denn auch solche hochgestellte und vom Glück begünstigte Familien gleich anderen von Leiden und Sorgen heimgesucht werden.«

»Es wäre auch zu viel verlangt, liebe Frau«, sagte ich, »wenn dieselben zu den Vortheilen, die ihnen der Staat und die Gesellschaft gewähren, auch noch von den Gesetzen der menschlichen Natur begünstigt sein wollten.«

»Gewiß!« antwortete sie. »Und unser Prinz hat dabei den Vorzug eines edeln Herzens bei großem Reichthum, so daß er durch Wohlthätigkeit und Schaffen sich über häusliche Sorgen erheben kann. – Aber welch' ein betrübter Anblick ist es, wenn Reichthum, – diese schöne Macht des Glücks – seinen Besitzer an Geist und Herzen verschlingt, – ich will sagen, jede menschliche Theilnahme, jede edle Empfindung, ja selbst jeden höhern Gedanken aufkehrt, wie ich es jüngst in einer angesehenen Familie auf entsetzliche Weise erlebt habe.«

Die gesprächige Frau sah mich dabei wie fragend an. Ich wußte schon, wie gern sie sich mittheilte, und als ich ihr daher aufmunternd zunickte, erzählte sie mir folgende Geschichte.

»Lassen Sie mich Ihnen mit dem Namen Andreas Aldringer einen Mann bezeichnen, der ein ererbtes Kapital erst durch angestrengte Thätigkeit im Warengeschäft, dann durch verständige Unternehmungen in's Weite, zuletzt durch glückliche Wagnisse in Wechsel- und Börsengeschäften zu wachsendem Reichthum gesteigert hatte. Mein seliger Vater, dem ich so viel verdanke, was sich nicht in Geld anschlagen läßt, pflegte zu sagen, was den Menschen früh und anhaltend beschäftige, befriedige und in seiner Weise beglücke, werde zuletzt sein Gott und sein Himmelreich.«

»Sehr wahr!« unterbrach ich sie. »Geht es nicht einer jüngern Schule unserer Naturforscher neuerdings ebenso? Der Stoff der Sinnenwelt, in den sie sich mit rühmlichem Eifer und mit mehr Scharfsinn als Tiefsinn versenken, wird ihnen, um der Offenbarungen willen, die sie ihm abringen, zum Gott, so daß sie im Stoffwechsel das ewige Leben erkennen und damit ihre Seligkeit abschließen. Aber fahren Sie fort.«

»Nun ja! Aehnlich erging es unserm Herrn Aldringer. Sein Herz war – ganz biblisch – bei seinem Schatz. Er hatte bald für nichts mehr Sinn und kaum noch für irgend etwas Anderes einen Gedanken, als für Geld und Werthpapiere. Seine Seele setzte sich nur in Bewegung für Eisenbahn-Unternehmungen, für Wechselcourse und für das Steigen und Fallen der Staatspapiere.

»Mit einem so gestimmten und erfüllten Herzen hatte er bald nach Eröffnung seines Geschäftes sich um die Zuneigung oder doch um die Hand einer sehr vermögenden Waise beworben, die unterm Druck eines hypochondrischen Vormundes lebte, und mit demselben frommen und beschränkten Sinn, womit sie diesen ertrug, sich den jungen Freier gefallen ließ.

»Therese war Katholikin wie ihr Mann. Sie gebar ihm die beiden Söhne, die nun erwachsen und Besitzer des großen Geschäftes sind. Aber beide Eheleute kamen immer weiter auseinander, wie es nicht anders sein konnte, wenn das Eine ebenso ausschließend die Erde, als das Andere den Himmel sucht. Die stille Frau kam früher als ihr Mann zum Ziele: sie starb.

