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Und die Menschen zählten Jahre ab. Rübezahls Tannen trieben saftige, hellgrüne Schüsse Lenz um Lenz, und stunden wieder in schwerem Winterhermelin, und immer wieder krachte der Schneebruch in den Wäldern, und immer wieder rauschten die Tauwasser zutal, und immer wieder hatte der Alte seine Lust an all der jungen Brut in den Nestern droben und drunten, und am warmen Leben, das sich regte im Geheck der wilden Tiere, an Rehkitzen und Frischlingen; was konnte es Lieberes geben? Für die Menschen drunten waren es Friedensjahre gewesen, Jahre treuen Schaffens und reifender Ernten. Und der treueste Arbeiter und Pfleger war Schlesiens neuer Herr. Rübezahl wandelte rastlos durch Berge und Täler; wo er bei den Menschen einkehrte, da war jener Königsname in jedem Munde, den Großen hießen sie ihn, der wie ein Wunder der Welt war, und doch vertraut und herznahe allen. Menschen und Dinge zeugten von seinem Sorgen und Schaffen ohn Ende. Und es ging dem Menschenverächter auf: Der will was, was mehr ist denn das Begehren eines engen Herzens, das nur sich selber meint; in dem lebt ein Teil jener Macht, die er selber, der Berggeist, in Demut verehrt: der lebenweckenden, ordnenden und erhaltenden. Und ist ein Mensch! Er hat ihn auch noch etliche Male gesehen im Schlesierlande, den Vater und Berater, den Richter und Schlichter, wenn er im Wagen durch Städte und Dörfer reiste, die Schulkinder sangen, die Obrigkeit ihm hoch zu Roß entgegenzog und die Glocken ihm Willkommen läuteten. Immer war Segen und neues Leben seine Spur, der Segen des Fleißes und der Ordnung. Und der hoffärtige Geist bekannte sich's heimlich: Ein zweiter Herr waltet hier in meiner Welt! Und das ist ein Mensch.
Aber auch hart lag die Herrenhand dessen, der wußte, daß die Gegenwart für die Zukunft zu zahlen hat, auf manchem im schlesischen Lande. Widerstrebend genug trug in Oberschlesien mancher Katholik den Willen des preußischen Ketzers, vor allem aber brauchte der Brandenburger Krieger, Krieger! Und da gab's ein Ausreißen über die Grenzen, die Weberdörfer entvölkerten sich, die junge Mannschaft wollte nicht dem unersättlichen preußischen Kalbsfell folgen. In Krug und Kretscham gab's Schimpfen und Schelten auf die neue, die harte Zeit, ihre Steuern und Lasten, auf die verfluchte Wehrpflicht, und den Unruhstifter, und den Krieg, der kein Ende nehmen wollte. Hoho, die Kaiserin wird ihr Kronjuwel nicht in den unheiligen Händen des Potsdamers lassen, die ganze Welt hat sie gegen den Ketzer aufgeboten, nun laßt einmal sehen, wo seine Wachtparade bleiben wird.
Die Kunde von der gewaltigen Prager Schlacht durcheilte die Welt, durcheilte Schlesiens Täler, mit ihr die Trauerkunde vom Tode des alten ritterlichen Schwerin. Die wunderraunende Sage begann allgemach das Haupt des Mannes, wider den die Welt in Waffen stund, verklärend zu umspinnen, das Haupt, über dessen Lorbeerzier bereits der Dornenkranz sproßte. Er war der königliche Schmerzensmann. Hier folgten ihm bangende Gebete, da tückische Schadenfreude. Von Kolin erzählten sie, wo zum ersten Male seine Macht zusammengebrochen war, wie er da gleich einem, der mit leeren Händen übrig geblieben, auf dem vermorschten Brunnenrohr gesessen und weltverloren mit dem Krückstock krause Linien in den Boden gezeichnet habe; und wie er dann nachts nach sechsunddreißig Stunden gefahrvollen Reitens als sein eigener Unheilsbote zum Belagerungsheer nach Prag gekommen, dort in dem ärmlichen Pfarrhaus zu Michle auf dem Strohsack zusammengebrochen sei, nichts als ein leidendes, verzweifeltes Menschenkind, jawohl, der Hoffärtige, der Selbstsichere; und wie der Prinz Heinrich ihn trösten müssen, der sich den Tod, nur den Tod gewünscht. Und ausschauen sollte er! Ganz alt sei er geworden, hart und hager, scharf und spitz.