»Nun heirathete Aldringer, aus dem Gesichtspunkt ein Haus zu machen, ein jüngeres Fräulein von guter Familie und gesellschaftlicher Bildung, – eine Protestantin, von der er sich mehr Verkehr mit der vornehmen Welt, als mit den Kirchen versprach, und mehr von Soiréen als von Betstunden zu hören dachte.

»Durch meinen Mann, der als Architekt von Ruf mancherlei für Herrn Aldringer zu bauen hatte, kam ich in Bekanntschaft mit der jungen, liebenswürdigen Frau, ja wir wurden Freundinnen, was man weltläufig, ohne tiefere Bedeutung des Wortes so zu nennen pflegt. Ein inniges Verhältniß mit ihrem Manne bestand eben nicht, so daß sie sich um so mehr zu einer Freundin gedrängt fühlte. Albertine war wie ohne Vermögen, so auch ohne äußere Reize. Was sie an graziöser Lebhaftigkeit und artigen Manieren für die gute Gesellschaft besaß, nahm ihr Mann auf guten Kredit ihrer Bewunderer gläubig an, und that stolz damit. Sie selbst gefiel sich in den breiten Verhältnissen des Hauses Aldringer, und suchte in dem, was sie sich und Andern Angenehmes bereiten konnte, einen Ersatz für alles, was dem Chef dieses Hauses abging.

»Ich kam damals viel in das glänzende Haus – an Prunkabenden und in vertraulichen Stunden. Ich ging nicht ungern hin, und konnte hier an dem Reichthum, aus dem mein Mann so manches baute, mich selbst erbauen. Da es nämlich ein Reichthum ohne inneres Glück war, so kehrte ich niemals in unsere heitere kleine Wohnung zurück, ohne auf's neue die Seligkeit zu empfinden, die hier zwischen unsern einfachen Wänden webte, wo uns das fehlende Gold durch unsere Liebe, die Staatspapiere durch gute Bücher und Musikalien, die Geldwechsel durch Verkehr mit edelen Freunden, und die Kapitalzinsen durch das Interesse an allem Wahren, Schönen und Guten im Leben ersetzt wurden.

»Aber noch ein – vielleicht weniger egoistisches Interesse fesselte mich an das Aldringer'sche Haus – ein schönes und holdseliges Wesen, das wie eine fremde, höhere Erscheinung diesem gewöhnlichen, mitunter niedrigen Lebenskreis angehörte.

»Meine Freundin Albertine war nämlich die ersten zwei Jahre ihrer Ehe mit dem Geldmanne ohne Kinder geblieben, und hatte beim Tod ihrer Mutter eine jüngere Schwester zu sich genommen. Bertha war ein schönes, zartes, wie gesagt holdseliges Geschöpf, das durch seine körperliche Anmuth und sein loderndes, schwärmerisches Herz alles für sich einnahm. Eine zarte Neigung, ein inniges Einverständniß mit einem ausgezeichneten jungen Künstler gab ihrer Erscheinung, ihrem Benehmen noch einen mysteriösen Duft, – den Zauber einer in sich selbst befriedigten Heiterkeit und liebreichen Hingebung. Selbst unser Börsenmann konnte diesem Zauber nicht widerstehen, so täppisch und lächerlich zugleich auch die zärtliche Zuthätigkeit sich anließ, womit dieser vom Erdgeist eingenommene und besessene Mann einem solchen ätherischen Wesen huldigte und kleine Opfer darbrachte.

»Zuerst – ich muß es gestehen – war mir bange bei dieser Aufmerksamkeit, die zum erstenmal sich selbst zu vergessen schien, – bange um das unbefangene und zugleich abhängige liebe Kind. Ich war aufmerksamer, ich beeiferte mich über meinen Liebling zu wachen. Doch ich überzeugte mich bald, daß es mit solcher ungewöhnlichen Gunst nicht so schlimm gemeint war, als ich gefürchtet hatte, und daß nur die Miene und Geberde einer ungewohnten Empfindung sich ungeschickt und roh ausnahm. Ich ward nun vielmehr dem Manne etwas gewogener dafür, daß er noch einen Sinn für eine himmlische Erscheinung hatte, daß sein vom Irdischen bestricktes Herz noch eine lichtempfängliche Stelle bewahrte, von der aus er vielleicht noch erlöst werden konnte.