Da horchte Rübezahl auf. Guck, Männle, den Tod? Wären wir so weit? Hoho, kennen wir, kennen wir! Just wie der erste beste armselige Webergesell, der nichts mehr zu fressen hat, und drüben auf der böhmischen Seite der hohlwangige Glaser, den ich mit seiner gebrechlichen Ware Purzelbaum schießen ließ, daß er heulend heimkam zu seinen hungernden Kindern. Guck einer den Herrn meines Schlesierlandes!
Etwas Dunkles, Unnennbares trat in seine wildüberbuschten Augen, er kratzte sich den zottigen Bart – war's wirklich ein häßlich Grinsen, was wie ein flüchtig Wetterleuchten über sein ungeschlachtes Gesicht zuckte? Was war es? Es hilft nichts, wir müssen mit der Sprache heraus: Der Wilde, der aufschrie vor Mitgefühl, wenn er ein Füchslein im Eisen antraf oder ein weidwundes Wild, der genoß etwas wie grausame Lust in dem Gedanken: Nun leidet er, nun geht's ihm grimmig schlecht! Als sei die Macht seines königlichen Wesens, seines Menschenadels, die der Unbändige widerwillig empfinden müssen, eine frevelhafte Anmaßung, die er jetzt in gerechter Demütigung büße. Nie hatte es den Harten so gereizt, »dabei zu sein«, wie jetzt, jetzt, da es das grausame Schauspiel galt, wie ein starker Heldenwille sich der übermächtigen, niederträchtigen Macht des Schicksals in Verzweiflung erwehren mußte. Schlag auf Schlag hatte es ihn getroffen, jede Woche brachte neue Jammerkunde. Zehn Tage nach dem Zusammenbruch von Kolin der Tod der zärtlich geliebten Mutter! So tief der vom Unheil umstellte Fürst darniederlag, der liebende Mensch, der dankbare, treue Sohn sank noch tiefer in finsteren Gram, wenn er gleich bitter klagte, sein Elend lasse ihm keine Zeit zu Tränen. »Vielleicht hat der Himmel unsere gute Mutter abberufen, daß sie das Unglück unseres Hauses nicht mehr schaue.« Dann war unten beim schlesischen Heere des Herzogs von Bevern wider Nádasdy bei Görlitz der prächtige Winterfeldt gefallen, Winterfeldt, der Herzhaft-Frische, der Aufrechte, der treuherzige Freund, der »Seelenmensch«. Die Russen hatten den alten Lehwaldt bei Groß-Jägersdorf in Ostpreußen geschlagen, die Schweden hatten Anklam besetzt, die Franzosen bei Stade den Herzog von Cumberland so in die Enge getrieben, daß er sich zu der schmachvollen Ergebung im Kloster Zeven herbeilassen mußte, während ihre Nordarmee Halberstadt bedrohte; der Reichsheerbann Hildburghausens – allzu ernst nahm ihn Friedrich nicht – stund in Thüringen, er war samt dem Fürsten Soubise von Erfurt nach Eisenach zurückgegangen. Wohin er den Blick wandte, überall stunden die Feinde, »die Zerschmetterer«, auf dem Boden seiner Erblande. Diesmal meinten's die Gegner ernst. An den Fingern einer Hand war's abzuzählen: Friedrichs Untergang war besiegelt.
Als Rübezahl, den es jetzt in nächtlichen Wanderungen ruhelos durch seine herbstlich rauschenden Bergwälder jagte, wieder einmal droben stund am Großen Teiche, da sah er im Wellengekräusel, das matt im unsteten Mondschimmer der Sturmnacht flimmerte, das Haupt des Königs, – ohne das Wunderlicht der gebietenden Augen: geschlossen waren die Lider des fahlen Angesichts, emporgereckt das Kinn wie eines Versinkenden, eines ermatteten Schwimmers, der wehrlos sich dahingibt an den Tod. Machtvoll packte ihn das Begehren, das unerhörte, wilde Schauspiel dieses Leidens anzusehn, dieses Leidens und dieser Gegenwehr. Gäb's ein Ende, einen Kehraus! Falsch wurde er: Was dieser Mensch ihm zu schaffen machte! Hol ihn dieser und jener!
In Schmiedeberg war ein junger Pfarrer. Der stieg in dieser Nacht über die Berge, heimkehrend von ernstem Amtsgange: er hatte einem Sterbenden letzten Trost gebracht. Es war aber ein gar männlich Herz, das er unterm schwarzen Rocke durch die wehende Nacht trug, werkfroher Lebensgewißheit voll, wie sie, statt wehleidiger Weltnot, ein Tapferer, Lichter wohl vom Anblick eines erbaulich Vollendeten heimbringen mag. Seine Gedanken, ganz auf Gegenwehr wider Tod und Geschick eingestellt, waren bald, wie das nicht anders sein konnte, bei dem leidenden Helden der Zeit, der ja wie keiner jemals das Denken und Meinen der Menschen beherrschte, also daß Freunde und Verwandte hüben und drüben sich antrotzten, einander aufsagten als fritzisch und widerfritzisch, gleichwie Menschen, die nach Gottes Willen im Wichtigsten und Tiefsten getrennte Wege gehen. Unser Pfarrer fühlte sich heut so recht innig an diese Königsseele heran, wie ihm solches noch nie gediehen war, in dieser Stunde, da ihm die Brust so weit, das Herz so gottgetrost und gläubig war wie lange nicht. Nie hatt' er ihn so verstanden, den großen Dulder, den einzigen Hüter der deutschen Freiheit und Ehre – Spott und Hohn: Ihn hatte das kümmerliche Reich in die Acht getan! – den Schirmherrn des evangelischen Glaubens, nie hatte er so seinen Wert, seine Unersetzlichkeit ermessen wie in dieser heilig lichten, dieser seltsam starken Stunde. Unwillkürlich hemmte er den Fuß im geschwinden Schreiten bergab, stund zwischen sausenden, sturmdurchharften Fichten still, den Hut in der Hand, das Haar in die Stirn geweht, und schaute eratmend in die wilde Nacht empor, wo Wolkengeschwader mit zerschlissenen Lichtsäumen durch die wechselnde Mondhelle jagten. Da dachte er festen Glaubens: Nichts ohne deinen Willen, Vater droben! Mit diesem Mann wird's wohl bestellt sein wie mit der teuren Lehre, von der gesagt ward: ist sie von Gott, so wird sie bestehn. Ist, was der bringt und meint, aus deinem Sinn und Ratschluß, und ist er deines schaffenden Willens Träger, wer will dann wider ihn, den du angetan hast mit des Geistes Harnisch und Wehr? Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen ... Wie von selber fanden unterm Mantel seine Hände einander und falteten sich zum Gebet. Ein männlich Gebet war's, wie es selten, ach, so selten zum Throne der Allmacht emporsteigt, denn wunderleicht waren seine Schwingen von Erdenschwere und Eigenbegehr, und sie leuchteten gar weit voraus dem Schwarme der Gefährten, die in dieser Nacht die reinen Höhen suchten.
»Weiß Er kein gescheiter Beten, Schwarzrock, denn für den brandenburgischen Gernegroß?« lachte es da neben ihm.