»Doch eine Aufgabe blieb mir noch übrig: das liebende, liebliche Wesen vor dem brutalen Reichthum des Schwagers und dem verlockenden Geschmack der Schwester in seiner anspruchlosen Einfalt und idealen Schwebe zu erhalten.

»Albertine, meine reich gewordene Freundin, war allerdings nicht ohne edeln und höhern Sinn in das geldmächtige Haus gekommen; aber ihr Wohlgefallen am Aeußern und die Beschäftigung mit dem Oberflächlichen, die ihr der gesellschaftliche Verkehr auferlegte, nahmen in dem Maße zu, als die Macht, die sie über den Gatten gewann, ihr die Mittel vermehrte, mit denen sie nicht bloß ihre Freude am Aufwand, sondern auch ihrer Neigung, Andern Freude zu machen oder wohl zu thun, befriedigen konnte. Selbst diese Neigung und der ihr angeborene Trieb der Wohlthätigkeit, je leichter die heitere Frau beiden nachgeben konnte, schienen sich nur desto mehr in's Aeußerliche, Nichtige zu verlaufen, und das üppige Blätterwerk der Herzensgüte drohte rückwirkend die heilsame Wurzel selbst zu verderben. Mußte ich mithin nicht suchen, meinen Liebling mit seiner sanften Schwärmerei für das Ideale gegen den Einfluß zu schützen, den der Reichthum des Hausherrn und der Gebrauch, den die Hausfrau davon machte, so leicht auf ein junges Herz zum Verderbniß seiner Zukunft hätten ausüben können? Bertha sollte mir nicht vergessen, daß es die Zukunft eines Künstlers war, die sie zu bewirthschaften hatte.

So gingen Jahre vorüber, in denen das Geld die einander so fremden Herzen beider Eheleute mehr und mehr vereint hatte, so daß Albertine nun auch ihrem Manne drei Kinder schenkte, die eben sechs bis neun Jahre alt geworden waren, als ihr Vater von einem heftigen Typhus ergriffen wurde.

Die Sache nahm sehr schnell ein ernstes Ansehen. Meine Freundin, in solchen Begegnissen unerfahren, nicht geduldig genug zum Ueberlegen und gewohnt selbst in leichteren Anliegen sich an mich zu lehnen, ließ mich rufen. Ich hatte zu überlegen, ob ich bei den Pflichten für die Meinigen mich in den Ansteckungskreis eines so gefährlichen Fiebers wagen dürfe. Mein Mann rieth mir nicht ab: er wußte, daß ich in solchen Lagen resolut und nicht apprehensiv war. Ich eilte also dahin, wo ich so oft auch fröhlicheren Einladungen gefolgt war. Albertine warf sich an meine Brust und ich richtete sie auf.

Der Kranke lag in heftigem Fieberwahnsinn. Der Arzt war da und der Geistliche kam bald. Jener konnte noch mit seinen Medicamenten dem stürmischen Körper beikommen; diesem aber mit seinen Sacramenten entzog sich die irrredende Seele. Beide thaten, was sie vermochten. Als sie fort waren, und die Aufmerksamkeit der beiden erwachsenen, dem Geschäft associirten Söhne sich ausschließend auf den unruhigen Vater richtete, nahm ihr Bedenken und ihre eigene Unruhe noch mehr zu. Es entging mir nicht, daß der Inhalt des Irrredens beiden nicht weniger Sorge machte, als das Delirium selbst. Denn der Fiebernde sprach unaufhörlich von nichts Anderem, als womit freilich seine Seele sich das bisherige Leben lang ausschließend beschäftigt hatte, – von Goldstücken, die nicht vollwichtig, von Aktien, die im Fallen, von Coupons, die fällig wären. Er schrie nach der Goldwage, nach dem Börsenblatte; er bezeichnete die zu verkaufenden Papiere, berechnete, was und wieviel angekauft werden sollte. Er machte mit dem Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand die Bewegung einer Scheere, und einer der beiden Krankenwärter, ein hämischer Mensch, warf ihm Papierschnitzel auf die Decke, die er wie Zinsabschnitte hinter einander steckte, – ärgerlich, zornig, fluchend, wenn er im Zusammenrechnen der Gulden und Kreuzer immer wieder irre wurde, wie er ja in seiner ganzen Existenz irre war.