»So wahr Gott lebt«, sprach der Pfarrer trotzig, »zu diesen Zeiten kein besseres! Geht eurer Wege, Mann, wenn's euch zuwider ist. Jeder wie er's versteht. Vielleicht gehört ihr zu denen, die verzückt die Augen verdrehen, wenn sie von dem geweihten Hute reden, den Seine Heiligkeit dem Marschall Daun geschenkt hat – für Kolin! Ich meine freilich, selbst der Feind dürfte dem unverdrossenen Streiter die Ehrfurcht nimmer versagen, wenn sie schon so blind sind, nicht zu erkennen, wofür der den Degen führt. Aber mein Gott, hab ich denn laut gebetet? Woher wißt Ihr ...? Wer seid Ihr?«
Der Fremde war längst hinter ihm zurückgeblieben. Da stund er inmitten der Straße und hielt sich den Bauch und brüllte vor Lachen ganz unanständig. Dem Geistlichen war der Kerl ebenso unheimlich wie zuwider. Er beschleunigte seinen Schritt, seiner los zu werden. Da, mit zwei langen Schritten oder Sprüngen eine Strecke von fünfzig Schritten einholend, packte ihn der schon wieder von hinten am Mantel: »Pastor, ein Hut, ein Hut, sagt Er? Ein geweihter Hut?« Wieder wieherte er wie unklug. »Hoho! da wird der Fritze in all seinem Kummer was zu lachen gehabt haben, wie ich ihn kenne.«
»Gehabt euch wohl«, sagte eilig der Geistliche und zog den Mantel fester an sich.
»Sei Er nicht ungemütlich, es geht sich vergnüglicher zu zweien.«
»Das kommt darauf an.«
»Er ist ein Flegel.«
»Er! Er! Er soll sich packen, verstanden?«
»Und ich weiß auch, wer Er ist.«
»Glaub ich ihm. Der Pfarrer von Schmiedeberg. Das gelbe Licht da unten ist meine Arbeitslampe.«
»Weiß ich, weiß ich, und ich weiß noch mehr –« er meckerte: er hatte nämlich den Studenten wieder erkannt, dem er dereinst ein heilsam Nachdenken über Zeit und Ewigkeit mitgegeben hatte. »Und wer ich sei, fragt man nicht?«
»Nein.« – Rübezahl schnob durch die Nase. Der Pastor ging schneller zu, er auch. Ihre eilenden Schritte hallten durch das schlummernde Städtchen. Wo bleibt der Nachtwächter, dachte der Pfarrer. – »Der!« antwortete da zu seinem Entsetzen der aufdringliche Begleiter seinem stummen Gedanken: »Der schont sich mit seinem Zipperlein und läßt sich oben am Kretscham just einen Schnaps reichen.«
Der junge Geistliche fuhr herum: »Mensch, wer seid ihr?« – »Mensch? Ich bedank mich! Wenn ich nun Der wäre, der mal einem jungen Studentlein durch das Dunkel eines Bierkruges einen Blick in die Ewigkeit verstattet hat? Wenn ich nun zum Beispiel der Rübezahl wär?«
»Alle guten Geister ...«
»loben den Herrn«, ergänzte trocken der Unerschütterliche. »Soll ich den Preußenfritz von Ihm grüßen? Ich seh ihn noch heut.«
Was den wackern Pfarrer am meisten verwunderte, das war, daß er selber sich nicht mehr verwunderte. Er war wohl heute nacht auf das Ungemeine eingestellt und gestimmt. Sie stunden vor der Tür des Pfarrhauses; der Geistliche hielt die Hand auf dem Türklopfer, scheu und ein Weilchen sprachlos blickte er über die rechte Schulter auf seinen unheimlichen Weggesellen, dem er schon einmal in die Quere gekommen zu sein sich wohl bewußt war. Es schlug elf. In der Ferne hörte er gleich darauf den Nachtwächter singen. Das gab ihm, der ohnehin ein furchtloser Mann war, das Gefühl der Menschennähe, und – Friedrichs war ja seine Seele voll! »Ist euch auch der zur Kurzweil eben gut genug?