»Mich überlief's ein und das andremal eiskalt.

»Inzwischen waren auch die kleinen Mädchen ihrer Erzieherin entlaufen und, die Mutter aufsuchend, in's Zimmer gekommen. Sie starrten erst ängstlich, bald aber lachend den närrischen Vater an. Die Mutter, meine Freundin Albertine, achtete der Kinder nicht. Ihre gespannte Aufmerksamkeit war auf die beiden Stiefsöhne gerichtet, die mit unruhigen Mienen eine heimliche Angelegenheit verhandelten. Der Fieberwahnsinn beunruhigte mit seinem Gegenstande ihren Geschäftsverstand, und die unmündigen Halbgeschwister, die verwöhnten Mädchen, die jetzt unartig an's Bett schlichen, an der Decke zupften und kichernd wieder fortliefen, fielen mit ihrer Ausgelassenheit in die Ueberlegung der Stiefbrüder, – nicht als erziehungsbedürftige Kinder, sondern als Mitberechtigte an der Hinterlassenschaft des Sterbenden, um derentwillen das Gericht sofort einschreiten werde. Vergebens stieß ich meine Freundin an, den Kindern zu wehren, die durch das Zunicken des tückischen Krankenwärters immer ausgelassener wurden. Albertine hatte nur Sinn für das Räthsel ihrer Stiefsöhne, und diese fühlten sich mehr und mehr gedrückt, durch das große gespannte Auge der Stiefmutter, das auf ihnen ruhte und ihre Absichten zu bedrohen schien. Nicht lang, so zogen sie Albertine in ihre Ueberlegung und entfernten sich mit ihr, ich weiß nicht zu welchem Vorhaben, nach dem nahen Comptoir.

»Ich sah mich jetzt mit den Kindern und den beiden Wärtern allein. Diese hatten nun zu wachen und zu halten genug, da der Kranke immer wieder fort und an sein Pult wollte, plötzlich aus dem Bette sprang und nur mit voller Anstrengung der beiden Männer wieder unter die Decke zu bringen war.

»Kniet nieder und betet, ihr Unarten!« gebot ich zürnend den ausgelassenen Kindern. »Euer Vater stirbt! Fühlt ihr das nicht?«

»Im ersten Augenblicke gehorchten sie mir, und ich betete ihnen laut das Vaterunser vor mit dem protestantischen Schluß: denn dein ist das Reich und die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. – Dann aber schrieen sie und riefen »Mutter!« und ich brachte sie zu ihrer Gouvernante.

»Wie ich wieder zurück kam, schien mir der Kranke bedenklich still geworden. Ich eilte durch's nächste Zimmer nach dem Comptoir. – Hier fand ich die beiden Brüder über das große Geschäftsbuch gebeugt, der Stiefmutter vorrechnend, die von entgegengesetzter Seite auf beiden Ellbogen über den Tisch gestreckt lag. Der schwere Deckel der angeschraubten eisernen Kiste stand offen; Geldsäcke waren herausgehoben; allerlei Papiere lagen umher; man zählte und rechnete. Auch mein Mann stand dabei. Er war gekommen, nach mir zu sehen, und man hatte ihn statt eines höflichen Empfanges, wozu alles zu pressirt war, als unparteilichen Zeugen in das Geschäft gezogen, über das im Allgemeinen die Brüder mit der Stiefmutter einverstanden schienen. Es galt – ich weiß nicht um welche Anordnungen oder Vorkehrungen, womit man dem nach dem Tode des Geschäftsvorstandes und Erblassers einschreitenden Gerichte zuvorkommen wollte. Ich rief ihnen zu, sie möchten doch eiligst herüberkommen, Herr Aldringer liege im Sterben.

»Wir können aber noch nicht!« versetzte der ältere Sohn ungeduldig. – »Wir sind noch nicht fertig,« setzte der Andere gelassen hinzu. – »Bitte, liebe Fritze, laß doch meinen guten Mann noch ein Viertelstündchen –!« – Albertine besann sich noch, ehe sie in ihrer Eingenommenheit von dem Geschäft den eiskalten Unsinn aussprach, und erröthete.

In diesem Augenblicke trat Frau Bertha leise herein. Mein Liebling war nämlich seit einem Jahre mit ihrem bei der Academie angestellten Maler verbunden, und kam zu sehen, wie es um den Kranken stehe. Jetzt erschien sie mir noch einmal als ein Engel des Trostes ob man ihr gleich schon ansehen konnte, daß sie selbst auf einen kleinen Engel hoffte. Ich winkte ihr, und nahm sie mit in's Krankenzimmer.

»Beim Anblicke des Kranken erblaßte sie noch ein wenig mehr, als sie es schon von ihrem Zustande war. Sie hob die kleinen Hände und faltete sie zum Beten! das Halstuch glitt von ihren Schultern, und so stand sie mit einer Anmuth da, die mich zu Thränen rührte, als ich zumal empfand, daß sie als ein Bild der Hoffnung an das Lager eines scheidenden Erdenwurms gekommen war.

»Eben geht's zu Ende mit ihm!« rief mitleidig der ältere Wärter, als er den stillgewordenen Mann sich entfärben sah. – »Ja«, lächelte der jüngere in seinen röthlichen Bart, »Der schneidet keine Coupons mehr ab. Selbst ein Coupon für den Wechsler Tod!« –

»Ich stürzte nun wieder hinüber und rief: »Er stirbt, er stirbt!« –

»Um Gottes willen, wir müssen uns eilen! keuchten die Söhne.

»Aber – Albertine –?« rief ich meiner zögernden Freundin mit einem Tone zu, worin sich alle Bitterkeit meines empörten Herzens aussprach. Mein Mann fühlte die Entrüstung mit. – »Geht zum Teufel mit eurem Mammon!« zürnte er, raffte die umherliegenden Papiere zusammen und schmiß sie in die eiserne Kiste, griff nach den Geldsäcken, und –

»Ich hatte Albertinen an der Hand genommen, als die Brüder gegen meinen Mann Widerspruch erhoben und zog sie mit hinüber. Der Kranke lag erblaßt. Albertine wankte ohnmächtig; ich fing sie mit meinen Armen auf.

Im Augenblicke schlug drüben dröhnend der schwere Kistendeckel zu. Der Sterbende fuhr empor und starrte umher. Seine gläsernen Augen fielen auf die betende Bertha. Ein Strahl der Erkenntniß und Erinnerung zuckte über seine Stirne, ein Lächeln glitt über das verzogene Gesicht, und ein Blick aufwärts verrieth einen aufdämmernden Gedanken an die Ewigkeit; er hob mit Anstrengung die flehenden Hände. Bertha eilte zu ihm sie zusammen zu fügen; er zog einen tiefen Athem, und sank in die Kissen zurück.

Alle knieten wir feierlich nieder, nur Bertha blieb über dem Sterbenden gebeugt. Eine Stille war im Zimmer. Wir athmeten die hohe Luft zwischen Zeit und Ewigkeit, und als wir ängstlich aufsahen, lag auf dem Antlitze des armen Mannes das Siegel des Todes.