« fuhr er auf. »Und ich sag euch, ist's euch nicht gegeben, Menschengröße zu empfinden, so seid ihr bei all eurer Macht ein armer Teufel. Nichts für ungut, ihr könnt Bäume ausreißen und auch wunder wie gefährlich gebaren, nicht anders als ein unnützer, ungebärdiger Bub; das Mehr oder Minder des Unfugs macht da keinen Unterschied, ob einer mit kleinen Steinen schmeißt oder mit Felsblöcken. Wer seid denn ihr! Der gottgeführte Mensch, der Mann und Held, ist mehr! vermag mehr: Dem Leid und Schicksal trotzen, das ist seine Macht, den Tod nicht fürchten, das ist seines Geistes Stärke, sich selber und seinem Werke die Treue halten, das ist seine Würde. Beim Allmächtigen droben, er ist mehr denn ihr! Fahrt hin, wenn's euch des grausamen Spaßes gelüstet, und lernet Ehrfurcht vor Menschenwert! Wenn ich nur an das friedvolle Totengesicht denke, von dem ich da herkomme – – wer seid ihr!«
Hart schlug die Tür hinter dem Verwegenen zu, dem Tieferregten, der eben seines Erdendaseins wunderlichsten Augenblick durchlebt hatte. Die Schelle lärmte und belferte noch im Hausgang drinnen wie ein Hündlein, das seinem zornigen Herrn, der just einen Strolch von der Schwelle gewiesen, das letzte Wort nicht gönnt. Dann war's still. Bänglich still. Doch sieh, – es geschah nichts. Der junge streitbare Pfarrer stund mit fliegendem Atem drinnen in seinem bescheidenen Gemach und lauschte, als müsse ihm jetzo ein Ungeheures widerfahren. Doch er sprach in seinem Herzen: »Was soll mir, Herr, geschehen ohne deinen Willen?« und schlug, mit kaum noch zitternder Hand, die Heilige Schrift auf. Es geschah nichts.
Doch! Ein Brausen geschah, hui, ein Brausen, daß die Ziegel auf dem Dache klapperten und im Städtchen etliche Fenster nach dem Glaser schrieen, dem Nachtwächter sein Singsang im Halse stecken blieb, dafür aber mehrere Hähne Hallo krähten und mancher Schläfer erschreckt mit der Nase aus den Kissen fuhr. Im Sturme fuhr der Wütige von hinnen.
Und der Sturmstoß, der eben durch den Glockenstuhl des Schmiedeberger Kirchleins gefahren war, wirbelte alsbald die Wetterfahnen auf der Wartburg. Hätte der Doktor Luther noch drinnen gesessen, er hätte wieder kämpflich nach seinem Tintenfaß gegriffen. Es mußte halt doch was dran sein, an der Macht dieses einen Menschen, daß sie den stolzen Geist zur Reise aus seiner Heimatwelt vermochte, hinaus in die unvertraute Fremde, in die fernen Berge Thüringens! Über den kahlen Inselberg fegte er dahin und hohnlachte und schimpfte: »Traurige Gegend dahie!« Überall zugleich war er. Im Hörseelenberg war ein geheimnisvolles Rauschen und Brausen wie von tausend Hummeln, das war ihm in die Maßen unbehaglich. Im Kyffhäuser schlug der ungehobelte Gast gewaltig an das Tor, das eherne, das kein Menschenauge findet: Der Vetter sei da, von den Bergen des Ostens! Es traten die Ritter und Wappner zusammen und berieten, ob man ihn einlassen solle. Der getreue Eckart hatte schon berichtet, wes Geistes Kind der Kömmling sei. Der Kaiser aber schaute auf aus seinem Traume, schüttelte das Haupt und erhub abwehrend die Hand:
Hold ist mein Träumen, wie lange nicht,
Tränkt meine dunkle Seele mit Licht:
Ferne der Heimat Berge zween
Meinen dämmernden Blicken erstehen –
Abendglimmen hinter dem einen,
Über dem andern ein Frührotscheinen.
Neues will werden! Ich höre ein Klingen:
Ein Schwert wird geschmiedet – wer wird es schwingen?
Soll wieder Mannheit auf Erden gelten? –
Laßt mir vorm Tore den Alten schelten.
Weiß nichts von uns. Was soll er uns frommen?
Heiße ihn du, Meister Schmied, willkommen.
Sag ihm, des Kaisers träumender Sinn
Lausche noch immer dem schwingenden Klang,
Der wie Morgenruf zu mir drang –
Reiterfanfaren von Fehrbellin!
Aber noch eh mir aus Herzen und Ohr
Das Klingen, das selige, sich verlor,
Hat es ein andres schon aufgenommen:
Hörner von Hohenfriedberg und Soor!