Meine bewegte Nachbarin schwieg. Sie schien von der lebhaften Erinnerung sehr erschüttert.

»Sehen Sie, liebe Frau,« versetzte ich nach einer Weile, – »so hatten Sie doch richtig voraus gesehen, daß die liebevolle Empfindung des armen Geldmannes für ein edles Geschöpf ihm noch zum Heil ausschlagen könnte. Er ist also doch nicht ohne die Ahnung – soll ich sagen, ohne ein Keimauge des Ewigen vom Baume des Lebens abgefallen, so unreif er auch sonst gewesen sein mag!«

»Hoffen wir,« flüsterte sie, »daß der flüchtige Augenblick der Erkenntniß, der Reue und Sehnsucht ihm drüben hoch genug angerechnet werde, wo er Rechenschaft über Vieles zu geben haben wird, – zu verantworten, wie er sein Vermögen erworben, wie er es verwendet, was er unnütz vergeudet, und was er Gutes vergessen hat. Ich fürchte, er wird ein starkes Saldo behalten.«

»Diese Vorstellungen und Bilder Ihrer Kirche passen diesmal recht für einen Mann aus der Handelswelt«, erwiderte ich. »Aber auch mit rein vernünftiger Betrachtung bleibt im schönen Sinn Ihres Glaubens ein Mann, wie dieser, zu beklagen. Wenn wir nämlich einmal ein jenseitiges Fortleben annehmen, so können wir es uns auch nur als eine Fortsetzung des diesseitigen denken, aber nicht mit Dem, was wir hier, der Erde angehörig, zurücklassen, sondern mit Dem, was wir daraus Geistiges gewonnen haben. Wie arm und verlassen, hülf- und trostlos muß sich nun dort ein Geist finden, der Das entbehrt, was ihn hier einzig erfüllt hat, und dem nun eben Das fehlt, was dort allein gilt, und was er sich mit jenem hätte einwechseln sollen. Versäumt ja schon kein verständiger Mensch, sich vor einer Reise bloß in fremdes Land mit dort gültigen Wechseln zu versehen: wie viel mehr vor einer so lange drohenden Ueberfahrt hinüber. Und man weiß ja, was dort Cours hat! – Doch davon läßt sich nicht reden, und man muß einem jeden seine eigenen Gedanken oder Phantasien darüber lassen. Sagen Sie mir lieber noch, was aus der Familie geworden ist.«

»Ei nun – sie hadern jetzt um Das, was der Hingegangene zurückgelassen hat, und verhadern es. Die Söhne der ersten Ehe und die Mutter der zweiten Kinder liegen vor Gericht. Die beiderseitigen Advokaten finden bei dem großen Vermögen, um dessen Theilung es sich handelt, ihre Rechnung hinter den Kniffen und Ränken, die sie ihren Parteien anrathen, und womit sie dieselben gegen einander aufhetzen und immer wieder erbittern. Eine Göttin der Vergeltung waltet in den Verlusten, die beide Theile dabei an den Summen und Werthschaften erleiden, über die sie in der Sterbestunde des Vaters und des Gatten ihrer heiligsten Pflichten vergaßen. Mein Mann und ich sind mit ihnen zerfallen: desto inniger stehen wir noch mit der liebenswürdigen Frau Bertha, der ich ihr erstes Kind aus der Taufe gehoben.« –

Die Schloßuhr schlug eben mit ihren schweren, langsamen Schlägen zwölf. Die Erzählende erhob sich und rief ihre Kinder herbei. Ich begleitete sie durch den Laubgang. Das Gewölk hatte sich gehoben; die Gebirgsgipfel lagen frei, die Sonne brach hervor. Der See schimmerte in seinem schönsten Blau, und ein weißer Kahn mit Flügelrudern brachte eben die Freunde herüber, die wir zu Mittag erwarteten.



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