Nun muß ich lauschen: was mag noch kommen,
Wenn droben die bangende Stille zerbricht,
Gewitterdrohend, zum Sterben beklommen? – –
Hold ist mein Träumen, o weckt mich nicht.
Rübezahl stund in einer Vorhalle, die gleißte von edlem Gestein. Von Waffen und Schilden – Schilden, die von deutschen Ehren redeten, davon er nichts wußte. Ein Ritter stund vor ihm, den Helmsturz geschlossen, die Farben des alten Reiches auf dem Wappenrock, der sprach:
»Der Kaiser schläft, und der Schlummer sein
Ist stilles Werden, ist schaffend Gedeihn.
Denn was erträumt und sinnt und sieht,
Ringt droben im Lichte, all das geschieht.
Rübezahl schüttelte unwirsch den dicken Kopf mit dem Mähnenbusch: »Schnickschnack! Das ist ja noch böhmischer als Böhmen.« Und zornig wollte er einen rußigen Gesellen anfahren, der da plötzlich, wie aus dem bunten Estrich gewachsen, sperrbeinig vor ihm stund, in der Rechten einen Schmiedehammer, in der Linken einen blitzenden Pallasch. Es war der Schmied von Jüterbog, den der Kaiser gemeint hatte.
»Was seid ihr für eine ruppige Zunft dahie in eurem albernen Berge! Sogar eure dummdreisten Raben stießen mir nach dem Schädel, und wie ich sie nach meiner Art auf die Hand rufe, gehorcht das Viehzeug nicht! Ist ja eine saubere Ordnung bei euch.«
Der Herr Vetter muß halt andere Gedanken mitbringen!« knurrte ihn der Jüterborger an, »dann tun wir dir auf, und sind auch unsere weisen Vögelchen dir kirre.«
»Lümmel!« schnob der Schlesier durch sein Bartgestrüpp.
»Lümmel selber!« lachte der Schmied und funkelte ihn an mit dem Blick, der Tod und Teufel getrotzt hatte, indem er den Hammer anhub. Potz Bober und Queiß! was dem Alten heut schon geboten ward, das ging doch etliche Schuh über die Koppenhöhe! Niemalen war er sich so dumm vorgekommen. Wütend stieß er den Odem durch die knotige Nase und erwog, welches Unglück jetzt füglich an der Reihe sei, da fuhr der Schmied gemütlich fort:
»Wenn du heimfährst und uns gute Mär sagen kannst vom Hohenzollern, dann sprich nur wieder vor ...«
»Gute Mär? Von dem!«
»Vielleicht, daß du alsdann den Kaiser schauen darfst in seiner Herrlichkeit – Menschenherrlichkeit, versteh mich wohl, du Zottelbart ...«
»Ihr könnt mir allesamt ...! Daß er noch hundert Klafter tiefer sänke, euer schlafdachsiger Kaiser! Heiliges Gewitter, hab auch mal einen langen Schlaf getan, aber sowas ...«
»O, nein, Vetter! Der steigt dir immer höher, und immer lichter wird sein Traum und leichter – dank dem da oben!«
»Dem Potsdamer Fritze?«
»Dem Hohenzollern, ganz recht.«
»Der bald seiner lieben Seele das letzte Flötenständchen gedüdelt haben wird und sein Gift geschluckt – das Einzige, was ihm treu verblieb!«
Da lachte der Schmied und ließ die Klinge pfeifen: »Sieh diese wackre Fuchtel. Seydlitz heißt der herrliche Degen, der sie führt. Was gilt die Wette? Bald wird sie wieder tanzen! Friedrich versinkt nicht, ob er auch noch manches Mal im Sturme zagen muß und sich selber beim Kragen packen; den Griff an den eigenen Kragen hat er dir weg wie keiner. Nein, nein, der Allmächtige hat ihn gehärtet und gestählt, weil er mit ihm das Seine vorhat. Gott befohlen, Teuerster, die Klinge braucht noch eine Mandel Hiebe und meine Heinzel müssen eilen, daß der Seydlitz sie nicht misse, wenn er aufwacht; 's ist Mitternacht vorbei.«
»Ist eine Wichtigkeit und ein Getu um den Fritz, potz Bober und Queiß –«